Erfurter Polizeiordnung von 1583 - Axel W.-O. Schmidt - E-Book

Erfurter Polizeiordnung von 1583 E-Book

Axel W.-O. Schmidt

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Beschreibung

Autor der Untersuchung ist Dr. Axel W.-O. Schmidt. Als Jurist, Politologe (B.M.) und Soziologe (M.A.) widmete er sich verschiedenen Polizeiordnungen, insbesondere der Erfurter Polizeiordnung von 1583. Die Ordnungen stellten die Rechtsgrundlagen für das tägliche Leben seit dem 16. Jahrhundert dar. Die Bürger sollten zu korrektem Handeln angehalten werden. Ziel war es, die Aufrechterhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Verfehlungen gegen die gottgegebene Ordnung und Exzesse wurden streng geahndet. Ordnungsbehördliche Rechtsverordnungen gibt es noch heute, vor allem auf kommunaler Ebene. Bewusst wurden in der Bearbeitung von Originaltexten vereinfachte "Lesefassungen" erstellt. Diese gestatten es dem Leser einen leichteren Zugang zu den mittelalterlichen Texten und damit zum besseren Verständnis der damaligen kommunalen Gemeinschaft zu erhalten. Bei der Untersuchung gelang es ferner tief in die Rechtsstrukturen der damaligen mittelalterlichen Gesellschaft einzutauchen. Dies stets "... zu erhaltunge guter Pollicey / Erbarkeit vnnd guten Sitten ..."

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Seitenzahl: 241

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Gewidmet Heide und Seppel von gegenüber

Autor der Untersuchung ist

Dr. Axel W.-O. Schmidt.

Als Jurist, Politologe (B.A.) und

Soziologe (M.A.) widmete er sich verschiedenen Polizeiordnungen, insbesondere der Erfurter Polizeiordnung von 1583.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil: Die mittelalterliche Polizeigesetzgebung des Reiches, der Länder und der Städte

Die Ursprünge des Polizeibegriffes

Ordnungsbestrebungen auf Reichsebene: Der Wormser Reichstag 1521 und Luther

Die Geschichte der Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577

Begriffswandlung und „Verwissenschaftlichung“: Polizeiordnungen als Ausdruck sozialer Zwecksetzung

Die Systematik der Reichspolizeiordnungen am Beispiel der Fassung von 1577

Vorschriften zum Schutz des mittelalterlichen Weltbildes

(

Schwören, Fluchen, Gotteslästern

(

Schmähschriften: Religionsdelikte und Privatinjurien

Vorschriften zum Schutz der mittelalterlichen Wirtschaftsordnung

(

Verhinderung der Monopolbildung

(

Fürkaufvorschriften

(

Vorschriften über den Wollstoffverkauf

(

Weinpanscherei

(

Gewürzverfälschung

(

Wucher

(

Judenverordnungen

(

Reformierung der Handwerkszünfte

(

Dienst- und Arbeitsordnungen der Arbeiter, Knechte und Dienstboten

(

Preisbindungsvorschriften

Schutz der mittelalterlichen Ordnung und öffentlichen Sicherheit

(

Ehebruch, Konkubinat und Kuppelei

(

Kleidervorschriften

(

Hochzeiten und Kindstaufen

(

Völlerei und Alkoholmissbrauch

(

Vormundschaftsangelegenheiten

(

Prokuratorenregelungen

Teil: Die Policey Ordnung von 1583 und die einzelnen Tatbestände

Vorschriften zum Schutze des christlichen Lebenswandels

Vorschriften zum Schutze der Gerichtsbarkeit

Vom Rechtsprozess im Allgemeinen

Redner und Fürsprecher

Der Eid der Prokuratoren

Die Gerichtstage, die Vorladung und Citation

Säumnis des Klägers

Säumnis des Beklagten

Die Klageeinreichung

Das zuständige Gericht

Von Exection und Vollstreckung gesprochener Urteil

Überblick zu den übrigen Artikeln

Teil: Anhang: Vereinfachter Wortlaut der Policey Ordnung von 1583 und von 1559

Quellen

Literaturverzeichnis

„So haben wir vns demnach erstlichen GOTT dem Allmechtigen zu ehren zu fortpflanzung seines heiligen Göttlichen Namens unnd abwendung seines gnedigen und gerechten Zorns zu erhaltunge guter Pollicey Erbarkeit vnnd guten Sitten vnd dann zu wolfart und bestem unserer getreuen Bürgerschafft vnd Vnterthanen auff dem Lande beflissen […] “ Radt der Stadt Erffurdt Polizeiordnung 1583

„Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und der Abwehr der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen ist das Amt der Policey.“

§ 10 Abs. II 17 Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten (ALR), 1794

„Die Polizei hat die Aufgabe, die allgemein oder im Einzelfall bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe auch für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) sowie Vorbereitungen zu treffen, um künftige Gefahren abwehren zu können (Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr)“.

