Engelszungen - Pino Rauch - E-Book

Engelszungen E-Book

Pino Rauch

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Ein Mordfall wird zu einer verstörenden Menschenjagd: Eine christliche Sekte scheut vor nichts zurück, um ein Kleinkind zu rauben. Die Kommissare Steffen Anbach und Linda Sachse setzen alles in Bewegung, um das zu verhindern – und blicken tief in die Abgründe der menschlichen Seele. In ihrem vierten Fall wird Linda Sachse und Steffen Anbach drastisch vor Augen geführt, wozu fanatische Menschen in der Lage sind, und welche Psychotricks sie mitunter anwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Dies sorgt für zahlreiche Gänsehautmomente bei den Leser*innen – und ein geschickt aufgebautes Verwirrspiel, bei dem es um die Frage nach der wahren Identität, aber auch um menschliche Verführbarkeit und den Glauben an die einzig richtige Wahrheit geht. Ein ebenso fesselnder, wie geschickt aufgebauter und thematisch aktueller Roman.

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Seitenzahl: 335

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Das Buch

Ein Mordfall wird zu einer verstörenden Menschenjagd: Eine christliche Sekte scheut vor nichts zurück, um ein Kleinkind zu rauben. Die Kommissare Steffen Anbach und Linda Sachse setzen alles in Bewegung, um das zu verhindern – und blicken tief in die Abgründe der menschlichen Seele.

In ihrem vierten Fall wird Linda Sachse und Steffen Anbach drastisch vor Augen geführt, wozu fanatische Menschen in der Lage sind, und welche Psychotricks sie mitunter anwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Dies sorgt für zahlreiche Gänsehautmomente bei den Leser*innen – und ein geschickt aufgebautes Verwirrspiel, bei dem es um die Frage nach der wahren Identität, aber auch um menschliche Verführbarkeit und den Glauben an die einzig richtige Wahrheit geht. Ein ebenso fesselnder, wie geschickt aufgebauter und thematisch aktueller Roman!

Der Autor

Pino Rauch ist ein Pseudonym. Der Autor, der sich dahinter verbirgt, wurde 1964 in Duisburg geboren und hat in Bayreuth und Mainz Jura studiert. Seit 1993 ist er Rechtsanwalt in Wiesbaden, wo er mit seiner Familie lebt und eine auf das Wirtschaftsrecht ausgerichtete Kanzlei führt. Mit „Engelszungen“ legt er den vierten Teil einer Reihe vor, die im Rhein-Main-Gebiet spielt. Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Inhalt

Das Buch. 1

Der Autor2

Prolog. 3

Einige Zeit zuvor3

Eins5

Zwei7

Drei10

Vier12

Einige Zeit zuvor12

Fünf13

Sechs18

Einige Zeit zuvor18

Sieben. 20

Acht22

Einige Zeit zuvor22

Neun. 24

Zehn. 27

Elf28

Zwölf30

Einige Zeit zuvor30

Dreizehn. 34

Vierzehn. 36

Einige Zeit zuvor36

Fünfzehn. 39

Sechzehn. 42

Einige Zeit zuvor42

Siebzehn. 44

Achtzehn. 46

Neunzehn. 47

Zwanzig. 49

Einundzwanzig. 51

Zweiundzwanzig. 53

Dreiundzwanzig. 55

Vierundzwanzig. 57

Fünfundzwanzig. 58

Sechsundzwanzig. 60

Siebenundzwanzig. 62

Achtundzwanzig. 64

Neunundzwanzig. 67

Dreißig. 72

Einunddreißig. 75

Zweiunddreißig. 77

Dreiunddreißig. 80

Vierunddreißig. 82

Fünfunddreißig. 84

Sechsunddreißig. 87

Siebenunddreißig. 89

Achtunddreißig. 92

Neununddreißig. 93

Vierzig. 97

Einundvierzig. 99

Zweiundvierzig. 102

Dreiundvierzig. 106

Vierundvierzig. 109

Fünfundvierzig. 110

Sechsundvierzig. 112

Siebenundvierzig. 114

Achtundvierzig. 117

Neunundvierzig. 119

Fünfzig. 122

Einundfünfzig. 125

Zweiundfünfzig. 127

Dreiundfünfzig. 130

Vierundfünfzig. 133

Fünfundfünfzig. 135

Sechsundfünfzig. 137

Siebenundfünfzig. 139

Achtundfünfzig. 143

Neunundfünfzig. 144

Sechzig. 146

Einundsechzig. 148

Zweiundsechzig. 153

Dreiundsechzig. 157

Vierundsechzig. 160

Fünfundsechzig. 164

Pino Rauch

Engelszungen

Der vierte Fall für Steffen Anbach und Linda Sachse

Kriminalroman

Impressum

Texte:© 2022 Copyright by Ralf Plück

Umschlag:©2022CopyrightbyMaiKyTran

Verantwortlich für den Inhalt: Ralf Plück

Verlag:

Ralf Plück

Danziger Str. 64

65191 Wiesbaden

[email protected]

Druck: epubli–einServicederNeopubliGmbH, Berlin

Dies ist ein Roman. Die Handlung und die darin vorkommenden Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit realen Geschehnissen oder Personen ist reiner Zufall.

Prolog

Einige Zeit zuvor

 Er hatte das Gefühl, dass sein ganzes Leben eine einzige große Lüge war, seit er zufällig das Foto von dem Jungen auf der Vermisstenseite der Polizei gefunden hatte.

Der Eintrag lag rund drei Jahrzehnte zurück. Das Kind auf dem Foto war damals gerade einmal sechs Jahre alt. Xavier Nenter war fassungslos. Dass es ein Abbild von ihm selbst als kleiner Junge war, daran gab es keinen Zweifel. Hoch konzentriert betrachtete Xavier die Aufnahme. Keine Kleinigkeit durfte er übersehen.

Es war eine Fotografie aus seinen Kindheitstagen. Damals trug er einen gelben, eng anliegenden Pulli. Seine blonden Haare waren akkurat frisiert. Mit wachen blauen Augen starrte er fordernd in die Linse der Kamera. Voller Stolz drückte er die Schultüte an seine schmale Brust. Sie war aus stabiler roter Pappe gebastelt. Bunte Wölkchen aus Papier und etwas Watte hatte er draufgeklebt.

Der Junge sah unbeschwert aus. In froher Erwartung blickte er einem neuen, aufregenden Lebensabschnitt entgegen.

Nachdenklich warf sich Xavier auf das schwarzlederne Daybed in seinem Arbeitszimmer im Fünfzigerjahre-Bungalow in Frankfurt-Westend und starrte an die Decke.

Xavier hatte strahlend weiße Zähne und Lachfalten in den Augenwinkeln. Eine alte Narbe in der Mitte der rechten Braue ließ sie aussehen, als sei sie zweigeteilt. Er war schlank, mittelgroß und trug eine schwarze Anzugshose und ein weißes, frisch gebügeltes Hemd.

Schon wenige Minuten später sprang er wieder auf. Er fühlte sich, als hätte er kotzende Schmetterlinge im Bauch. Aufgewühlt eilte er zum Macbook, um die historische Vermisstenseite erneut aufzurufen und das Foto des Jungen in Farbe auszudrucken. Plötzlich trieb ihn die Sorge um, dass er die Seite nicht mehr finden würde. Aber seine Angst war unbegründet. Mit zittrigen Fingern nahm er das Blatt aus dem Drucker. Wort um Wort las er die wenigen Sätze, die unterhalb des Fotos standen.

