Liebe Blut & Tod - Gerdi M. Büttner - E-Book

Liebe Blut & Tod E-Book

Gerdi M. Büttner

5,0

Beschreibung

Sina lernt den geheimnisvollen Burgherrn Midas von Walberg kennen und ist von ihm fasziniert. Auch er fühlt sich zu ihr hingezogen, doch er weiß, dass seine Liebe für Sina zur tödlichen Gefahr werden kann. Denn Midas ist ein Vampir und wird seit Jahrhunderten von seinem Erzfeind Zenon verfolgt. Dann entführt Zenon Sina . . .

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Inhaltsverzeichnis

Liebe Blut & Tod

Prolog (Anfang)

Kapitel 1: Ein unheimlicher Arbeitsplatz

Kapitel 2: Begegnung mit dem Burgherrn

Kapitel 3: Geistergeschichten

Kapitel 4: Ein ungebetener Gast

Kapitel 5: Gibt es Vampire?

Kapitel 6: In tödlicher Gefahr

Kapitel 7: Midas Beichte

Kapitel 8: Die Sünde des Vampirs

Kapitel 9: Verwirrte Gedanken

Kapitel 10: Liebesnacht mit dem Vampir

Kapitel 11: Entführt

Kapitel 12: Ohnmachtsgefühle

Kapitel 13: Rache

Kapitel 14: Eine heisse Spur

Kapitel 15: Kampf und Tod

Epilog (Ende)

Impressum

Liebe Blut & Tod

(erotischer Vampir-Roman) 

Prolog

März 1581

In der kleinen Kapelle war es kalt und düster. Einzig die Kerzen, die an den Seiten des aufgebahrten Sarges aufgestellt waren, erhellten ein wenig die trostlose Szenerie. Ihr Schein warf zuckende Lichter über das blasse Gesicht des jungen Mädchens, das in den weißen Kissen lag als ob es schliefe. Ihre wächsernen Finger waren ineinander gefaltet, ein Rosenkranz aus Perlen war darum gelegt.

Midas blieb einen Moment unter der Tür stehen, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, dann holte er tief Luft und ging langsam auf den Sarg zu. Die gemurmelten Gebete der beiden alten Frauen, die die Totenwache abhielten, drangen in seine Ohren doch er registrierte sie kaum. Sein Herz schmerzte vor Trauer um seine Verlobte und obwohl er sie vor sich liegen sah weigerte sich sein Verstand noch immer, ihren Tod zu akzeptieren.

In der Früh war ein Bote zur Burg seiner Eltern gekommen und hatte die Nachricht von Rosinas Tod überbracht. Er war sofort aufgebrochen, verwirrt und ungläubig. Und während er das Pferd zu Höchstleistungen anspornte hatte er versucht, zu verstehen was geschehen war. Wie in Trance hatte er Rosinas Vater zugehört, der ihm mit tränenerstickter Stimme zu erklären versuchte, was geschehen war.

„Ihr gutes Herz hat ihr den Tod gebracht“ hatte er unter Tränen gemurmelt und immer wieder den Kopf geschüttelt. „Dabei habe ich ihr ausdrücklich verboten ins Dorf zu den Kranken zu gehen. Die Leute sterben dort wie die Fliegen und niemand weiß warum. Die Krankheit macht vor niemandem Halt, kräftige junge Männer erliegen ihr ebenso wie Alte und Kleinkinder. Aber Rosina hat meinen strikten Befehl missachtet, sie schlich sich heimlich ins Dorf um den Kranken Essen und Medizin zu bringen. Das hat mir ihre Zofe unter Tränen gestanden. Als Rosina vor drei Tagen hohes Fieber bekam schickte sofort nach meinem Leibarzt. Doch er konnte ihr nicht mehr helfen, sie starb heute Nacht. Ihre letzten Worte galten dir, Midas. Sie versprach, dich eines Tages wiederzusehen und verließ uns mit einem Lächeln auf den Lippen.“ 

Tatsächlich meinte Midas, ein Lächeln auf den blassen Lippen der Toten zu erkennen und Tränen stiegen in seine Augen. Er wischte sie nicht weg, blinzelte nur um klarer sehen zu können und sank neben dem Sarg auf die Knie. Er war ihr jetzt ganz nah, und doch war sie so weit von ihm weg. Seine Tränen verwischten seinen Blick als er ihr starres Gesicht betrachtete und gaukelten ihm vor, sie lächle ihn tröstend an. Aber es gab keinen Trost für das, was er verloren hatte. Nie mehr im Leben würde er eine Frau so lieben wie er Rosa geliebt hatte.

Sie kannten sich schon seit ihrer Kindheit, bereits ihre Väter waren Freunde gewesen. Von beiden Familien wurde beschlossen, dass Midas, der Erstgeborene des Grafen zu Walberg Rosina, die älteste Tochter der Grafen zu Rheinau, ehelichen sollte.

In einem Monat hätte die Hochzeit stattfinden sollen. Eine Liebesheirat, trotz des Reglements und nicht gerade die Regel in der gesellschaftlichen Schicht, der sie beide angehörten. Aber Rosa und er hatten sich gemocht seit sie denken konnten und allmählich war zwischen ihnen tiefe Liebe entstanden. Noch gestern Abend, bevor er zu Bett ging hatte er Gott für das Geschenk dieser Liebe gedankt und darum gebetet, dass die Zeit bis zur Hochzeit schnell vergehen würde, damit Rosa endlich die Seine wäre. Doch plötzlich war alles nur noch ein ferner Traum, der nie Wirklichkeit werden würde.

Er beugte sich zu ihr herunter und seine Lippen streiften ihren kalten Mund. Wie gerne hatte er ihn geküsst und wie willig hatte sie ihn gewähren lassen. Jetzt waren ihre Lippen fest und starr wie Wachs und rochen nach Tod. Er zuckte leicht zurück. Das war nicht mehr Rosa, nicht mehr das junge Mädchen, das er so sehr geliebt hatte. Sie hatte ihn verlassen, war davongegangen, in eine Sphäre, in die er ihr nicht folgen konnte.

Eine Woche später traf Midas wieder auf dem Sitz seiner Familie ein. Die zurückliegenden Tage erschienen ihm wie ein endloser Alptraum aus dem er noch immer nicht erwacht war. Während der dreitägigen Aufbahrung und der anschließenden Beerdigung Rosinas hatte er kaum etwas zu sich genommen und auch nicht geschlafen. Tag und Nacht hatte er neben dem Sarg ausgeharrt und den gemurmelten Gebeten gelauscht. Doch selber beten konnte er nicht, das überwältigende Gefühl seines Verlustes ließ ihn zum ersten Mal in seinem Leben an der Gnade Gottes zweifeln. Und die tröstlich gemeinten Worte des Pfarrers kamen ihm wie blanker Hohn vor.

Nach der Beerdigung war er vor Erschöpfung zusammengebrochen und erst zwei Tage später wieder erwacht. Trotz vieler besorgter Ermahnungen hatte er sein Pferd satteln lassen um nach Hause zu reiten. Dort angekommen schloss er sich in seinem Zimmer ein, er wollte niemanden sehen. Das Essen, das die Diener vor der Tür abstellten, rührte er nicht an.

Währe nicht das verzweifelte Weinen seiner Mutter durch die Tür gedrungen, vielleicht hätte er sein Zimmer nie mehr lebend verlassen. Irgendwann siegte jedoch sein Verstand über die Trauer und er beschloss, wieder ins Leben zurückzukehren.