Thüringer Polizeiaufgabengesetz (§ 2 PAG). 1992

Einleitung

Städtische Polizeiordnungen und Reichspolizeiordnungen gibt es seit Jahrhunderten. Sie stellen Rechtsgrundlagen dar, um die Bürger zu korrektem Handeln anzuhalten. Dies geschieht durch die „Obrigkeit“ zum einen durch Geldbußen oder durch Gefängnisstrafen. Zwei typische „Policey Ordnungen“ aus der Stadt Erfurt sind die von 1559 und die wesentlich umfangreichere, erweiterte von 1583. Die erstere besteht aus 15 Blatt und die von 1583 aus 68 Blatt. Umfassend wird hier in 52 „Artickeln“ das private und öffentliche Leben des ausgehenden Mittelalters geregelt. Während die Polizeiordnung von 1559 sich hier noch recht bescheiden mit 12 „Artickeln“ präsentierte, griff die Ordnung von 1583 ins pralle Leben. Noch heute gibt es Ordnungsbehördliche Verordnungen auf kommunaler Ebene, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als Stadtordnung dienlich sein sollen.

Die Überschriften beider Polizeiordnungen stellen das sich steigernde Handlungsprogramm dar.

1559: Eins Erbarn Rathes der Stadt Erffurdt Ordenunge / zu guter Pollicey dienlich. M. D. L I X.

Und 1583: Der Stadt Erffurdt ernewerte Policey vnd andere Ordnung / Sampt erklerung etlicher Fäll /wie es darinnen auff irem Rathause / vnd bey iren Untherthanen auff dem Lande gehalten werden sol. M. D. LXXXIII.

Eine kleine Auswahl der „Artickel“: Von Gottes Furcht, vom rechtlichen Prozess, vom Ungehorsam des Klägers und Beklagten, Einbringung der Klagen, Vom Landgericht, von der Vollstreckung des Urteils, vom Brandweinbrennen, vom Verkauf der Früchte auf dem Felde, Heimliche Verlöbnisse, von Hochzeiten, von Kirmessen, Kleidung und Schmuck, Zauberei, Wahrsagen und Teufelsbeschwörung, vom Spielen, von unmäßigem Trinken in den Schenkhäusern, von Leichtfertigkeit gemeinen Weibern, Hehlerei, Aufruhr und Meuterei, Kuppelei, Ehescheidung, von Vollsaufen und zutrinken, von den Handwerkern, usw.

Das Manuskript zu dem jetzt vorliegenden Text wurde anfangs der 1990iger Jahre in einer vorläufigen Rohfassung erstellt. Es konnte seinerzeit nicht fertig gestellt werden. Vielfältige und vordringlichere Aufgaben aus vollkommen anderen Bereichen waren zu erledigen. Nunmehr sind nach den Jahren des „Aufbaues“ die Aufgaben in der Verwaltung nach Jahrzehnten abgeschlossen.

Angefügt ist eine vereinfachte „Lesefassung“ der beiden Polizeiordnungen. Vieles erkennt der moderne Mensch aus seinem eigenen Lebenskreis wieder, freilich in ganz anderer Sprach- bzw. Schriftform. Die typische Schriftsprache des ausgehenden 16. Jahrhunderts, wie sie hier insbesondere in der Ordnung von 1583 zum Ausdruck kommt, hat ihren eignen ungewöhnlichen Reitz. Sie lädt zum Lesen über eine ungewohnte Welt ein, die durchaus auch humorvolle und drastische Beschreibungen kannte.

I. Teil: Die mittelalterliche Polizeigesetzgebung des Reiches, der Länder und der Städte

1. Die Ursprünge des Polizeibegriffes

Erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts fand der Begriff der „Polizei“ Eingang in die deutsche Kanzleisprache. Das Wort stammt vom griechischen „politeia“ ab, das später als „politia“ in die lateinische Sprache übernommen wurde. Vom 15. bis 17. Jahrhundert bezeichnete der Begriff „Policey“ den umfassenden Zustand guter Ordnung des staatlichen Gemeinwesens. Alles das, was man heute unter Polizei versteht, auch das, was im 18. und 19. Jahrhundert darunter verstanden wurde, muss daher zunächst einmal völlig außer Betracht bleiben.1 „Politeia“ bedeutete so viel wie: Gesamtheit der Bürger, Staat, Staatsverfassung im Sinne einer republikanischen Verfassung, nie aber das, was heute unter Polizei verstanden wird.2 Die Polizei trug Sorge für den gesamten Ablauf staatsbürgerlichen Lebens und erstreckte sich in alle Lebensbereiche, einschließlich der Weltanschauung, also der mittelalterlichen Religionsauffassung.3

