Engelsaugen - Gerdi M. Büttner - E-Book

Engelsaugen E-Book

Gerdi M. Büttner

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Beschreibung

Engel Jonah kommt zur Erde um die gefallenen Engel Dante und Morgana in ihrem Kampf gegen eine Sekte zu unterstützen. Kopf dieser Sekte ist der Dämon Gregory Satorios, ein uralter Todfeind Jonahs. Vor über zwanzig Jahren verhinderte ein kleines Mädchen mit Engelsaugen Jonahs endgültigen Sieg über den Dämon. Bei seinen Recherchen trifft er das inzwischen zur Frau gereifte Kind unvermutet wieder. Doch was hat die wunderschöne Frau mit den Augen eines Engels mit dem Dämon zu tun?

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Es ist ganz einfach.

Wenn wir es wollen, dann gibt es Engel.

Und wenn die es wollen,

dann haben sie auch Flügel.

Wolfgang J. Reus (1959-2006)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Jonah

Kapitel 2: Dante und Morgana

Kapitel 3: Die Verbannung

Kapitel 4: Sturz aus dem Himmel

Kapitel 5: Die Sekte

Kapitel 6: Die Frau mit den Engelsaugen

Kapitel 7: Isabella

Kapitel 8: Nachforschungen

Kapitel 9: Ein himmlischer Auftrag

Kapitel 10: Satorios Versteck

Kapitel 11: Enttarnt

Kapitel 12: Ein riskantes Versprechen

Kapitel 13: Rettung oder Falle?

Kapitel 14: Wo ist Jonah?

Kapitel 15: In der Hölle

Kapitel 16: Vereint

Kapitel 17: Ausgeliefert

Kapitel 18: Zuflucht

Kapitel 19: Hilfe von oben

Kapitel 20: Die Entscheidung

Kapitel 21: Menschenengel

Kapitel 1: Jonah

Jonah schob seine Sonnenbrille nach oben in seine blonden Haare, bevor er die düstere Bar betrat. Mit schnellem Blick checkte er den Laden und ging dann zu einem der hinteren Tische, der in einer schummerigen Nische stand. Er kannte Dantes Vorliebe für düstere Orte, weshalb er nie lange nach ihm suchen musste. Er brauchte nur immer den finstersten Teil einer Location auszumachen, um seinen Freund zu finden. In dem Schuppen war so früh am Abend noch nicht viel los, zwei Männer saßen an der Theke und starrten in ihr Bier und eine Blondine mit üppigen Brüsten räkelte sich träge an der Stange. Sie musterte Jonah mit schnellem Blick, doch da er nur flüchtig zu ihr hinschaute bevor er vorüber ging, beließ sie es bei ihren kräfteschonenden Bewegungen. Die Nacht war schließlich noch lang.

„Deine Auswahl unserer Treffpunkte wird auch immer schlechter“, murrte Jonah, während er sich einen Stuhl beizog um sich seinem Freund gegenüberzusetzen. „Geht dir das Geld aus? Ich greif dir gern unter die Arme, du musst es bloß sagen.“

„Ich werde bei Gelegenheit darauf zurückkommen, aber momentan reicht‘s noch, danke“

Dantes Zähne blitzten für einen Moment auf, als ihn ein Lichtstrahl der Discokugel streifte, die sich über der Tänzerin an der Decke befand.

„Der Whisky hier ist jedenfalls fabelhaft, der beste in der ganzen Stadt. Musst du unbedingt probieren.“

Er bestellte zwei Whisky bei dem Barkeeper, der auf leisen Sohlen an den Tisch getreten war. Erst als die Getränke vor ihnen standen, sprach er wieder.

„Es gibt einen neuen Auftrag für uns. Morgana hat ihn heute von der Zentrale erhalten. Sie meint es wäre besser, wenn du dich von Anfang an mit einklinkst. Später machst du es ja sowieso.“

„Was ist das für ein Auftrag, den ihr ohne mich nicht schafft?“

„Wir kämen schon ohne dich zurecht. Aber wenn du hörst wer da seine dreckigen Finger im Spiel hat…“

Jonahs Gesicht verhärtete sich, aus schmalen Augen schaute er Dante an und flüsterte: „Gregory?“

Dante flüstere ebenso zurück: „Genau, Gregory Satorios, der Teufel persönlich.“

„Ich bin dabei, wann geht es los?“, presste Jonah zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Gott, über zwanzig Jahre habe ich darauf gewartet, Satorios endlich doch noch das Handwerk zu legen. Ich dachte schon, er taucht nie wieder auf.“

Dante nickte nachdenklich, bevor er an seinem Whisky nippte. Genießerisch leckte er sich über die Lippen, dann antwortete er wie zu sich selbst:

„Hab mich darüber auch schon gewundert. Zugegeben, beim letzten Mal haben wir ihm ganz schön zugesetzt, wir konnten fast seine gesamte Armee zerschlagen und du hattest ihn bereits in die Enge getrieben. Wäre nicht dieses Mädchen gewesen…“

Jonahs Gesichtszüge verhärteten sich einen Moment und er biss knirschend die Zähne aufeinander als er an diesen, lange zurückliegenden Moment dachte. Doch er äußerte sich nicht dazu.

