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Der bekannte Cellist Peter Koch hatte während seines Studiums in Weimar auch begonnen zu malen. Sein erstes Gemälde nannte er ENGEL ÜBER DER STADT. Neben seiner erfolgreichen Laufbahn als freier Musiker hat er immer die Malerei auch weiter entwickelt. Nun im Alter von 65 Jahren erinnert er sich an kuriose Theatergeschichten als Orchestermusiker, an seine zahlreichen Liebschaften und an kindliche Ereignisse bei seinen Großeltern auf dem Lande. Es sind köstliche Kurzgeschichten voller Humor und Komik.
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Seitenzahl: 86
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Herausgegeben und gestaltet von Reimund Frentzel.
Cover: Erstes Gemälde von Peter Koch 1978/79
Frontispize: Foto von Peter Koch © privat
Dank an Peter Herzog und Katrin Lehmann
Vorwort von Dieter Weidenbach
MINIATUREN DER ERINNERUNG
Peter Koch sagt man eine Doppelbegabung nach, die im tieferen Sinn aber eine Bereicherung der einen und anderen Seite seiner künstlerischen Leidenschaft kennzeichnet. Der Cellist und der Maler zusammengedacht ist der Kern seines Wesens.
Anfang der achtziger Jahre ging der Absolvent der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar an das Sinfonieorchester in der Kleinstadt Zeitz.
Ich besuchte ihn dort mehrmals und er beklagte seine Lage an diesem amusischen Ort. Mit bissigem Humor beschrieb er seine Orchesterkollegen, das rauhe Klima der einheimischen Bevölkerung. Er ahmte die Leute stimmlich nach in ihrem derben Dialekt. Er war ein Meister der Komik.
So überspielte er seine zutiefst prekäre Situation, die ihn nun gefangen hielt. Er befreite sich aus den Zwängen der Orchesterarbeit und bestritt einen Weg, der sich schon in Weimar abzeichnete, er intensivierte die Arbeit der freien Improvisation. Hier konnte er seinen musikalischen Vorstellungen Ausdruck verleihen.
Auch die Malerei gewann neue Impulse. Ich ließ Peter Koch an meiner Arbeit teilhaben und bestärkte sein Talent. So ließ er Farbigkeit in seine Klangwelt fließen von der geradezu expressiven Wucht eines Emil Nolde. Burleske bis schrille Atonalität im Wechselspiel mit lyrisch zarten Klangmustern, ließen an Schostakowitsch denken, den er sehr verehrte. Er sollte in dieser Musikform eine hohe Kunst erreichen und seine Bekanntheit begründen. Nachdem er das Orchester in Zeitz verließ, betrat er niemals wieder einen Orchestergraben. Er hatte seinen Weg gefunden.
Was uns nun überrascht, sind seine hier vorliegenden Erinnerungen der Zeitzer Jahre, die sich plötzlich, man kann sagen eruptiv Bahn brechen. Ich las sie mit Erstaunen. In scharfer Beobachtung lässt er die Protagonisten seiner Kurzgeschichten wie in einem Marionettentheater auftreten. Die skurrilen Gliederpuppen heben sich aus dem Dunkel der Erinnerung, spielen ihren Part und treten wieder ab. Die einstigen Quälgeister und Bösewichter, Schläger und Säufer, Ignoranten und Hurenböcke sind Menschen geworden mit vom eigenen Leben gezeichneten Spuren, tragisch, komisch, hilflos.
Peter Koch hat eine lapidare Sprache gefunden, deren Beobachtungsschärfe nichts Verletzendes hat, sondern eine Verwandlung seiner Erinnerung ins Poetische erreicht.
Dem Leser ist eine neue Seite des Musikers und Malers aufgeschlagen, die Genuss verspricht.
Dieter Weidenbach Weimar, Juni 2025
Der Kreml in Zeitz
Der Spitz
In Franks Wohnung
Du kannst fahren?
Frau Stehfest
Huberts Geburtstagsfest und seine Folgen
Mein erster Theaterclubabend
Berlstedt 1
Berlstedt 2
Besuch bei Goethe und Fahrt nach Erlau
Lila
Sommer 1984 in Sellin
Sophienkrankenhaus
Todor G.