In Frankreich tauchten im allgemeinen Sprachgebrauch die Begriffe „policité“ bzw. „police“ Ende des 14. und 15. Jahrhunderts auf.4 In Burgund, damals mit England verbündet, gehörte das Wort „Polizei“ schon im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts zum Wortschatz der Staatsmänner, wie aus dem „lettre-patente“, datiert vom 9. Februar 1432, hervorgeht, in dem Herzog Philipp von Burgund dem Land „cognoistre en bonne equité, justice et raison“ bringen will.5 Im angelsächsischen Sprachraum bedeutet der Begriff „police“ im militärischen Bereich Ordnungsdienst, „kitchen police“ beispielsweise meint entsprechend Küchendienst, und das Verb „to police“ bedeutet in dem Kontext: säubern, in Ordnung halten. Der Begriff „policy“ wiederum umfasst: Rechtsordnung, Klugheit, Zweckmäßigkeit, Taktik und Politik, „against public policy“ entspricht dem deutschen „sittenwidrig“.6

Im aktuellen französischen Sprachgebrauch bedeutet „policé“ zivilisiert, gesittet, das „policement“ ist die Einführung der bürgerlichen Ordnung.7 „Policer“ heißt also zivilisieren und eine bürgerliche Ordnung einführen.

Auch im deutschen Sprachraum lässt sich der Begriff im 15. Jahrhundert nachweisen. Kaiser Friedrich III. (1440–1492) erteilte der alten Freien Reichsstadt Nürnberg 1464 folgendes Privileg: „[…] die vermelten Burgermeister und Rat zu Nürnberg, daß stattlicher Erkenntnis bei irer erbarn pollicey und regierung, wie es von alters herpracht […]“.8 Weitere Nachweise des Wortes lassen sich für 1482 und 1492 in den Nürnberger Ratsverordnungen finden: „Wir burgermeister und rath der stad Nuremberg, wievol von langen zeiten her ein ordnung und geprauch unnsere Regiments und pollicei gewest und noch ist […]“9 „Wievol und vormalß von einem erben rath zu bestenndigkeit guter Polizey und regiments […] ist verboten.“10 Diese Formulierung ist französischen Ursprungs und stellt einen der frühesten französischen Einflüsse auf das öffentliche Recht dar.11 1495 führte der Erzbischof und Kurfürst von Mainz Berthold Graf von Henneberg (Reichskanzler von 1484 bis 1504) in seinem auf dem Wormser Reichstag 1495 vorgestellten Entwurf einer Regimentsordnung für das Reich den Begriff „Pollucy“ auf Reichsebene ein. Henneberg entstammte der Familie der Grafen von Henneberg-Römhild, wurde nach dem Studium der Theologie in Erfurt (1455) und Italien Domherr in Mainz (1464) und Erzbischof von Mainz. Als Reichserzkanzler bestimmte er maßgeblich die Reformen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und 1495 die Errichtung des Reichskammergerichts.12 In dem Entwurf heißt es:

„Auch sollen sy (die Reichsräte) Ordnung und Pollucy fürnemen, und die Kostlichkeit und Überflus aller Ständ massige, sonderlich Seyden, Specerey und anders, dadurch auch durch anderer Wege par Geld aus der Nacion gescheben würd.“13

Die Schreibart „Pollucy“ findet sich auch in der Verfassungsurkunde Bingens von 1488, die Berthold der Stadt mit Gewalt aufzwang, indem er dem neu einzusetzenden Rat vorschrieb, „Regiment und Pollucy“ wahrzunehmen und die Bürger schwören ließ, „in sachen und geboten, derselben stat regiment und pollucy, gehorsam zu sein“.14 Der Kurfürst und Erzbischof führte daher das ihm aus der burgundischen Amtssprache bekannte Wort in seinem Bistum ein, und zwar auf lokaler Ebene für die Stadt Bingen am Rein und auf Reichsebene durch den „Regimentsordnungsentwurf“. Die Vorteile einer einheitlichen Reichsverwaltung und Reichsgerichtsbarkeit, einer Ordnung und Sicherheit, mithin der „Segen eines geordneten Regiments und einer wohlgeleiteten Polizei“, waren überzeugende Gründe, Derartiges auch im Reich einzuführen. Durch seine diplomatischen Kontakte nach Frankreich und Burgund war der Mainzer Kurfürst über die wohlgeordneten Zustände dort informiert und nahm sich die Einführung der einheitlichen Reichsverwaltung und Reichsgerichtsbarkeit zum erstrebenswerten Ziel.15 Die Schreibart „Pollucy“ mit dem Doppel-„l“ und der Endung „y“ stammt weder aus dem Griechischen noch aus dem Lateinischen, sondern hat ihren Ursprung in der damaligen französischen Bezeichnung „pollisce“, aus der später „police“ wurde, die heute noch gebräuchliche Schreibart im Englischen, sowie in „pollice“, das in Burgund um etwa um 1432 gebräuchlich wurde.16 Das „y“ ist im Deutschen dann dem „ei“ gewichen.17