„Wer hat dieses Kind gesehen? Der kleine Marc Bach (6 Jahre) wird seit dem 1. August 1991, dem Tag seiner Einschulung, vermisst! Marc war um 15 Uhr auf dem Weg zu einem Spielkameraden. Sein Ziel in der Wiesbadener Rheinstraße hat Marc Bach aber niemals erreicht.“

In dem dunkelrot gerahmten Kasten darunter lautete es in sperrigem Amtsdeutsch: „Sachdienliche Hinweise, die zur Auffindung des Jungen führen, bitten wir an die örtliche Polizeidienststelle zu richten. Für den Fall, dass Marc Bach aufgrund Ihres Hinweises gefunden wird, sind 2.500 Deutsche Mark ausgelobt. Der Polizeipräsident der Landeshauptstadt Wiesbaden.“

An sein altes Leben hatte Xavier keinerlei Erinnerung. Sämtliche Eindrücke an seine frühe Kindheit waren restlos ausgelöscht.

Wie konnte so etwas sein?, fragte er sich wieder einmal verzweifelt. Er fühlte sich hilflos. Fahrig fuhr er mit den Fingern durch seine dichten Haare.

Wer war er in Wirklichkeit, woher stammte er? Wer waren seine leiblichen Eltern? Was war aus ihnen geworden? Waren sie noch am Leben? Erinnerten sie sich an ihn? Und war er ein Einzelkind, oder hatte er vielleicht sogar Geschwister?

Verlässliche Antworten auf die vielen Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten, fand er nicht. Alles, was er über seine Herkunft zu wissen glaubte, war nun in seinen Grundfesten erschüttert worden. Offensichtlich waren seine Eltern Rolf und Sonja Nenter, bei denen er aufgewachsen war und von denen er sich geliebt gefühlt hatte, gar nicht seine echten Eltern. Hatten sie ihn etwa entführt und als ihren eigenen Sohn aufgezogen? Das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen! Und doch, der Junge auf dem Foto war unverkennbar er selbst.

Bei Rolf und Sonja hatte er ein behütetes Leben geführt. Sie waren immer gut und liebevoll zu ihm gewesen, hatten großen Wert auf eine fundierte Ausbildung ihres Sohns gelegt. Gut, dass es in der Pubertät Stress zwischen ihnen gab, weil er sich früh als eigenständiger Mensch behaupten wollte, stand bald auf der Tagesordnung; aber das gehörte für Xavier dazu und kam in den besten Kreisen vor.

Was zur Hölle war damals geschehen, und warum konnte er sich nicht daran erinnern? Wenn seine Eltern doch nur noch am Leben wären und er sie fragen könnte ...

Er hatte ein Gefühl, als stünde er unter einer eiskalten Brause und würde am laufenden Band Hunderteuroscheine zerreißen.

Langsam brodelte in ihm eine leise Wut heran. Niemals hätte er damit gerechnet, dass gerade er in eine solche Situation geraten könnte. So etwas passierte sonst nur anderen Leuten. Menschen, die er abfällig als „Nichtschwimmer“ titulierte. Aber nicht einem wie dem eloquenten und erfolgsverwöhnten Xavier, der sich immer aus eigener Kraft durch das Leben geboxt hatte.

Mit dem Foto in der Hand marschierte er zum Fenster. Er starrte in den japanischen Steingarten, den seine Frau Kim mit viel Liebe und Mühe angelegt hatte.

Am Himmel zogen dunkle Wolken auf. In Gedanken analysierte Xavier jeden Aspekt seiner neuen Situation. Strategisches Denken gehörte zu seinen besonderen Stärken. In zäher Kopfarbeit zimmerte er sich einen Plan zurecht ...

Eins

Steffen Anbach und Linda Sachse von der Frankfurter Mordkommission waren im Eiltempo unterwegs. Seit dem Notruf der Einsatzzentrale früh am Morgen waren etwa dreißig Minuten vergangen.

Direkt nach dem Anruf war Steffen aus dem Bett gesprungen. Im Bad seiner Altbauwohnung im Diplomatenviertel in Frankfurt-Bockenheim bändigte er seine graue Lockenpracht, dann hatte er sich eiskaltes Wasser ins Gesicht geklatscht, um wach zu werden.

Wenige Minuten später war er in Jeans und Lederjacke mit der Katze zu seiner Kollegin Linda Sachse aufgebrochen.

Die Katze war ein dunkelblauer Jaguar XJ6, Serie III, Baujahr 1988. Der Wagen war ein elegantes Gefährt mit einer geschwungenen Form, die sich zum Heck hin verjüngte. Wenn man vor dem Fahrzeug stand, war man über die schiere Länge erstaunt. Das Auto hatte schwarze Sitze, die mit feinem Leder bezogen waren. Die beiden Tankdeckel aus Chrom, die sich oben auf den Kotflügeln befanden, fielen wegen ihrer Größe gleich ins Auge.

Steffen erkannte Linda schon von Weitem an dem platinblonden Pagenkopf. In der Morgensonne schien ihre Frisur regelrecht zu strahlen. Sie wartete vor dem hellen Jugendstilgebäude in der Schweizer Straße in Frankfurt-Sachsenhausen, in dem sie mit ihrem Lebensgefährten Simon Francis wohnte, der einen befristeten Lehrauftrag für Amerikanische Literaturwissenschaft an der Frankfurter Goethe-Universität hatte.

Seit rund drei Jahren bildete sie mit Steffen ein kleines, aber erfolgreiches Team. Sie trug eine enge Jeans und eine grüne Bomberjacke mit orangem Innenfutter. In der Hand hatte sie ihre praktische Handtasche.

Er hielt direkt vor ihren Füßen. „Hey Linda, alles klar?“

„Ja, wie immer.“ Sie ließ sich auf den Beifahrersitz sinken. „Ich hab was für dich.“

Lächelnd drückte sie Steffen einen Espresso to go in die Hand, den sie im Café im Parterre ihres Wohnhauses besorgt haben musste.

„Oh, danke, Linda. Das kann ich jetzt echt gut gebrauchen.“ Steffen liebte den starken Muntermacher. Er war geradezu süchtig danach und trank ihn schwarz und ohne einen Krümel Zucker. Er zog den Plastikdeckel ab und kippte den Espresso in einem Zug.

„Das tut gut“, murmelte er zufrieden. Den Pappbecher knüllte er zusammen und warf ihn mit Schwung in die Mittelkonsole des Jaguars.

Um kurz nach halb sieben befanden sie sich auf dem Weg ins Ostend. Ihr Ziel waren die Skytower der Europäischen Zentralbank, ein imposantes Gebäude neben der Großmarkthalle, das seit der Fertigstellung 2014 zu einem städtebaulichen Wahrzeichen in der Main-Metropole geworden war. Mit seiner charakteristischen Silhouette verlängerte der 185 Meter hohe Wolkenkratzer die Skyline von Frankfurt nach Osten hin.