Seit Rosinas Tod war mehr als ein Jahr vergangen und Midas hatte sich zumindest äußerlich gut erholt. Er nahm wieder am Familienleben teil, wenn auch alle schmerzlich seinen Humor und seine fröhliche Ausgelassen­heit vermissten.

Als er am Morgen die Augen aufschlug, wusste er dass der Tag anstrengend werden würde. Man schrieb den 18. Juni, den Tag seines zwanzigsten Geburtstages und wie er seine Familie kannte würden alle nichts unver­sucht lassen, ihm diesen Tag so schön wie möglich zu gestalten.

Seufzend erhob er sich aus dem Bett und suchte den Nebenraum auf, in dem ein Diener schon alles für seine Morgentoilette bereitgestellt hatte. Das Wasser in der Waschschüssel war mit duftenden Kräutern versetzt und ein junger Bursche stand bereit, ihm bei der Rasur und dem Ankleiden behilflich zu sein. Midas hasste es, sich so bedienen zu lassen aber seine Eltern bestanden darauf. Schließlich konnte sich der zukünftige Graf zu Walberg nicht selbst rasieren und ankleiden wie ein gewöhnlicher Mann. Leise seufzend ergab er sich in sein Schicksal und setzte sich nieder.

Wie er bereits geahnt und befürchtet hatte wurde der Tag zu einer Prüfung seiner Geduld. Jeder der unzähligen Diener und Zimmermädchen die ihm begegneten wünschte ihm artig Glück und Gesundheit. Und er dankte jedes Mal mit einem freundlichen Lächeln. Dabei war ihm kaum zum Lächeln zumute. Seit Rosas Tod fühlte er sich innerlich seltsam leer und es fiel ihm schwer, das vor seiner Familie zu verbergen. Meist gelang es ihm nicht, das sah er an ihren besorgten Gesichtern.

Beim Abendessen machte Midas’ Bruder Ares plötzlich den Vorschlag: „Was hältst du eigentlich davon, wenn wir endlich unseren lange gehegten Plan ausführen und die Heimat unserer Mutter bereisen? Wir sind halbe Griechen, doch haben wir das Land unserer Vorfahren noch nie gesehen. Dabei lernen wir die Sprache bereit seit unserer Kindheit. Jetzt wäre die beste Gelegenheit, endlich zu erproben, was uns der Griechisch-Lehrer so lange zu vermittelt suchte.“

„Oh, das wäre wunderbar“, stimmte ihre Mutter sofort erfreut zu. Trotz der mehr als zwei Jahrzehnte die sie in Deutschland lebte, war ihr noch deutlich der griechische Akzent anzuhören. Sie hatte ihren Mann auf einer seiner Geschäftsreisen kennen- und lieben gelernt und war ihm nach der Hochzeit nach Deutschland gefolgt. Seither hatte sie ihr Heimatland nicht mehr wieder gesehen, was sie oft sehr schmerzte. Um ihr wenigstens ein klein wenig das Gefühl von Heimat zu geben gestattete ihr Gatte ihr, jedem ihrer Kinder einen griechi­schen Vornamen zu geben. Und da Helena zu Walberg einen großen Hang zur griechischen Mythologie hegte, bekamen ihre Kinder so ungewöhnliche Namen wie Midas, Ares oder Artemisia.

Midas schaute stumm in die Runde seiner Familie, die ihn mit hoffnungsvollen Blicken anstarrten. Sogar seine beiden jüngsten Geschwister, die mit ihren fünf und drei Jahren noch gar nicht verstanden um was es ging, blickten ihn so neugierig an, dass er lachen musste. Vielleicht, dachte er bei sich, war Ares’ Vorschlag ja gar nicht so schlecht. Eine lange abenteuerliche Reise würde ihn sicher auf andere Gedanken bringen.

Ares’ Vorschlag blieb das Thema an diesem Abend und schließlich willigte Midas ein. Alle waren begeistert und halfen eifrig beim Schmieden der Reisepläne. Als Midas später in seinem Bett lag wurde ihm bewusst, dass er zum ersten Mal seit Rosas Tod mehrere Stunden nicht an sie gedacht hatte. Und der Gedanke, endlich wieder Erwartungen in die Zukunft zu setzen, fühlte sich gut an. Die Reise nach Griechenland war beschlossene Sache und er hoffte, sie würde zu einem entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben führen.

Kapitel 1: Ein unheimlicher Arbeitsplatz

Kühler Wind blähte die Vorhänge auf und es schien, als dränge plötzlich ein eisiger Hauch ins Zimmer. Fröstelnd zog Sina die Decke enger um ihren Körper. Ihr schlaftrunkener Blick glitt zum Fenster, dessen Flügel weit geöffnet waren. Ein fahler, von Wolken umflorter Mond erhellte die kleine Turmkammer und warf Schatten der wehenden Vorhänge an die Wand, die wie tanzende Gespenster anmuteten. Erneut aufkommender Wind griff in die dürren Äste des uralten Baumes der bis herauf zu den Zinnen des Burgturms reichte, schüttelte seine dürren Zweige, so dass sie wie die Knochen eines Skeletts klapperten.

Geister, Skelette. Sina stieß ein unwilliges Lachen aus, es musste wohl an der seltsamen Umgebung liegen, in der sie sich befand, was sie an solchen Unsinn denken ließ. Gähnend schlug sie die Decke zurück, tastete mit nackten Füßen nach ihren Pantoffeln, fand aber nur einen. Mit der Hand suchte sie unter dem Bett, bis sie den zweiten zwischen den Fingern spürte. Er war so weit nach hinten gerutscht, dass sie sich verrenken musste um ihn zu erwischen.

Welch ein Glück, dass sie niemand sehen konnte, dachte sie belustigt und kicherte glucksend während sie sich den Pantoffel über die Zehen stülpte. Normalerweise wäre sie schnell barfuss zum Fenster gehuscht, doch der Gedanke an den modrigen, mit allerlei Flecken verzierten Teppich vor ihrem Bett hielt sie davon ab.

Mit einem leisen Seufzer schlurfte sie zum Fenster, griff nach dem altersschwachen Hebel um es zu schließen. Doch der Wind hatte sich schon wieder gelegt, merkte sie, so schnell wie er aufgebraust war, hatte er sich verzogen. Unschlüssig lehnte sie sich über die Brüstung, spähte nach draußen. Es war völlig windstill, genauso wie gestern Abend als sie zu Bett ging. Fast meinte sie, nur geträumt zu haben.

Verwirrt schaute sie nach unten, dorthin wo sich der vom Mondlicht erhellte Burghof erstreckte. Selbst von hier oben konnte sie erkennen wie verwildert er war. Bäume und Büsche hatten vermutlich seit Jahrzehnten keinen Schnitt mehr erfahren und die Wege waren längst von Unkraut überwuchert oder unter dicken Laubschichten verschwunden.

Trotzdem oder gerade deshalb machte der Garten einen verwunschenen Eindruck, was noch durch eine Eule verstärkt wurde, die vom Ast eines Baumes abhob und lautlos davonflog. Sina verfolgte das Tier mit den Augen, bis es im Schatten eines kleinen Gemäuers verschwand, das sich fast unsichtbar in einer Mauerecke versteckte. Eine kleine Kapelle, mutmaßte sie als sie das schiefe Türmchen erspähte, das unter der Last es umrankenden Efeus zusammengesunken war.