1 Knemeyer, Franz Ludwig: Polizeibegriffe. AöR 92, 1967, 154.

2 Anschütz, Gerhard: Die Polizei. Vortrag in der Gehe-Stiftung zu Dresden. Leipzig 1910.

3 Raible, Eugen: Geschichte der Polizei. Stuttgart 1963.

4 Conrad, Johannes u.a.: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Jena 1925, Bd. 6.

5 Segall, Josef: Geschichte und Strafrecht der Polizeiordnungen von 1530, 1548, und 1577. 2009.

6 Langenscheidts HandwörterbuchFranzösisch – Deutsch, 6. Auflage. 1967 Teil I.

7 Wörterbuch Französisch – Deutsch. VEB Leipzig 1980.

8 Breibeck, Otto Ernst: Bayerns Polizei im Wandel der Zeit. Achthundert Jahre bayerische Polizeigeschichte. München 1971, 8.

9 Baader, Joseph: Nürnberger Polizeiordnungen aus dem XIII bis XV Jahrhundert. Stuttgart 1861, 48.

10 Ebenda, 56.

11 Anschütz, a.a.O., 4.

12 Köbler, Gerhard: Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte. München 1967, 229.

13 Zitiert nach Segall, a.a.O., 21.

14 Ebenda, 21.

15 Ebenda, 18.

16 Ebenda.

17 Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 7. Leipzig 1854/1981: Die Schreibung Polizei rührt vom allemannischen „ei“ her.

2. Ordnungsbestrebungen auf Reichsebene: Der Wormser Reichstag 1521 und Luther

Berthold Graf von Henneberg fasste unter dem Begriff „Pollicie“ alles zusammen, was damals in Frankreich und Burgund darunterfiel. Im Abschied von 149518 wird in den §§ 36–39 die Notwendigkeit des Erlasses einer Ordnung über das Gotteslästern und Zutrinken gefordert, in § 40 die Notwendigkeit, die Köstlichkeit 19der Kleidung, der Spielleute, Bettler, Zigeuner zu regeln, in § 43 wiederum geht es um die Münzregelung, es handelt sich also durchweg um Polizeiangelegenheiten.20

Ab 1521 etablierte sich das Wort „Polizei“ endgültig im deutschen Sprachraum. Auf dem Wormser Reichstag in diesem Jahr bezog sich Karl V. in seiner kaiserlichen Proposition an die Reichsstände anlässlich der Eröffnung auf die Entwürfe Bertholds aus dem Jahr 1495, indem er ausführte:

„darumb die Kai Mt. gnediglich bedacht und bewegen hat, das für das erst und fur allen anderen Sachen zu handeln und furzunemmen sein soll, wie es recht, fride, gut Ordnung und pollizeien im reich, auch ain regiment etc. aufzurichten.“21

Im Abschied des Wormser Reichstages heißt es weiter:

„Weiter als jetzo im eingang unsers kais. Regiments im röm. Reiche allerlei mengel, unordnung und beschwerlichkeit der münz, ubermessige claidung und zerung, auch gotteslesterung, verbotten monopolien, unzimblichen fürkaufen, auch der gesellschaften, daraus dann großer unrath und beschwerung im heil. reich zu abnemen und verderben des reichs underthanen, so nit mit zeitigem rath einsehen beschehe, entsteen mag, so haben wir auch mit rat churfürsten und der stende deshalb ein ratschlag, un wie demselben geraten und gebrlicher weise einsehens beschehen mag, stellen lassen. Nachdem aber derselbig dieser zeit menig und größ halb der obligenden und eilenden gescheft nit der nottruft hat verfertigt werden mögen, so söllen unser statthalter und regiment sölichs alles der nottrurfft weiter ermessen, davon ordnung, pollicei im heil. reich aufrichten und an unser statt daran und ob sein, wes sie vermeinen nutz und gut fürzunemen und zu thun seien, das sölichs volzogen und gehalten werde.“22

Was hier angesprochen wird, sind durchweg Themen aus dem Bereich Polizeisachen; die Formulierungen werden uns z.T. wörtlich in den späteren kommunalen Polizeiordnungen wiederbegegnen. Karl V. hatte insoweit Einfluss auf die Verwendung des Wortes „Polizei“, als er französisch erzogen wurde und selber des Deutschen kaum mächtig war. Alle seine Räte sprachen Französisch.23 Der Ausdruck fand von nun an regelmäßige Verwendung, 1526 bei der Rede von „den Mängeln und Gebrechen im Heiligen Reich. Reich, zu Fried, Recht guter Policey“ und 1530 im Reichsabschied sowie der Reichspolizeiordnung „von guten Ordnungen und Policey“.24 Des Wort „Policey“ tritt regelmäßig in einer Kombination mit „Ordnung“ auf. 1541 im Regensburger Reichsabschied heißt es „Policey und Ordnung“, 1542 im Reichsabschied von Speyer „Vollnziehung, Handhabung und Besserung der Reformation und Ordnung guter Policey“25. Der Terminus technicus fand damit Eingang in den deutschen Wortschatz.