Das Spiel der Götter vom Olymp
Der dicke Johannes
Der Turm
Fazit noch zum Theater in Zeitz
Grimmen
Künstler und Armee
Leipzig
Mechthild
Paul und Isabell Teil 1
Paul und Isabell Teil 2
Prag
Spukgeschichten
Tante Martha
Tiergeschichten
Zugfahrt von Bukarest nach Cluj Napoca
Es gab das Haus der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft - DSF, "Kreml" genannt. Dort trafen sich regelmäßig die Einwohner von Zeitz mit den Russen, den hier stationierten Offizieren der Sowjetarmee. Kamen noch die Kubaner dazu, prügelten sich jeder gegen jeden. Er war das Haus der Freundschaft.
Die Prügeleien fanden in der Speisegaststätte statt.
Ein guter Studienfreund, auch ein Cellist, war bei mir zu Gast und als wir essen und trinken wollten, fiel mir der Kreml ein. Die hatten dort sehr gutes Essen - da muss ich Zeitz loben; die hatten in fast jedem Lokal eine sehr gute Küche.
Die Kremlgaststätte hatte ein Séparée, in das wir uns setzten. Wir aßen und tranken dazu Blaustengler, einen Weißwein, als plötzlich Russen 'reinkamen.
Sofort standen die Zeitzer Jugendlichen auf, sich zu prügeln. Allen voran Hubert, mein späterer guter Bekannter. Es flogen die Fetzen: Stühle und Bierhumpen wurden zu Flugobjekten.
Man hörte das Klatschen der Fausthiebe. Der Kellner kam: "Sie wünschen noch einen Blaustengler?"
"Sehr wohl!" antwortete ich. Mein Gast hatte Angst und wollte gehen:
"Du brauchst keine Angst zu haben. Du musst das wie durch einen Monitor sehen. Das geht uns alles nichts an." sagte ich.
Plötzlich kamen noch Kubaner hinzu. Es krachte. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Der Kellner kam:
"Sie wünschen noch einen Blaustengler?"
"Sehr wohl!", antwortete ich.
Auf einmal vernahmen wir ein lautes "Autsch!".
Ein Kellner hatte hochprozentigen Schnaps ins Auge bekommen. Nun kam das Küchenpersonal mit Pfannen und sonstigem Küchengerät. Es gongte und zirpte, es gab ein eigenartiges Getöne - fast wie Musik!
"Sie wünschen noch einen Blaustengler?" "Sehr wohl!"
Fazit des Spektakels: Zwei Mann mussten mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus.
Ungefähr fünf bis sechs Mann nahm die Polizei mit. ... Mein Gast war bedient.
Das Celloübungsprogramm war für jenen Tag im Jahr 1980 erledigt. Ich wollte mit Kommilitonen wie üblich noch einen Wein im Residenz-Café am Weimarer Schloss trinken, dem Resi. Auf meinem Heimweg gewahrte ich einen Spitz, der mich verfolgte.
Ich ging über den Markt, er war noch weit hinter mir. An der Schillerstraße vorbei zum Frauenplan war er etwas nähergekommen. Hinter dem Frauenplan, auf der Steubenstraße, war er schon fast hinter mir. Ich ging zum Engels-Ring und war am Sophienkrankenhaus, als er dicht hinter mir war. Ich vernahm ein bedrohliches Knurren. Was wolle dieser Hund von mir?
Ich kannte diesen Spitz nicht. Ich bekam es mit der Angst zu tun. War er des Teufels? Für einen Hund, den ich nicht kannte, war dies Verhalten sehr ungewöhnlich. Ich überquerte den Engelsring und wollte in meine Henßstraße einbiegen. Als der Hund nun auch den Engelsring überqueren wollte, wurde er von einem Auto erfasst und rannte heulend vor Schmerzen davon.
Nun verfolgte ich den Spitz und rannte ihm nach. Es war nun an mir, das Tier ein eine Tierklinik zu schaffen. Mir taten seine Schmerzen unsäglich leid. Doch ich bekam ihn nicht zu fassen.
Nach einigen Monaten in Zeitz kamen Franky und ich uns poco a poco näher. Ich bewunderte ihn wegen seines Zeichentalentes und ich wollte seine vielen Bühnenbildmodelle anschauen. Einige hatten sogar Licht. Es war wie eine Miniwelt.
Wir kamen in tiefe Gespräche. Ein Mann, der so viele schreckliche Dinge erlebt hatte, zog mich in seinen Bann. Franky hatte einen dichten Schnauzer und ein markantes Baggerkinn. Wenn er erzählte, kam es mir so vor, als ob ein Ungeheuer vor mir saß.