Lange starrte sie es an, obwohl man kaum mehr als Umrisse davon erkennen konnte, übte das düstere Bauwerk eine seltsame Faszination auf sie aus.

„Du spinnst wirklich langsam, Sina“, murmelte sie kopfschüttelnd und wollte sich abwenden um endlich wieder ins Bett zu gehen. Morgen, nahm sie sich vor, würde sie dem Burggarten auf jeden Fall einen Besuch abstatten. Einen letzten Blick zur Kapelle wollte sie jedoch noch einmal tun, warum wusste sie selbst nicht zu sagen.

Vor den Mond hatte sich jedoch eine Wolke geschoben, der Garten lag jetzt in tiefer Dunkelheit unter ihr. Dennoch meinte sie, aus der Ecke wo die Kapelle stand ein leichtes Glimmen zu sehen, zwei winzig kleine Punkte die zu ihr heraufzustarren schienen. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück und das Glimmen erlosch.

Sicher die Augen einer Katze, beruhigte sie sich selbst. Oder vielleicht war es die Eule, die gerade zu dem Gemäuer geflogen war. Ja, ganz bestimmt war es die Eule, was denn sonst. Dennoch spürte sie ihr Herz bis zum Hals klopfen. Mit einem Ruck schloss sie das Fenster und eilte zurück zu ihrem Bett, verkroch sich tief in den Decken.

Die Luft im Zimmer wurde schnell stickig, der Modergeruch des alten Teppichs raubte ihr fast den Atem. Gar zu gerne hätte sie wieder das Fenster geöffnet, doch sie musste sich eingestehen, dass sie Angst hatte, nochmals dorthin zu gehen. Da half es auch nicht, sich selbst zu verspotten, sie konnte sich nicht überwinden, erneut das Bett zu verlassen.

Den Rest der Nacht lag sie schwitzend da und versuchte nicht allzu tief zu atmen. Eigentlich, so sagte sie sich, müsste sie die Schimmelsporen aus dem Teppich mehr fürchten als die glimmenden Augen einer harmlosen Eule. Dennoch konnte sie sich nicht aufraffen das Fenster erneut zu öffnen. Irgendwann im Morgengrauen schlief sie doch noch ein. Im Traum verfolgten sie glühende Augen, die langsam dunkler wurden, fast schwarz. Sie blickten sie grübelnd aber nicht böse an und als sie am Morgen erwachte, konnte sie ihre nächtliche Angst nicht mehr verstehen.

Nach einer Katzenwäsche in der angeschlagenen Waschschüssel und mit dem kalten Wasser, das in einem Krug daneben stand tupfte sie sich vorsichtig mit dem groben Handtuch ab, das überdies noch muffig roch und fragte sich zum zigsten Mal, welch ein Teufel sie geritten hatte, freiwillig hierher zu kommen. Hoffentlich würde heute wenigstens ihr Gepäck ankommen, dass sie per Bahn verschickt hatte, weil in ihrem kleinen Auto kein Platz dafür war.

Nach einem letzten kritischen Blick in den fleckigen Spiegel verließ Sina die kleine Turmkammer um nach unten zu gehen. Noch war sie im Zweifel ob sie wirklich hier bleiben oder lieber gleich wieder nach Hause fahren sollte. Doch dann siegte ihr Pflichtbewusstsein, das sie Manfred Dölger, ihrem Chef, gegenüber hegte. Sie hatte sich nun einmal bereiterklärt, die Vorarbeiten für die Instandsetzung dieser Ruine zu treffen, bis er in einer Woche eintraf. So lange würde sie wohl oder übel hier ausharren müssen.

Sie blieb stehen und schaute die breite Steintreppe hinunter auf den einstmals sicher prunkvollen Saal, der heute eher einer veralteten Bahnhofshalle glich. Der Boden war so schmutzig, das man kaum noch das edle Holz des Parketts erahnen konnte. Von den Wänden starrten düstere Gesichter aus verstaubten Bilderrahmen, eingesponnen von Generationen von Spinnen. Seidentapeten hingen in Fetzen herunter, vom Alter brüchig geworden wie die dicken Samtvorhänge an den Fenstern. Selbst die Lüster, die an langen Ketten von der hohen Decke hingen, hatten all ihre Pracht verloren. Wo früher edel geschliffenes Glas in allen Facetten schillerte, hingen heute Spinnfäden von den stumpf gewordenen Steinen. Und trotz der Morgensonne, die durch die verschmutzten Fensterscheiben fiel, war es in dem Saal düster wie in einer Leichenhalle.

Als sie sich anschickte die Treppe hinunter zu gehen schoss ihr ein Bild durch den Kopf und für einen kurzen Moment meinte sie den Saal so zu sehen wie er einmal ausgeschaut haben mochte. Alles war sauber und prachtvoll und von Leben erfüllt. Sie meinte Musik zu hören und Menschen zu sehen die tanzten und lachten. Livrierte Diener eilten geschäftig umher und Kinder spielten unter der Aufsicht einer Zofe in einer Ecke.

Doch so plötzlich wie das Bild gekommen war, so schnell verschwand es wieder und Sina beeilte sich den jetzt wieder ungemütlichen Ort der Düsternis hinter sich zu lassen und trat aufatmend durch eine geöffnete Seitentür. Sogleich fühlte sie sich wie in einer anderen Welt und mit einem erleichterten Seufzer setzte sie sich an den hübsch gedeckten Frühstückstisch. Kaffeeduft stieg ihr in die Nase und die frischen Brötchen sahen verlockend aus. Erst jetzt merkte sie wie hungrig sie war und ihr Magen knurrte verhalten.

Die Tür zur angrenzenden Küche wurde geöffnet und eine ältere Frau kam mit einer Kaffeekanne auf sie zu.

„Guten Morgen!“ grüßte sie freundlich und lächelte Sina an. „Na, haben sie einigermaßen gut geschlafen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten plapperte sie weiter: „Es tut mir Leid, dass das Zimmer noch nicht fertig war. Aber eigentlich hatten wir Sie erst ein paar Tage später erwartet.“

„Oh, Sie müssen sich nicht entschuldigen“, beeilte Sina sich, sie zu beruhigen. „Schließlich trifft Sie keine Schuld. Mein Chef hat sich vermutlich wieder mal im Termin geirrt. Das passiert ihm leider öfter seit seine Sekretärin in Mutterschaft ist. “

„Na, heute Abend werden Sie ein sauberes Zimmer haben und auch duschen können. Mein Sohn kommt heute Mittag vorbei und repariert den Gasboiler. Und seine Frau richtet das Zimmer für sie her. Die Beiden hatten noch ein paar Tage Urlaub gemacht, bevor hier die ganzen Umbauarbeiten beginnen. Mein Sohn besitzt ein kleines Installateurgeschäft, wissen Sie, und der neue Besitzer der Burg hat ihn beauftragt ein paar Arbeiten zu erledigen. Meine Schwiegertochter geht mir ein wenig zur Hand, schließlich bin ich nicht mehr die Jüngste. Und auf meinen Mann kann ich nicht zählen, der hat mit seinem Rücken zu tun und kann nicht mehr viel arbeiten.“

Während Sina sich Kaffee und Brötchen schmecken ließ, setzte sich die Frau zu ihr und erzählte weiter von ihrer Familie. Wahrscheinlich kam es nicht oft vor, dass Besucher hier weilten, dachte Sina bei sich und hörte geduldig zu. Sie erfuhr, dass Anna Krämer mit ihrer Familie schon seit über vierzig Jahren in den Nebengebäuden der Burg wohnte. Früher waren sie und ihr Mann hier als Hausmeisterehepaar tätig gewesen. Vor mehr als zehn Jahren starb dann der letzte Besitzer der Burg, von seinen Erben wollte niemand den alten Kasten haben. Sie beschlossen, das Gemäuer zu verkaufen, da die Instandhaltung zu teuer war. Immerhin durften Anna und ihr Mann Walter gegen eine geringe Miete im Nebengebäude wohnen bleiben bis sich ein neuer Besitzer fand.