Martin Luther, für den der Wormser Reichstag schicksalhafte Bedeutung hatte, erwähnt in seinen Tischreden26 Folgendes:

„Also fichtet uns der Satan auch an und stürmt mit Gewalt zu uns ein mit dem Namen und Titel der Kirchen. Ja spricht er, was die christliche Kirche bisher beschlossen und so viele Jahr für Recht gehalten, das selbige stößest du [gemeint ist Luther selbst] um, als wäre es unrecht und zerrüttest beide, das geistliche und weltliche Regiment, mit deiner neuen Lehre.“

Luther antwortet sich selbst direkt, indem er fortfährt:

„Dies Argument finde ich durchaus in allen Propheten, da die fürnehmsten Häupter, beide in der Kirchen und Policei, sagen: Wir sind Gottes Volk, denn wir sind im ordentlichen Regiment, von Gotte gestiftet und eingesetzt. […] Wer seid ihr Narren, daß ihr und lehren wollt? Ist euer kaum eine Hand voll!“

Aber auch diesen Vorwurf lässt er nicht gelten, und er ist gewiss, dass „dasjenige was ich lehre und halte, Gottes […] ewige Wahrheit ist“, und all das andere, was dem nicht entspricht, ist nur „eitel Teufelslügen, Falsch und Unrecht“.27

Luther wurde am 18. April 1521 vor den Kaiser auf den Reichstag geladen, und auf die Frage, ob er seine Bücher und Schriften widerrufe, führte er aus: Seine Bücher seien in drei Gruppen zu unterteilen, die christlichen zur Glaubenslehre, die selbst von seinen Gegnern akzeptiert würden, hier gebe es nichts zu widerrufen. Die zweite Gruppe seien Bücher gegen das Papsttum und dessen Praktiken, die er nicht widerrufen könne, da ansonsten dem Antichristen Tür und Fenster geöffnet werde. Die dritte Gruppe schließlich bestehe aus Gelegenheitsschriften gegen seine Feinde, die ihn provoziert hätten. Diese Schriften seien zwar polemisch, aber schließlich habe er gegen Gottlosigkeit und Tyrannei gekämpft. Man möge ihm einen Richter geben und über seine Ausführungen disputieren und aufzeigen, worin er sich geirrt habe.28

Auf die anschließende Frage, ob er widerrufen würde, folgte die berühmte Erklärung.29 Anschließend verließ er teils unter Beifall, teils unter Tumulten und Beschimpfungen den Saal, blieb aber letztlich unbehelligt. Nicht verwunderlich ist es daher, wenn Luther Ordnungsbestrebungen auf der (weltlichen) Reichsebene registrierte und sofort den neuen Begriff der Polizei verwendet. Die Ordnungsbestrebungen auf der Reichsebene hatten ihr spiegelbildliches Pendant in Luther, der nicht die weltliche Einheitsordnung, wohl aber die einheitliche religiöse Struktur anstrebte.

Die im Jahr 1526 von ihm verfasste „Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts“ ist als neue einheitliche Messliturgie ebenso beredtes Beispiel hierfür wie seine Auffassung zur Notwendigkeit einer strengen weltlichen Ordnung, wenn er 1523 in seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“30 über die Fürsten ausführt:

„Gottis stockmeyster und hencker, und seyn gotlicher zorn gebraucht yhr, zu straffen die bösen und eußerlichen fride zuhalten.“31

Also waren diese hochmütigen, unsympathischen Personen in seinen Augen notwendig, ihr Amt legitim und sie trotz ihrer Fehler zu respektieren:32