Im Main war die Leiche eines jungen Mannes aufgefischt worden. Eine ältere Dame, die mit ihrer Hündin spazieren gegangen war, war am Ufer der Liegewiese an der Weseler Werft auf den Toten gestoßen.

Noch an Ort und Stelle hatte sie über den Notruf die Polizei verständigt. Der silber-blaue Streifenwagen war nach weniger als vier Minuten am Fundort eingetroffen.

„Ich versuche mal so dicht wie möglich an den Ort des Geschehens heranzukommen“, sagte Steffen, das hölzerne Lenkrad fest im Griff.

„Ja, mach das!“, sagte Linda gut aufgelegt. „Ist die Spurensicherung schon informiert worden?“

„Davon geh ich aus. Martin ist unser Mann der Stunde“, erwiderte Steffen. Martin Henze, der Chef der Spurensicherung, war ein ebenso sorgfältiger wie verlässlicher Kollege, mit dem sie gern zusammenarbeiteten.

Die Ampel, die ihre Fahrt jäh unterbrochen hatte, sprang auf Grün, und Steffen gab Gas.

Hinter der Bethmann-Schule bog er rechts ab.

„Wäre der Anlass nicht so tragisch, man könnte sich von ganzem Herzen über den sagenhaften Sonnenaufgang freuen“, bemerkte Linda.

Mit blinzelnden Augen sah sie direkt in die Sonne und musste die Augen zusammenkneifen. „Ich hätte meine neue Sonnenbrille einpacken sollen.“

„Trotzdem bin ich froh, dass dieser ewige Winter endlich hinter uns liegt“, sagte Steffen und klappte die Sonnenblende herunter. „Für die Eiseskälte und diese ständige Dunkelheit bin ich einfach nicht geschaffen. Da zieht es mich mehr in den Süden, bella Italia und so ...“

In der Einfahrt zum nördlichen Mainufer stoppte sie ein Verkehrspolizist. Steffen hielt dem jungen Kollegen seinen Dienstausweis unter die Nase: „Kripo, Mordkommission.“

Der Beamte warf einen fachmännischen Blick auf das Dokument, dann sagte er: „In Ordnung, Kollesch, einwandfrei. Fahrt als de Nas lang weider! Die Stelle könnt ihr gar nit verbasse.“ Er deutete in Richtung Ufer. „Uffbasse, die Leud von der Presse sind auch schon do.“

Leicht perplex sah Linda zu Steffen hinüber. „Wie kann es denn sein, dass die Pressefuzzis schon da sind? Haben die etwa heimlich den Polizeifunk abgehört, oder verkaufen die Kollegen von der Zentrale die News mittlerweile unter der Hand gegen Bares?“

Steffen zuckte nur knapp mit den Schultern und steckte den Ausweis zurück in die Innentasche der Lederjacke. Gegen die Presse war kein Kraut gewachsen, das hatte er mit seinen über fünfzig Jahren schon längst begriffen. Am besten, man ignorierte sie, so gut es ging, und hielt sich ansonsten möglichst bedeckt.

Schließlich brachte er die Katze zum Stehen. Unisono sprangen sie aus dem Fahrzeug und hasteten zum Mainufer hinunter.

Ordnungshüter mit gelben Schutzwesten über den Uniformen hielten die Pressevertreter im Zaum. Von ihrem Standort aus konnten sie keinen brauchbaren Blick auf die Leiche erhaschen. Aus ermittlungstaktischen Gründen wurden Informationen über das Verbrechen nur gezielt der Öffentlichkeit präsentiert.

„Bitte sagen Sie den Leuten von der Presse, dass es um zwölf Uhr im Polizeipräsidium eine Pressekonferenz geben wird“, rief Steffen dem erstbesten Polizisten zu, auf den sie trafen.

„Details zur Pressekonferenz können in rund einer Stunde von der Internetseite des Präsidiums abgerufen werden“, fügte Linda knapp hinzu.

Der junge Kollege nickte dienstbeflissen und wandte sich den Journalisten zu, während Linda und Steffen zum Fundort hasteten.

Zwei

Der Anblick der Leiche fuhr Linda, obwohl sie mit Mitte dreißig eine erfahrene Polizistin war, durch Mark und Bein. Erst vor wenigen Minuten hatten zwei Polizeitaucher die Leiche aus dem Wasser gefischt, wo sie kopfüber im Schilf trieb. Behutsam hatten sie den Toten am Rand des Mainufers auf ein weißes Laken gebettet.

Er war etwa Mitte zwanzig und athletisch gebaut. Bis auf die Kugel, die ihn ins Herz getroffen hatte, wirkte er auf den ersten Blick gesund und vital. Er hatte die Augen geschlossen, seine Hände waren mit einer groben Kordel, dick und breit wie ein Glockenseil, zusammengebunden.

Der junge Mann war nur spärlich bekleidet. Er trug nichts als eine blaue Sporthose am Leib. Das braune, glatte Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Der Oberkörper war überzogen mit dunklen Striemen.

Er muss brutal geschlagen worden sein, überlegte Linda. Die Wunden auf Brust und Rücken waren weitgehend verheilt. Lindas Eindruck nach waren ihm die Verletzungen mit einem Stock oder einer Rute zugefügt worden.

Sie deutete auf den Schädel des Toten. „Was ist das denn da auf der Schläfe? Siehst du das auch, Steffen? Diese dunklen Flecken rechts und links an seinem Kopf. Könnten das Verbrennungen sein?“

„Ja, das sehe ich auch. Sieht wirklich merkwürdig aus.“ Steffen zuckte ratlos mit den Achseln. „Keine Ahnung, woher das kommt. Aber die Gerichtsmediziner werden es schon herausfinden.“

„Guck dir die Tattoos da an, Steffen! Das ist mal originell. Auf dem rechten Oberarm hat er eine rote und auf dem linken Oberarm eine blaue Campbell-Suppendose von Andy Warhol tätowiert“, meinte sie mit einem leichten Grinsen.

„Tja, in der Tat, das ist schon speziell“, sagte Steffen. „Was es heutzutage so alles gibt ... Aber warum auch nicht, kann ja jeder machen, was er will.“

Steffen blickte auf und schaute sich um. Dann wandte er sich an einen der Polizeitaucher, der dicht an ihnen vorbeitrottete. Er steckte von Kopf bis Fuß in einem hautengen, schwarzen Neoprenanzug. Die Schwimmflossen hatte er sich unter den Arm geklemmt.

„Habt ihr im Wasser noch irgendwas Verdächtiges gefunden?“, erkundigte sich Steffen. „Zum Beispiel Gewichte oder eine Platte oder sonst etwas, was den Toten unter Wasser hätte halten sollen?“

Der Taucher schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Wir haben den Fundort großflächig abgesucht. Tief unten in der Plörre ist es zwar finster und trüb wie in einer rabenschwarzen Nacht, da helfen auch unsere Scheinwerfer nicht viel, aber wir haben den Boden abgetastet und sind auf nichts gestoßen, was unseren Verdacht erregt hätte. Tut mir echt leid.“

„Danke für die Auskunft“, sagte Steffen und sah ihm gedankenverloren hinterher. Zusammen mit dem Leinenführer, der die Telefonleine zusammengerollt hatte, durch die die Schwimmer und das Team an Land miteinander verbunden waren, stieg er in das Heck eines silbernen VW-Bulli der neuesten Generation.

