Emotionale Sicherheit - Don R. Catherall - E-Book

Emotionale Sicherheit E-Book

Don R. Catherall

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Beschreibung

Wenn sich ein Paar in Therapie begibt, bringt es einen Wust an Emotionen mit: Trauer, Scham, Wut, Verzweiflung, Angst, Enttäuschung, ... Wer sich in einem solchen Dschungel von Gefühlen zurechtfinden will, braucht einen guten Kompass. Don R. Catherall stellt die Themen Bindung und Wertschät­zung in den Mittelpunkt der Paartherapie: Wer das Gefühl hat, dass das eine oder das andere bedroht ist, dem bzw. der fehlt es an emotionaler Sicherheit – mit den entsprechenden Konsequenzen. Paartherapie hat dann zum Ziel, diese Sicherheit (wieder) herzustellen. Das Modell der emotionalen Sicherheit hilft, die beteiligten Affekte und Emotionen in ihrem gesamten Spektrum zu erkennen, auszuhalten, einzuordnen und schließlich zu integrieren. Es ist nicht so sehr eine Behandlungsmethode als vielmehr eine Art, den therapeutischen Prozess zu reflektieren. Catheralls Ansatz ruht auf der reichen Erfahrung des Autors als Paartherapeut und als Professor an der Feinberg School of Medicine in Chicago.

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Systemische Therapie und Beratung

In den Büchern der Reihe zur systemischen Therapie und Beratung präsentiert der Carl-Auer Verlag grundlegende Texte, die seit seiner Gründung einen zentralen Stellenwert im Verlag einnehmen. Im breiten Spektrum dieser Reihe finden sich Bücher über neuere Entwicklungen der systemischen Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Kindern ebenso wie Klassiker der Familien- und Paartherapie aus dem In- und Ausland, umfassende Lehr- und Handbücher ebenso wie aktuelle Forschungsergebnisse. Mit den roten Bänden steht eine Bibliothek des systemischen Wissens der letzten Jahrzehnte zur Verfügung, die theoretische Reflexion mit praktischer Relevanz verbindet und als Basis für zukünftige nachhaltige Entwicklungen unverzichtbar ist. Nahezu alle bedeutenden Autoren aus dem Feld der systemischen Therapie und Beratung sind hier vertreten, nicht zu vergessen viele Pioniere der familientherapeutischen Bewegung. Neue Akzente werden von jungen und kreativen Autoren gesetzt. Wer systemische Therapie und Beratung in ihrer Vielfalt und ihren transdisziplinären und multiprofessionellen Zusammenhängen verstehen will, kommt um diese Reihe nicht herum.

Tom Levold

Herausgeber der Reihe Systemische Therapie und Beratung

Don R. Catherall

Emotionale Sicherheit

Affektive Kommunikation in Paarbeziehung und Paartherapie

Aus dem Amerikanischen von Ute Weber Mit einem Vorwort von Tom Levold

2022

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin ✝ (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Systemische Therapie und Beratung«

hrsg. von Tom Levold

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann

Umschlagfoto: ©Richard Fischer

Redaktion: Veronika Licher

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2022

ISBN 978-3-8497-0386-8 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8379-2 (ePUB)

© 2022 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel “Emotional Safety.

Viewing Couples Throug the Lens of Affect”

© 2007 by Taylor & Francis Group, LLC

All rights reserved

Authorised translation from the English language edition published by

Routledge, a member of the Taylor & Franic Group LLC

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ute Weber

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/ Dort können Sie auch unseren Newsletter abonnieren.

Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. + 49 6221 6438 - 0 • Fax + 49 6221 6438 - 22

[email protected]