„Ich bin ja so froh, dass uns der neue Eigentümer nicht vor die Tür setzt“, erzählte Anna weiter und hob wie betend die Hände zum Himmel. „Gott sei’s gedankt. Er will uns sogar wieder als Hausmeister einstellen. Natürlich können wir nicht mehr viel arbeiten, aber das ist ihm egal. Er möchte bloß, dass wir da sind und darauf achten, dass alles in Ordnung ist. Für alle größeren anfallenden Arbeiten hat er Firmen beauftragt. Die schicken Leute her zum Putzen und so weiter. Ich bin dann nur noch für die Küche und die Wäsche zuständig.“

„Sie haben den neuen Besitzer also schon kennen gelernt? Welchen Eindruck macht er denn auf Sie?“ Sina war ehrlich neugierig. Bisher hatte sie nur wenig über den Mann erfahren, in dessen Auftrag sie die nächsten Wochen arbeiten würde. Ihr Chef, meinte nur, er müsse wohl in Geld schwimmen wenn er es sich leisten konnte die heruntergekommene Burg wieder in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.

Manfred, ihr Chef war Inhaber eines exklusiven Architekturbüros, das auf die Restaurierung alter Herrenhäuser und dergleichen spezialisiert war. Sina arbeitete schon seit mehreren Jahren als seine Assistentin und verstand sich sehr gut mit ihm. Als er sie gefragt hatte, ob sie bereit wäre für die Zeit der Vorarbeiten in der alten Burg zu wohnen hatte sie sich nach kurzem Nachdenken einverstanden erklärt. Zum einen, weil die Burg über zweihundert Kilometer von ihrem Wohnort entfernt lag, aber auch weil ihr der vorübergehende Ortswechsel gerade Recht kam. Denn erst vor wenigen Tagen war es zu einer unschönen Trennung von ihrem Freund Jens gekommen, und sie war der Ansicht, der räumliche Abstand könne ihnen beiden nur gut tun.

„Oh, er ist ein netter Mann, wenn man dem ersten Eindruck glauben kann“, beantwortete Anna ihre Frage. „Eigentlich zu jung für ein so altes Haus, würde ich meinen. Die meisten jungen Leute wollen doch lieber moderne Häuser in Stadtnähe, mit Disco und Kino gleich um die Ecke. Aber er schien ganz vernarrt in das Gemäuer und schwärmte richtig davon, wie es bald wieder aussehen könnte. Ansonsten kann ich nicht viel über ihn sagen. Er sieht sehr gut aus, groß, schlank und dunkelhaarig, modisch gekleidet. Ein Typ, der Frauenherzen schnell höher schlagen lässt. Wenn ich nicht schon so alt wäre könnte ich direkt Gefallen an ihm finden.“ Sie grinste verschmitzt und fügte kichernd hinzu: „Aber da hätte mein Mann sicher was dagegen.“

Sie stand auf und schickte sich an, das Geschirr abzuräumen. Sina wischte sich mit der Serviette den Mund ab und erhob sich ebenfalls. Sie hatte viel Arbeit vor sich, bis ihr Chef kam musste sie jeden Winkel des Hauses vermessen, fotografiert und berechnet haben. Sie schlüpfte in ihre Jacke und verließ das Haus durch den Seiteneingang um zu ihrem Auto zu gehen.

Zum Nebengebäude gehörte ein kleiner, mit einer niederen Mauer eingefasster Garten. Ein Teil davon wurde von Gemüsebeeten eingenommen, der Rest bestand aus Rasen. Eine mit Bettwäsche und Handtüchern behängte Wäschespinne drehte sich träge und leise knarrend im lauen Frühsommerwind.

Ein Weg aus alten Steinplatten führte zum Tor und Sina folgte ihm. Vor dem Garten stand ihr kleines Auto neben einem älteren Kombi der den Krämers gehörte.

Sowohl der Kofferraum als auch der Rücksitz ihres Autos waren mit Geräten bedeckt, die Sina für ihre Arbeit benötigte. Sie lud sich auf, soviel sie gerade noch tragen konnte und schleppte ihre Last ins Haus. Da sie im großen Saal beginnen wollte, hatte sie nicht allzu weit zu tragen und stellte alles in einer Ecke ab. Dann ging sie zurück um den Rest zu holen.

Lautes Hupen ließ sie aufblicken, ein Postauto hielt hinter ihrem Wagen und der Fahrer stieg aus. Mit Schwung öffnete er die Schiebetür und zog ihr Gepäck heraus.

„Ich vermute, das gehört Ihnen, junge Frau?“ rief er gutgelaunt. „Wie lange wollen Sie denn hier bleiben? So viel Gepäck habe ich schon lange nicht mehr ausgeliefert. Wollen Sie etwa in dem alten Kasten Urlaub machen? Oder sind Sie mit den Krämers verwandt?“

Bevor Sina überlegen konnte, was sie dem neugierigen Postboten antworten sollte, ertönte hinter ihr Walter Krämers Stimme. „Eigentlich geht dich das gar nichts an Paul. Aber da du die Neuigkeit ja eh bald erfahren wirst, kann ich’s dir auch gleich sagen. Die Burg hat einen neuen Besitzer gefunden und der lässt sie herrichten. Die junge Frau ist die Assistentin des Architekten und wird vorübergehend hier wohnen. Ich hoffe, das hat deine Neugier befriedigt.“

Der Postbote pfiff durch die Zähne: „Sag bloß der alte Spukkasten hat tatsächlich einen Käufer gefunden? Wer ist denn so verrückt und kauft so einen Haufen alter Steine? Der Kerl muss Geld wie Heu haben.“

Sina sah, wie sich Krämers Augen bei dem Wort Spukkasten verdüsterten. Und sofort fielen ihr die leuchtenden Augen in der Nacht wieder ein. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie fing sich jedoch schnell wieder, Spuk und Gespenster gab es nicht. Den meisten alten Gemäuern wurde irgendein Gespenst nachgesagt, wirklich nachgewiesen hatte aber noch keiner eines.

Sie überließ es Walter den Postboten abzufertigen und trug ihre restlichen Geräte ins Haus. Eine Menge Arbeit wartete auf sie, über Gespenster nachzudenken blieb ihr da keine Zeit. Ihr momentan größtes Problem war es, woher sie den notwendigen Strom für ihre Geräte, vor allem für die Lampen, erhielt. Die Burg besaß früher sicher einmal Stromanschluss, doch in den letzten zehn Jahren war er bestimmt abgeklemmt worden. Manfred hatte ihr zwar versichert, Walter Krämer würde sich darum kümmern, dennoch traute sie den alterschwachen Sicherungen und Steckdosen nicht wirklich. Im Geist war sie darauf gefasst, dass ihre starken Lampen den Sicherungen schnell den Garaus machen würden.