Linda riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich guck mal nach, ob er irgendwelche Papiere bei sich trägt, um ihn identifizieren zu können.“

Flink stülpte sie Gummihandschuhe über ihre Hände. Dann fummelte sie die Finger in die Hosentasche der Leiche.

„Ich glaube, da ist was“, meinte sie einen Moment später. Vorsichtig zog sie ein vom Wasser aufgeweichtes Stück Pappe aus der Hose des Toten.

Mit ausgestreckter Hand hielt sie Steffen das Asservat entgegen. Er nahm das aufgequollene Papier an sich. Mit der Pinzette, die zur Ausstattung seines jahrzehntealten Schweizer Taschenmessers gehörte, faltete er es auseinander und musterte es.

„Das ist, wenn ich das hier richtig entziffere, die Karte einer Bar. Sie heißt ... Moment mal, lass mich raten ....“ Er räusperte sich. „Ja, eindeutig, das ist die Visitenkarte der Pussycat-Bar in Johannisberg, in der Nähe von Geisenheim im Rheingau-Taunuskreis“, sagte er triumphierend.

Er beförderte die Karte in einen Plastikbeutel, den er deutlich sichtbar neben der Leiche drapierte.

„Morsche, die Herrschaften“, hallte es da unvermittelt über das Mainufer.

Steffen sah auf. Martin Henze, der Chef der Spurensicherung schien bester Laune zu sein. Beladen mit einem schweren Alukoffer stampfte er die letzten Meter durch den Kies auf sie zu.

Sein mächtiger Körper steckte in einem Overall aus weißem Vlies. Auf dem fleischigen Kopf trug er eine ausladende Kapuze, die verbarg, dass sein Haar schütter wurde. Martin war einem guten Tropfen Wein zu einem schmackhaften Essen nicht abgeneigt, das sah man ihm deutlich an.

„Weiß man schon Näheres über den Toten? Ich meine: Wer er ist und woher er kommt?“, fragte Martin.

Steffen schüttelte stumm die grauen Locken, während er das Taschenmesser zusammenfaltete, um es in die Lederjacke zu friemeln.

„Nada, wir stehen ganz am Anfang“, sagte Linda.

„Bloß diese aufgeweichte Karte da, von einer Pussycat-Bar in Johannisberg haben wir bei ihm gefunden“, erläuterte Steffen und deutete auf den Plastikbeutel neben der Leiche. „Sonst trägt er nichts bei sich, was ihn näher identifizieren könnte.“

„Pussycat-Bar?“, wiederholte Martin amüsiert. „Das ist doch die zurzeit angesagteste Schwulenbar im ganzen Rhein-Main-Gebiet. Ich habe mir von ein paar jungen Kollegen aus meinem Team sagen lassen, dass im Pussycat die abgefahrensten Partys steigen. Also, ich meine natürlich, wenn man auf so was steht ...“ Urplötzlich wirkte Martin ein wenig verlegen.

„Ja, stimmt, jetzt wo du es sagst: Von der Bar habe ich auch schon gehört“, sagte Linda. „Sie ist zwar noch recht neu, hat sich aber in der Szene schnell einen Namen gemacht.“

„Ja, sag ich doch.“ Klickend öffnete Martin die Klappverschlüsse des Alu-Koffers und nahm eine ultramoderne Kamera heraus. „Fahrt doch einfach mal hin ins Pussycat, ihr zwei Hübschen, und fragt da mal nach! Vielleicht ist er dort bekannt wie ein bunter Hund? Wundern würde mich das beileibe nicht, wenn ich mir den so betrachte.“

Er deutete auf den Toten. „Sein Körper ist komplett durchtrainiert. So wie der junge Mann aussieht, war er sicher Leistungssportler. Da können wir zwei uns eine ordentliche Scheibe von abschneiden, was, Steffen?“

Steffen zog unwillkürlich den Bauch ein. Als er Lindas Blick bemerkte, stieß er ertappt die Luft aus. Im Gegensatz zu ihm hatte Linda eine schlanke, sportliche Figur, was ihrem regelmäßigen Jogging- und Yogatraining geschuldet war.

„Machst du bitte auch ein paar Porträtfotos für uns?“, sagte er zu Martin Henze. „Die sollten aber einigermaßen vorzeigbar sein. Wir brauchen sie dringend, um die Leiche identifizieren zu können.“

„Klar, natürlich“, meinte Martin. Er hantierte mit der Kamera, um aus jedem erdenklichen Winkel ein Bild von der Leiche zu schießen.

„Was meinst du, Linda“, fragte Steffen, „fahren wir heute Abend, wenn der Laden geöffnet hat, mal hin ins Pussycat?“

Linda nickte. „Klar, wir hören uns dort ein bisschen um. Vielleicht ausnahmsweise auch mal undercover? So erfahren wir unter Umständen mehr, als wenn wir da in amtlicher Mission aufschlagen.“ Sie strich sich durch ihren platinblonden Pagenkopf und sah auf den Leichnam hinab. „Was ist dem armen Teufel bloß widerfahren?“

„Das herauszufinden, ist genau unser Job. Also ran ans Werk!“, erwiderte Steffen voller Tatendrang. „Martin, wir hören von dir“, sagte er und hob die Hand zum Abschied.

Gemeinsam marschierten sie zu der älteren Dame, die den Mann im Wasser gefunden hatte, um sie als erste Zeugin ihres neuen Falles zu befragen.

Sie wusste jedoch nichts Relevantes zu berichten. Etwas Besonderes war ihr jedenfalls nicht aufgefallen. Während der kurzen Befragung, die sie sich im Ergebnis hätten sparen können, kläffte der kleine, langhaarige Mischlingshund sie unentwegt an.

Linda vermerkte noch die Personalien der Zeugin in ihrem schwarzen Block, dann verließen sie den Fundort beim Gebäude der Europäischen Zentralbank und machten sich direkt auf den Weg in das sechsgeschossige Frankfurter Polizeipräsidium an der Ecke Adickesallee und Eschersheimer Landstraße, in dessen Rücken das Frankfurter Bankenviertel lag.

Früher befand sich an dieser Stelle das von den US-Streitkräften als PX Shopping Center genutzte Gelände am Alleenring. In dem Polizeigebäude mit einer Gesamtfläche von 129.000 m² waren rund 2.500 Mitarbeiter beschäftigt und die Behördenleitung, die diversen Sonderdienststellen und die Kriminalpolizei untergebracht. Außerdem fand sich dort eine Sporthalle, eine Schießanlage, das Polizeigewahrsam, ein Hubschrauberlandeplatz, ein Kriminalmuseum und die Wache eines Polizeireviers. Es war ein riesiger Komplex, und Linda hatte nach ihrem Dienstantritt eine ganze Weile gebraucht, bis sie sich zurechtgefunden hatte.

„Als Erstes gehen wir die Vermisstenanzeigen durch. Vielleicht haben wir ja Glück“, sagte Steffen voller Hoffnung. „Und wenn wir damit nicht weiterkommen, machen wir direkt eine Öffentlichkeitsfahndung.“

„Klaro, das Übliche halt“, erwiderte Linda. „Da wird unser Ausflug heute Abend sicher spannender!“

Drei

„Nachdem wir bei der Vermisstenstelle leider keinen Erfolg für uns verbuchen konnten“, meinte Steffen, „setze ich auf die Pressekonferenz. Die Medien werden bundesweit über den Fall berichten, und es wird ein großes Echo geben. Ich bin mir sicher, dass uns das etwas Fahrtwind bringen wird.“

„Lass uns mal abwarten, was da so alles auf uns zukommt“, erwiderte Linda gelassen.