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Vorwort

Einleitung

Teil I: Theorie und Grundlagen

1 Das Problem

1.1 Ein grundlegender Mangel an Sicherheit

1.2 Zwei Bereiche potenzieller Bedrohung

1.3 Der eigentliche Gegenstand der Auseinandersetzung

1.4 Die tieferen Gründe für Auseinandersetzungen

1.5 Die Beziehung

1.6 Emotionale Sicherheit

1.7 Die Art und Weise von Auseinandersetzungen

1.8 Die Rolle der Scham

1.9 Die Wurzeln der Empfindlichkeit

2 Die Sprache des Affekts

2.1 Die Physiologie der Emotion

2.2 Die angeborenen Affekte von Säuglingen

2.3 Die empathische Abschirmung

2.4 Emotion ist gleich Affekt plus Lernen

2.5 Affekte wirken motivierend

2.6 Die Sprache des Affekts

2.7 Die Affekte

2.8 Der Schamaffekt

2.9 Die Skripttheorie und die Einzigartigkeit von Emotionen

2.10 Die affektive Gestimmtheit

2.11 Schlussfolgerung

3 Bereiche des Affekts: Bindung und Wertschätzung

3.1 Das Bindungskonzept

3.2 Bowlbys Arbeitsmodelle

3.3 Die Erweiterung der Bindungstheorie

3.4 Die Arbeitsmodelle der Erwachsenen

3.5 Die Bereiche Bindung und Wertschätzung

3.6 Bindung

3.7 Wertschätzung

3.8 Der Bereich der Emotionen

3.9 Das Konzept des Objekts

3.10 Das Selbst

3.11 Das Wachstum des Selbst

3.12 Die Verbindung von Selbst zu Selbst

3.13 Mit Emotionen aufgeladene Bereiche des Affekts

3.14 Primäre versus sekundäre Emotionen

4 Der Bereich der Emotionen: Selbstbilder und Fremdbilder

4.1 Selbst und Bindung

4.2 Die dynamischen emotionalen Bereiche

4.3 Selbst- und Fremdbilder

4.4 Emotionale Selbst- und Fremdbilder

4.5 Durch die Linse des Affekts

5 Die Landkarte der emotionalen Beziehung

5.1 Die Wertschätzungsemotionen

5.2 Die Bindungsemotionen

5.3 Nur diese Emotionen?

5.4 Die Achsen des Selbst und des Anderen

5.5 Die Landkarte der emotionalen Beziehung

5.6 Emotionale Sicherheit ist eine dynamische Größe

5.7 Sich durch das Terrain der emotionalen Beziehung bewegen

6 Warum Partner wichtig sind: die Macht der affektiven Resonanz

6.1 Besserer Rapport

6.2 Die Intimbeziehung von Erwachsenen

6.3 Die affektive Gestimmtheit des Anderen erleben

6.4 Die Kraft des Positiven

6.5 Die Kraft des Negativen

6.6 Das Wesen der Angst

6.7 Die empathische Abschirmung wiederaufbauen

7 Warum Wertschätzung wichtig ist: die Macht von Scham und Stolz

7.1 Scham prägt unser Leben

7.2 Schamskripts

7.3 Etwas beweisen müssen

7.4 Die Macht von Scham und Stolz

7.5 Scham durch Stolz ersetzen

7.6 Stolz entwickeln

7.7 Die Rolle der Selbstemotionen bei der Definition des Selbst

7.8 Gesunde Scham, gesunder Stolz

7.9 Ungesunde Scham

7.10 Die soziale Emotion

7.11 Die Schattenseite

7.12 Beschämen

7.13 Toxische Scham

7.14 Schamreaktionen

7.15 Rolle der Angst

7.16 Der Kompass der Scham

7.17 Rückzug

7.18 Angriff auf das Selbst

7.19 Vermeidung

7.20 Angriff auf den Anderen

8 Wie Emotionen funktionieren:Selbstskripts und Fremdskripts

8.1 Mit Scham verbundene Skripts

8.2 Der Schamaffekt

8.3 Scham wegen einer misslungenen Bindung

8.4 Durch Scham wird die Verbindung durchtrennt

8.5 Annahme statt Projektion

8.6 Häufige Quellen von Scham

8.7 Skripts in Bezug auf das Selbst

8.8 Weitverbreitete Schamskripts

8.9 Misstrauen und Missbilligung

8.10 Skripts in Bezug auf den Anderen

8.11 Misstrauen kann sich sicherer anfühlen als Vertrauen

8.12 Das irrationale Wesen von Scham- und Misstrauensskripts

Teil II: Therapeutische Praxis

9 Die zentralen Komponenten von Beziehungsproblemen

9.1 Bindungsbedürfnisse

9.2 Bindungsbedrohung

9.3 Reaktionen auf die Bindungsbedrohung

9.4 Die Tönung der Bindungsbedrohung

9.5 Wertschätzungsbedürfnisse

9.6 Wertschätzungsbedrohung

9.7 Reaktionen auf die Wertschätzungsbedrohung

9.8 Die zentralen Komponenten von Beziehungsproblemen

9.9 Konfliktthemen erörtern

9.10 Die Relevanz anderer Bereiche

9.11 Ein Fall von bereits bestehendem Trauma

9.12 Ein Fall gehemmten sexuellen Verlangens

10 Maladaptive Reaktionsmuster

10.1 Dysfunktionale Muster

10.2 Reaktionen auf eine Bindungsbedrohung

10.3 Kritischen Protest beilegen, indem man Verantwortung für Bindungsbedürfnisse übernimmt

10.4 Reaktionen auf die Selbstwertbedrohung

11 Das Problem identifizieren

11.1 Verletzungen und verletzte Gefühle

11.2 Die Bedrohung identifizieren

11.3 Die Kernintervention – das Problem identifizieren

11.4 Dem Paar die affektiven Bereiche beschreiben

11.5 Das Bewusstsein der Partner erweitern

11.6 Wenn ihnen ein Licht aufgeht

11.7 Lösung finden

12 Sicherheit schaffen

12.1 Ein klar definiertes und erreichbares Ziel

12.2 Die Vorteile einer positiven Einstellung

12.3 Vergangenheit versus Gegenwart

12.4 Emotionale Sicherheit

12.5 Bindungsbedrohungen abwenden

12.6 Die positive Bindung fördern

12.7 Wertschätzungsbedrohungen vermeiden

12.8 Die Kommunikation verbessern

12.9 Tyrannei eines Lebens auf der Suche nach Anerkennung

12.10 Überflutung

12.11 An Schamreaktionen arbeiten

12.12 Scham in die Beziehung einbringen

12.13 Die sichere Zone erweitern

13 Wertschätzung aufrechterhalten

13.1 Selbstwertgefühl

13.2 Wertschätzung darin suchen, wie man gesehen wird

13.3 Pseudo-Selbstwertgefühl

13.4 Verleugnete Aspekte des Selbst

13.5 Selbstwert aufbauen – was Stolz wert ist

13.6 Authentizität und Gewahrsein

13.7 Brandens Säulen des Selbstwertgefühls

13.8 Das Selbstwertgefühl in einer Beziehung

13.9 Das Selbstwertgefühl in sozialen Situationen bewahren

13.10 Die Wertschätzung des Anderen

14 Beschädigten Selbstwert wiederaufbauen

14.1 Quellen der Scham

14.2 Scham heilen

14.3 Sich auf das schambehaftete Individuum beziehen:die Rolle des Therapeuten

14.4 Die innere Stimme der Scham

14.5 Die äußere Stimme der Scham

14.6 Beschädigtes Selbstwertgefühl wiederherstellen: welche Verantwortung das Individuum trägt

14.7 Beschädigten Selbstwert wiederaufbauen: die Rolle des Partners

15 Bindungssicherheit aufrechterhalten

15.1 Die positive Bindung stärken

15.2 Kategorie A: Einstimmungsverhalten

15.3 Kategorie B: Positives Affektverhalten

15.4 Kategorie C: Verlässlichkeit und Engagement

16 Bindungsverletzungen heilen

16.1 Vorher existierende Bindungsverletzungen heilen

16.2 Entschuldigungen – das wesentliche Element im Heilungsprozess

16.3 Vergebung: das wesentliche Element im Prozess der Wiedergutmachung

16.4 Ungesunde Scham verhindert gesunde Scham

16.5 Entschuldigungen und Wertschätzungsbedrohung

16.6 Langjährige Intimität

16.7 Persönliches Wachstum

16.8 Mut und Intimität

17 Behandlung im Rahmen des Modells der emotionalen Sicherheit

17.1 Das Problem identifizieren

17.2 Arbeitsphase

17.3 Endphase

17.4 Strukturierte Aufgaben und Hausaufgaben

17.5 Sicher genug

17.6 Langjährige individuelle Themen

17.7 Die Betonung der Scham

17.8 Der Gebrauch des Selbst durch den Therapeuten

17.9 Die Anwendung des Modells

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die Beschäftigung mit Affekten, Gefühlen und Emotionen in Paarund Familienbeziehungen ist im systemischen Therapiediskurs lange vernachlässigt worden. Auch wenn die Bedeutung der affektiven Aspekte von Kommunikation in der praktischen Bearbeitung von Beziehungskonflikten auf der Hand liegt, hat sich das in den letzten Jahren nur allmählich verändert.

In den über 40 Jahren, in denen ich mit Paaren und Familien arbeite, ist mir die Erweiterung des systemischen Diskurses um die Ergebnisse der Bindungs- und Affektforschung in Praxis und Lehre immer besonders wichtig gewesen. Dieses Anliegen erhält mit diesem Band eine großartige praktische und konzeptuelle Unterstützung, und ich freue mich, dass der Carl-Auer Verlag sich entschieden hat, dieses Buch in einer deutschen Übersetzung herauszugeben.

Im Unterschied zu vormodernen Zeiten, als die (eheliche) Paarbeziehung in erster Linie wirtschaftliche und generative Funktionen zu erfüllen hatte – auch wenn dabei durchaus Liebesgefühle eine Rolle spielen konnten –, hat die Bedeutung einer gefühlsmäßigen Bindung und der damit verbundenen Intimität der Beziehung in den vergangenen Jahrzehnten einen immer größeren Stellenwert bekommen. Die Frage der emotionalen Qualität und Tragfähigkeit von Beziehungen wird dabei umso wichtiger, je weniger der äußere Rahmen wirtschaftlicher, sozialer, rechtlicher, religiöser und moralischer Vorgaben noch eine Rolle bei der Ausgestaltung von Paarbeziehungen spielt.

Das Gelingen von Paarbeziehungen hängt heutzutage also in großem Maße von der Kommunikation der Partner ab, die eben nicht nur sprachliche Verständigung über Bedürfnisse und Interessen umfasst, sondern ganz wesentlich auch affektive Kommunikation ist, welche entscheidenden Einfluss darauf hat, ob die Beziehung als wohltuend und erfüllend erlebt wird oder als Quelle von Kummer, Anspannung und Konflikt.

Don Catherall präsentiert ein Modell emotionaler Sicherheit in Paarbeziehungen, das er in seiner langjährigen paartherapeutischen Arbeit entwickelt und eingesetzt hat und welches sowohl Professionellen im Feld der Paartherapie und -beratung als auch interessierten Paaren selbst aufgrund seiner Klarheit und unmittelbaren Plausibilität eine große Hilfe bei der Analyse und Bewältigung von Konfliktsituationen bietet. Er bezieht sich dabei u. a. auf die affekttheoretischen Arbeiten von Silvan Tomkins, dem – leider hierzulande immer noch zu wenig bekannten – Begründer der modernen Affekttheorie, auf Donald Nathanson, der die Arbeiten von Tomkins für das psychotherapeutische Feld erschlossen hat, auf die bindungstheoretischen Arbeiten von John Bowlby sowie die paartherapeutischen Ansätze von Susan Johnson und John Gottman, deren spezifische Perspektiven er zu einem schlüssigen Konzept integriert.

Seit über zehn Jahren nutze ich dieses Buch für meine Arbeit mit Paaren (von denen viele auch selbst durch die Lektüre dieses Buches profitiert haben) und in meinen paartherapeutischen Weiterbildungsseminaren. Müsste ich eine Liste von zehn Büchern zur Paartherapie erstellen, die man auf jeden Fall gelesen haben sollte, hätte dieses Werk darin einen festen Platz.

Was ist mit dem Titel Emotionale Sicherheit gemeint? Als sowohl kulturell wie auch biologisch soziale Wesen sind wir, um überleben zu können, auf die Zugehörigkeit zu sozialen Systemen ebenso angewiesen wie auf die Anerkennung eines gewissen Status und Wertes innerhalb dieser Systeme. Zugehörigkeit und Wertschätzung stellen wichtige Aspekte des Funktionierens aller sozialen Systeme dar, spielen aber eine besondere Rolle im emotionalen Nahraum der Familie und der Paarbeziehung als Kontext für die individuelle Entwicklung und die Befriedigung elementarer Bedürfnisse.

In heutigen Paarbeziehungen, deren Gelingen – wie schon erwähnt – nicht zuletzt an der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse festgemacht wird, geht es deshalb um die Frage, ob und wie diese Bedürfnisse nach einer sicheren Bindung als Ausdruck von Zugehörigkeit und Status als Wertschätzung der eigenen Person wechselseitig erfüllt oder frustriert werden. Neben den vielen alltäglichen Konflikten um Geld, Erziehung, Haushalt, Sex, Aktivitäten etc., die Partner als mögliche Themen in einer Paartherapie vorbringen, sind es vor allem diese Grundthemen, die in der Dynamik der Paarbeziehung eine problematische Rolle spielen können.

In Paartherapien werden wir daher häufig mit einer Vielzahl von Anliegen und Konfliktthemen gleichsam auf der »Vorderbühne« der Paarbeziehung konfrontiert, deren Lösung dadurch erschwert wird, dass auf der »Hinterbühne« das Verhalten des Partners als Angriff auf die eigene Bindungssicherheit oder das eigene Selbstwertgefühl erlebt wird, vor dem man sich schützen muss. Auf diese Weise werden die Themen der Vorderbühne zu stellvertretenden Schlachtfeldern, die durch die ungelösten Probleme auf der Hinterbühne mit ständig neuer Energie versorgt werden, ohne in einen konstruktiven Lösungsbereich kommen zu können.

Das Gefühl einer sicheren Bindung wird z. B. infrage gestellt, wenn Zweifel am Engagement oder der Zuverlässigkeit des Partners auftauchen oder Unklarheit über die eigene Beziehungsmotivation besteht. Die – positive oder negative – Aktivierung des Bindungsgefühls ist mit Affekten wie Freude und Kummer sowie Vertrauen oder Misstrauen gegenüber dem Partner verbunden. Die Regulierung von Achtung und Missachtung in Paarbeziehungen ist mit dem Thema der Anerkennung und Wertschätzung in Bezug auf das Selbst und den anderen Partner als ganze Person verbunden und damit ausschlaggebend dafür, ob die Partner auf sich und den Anderen stolz sein können oder ob Scham und Beschämung durch Kritik, Vorwürfe und Entwertung im Vordergrund stehen.

Das Eingehen einer engen emotionalen Beziehung, in der man für den Anderen auf eine Weise sichtbar und erfahrbar wird, die der eigenen Kontrolle mehr oder weniger entzogen ist, macht verletzbar für Zurückweisung und Entwertung. Die Aussicht, beschämt zu werden, mobilisiert Abwehrstrategien (Skripte), die in der Ursprungsfamilie und in Auseinandersetzung mit früheren ähnlichen Erfahrungen entwickelt worden sind. Wenn diese Skripte auf der Vorderbühne immer wieder neu aufgeführt und reinszeniert werden, kann der paartherapeutische Blick auf die Hinterbühne und die zugrundeliegende Dynamik der Abwehr von Angst und Scham Paaren dabei helfen, neue Formen des Umgangs mit Konflikten zu finden, das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken und beider Selbstwertgefühl zu heben.