Stattdessen sprach Dante weiter

„Nun, anscheinend hat er sich inzwischen wieder völlig erholt, wenn er auch lange gebraucht hat. Jetzt ist er auf jeden Fall wieder da. Mit neuer Armee, aber in alter Mission.“

Jonah nickte grimmig. „Diesmal wird er nicht mehr entkommen. Trink aus und lass uns gehen. Ich hoffe, du hast mein Zimmer bereits gut durchgelüftet. Ich werde für die Dauer unseres Einsatzes bei dir wohnen.“

„Du hast schon ewig nicht mehr bei mir gewohnt“, meinte Dante und klang nicht sehr begeistert. „Das Zimmer ist in Ordnung, doch die Kleidung in deinem Schrank dürfte nicht mehr ganz der heutigen Mode entsprechen.“

Jonah winkte ab. „Kleidung können wir morgen besorgen. Im Moment tun es die Sachen die ich anhabe. Also komm, lass uns aufbrechen. Wir müssen viel besprechen, aber nicht hier in dieser muffigen Bude.“ Er erhob sich und ging zur Bar, legte dem Keeper einen Schein auf die Theke und deutete mit einer Handbewegung an, dass er kein Wechselgeld wollte. Dante wartete bereits an der Tür auf ihn, gemeinsam traten sie in die Nacht.

„Hast du mir einen Wagen besorgt?“ Jonah schaute neugierig die Straße entlang.

„Natürlich, so wie du es wünschtest. Sonst hätte ich dich nicht hierher bestellt, sondern gleich zu mir nach Hause. Der Wagen steht in der Tiefgarage, zwei Straßen weiter.“ Er reichte ihm den Schlüssel. „Ist ein Porsche.“

„Oh schön, hoffentlich das neueste Modell. Soll ich dich mitnehmen.

„Nein, ich fliege, habe den Hund dabei. Wo treibt der sich nur wieder rum?“

Dante stieß einen leisen Pfiff aus und kurz darauf kam ein riesengroßer schwarzer Hund schwanzwedelnd auf sie zugelaufen. Er erkannte Jonah neben seinem Herrn und jaulte freudig auf, bevor er sich mit einem mächtigen Satz auf den Freund stürzte, den er lange nicht mehr gesehen hatte.

Obwohl Jonah eine beachtliche Größe von knapp zwei Metern hatte, reichten die mächtigen Pfoten des Hundes bis zu seinen Schultern. Seine große, warme Zunge fuhr Jonah übers Gesicht, was der mit einem Lachen quittierte.

„Na, wie es aussieht geht es dir gut, Barnabas, du siehst auf jeden Fall prächtig aus. Dann flieg mal mit Dante nach Hause, wir treffen uns dort.“

Sie trennten sich und Jonah ging zügig zu der Tiefgarage, in der der Wagen abgestellt war. Er konnte sich gar nicht mehr so richtig über den Sportwagen freuen, den Dante für ihn gemietet hatte. Seine Gedanken drehten sich ausschließlich um Gregory Satorios, seinen Erzfeind. Er hatte schon seit einer Ewigkeit nichts mehr von ihm gehört.

Ihren letzten persönlichen Kampf hatten sie beide nicht unverletzt überstanden. Satorios, bereits aus unzähligen Wunden blutend, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ein Duell mit Schwertern, Mann gegen Mann, war nicht die Art, die er normalerweise bevorzugte. Er ließ lieber andere für sich kämpfen und sterben und zog nur im Hintergrund die Strippen.

Jonah hatte ihn jedoch dazu gezwungen selbst zu kämpfen und Satorios schließlich gestellt. Da es um sein nacktes Leben ging, kämpfte der Dämon dann jedoch mit aller List und es war ihm gelungen, seinen Widersacher ebenfalls schwer zu verletzen.

Letztendlich hatte Jonah Satorios jedoch mit letzter Kraft in eine Ecke gedrängt und war im Begriff gewesen, ihm sein Schwert auf die Brust zu setzen. Nur ein einziger Stoß wäre nötig gewesen um die Menschheit endlich von einem der schlimmsten Dämonen zu befreien. Doch es sollte nicht dazu kommen. Ein kleines Mädchen hatte verhindert, dass er Satorios den Todesstoß versetzen konnte.