Umso angenehmer war sie überrascht als sie ganz neue Stromanschlüsse vorfand. In den letzten Tagen mussten hier Heinzelmännchen am Werk gewesen sein. Frohgemut schloss sie ihre Lampen an und kurz darauf erstrahlte der alte Festsaal in lange nicht mehr erlebtem Licht.

Sina betrachtete staunend die Reste der einstigen Pracht, die das Licht zu Tage förderte. Die düsteren Gesichter an den Wänden wandelten sich zu individuellen Personen, die den Betrachter zu Zeugen einer längst vergangenen Zeit machten.

Neugierig trat Sina näher an die Wand heran um die Bilder genauer ansehen zu können. Hier hingen die ehemaligen Bewohner der Burg einträchtig nebeneinander. Männer, Frauen und Kinder, sogar ein paar Hunde starrten stumm in den Saal, den sie einst mit Leben erfüllt hatten, von Künstlern für die Nachwelt auf Leinwand gebannt. Der unterschiedliche Stil ihrer Gewänder zeugte von den jeweiligen Epochen, in denen sie gelebt hatten.

Sina fand alte Gemälde schon immer interessant, sie konnte stundenlang in Schlossgalerien und Museen verweilen um sich durch die Betrachtung der Bilder in frühere Zeiten zu versetzen. Vor allem bewunderte sie die Künstler sehr, denen es gelungen war, das Leben ihrer Zeit so detailgetreu wiederzugeben, wie es heute nur noch Fotografen vermochten.

Den Anfang der kleinen Ahnengalerie bildete das Portrait einer Familie, vermutlich den Erbauern der Burg. Das Bild war durch einen Wasserschaden fast ruiniert, seine Farben in großen Teilen abgeblättert, so dass man nur noch wenig erkennen konnte. Die Umrisse eines stehenden Mannes und einer sitzenden Frau, die ein Baby auf den Armen wiegte. Neben ihr saß ein größeres Kind mit langen, dunklen Locken, der Kleidung nach vermutlich ein Knabe.

Sina fand es sehr schade, dass ausgerechnet dieses Bild so stark beschädigt war, es hätte sie inte­ressiert, wie die ersten Bewohner der Burg ausgesehen hatten. Sie wandte sich dem nächsten Portrait zu. Es war vom Wassereinbruch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, seine Farben waren über die Jahrhunderte hinweg jedoch so dunkel geworden, dass auf den ersten Blick nur ein Gesicht erkennbar war. Erst als Sina eine der Lampen genau darauf richtete konnte sie mehr Einzelheiten erkennen. Der Mann auf dem Bild war nicht alt, so um die zwanzig schätzte sie. Sein Teint wirkte dunkel, so als käme er aus einem südlichen Land. Seine markanten Gesichtszüge wurden von schwarzen Locken eingerahmt, die bis zu den Schultern reichten. Er blickte ein ernst aus dunklen Augen, um seinen kräftigen Mund spielte ein angedeutetes Lächeln. Er machte einen sehr selbstsicheren, starken Eindruck.

Ein wirklich schöner Mann, dachte Sina wehmütig. Schade, dass er schon seit Jahrhunderten tot war, er wäre genau ihr Typ gewesen. Sie vermutete, dass er mit dem Knaben auf dem anderen Bild identisch war, zumindest hatte er mit ihm die schwarze Lockenpracht gemein. Mit dem Finger rieb sie über die von Staub und Patina unkenntlich gewordene Schrift auf dem Messingschild unter dem Gemälde. Was es jedoch preisgab war weitgehend unleserlich. M da  v   al er  meinte sie zu erkennen. Was immer das auch heißen sollte.

 Der Platz daneben war leer, jedoch zeigte ein heller Umriss auf der vergilbten Tapete dass hier früher ein ziemlich großes Bild gehangen haben musste. Sina starrte den Umriss lange an, so als könne sie das Gemälde dadurch sichtbar machen. Gar zu gerne hätte sie gewusst, wen das Bild dargestellt hatte. Bestimmt eine schöne Frau in wallenden Kleidern, vielleicht die Verlobte des Beaus, simulierte sie. Und er hatte das Bild verbrannt, weil sie ihm untreu geworden war. Aber nein, welche Frau würde solch einen Mann betrügen.

Sie musste über ihre Gedanken lächeln und ging weiter zu den nächsten Gemälden, die zweifellos die Nachfahren des schönen Unbekannten darstellten. Noch über drei, vier Generationen vererbten sich die dunklen Haare und Augen, sowie die markanten Züge auf seine männlichen Nachkommen, bis sich allmählich ein hellerer Typus darunter mischte. Unter den neueren Bildern konnte man auch Namen und Jahreszahlen der jeweiligen Personen lesen. Alle trugen den Grafentitel „von Walberg“. Ein urdeutscher Name, dachte Sina bei sich. Wie passte da der schöne Exot dazu?

Wie fast jede Familie hatten vermutlich auch die früheren Bewohner dieser Burg ihre kleinen Geheimnisse, überlegte sie und lächelte. Nun, Geheimnisse waren ihr jedenfalls allemal lieber als Gespenster.

Am Abend ging sie müde die vielen Treppen hinauf zu ihrem Turmzimmer. Und staunte über die Veränderung, die dort stattgefunden hatten. Die kleine Kammer blitzte vor Sauberkeit, der alte, modrige Teppich vor dem Bett war durch einen neuen, flauschigen Läufer ersetzt worden. Die Vorhänge waren ausgewechselt, die Fenster geputzt und ein Blick ins angrenzende kleine Badezimmer zeigte ihr, dass auch hier fleißige Hände am Werk gewesen waren. Der Waschtisch samt Krug und Schüssel war verschwunden, dafür zeigte ein kleines flackerndes Licht in der Gastherme an, das es fortan warmes Duschwasser geben würde. Und die Handtücher auf der Konsole sahen frisch gewaschen und flauschig aus.

Mit einem erleichterten Seufzer ließ Sina sich aufs Bett plumpsen und streckte sich aus. Verhalten gähnend überlegte sie, was sie mit dem restlichen Abend anfangen sollte. Es war erst 21 Uhr, zu früh, schon schlafen zu gehen. Das Angebot der Krämers, mit ihnen fernzusehen hatte sie dankend abgelehnt, sie machte sich nicht allzu viel aus Fernsehen. Auch das mitgebrachte Buch, ein Vampirroman, reizte sie nicht besonders. Vampire waren ihr suspekt, ebenso wie Gespenster. Sie las lieber Romane, die von wirklichen Menschen handelten, am liebsten Krimis, oder auch einmal einen Liebesroman. Den Vampirroman hatte Jens ihr aufgedrängt, er war verrückt nach derlei Literatur und ließ nichts unversucht, auch sie davon zu faszinieren. Warum sie das Buch überhaupt mitgenommen hatte, wusste sie nicht mehr zu sagen.

Unschlüssig stand sie wieder auf um zum Fenster zu gehen. Durch die nun blitzblanke Scheibe sah sie die Sonne hinter den fernen Bergen untergehen, ein romantischer Anblick, der sie erneut an Jens erinnerte. Wie viele romantische Sonnenuntergänge hatte sie mit ihm erlebt?