Der besondere Wert dieses Buches besteht darin, dass es die interaktiven Implikationen der Scham und anderer Affekte herausarbeitet, die trotz ihrer herausragenden Bedeutung auch von Professionellen nicht immer hinreichend erkannt werden, und sie in ein praktisches paartherapeutisches Konzept transformiert. Ich wünsche ihm eine große Verbreitung nicht nur unter systemischen Therapeuten.

Köln, im Dezember 2021

Tom Levold

Vorwort

Es geschieht eher selten, dass man einem Psychotherapeuten begegnet, der gleichermaßen kompetent und entspannt mit Einzelpersonen wie mit Paaren arbeitet. Professionelle Therapeuten unterscheiden sich erheblich in ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, die intensiven Gefühle auszuhalten, die von Paaren erzeugt werden, deren Unbehagen so groß ist, dass sie sich bereit erklärt haben, ihr Ausgesetztsein gegenüber allen Beteiligten als unerlässlichen Bestandteil der Therapie zu akzeptieren. Die meisten Therapeuten stellen strenge Regeln auf, um sich und diejenigen zu schützen, die sie um Hilfe ersuchen: »Heftige Streits sind verboten.« »Bringen Sie Ihre Konflikte mit, nicht Ihre Wut.« »Sie beide werden den Therapieprozess soweit respektieren müssen, dass Sie hier drinnen anders miteinander umgehen.« Sogar den wenigen Paaren, die solche lauen Anweisungen überhaupt akzeptieren können, erscheinen sie paradox und von geringem persönlichen Nutzen. Supervisoren, Ausbilder und Mentoren von Paartherapeuten hört man häufig sagen, dass Erfolg auf ihrem Gebiet weit weniger auf eine entsprechende Ausbildung zurückzuführen sei als auf individuelles Talent und persönliche Eigenarten.

Dem widerspricht Don Catherall in diesem überzeugenden und sorgfältig durchdachten Buch. Die meisten Paartherapeuten, die dabei sind, erste Berufserfahrung zu sammeln, bekommen zu hören, dass die Therapie dann einfach und zugänglich sei, wenn man die Teilnehmer dazu bringen könne, ihre Affekte zu Hause zu lassen. Doch Dr. Catherall lässt sich vom Lebensgefühl der von Diane Keaton verkörperten Figur Luna im Kinofilm Der Schläfer leiten, in dem sich ein zweihundert Jahre in die Zukunft versetzter Woody Allen erschrocken zeigt, als Luna ihren Gästen zum Mittagessen winzige Cholesterinkügelchen anbietet. Sie lacht ihn wegen seiner Angst aus: »Leute, ihr habt den besten Teil weggeworfen.« Und gegenüber einer jüngeren Generation: »Es sind die Affekte, ihr Dummköpfe!«

Lassen Sie sich von Dr. Catherall zeigen, wie man das gesamte Spektrum an Affekten erkennen kann – jene uralten, von Natur aus angenehmen oder unangenehmen subkortikalen Mechanismen, die wie Scheinwerfer unsere Aufmerksamkeit auf das richten können, was für das bestmögliche Funktionieren unseres Neokortex erforderlich ist. Hören Sie zu, wenn er über interpersonelle Bindungen und die affektiven Erfahrungen spricht, die sie unterstützen oder behindern. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf, was er unter emotionaler Sicherheit versteht. Lernen Sie, wie Sie Ihren Klienten diese Sicherheit vermitteln und ihnen beibringen können, sie auch bei sich zu Hause zu schaffen. Beschäftigen Sie sich mit den Sitzungsprotokollen, in denen Dr. Catherall aufzeigt, was genau er mit jeder von ihm beschriebenen Theorie meint. Stellen Sie sich vor, Sie würden mit jedem seiner Klienten arbeiten. Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Klienten – diejenigen, die sich jedes Mal über ihren Partner mokiert haben, wenn dieser sie um Hilfe bat oder es so aussah, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Noch besser wäre es natürlich, Sie würden einige von Dr. Catheralls Vorstellungen von emotionaler Sicherheit selbst einem Praxistest unterziehen, wenn sich Ihr Ehepartner oder Ihre Partnerin das nächste Mal beschwert, dass Sie »wirklich gemein« oder »unmöglich« seien und sich nicht für seine bzw. ihre Bedürfnisse »interessieren würden«. Bei Beschimpfungen geht es um Scham, und je mehr Sie über Ihr eigenes Schamerleben wissen, umso eher werden Sie in der Lage sein, Therapie einerseits verständlich und andererseits zu einem dermaßen positiven Prozess zu machen, dass sich Ihre Klienten auf die Sitzungen mit Ihnen freuen werden. Wir Therapeuten sind schließlich auch nur Menschen, und einer der Gründe, warum wir ziemlich viel über die Menschen wissen, die uns aufsuchen, lässt sich durch die wunderbare Zeile aus dem alten Pogo-Cartoon veranschaulichen: »Wir sind dem Feind begegnet und er ist wir.«

In diesem Buch findet sich noch ein weiterer Aspekt, der Ihnen wirklich gefallen wird. Jedes Kapitel enthält sowohl klinisches Wissen als auch Hinweise auf Fachliteratur, durch die Sie noch mehr über dieses Material lernen können. Einige der Zitate dienen ausschließlich der beruflichen Bildung des Lesers, andere Referenzen enthalten Analogien, die Sie nützlich finden werden, wenn Sie psychotherapeutisch arbeiten, und viele davon werden Sie dazu bewegen, herausfinden zu wollen, warum sie Ihnen im Gedächtnis haften bleiben.

Dr. Catherall nimmt keine Abgrenzung zwischen Psychotherapie und Lehre vor – wenn die Klienten lernen sollen, dann müssen wir sie lehren! Zu den Mitteln, um Veränderungen herbeizuführen, gehören auch Anekdoten aus unserer Praxis, Geschichten über unser eigenes Leben sowie Filme und Bücher, die uns geholfen haben, etwas zu verstehen, was andernfalls unklar geblieben wäre. Der Autor kommt nicht einmal ansatzweise dieser potenziell toxische Scham auslösenden Andeutung nahe, die besagt, der Therapeut sei psychisch gesund und der Klient psychisch krank. Die Beschäftigung mit der Scham zwingt uns, die Anmaßungen und Maskierungen aufzugeben, die wir in dem Bemühen verwenden, eine wahrgenommene persönliche Schwäche kaschieren zu wollen. Der Affekt ist universeller Natur und immerzu im Spiel – jede Sitzung demaskiert uns genauso wie unsere Klienten. Eine Psychotherapie, die die Psychologie des Affekts als selbstverständlich ansieht, bestärkt uns, in jeder Sitzung, die wir geben, zu wachsen und so zum Vorbild für ein achtsames Leben zu werden.

Als Wissenschaftler, der sich auf den Affekt im Allgemeinen und die Scham im Besonderen spezialisiert hat, sowie als Autor, dessen Arbeit Dr. Don Catherall in sein Therapiesystem integriert hat, ist es mir eine Freude, meinen Stolz darüber zum Ausdruck zu bringen, dass Konzepte, deren Entwicklung so lange gedauert hat, weiterhin Eingang in die klinische Literatur finden. Ob Sie dieses faszinierende Buch nun als Psychotherapeut in die Hand nehmen, um neue Auswege aus alten Fallen zu finden, oder als Partner in einer schwierigen Beziehung auf der Suche nach einem angenehmeren Leben, Sie werden den Lernprozess, den Sie jetzt durchlaufen werden, genießen.

Donald L. Nathanson, M. D.

Geschäftsführender Direktor des Silvan S. Tomkins Instituts Klinischer Professor für Psychiatrie und Menschliches Verhalten am Jefferson Medical College

Einleitung

Klienten, die sich in Einzeltherapie begeben, zu verstehen, stellt eine Herausforderung dar, doch die Arbeit mit zwei Individuen und ihrer Beziehung zueinander kann mehr als doppelt so herausfordernd erscheinen. Einige Partner reagieren dermaßen stark auf alles, was der andere sagt, dass ihre Therapeuten von der Geschwindigkeit, mit der Emotionen und Interaktionen in der Sitzung auftauchen, überfordert sind. Einige Therapeuten entscheiden sich sogar, nicht mit Paaren zu arbeiten, weil sie es so schwierig finden, mit all dem Schritt zu halten, was sich im Praxisraum abspielt.

Wissen die Partner überhaupt, worüber sie streiten?

Eines der hartnäckigsten Probleme, mit dem sich Paartherapeuten konfrontiert sehen, ist, dass das Paar in einem Zyklus repetitiver ungelöster Konflikte gefangen ist – einem Streit, der sich endlos zu wiederholen scheint. Innerhalb des repetitiven Konflikts können kleinste Probleme irgendwie hochkochen, und die Partner machen wie bei einem Déjà-vu die Erfahrung, dass sie diesen Streit schon oft gehabt haben. Er wird nie beigelegt, auch wenn die unmittelbare Auseinandersetzung vielleicht endet, weil das Paar einfach zu erschöpft zum Weitermachen ist oder einer von beiden nachgibt. Therapeuten können durch Sitzungen voller endloser Konflikte ebenfalls erschöpft werden, insbesondere dann, wenn sie nur mit Mühe verstehen, worum es bei dem Streit eigentlich geht.

Schwierigkeiten in der Paartherapie treten auf, wenn man nicht versteht, was vor sich geht

Paartherapie erscheint dann überwältigend, wenn man einfach nicht versteht, was vor sich geht. Überlegen Sie, wie verwirrend es ist, sich eine Sportveranstaltung anzusehen, ohne die Regeln zu kennen. Ihre gesamte Sichtweise des Erlebnisses verändert sich jedoch, wenn Sie verstehen, was geschieht. Statt eine scheinbar ziellose Aktivität zu beobachten, können Sie spezifische Ereignisse verfolgen und die gesamte Erfahrung schätzen. Das Paar, das sich wegen etwas streitet, weiß häufig nicht, worüber es sich streitet. Wenn der Therapeut es auch nicht weiß, entsteht Chaos.