Wo die Kleine plötzlich hergekommen war, wusste Jonah bis heute nicht zu sagen. Auf einmal stand sie neben ihm und schaute aus großen, unschuldigen Augen, die die Farbe eines türkisblauen Sees hatten, zu ihm auf. Für den Bruchteil einer Sekunde war er abgelenkt gewesen und Satorios hatte die winzige Chance genutzt, nach dem Mädchen gegriffen, es an sich gerissen und als Schutzschild benutzt, indem er es vor seine Brust hielt. Vor sein Herz, der einzigen Stelle, an der er tödlich verwundbar war.

Kriechend war er seitlich weggerobbt, das Mädchen fest an sich gepresst. Wohl wissend, dass sein Widersacher das Kind niemals opfern würde.

Machtlos hatte Jonah mit angesehen, wie sein größter Feind sich langsam von ihm entfernte. Noch immer starrten ihn die türkisblauen Augen des Mädchens an und er konnte Angst in ihrem Blick erkennen. Kurz darauf war Satorios mit ihr verschwunden.

Ohnmächtig vor Frust und Schwäche war er schließlich selbst zu Boden gesunken. Er hatte gespürt wie seine Kraft mit seinem Blut aus seinem Körper rann. Dann war es schwarz um ihn geworden.

Irgendwann war er wieder zu sich gekommen, wie lange er bewusstlos gewesen war konnte er nicht sagen. Doch sein Körper hatte die Zeit genutzt und sich selbst geheilt. Seine Kleidung waren jedoch hinüber, durchbohrt und zerschnitten vom Schwert seines Gegners. Seine Flügel waren in Ordnung, das hatte er durch ein schnelles Ausspannen und Zusammenziehen getestet.

Falls sie Verletzungen abbekommen hatten, so waren die ebenso wie sein Körper geheilt.

Er musste so schnell als möglich verschwinden, das war ihm klar gewesen, denn menschliche Zeugen konnte er nicht gebrauchen.

Schnell hatte er sich deshalb nochmals umgesehen, dann hatte er erneut seine Flügel ausgebreitet und war in seine Heimat, den Himmel, geflogen.

Kapitel 2: Dante und Morgana

Es wunderte Jonah nicht dass Dante und Barnabas schon vor dem Haus auf ihn warteten. Flügel waren allemal schneller als jeder Wagen.

Langsam ließ er das Auto in die Garage rollen, deren Tor Dante schon für ihn geöffnet hatte. Er parkte neben den Fahrzeugen von Dante und Morgana und stieg aus. Sein Blick schweifte kurz durch das düstere Gewölbe, dass einmal der Keller des mittelalterlichen Hauses gewesen war. Fröstelnd zog er die Schultern hoch, als Wesen des Lichts hasste er düstere, kalte Räume. Eilig zog er den Schlüssel ab und verließ die Garage. Barnabas stürzte sich sofort auf ihn, um ihn erneut zu begrüßen und Jonah ließ es lachend zu. Er liebte dieses Riesenmonster mit der Seele eines Schoßhundes und übersah großzügig die Spuren von Erde, die Barneys Riesentatzen auf seiner Jacke hinterließen. Endlich befand der Hund es sei genug, mit weit aufgerissenem Maul ließ er sich zu Boden fallen und schaute hechelnd zu Jonah auf. Es sah aus, als würde er vor Freude über den lange vermissten Besucher lachen.

Jonah blieb noch einen Moment stehen und musterte das alte Gebäude. Es war trotz der Jahrhunderte, die es auf dem Buckel hatte, noch immer bestens im Schuss. Dante hatte es im späten Mittelalter einem geldgierigen Schultheis beim Würfelspiel abgeluchst, der es sich zuvor von einer Witwe hatte überschreiben lassen. Zuvor hatte er der älteren Frau gedroht, er würde sie als Hexe anklagen und in den Kerker werfen lassen, wenn sie ihm ihr Haus nicht abtreten würde. Kurz nach der Übereignung ihres Hauses an den Schultheis hatte sich die alte Frau im Wald erhängt, da sie nicht wusste wo sie unterkommen konnte.

Dante war zu der Zeit noch ziellos umhergereist, er hatte die Frau entdeckt und ihren Leichnam begraben. Auch wenn er ein gefallener Engel war, konnte er sich noch immer mit den Seelen unterhalten. Er hatte der Frau versprochen, ihren Tod zu ahnden und dem Schultheis das Haus wieder abzunehmen. So war es geschehen dass Dante durch ein Würfelspiel zu dem Haus kam und sesshaft wurde. Der Schultheis war kurz darauf einer mysteriösen Krankheit zum Opfer gefallen.

