"Er muss weg!" – Der Fall Pilnacek - Gernot Rohrhofer - E-Book

"Er muss weg!" – Der Fall Pilnacek E-Book

Gernot Rohrhofer

4,0

Beschreibung

Christian Pilnacek – angriffslustig, stur und streitbar. Einst einer der mächtigsten Beamten Österreichs, liegt er an einem nebeligen Oktobertag tot in einem Seitenarm der Donau. Wenige Stunden zuvor hatte er um ein vertrauliches Gespräch mit Herbert Kickl gebeten. Was wollte Pilnacek dem FPÖ-Chef mitteilen? Und wer war der Spitzenjurist, der Einblick in alle brisanten Strafverfahren der Republik hatte? War er das türkise Einfallstor in die Justiz, wie seine Kritiker sagen? Oder stolperte er über die Fallen, die ihm seine Gegner gestellt haben? Ex-Kanzler Sebastian Kurz spricht von einer boshaften Menschenjagd. In einem Interview für dieses Buch rechnet der ehemalige ÖVP-Boss mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ab und spricht von ideologischen Überzeugungstätern. Christian Pilnacek wurde 60 Jahre alt. Die Staatsanwaltschaft spricht von Suizid, doch nicht alle wollen das glauben. Vor allem im niederösterreichischen Rossatz, wo Pilnaceks Leiche gefunden wurde, hält sich hartnäckig das Gerücht, dass beim Tod des suspendierten Sektionschefs nachgeholfen wurde. Gernot Rohrhofer rekonstruiert die letzten Stunden im Leben von Christian Pilnacek, beleuchtet die Rolle seiner Widersacher, zeigt aber auch die Verfehlungen des einst so mächtigen Beamten auf.

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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2025

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„ER MUSS WEG!“

DER FALL PILNACEK

GERNOT ROHRHOFER

unveränderte eBook-Ausgabe

© 2025 Seifert Verlag

1. Auflage (Hardcover): 2025

ISBN: 978-3-903583-05-4

ISBN Print: 978-3-903583-02-3

Umschlaggestaltung: Davor Kujundzic,

unter Verwendung eines Fotos von

© GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

Sie haben Fragen, Anregungen oder Korrekturen? Wir freuen uns, von Ihnen zu hören! Schreiben Sie uns einfach unter [email protected]

www.seifertverlag.at

facebook.com/seifert.verlag

INHALT

Prolog

1. Ein schauderhafter Fund

2. Zu Gast in der Wachau

3. Pilnaceks letzte Stunden

4. Tod durch Ertrinken

5. Ein Beamter alten Schlages

6. Ein jahrelanger Konflikt

7. Entmachtet und suspendiert

8. Heimliche Tonaufnahme beim Italiener

9. Die umstrittene Kommission

10. Die Erfindung der Wahrheit

11. Die verschwundenen Datenträger

12. Die Menschen im Hintergrund

Epilog

Quellenverzeichnis

PROLOG

Das Wahljahr 2024 ordnet die politische Landschaft in Österreich neu. Zum ersten Mal bei einer bundesweiten Wahl erreicht die FPÖ bei der Europawahl im Juni Platz eins. Ähnlich der Ausgang der Nationalratswahl im September: Weder ÖVP noch SPÖ finden ein probates Mittel gegen die freiheitliche Polemik. Die Grünen werden abgestraft, die NEOS treten am Stand, und die FPÖ wird neuerlich stimmenstärkste Partei. Beim Auftrag zur Bildung einer Bundesregierung bricht Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit einer langjährigen Gepflogenheit und betraut nach der Wahl nicht Wahlsieger Herbert Kickl mit Regierungs-verhandlungen, sondern den Obmann der ÖVP, Karl Nehammer, der ein Minus von 11,19 Prozentpunkten zu verdauen hat. Der Ärger der Wählerinnen und Wähler über die Vorgehensweise des Bundespräsidenten wird im Novem-ber bei der steirischen Landtagswahl in Zahlen gegossen: Die FPÖ verdoppelt ihr Ergebnis von 2019, erhält 34,76 Prozent der Wählerstimmen und stellt mit Mario Kunasek erstmals den Landeshauptmann in der Steiermark.