Es kommt auf das richtige Modell an

Das theoretische Modell des Therapeuten bestimmt, ob er in der Lage sein wird, zu verstehen, was in der Sitzung vor sich geht, und effektiv intervenieren kann – oder ob er sich von der Datenflut verwirren bzw. überwältigen lässt. Ein solides theoretisches Modell ist wie eine Brille, ein Mikroskop oder Teleskop – es stellt ein Mittel bereit, um sehen zu können, was mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist. Mit der richtigen Linse lassen sich scheinbar sinnlose Informationen zu einem klaren und aussagekräftigen Bild ordnen.

Wodurch zeichnet sich ein starkes, nützliches Modell aus?

Je mehr ein Modell es erforderlich macht, dass sich seine Anwender auf unbewiesene Annahmen verlassen, umso mehr muss es idiosynkratische Anweisungen einführen, um besondere Umstände zu erklären, und umso schwächer wird es. Meiner Meinung nach wird die Stärke eines Modells bestimmt durch:

das Ausmaß, in dem es die Annahme von als Hypothesen formulierten Konstrukten verlangt

die Breite an menschlichem Verhalten, die es erklärt

die allgemeine Kohärenz, die es aus seinen Kernannahmen ableitet

seine Einfachheit und

seine Anziehungskraft auf der Ebene des gesunden Menschenverstands.

Die besten Modelle

verlangen, dass nur wenige Annahmen einfach geglaubt werden

erklären eine große Bandbreite an Verhaltensweisen

erklären jene unterschiedlichen Verhaltensweisen konsequent auf der Grundlage derselben Kernprinzipien

sind klar und einfach genug, um im Laufe einer Psychotherapiesitzung wirklich nützlich zu sein, und

ergeben sowohl für die Klienten als auch für den Therapeuten Sinn.

In der Paartherapie muss man verstehen, was geschieht, während es geschieht

Als ich mit der Paartherapieausbildung begann, war es populär, Paare nach ihrer jeweiligen Charakterstruktur zu kategorisieren. Das funktionierte für mich nicht, weil sich meine diagnostischen Annahmen zu häufig als falsch erwiesen. Ich erlebte die Partner in ihren schlimmsten Momenten – wenn sie aufgrund von Problemen in ihrer wichtigsten Beziehung äußerst aufgebracht waren –, und sie wurden zu ganz anderen Menschen, wenn sich ihre Beziehung gebessert hatte. Folglich bewegte ich mich von Modellen, die den Schwerpunkt auf Pathologie und Defizite legten, weg und versuchte stattdessen, die Kernanliegen zu verstehen, die das Verhalten der Partner beeinflussten.

Was haben alle effektiven Paartherapien gemeinsam?

In dieser Phase der Forschungen zur Paartherapie haben sich mehrere Ansätze als effektiv herausgestellt. Dazu gehören: die verhaltenstherapeutische Paartherapie (VET), die emotionsfokussierte Paartherapie (EFT), die einsichtsorientierte Paartherapie und die integrative Paartherapie. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen stellen verschiedene Aspekte der Behandlung in den Vordergrund und schlagen unterschiedliche Veränderungsmechanismen vor. Auch wenn gezeigt worden ist, dass einige besser funktionieren als andere, haben alle Wirkung gezeigt.1 Es scheint auf der Hand zu liegen, dass es unter den nichtspezifischen Faktoren in der Behandlungssituation ein wesentliches Element geben muss, das zu therapeutischen Veränderungen führt, einen Aspekt der Paartherapie, den alle effektiven Ansätze miteinander gemein haben. Welcher Art dieser gemeinsame Faktor ist, steht noch nicht fest; mehrere groß angelegte Überprüfungen sind zu demselben Schluss gelangt: Die Forschungen zur Paartherapie haben bislang nicht aufzeigen können, welche Veränderungsmechanismen bei denjenigen Therapien am Werke sind, die zu Verbesserungen führen (Gottman 1998; Lebow 2000; Snyder, Castellani a. Whisman 2006).

Es geht um Sicherheit

Häufig ist der einzige Ort, an dem sich ein Paar sicher genug fühlt, um sich überhaupt mit seinen Problemen zu beschäftigen, das Behandlungszimmer des Paartherapeuten, da dort jeder Partner vor Angriffen geschützt ist, mit Respekt behandelt und nicht beurteilt wird. Die Sicherheit, die der Paartherapeut bietet, ermöglicht es vielen Paaren, nach einiger Zeit Fortschritte im Umgang mit ihren Problemen zu erzielen. Ich glaube, dass der Mechanismus, den alle effektiven Paartherapieansätze gemeinsam haben, diese Sicherheit ist, und zwar vor allem die emotionale Sicherheit.2

Was führt dazu, dass sich ein Mensch emotional unsicher fühlt?

In intimen Beziehungen tauchen Schwierigkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen auf, doch die ihnen zugrunde liegenden emotionalen Probleme lassen sich auf zwei Bereiche menschlicher Bedürfnisse reduzieren: Wertschätzung und Bindung. Probleme in intimen Beziehungen tauchen deshalb auf, weil mindestens ein Partner seinen Selbstwert oder sogar die Beziehung als solche als bedroht ansieht. Die Themen, die in den Bereichen Wertschätzung und Bindung gebündelt sind, sind die Triebfedern – das, worüber sich die Partner streiten –, während der Affekt (der biologische Kern von Emotion) wie eine Linse wirkt, durch die wir diese Themen deutlicher zu sehen vermögen. Das Modell der emotionalen Sicherheit befähigt Paartherapeuten, die wesentlichen emotionalen Interaktionen zu erkennen, die sämtlichen Aktivitäten in einer intimen Beziehung zugrunde liegen.

Das Modell der emotionalen Sicherheit

Im Modell der emotionalen Sicherheit (engl. emotional safety model; im Folgenden auch ES-Modell genannt) werden Intimpartner durch die Linse des Affekts betrachtet. Dabei legt es den Fokus auf die Bereiche Bindung und Wertschätzung, um zu erkunden, ob sich beide Partner sicher fühlen. Hat einer von ihnen das Gefühl, dass seine Bindung oder Wertschätzung bedroht ist, erfährt das Paar keine emotionale Sicherheit.

Das Modell der emotionalen Sicherheit ist nicht so sehr eine Behandlungsmethode als vielmehr eine Art, über die Behandlung nachzudenken – ein Modell, das dem Kliniker helfen soll, zu beobachten, was passiert, wenn zwei Partner mit ihrer emotionalen Beziehung zu kämpfen haben. Es ist, wie der Untertitel des Buches nahelegt, eine Linse, durch die Paartherapeuten ihre Klienten betrachten können, um zu verstehen, was vor sich geht. Als theoretisches Modell für die Behandlung von Paaren beschränkt es sich nicht auf ein einziges Behandlungskonzept. Vielmehr kann es, auch wenn es sich mit einigen Ansätzen besser vereinbaren lässt als mit anderen, potenziell jeden paartherapeutischen Ansatz bereichern. Wahrscheinlich am ehesten vereinbar ist es mit Susan Johnsons emotionsfokussierter Paartherapie (EFCT) aus dem Jahr 1996,3 die sich auf zwei der zentralen Elemente dieses Modells konzentriert – Emotionen und Bindungsbeziehung, sowie mit Harville Hendrix’ ImagoPaartherapie (Hendrix 1988, 1993), die einem weiteren zentralen Moment dieses Modells besondere Aufmerksamkeit schenkt – der Sichtweise der Partner voneinander. Darüber hinaus hat es auch Bestandteile mit mehreren anderen Ansätzen gemein und funktioniert gut mit diesen, etwa mit einsichtsorientierten und objektbeziehungstheoretischen Ansätzen, mit kognitivverhaltenstherapeutischen, systemischen sowie integrativen Ansätzen.4

Was Sie in diesem Buch erfahren werden

In der ersten Hälfte dieses Buchs werden Sie lernen, wie Sie Ihre Klienten durch die Linse des Affekts betrachten können. Die Affekttheorie ist ein relativ neuer, jedoch äußerst mächtiger Akteur auf der Bühne der metapsychologischen Theorien. Donald Nathanson (1992) hat mir mit seiner wegweisenden Arbeit zum Thema Scham die Augen für die Implikationen der Affekttheorie geöffnet. Das vorliegende Werk konzentriert sich auf die interaktiven Folgen der Scham und weiterer Affekte und stellt insofern eine Weiterentwicklung der modernen Affekttheorie dar, als es sie um den Bereich der interpersonellen Beziehungen erweitert. Die Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen dieses Modells wird Ihnen Folgendes ermöglichen:

die emotionalen Themen zu identifizieren, die den Problemen Ihrer Klienten zugrunde liegen

die spezifischen Befürchtungen eines Partners in Bezug auf die Bindungsbereitschaft des anderen zu identifizieren

die spezifischen Befürchtungen eines Partners in Bezug darauf zu identifizieren, wie er vom anderen gesehen wird

die grundlegenden Skripts, die das Affektleben der Partner bestimmen, zu identifizieren

genau zu identifizieren, worauf jeder Partner reagiert

die Befürchtungen Ihrer Klienten mit größerer Klarheit auszudrücken, als diese selbst es vermögen

jedem Klienten zu helfen, sich wirklich verstanden und unterstützt zu fühlen, während Sie gleichzeitig dem Partner gegenüber ein ähnliches Maß an Verständnis und Unterstützung zeigen.