Extra für seinen Besucher hatte Dante alle Lichter in Haus und Hof angeschaltet. Engel mochten es hell, denn im Himmel gab es keine Finsternis. Dante selbst und seine Lebensgefährtin Morgana fühlten sich inzwischen auch im Dunkeln wohl, sie hatten sich gut an das Erdenleben angepasst.

Dante begleitete Jonah zum Gästezimmer, dass er bereits vor Jahren speziell auf dessen Bedürfnisse hatte ausbauen lassen. Es war hell und freundlich eingerichtet, besaß einen großen Balkon, weiße Möbel, Teppiche und Vorhänge. Auch das Badezimmer erstrahlte in reinstem Weiß.

„Alles unverändert, wie ich es dir versprochen habe.“ Mit theatralischer Geste öffnete Dante die Zimmertür und ließ seinen Gast eintreten. Er selbst blieb im Flur stehen.

„Ich habe die Putzfrau kommen lassen, damit sie das Zimmer für dich vorbereitet und durchlüftet. Ich hoffe es ist zu deiner Zufriedenheit.“

Jonah schaute sich kurz um und nickte.

„Danke, alles Bestens“, gab er zur Antwort und kam wieder zur Tür.

„Lass uns wieder nach unten gehen, wir haben viel zu besprechen. Morgana ist hier, vermute ich?“

„Hmm, sie wartet unten auf uns“, gab Dante wortkarg zur Antwort und ging eilig auf die Treppe zu. Jonah folgte ihm und grinste in sich hinein.

Eigentlich war es Morgana und Dante per himmlischem Befehl verboten auf der Erde als Paar zusammenzuleben. Und er, Jonah, hatte unter anderem die Aufgabe darauf zu achten, dass sie diesem Befehl Folge leisteten.

Deshalb tat er immer so als wäre es für ihn eine Selbstverständlichkeit dass Morgana nicht hier wohnte, sondern ihre eigene Wohnung hatte. Dante hingegen vermied es hartnäckig zu gestehen, dass sie schon seit ewigen Zeiten hier zusammenlebten.

Jonah hingegen vergaß es jedenfalls regelmäßig und natürlich rein zufällig darüber Auskunft zu geben, wenn er zum himmlischen Rapport gebeten wurde. Denn er gönnte seinen Freunden von ganzem Herzen ihr Liebesglück. Dante und Morgana hatten so viel verloren, als sie wegen eines dummen Fehlers aus dem Himmel verstoßen worden waren. Er konnte sie nicht auch noch ihrer Liebe berauben.

Das Treppenhaus befand sich noch im Originalzustand. Die Treppe war aus dunkel gebeiztem Holz, die rauen Wände, die in Beigetönen gestrichen waren, zierten alte Bilder in dunklen Rahmen und mit düsteren Motiven. Dazwischen hingen ein paar uralte Lampen, die jedoch wie Jonah wusste, mit modernen Leuchtkörpern bestückt waren. Unten im Wohnzimmer sorgte indirekte Beleuchtung für sanftes Licht. Es brachte die uralten Möbel besonders zur Geltung. Auf dem Tisch flackerten ein paar Kerzen. Dahinter in einem Sessel saß eine wunderschöne Frau, die Jonah strahlend anlächelte. Er ging auf sie zu und sie erhob sich und streckte ihm die Arme entgegen.

„Morgana, schön, dich wiederzusehen. Du siehst bezaubernd wie immer aus.“

Er drückte die rassige rothaarige Schönheit an seine Brust und küsste sie rechts und links auf die Wangen. Seine blauen Augen ruhten voller Zuneigung auf den edlen Gesichtszügen von Dantes Gefährtin. Wie immer, wenn er sie ansah, durchzuckte ein wehmütiger Stich sein Herz. Viele Jahrtausende waren er und Dante im Himmel ein unschlagbares Freundesteam gewesen. Dann hatte Dante Morgana kennengelernt und war dem Liebreiz der jungen Engelin verfallen. Wegen ihr hatte er die himmlischen Gebote übertreten, was eine schreckliche Katastrophe ausgelöst hatte. Zur Strafe wurden die Beiden des Himmels verwiesen und dazu verdammt, tausend Jahre auf der Erde zu verbringen. Als gefallene Engel trugen sie nun schon seit mehr als sechs Jahrhunderten ihre Schuld ab, indem sie das Böse auf der Erde bekämpften.