Seit einer geschlagenen halben Stunde hockten sie in der Katze und observierten die Pussycat-Bar in Johannisberg.

Der Ort war bekannt für seine Rieslingweine und die Entdeckung der Spätlese im Jahre 1775. Weil der Kurier des Klosters Johannisberg den verzweifelt wartenden Menschen verspätet die Lesegenehmigung des Fürstabtes von Fulda überbracht hatte, entdeckten sie über Nacht den Wert der Edelfäule und der Spätlese. An dieses jahrhundertealte Ereignis erinnerte heute noch das Denkmal des Spätlesekuriers im Innenhof des Johannisberger Schlosses, mit seinem traditionsreichen Weingut und der dazugehörigen Weinlage.

Nachdem Steffen sich einen Kaffee eingeschenkt hatte, schraubte er den Deckel der Thermoskanne wieder zu.

„Magst du auch einen?“, fragte er Linda. „Tut dir bestimmt gut und wird dich schön wachhalten.“

„Nein, danke“, meinte sie kopfschüttelnd. „Ich trinke lieber grünen Tee, das müsstest du doch mittlerweile wissen.“

„Ich gebe halt nicht so schnell auf.“ Steffen grinste, sah aus dem Fenster und nahm einen kräftigen Schluck.

Nach einer Weile meinte Linda: „Wie geht es eigentlich Sunita und Sanjay? Haben sich die beiden bei euch eingelebt? Und haben sie schon neue Spielkameraden gefunden?“

Die Zwillinge Sunita und Sanjay stammten aus Indien, Steffen und seine Frau Nora hatten die beiden Vierjährigen adoptiert. Vor wenigen Wochen hatte Nora sie nach Frankfurt begleitet.

Steffen trank einen weiteren Schluck aus dem Becher und wischte sich gedankenversunken mit dem Handrücken über die Lippen. „Die beiden Kids sind absolut prima, ganz großartige kleine Racker. Sie bereiten Nora und mir große Freude. Wir sind eine richtige Familie geworden, in der jeder für den anderen da ist, wenn es darauf ankommt.“

Steffen machte eine kurze Pause. „Aber mit dem Kindergarten funktioniert es leider nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten.“

„Wieso, was ist denn los?“, fragte Linda.

„Es liegt wohl an der Sprache. Die beiden sprechen nur eine von den vielen indischen Sprachen. Ein paar Brocken Englisch können sie auch, aber mit ihrem Deutsch hapert es noch immens. Nora macht und organisiert zwar alles Erdenkliche dafür, dass sie schnell unsere Sprache lernen, aber es dauert eben.“

„Ich verstehe“, erwiderte Linda.

„Hinzu kommt, dass die beiden gelegentlich ... Probleme wegen ihrer dunklen Hautfarbe haben. Offen gestanden habe ich mit so was überhaupt nicht gerechnet. Immerhin leben wir im 21. Jahrhundert, mitten im Herzen Europas in einer hochmodernen Großstadt mit vielen Menschen mit Migrationshintergrund. Ich hatte gehofft, dass vor allem die Kinder in ihrem Alter wesentlich offener damit umgehen. Aber das ist leider nicht der Fall. Ganz im Gegenteil ... zum Teil ist es richtig schlimm“, sagte Steffen niedergeschlagen.

„Was ist denn passiert?“, sagte Linda erschrocken.

„Nora ist der festen Überzeugung, dass Sunita und Sanjay von einigen anderen Kindern aus ihrer Gruppe geschnitten werden. Am schlimmsten ist aber der fiese Luca. Der macht sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die beiden lustig und verhöhnt sie wegen ihrer Hautfarbe und ihrer dravidischen Sprache.“ Steffen zuckte hilflos mit den Achseln. „Sunita und Sanjay mussten schon ein paarmal heulend abgeholt werden. Und es ist schon mehr als einmal vorgekommen, dass sie gar nicht mehr in den Kindergarten gehen wollten.“

„Das ist ja schrecklich. Kann man denn nichts dagegen tun?“, sagte Linda voller Mitgefühl. Sie sah zu dem alten Fachwerkhaus hinüber, in dem sich die Pussycat-Bar befand. Vor deren Eingang hatte sich eine kleine Schlange gebildet.

„Es ist schwierig. Die Erzieherinnen und Erzieher sind sehr bemüht, schaffen es aber nicht, die beiden zu integrieren. Na, du weißt ja, wie tatkräftig Nora ist. Jetzt ist sie drauf und dran, einen eigenen Kindergarten zu gründen, der weltoffener und liberaler und irgendwie diverser ist als alles, was es sonst in Frankfurt gibt.“

Skeptisch runzelte er die Stirn. „Ich glaube nicht, dass das die Lösung des Problems ist, aber wenn sich Nora was in den Kopf gesetzt hat, dann gibt es kein Halten mehr. Du kennst sie ja.“ Er fügte hinzu: „Sie will sich auch wieder mehr um ihre Stiftung 161, die Antifaschistische Aktion, kümmern.“

Linda schüttelte den Kopf. „Einen neuen Kindergarten gründen? Damit wird sie gesamtgesellschaftlich nicht viel bewirken, aber vielleicht ist es für Sunita und Sanjay wirklich ein guter Weg. Ich finde es jedenfalls klasse, dass sie die Probleme anpacken und kurzerhand lösen will.“

„Ja, du hast ja eigentlich recht. Aber mir graut es vor dem ganzen Aufwand ...“

Die nächsten Tage würden zeigen, was das Beste für die Kinder wäre, dachte Steffen. Klein beigeben wollte er auf keinen Fall. Zusammen mit Nora würde er noch einmal mit den Erziehern sprechen. Dann würden sie eine Entscheidung treffen. Aber jetzt wollte er sich erst einmal auf seine Arbeit konzentrieren.

Er warf wieder einen Blick nach draußen. „Der Laden ist bald gerammelt voll.“

„Worauf warten wir dann noch?“, fragte Linda.

„Stimmt. Komm, Linda!“, sagte Steffen. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“ Schwungvoll stieß er die Fahrertür auf und stieg voller Tatendrang aus.

Vier

Einige Zeit zuvor

Xavier kramte nervös in seinen privaten Unterlagen. Gerade hatte er die Geburtsurkunde in den Händen, da rief Kim aus der Küche: „Mein Schatz, was treibst du denn die ganze Zeit? Ich warte auf dich, wir wollten doch ausnahmsweise zusammen frühstücken, wo du heute erst gegen elf in die Bank fährst.“

„Ja, ja, ich komme sofort“, antwortete er. Seine Stimme klang heiser und gehetzt.

„Es ist schon alles vorbereitet. Die Rühreier und der Speck werden langsam wieder kalt.“

Sanft strich Kim über den Babybauch, der das blau-weiß gestreifte Oberhemd, das sie sich von Xavier ausgeliehen hatte, fast zum Bersten brachte. Die junge Frau Anfang dreißig mit den langen, dunklen Haaren und der auffallend großen, aber charaktervollen und vor allem hübschen Nase, wie Xavier fand, erwartete voller Sehnsucht ihr erstes Kind.