2025 – das Jahr ist erst wenige Tage alt – überschlagen sich die Ereignisse: Der Versuch, Österreichs erste Dreierkoalition zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS zu schmieden, scheitert jäh. ÖVP-Chef Karl Nehammer tritt zurück, Herbert Kickl bekommt schlussendlich doch den Auftrag, eine Regierung zu bilden, und entgegen ihrer bisherigen Linie tritt die ÖVP am 9. Jänner 2025 in Koalitionsverhandlungen ein.

Österreich befindet sich am Scheideweg. Krisen, Kriege und Skandale hinterlassen tiefe Gräben im Land. Das gesellschaftliche Klima ist vergiftet. Die Wahlergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Der Bevölkerung will nicht mehr, dass Karrieren über die Interessen des Staates gestellt werden, dass nicht sachliche, sondern persönliche Motive das Handeln der Politik bestimmen. Ideologische Blockadehaltungen, die Besserstellung von vermeintlichen Eliten oder die sonstigen, für Österreich so typischen „Freundschaftsdienste“ tragen das Übrige dazu bei. Die Bevölkerung ist sauer auf Politiker, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeiagieren. Das „System“ und die etablierten Parteien werden abgewählt, sagen sowohl Meinungsforscher als auch Kommentatoren.

Da passt es ins Bild, dass ein justizinterner Machtkampf jahrelang offen zur Schau gestellt worden war und es der ÖVP mit Hilfe von Christian Pilnacek möglich gewesen sein soll, Einfluss auf Verfahren zu nehmen. Der „Fall Pilnacek“ unterstreicht, wie Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Er zeigt, wieso die Kluft zwischen Regierenden und Regierten immer größer wird. Während sich die Bevölkerung mit den Problemen des täglichen Lebens herumschlägt, liefern sich hochbezahlte Vertreterinnen und Vertreter der heimischen Justiz einen erbitterten Streit, dessen Ursprung rein persönliche Gründe gehabt haben dürfte.

Das gegenseitige Misstrauen der vergleichsweise wenigen Akteure in diesem „Kleinkrieg“ beschädigt das Ansehen und Vertrauen in die Justiz nachhaltig. Wer in diesem Zwist den ersten Stein geworfen hat, lässt sich nur schwer sagen. Fakt ist: Christian Pilnacek war kraft seines Amtes für die Kontrolle der Staats- und Oberstaatsanwaltschaften zuständig und hatte Einblick in alle brisanten Strafverfahren der Republik. Der Sektionschef hatte Verantwortung, aber auch Macht. Er wird von Weggefährten als willens- und meinungsstark be-schrieben und hielt nicht hinter dem Berg, wenn ihm etwas nicht gefiel – und das war im Zusammenhang mit der Arbeit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) besonders oft der Fall. Dort wiederum verstand man jede Form der Kritik als Versuch der politischen Einflussnahme und sah sich Schikanen, Medienkampagnen und persönlichen Diffamierungen ausgesetzt.

Doch der „Fall Pilnacek“ hat, wie sich Kapitel für Kapitel zeigen wird, noch viele andere Aspekte: Was sagt der Fall über das Verhältnis von Politik, Justiz und Medien aus? War der Sektionschef das Einfallstor der ÖVP in die Justiz, wie seine Kritiker behaupten? Oder war es vielmehr der grüne Koalitionspartner, der den uneingeschränkten Zugriff auf Akten und Verfahren haben wollte? Gab Christian Pilnacek dem Druck der ÖVP nach, oder war er einfach nur der Hüter des Gesetzes? Und nicht zuletzt geht es um Christian Pilnacek als Mensch, der er war: stur, selbstbewusst und streitbar, aber von Freunden ebenso als loyal, lustig und liebevoll geschätzt.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz sprach nach dem Tod von Christian Pilnacek von boshaften Menschenjagden und mittelalterlichen Methoden. Was er damit gemeint hat? Der Ex-ÖVP-Chef kommt auf den folgenden Seiten immer wieder zu Wort und geht mit der WKStA hart ins Gericht. Neben Kurz wurden mehr als 30 Personen für die Recherche zu diesem Buch interviewt. Dazu zählt auch die Witwe von Christian Pilnacek, Caroline List. Die Einsichtnahme in tausende Seiten Akten und Protokolle rundeten die Recherche ab. Tippfehler aus den Originalunterlagen wurden für die bessere Verständlichkeit korrigiert.

