EMDR - Claudia Frey - E-Book

EMDR E-Book

Claudia Frey

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Beschreibung

EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine innovative Psychotherapiemethode, mit der die Folgen von Traumatisierungen effizient und nachhaltig behandelt werden können. Auch Symptome, die man auf den ersten Blick nicht mit einer Traumatisierung in Verbindung bringen würde, z.B. Depressionen, Ängste oder Essstörungen können durch EMDR auf ganz neue Art verstanden und behandelt werden. Aber wie kann es sein, dass sich schwerwiegende Symptome durch Augenbewegungen verbessern oder sogar verschwinden? Seit Jahren gibt es viel Forschung dazu und inzwischen konnte ein gutes Verständnis der dahinter liegenden Wirkmechanismen entwickelt werden. In diesem informativen Buch werden die aktuellen Forschungsergebnisse zusammengetragen und so erklärt, dass klar wird, für wen diese Therapiemethode sinnvoll ist und für wen vielleicht auch nicht.

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Seitenzahl: 90

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Vorbemerkung

Für wen ist dieses Buch?

1. Was ist EMDR?

a) Mehr als eine Traumatherapie

b) Die Entstehungsgeschichte

c) Symptome durch die EMDR-Brille sehen

2. Wieso wirkt EMDR?

a) Wie genau funktioniert das?

b) Risiken und Nebenwirkungen

c) Ist der/die Therapeut*in wichtig?

3. Passt EMDR für mich?

a) Habe ich pathogene Erinnerungen?

b) Bin ich stabil genug?

c) Wann ist der richtige Zeitpunkt?

4. Auf was lasse ich mich ein?

a) Struktur einer EMDR-Therapie

b) Ressourcenaufbau

c) Traumaverarbeitung

5. Soll ich oder soll ich nicht?

a) Die zwei Schalen einer Waage

b) Verantwortung übernehmen

c) Nicht mehr Opfer sein

6. Wer trägt die Kosten?

a) Grundsätzliche Überlegungen

b) Gesetzliche und private Krankenkassen

c) DGUV und andere Kostenträger

ANHANG

Glossar

Ready for EMDR?

Häufige Fragen zu EMDR

EMDR-Therapeut*innen finden

Lese-Empfehlungen

Literatur

Dank

Die Autorin

Vorbemerkung

Das hier zusammengestellte Material dient ausschließlich zu Informationszwecken. Es ermächtigt nicht zur eigenständigen Erstellung von Diagnosen oder zur Anwendung von Behandlungsmethoden, ebenso wenig wie zur Selbstbehandlung.

Die Informationen in diesem Buch stellen keinen Ersatz für eine professionelle Diagnostik und/oder Behandlung durch ausgebildete Ärztliche oder Psychologische Psychotherapeut*innen dar.

Die Namen und wichtigen Merkmale der Personen in den Fallbeispielen wurden verändert und anonymisiert, um ihre Identitäten zu schützen. Manchmal wurden auch verschiedene Beispiele kombiniert, um zu verfremden. Alle Menschen, die in dieser verfremdeten Form zitiert werden, haben vorab ihr Einverständnis für die Verwendung in diesem Zusammenhang gegeben. Jegliche Übereinstimmung mit real existierenden Patient*innen kann nur vollkommen zufällig sein.

Für wen ist dieses Buch?

Mit diesem Buch möchte ich Ihnen einen Überblick darüber geben, was sich hinter EMDR („Eye Movement Desensitization and Reprocessing“1) eigentlich verbirgt, für wen diese Psychotherapiemethode geeignet ist, warum sie funktioniert - und warum manchmal auch nicht. Ich fasse dafür den aktuellen Stand der Wissenschaft so verständlich und umfassend, wie es mir möglich ist zusammen. Wenn ich dabei Begriffe nutzen sollte, die Ihnen nicht vertraut sind: Ich habe die wichtigsten im Glossar am Ende des Buchs aufgegriffen und erklärt.

Es würde mich freuen, hier einen Beitrag zum besseren Verständnis dieser innovativen und sehr wirksamen, aber manchmal auch missverstandenen Psychotherapiemethode zu leisten. Selbstverständlich muss man die hier geschilderten Hintergründe und Informationen aber nicht kennen, damit EMDR funktioniert.

Für wen ist dieses Buch also gedacht?

für Menschen, die an Psychotherapie interessiert sind und mehr über EMDR und Trauma wissen möchten

für Menschen, die bereits Erfahrungen mit EMDR gemacht haben und nachlesen wollen, warum und wie das wirkt

für Menschen, denen eine EMDR-Therapie vorgeschlagen wurde und die sich darüber informieren wollen

für Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, die noch nichts oder noch nicht viel über EMDR wissen, neugierig auf diese Therapieform sind, aber nicht in der Fachliteratur nachlesen möchten

Mein Wunsch ist es, Sie dabei zu unterstützen, eine gute und fundierte Entscheidung für oder gegen eine Behandlung mit EMDR zu treffen.