Ich wußte nicht, ob ich Sympathie empfand oder nicht. Er war ja selber eine Spreng-Granate. Einmal, auf einem meiner Besuche, verspürte ich Hunger und fragte, ob er eine Stulle für mich hat. Natürlich hatte er 'was zu essen. Er ging in die Küche und kam mit einer mit Schinken belegten Stulle heraus. Der Schinken war schon grün und ranzig. Ich biss ab, es schäumte. Mir wurde schlecht und ich sagte, dass man das nicht mehr essen kann. Er nahm die Stulle und fraß sie auf: "Sie schmeckt wunderbar."
Er wußte auch nicht so recht, ob sie damals im Krieg Verbrechen begangen hatten oder nicht: Franky war auf eine gewisse Art abgestumpft.
Auf die Frage eines Jazz-Kollegen, wie er eine bekannte Tänzerin fand, antwortete er: "Ich hatte so einen bleiernen Geschmack im Mund, wie kurz vor der Erschießung." Na ja, er war der Krieg.
Ich weiß nicht, ob Franky noch lebt. Er bezog dann in Berlin-Pankow noch seine Rente als Korea-Veteran.
Es war mal eine Zeit, als es in der kleinen Stadt Zeitz noch ein Theater gab und ein lustiges Treiben auf dem Theaterhof sich jeden Tag aufs neue manifestierte. Selbst die Tauben waren davon beeindruckt und fingen immer ein Gurren an, wenn sich das Theater belebte. Frau Schulz hatte ihr Küchenfenster dem Theaterhof zugewandt und auch sie hatte ihre rechte Freude am Leben im Theaterhof. Die Sänger, buntgeschmückt, hatten immer einen kräftigen “Möhrensaft” als Gesangsetüde auf den Lippen.
Kobolde hatten nicht selten an Theatern und ähnlichen Einrichtungen Quartier bezogen und betrieben so manchen Schabernack. So zum Beispiel sorgte unser Zeitzer Theaterkobold für seltsame Unstimmigkeiten im Orchester und auf der Bühne: Orchestermusiker verspielten sich mit einer bemerkenswerten Häufigkeit und die Sänger hatten oft einen Frosch im Hals.
Nun ging es auf Weihnachten zu. Frau Schulz hatte ihr Küchenfenster sowie das Fensterbrett gereinigt, als ein ehrenwertes Mitglied des Orchesters starb. Es war unser beliebter Klarinettist Erich. Unser Kobold beobachtete dies und ließ sogleich seinen Schalk walten und veranlasste Frau Schulz, einen Klarinette spielenden Holzengel zu kaufen - nicht, weil sie das wollte, sondern es war der Zauber des Kobolds, welcher sich nun kichernd den Bauch hielt und im Theaterkeller verschwand. Ein anderes Mal starb ein Geiger und sogleich hatte Frau Schulz einen Geige spielenden Holzengel gekauft. Alle diese Holzengel fanden auf dem Küchen-Fensterbrett Platz. Bald darauf starb auch ein Bassist und sogleich gesellte sich ein Bass spielender Holzengel dazu. Weil das Orchester vornehmlich aus alten Musikern bestand, starben sie, so will es die Natur, nur so dahin und Frau Schulz kaufte immer ganz instinktiv die richtigen Holzengel.
So hatte nun mittlerweile das halbe Orchester in Form von musizierenden Holzengeln auf ihrem Küchen-Fensterbrett Platz gefunden. Als das der Kobold gewahrte, war er zufrieden und verschwand so schnell, als wie er kam. Er hatte seine vorweihnachtlichen Streiche vollbracht.
Es war Advent und es ging auf Heiligabend zu und wenn man bei Frau Schulz in der Küche sehr leise war, hörte man vom Küchen-Fenster her leises Säuseln und Tuten. Wenn man ganz ganz leise war und viel Fantasie hatte, vermeinte man sogar Orchestermusik zu hören. So zum Beispiel “Peter und der Wolf” von Prokofjew. Wenn man aber ganz ganz ganz leise war, hörte man die Nussknacker-Suite von Peter Tschaikowskij … Nun ja … Die Tauben gurrten von den Dächern, als ob nichts geschehen wäre. Soweit meine Zeitzer Weihnachtsgeschichte.
Ein paar Worte muss ich voran schicken. Es war 1979. Ich war im ersten Studienjahr in Weimar an der Franz Liszt Hochschule für Musik.
Zu jener Zeit arbeiteten viele Vietnamesen in unserer damaligen DDR. Sie verdienten ihr Geld, um es in Mopeds umzusetzen. Diese wurden zerlegt, um nach Vietnam geschickt zu werden. Vietnam ist das Land für Zweiräder jeglicher Art.