„Es ißt eyn grosser herr unßer Gott. Darumb muß er auch solch edelle, hochgeporne, reyche hencker und böttel haben“33,

um eben in den weltlichen Dingen den Lumpen und Verbrechern Einhalt zu gebieten, „zu straffen die bösen“ und die öffentliche Ordnung und „eußerlichen fride zu hallten“34. Selbst wenn Luther die Ungerechtigkeit der weltlichen Ordnung und Machtverhältnisse erkannte und wusste, „das die oberkeyt böse und unrecht ist“, so „entschuldigt keyn weder rottery noch aufrur“35 die Auflehnung gegen die gegebenen Verhältnisse, denn „die Bosheit zu strafen, das gebührt nicht einem Jeglichen, sondern der weltlichen Obrigkeit, die das Schwert führt“.36 Gegen die schwärmerischen sozialrevolutionären Erhebungen seiner Zeit rief Luther die Christen zur Mitarbeit und zur Mitverantwortung im weltlichen Regiment auf, die ihm als eine andere Form des Gottesdienstes galt.37 In seinen Schriften „Von weltlicher Obrigkeit, wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (1523) und „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“ (1526) verteidigt Luther ausdrücklich den Dienst des Richters zur Durchsetzung des Rechtes und des Soldaten zum Verteidigungskrieg gegen den ungerechten Angriff von außen und widerspricht vehement einer schwärmerischen Fehldeutung der Bergpredigt.38 Es schließt sich der Kreis zwischen weltlichem und christlichem Gehorsamsverlangen, wenn auch das Evangelium nach Luthers Verständnis lehrt:

„Yhr sollt dem ubel nicht widderstehen! Und wer dich auf eynen backen schlegt, dem biete den andern auch dar.“39

Auflehnung gegen denjenigen, der einem „auf eynen backen schlegt“, ist also nach Auffassung Luthers nicht tolerierbar. Sich der Gewalt einer anderen Person oder der Gewalt der Staatsmacht zu beugen ist seine Botschaft. Wenn also die Obrigkeit ihre Macht zeigt und dem Untertanen im übertragenen Sinn „auf die Backe schlägt“, hat sich der Untergebene zu fügen und seine Unterwerfung aktiv zu zeigen, auf keinen Fall aber aufzubegehren. Die Unterwerfung unter die Gewalt der Obrigkeit darf nicht nur passiv geschehen, sondern bedarf einer erkennbaren Außenwirkung. In diesem Beispiel, indem auch die andere Backe hingehalten wird, um möglicherweise weiter Schläge bzw. Anordnungen zu empfangen und diese hinzunehmen. Insofern ist die zunächst schwer verständliche Anweisung, auch die andere Wange hinzuhalten, kein Widerspruch zu den Ordnungsbestrebungen Luthers im weltlichen und kirchlichen Bereich, sondern nur die konsequente Umsetzung seiner Anschauung über die Machtverhältnisse.

Luther – selbst mit juristischer Begabung ausgestattet40 – begrüßte daher Ordnungsbestrebungen im weltlichen Reich und lehrte und predigte Vergebung, Barmherzigkeit und Gnade im Hinblick auf das noch zu kommende christliche Reich. Luther entwickelte eine Ordnungslehre, die das gesellschaftliche Zusammenleben neu ordnete und reformierte. Die Funktionsfähigkeit im politisch-sozialen Bereich sei nur gewährleistet durch die weltliche, jedoch von Gott gewollte Regierung. Die durch diese Regierung ausgesprochenen Vorschriften würden aber evangelisiert, denn die weltliche Macht sei – wie es in der entsprechenden Stelle im Neuen Testament (Römer 13; dazu sogleich) heiße – von Gott eingesetzt und übe Macht nach dessen Willen aus.41

Der Friede als Gottes Gut und Gebot war für Luther nur im Zustande des Rechtes und der Freiheit zu bewahren. Christlicher Pazifismus, der hiervon absehen will, steht keineswegs in der lutherischen Tradition.42 Den Aufruhr verurteilte Luther daher scharf und stellte die Verwerflichkeit des Aufrührers noch über die des Mörders:

„wer ein Mörder ist, der flieht vor dem Schwert und scheut die Gewalt, läßt sie unangetastet und ist im Vergleich zum Aufrührer noch rechtschaffen.“43

Der Letztere war in seinen Augen also noch viel schlimmer, denn

„ein Aufrührer aber greift der gewalt nach dem Kopf und nach dem Schwert, dasselbe – anders als Gott es eingesetzt und verordnet hat – zu mißbrauchen […] Ein Mörder greift nur ein Stück [der Staatsgewalt] an, nicht das Haupt, bekennt auch die Obrigkeit und flieht sie, auf daß er nicht von ihr gestraft werde. Ein Aufrührer will nun [aber] gegen das Haupt an und die Obrigkeit unterdrücken.“44