Die Trennung war ihr nicht leicht gefallen. Trotz ihrer meist gegensätzlichen Interessen hatten sie sich ineinander verliebt, was sie jedoch nicht daran hinderte, sich ständig zu streiten. Jens war einerseits ein Träumer mit manchmal unrealistischen Ansichten, andererseits konnte er ziemlich beharrlich auf diesen Ansichten bestehen. Sie hingegen war durch und durch Realistin, was zwangs­läufig immer wieder zu Konfrontationen führte.

Sie hatten sich auf einer Sonnwendfeier kennen gelernt, auf die eine Freundin Sina mitgeschleppt hatte. Jens nahm sie gleich in Beschlag und erklärte ihr langatmig die Herkunft und Bedeutung des heidni­schen Brauchs. Schon damals erkannte sie seine Faszination für Okkultismus und unheimliche Gestalten, es war wohl diese Gegensätzlichkeit zu ihr, die nur an das glaubte, was sie sah, die ihn für sie interessant machte.

In letzter Zeit war ihr sein Geisterglaube jedoch mehr und mehr auf die Nerven gegangen. Dazu kam, dass es im Bett zwischen ihnen nie wirklich gut geklappt hatte. Jens war ein Softie, zärtlich und -leider -langweilig. Sie stand auf leidenschaftlichen Sex, den er ihr nicht bieten konnte.

Den Schlussstrich unter die Beziehung zog Sina schließlich, als Jens sich einer dubiosen Institution zuwandte, die parapsychologische Phänomene untersuchte und für ihre zahlreichen Mitglieder sogar eine Monatszeitschrift herausbrachte. Jens kündigte seinen Job als Werbetexter um sich ganz und gar seinen neuen Aufgaben zu widmen. Oft war er tagelang unterwegs um die angeblichen Aktivitäten diverser Poltergeister oder Gespenster nachzuweisen. Und nicht selten schlug er sich ganze Nächte um die Ohren um Recherchen dazu im Internet anzustellen. Seine kleine Wohnung, die gleichzeitig sein Büro war, quoll über von Büchern, Video- und Tonbändern, aus Lautsprechern ertönten seltsame Geräusche und vom Bildschirm des Fernsehers flimmerten undeutliche Aufnahmen.

Wenn er überhaupt einmal für Sina Zeit fand nervte er sie mit langatmigen Erklärungen über angeblich hieb- und stichfeste Nachweise, mit denen er die Existenz von Geistern und anderen Spukgestalten beweisen wollte. Um ihn nicht zu kränken versuchte sie zuerst Interesse zu heucheln, sein Fanatismus stieß sie jedoch mehr und mehr ab. Schließlich platzte ihr der Kragen und sie erklärte ihm, dass sie seine Geister und Gespenster für pure Fantasiegestalten hielt und schon immer gehalten hatte. Er reagierte darauf so gekränkt, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Fortan zog er sich merklich von ihr zurück und sie nahm das zum Anlass, endlich den lange fälligen Schlussstrich unter ihre Beziehung zu setzen. Das war vor drei Wochen gewesen. Seitdem hatte sie nichts mehr von Jens gehört.

Gedankenverloren starrte sie in die schnell einsetzende Dunkelheit und vage Zweifel kamen in ihr hoch, ob die rigorose Trennung tatsächlich der richtige Schritt gewesen war. Immerhin waren sie mehr als zwei Jahre zusammen gewesen und gefühls­mäßig hing sie immer noch an Jens. Andererseits konnte sie nicht leugnen, dass sie sich seit der Trennung wie befreit fühlte.

Ihr Blick schweifte über den verwilderten Burggarten tief unter ihrem Fenster und glitt wie selbst­verständlich hin zu der kleinen, unter Efeuranken verborgenen Kapelle. Fast meinte sie erneut die glimmenden Augen zu sehen, die zu ihr heraufstarrten. Doch es war nur ein Trugschluss, - natürlich, was sollte es auch anderes sein…

Nach einer unruhig verbrachten Nacht erschien Sina etwas müde am Frühstückstisch. Wie am Tag zuvor brachte ihr Anna den Kaffee und leistete ihr ein wenig Gesellschaft. Munter plapperte sie drauflos, erzählte von den anstehenden Veränderungen und wie sehr sie sich darauf freute, dass bald wieder ein Eigentümer auf der Walburg wohnen würde.

„Was wissen Sie eigentlich über die Geschichte der Burg?“ unterbrach Sina ihren Redeschwall. Den Namen Walburg hörte sie zum ersten Mal, bisher glaubte sie, das Gemäuer besäße überhaupt keinen Namen. Walburg war sicher von Walberg abgeleitet, dem Namen der früheren Besitzer.

„Och, allzu viel leider nicht“, bedauerte Anna und zuckte die Schultern. „Den Namen hat die Burg von den Walnussbäumen, die früher hier in der Gegend angepflanzt wurden. Die Früchte dienten der Ölgewinnung, das Holz wurde zu edlen Möbeln verarbeitet. Damals war das ein einträgliches Geschäft, die Bauern konnten sich ein gutes Zubrot damit verdienen und die Grafen als Besitzer der Ländereien lebten sehr gut davon. Wohl deshalb nannten sie sich „von Walberg“ und ein Walnussblatt schmückt auch heute noch ihr Wappen. Allerdings ist kaum noch ein Walnussbaum stehen geblieben, als sich der Anbau nicht mehr rentierte wurden die Bäume gefällt und nichts mehr nachgepflanzt. Ein paar stehen noch im Burggarten, als Wahrzeichen sozusagen.

Von den früheren Grafen ist nur wenig bekannt, die Chroniken sind nicht mehr auffindbar, sie verbrannten als ein Blitzschlag den Flügel, der auch die Bibliothek beherbergte, in Brand setzte. Der letzte Graf von Walberg starb ohne leibliche Erben zu hinterlassen. Seine Verwandt­schaft ist ein geldgieriges Pack, Cousins zweiten oder dritten Grades, den gräflichen Titel darf allerdings keiner von ihnen weiterführen.“

„Und der neue Besitzer? Wie ist sein Name?“ Sina konnte sich zwar vage erinnern, das Manfred den Namen erwähnte als er ihr von dem Auftrag erzählte. Sie hatte ihn aber nicht im Kopf behalten.