Sechshundert Jahre waren im Himmel nicht mehr als ein Flügelschlag, aber auf der Erde eine unglaublich lange Zeit die unendlich langsam verstrich. In ihrer himmlischen Heimat gab es weder Sekunden, Tage, noch Monate oder Jahre. Es zählte nur der Augenblick. Hier, auf der Erde, ging nichts ohne Zeit, alles war eingeteilt in zeitliche Begrenzungen.

Die einzige Gnade, die das himmlische Gericht Morgana und Dante zugestanden hatte war, dass sie während ihres Erdendaseins nicht alterten, nicht krank wurden und nicht sterben konnten. Doch das war nur ein geringer Trost. Jonah hatte darum gebeten seine Freunde auf die Erde zu begleiten, das war ihm jedoch nicht erlaubt worden, da er im Himmel unentbehrlich war. So hatte er zumindest darauf bestanden als Mittelsmann zwischen seinen Freunden und dem Himmel zu fungieren, was ihm schließlich gewährt wurde. Seither kam er, sobald sie ihn riefen, um mit ihnen gemeinsam das Böse zu bekämpfen.

„Was habt ihr für mich?“ wollte Jonah wissen, als sie es sich alle auf den Sesseln gemütlich gemacht hatten. Dante schenkte großzügig seinen Lieblings-Whisky in uralte Gläser und prostete Morgana und Jonah zu.

Nachdem alle getrunken hatten begann Morgana zu sprechen. Sie hatte einen dicken Ordner vor sich auf dem Tisch liegen und ihr Laptop stand bereit, denn ohne die menschlichen Hilfsmittel kamen auch gefallene Engel auf der Erde nicht aus. Um immer auf dem neuesten technischen Stand zu sein, mussten Morgana und Dante ständig dazulernen. Das fiel ihnen jedoch leicht, da sie alles in ihrem Gedächtnis speicherten was sie hörten, sahen oder lasen. Auch beherrschten sie die Bedienung aller möglichen Geräte im Nu.

Wenn Jonah sie wegen eines Falles besuchte, bei dem sie seiner Hilfe bedurften, musste er meist einen Schnellkurs im Bedienen der neuesten technischen Geräte machen. Im Himmel benötigte er derlei Gerätschaften nicht. Und da es oftmals Jahre oder gar Jahrzehnte dauerte, bis er wieder zur Erde kam, hatte sich immer vieles verändert.

Es waren ungefähr zwanzig Jahre vergangen, seit er ihnen zuletzt einen Besuch abgestattet hatte, deshalb würde es nötig werden ihn erneut über die neuesten technischen Errungenschaften der Menschheit zu informieren. Doch das hatte noch Zeit. Den neuen Fall zu besprechen, hatte erst einmal Vorrang.

Morgana nahm den Ordner vom Tisch und klappte ihn auf. Er war noch nicht sehr dick, es befanden sich erst ein paar Seiten darin. Obenauf lagen Fotos von Personen, die ganz offensichtlich nicht bemerkt hatten, dass sie fotografiert wurden. Manche Bilder waren etwas verschwommen, weil sie aus größerer Entfernung aufgenommen waren.

Morgana, die eine meisterliche Fotografin war, hatte von jeder Person mehrere Aufnahmen geschossen. Sie breitete alle vor Jonah auf dem Tisch aus.

„Das sind die Männer, deren Gesichter du dir gut merken solltest“, begann sie zu erklären. „Namen dazu gibt es leider noch nicht, aber die werden wir hoffentlich bald erfahren. Dieser Kerl hier“, sie tippte mit ihrem perfekt manikürten Fingernagel auf das Bild eines dunkelhaarigen Mannes mit düsterem Blick, engstehenden Augen und dichten Augenbrauen, „scheint das Sagen zu haben. Aber da er ein Mensch ist, kann er nicht allzu viel Einfluss haben. Es muss jemand geben der befiehlt was gemacht wird. Einen Dämon.“

Sie blickte Jonah an und fuhr fort:

„Du kannst dir denken wie es abläuft, es ist immer dasselbe Spiel. Sie gründen eine Sekte und machen sich zuerst an diejenigen heran, die mit ihrem Leben unzufrieden sind. Sie sammeln Seelen für die Hölle. Aber ihr Ziel ist es nach und nach alle Menschen der Stadt in ihren Bann zu ziehen. Sie haben die Absicht die Politik und die Kirchen zu unterwandern, um sich langsam immer weiter vorzuarbeiten.“

„Nun, das versuchen sie ja schon seit ewigen Zeiten“, wandte Jonah mit einem Achselzucken ein. „Doch meist gelingt es euch auch ohne mich ihre Organisation zu zerschlagen..“

Dante winkte sorglos ab.