Luther erkannte frühzeitig, welche Bedeutung die Neuordnung der weltlichen Gesellschaft mittels Polizeiverordnungen hatte. Denn diejenigen, die sie verordneten, waren nach eigenem Selbstverständnis, das er durchaus teilte, von Gott eingesetzt und mit eigenständigen Aufgaben betraut. Hierzu gehörten der Vollzug der Zehn Gebote als Kernbestand des rechtlichen Gefüges der Zeit, nun aber auch, ausgelöst durch die reformatorischen Bestrebungen, der Schutz der Untertanen vor pervertierter Kirchengewalt, die Zurückweisung des Machtanspruches des Papstes und der kurialen Finanzausbeutung sowie die Regelung der Ehe, die nun nicht mehr als Sakrament, sondern als „weltlich Ding“ galt. Aber auch die Bestrafung von Gotteslästerung oder religiös motiviertem Aufruhr45 gehörten zu diesen Aufgaben. In weltlichen Dingen wird auch die Kirche nun der Ordnungs- und Strafgewalt der weltlichen Obrigkeit unterworfen. Die Befreiung der Kleriker von der weltlichen Gerichtsbarkeit wird ebenso abgeschafft wie ihre standesrechtliche Sonderstellung. Ausgangspunkt der Überlegungen Luthers war der Brief des Paulus an die Römer46, der im 13. Kapitel nach der Überschrift „Stellung zur staatlichen Gewalt“ ausführt:

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes, die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu. Denn vor denen die Gewalt haben, muß man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, so wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gehört; Furcht, dem die Furcht gehört; Ehre, dem die Ehre gebührt.“47

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die lutherische Reformation die traditionelle Schichtung und Herrschaftsordnung keineswegs beseitigte, sondern eher noch die Drei-Stände-Struktur verfestigte: Die weltliche Macht wurde mit mehr Kompetenzen ausgestattet, und zwar zum einen durch das neuartige Instrument der Polizeiordnung und zum anderen durch die von der Reformation hervorgerufene Glaubensspaltung. Letztere führte wiederum zu einer Spaltung der Rechtsordnung, da beide Konfessionen den Alleinvertretungsanspruch betonten. Die Spaltung der Reichsverfassung äußerte sich erstmals 1529 in den Protesten der Lutheraner, die den Protestanten ihren Namen gaben.48 Erst der Augsburger Religionsfriede führte 1555 zu einer äußerlichen Befriedung, die die regional unterschiedlichen konfessionellen Prägungen jeweils stärkte.

Die schriftlichen und mündlichen Äußerungen Luthers blieben nicht ungehört. Auch der Theologe und Reformator Karlstadt setzte sich für gesellschaftliche und kirchliche Erneuerungen ein. Als Ergebnis von eingehenden Verhandlungen kam schon am 24. Januar 1522 eine Stadtordnung zustande. Luthers Anregung, die Bettelei abzuwehren, indem die Stadt die einheimischen arbeitsunfähigen Armen versorgen sollte, wurde aufgegriffen. Das Vermögen der aufgelösten Bruderschaften kam in den „gemeinen Kasten“, aus dem die Armen versorgt wurden. Dies ist der Ursprung der modernen Fürsorge und Sozialhilfe. Wandernde Bettler, für die ihre Tätigkeit oftmals ein frommes Gewerbe war, mussten die Stadt verlassen. Bordelle und Schankhäuser, in denen es unordentlich zuging, wurden geschlossen. Im Gottesdienst sollten die Abendmahlsworte auf Deutsch laut und vernehmlich gesungen werden, und jedermann durfte Wein und Brot empfangen. Bilder und Statuen wurden unter Tumulten aus den Kirchen entfernt und zerstört. Die Reaktion des Reichsregimentes war ungewöhnlich schnell: Nur zwei Tage, ehe die Wittenberger Ordnung verabschiedet werden sollte, verbot das Reichsregiment die geplanten Änderungen.49

18 Neue und Vollständigere Sammlung (NS) der Reichsabschiede Teil II, 25.

19 Kosten

20 Segall, a.a.O., 26.

21 Segall, a.a.O., 31.

22 (NS) II, S. 207; Segall, a.a.O., 73.

23 Stock, Raimund: Inhalt und Funktion der Reichspolizeiordnungen. Leipzig 1941, 11.

24 Ebenda, 8.

25 Ebenda. Siehe auch: Luther, Martin: Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben. Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der andern Bauern (1525). In: Ders.: Kritische Gesamtausgabe XVIII, S. 279–334.

26 Luther, Martin: D. Martin Luther’s Tischreden und Colloquia, 34.

27 Ebenda.

28 Febvre, Lucien: Martin Luther. Frankfurt am Main 1996, 155.

29 „Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Heiligen Schrift, oder klare Vernunftsgründe überwunden werde […], so bin ich überwunden durch die Schrift, die von mir angeführt worden ist, da gegen das Gewissen zu handeln weder sich noch einwandfrei ist. Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“ (Zitiert nach Febvre, a.a.O.)