In der zweiten Hälfte dieses Buches werden Sie dann lernen, wie Sie das Modell in der Praxis anwenden können. Das Ziel der Therapie ist die Schaffung und Aufrechterhaltung von emotionaler Sicherheit, und jede Intervention leitet sich aus dieser grundlegenden Ausrichtung ab. Sie werden lernen:

ein von beiden Seiten akzeptiertes Verständnis für die Art des Problems zu schaffen

die spezifischen Probleme und Bereiche zu identifizieren, in denen sich jeder Partner bedroht fühlt

die maladaptiven Reaktionen jedes Partners zu identifizieren und den Partnern helfen zu erkennen, inwiefern ihre Reaktionen eine Bedrohung füreinander darstellen

den Partnern zu helfen, einander zu verstehen und zu lernen, sensibel für die Empfindlichkeiten des jeweils anderen zu sein

dem Paar zu helfen, die zirkulären Muster zu erkennen, die durch seine Reaktionen erzeugt werden, damit keinem Partner die alleinige Schuld an dem wiederkehrenden Problem angelastet werden kann

dem Paar zu helfen, das beschädigte Selbstwertgefühls eines Partners zu reparieren

dem Paar zu helfen, die Bindungsverletzungen eines Partners zu heilen

das Paar anzuleiten, durch die Beibehaltung positiver Wertschätzung und Bindungssicherheit emotionale Sicherheit zu schaffen

genau zu identifizieren, was jeder Partner tun muss, um emotionale Sicherheit zu erreichen und aufrechtzuerhalten

das Paar darauf vorzubereiten, emotionale Sicherheit ohne Hilfe wiederherzustellen, wenn es sich mit den unvermeidlichen Schwankungen des Sicherheitsgefühls konfrontiert sieht, die in allen Beziehungen auftreten.

Ein Hinweis zu Büchern über intime Beziehungen

Dieses Buch enthält Beispiele von Individuen und Paaren, anhand derer sich verschiedene Punkte veranschaulichen lassen. In allen Fällen sind Details verändert worden, um die Identität der Personen zu schützen, auf denen diese Beispiele beruhen. Darüber hinaus muss sich ein Buch, in dem es um Beziehungen geht, unweigerlich damit auseinandersetzen, welches Geschlecht bei den Personalpronomen verwendet werden soll. Die in diesem Buch erörterten Themen betreffen jeden; die Dynamik einer emotionalen Beziehung beschränkt sich nicht auf Männer und Frauen oder heterosexuelle verheiratete Paare. Daher verwende ich die Personalpronomen willkürlich. Bei der Erörterung der Dynamik zwischen zwei Partnern habe ich versucht, beide Geschlechter abwechselnd zu verwenden.

Die Ausnahmen sind dort zu finden, wo ich spezifisch das eine oder andere Geschlecht anspreche oder die Dynamik zwischen Paaren beschreibe. Ich habe festgestellt, dass es leichter ist für mich, das Paar als »er« und »sie« zu identifizieren, wenn ich die Rolle eines jeden Partners bei komplexen Interaktionen beschreiben will (besser, als von Partner A und Partner B zu sprechen). Das soll jedoch mitnichten implizieren, dass diese Muster geschlechtsspezifisch seien. Einige Muster treten bei einem Geschlecht häufiger auf (zum Beispiel ist es häufiger der Fall, dass sich der Mann zurückzieht und die Frau über die Beziehung sprechen will), aber praktisch jedes Muster kommt auch beim jeweils anderen Geschlecht vor.5

Verwenden Sie diese Linsen und machen Sie die Probe aufs Exempel

Die wirkliche Bewährungsprobe für ein Modell wie dieses ist der Grad seiner Nützlichkeit, und dieser wird von Ihnen, den Paartherapeuten, die dieses Buch lesen, bestimmt werden. Das Modell sollte Ihr Verständnis vertiefen und Ihnen helfen, das zu sehen, was Ihre Klienten nicht sehen können. Haben Sie das Modell einmal begriffen, sollten Sie in der Lage sein, die emotionalen Kernthemen zu behandeln, die den wiederkehrenden Problemen Ihrer Klienten zugrunde liegen. Dann wird Ihre Rolle darin bestehen, diese Themen im konkreten Fall zu verstehen und anzusprechen, damit das Paar in seiner Beziehung emotionale Sicherheit schaffen und aufrechterhalten kann.

Sobald sich Intimpartner emotional sicher fühlen, können sie mehr Nähe zulassen und eine tiefere Verbindung aufbauen – wenn sie es denn möchten. Das Modell der emotionalen Sicherheit zielt jedoch nicht auf solche Vorgänge ab, auch wenn sie sich häufig als Ergebnis einstellen. Vielmehr muss jedes Paar selbst das Maß an Nähe, Abhängigkeit und Autonomie festlegen, das beide in ihrer Beziehung haben wollen, und bei jedem Paar ist der Ausgangspunkt ein anderer.

Unsere Aufgabe ist es, den Partnern zu helfen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und emotionale Sicherheit miteinander zu erlangen. Wie es dann für sie weitergeht, ist ihre Sache.

Danksagungen

Das in diesem Buch vorgestellte Modell baut auf den bahnbrechenden Arbeiten zweier origineller Theoretiker auf und der Weiterentwicklung ihrer Arbeiten durch zwei zeitgenössische Kliniker, die die Theorien auf den klinischen Kontext angewendet haben. Bei den Theoretikern handelt es sich um Silvan S. Tomkins, den Begründer der modernen Affekttheorie, und John Bowlby, den Begründer der Bindungstheorie. Donald Nathanson nahm einen Aspekt der Affekttheorie – die Bedeutung der Scham und der Gefühle, die man sich selbst gegenüber hat, – und entwickelte ihn über Tomkins’ ursprüngliche Ideen hinaus weiter. Nathansons Werk Shame and Pride (1992) hat mir die Augen für die Dimension von Paarbeziehungen geöffnet, die ich Wertschätzung nenne. Susan Johnson hat auf der Grundlage von Bowlbys Bindungstheorie einen paartherapeutischen Ansatz entwickelt, der die Bindungsthematik auf eine Weise zum Leben erweckt, wie es niemand sonst geschafft hat. Ihre Arbeit, insbesondere ihr Werk Die Praxis der emotionsfokussierten Paartherapie: Verbindungen herstellen (Paderborn 2009), hat mir geholfen, die zentrale Bedeutung der Bindung in Paarbeziehungen zu würdigen. Über die von diesen visionären Theoretikern vorgegebene begriffliche Klarheit hinaus ist meine Sichtweise von Paarbeziehungen auch durch die Erkenntnisse vieler hervorragender Forscher gestützt worden, insbesondere durch diejenigen von John Gottman.

Jede metapsychologische Theorie muss sich daran messen lassen, wie groß ihr Wert für die Schaffung von Modellen ist, die als Richtschnur für die klinische Arbeit dienen können. Frei nach William Blake: Die Reichweite eines Klinikers beschränkt sich weitestgehend auf sein Erfassen dessen, was das menschliche Verhalten antreibt. Ich habe es den Werken von Tomkins, Nathanson, Bowlby, Johnson und Gottman zu verdanken, dass ich das Verhalten von Paaren mittlerweile sehr viel leichter erfassen kann, und meiner Ansicht nach hat dies auch meinen Wirkungsbereich vergrößert.

Dieses Werk setzt sich intensiv mit der Emotion der Scham auseinander. Mein Verständnis von der Macht der Scham gründet sich weitgehend auf meine eigene Fähigkeit und Neigung, diese lebensbestimmende Emotion zu erleben. Dieses »gefühlte Wissen« ist erweitert worden durch:

meine Lektüre der großartigen Werke von Silvan Tomkins und Daniel Nathanson

meine Klienten (die jeden vorurteilsfreien Therapeuten erziehen) und

einen besonderen Kollegenkreis, mit dem ich am Phoenix Institute in Chicago zusammengearbeitet habe.

Dazu gehören Skip Shelton, der mich als Erster mit der Affekttheorie und der Macht der Scham bekannt gemacht hat, mich weiterhin lehrt und mir als Vorbild dient; Eleanore Feldman, deren Herzlichkeit und scharfer Geist mir geholfen haben, viele Dinge zu sehen; Joe McDonald, dessen Integrität auf jeden um ihn herum abfärbt; Ruth Engel, die einem, wenn man mit ihr spricht, das Gefühl gibt, der einzige Mensch auf der Welt zu sein, und Chris Johnson, dem fast alles, was ich in diesem Buch schreibe, schon sehr viel länger bekannt ist als mir.

Mein Dank gilt ferner den Fachleuten auf dem Gebiet psychischer Krankheiten, die das Manuskript aufmerksam begutachtet haben, mir halfen, meine Gedanken zu präzisieren, und mir durchweg Ermutigung und Unterstützung anboten. Das waren meine Frau Kim Catherall und meine Kollegen Skip Shelton, Joe McDonald, Blair Barbour und Don Nathanson (der viel Zeit investiert hat, um einem Kollegen zu helfen, dem er noch nie persönlich begegnet war). Seit ich intensiv mit Paaren arbeite, habe ich mein Verständnis von Affekttheorie und Bindung auf die Welt intimer Beziehungen anwenden können. Doch ich stehe auf den Schultern von Giganten. Wenn ich es richtig mache, dann liegt das daran, dass ich mich als guter Schüler erwiesen und es geschafft habe, klar zu sehen. Das verdanke ich eben diesen Giganten – den Doktoren Tomkins, Nathanson, Bowlby und Johnson sowie all meinen Kollegen und Klienten. Wenn ich Fehler mache, dann liegt das daran, dass ich immer noch von meinem eigenen kurzsichtigen Standpunkt aus auf die Welt blicke.

Teil I: Theorie und Grundlagen

1 Das Problem

Als Kurt und Sally meine Praxis betraten, wirkten sie bedrückt und schienen sich unbehaglich zu fühlen. Kurt lächelte kurz, Sally verdrehte die Augen. Beiden war es offensichtlich ein wenig peinlich, wieder hier zu sein. Zwei Jahre zuvor hatten sie eine Therapie bei mir abgeschlossen und sich am Schluss in ihrer Beziehung ziemlich wohl gefühlt. Jetzt waren sie wieder da und sahen genauso niedergeschlagen aus wie zu Beginn der Therapie damals. Ich erkundigte mich, was sie veranlasst habe, mich erneut aufzusuchen. Zunächst zögerten sie, doch dann begann Sally zu sprechen.