Einige Straf- und Disziplinarverfahren waren bis zum Tod von Christian Pilnacek noch offen. Gerichtlich ist er unbescholten. Disziplinarrechtlich wurde er suspendiert und zu einer Geldstrafe verurteilt, die er bekämpfte.

KAPITEL1

EIN SCHAUDERHAFTER FUND

„Er hat ausgesehen, als würde er schlafen.“

Freitag, 20. Oktober 2023. Über der Donau hängt dichter Nebel. Es hat knapp zehn Grad und ist noch etwas dunkel. „Es war zirka 7:30 Uhr, und ich wollte gerade frühstücken“, sagt ein Arbeiter. Er ist gerade mit Ufersicherungsarbeiten beschäftigt, als er einen schauderhaften Fund macht: In einem Seitenarm der Donau treibt ein lebloser Körper, bewegt sich weder vor noch zurück. Das Gesicht nach oben. Es ist Christian Pilnacek – keine zehn Stunden, nachdem er auf der Stockerauer Schnellstraße als Geisterfahrer unterwegs war und seinen Führerschein abgeben musste.

„Ich weiß nicht, ob er ertrunken ist. Es war kalt, und das Wasser war kalt, vielleicht ist er auch an den Folgen einer Unterkühlung gestorben“, sagt der Mann. Es ist nicht die erste Wasserleiche, die er findet. Die Donau und die beiden Donauufer zwischen Krems und Melk sind seit vielen Jahren sein Arbeitsplatz.

Der Mann setzt einen Notruf ab, einige Zeit später – zwei Polizistinnen aus Mautern sind bereits eingetroffen – verständigt er die Feuerwehr. Acht Mann der Freiwilligen Feuerwehr Rossatz rücken um 8:37 Uhr zu einem technischen Einsatz aus. Im Einsatzbericht ist später zu lesen: „Zwei Kameraden der FF bargen die leblose Person mittels Wathose und Spineboard aus der Donau.“

In dem Seitenarm, in dem der leblose Körper von Christian Pilnacek gefunden wurde, herrscht seit Wochen Niederwasser, die Strömung ist mit freiem Auge kaum zu erkennen. Die Feuerwehrleute können gefahrlos ins Wasser gehen. Während sie das tun, wird mit einem Bagger eine Rampe errichtet, „um die Person aus dem Wasser ans Ufer zu bringen“. Achtundzwanzig Minuten später sind die Helfer zurück im Feuerwehrhaus. Laut Einsatzbericht finden am Nachmittag noch „einige Gespräche bezüg­lich psychologischer Betreuung“ statt. Bei den Feuerwehrmännern hinterlässt der Einsatz Spuren.

Bild 1: Auszug aus dem Einsatzbericht der Freiwilligen Feuerwehr Rossatz.

Bild 2: Auszug aus dem Einsatzbericht der Freiwilligen Feuerwehr Rossatz.

„Am Anfang ist es auch mir nicht gut gegangen. Ich habe aber mit niemandem so richtig darüber geredet. Auf jeden Fall hätte ich Christian Pilnacek nicht mehr helfen können“, sagt der Arbeiter. Bis der Leichnam abtransportiert wird, vergeht etwas Zeit. Ein Feuerwehrmann, der hauptberuflich Polizist ist, sucht in Pilnaceks Hosentaschen und in seiner Jacke nach persönlichen Gegenständen. Mehr als ein Feuerzeug hat er aber nicht bei sich. Nachdem die Gemeindeärztin um 9:30 Uhr den Tod feststellt, wird die Leiche des ehemaligen Spitzenjuristen in einen Stahlsarg gelegt und mit einem Pritschenwagen der Gemeinde in die Rossatzer Aufbahrungshalle gebracht.