Nach einer knappen Babypause von ein paar Monaten würde sie in das angesagte Frankfurter Planungsbüro, für das sie seit drei Jahren als Architektin arbeitete, zurückkehren.

Plötzlich fühlte Kim, wie sich das junge Leben in ihr bewegte. Schon wieder hatte sie einen leichten Tritt oder einen Boxhieb von ihrem Junior abbekommen. Zärtlich streichelte sie die Stelle, wo die Begegnung der dritten Art stattgefunden hatte.

„In knapp einer Woche wird unser Leben komplett umgekrempelt sein. Das weißt du doch, oder?“, rief sie gut gelaunt über den Flur. „Mach schon, Xavier! Komm her zu mir, ich warte auf dich.“

Kim öffnete ein Einmachglas und steckte sich voller Genuss eine saure Gurke in den Mund.

„Vielleicht ist das unser letztes gemeinsames Frühstück ohne Babygeschrei“, rief sie verschmitzt. Wieder streichelte sie ihren prallen Bauch, und über ihr Gesicht huschte ein strahlendes Lächeln.

Das Baby war ihr gemeinsames Wunschkind. Dass sie sich bisher nicht auf einen passenden Namen für den Kleinen einigen konnten, trübte ihre Freude nicht. Sie würden sich schon einig werden, da waren sie sich sicher.

„Ich komme gleich, mein Schatz“, rief Xavier. Er fuhrwerkte mit Dokumenten herum, die er in einer Kiste gesammelt hatte. Sie markierten die wichtigsten Stationen seines bisher bekannten Lebens.

Was war in der Vergangenheit geschehen? Was für ein Mensch war er in Wirklichkeit? Welches dunkle Rätsel verbarg sich hinter seiner Geschichte?

Xavier nahm sich fest vor, sein Geheimnis um jeden Preis der Welt zu lüften. Gleichgültig, wie steinig der Weg zum Ziel sein würde. Kim wollte er damit nicht belasten, nicht jetzt. So kurz vor dem Geburtstermin wollte er sie nicht in Aufregung versetzen. Das, was seine Geschichte betraf, musste er ganz allein mit sich ausmachen.

„Da bist du ja endlich, Xavier. Komm, setz dich und lass es dir schmecken.“ Kim schaufelte ihm eine große Portion Rührei mit Speck auf den Teller. Mit Hochgenuss schob er sich das Essen in den Mund.

Liebevoll betrachtete Kim den Mann, mit dem sie seit sieben Jahren verheiratet war. Er würde sicher einen prima Vater abgeben.

Ach, wäre die Geburt, vor der sie sich ein wenig fürchtete, doch schon geschafft, wünschte sie von ganzem Herzen. Dann tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass sie nicht die erste Frau auf der Welt war, die ein Kind gebären würde. Es wird sicher alles gut werden, dachte Kim voller Optimismus.

Fünf

Die Pussycat-Bar lag abseits der Hauptstraße in einer ruhigen Seitenstraße von Johannisberg. Das alte Fachwerkhaus, in dem das Pussycat sechsmal die Woche Spaß und Party veranstaltete, war geschmückt mit einer bunten Leuchtreklame: dem Catman. Das rundliche Wesen besaß einen buschigen schwarzen Schwanz und grellrote Lippen. Fast im Sekundentakt öffnete sich der Mund, um wahllos Küsse in der Gegend zu verteilen.

An der Fassade des Hauses suchte man den Namen der Pussycat-Bar vergeblich. Er war gut versteckt neben dem Eingang auf einem bronzenen Klingelschild zu finden.

Der leichte Wind Anfang April war wärmer, als Steffen erwartet hatte. Sie näherten sich der Tür des Pussycat. Auf dem Parkplatz neben der Bar parkten eine Handvoll Harley-Davidson-Motorräder. Steffen besaß selbst eine leistungsstarke Harley. Er liebte es, im Frühjahr und im Sommer mit der Maschine durch den Taunus und den Rheingau zu touren, um die Natur zu genießen. Mit Kennerblick identifizierte er eine Road King Classic, eine Street Glide und eine nachgebaute silberne Captain America, mit der US-amerikanischen Flagge auf dem Tank.

Vor der Bar war der Klang undefinierbarer Musik und johlender Männerstimmen zu hören. Mit großen Schritten seiner schweren Stiefel stapfte Steffen über den Kiesweg zum Eingang des Pussycat.

„Hast du nicht gesagt, unser Club wäre neu?“, fragte er. „Ein bisschen in die Jahre gekommen sieht er ja schon aus. Da scheint mir der Lack teils schon kräftig ab zu sein.“ Er zeigte auf den abblätternden Anstrich der geschlossenen Fensterläden.

Linda zuckte nur die Schultern. „Lass mich besser mal vorgehen, ich klär das mit der Einlasskontrolle.“

„Wieso? Glaubst du, ich krieg das nicht hin?“ Er sah Linda verständnislos an.

„Na, wenn die da drin dein bärbeißiges Gesicht sehen“, konterte Linda ungerührt, „ist denen doch sofort klar, dass du ein Bulle bist, und das war es dann mit unserer Undercover-Ermittlung.“

Steffen war schlagartig stehen geblieben. Er sah Linda, die an ihm vorbeirauschte, ratlos hinterher.

Sie drehte sich noch einmal kurz zu ihm um und meinte schnippisch: „Du siehst eben wie ein Bulle aus. Und auf die Schnelle können wir daran leider auch nichts mehr ändern.“

„Okay, dann geh du eben vor. Mir ist das so was von schnuppe.“ Trotzig vergrub er die Hände in den Taschen seiner Lederjacke.

Linda läutete zweimal kurz hintereinander. Scheppernd öffnete sich eine Klappe aus Holz, und mit einem Schlag wurden die Musik und das Gejohle lauter.

Ein mit Kajal geschminktes Augenpaar eines Schnauzbarts tragenden Mannes Ende zwanzig blickte Linda entgegen. Sein schräger Schneidezahn oben rechts fiel ihr sofort auf.

„Oh, sorry, Mädelsabend ist nur Donnerstag“, sagte der junge Mann. „Ich kann dich leider nicht reinlassen, meine Liebe. Hier ist eine geschlossene Gesellschaft zugange.“

Seine Stimme hatte einen seltsam nasalen Klang, fand Steffen.

„Das ist aber jammerschade“, säuselte Linda und machte große Augen. „Kannst du denn für mich nicht mal eine Ausnahme machen?“

„Nee, echt sorry, tut mir voll leid. Ich bin untröstlich“, erwiderte der Doorman und schloss die Klappe wieder.

Steffen, der im Hintergrund abgewartet hatte, zuckte mit den Schultern und verkniff sich ein Grinsen.

Energiegeladen wandte sich Linda erneut der Tür zu, um sie heftig mit den Fäusten zu traktieren.

BUMMS, BUMMS, BUMMS. Nichts regte sich. Die Klappe blieb geschlossen. Ungehalten nahm Linda ihren Fuß zu Hilfe und trat mit voller Kraft gegen das Türblatt.