»Na ja, im Grunde genommen sind wir wegen der gleichen Probleme hier wie beim letzten Mal. Kurt will nicht wirklich verheiratet sein. Er ist zu beschäftigt, um sich um Frau und Kinder zu kümmern. Er hat immer wichtigere Dinge zu tun.«

Kurt schloss die Augen und seufzte. »In einem hat sie zweifelsohne recht, es hat sich nicht viel geändert. Egal, was ich tue, es ist immer falsch.« Er machte eine Pause und fügte dann spöttisch hinzu: »Und egal, was Sally tut, es ist immer richtig.«

Sally sah ihn an und sagte: »So hast du das deiner Schwester aber nicht gesagt. Du hast gesagt, ich könne zu Hause nichts richtig machen, und das wäre der Grund, warum ich meiner ehrenamtlichen Arbeit nachginge.« Dann wandte sie sich mir zu und meinte: »Kurt glaubt nicht, dass ich als Mutter etwas tauge.«

Kurt reagierte ziemlich entnervt: »Ich habe nie behauptet, du seist keine gute Mutter. Ich habe sogar immer betont, was für eine gute Mutter du bist.« Er holte einmal tief Luft und erklärte dann: »Meiner Schwester habe ich lediglich gesagt, dass dir die Arbeit fehlen würde und dass es dir nicht genüge, Mutter zu sein – dass du etwas tun müsstest, wofür du positives Feedback von Erwachsenen bekommst.« Auf mich deutend, meinte er: »Das haben wir hier beim letzten Mal gelernt.«

Sally sagte: »Na ja, ich bekomme doch wirklich nie positives Feedback von dir, oder? Du bist ja auch nie da, um es überhaupt geben zu können.«

Mich beschlich ein Gefühl der Beklemmung. Es war wieder einmal so weit. Es schien, als seien Kurt und Sally all die positiven Effekte, die wir in der Therapie erzielt hatten, wieder abhandengekommen.

In der Paartherapie werden Paare wie Kurt und Sally gewöhnlich als konfliktsuchend beschrieben – zwei Individuen, die sich auf so gut wie gar nichts einigen können. Ihre nie endenden Differenzen werden mal in Form hitziger Auseinandersetzungen ausgetragen, mal bewegen sie sich in ruhigerem Fahrwasser. Doch in jedem Fall ist ein leidvoller Grundkonflikt vorhanden, den sie nie zu lösen vermochten. Dieser Konflikt lauert stets im Hintergrund und kann bei der trivialsten Interaktion zum Leben erweckt werden.

Bei vielen anderen Paaren ist das Problem weniger offensichtlich:

Die Beziehung zwischen Gil und Marian erschien in vielerlei Hinsicht positiv. Sie waren sehr aktiv und genossen es, gemeinsam verschiedene Sportarten und Aktivitäten im Freien auszuüben. Darüber hinaus waren sie äußerst gesellig und verbrachten einzeln und als Paar viel Zeit mit Freunden. Beide waren intelligent und kultiviert, doch die Gespräche, die sie miteinander führten, blieben oberflächlich. Nur selten brachten sie intensive Gefühle zum Ausdruck oder stellten emotionale Ansprüche aneinander. Beide behaupteten, sie wünschten sich in ihrer Beziehung mehr körperliche Nähe, doch keiner von beiden ging je das Risiko ein, sich als Erster aktiv darum zu bemühen.

Es kam regelmäßig zu Konflikten. Einer bestimmten Auseinandersetzung ging Gils Bekenntnis voraus, er habe sich bei einem Treffen mit Marians Familie gelangweilt. Marian wollte wissen, was er mit »gelangweilt« meine, und nur ein paar Minuten später pöbelte sie ihn wegen seiner Passivität und seinem Unvermögen an, mit jemandem ein sinnvolles Gespräch zu führen. Er reagierte, indem er sie beschimpfte, sie sage nie, was sie eigentlich von ihm wolle. Der Konflikt eskalierte rasch bis zu dem Punkt, an dem niemand dem anderen mehr zuhörte; jeder äußerte sich nur noch kritisch über seinen Partner. Nach einem solchen Streit gingen sie sich tagelang aus dem Weg. Dann pflegten sie eine Zeit lang einen förmlicheren Umgang miteinander. Schließlich fingen sie an, sich in Gegenwart des anderen zu entspannen und ihr gewohntes Muster wieder aufzunehmen. In absehbarer Zukunft wird sich jedoch explosionsartig ein weiterer Konflikt entzünden, und sie werden den Vermeidungszyklus von Neuem durchlaufen.

Gil und Marian sind sich nicht in allem uneins; es fällt ihnen leichter, ihre Zweisamkeit zu genießen als Kurt und Sally. Trotzdem stellt sich auch bei ihnen häufig eine Atmosphäre von Spannung und übertriebener Vorsicht ein. Aus Angst, es könnte »schlecht laufen« und ihr Verhalten könnte irgendwie dazu führen, dass die Beziehung in einen für sie unlösbaren Konflikt abgleitet, halten sich beide Partner zurück. Wird ein solcher Konflikt entfacht, dann beherrscht er die Beziehung wahrscheinlich für den Rest des Tages oder noch länger. Paare wie Gil und Marian könnte man als konfliktvermeidend bezeichnen. Jeder Partner lernt, um die Gefühle des anderen herumzuschleichen, und ist bemüht, nichts zu sagen, was den anderen in Rage versetzen könnte.

1.1 Ein grundlegender Mangel an Sicherheit

Beide Paare hatten ähnliche Probleme, auch wenn sie sich auf sehr unterschiedliche Weise äußerten. In beiden Fällen fühlten sich die Beziehungspartner in emotionaler Hinsicht nicht sicher miteinander. Ihre Beziehung wurde von dem Gefühl belastet, sie müssten mit Vorsicht agieren, um zu verhindern, dass irgendein nebulöser, unterschwelliger Konflikt zwischen ihnen aufflackerte. Das Gefühl, keine emotionale Sicherheit zu haben, zeigte sich anhand der beiden häufigsten Zustände, unter denen Paare mit diesem Problem leiden:

einem Zustand erhöhter Reaktivität, der zu sich wiederholenden, nicht bewältigten Konflikten führt, oder

einem permanenten Zustand

mangelnder Verbundenheit (disconnection)

, der zu einer oberflächlichen, unbefriedigenden Beziehung führt.

Die meisten Paare mit diesem Problem lassen sich einer der beiden Kategorien oder einer Mischung davon zuordnen.

Keiner der vier Beteiligten war imstande, das Problem genau zu definieren, doch jeder Einzelne war sich des Problems bewusst. Und jedem von ihnen graute es unterschwellig davor, den Konflikt loszutreten. Das soll jedoch nicht heißen, dass die beiden Paare im Laufe der Therapie keine Fortschritte erzielt hätten. Jedes von ihnen hatte vielmehr eine Reihe von Problemen gelöst und sogar ein gewisses Maß an Toleranz für jene Dauer-Streitpunkte entwickelt, die auf Persönlichkeitsunterschieden beruhen. Diese Punkte lieferten jedoch lediglich den Inhalt für ihre Auseinandersetzungen.

Der Grund, warum sie sich heftig stritten – beziehungsweise sich aus Angst vor Streit aus dem Weg gingen –, ist Gegenstand des vorliegenden Buches. Ich verwende die Formulierung »heftig streiten«, um den Umgangston wiederzugeben, der ihre Konflikte prägte. Im Wesentlichen gilt ein Konflikt als heftiger Streit, wenn die Partner das Gefühl bekommen, sie könnten erhebliche persönliche Verluste erleiden. Natürlich ist in der Regel unklar, was verloren gehen wird, und die Individuen sind sich nicht wirklich sicher, warum sie so gereizt sind. Viele Paare spüren das und werden bestätigen, dass sie nicht wirklich wissen, worüber sie sich streiten, oder sie werden sagen, dass es bei dem Streit wohl um etwas anderes gehe als um das Problem, das den Inhalt des Streits bildet.

Paartherapie kann solchen Paaren entweder helfen, die diversen Oberflächenprobleme zu lösen, oder aber das Grundproblem angehen: die Sache, die dazu führt, dass sie sich streiten, statt über ihre Probleme zu sprechen und zu verhandeln. In manchen Fällen reicht es aus, die Oberflächenprobleme zu lösen. Einige Paare nutzen Therapie zu diesem Zweck und begnügen sich damit, anschließend zu ihrer normalen Beziehung zurückzukehren. Doch bei den meisten Paaren genügt es einfach nicht, die inhaltlichen Themen zu lösen, weil es einen endlosen Strom solcher Streitpunkte gibt. Diese Paare können nur dann Frieden finden, wenn sie sich endlich mit dem Grundproblem konfrontieren und es lösen.

1.2 Zwei Bereiche potenzieller Bedrohung

Bei den beschriebenen Paaren hat jeder untergründig das Gefühl, in emotionaler Hinsicht nicht sicher zu sein. Ihrem Gefühl nach besteht ständig die Gefahr, dass etwas passieren wird, was ihnen als Individuen oder der Beziehung schaden wird. Folglich agieren sie, als befänden sie sich auf feindlichem Territorium. In Gegenwart des anderen sind sie immer ein wenig auf der Hut und halten Ausschau nach potenziellen Bedrohungen. Einige Beziehungspartner gehen mit diesem Gefühl der Unsicherheit um, indem sie sich zurückziehen und nur einen Teil von sich offenbaren. Andere werden damit fertig, indem sie sich beim geringsten Anschein einer Bedrohung in eine Verteidigungsposition begeben. Wieder andere stumpfen emotional ab und ersticken so jegliche Leidenschaft in ihrem Leben.