„Es hat ausgesehen, als würde er im Wasser liegen und schlafen. Die Gemeindeärztin hat gesagt, dass ihr das nicht recht gefällt. Dazu kommt, dass uns die Polizei gebeten hat, keine Fotos zu machen und zu niemandem etwas zu sagen“, erinnert sich einer der Feuerwehrmänner. Diese und viele andere, ähnlich klingende Aussagen sind es, die bis heute die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft infrage stellen – befeuert von einigen Verschwörungstheoretikern in Rossatz und Christian Pilnaceks Widersachern, die sich auch nach dessen Tod an ihm abarbeiten. Demgegenüber stehen Wegbegleiter aus dem beruflichen wie auch privaten Umfeld, die sagen, dass die mediale Demütigung sowie die dienstrechtlichen Konsequenzen, die nach der Geisterfahrt zu erwarten gewesen wären, das Fass zum Überlaufen gebracht hätten. Für sie ist es denkbar, dass sich der suspendierte Sektionschef das Leben nahm.

Mehr als ein Jahr ist seit dem Tod von Christian Pilnacek vergangen. Und trotzdem sind noch immer viele Fragen offen: Wie sind die Rissquetschwunde über seinem rechten Auge, die Prellungen und Abschürfungen an seinen Armen und Beinen zu erklären, über die der Gerichtsmediziner schreibt? Wer sind die Menschen, die nach seiner Suspendierung in sein Leben traten? Und wie konnte es einer kleinen Gruppe innerhalb der Justiz gelingen, Pilnacek aus dem Amt zu befördern? Die Zutaten für den „Fall Pilnacek“ sind angerichtet.

KAPITEL2

ZU GAST IN DER WACHAU

„Wir waren so etwas wie Dual-Seelen“

Die letzten Wochen und Monate vor seinem Tod verbringt Christian Pilnacek immer wieder in der Wachau. Dafür verantwortlich ist Karin Wurm. Sie lebt in Rossatz und lernt Pilnacek am 14. Juni 2023 kennen. „Das war im ‚Il Cavalluccio‘ in Wien. Wir haben uns sofort ineinander verliebt. Wir waren so etwas wie Dual-Seelen, so etwas gibt es im Leben nur einmal“, erzählt Wurm bei einem Gespräch in einem Kremser Kaffeehaus.

Pilnacek wird ein oft und ebenso gern gesehener Gast in der Wachau. Der Jurist, so erzählt man sich, schätzte die malerische Landschaft und herbstliche Ruhe, noch viel mehr aber die Distanz zur Wiener Innenstadt und den Personen, die dort zwischen „Il Cavalluccio“, „Campari-Bar“ und „Schwarzem Kameel“ hin- und herpendeln. „Ich glaube, dass er hier auf die Dinge, die in Wien passiert sind, nicht ständig angesprochen worden ist, hat er besonders genossen“, erinnert sich eine gemeinsame Bekannte der beiden. Die Frau will wie auch viele andere nicht namentlich genannt werden.

Bild 3: Der malerische Ort Rossatz am rechten Ufer der Donau.

Der suspendierte Sektionschef knüpft rasch neue Kontakte, besucht die Heurigenlokale der Gegend ebenso wie das Feuerwehrfest oder eine Chorprobe im Musikheim und ist mit vielen Einheimischen bald per Du. Gut kannte man Christian Pilnacek auch in „Tinis Kaffee Eckerl“ neben der Rossatzer Kirche. Vietnamesische und österreichische Gerichte standen hier auf der Speisekarte. Den Mittagsteller gab es von Montag bis Freitag um 9,90 Euro. „Sehr nett, sehr zuvorkommend, ein Sir“, erzählt eine ältere Frau, die im Ort wie auch in der Pfarre sehr aktiv ist und oft im Kaffeehaus zu Gast war. „Er hat aber auch gesagt, dass er von der ÖVP fallengelassen worden wäre und ihn das sehr gekränkt hätte“, ergänzt ein Mann. Mittlerweile hat „Tini“ ihr Kaffeehaus geschlossen.