Claudia Frey

1. Was ist EMDR?

Kurz zusammengefasst und sehr vereinfacht handelt es sich bei EMDR um eine Psychotherapiemethode, bei der die Augen schnellen Fingerbewegungen folgen, während man an eine schlimme Erfahrung denkt. In aller Regel verblassen dadurch die Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle, ebenso wie Ängste oder andere Symptome.

Neben Augenbewegungen wird manchmal auch abwechselndes Tappen (= leichtes Klopfen) auf Handrücken oder Knie genutzt. Oder Töne, die im Wechsel auf das rechte und das linke Ohr gespielt werden. Diese verschiedenen Möglichkeiten fasst man unter dem Begriff „bilateraler Simulation“ (BLS) zusammen.

EMDR wurde als Traumatherapie bekannt, wird inzwischen aber auch zur Behandlung von anderen Störungsbildern eingesetzt, wie z.B. Depressionen, Süchten oder chronischen Schmerzen2. Aber warum funktioniert das und wie ist EMDR zu der bedeutsamen Therapiemethode geworden, die sie heute ist?

EMDR hat seit seinen Anfängen eine starke wissenschaftliche Tradition, die sich bis heute in der EMDR-Community fortsetzt, mit beachtlichen Ergebnissen. Wir wissen deshalb inzwischen sehr gut, was während der Behandlung im Gehirn geschieht und können auch sagen, in welchen Fällen sie wirksam eingesetzt werden kann. Dieses Wissen will ich gerne mit Ihnen teilen.

a) Mehr als eine Traumatherapie

Um zu verstehen, warum EMDR mehr als eine Traumatherapie ist, wollen wir uns aber zunächst damit beschäftigen, warum es als Traumatherapie so wirksam ist. Dafür wiederum ist es hilfreich, sich klarzumachen, was ein Trauma eigentlich ist, wie sich eine Traumatisierung im Gehirn zeigt und was das für den Einsatz von EMDR in einer Behandlung bedeutet. Im zweiten Kapitel wird es dann um die konkreten Wirkmechanismen von EMDR gehen und was das für die Behandlung von Traumafolgen und verschiedener anderer Störungsbilder3 bedeutet.

Was ist ein Trauma und wie kann man es verarbeiten?

Ein seelisches Trauma ist keine Erkrankung, sondern eine Verletzung durch eine furchtbare Erfahrung. Wörtlich aus dem Griechischen übersetzt bedeutet Trauma „Wunde”. Im schlimmsten Fall ist das Erlebte so erschütternd, dass es alles verändert, was wir vorher über uns, über unsere Mitmenschen und über die Welt gedacht und geglaubt haben. Und zwar nicht, weil wir schwach oder unfähig wären, sondern weil das Geschehene dermaßen schrecklich ist, dass es unsere Möglichkeiten zur Verarbeitung übersteigt. Beispiele für solche Erfahrungen sind Kriegserlebnisse, sexualisierte oder körperliche Gewalt oder ein lebensbedrohlicher Unfall. Ob jemand nach einer so extremen Belastung aber tatsächlich verändert ist oder Symptome entwickelt, ist schwer vorauszusagen, weil dabei verschiedene Dinge eine Rolle spielen.

Ich nutze gerne die Metapher der Verdauung, für die der Bissen zu groß war, so dass man Magenkrämpfe bekommt. Dabei ist der Schweregrad des Erlebten oder die Größe des Bissens allerdings nur einer der wichtigen Aspekte. Daneben gibt es z.B. auch noch die körperliche Möglichkeit einer Person, diese Art und Größe von Bissen zu verdauen. Selbstverständlich gibt es extreme Erfahrungen, die kaum jemand zu verarbeiten vermag, die nur wenige psychisch unbeschadet überstehen. Dennoch gibt es einige Menschen, denen das gelingt. Das kann uns Hoffnung geben und wir können davon lernen. Der Umkehrschluss darf aber (natürlich!) nie sein, dass jemand, der/die nach einer belastenden Erfahrung Symptome entwickelt, schwach oder unfähig ist. Und auch wenn es selbstverständlich klingen mag, möchte ich außerdem noch erwähnen, dass man das Erlebte in einer Traumatherapie niemals ungeschehen machen kann, es wird immer ein Teil der eigenen Erfahrung bleiben. Das Ziel einer Therapie ist vielmehr, die Verletzung zu heilen, so dass die Narbe nicht mehr weh tut. Um das zu erreichen, muss die innere Verarbeitungsfähigkeit (wieder) in Gang kommen und gestärkt werden, damit der Bissen endlich verdaut werden kann.