Scheppernd wurde die Klappe ein zweites Mal geöffnet. Die Kajal-Augen sahen Linda böse an. „Mann, du schon wieder. Mensch, Meedchen“, stöhnte der Doorman und verdrehte die Augen.

Steffen fand, er hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit der blutjungen Heidi Klum, die er flüchtig aus dem Fernsehen kannte.

„Was von dem, was ich dir eben erklärt habe, hast du nicht verstanden?“, sagte er gedehnt. „Oder willst du hier bloß Krawall schlagen? Sag, was ist los mit dir? Sind dir etwa die Drogen ausgegangen?“

„Wenn du nicht willst, dass Wut zu Hass wird, dann mach gefälligst die verdammte Tür auf! Wir wollen nur ein bisschen mitfeiern, kannst du das denn nicht kapieren?“, erwiderte Linda genervt. Sie sprach lauter, als sie es wohl beabsichtigt hatte.

Der Mann hinter der Klappe holte tief Luft und sagte: „Erstens sind wir voll. Zweitens sind wir eine Schwulenkneipe, und drittens haben wir keinen Bock auf dich. Also mach gefälligst die Biege!“

Er wedelte mit den Händen, als wollte er kleine, lästige Tierchen verscheuchen.

„Komm, bitte, sei doch nicht so!“, sagte Linda mit ihrer süßesten Stimme.

„Bist du allein? Oder seid ihr so ein exzentrischer Mädelstrupp, der seinen Junggesellinnenabschied feiern und sich mal am anderen Ufer ergötzen will?“

Er war im Begriff die Klappe erneut zu schließen. Da wurde es Linda zu bunt und ihr platzte gewaltig der Kragen.

„Außer meinem geschätzten Kollegen Steffen Anbach, Kriminalhauptkommissar von der Frankfurter Mordkommission, bin ich solo“, warf sie ihm an den Kopf. „Also, hier sind keine hysterischen Meedchen am Start, die eure Kreise stören wollen.“

Der Doorman schluckte merklich. Steffen sah, wie sein Adamsapfel auf und nieder hüpfte.

Mit dem Dienstausweis in den Pranken trat er nun in Erscheinung. Er hielt dem Schnauzbart das Dokument direkt unter die Nase. „Reicht das hier als Eintrittskarte für euren feinen Club? Oder braucht ihr noch das passende Empfehlungsschreiben?“, fragte er. Zu Linda sagte er leise: „Das hat ja wirklich hervorragend funktioniert. Gratulation.“

Linda ignorierte ihn zornig. „Mach jetzt endlich auf, Junge, beweg dich! Wir schlagen hier sonst noch Wurzeln“, sagte sie genervt zum Türsteher.

„Wenn´s denn unbedingt sein muss, dann gebe ich mich eben geschlagen. Der Klügere gibt halt immer nach. Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit“, murmelte das Kajal-Auge leise, und die schwere Tür öffnete sich quietschend.

Als Steffen und Linda den Club betraten, erklang in ohrenbetäubender Lautstärke der Song „Heroes“ von David Bowie.

„I, I will be king

And you, you will be queen

Though nothing will drive them away

We can beat them, just for one day

We can be heroes, just for one day.“

„Wer hat hier das Sagen?“, wollte Steffen wissen. Er war dem Türsteher wegen des Krachs dicht auf die Pelle gerückt.

„Geht vor zur Theke zu Giselher, die mit der hochtoupierten roten Mähne, sie ist hier die Chefin!“ Er deutete grob in die Richtung.

Zielstrebig nahmen Steffen und Linda Kurs auf den Tresen. Die Stimmung im Club war ausgelassen, teils außer Rand und Band. Es wurde gegrölt und gesungen. Die Tanzfläche war voll bis auf den letzten Mann.

Steffen hatte plötzlich das Gefühl, auf einem völlig aus den Fugen geratenen Kindergeburtstag gelandet zu sein, auf dem statt Kuchen und Kakao ein bunter Strauß von Drogen verabreicht wurde.

Schon von Weitem sah er Giselher hinter dem Tresen stehen. Sie zupfte ihr quietschbuntes, tief ausgeschnittenes Oberteil gerade und legte sich ein breites Grinsen zurecht. Inklusive ihrer Pumps maß Giselher locker einen Meter fünfundneunzig. Sie war eine imposante Erscheinung.

„Was darfs denn sein, meine Lieben?“, fragte sie mit glockenheller Stimme, als sie sie erreicht hatten. „Piccolöchen, Bierchen? Oder was Härteres? Ich habe alles da, meine Lieben, ich bin wirklich gut bestückt!“ Giselher lachte heiser.

Sie zog ihre gezupften Augenbrauen in die Höhe. Verzückt lächelnd legte sich ihr auffällig geschminktes Gesicht in feine Falten. Nebenher reinigte sie einen Bierkrug unter fließendem Wasser. Mit Getöse postierte sie den Krug anschließend auf der Spüle.

Völlig ungeniert musterte Giselher sie von oben bis unten. Dabei tippte sie rhythmisch mit den feuerrot lackierten Fingernägeln auf die Theke.

„Wollt ihr jetzt etwas trinken?“, wiederholte sie dann ihre Frage.

Linda winkte gleich ab, und Steffen schüttelte derart heftig den Kopf, dass die grauen Locken in Bewegung gerieten. „Danke, vielen Dank, aber wir sind dienstlich hier. Wenn Sie mich verstehen“, sagte er mit seiner sonoren Stimme.

„Aha. Dann eben nicht“, zischte Giselher wie eine giftige Schlange. „Wer nicht will, der hat ja bekanntlich schon.“

Steffen zog das Foto von der EZB-Leiche aus dem Futteral der Lederjacke und hielt es der Wirtin auffordernd entgegen. Auf dem Bild, das Martin Henze für sie kreiert hatte, sah der Mann auf den ersten Blick quicklebendig aus. Offenbar hatte der Kriminaltechniker alles aus dem modernen Fotoapparat oder der Bildbearbeitungssoftware herausgeholt.

„Ist der Typ auf dem Foto hier bekannt? Verkehrt der hier eventuell?“, fragte Steffen und tippte auf das Foto. Ernst sah er Giselher an.

Die Wirtin scherte sich kaum um das Bild. Dafür schmunzelte sie unvermittelt. „Zur ersten Frage kann ich Folgendes erklären: Ja, der Mann ist hier durchaus bekannt“, sagte sie pampig. „Der Typ da, das ist unser lieber Tommy.“

Giselher warf den Kopf zur Seite und nahm einen weiteren Krug aus dem Wasser, um ihn zum Abtropfen auf die Spüle zu stellen.

„Was die Frage Nummer zwei angeht ...“ Affektiert zuckte sie mit den Schultern und legte dann lächelnd eine Kunstpause ein. „Ob der hier auch verkehrt ...? Das weiß ich zu meinem großen Bedauern leider nicht zu sagen.“ Sie verschränkte die nackten, muskulösen Arme vor der Brust. Grinsend sah sie Steffen in die Augen.

Steffen ließ das Foto sinken. Er betrachtete Giselher völlig ungerührt und schwieg.