Das Haus, das Karin Wurm, Christian Pilnacek und auch Frau P. bewohnen, war einst ein Keller, wurde dann aber großzügig umgebaut. Umgeben vom Tennisplatz, dem Musikheim und einem Weingarten ist das Einfamilien-haus nur wenige hundert Meter vom Rossatzer Augebiet entfernt – dort, wo auch der Seitenarm der Donau verläuft, in dem der Leichnam des Juristen später gefunden wird. Zwei handgeschmiedete Laternen säumen die dunkle Ein-gangstür des Hauses. Im ersten Stock ragt ein Erker auf die Straße. Von der Terrasse aus blickt man hinüber auf den blau-weißen Turm von Dürnstein.

Bild 4: In diesem Haus in Rossatz wohnte Karin Wurm, bei der Christian Pilnacek immer wieder zu Gast war.

Und Frau P., die mit Karin Wurm und Christian Pilnacek im selben Haus lebt? Sie ist Kommunalpolitikerin, Winzertochter und enge Mitarbeiterin des mittlerweile ehemaligen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka, ÖVP. „Die beiden waren so etwas wie beste Freundinnen“, erzählt man sich im Ort. Mittlerweile haben P. und Wurm jedoch keinen Kontakt mehr. Die neun Monate andauernde Wohngemeinschaft wurde kurz nach dem Tod von Christian Pilnacek aufgelöst. P. zog in das südliche Niederösterreich, Wurm in einen Stadtteil von Krems.

Wieso die Freundschaft zwischen den beiden Frauen in die Brüche ging, lässt sich nicht restlos klären. P. sagt bei ihrer Befragung vor dem Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung, kurz BAK, dass ihr „die psychische Belastung durch den Todesfall von Mag. Christian Pilnacek zu viel wurde“. Wurm wiederum sagt, dass der Kontakt abgebrochen sei, weil P. „von ihrem Chef, Sobotka, gesagt bekommen hat, dass sie sich von mir fernhalten und ausziehen soll.“ Sowohl P. als auch Sobotka bestreiten diese Darstellung.

Ob es zwischen Karin Wurm und Christian Pilnacek tatsächlich „Liebe auf den ersten Blick“ war, bleibt dahingestellt. Einige Wegbegleiter des Juristen sagen: „Karin Wurm war maximal eine Wochenendbekanntschaft.“ Und eine langjährige Freundin von Pilnacek, die diesen am Abend vor seinem Tod noch getroffen hat, erzählt: „Wurm dürfte ihn gegoogelt und ge-glaubt haben, dass er vermögend ist und sie mit ihm ein schönes Leben führen könne. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass sie ihn um jeden Preis kennenlernen, ihm schöne Augen machen und ihn in ihren Bann ziehen wollte.“

KAPITEL3

PILNACEKS LETZTE STUNDEN

„Er hat wie wild auf seinem Handy geschrieben.“

Die Unruhe, die Christian Pilnaceks Tod aus-lösen wird, passt so gar nicht in den Jahreskreis von Rossatz. Die meisten Touristen sind Mitte Oktober bereits weg, das Laub auf den Bäumen hat sich verfärbt, und die Trauben in den Weingärten sind geerntet. Aber der Reihe nach.

19. Oktober 2023, ein Donnerstag: Christian Pilnacek macht sich auf den Weg nach Wien. Ein letztes Mal tanzt er noch auf dem gesellschaftlichen Parkett in der Bundeshauptstadt. „Wir hat-ten zunächst einen Termin bei einer Bank in Krems. Als wir wieder zurück in der Wachau waren, hat Christian einen seiner schönen An-züge aus dem Kasten genommen, hat sich angezogen und ist gefahren“, erzählt Wurm. Die ungarische Botschafterin und der Ständige Vertreter Ungarns bei der OSZE, den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen in Wien hatten in die ungarische Botschaft zum „Nationalfeiertagsempfang anlässlich des Jahrestages der Revolution und des Freiheitskampfes 1956 in Ungarn“ geladen. Der Beginn der Veranstaltung war mit 11:30 Uhr angegeben. Als Festredner wurde der ungarische Kanzleiminister Gergely Gulyás angekündigt.