„Deshalb hätten wir dich auch nicht gerufen. Doch es geht das Gerücht um, dass nicht irgendein Dämon der Kopf dieser Sekte ist, sondern dein größter Feind Gregory Satorios. Nach dem Kampf mit dir vor mehr als zwanzig Jahren ist er nun überraschend wieder aufgetaucht. Hatte lange gebraucht um seine Wunden zu lecken. Vielleicht ist er bei seinem Boss Satan in Ungnade gefallen und musste in der Hölle schmoren. Doch jetzt scheint er noch einmal eine Chance bekommen zu haben, seine Fehler endlich zu bereinigen“.

Morgana tippte auf ein weiteres Bild, das ebenfalls einen Mann zeigte. Er hatte ein schmales Gesicht, schüttere fahle Haare und einen verschlagenen Blick. „Diesen netten jungen Mann mit dem Namen Paul haben wir überredet, für uns in der Gruppe zu spionieren. Er ist eine ruhelose Seele, die ihren Weg in den Himmel erst noch finden muss. Im Leben war er ein kleiner Gauner und Betrüger und starb bei dem Versuch einer alten Frau ihr Erspartes abzuluchsen. Sie hat ihn durchschaut und die Polizei eingeschaltet. Als die Beamten ihn festnehmen wollten lief er bei Rot über die Straße und wurde von einem Auto erfasst und getötet. Wir haben ihm versprochen seine Seelenwanderung zu unterstützen wenn er uns hilft. Du kennst das Spiel ja.“

Jonah nickte kurz und prägte sich den Mann ein. Es gab viele dieser ruhelosen Seelen auf der Erde. Meist waren es Selbstmörder. Oder sie hatten große Schuld auf sich geladen und fanden deshalb keinen Frieden. Die Menschen nannten diese unglücklichen Seelen Geister und fürchteten sich oft vor ihnen.

Beim Kampf der Engel gegen das Böse erwiesen sich solche Geister aber oft als wertvolle Helfer. Sie bekamen vorübergehend ihren Körper zurück und dienten meist als Informanten oder Mittler. Die Engel dankten den Seelen für diese Hilfe, indem sie ihnen einen Teil ihrer Schuld erließen und ihnen so den Weg in den Himmel ebneten.

Für Jonah war das Schicksal dieser Seele momentan jedoch unwichtig. Viel mehr interessierte ihn, dass sein Erzfeind Satorios wieder aufgetaucht war. Der unbefriedigende Ausgang ihres Kampfes nagte noch immer an ihm. Ebenso die Frage, was wohl aus dem kleinen Mädchen geworden war, dass durch sein unvermutetes Auftauchen Satorios das Leben gerettet hatte. Noch immer konnte er sich an den erschrockenen Blick aus den türkisblauen Augen erinnern. Wäre er nicht so schwer verwundet gewesen, so hätte er nachgeforscht, ob Satorios ihr etwas angetan hatte. Doch obwohl seine Heilung schnell vorangeschritten war, hatte er das Menschenkind aus den Augen verloren.

Kapitel 3: Die Verbannung

Ihr Gespräch zog sich in die Länge und es war schon fast Morgen, als Jonah sein Zimmer betrat und sich aufs Bett fallen ließ. Er war nicht müde, denn Engel kannten weder Müdigkeit noch Schlaf. Doch wenn er auf der Erde weilte genoss er durchaus die kleinen Annehmlichkeiten, die Menschen ersonnen hatten. Das breite, gemütliche Bett gehörte ebenso dazu, wie eine warme Dusche, ein leckeres Essen oder Getränk. Und natürlich Auto fahren.

Auto fahren gefiel ihm ganz besonders gut, deshalb nahm er sich auch jedes Mal einen sportlichen Leihwagen, sobald er auf der Erde gelandet war. Obwohl er mit seinen Flügeln wesentlich schneller an jedem Ort ankam. Doch wenn er es nicht eilig hatte, so fuhr er mit dem Auto.

Für Morgana und Dante war Auto fahren längst ein Muss. Da sie inmitten der Menschen lebten, mussten sie sich ihnen in jeder Hinsicht anpassen, damit sie nicht auffielen.

Nach einer Weile stand Jonah wieder auf und ging ins Bad. Immer wenn er auf der Erde war nahm sein Körper die Eigenschaften eines menschlichen Körpers an. Er spürte Hunger und Durst und wenn er etwas gegessen oder getrunken hatte, musste er zur Toilette. Er fand das ziemlich lästig, genau wie das Zusammenpressen seiner Flügel unter der Kleidung. Nachdenklich blickte er in den Spiegel und schnitt sich selbst eine Grimasse. Eigentlich war sein Engelsgesicht zu schön für die Welt, das hatte er schon öfter erfahren müssen. Dort wo er herkam war es selbstverständlich ein glattes, makellos schönes Gesicht zu haben. Es gab weder Krankheiten, die es entstellen konnten noch Unfälle oder gar körperliche Gewalt. Und auch keine Alterung.