„Aber ... durchaus denkbar, dass der hier auch verkehrt, warum denn nicht? Hier kann doch jeder tun und lassen, was er will. Ich bin schließlich nicht bei der Sittenpolizei“, sagte die Wirtin mit klimpernden Augenlidern. Kess grinsend guckte sie in die Runde.

Gegen ihren Willen musste Linda plötzlich schmunzeln. Steffen schüttelte bloß gelassen den Kopf.

Der DJ legte „Get Lucky“ von Daft Punk auf. Sofort wurde es in der Bar wieder mächtig laut. Der Song kam bei den Gästen des Pussycat noch besser an als sein Vorgänger „Heroes“.

„Kann uns einer von den Gästen mehr über ihn erzählen?“, rief Linda, gegen die laute Musik ankämpfend. „Wie er heißt, was er so macht und so weiter?“

Giselher tat zunächst so, als habe sie kein einziges Wort verstanden und winkte ab.

„Wer, verdammt noch mal, ist der Typ hier auf dem Foto? Wer kann uns mehr über ihn sagen?“, rief Linda lauthals.

Als Giselher die Fotografie erneut in die Hand nahm, um sie genauer zu betrachten, erstarrte sie mit einem Mal. Sie kniff die Augen zusammen und sagte aufgeregt: „Huch, was ist denn bloß mit ihm passiert? Auf den ersten Blick sah das Schnuckelchen ganz okay aus. Aber jetzt ... Der arme Kerl ist ja ganz blass um die Nase!“

Sie wackelte mit dem Kopf. „Ist ihm etwas Ernsthaftes zugestoßen? Muss ich mir Sorgen um das Schätzchen machen?“ Giselher warf das Foto auf den Tresen, als könnten sich ihre Fingerspitzen im Nu daran versengen.

Linda beugte sich vor, um nicht brüllen zu müssen. „Ja, bedauerlicherweise“, sagte sie ernst. „Der Mann ist mausetot. Wir haben ihn heute Morgen aus dem Main im Frankfurter Ostend gefischt.“

„Ach herrje, du große Güte, das ist ja grauenhaft“, keuchte die Wirtin. Sie schüttelte sich. „Das ist nicht schlimm, das ist ja schon dramatisch“, rief sie mit großem Pathos. „Hat er denn arg leiden müssen, unser Schnuckelchen?“

Giselher nahm das Foto vom Tresen und warf einen traurigen Blick darauf. Wortlos, fast zärtlich, legte sie es Steffen in die Handfläche.

„Das ist uns im Augenblick leider nicht bekannt“, meinte Linda knapp.

„Wer von Ihren werten Gästen kennt ihn näher?“, fragte Steffen.

„Moment mal!“ Giselher schaute sich unter den Tanzenden um. „Wenn jemand was über ihn weiß, dann der Achmed“, antwortete sie.

Mit der Zunge strich sie sich über die rot geschminkten Lippen. Die Augen weit geöffnet, streckte sie sich auf ihren hochhackigen Pumps in die Höhe, um die Umgebung besser nach Achmed abchecken zu können.

„Soweit ich weiß, sind die zwei, der Tommy und der Achmed, ein Pärchen“, erklärte sie. „Er war ein Profi-Fußballer. Ich meine, dass er irgendwo in der dritten Liga am Start war.“

„Bei Wehen Wiesbaden?“, fragte Steffen sofort nach. Nicht dass er ein großer Fußballfan gewesen wäre, aber sein Interesse war mit einem Mal geweckt. „Oder bei ...“

„Stopp, stopp!“, fiel Giselher ihm ins Wort. „Sorry, mein Süßer, von so was habe ich echt null Ahnung. Damit kannst du mich jagen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Geht mal zum Achmed rüber! Achmed Yildirim heißt er. Da, ich sehe ihn. Er steht da hinten, traurig und verlassen direkt vorm Damenklo. Der wird euch sicher weiterhelfen können.“

Giselher deutete verhalten in seine Richtung. „Der Achmed ist ein ganz feiner Kerl. Für seinen Freund Tommy wäre der durchs Feuer gegangen. Es tut mir wirklich leid für die zwei.“ Mit ihrem Kinn deutete Giselher ein weiteres Mal in Richtung der Damentoilette. „Tommy und Achmed hatten gerade die Feier ihrer Verpartnerung im Pussycat geplant. Was für ein Scheiß, dass die Party jetzt ausfallen muss“, sagte sie verbittert und richtete sich mit ihren schlanken Fingern die kunstvoll hochtoupierte rote Mähne. „Wollt ihr jetzt, auf den Schreck, nicht doch noch was zu trinken haben, ihr Lieben? Ich lade euch gerne ein. Geht aufs Haus, versprochen. Weil ihr es seid, ihr smarten Bullen.“

Giselher lächelte charmant, ließ ihre Wimpern klimpern und lieferte einen großen Augenaufschlag ab. Provozierend guckte sie Steffen dabei an. An der Theke klirrten die Gläser.

Linda nickte ihr entspannt zu. Steffen wirkte deutlich reservierter, als er üblicherweise war.

Im Hintergrund brüllte der komplette Laden den Refrain von Daft Punks „Get Lucky“ aus voller Kehle mit.

„She´s up all night `til the sun.

I´m up all night to get some.

She´s up all night for good fun.

I´m up all night to get lucky.“

Linda stupste Steffen sanft in die Seite. „Komm, Steffen, gib dir einen Ruck, ein kühles Beck‘s haut uns zwei Super-Cops garantiert nicht aus den Stiefeln. Von dem ganzen Geschrei und der Hitze hier habe ich ordentlich Durst gekriegt.“

„In Ordnung, ich bin dabei“, meinte er mit einem entwaffnenden Grinsen im Gesicht.

„Aber nur, wenn du auch eins mit uns trinkst“, sagte Linda zur Wirtin.

Giselher nickte entschieden und knallte drei eiskalte Flaschen Beck‘s auf die Theke. Nachdem sie die Kronkorken heruntergehebelt hatte, prostete sie ihnen zu.

„Zum Wohl!“, sagte Linda. Sie nahm einen tiefen Schluck aus der Pulle. Dann setzte sie die Flasche ab und bestaunte den Pulk der ausgelassen tanzenden Männer. Verhalten wippte sie zur Musik mit.

„Wann ist hier noch mal der Mädelsabend?“, rief sie gegen die laute Musik und das Gegröle der Wirtin ins Ohr.

„Mädelsabend? Jeden Donnerstag. Ab neun ist hier in der Bude richtig was los“, erwiderte Giselher, und Linda nickte. „Komm uns doch mal besuchen, wenn du magst. Wie heißt du eigentlich? Du bist eigentlich ganz taff, gefällt mir.“

„Ich bin Linda, und das da ist Steffen.“

„Ich würde mich echt freuen, wenn du kommst. Und wenn dein gut aussehender Kollege die passenden Klamotten anzieht, dann kann er auch gerne mitmachen“, sagte Giselher gönnerhaft.

„Was? Hast du sie noch alle?“ Steffen prustete, damit ihm das Bier nicht im Hals stecken blieb. „Was denn für Klamotten?“ Verstört hielt er sich die Hand vor die Lippen. „Bei so was bin ich definitiv raus. Ohne mich, mit mir wird es hier keinen Mädelsabend oder was auch immer geben“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. Zu guter Letzt nahm er einen weiteren Schluck Bier.