Bild 5: In der ungarischen Botschaft in der Bankgasse in Wien war Christian Pilnacek am 19. Oktober 2023 zu Gast beim Nationalfeiertagsempfang.

Inmitten von 200 Gästen steht Pilnacek, wie auf einem Foto zu sehen ist, bei dem Empfang in der ungarischen Botschaft in der vierten Reihe, als er den Festrednern zuhört. Auch die ehemalige Frauenministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP), die ehemalige Bundesratspräsidentin Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP), die damaligen Nationalratsabgeordneten Gudrun Kugler und Norbert Sieber (beide ÖVP) sowie Volker Reifenberger (FPÖ), der Klubobmann der FPÖ Wien Maximilian Krauss, der nunmehrige Generalsekretär der ÖVP Alexander Pröll, der ehemalige Gouverneur der Österreichischen Nationalbank Ewald Nowotny, der Wiener Militärkommandant Kurt Wagner und Nobelpreisträger Anton Zeilinger sind an diesem Tag zu Gast. Und: der Generalsekretär der FPÖ Christian Hafenecker.

„Wir haben uns sicher 30, 40 Minuten unterhalten. Währenddessen haben wir zwei Gläser Wein getrunken“, erinnert sich Hafenecker. Als er am darauffolgenden Tag erfahren habe, dass Pilnacek nicht mehr am Leben sei, ließ er einen Aktenvermerk anlegen, der einem Gedächtnisprotokoll entspricht. „Wenn man ein derart brisantes Gespräch führt und am nächsten Tag ist derjenige, mit dem man gesprochen hat, tot, dann macht das nicht nur persönlich betroffen, sondern stimmt das einen auch nachdenklich“, sagt Hafenecker.

Bild 6: Die Einladung zum Nationalfeiertagsempfang in der ungarischen Botschaft.

Worum geht es? Eine Nationalratsabgeordnete der ÖVP stellt bei der Veranstaltung einen Kontakt zwischen Hafenecker und Pilnacek her. In einem Vier-Augen-Gespräch, das wenig später stattfindet, äußert der abgesetzte Sektionschef eine bemerkenswerte Bitte: „Ein vertrauliches Gespräch mit Herbert Kickl“, so der FPÖ-Generalsekretär.

Die wesentlichen Teile des Gesprächs hält Hafenecker in dem vierseitigen Aktenvermerk fest. Als Antwort auf die Frage, wie es Pilnacek gehe, heißt es zum Beispiel: „Ich warte auf die Wahlen.“ Und weiter: „Mein Disziplinarakt wurde einfach nicht bearbeitet.“ Pilnacek dürfte aber mehr zu erzählen gehabt haben: „Er wollte mit uns über den Zustand der Justiz sprechen und Missstände aufklären, und er hat uns zugetraut, dass wir das thematisieren können“, sagt der Generalsekretär. Auch der Ibiza-U-Ausschuss und die Arbeit der Staatsanwaltschaften seien Themen gewesen. Dem Aktenvermerk zufolge soll Pilnacek in diesem Kontext gesagt haben: „Die Verurteilungsquote der WKStA lässt nur noch den Schluss zu, dass diese ein politisches Verfolgungsinstrument ist, sonst wäre diese schon längst zugesperrt.“

Hafenecker und Pilnacek tauschen Num-mern aus, noch am selben Abend bespricht der freiheitliche Generalsekretär den Terminwunsch mit FPÖ-Obmann Herbert Kickl und dem Klubdirektor der FPÖ. Letzterer schlägt laut Aktenvermerk einen unverbindlichen Termin für ein Mittagessen vor.