Ob jemand eine traumatische Erfahrung verarbeiten kann, hängt also von der Schwere der Ereignisse und den verfügbaren inneren Verarbeitungsmöglichkeiten ab. Darüber hinaus spielt es aber auch eine wichtige Rolle, wie viel Unterstützung die betroffene Person in und nach der Belastungssituation erfahren durfte und auch, wie die konkreten Umstände der Erfahrung waren. Es macht z.B. für die spätere Verarbeitung einen großen Unterschied, ob man eine Situation allein bewältigen musste oder nicht, ob es sich um eine Naturkatastrophe oder um ein durch Menschen verursachtes Trauma handelt. Ob anschließend jemand ein offenes Ohr hat oder ob alle sich abwenden.

Die Verarbeitung einer auf den ersten Blick ähnlich belastenden Erfahrungen kann deshalb bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich verlaufen. Aber völlig unverletzlich ist niemand, auch wenn wir das gerne von uns denken oder hoffen.

PTBS und andere TraumafolgenViele Menschen leiden nach einer schlimmen Erfahrung für einige Wochen oder Monate unter verschiedenen Symptomen, die aber im Laufe der Zeit abklingen. Das ist völlig normal. Denn über eine solche Zeitspanne zieht sich der natürliche Verarbeitungsprozess häufig hin.

Wenn man allerdings drei bis sechs Monate danach unvermindert leidet, hat sich vermutlich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt, manchmal auch eine andere psychische Erkrankung.

Die PTBS ist die häufigste Traumafolgestörung. Um sie diagnostizieren zu dürfen, muss ein Trauma vom Rang einer Kriegserfahrung, einer schweren körperlichen Verletzung oder Bedrohung, einer körperlichen oder sexualisierten Gewalterfahrung oder ähnliches vorliegen. Schlimme Erfahrungen wie z.B. Mobbing, Demütigungen, eine belastende Scheidung hingegen können per Definition nicht Auslöser einer PTBS sein.

Auf der Symptomseite erkennt man eine PTBS durch die sogenannte PTBS-Symptomtrias, das sind die zentralen Symptome:

1. Sich aufdrängenden Erinnerungen an das Trauma, z.B. Flashbacks oder Albträume

2. Vermeidendes Verhalten, z.B. von Situationen, die an das Trauma erinnern (z.B. nach einem Unfall nicht mehr Autofahren) und ein

3. Permanentes Gefühl von Angst und Schrecken, das häufig mit einer hohen Schreckhaftigkeit einhergeht und sich manchmal auch als Gereiztheit oder Aggression zeigt

Es gibt noch andere Symptome, die vorhanden sein können, z.B. dass man gar nichts mehr fühlt, emotional wie taub oder auch ständig angespannt ist. Aber die Symptomtrias ist der Kern einer PTBS-Symptomatik, vielleicht so wie Husten, Schnupfen und Heiserkeit die wichtigsten, aber nicht immer die alleinigen, Hinweise auf eine Erkältung sind.

Die Albträume, die Schreckhaftigkeit und das Vermeidungsverhalten sind aber nicht im engen Sinn Ausdruck einer aktuellen Erkrankung, sondern vielmehr ein Echo aus der Vergangenheit, das allerdings genauso schmerzt wie die nicht verheilte Wunde, die dahinter liegt. Dieses Echo wird dadurch aktiviert, dass etwas in der Gegenwart an den unverarbeiteten Schrecken erinnert. Erinnern bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich eine meist völlig harmlose Situation in der Gegenwart rasend schnell und unterbewusst mit dem traumatischen Ereignis der Vergangenheit verbindet und dabei die Gefühle und Reaktionen von damals auslöst. Das nennt man auch „getriggert sein“. Ein Problem dabei ist unter anderem, dass man diese Aktivierung nicht bewusst steuern kann und sich dadurch oft zusätzlich hilflos fühlt. So kann etwas ganz Alltägliches, z.B. ein paar Takte Musik oder der Geruch eines Parfums bei PTBS-Betroffenen im Bruchteil einer Sekunde unkontrollierbare Symptome auslösen, weil unser Gehirn es mit dem vergangenen Schrecken verbindet.

Wenn erst einmal einige Monate seit dem belastenden Ereignis vergangen sind, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Symptomatik von alleine abklingt. Denn wenn die Verarbeitung nicht in der ersten Zeit erfolgt, dann weil der Bissen zu groß für das körpereigene System war. Unbehandelt bleibt man in einem grausamen Schrecken und den immer wieder ausgelösten Symptomen stecken, wodurch auch das jetzt eigentlich zur Verfügung stehende Leben und künftige Möglichkeiten belastet sind. Ganz abgesehen vom persönlichen und beruflichen Umfeld, das oft ebenfalls mitleidet und nicht selten an dieser Belastung zerbricht. Allerdings: Auch wenn die unverarbeitete Erfahrung sehr lange zurückliegt, ist es oft gut möglich, sie mit einer traumaspezifischen Psychotherapie, wie z.B. EMDR, so zu behandeln, dass die Symptomatik verschwindet.

Pathogene Erinnerungen