„Das ist ja das Seltsame an der Geschichte“, erzählte Anna aufgeregt. „Er heißt ebenfalls von Walberg, mit einem komischen Vornamen, den ich mir einfach nicht merken kann. Milan oder so ähnlich.“

„Was, er heißt auch von Walberg? Das ist wirklich seltsam. Ist er mit dem alten Grafen verwandt?“

Anna wackelte mit dem Kopf. „Ich glaube ja, aber nicht direkt. Zumindest hat Graf von Walberg ihn nie erwähnt. Und auch seine Erben waren sehr erstaunt, als der Mann sich ihnen vorstellte. Ich glaube, sie haben schon Angst bekommen, dass doch noch ein leiblicher Erbe aufgetaucht ist. Doch ihre Furcht war unbegründet, sie bekamen anstandslos den geforderten Kaufpreis ausgehändigt. Obwohl der meiner Meinung nach viel zu hoch war. Sie haben ja selbst gesehen wie es um die Räume bestellt ist, hier muss noch sehr viel Arbeit und Geld rein gesteckt werden, damit aus dem heruntergekomme­nen Gemäuer wieder eine ordentliche Burg wird. Wenn der alte Graf sehen könnte, wie seine Erben alles verkommen lassen, im Grab würde er sich umdrehen.“

„Vom Turmfenster aus kann ich ein kleines Gebäude sehen“, wechselte Sina das Thema um Anna zu beruhigen, die vor Entrüstung bebte. „Ich meine es wäre eine Kapelle, genau kann ich es allerdings nicht erkennen, es ist ziemlich mit Efeu zugewachsen.“

Anna überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, nein, das ist keine Kapelle sondern eine alte Gruft. In ihr wurden die allerersten Familienangehörigen der von Walbergs beigesetzt. Später wurde der Friedhof dann ans andere Ende des Geländes verlagert. Die Gruft ist ziemlich verfallen, es ist Grundwasser eingedrungen und der alte Sandstein ist bröckelig geworden und alles droht einzustürzen. Das einzige Lebewesen, das sich dort noch hineintraut ist eine Eule, sie haust schon seit Jahren dort und brütet sogar darin.“

„Die hat mich gestern Nacht ganz schön zum Narren gehalten“, lachte Sina. „Ich sah nur ihre Augen im Dunkeln leuchten und dachte hier gäbe es Geister.“

„Ja, diese Eule ist schon ein Biest“, bestätigte Anna nickend. „Sie hat mich auch schon so manches Mal zu Tode erschreckt wenn sie mir abends so dicht über den Kopf streicht, dass sie meine Haare berührt. Aber ich kann Sie beruhigen, Geister gibt es auf Burg Walberg nicht.“

„Der Postbote meinte aber, es sei ein Spukschloss…“

Anna kicherte belustigt und antwortete beschwichtigend: „Ja, die Leute aus dem Dorf erzählen schon seit Jahrhunderten, es spuke auf der Burg. Doch vermutlich erzählt man das von jedem Gemäuer, das ein bisschen älter ist. Aber ich kann Ihnen versichern; hier gibt es weder Geister noch Gespenster. Außer der Eule ist mir noch nichts begegnet, das unheimlich ist.“

„Na, da bin ich ja beruhigt“, murmelte Sina ironisch. Erneut fiel ihr Jens ein, er würde in der alten Burg bestimmt Anzeichen von Übersinnlichem wittern. Aber er wusste ja noch nicht einmal, dass sie nicht zu Hause war. Als Manfred sie nach Burg Walberg beordert hatte, war es zwischen ihnen schon längst aus gewesen.

Sie beschloss zuerst dem Burggarten einen Besuch abzustatten, bevor sie mit ihrer Arbeit begann. Sobald sie konzentriert arbeitete vergaß sie die Zeit und es würde, so wie gestern, bereits wieder zu dunkel sein, den verwilderten Park zu erkunden. Also verabschiedete sie sich schnell von Anna, bevor die sie in einen längeren Schwatz verwickeln konnte und ging ins Freie. Es war ein herrlicher Tag, wie geschaffen für eine kleine Erkundungstour. Die Sonne beschien die groben Steine der Burgmauer an der sie entlang schlenderte und hinterließ einen ersten Eindruck des nahenden Sommers. Die Luft roch würzig nach feuchter Walderde und blühenden Sträuchern.

Sina hielt sich an den kleinen Trampelpfad, der an der Burgmauer entlang führte, vermutlich von Walter und seinem Sohn ausgetreten, die ab und zu außerhalb der Burg zu tun hatten. Weit führte er jedoch nicht, nur bis zur ersten Ecke, dahinter wuchsen Blumen und Unkraut wild durcheinander. Zu ihrem Glück hielt sich der Wildwuchs noch in Grenzen, sie musste die Füße nicht allzu sehr anheben um darüber zu steigen. Der Park begann bereits hier, sie konnte noch gut erkennen wo einstmals gepflegte Beete und Wege verliefen. Doch die früher sicher sorgsam gestutzten Zierbüsche wuchsen bereits seit Jahren wie sie wollten und zwischen den Wegplatten spross Unkraut hervor, es hob teilweise sogar die Steine hoch, die die Beete einfassten.

Mit der Hand schirmte Sina ihre Augen gegen die Morgensonne ab um besser in die Runde schauen zu können. Ihre Suche galt der mit Efeu bewachsenen Außenmauer, in deren Ecke sich die Gruft befand. Sie konnte sich eigentlich selbst nicht erklären, wieso sie dieses zerfallende Gemäuer so sehr inte­ressierte, aber sie wollte es unbedingt aus der Nähe sehen. Als sie es endlich erspähte ging sie zielstrebig darauf zu.

Die Gruft war wirklich sehr zerfallen, erkannte sie beim näher kommen, eigentlich grenzte es an ein Wunder, dass das Dach noch auf den schiefen Sandsteinwänden hielt. Der Eingang war durch ein schmiedeeisernes Gitter versperrt, gesichert mit einer massiven Kette und einem ziemlich neu aussehendes Schloss.

Warum war die Gruft so abgesichert, wunderte sich Sina. Weder Anna, noch ihr Mann würden hierher kommen, geschweige denn, die Gruft betreten wollen. Und sonst gab es niemand, der nur davon wusste. Auch mit Besuchern oder gar tollenden Kindern war nicht zu rechnen. Kopfschüttelnd trat sie näher an das Gitter und späte in die Düsternis dahinter.

Eine kaum wahrnehmbare Bewegung in einer Ecke ließ sie erschrocken zurückfahren, sie fasste sich jedoch schnell und tastete nach der Taschenlampe, die sie vorsorglich eingesteckt hatte. Mit ein wenig zittrigen Fingern schaltete sie die Lampe ein und richtete den gebündelten Strahl in die Ecke. Ein Fauchen ertönte und im Licht plusterte sich die Eule zu ihrer imponierenden Größe auf. Die Flügel gespreizt starrte sie mit großen, runden Augen in das ungewohnte Licht, dann duckte sie sich und hob von ihrem Schlafplatz ab. Mit lautlosem Flügelschlag flog sie direkt auf Sina zu, schwenkte dann nach oben und flog durch den Spalt über dem Gitter.

Sina keuchte vor Schreck auf, als sie so dicht über ihren Kopf flog, fing sich aber schnell wieder und drehte sich um. Sie sah den Vogel gerade noch im nächsten hohen Baum verschwinden wo er einen Ast anflog und sich so dicht an den Stamm kauerte, dass er fast damit verschmolz.

In Gedanken entschuldigte sie sich bei der Eule, die sie so rüde von ihrem Schlafplatz vertrieben hatte, dann trieb sie die Neugier dazu, sich erneut umzudrehen. Im Schein der Taschenlampe spähte sie jede Ecke der Gruft aus.

Eine Treppe führte zirka einen Meter nach unten und dort standen drei Sarkophage nebeneinander. Sie schienen aus demselben Sandstein wie die ganze Gruft zu bestehen und waren vom Alter fast schwarz geworden. Der Boden der Gruft war vollständig mit Wasser bedeckt, die Sarkophage standen in der dunklen Brühe. Sina schauderte unwillkürlich beim Anblick, der trostlosen Grabstätte, sie wollte sich schon abwenden um diesen düsteren Ort zu verlassen. Da fiel der Lichtstrahl auf den Deckelrand des ersten steinernen Sarges. Er war ein Stück zur Seite geschoben, nur einen Spalt breit. Und aus dem Spalt schaute eine knöcherne Hand hervor.