Das eigentliche Problem – dass sie sich miteinander nicht sicher fühlen – beschränkt sich überwiegend auf zwei getrennte Funktionsbereiche, in denen die Wahrnehmung einer Bedrohung auftritt: Jeder Partner macht sich Gedanken

über sich selbst, was den Bereich

Wertschätzung

betrifft, und

über die Beziehung, was den Bereich

Bindung

betrifft.

Die meisten Beziehungskonflikte spielen sich im Bereich Wertschätzung ab, doch ursächlich für sie ist die Wahrnehmung einer Bedrohung, und eine solche kann in beiden Bereichen wahrgenommen werden. Wenn Therapeuten verstehen, wie Beziehungspartner die Bedrohung jeweils wahrnehmen, werden sie ihnen leichter helfen können.

1.3 Der eigentliche Gegenstand der Auseinandersetzung

Ich habe Paaren über viele Jahre geholfen, die themenbezogenen Konflikte zu lösen, die sie in die Therapie mitbrachten. Manchmal war ich erfolgreich, doch häufig war mir bewusst, dass es uns nicht gelungen war, das eigentliche Problem, das sie so extrem sensibel aufeinander reagieren ließ, zu lösen. Ich konnte sehen, wie ungelöste Fragen über jeder Interaktion hingen. Unsere Sitzungen waren von Auseinandersetzungen darüber geprägt, wer recht hatte, wer wen verletzt hatte, wessen Version der Realität die richtige war, und vor allem, wer schuld war. Manchmal konnte ich den betreffenden Paaren helfen, indem ich sie lehrte, besser zu kommunizieren und vor allem einander besser zuzuhören. Doch ich selbst konnte nicht hören, worum es bei den endlosen Auseinandersetzungen wirklich ging. Als ich es schließlich begriff, begann die Grundidee für dieses Buch in mir heranzureifen.

Wenn es sich um einen offenen Konflikt handelt, sind die vorgebrachten Argumente immer dieselben: Jeder Partner versucht zu korrigieren, wie er vom jeweils anderen Partner dargestellt wird. Beide reagieren defensiv: »So habe ich das nicht gesagt.« »Das habe ich nicht gemeint.« »Du bist diejenige, die uns das eingebrockt hat.« »Du willst also sagen, dass es in Wirklichkeit meine Schuld ist.« Der Streit hat seinen Ursprung darin, dass sein Bemühen, ihr Bild von ihm zu ändern, mit ihrem Bemühen, sein Bild von ihr zu ändern, kollidiert. Das eigentliche Problem, das diesen wiederkehrenden Konflikt befeuert, ist im Bereich Wertschätzung zu finden – wie Partner sich selbst und einander achten. Die Wertschätzung wird von jedem Partner in seinem Bild von sich selbst und in dem des jeweils anderen ausgedrückt. Die entsprechenden Ausdrucksformen können direkt oder sehr subtil und indirekt sein. Ein Partner kann zum Beispiel deutlich kommunizieren, dass er den anderen als unfähig ansieht, mit etwas klarzukommen (»Du kannst das nicht«). Er kann es indirekt oder implizit zum Ausdruck bringen (»Also, wen wirst du dir dafür zu Hilfe holen?«) oder lediglich durch seinen Tonfall (»Willst du etwa sagen, dass du es ganz allein machen wirst?«).

Der Konflikt bricht aus, wenn ein Partner darauf reagiert, wie er seinem Gefühl nach von dem anderen gesehen wird. Wenn seine Selbstachtung stark genug bzw. sein Selbstgefühl ausreichend entwickelt ist, ist er vielleicht in der Lage, die vermeintlich negative Sichtweise oder Darstellung seiner Person zu ignorieren. Doch wenn er reagiert, dann besteht sein Ziel ausnahmslos darin, zu widerlegen, wie er seiner Wahrnehmung nach dargestellt wurde (selbst wenn es unausgesprochen ist oder das, was er glaubt, sich nur in seiner Fantasie abspielt). Es ist, als könne er sich selbst nicht so sehen, wie er gesehen werden möchte, wenn der andere ihn anders sieht. Die Partner streiten sich also, um sich vor einem wahrgenommenen Verlust an Wertschätzung zu schützen.6 Was sie zu verlieren haben, ist ihr hohes Ansehen in den Augen des anderen, und ihre eigentliche Angst besteht darin, gedemütigt zu werden, wenn sie dieses Ansehen verlieren. Den Kampf zu verlieren, kann also bedeuten, eine tiefe Demütigung zu erleiden, und das ist der Grund, warum einige Partner so ungeheuer viel investieren, um Auseinandersetzungen zu gewinnen, die nach außen hin trivial erscheinen mögen.

Als ich ein klareres Bild von diesen Zusammenhängen bekam, begann ich, dem Gesagten selbst weniger Beachtung zu schenken als der Art, wie es gesagt wurde. Die Kommunikation in einer Liebesbeziehung beschränkt sich nicht auf die Worte, die gebraucht werden; wesentlich wichtiger ist der Tonfall, in dem sie gesprochen werden. Der kann eine ganz andere Bedeutung transportieren. Diese andere »Sprache« wird Affekt genannt, und sie spielt in den meisten Gesprächen zwischen Intimpartnern eine Rolle. Der Affekt ist die biologische Komponente der Emotion und wird von uns häufig weitergegeben, ohne dass wir es selbst mitbekommen. Ein aufgebrachter Partner kann möglicherweise seine Gefühle hinter den von ihm verwendeten Worten verstecken, doch wesentlich schwieriger ist es, die Affektivität im Tonfall zu verbergen.

Wir transportieren Affekte durch unseren Tonfall, unsere Haltung, unser Verhalten und insbesondere unseren Gesichtsausdruck. Wenn sie ihn wegen seines Tonfalls, seiner Körpersprache, seines Gesichtsausdrucks oder wegen etwas, das er getan oder nicht getan hat, angeht, dann ist sie weder albern noch sieht sie Probleme, wo keine sind. Vielmehr spricht sie ihre Wahrnehmung von etwas an, das in der Sprache des Affekts übermittelt wurde. Leugnet er, dass sein Verhalten etwas zu bedeuten hatte, oder argumentiert er, sein Tonfall oder sein Blick seien nicht so gewesen, wie sie sie wahrgenommen habe, dann ist er sich vielleicht dessen, was er weitergegeben hat, nicht bewusst. Oder sie hat das, was sie gesehen hat oder was sein Verhalten ihrer Befürchtung nach zu bedeuten hatte, falsch interpretiert. Oder er stellt sich dumm und verlässt sich darauf, dass die Sprache des Affekts schwer zu erkennen sein kann. Meiner Erfahrung nach reagieren Partner fast immer auf etwas Reales, wenn sie eine negative affektive Botschaft wahrnehmen – auch wenn sie deren Heftigkeit womöglich überschätzen.

1.4 Die tieferen Gründe für Auseinandersetzungen

Wenn zwei Menschen eine Liebesbeziehung beginnen, gehen sie eine Bindung ein und öffnen sich füreinander. Unter anderem bedeutet das, dass er es ihren Gefühlen ihm gegenüber erlaubt, Einfluss auf seine Gefühle sich selbst gegenüber zu nehmen, und sie erlaubt es seinen Gefühlen ihr gegenüber, Einfluss auf ihre Gefühle sich selbst gegenüber zu nehmen. Im wahrsten Sinne des Wortes wirkt sich ihr Bild von ihm auf sein Bild von sich selbst aus und umgekehrt. Das stellt eines der Hauptelemente des Verletzlichseins dar – offen genug für das Bild deines Partners von dir zu sein, um zuzulassen, dass dieses dein Bild von dir selbst beeinflusst. Eine der Kernprämissen dieses Buches lautet, dass Beziehungspartner ihr Bild voneinander in erster Linie durch die Affektivität in ihrem Tonfall transportieren.

Eine enge Verbindung ist wunderbar, wenn die Gefühle positiv sind; ihr positives Bild von ihm hilft ihm, sich noch besser mit sich selbst zu fühlen. Deshalb fühlt man sich in Gesellschaft von Verliebten im Allgemeinen so wohl. Doch dieselbe Verbindung kann verheerend sein, wenn die Gefühle nicht positiv sind; ihr negatives Bild von ihm kann bewirken, dass er sich schrecklich fühlt. Wenn er ihr Bild von sich als negativ empfindet, reagiert er. Das ist die Basis der meisten wiederkehrenden Konflikte. Wie schon erwähnt, reagieren die Beziehungspartner, indem sie versuchen, dem Bild etwas entgegenzuhalten, das der andere Partner vermeintlich von ihnen hat, um diesen so zu der Erkenntnis zu bringen, dass er im Unrecht ist.

Im Laufe der Auseinandersetzung darüber, wie ein Partner seiner Meinung nach gesehen werden sollte, übermittelt er oft ein negatives Bild vom anderen – was dazu führt, dass dieser wiederum ähnlich reagiert und es zu einem repetitiven Streit kommt.

1.5 Die Beziehung

Gibt es also Ursachen für berechtigte Konflikte, die außerhalb des wiederkehrenden Streits liegen, der beeinflusst, wie jeder Partner dargestellt wird? Tatsächlich gibt es alle möglichen Ursachen für berechtigte Konflikte, und Paare streiten sich zuhauf darüber. Der Unterschied liegt im Tonfall und in den Auswirkungen, die der Streit auf die Beziehung hat. Paare kommen normalerweise in die Therapie, wenn einer oder beide Partner das Gefühl haben, dass der Streit (oder die Distanzierung) die Beziehung zerstört.

Auch wenn im Grunde genommen jede Konfliktquelle zur destruktiven Variante von Streit (oder Distanzierung) führen kann, gibt es ein Thema, bei dem dies wahrscheinlicher ist als bei allen anderen. Dies ist die Beziehung selbst. Ein solcher Konflikt sieht normalerweise so aus, dass ein Partner anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, was der andere in die Beziehung einbringt (oder nicht). Er drückt dann seine Sorge dadurch aus, dass er den anderen attackiert, kritisiert oder anderweitig negativ darstellt. Dieser reagiert, indem er sich selbst verteidigt, und es beginnt ein repetitiver Zyklus. Sobald ein Paar in einem solchen Zyklus gefangen ist, sei es in einem des Konflikts oder der Distanz, fühlt sich keiner von beiden mehr sicher genug, um sich in der Beziehung vollkommen offen und verletzlich zu zeigen. Das Paar hat das Schlüsselelement verloren, das für das Funktionieren einer Liebesbeziehung verantwortlich ist – seine emotionale Sicherheit.