Da er zu den Wächterengeln gehörte, die den Himmel gegen Eindringlinge schützten, kam es immer einmal vor, dass ihm im Kampf eine Wunde zugefügt wurde. Was im Himmel kein Problem war, da sein Ätherkörper sich sofort regenerierte. Wenn er jedoch auf der Erde kämpfte, so konnten seinem Körper schlimme Verletzungen zugefügt werden, Wunden die bluteten und schmerzten, ja er konnte sogar getötet werden. In diesen Fällen verließ seine Engelseele sofort den Körper und kehrte ins Himmelreich zurück, wo sie schnell heilen konnte. Sein verlassener Körper löste sich innerhalb kurzer Zeit auf und nichts blieb zurück.

Während er noch immer in den Spiegel starrte zog Jonah das legere Shirt über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen. Er trug nichts darunter. Wohlig dehnte er seine Schultern und entfaltete langsam seine Flügel. Es war eine Wohltat sie zu ihrer ganzen Fülle zu entfalten. Im strahlenden Weiß ragten sie über seinen Kopf und neben seinen Armen hervor.

Es dauerte immer eine Weile bis er sich wieder an die Kleidung gewöhnt hatte, wenn er zur Erde kam. In seiner Heimat brauchte er keine einengenden Stoffe, da er dort keinen Körper aus Fleisch und Blut besaß. Engel waren ätherische Geschöpfe, für niemand sichtbar außer Ihresgleichen. Sie besaßen zwar Flügel, doch fliegen mussten sie im Himmel nicht. Die Kraft ihrer Gedanken reichte aus um sie an jeden beliebigen Ort zu bringen. Nur wenn er einen menschlichen Körper annahm, benötigte er seine Schwingen. Sie brachten ihn mühelos und sehr schnell voran. Für Menschen waren sie jedoch unsichtbar.

Jonah verließ das Bad und öffnete die Balkontür. Die morgendliche Kühle störte ihn nicht, er setzte sich auf den Liegestuhl und schaute zu, wie der neue Tag langsam die Dunkelheit vertrieb.

Morgana und Dante schliefen, als gefallene Engel mussten sie sich dem menschlichen Leben anpassen. Ihr Schicksal berührte ihn noch immer, und noch immer empfand er die Strafe für ihr Vergehen als zu hart. Tausend Jahre auf der Erde leben zu müssen war so ziemlich das Schlimmste, was einem Engel passieren konnte. Nur die endgültige Verbannung war noch schlimmer.

Die Beiden meisterten ihr Erdendasein jedoch besser als er erwartet hätte. Sie hatten ihre Strafe akzeptiert und sich geschworen, dass sie nach ihrem Ablauf wieder in den Himmel zurückkehren würden.

Jonah bewunderte sie für ihre Hartnäckigkeit, er hatte schon viele auf die Erde verbannte Engel scheitern sehen. Einige nahmen sich sogar aus Verzweiflung das Leben, was ihren Seelen die Rückkehr in den Himmel auf ewig verwehrte.

Für Morgana und Dante würde es nicht so enden, da war sich Jonah sicher. Trotzdem war er immer froh wenn sie ihn anforderten, damit er sie bei einer Mission unterstützte. Dann konnte er sich persönlich versichern, dass es ihnen gut ging. Seine Gedanken schweiften ab zu jenem schicksalhaften Tag, der Morgana und Dante, aber auch ihn ins Verhängnis führte…

Alles begann wie immer. Dante und Jonah, deren himmlische Namen Durantus und Jonathas waren, traten ihren Dienst an den himmlischen Pforten an und lösten zwei andere Engel ab, deren Dienst beendet war. Die Beiden berichteten ihnen kurz von den Vorkommnissen an den Pforten, dann verabschiedeten sie sich.

Die Himmelspforten waren ein gesonderter Bereich im Universum, der besonders geschützt werden musste. Nur Engel die sich bewährt hatten waren ausersehen, diese Grenze zwischen den Universen zu schützen. Dafür mussten sie eine lange Ausbildung absolvieren und mehrere Prüfungen erfolgreich bestehen, denn Wächter konnten nur die Besten werden. Durantus und Jonathas leisteten diesen Dienst schon seit Jahrtausenden.

Wie immer zu Dienstbeginn überprüften sie sorgfältig die Grenzen der Pforten, damit sich kein Unbefugter dort aufhielt. Doch es war alles ruhig und friedlich.