Kapitel 2: Begegnung mit dem Burgherrn

Später konnte Sina nicht mehr verstehen, warum sie in blinder Panik zurück gerannt war. Wenn sie länger darüber nachdachte, war es gar nicht so gruselig gewesen, was sie gesehen hatte. Andererseits war eine Knochenhand aber auch kein Anblick, den man erwartete, nicht einmal in einer Gruft.

Sie lächelte, als sie an Annas Gesichtsausdruck dachte, als sie ins Haus gestürmt kam.

„Um Gottes Willen, Kindchen, was ist denn passiert?“ hatte die ältere Frau besorgt ausgerufen. „Sie sehen aus, als sei Ihnen der Leibhaftige begegnet. Setzen Sie sich erst einmal hin und trinken Sie einen Kaffee. Oder ist ein Schnaps besser?“ Ohne eine Antwort abzuwarten holte sie ein Glas und eine Flasche aus dem Schrank und schenkte ein. Dann drückte sie Sina das Glas in die Hand. Die roch kurz an der scharfen Flüssigkeit, bevor sie davon nippte. Der Schnaps brannte ihr in der Kehle, sie räusperte sich und stellte das Glas auf den Tisch.

Anna sah sie auffordernd an und so begann sie zu erzählen. Als sie geendet hatte schüttelte Anna tadelnd den Kopf: „Also wenn ich gewusst hätte, wie sehr Sie sich für die alte Gruft interessieren, hätte ich sie vorge­warnt.“

„Sie wissen von dem offenen Sarg und der Knochenhand?“ fragte Sina ungläubig. „Was ist denn dort geschehen? Und warum unternimmt niemand etwas dagegen? Es kommt mir pietätlos vor, die Knochen­hand so heraus­hängen zu lassen, der Anblick erinnert an eine billige Attraktion aus einer Geisterbahn.“

Anna zuckte entschuldigend mit der Schulter, ihre Antwort klang aber keinesfalls schuldbewusst. „So einfach ist das nicht. Wie ich schon sagte, droht die alte Gruft einzustürzen. Und nur um ein Jahrhunderte altes Skelett wieder richtig in seinen Sarg zu legen, wollten weder mein Mann, noch mein Sohn es riskieren, verletzt zu werden.“

„Ja, natürlich, das kann ich verstehen“, murmelte Sina kleinlaut, fragte aber trotzdem nach: „Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen? Von allein hat sich der schwere Sargdeckel doch bestimmt nicht verschoben.“

Anna hatte ihr inzwischen einen Kaffee eingeschenkt und stellte ihn vor Sina auf den Tisch. Dann setzte sie sich auf den Stuhl neben sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist etwa zwei Jahre her“, begann sie zu erzählen. „Mein Mann und ich waren drei Tage früher als geplant aus dem Urlaub zurückgekommen, weil ich mir beim Wandern den Fuß verstaucht hatte und nicht mehr auftreten konnte. Da wurden wir mitten in der Nacht von seltsamen Geräuschen geweckt. Sie kamen aus dem Burggarten, genauer gesagt aus der Ecke, in der sich die Gruft befindet. Mein Mann wollte nachschauen gehen, doch ich konnte ihn davon überzeugen, lieber erst die Polizei zu alarmieren. Er führte die Beamten dann zur Gruft und dort trafen sie auf zwei Männer, die im Schein einer Taschenlampe damit beschäftigt waren, den Deckel eines der Sarkophage aufzustemmen. Sie waren so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie erst von ihrer Ent­deckung bemerkten, als die Polizisten sie anriefen. Einer der Männer warf die Lampe nach den Beamten und wollte durch einen Sprung aus der Gruft entfliehen. Dabei glitt er jedoch im knietiefen Wasser aus und stürzte gegen die vom Grundwasser unterspülte und ohnehin schon schiefe Steinwand. Sie gab unter dem Anprall nach und verschob sich noch stärker. Woraufhin sich auch das Dach bedenklich neigte, zum Glück aber oben blieb. Die beiden Männer verließen jedenfalls schleunigst die Gruft und wurden von den Polizisten abgeführt. Am Morgen kam dann ein Mann vom Bauamt, der sich die Gruft genau ansah und danach das eiserne Tor mit einer Kette und einem mächtigen Schloss absicherte. Er meinte, das baufällige Gemäuer gehöre schnellstens abgerissen, da es sich jedoch im Privatbesitz befand und normaler­weise niemand dort hin kam, bliebe es dem Besitzer überlassen, was er damit anstellen wolle. Den Schlüssel händigte er meinem Mann aus, ermahnte ihn aber, die Gruft lieber nicht zu betreten. Was er zum Glück auch beherzigt hat.“

„Das kann ich natürlich verstehen“, versicherte Sina schnell. Ihre Neugier war jedoch noch nicht ganz befriedigt. Deshalb fragte sie weiter: „Was hatten die Männer denn in der Gruft gesucht? Vermuteten sie etwa einen Schatz in dem Sarkophag? Bestimmt wollten sie doch keines der Skelette klauen, oder?“

„Es gab damals im ganzen Dorf ein großes Rätselraten darüber“, meinte Anna. „Aber so wirklich rückte keiner der Beiden mit der Sprache heraus, was sie gesucht hatten. Sie behaupteten nur, es ginge um eine Wette. Einer von ihnen soll allerdings dafür bekannt sein Anhänger spiritueller Rituale zu sein, er gehört einer Gruppe an, die schwarze Messen, Geisterbeschwörungen und so einen Unsinn zelebrieren. Es wurde viel geredet und gemutmaßt, aber niemand wusste etwas Genaues. Die Ermittlungen wurden jedenfalls bald wieder eingestellt, schließlich war ja nichts passiert und niemand ist zu Schaden gekommen. Auch die Erben der Burg haben auf eine Anzeige verzichtet, die Gruft interessierte sie nicht. Die Angelegenheit wurde letztendlich als dumme Mutprobe abgetan, die beiden jungen Männer bekamen eine Geldstrafe, damit war die Sache erledigt.“

Sie stand auf um sich wieder ihrer Arbeit zuzuwenden und auch Sina trank ihren Kaffee aus und verließ danach nachdenklich die Küche. Das Gehörte ging ihr nicht aus dem Kopf, es fiel ihr schwer sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, immer wieder schweiften ihre Gedanken zu der geheimnisvollen Geschichte ab. Gar zu gerne hätte sie gewusst, welchen Hintergrund sie wirklich hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es sich nur um eine Wette oder Mutprobe gehandelt hatte. Nicht, wenn einer der Männer Mitglied eines okkulten Kreises war. Aus ihren Erfahrungen mit Jens wusste sie nur zu gut, dass solche Menschen nichts aus Spaß taten. Sie nahm sich vor, sobald sie Zeit fand ins Dorf zu gehen um unbedingt mehr darüber zu erfahren.

Endlich war Sina mit ihrer Arbeit fertig und hatte alle Unterlagen per Email ihrem Chef zugesandt. Manfred Dölger würde noch heute hier ankommen um die anstehenden Arbeiten mit dem neuen Besitzer und den Unternehmern abzusprechen, die sie ausführen würden. Sina war schon sehr gespannt auf den zukünftigen Burgherrn, der aber erst heute Abend hier eintreffen wollte.