1.6 Emotionale Sicherheit

Die Emotionen, die in unseren Liebesbeziehungen die größte Relevanz haben, sind diejenigen, die wir in Bezug auf uns selbst und unsere Partner empfinden. Diese Emotionen lassen sich in Bezug auf die betroffenen menschlichen Bedürfnisse in zwei voneinander getrennte Bereiche einteilen: die Wertschätzungsemotionen, die widerspiegeln, inwieweit wir uns selbst und unseren Partner schätzen, und die Bindungsemotionen, die widerspiegeln, inwiefern wir uns etwas aus unserem Partner machen und von ihm oder ihr abhängig sind. Es ist zum Beispiel weitaus sicherer und leichter für sie, mit ihm darüber zu reden, wie verärgert sie ist, wenn die Quelle ihres Ärgers nicht in ihm liegt. Wenn er jedoch die Ursache für ihren Ärger in etwas sieht, das er getan haben soll, dann wirkt sich das negativ auf seine Gefühle sich selbst gegenüber aus. Das repetitive Streitmuster taucht wahrscheinlich dann auf, wenn er versucht, ihr ihre Gefühle ihm gegenüber auszureden. Oder es »taucht sozusagen ab«, wenn er sich zurückzieht und sich damit den Wirkungen ihres Bildes von ihm entziehen will. In beiden Fällen beeinträchtigt seine Empfindlichkeit in Bezug darauf, wie sie ihn sieht, die Qualität ihrer Verbindung.

Konflikte in einer Liebesbeziehung können unterschiedliche Ursachen haben. Allerdings ist gewöhnlich nur die wiederkehrende Variante im Bereich Wertschätzung anzusiedeln. Die Wahrnehmung einer Bedrohung für die emotionale Sicherheit der Beziehung hingegen spielt sich in beiden Bereichen, nämlich Bindung und Wertschätzung, ab. Wenn ihre Liebe und ihr Engagement nachzulassen beginnen, dann wird er seine Bindung als bedroht empfinden. Wenn ihre Wertschätzung seiner Person nachlässt (sie liebt ihn vielleicht noch, ist sich aber nicht so sicher, wie sehr sie ihn noch mag), dann wird er seine Achtung gefährdet sehen. Wenn eine Bedrohung in einem der beiden Bereiche auftaucht, ist die Folge in jedem Fall ein Verlust an emotionaler Sicherheit in der Beziehung.

Je nachdem, wie die Beziehungspartner mit derartigen Ereignissen umgehen, sind Konflikte wahrscheinlich. Taucht die Bedrohung im Bereich Bindung auf, reagieren Paare häufig damit, dass sie einander im Bereich Wertschätzung attackieren. Jetzt findet die Auseinandersetzung in dem Bereich statt, in dem die meisten Menschen ihre offenen Konflikte haben. Ganz gleich, wo der Konflikt herrührt, wenn er nicht gelöst wird, dann ziehen sich die meisten Menschen schließlich aus der emotionalen Verbindung zurück, um sich selbst zu schützen – was dann wiederum eine Bedrohung der Bindung für den anderen Partner darstellt.

Darin steckt eine herbe Ironie: Zwei Menschen kommen zusammen, weil sie sich so wohl und offen miteinander fühlen, im Laufe der Zeit fangen sie jedoch an, sich voreinander zu verstecken. Schließlich distanzieren sie sich und werden misstrauisch, und der intime Raum zwischen ihnen entwickelt sich zu einer Gefahrenzone, einem Ort, bei dessen Betreten die Möglichkeit, sich schlechter zu fühlen, wahrscheinlicher ist als die Aussicht, sich besser zu fühlen.

1.7 Die Art und Weise von Auseinandersetzungen

Das direkteste Medium, mittels dessen er ihr Bild von ihm und sie sein Bild von ihr interpretiert, ist nicht die »Sprache der Worte«, sondern die Sprache des Affekts. Dort, in dieser unsichtbaren Sphäre, wird der ungelöste Konflikt ausgetragen. Paare in der Gefahrenzone verhalten sich defensiv; sie interpretieren ihre wechselseitigen Gefühle und Intentionen schnell als feindselig, kritisch oder unsensibel. Das Kernproblem dabei ist gewöhnlich die Sorge jedes Partners um die Beziehung selbst, ihre Bindung. Wenn sich der Konflikt jedoch, wie dies häufig geschieht, in den Wertschätzungsbereich verlagert hat, dann tritt die Sorge jedes Partners darüber, wie er oder sie in der Beziehung gesehen wird, in den Vordergrund. Wenn die beiden sich streiten, so tun sie das, um sich vor der Demütigung zu schützen, als unfähig, nicht gut genug, unterlegen, inkompetent, ja als Loser bzw. Null entlarvt zu werden. Der Konflikt kann sich auf der Ebene der Worte abspielen oder auch nicht, er findet aber in jedem Fall in der Sprache des Affekts statt.

Manche Menschen verwenden den Begriff Affekt, als sei er gleichbedeutend mit Emotion, doch ihre Bedeutungen unterscheiden sich voneinander. In der Tat ist es so, dass der Unterschied zwischen Affekt und Emotion für einen großen Teil der Missverständnisse in Liebesbeziehungen verantwortlich ist. Silvan Tomkins (1962) erbrachte den Nachweis, dass Affekte angeborene biologische Fähigkeiten sind, der genetisch programmierte Teil der Emotion. Wir alle werden mit der gleichen Grundausstattung an Affekten geboren, doch unsere Emotionen entwickeln sich auf der Grundlage unserer einzigartigen Erfahrungen. So werden sich die Emotionen Wut und Scham, die jemand erlebt, der in seiner Kindheit misshandelt wurde, sehr stark von den Wut- und Schamgefühlen einer Person unterscheiden, die in einem sicheren und liebevollen Umfeld aufgewachsen ist. Dennoch kann der Affekt, der von diesen unterschiedlichen Menschen gezeigt wird, grundsätzlich der gleiche sein; was sich dagegen unterscheidet, ist seine interne Bedeutung.

Wir transportieren unsere Gefühle durch die gemeinsame Sprache des Affekts, doch wir neigen dazu, die affektiven Botschaften anderer Menschen mittels unserer idiosynkratischen »Sprache der Emotionen« zu interpretieren.

Ein Konflikt kann die unterschiedlichsten Formen annehmen. Ein Partner könnte zum Beispiel abstreiten, das getan zu haben, wessen sie ihn zu beschuldigen scheint. Er könnte argumentieren, dass mit ihr etwas nicht stimme und dass das der Grund sei, warum sie so fühle. Er könnte ihre Gefühle abtun und behaupten, sie würde überreagieren. Oder er könnte eine Mauer um sich herum bauen und alles dafür tun, um sich nicht von ihren Gefühlen berühren zu lassen. Jede dieser Reaktionsweisen (und viele weitere) werden ihr wahrscheinlich das Gefühl geben, sie sei ihm nicht wichtig, oder noch schlimmer, er vermittele ein negatives Bild von ihr. Wenn sie jetzt als Reaktion darauf versucht, ihn von seinen mutmaßlichen Gefühlen ihr gegenüber abzubringen, dann artet der sich wiederholende Konflikt in einen handfesten Streit aus.

1.8 Die Rolle der Scham

Das Reaktionsmuster, das diese wiederkehrenden Konflikte am Leben hält, beruht in den meisten Fällen auf einem bestimmten Affekt, nämlich Scham. Scham spielt eine äußerst wichtige Rolle bei den Paaren, die sich immer wieder über dieselben Dinge streiten. Über Scham in Beziehungen sind schon etliche Bücher geschrieben worden, doch genauso, wie ich bei einem nicht endenden Streit unfähig war herauszuhören, worum es wirklich ging, sind auch die betreffenden Autoren meines Erachtens nicht auf den »richtigen Trichter« gekommen. Ihr Fokus liegt immer auf dem Akt des Beschämens, welcher zweifellos ein wesentlicher Teil des Problems ist; doch es ist weitaus mehr erforderlich, als nur das Beschämen zu unterbinden, um Paaren bei der Heilung zu helfen und emotionale Sicherheit zu schaffen.

Der Grund, warum es in engen Beziehungen zu endlosen Konflikten kommt, lässt sich in einer Reihe von Superlativen ausdrücken: Unsere am stärksten mit Scham behafteten Selbstbilder werden am leichtesten von den Menschen aktiviert, die uns am meisten am Herzen liegen. Die Aussicht, beschämt zu werden, macht enge Beziehungen riskant. Es ist nicht möglich, Nähe ohne Scham zu erleben, und je größer die Nähe ist, umso größer ist das Potenzial für Scham. Das ist ein dem Leben innewohnendes Dilemma, und die einzige Möglichkeit, ihm zu entgehen, besteht darin, Nähe vollkommen zu vermeiden. Leider ist dies eine gängige Lösung, nicht nur bei Singles, sondern auch bei Paaren, die schon jahrelang zusammen sind.

Das Erstaunliche an der Scham ist jedoch, dass sie Paare entweder auseinandertreiben oder aber näher zusammenbringen kann. Wenn sich Beziehungspartner gefahrlos gemeinsam ihrer Scham stellen können, dann verringern sie ihre gegenseitigen Verletzungen und vergrößern die Nähe in ihrer Beziehung. Das Geheimnis besteht darin, dass Partner lernen, mit ihrer Scham umzugehen, statt lediglich auf sie zu reagieren