Manchmal kam es vor dass sich eine unwissende neue Seele hierher verirrte, die eigentlich auf dem Weg in den Vorhimmel war, wo sie von Engeln zu ihrem Leben befragt wurde. Dann wiesen sie ihr gerne den Weg.

Ihre vordringliche Aufgabe war es aber Kreaturen aus der Hölle daran zu hindern in den Himmel einzudringen. Sie kamen plötzlich in gewaltigen Scharen aus dem Nichts und versuchten sich mit ihren höllischen Waffen den Weg in den Himmel zu erkämpfen. Es lag an den Wächtern der Pforten sie rechtzeitig zu entdecken und die kriegerischen Heerscharen zusammenzurufen, um die Eindringlinge zu eliminieren.

Manchmal tarnten sich Satans Handlanger aber auch als Engel um sich an junge, unerfahrene Engelnovizen heranzumachen und sie zum Bösen zu bekehren. Dann sagten sich die abtrünnigen Engel vom Himmel los um dem Verführer in die Hölle zu folgen. Damit falsche Engel schon vor der Pforte enttarnt werden konnten brauchte es aufmerksame Wächter.

Während Jonathas‘ und Durantus‘ Dienst war es noch keinem Höllenwesen gelungen sich einzuschleichen.

Was auch an Durantus‘ Hund Barnabas lag, der ein untrügliches Gespür für Geschöpfe der Hölle besaß.

Sobald sie ein Höllenwesen enttarnten war es ihre Aufgabe es zu eliminieren. Deshalb trugen sie Schwerter bei sich, die an Erzengel Michaels Schwert geschliffen worden waren. Schon eine leichte Berührung reichte aus und der Dämon ging in Flammen auf.

An jenem unglückseligen Tag hatte Durantus nach einer Weile beschlossen die Grenzen, gemeinsam mit Barnabas, nochmals zu überprüfen. Das war eigentlich nichts Ungewöhnliches und gehörte zu ihren Pflichten. Dennoch hatte Jonathas ein ungutes Gefühl dabei empfunden.

Er ahnte dass sein Freund etwas anderes im Sinn hatte, als die Überprüfung der Grenzen. Er kannte ihn zu gut als das er nicht gewusst hätte dass Durantus ein heimliches Stelldichein mit der schönen Morgana hatte. Leise seufzend hatte er sich umgedreht und den Horizont überprüft ob Gefahr in Verzug war.

Bis vor kurzem waren er und Durantus ein eingespieltes Team gewesen. Sie hatten stets gut zusammengearbeitet, auch als vor einiger Zeit eine Horde von Höllenwesen in Gestalt verirrter Seelen einzudringen versuchte. Barnabas konnten sie jedoch nicht überlisten, er hatte Alarm geschlagen und sie waren zu dritt der Höllenschar entgegengetreten. Gegen ihre Feuerschwerter hatten die Dämonen keine Chance gehabt, einer nach dem anderen waren sie durchbohrt worden und als brennende Fackeln zur Erde gestürzt. Kurz nach diesem Kampf war Morgana zu ihnen gekommen, sie hatte die Prüfungen der Wächterseminare mit Bravour bestanden und wurde ihnen als Verstärkung zugeteilt. Durantus war sofort Feuer und Flamme für die junge Kollegin und sie erwiderte seine Zuneigung. Da beide ihrer Arbeit weiterhin gewissenhaft nachgingen, hatte Jonathas nichts gegen ihre Verbindung.

Doch dann wurde Morgana plötzlich zu den Wachen versetzt, die den himmlischen Rat beschützten. Mit der lapidaren Begründung, sie würde dort dringender gebraucht.

Durantus mutmaßte jedoch dass einer der Räte ein Auge auf Morgana geworfen habe und sie deshalb in seiner Nähe haben wolle. Er war außer sich.

Jonathas konnte den Freund gut verstehen, Morgana war ein sehr gut aussehender Engel. Ihr rotes Haar glich einer lodernden Flamme, ihr Gesicht war selbst für einen Engel überirdisch schön. Dazu besaß sie einen wundervollen Charakter, feinsinnigen Humor und ein glockenhelles Lachen, das rein und klar erschallte. Doch das Wichtigste war, dass sie Durantus genauso liebte wie er sie.

Gegen Liebe unter den Engeln war nichts einzuwenden, schließlich befanden sie sich im Himmel. Wo, wenn nicht hier, war der perfekte Ort für Liebende. Für himmlische Wesen gab es keinerlei Einschränkungen, wenn sich zwei Liebende gefunden hatten. Es gab weder Neid noch Eifersucht und jeder Engel freute sich mit dem Paar.

So hätte es jedenfalls sein sollen. Dennoch gab es jemand der den Beiden ihr Glück nicht gönnte, weil