30 Luther, Martin: Von weltlicher Obrigkeit. In: Ders: Kritische Gesamtausgabe XI, 268.

31 Ebenda.

32 Febvre, a.a.O., 202.

34 Luther: Von weltlicher Obrigkeit, a.a.O.: „So hat Gott zwei Regierungen geschaffen. Die eine ist geistlicher Art und wird vom Heiligen Geist unter Mitwirkung Christi geleitet; sie ist für die Christen und frommen Menschen bestimmt. Die andere ist weltlicher Art und beherrscht die Gottlosen und Bösen, die sie zur Ruhe zwingt“; zitiert nach Febvre, a.a.O., 260, Anm. 16.

35 Luther: Ermahnung zum Frieden, a.a.O., S. 279–334.

36 Michel, Martin: Luther – Ein verkappter Jurist?, NJW 1983, 2558.

37 Heckel, Martin: Luther und das Recht, NJW 36, 1983, 2525.

38 Ebenda.

39 Luther: Ermahnung zum Frieden, a.a.O., 309.

40 Michel, a.a.O., 2557.

41 Vgl. Bender-Junker, Birgit: Utopia, Policey und Christliche Securitas, Marburg 1982; 163 und 164 zu der Lehre von Oldendorp.

42 Heckel, a.a.O.

43 Zitiert nach Michel, a.a.O.

44 Ebenda.

45 Heckel, a.a.O.

46 Neues Testament, Römer 13, 1–7.

47 In der Originalübersetzung: Macht; Das Wort bezeichnet für Luther staatliche Regierungsgewalten und Behörden, in: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers [1985], Worterläuterungen S. 29.

48 Heckel, a.a.O.

49 Genthe, Hans Jochen: Martin Luther – Sein Leben und Denken. Göttingen 1996.

3. Die Geschichte der Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577

Die erste Reichspolizeiordnung wurde 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg verabschiedet. Die Einführung belegt zahlreiche frühere Versuche, auf vorangegangenen Reichstagen wirksame Maßnahmen gegen die Unordnung im Reich durchzuführen. Die Reichspolizeiordnung von 1530 sollte jetzt der Christenheit und der deutschen Nation Wohlfahrt, Frieden und Einigkeit bescheren.50 18 Jahre später wurde wiederum auf dem Reichstag in Augsburg die neue Reichspolizeiordnung verabschiedet, die im Wesentlichen mit der vorherigen übereinstimmte, darüber hinaus aber eine Reihe von neuen Bestimmungen enthielt.51 Die dritte Reichspolizeiordnung wurde schließlich 1577 auf dem Frankfurter Reichstag verabschiedet.52

Die drei Reichspolizeiordnungen stellen eine Einheit dar und lassen die Entstehung einer fest umgrenzten staatlichen Funktion erkennen.53 Darüber hinaus gab es zahlreiche Reichsgesetze vor und während des Erlasszeitraumes der drei Reichspolizeiordnungen, die polizeiliche Regelungen zum Inhalt hatten.54

Jahr

Ort

Polizeirechtliche Regelungsmaterie

1487

Reichsabschied zu Rothenburg

55

Weinfälscherei

1495

Reichsabschied zu Worms

56

Gotteslästern, Zutrinken, Kleidung, Spielleute, Bettler, Zigeuner

1495

Königliche Satzung zu Worms

57

Von den Gotteslästerern

1497

Reichsabschied zu Lindau

58

Kleidung, Feste, Tuchverkauf, Spielleute, Bettler, Zigeuner, Zutrinken, Wucher

1498

Reichsabschied zu Freiburg

59

Kleidung, Feste, Tuchverkauf, Spielleute, Narren, Bettler, Zigeuner, Zutrinken, Weinfälscherei, Wucher

1498

Weinordnung Maximilians zu Freiburg

60

Weinfälscherei

1500

Reichsabschied zu Augsburg

61

Kleidung, Tuchverkauf, Spielleute, Narren, Bettler, Zigeuner, Wucher, Gotteslästern, Weinfälscherei, Wiederkäufe

1512

Reichsabschiede zu Trier und Köln

62

Gotteslästern, Zutrinken, Monopole

1521

Reichsabschied zu Worms

63

Kleidung, Gotteslästern, Monopole

1524

Reichsabschied zu Nürnberg

64

Monopole, Druckschriften

Jahr

Ort

Polizeirechtliche Regelungsmaterie

1529

Reichsabschied zu Speyer

65

Monopole, Druckschriften

1530

Reichsabschied zu Augsburg

66

Waffentragen, Druckschriften

1532

Reichsabschied zu Regensburg

Wucher, Juden, Monopole

1535

Reichsabschied zu Worms

67

Druckschriften

1541

Reichsabschied zu Regensburg

68

Druckschriften, Wucher, Juden, Monopole

1542

Reichsabschied zu Speyer

69

Vollziehung und Verbesserung der Polizeiordnung

1551

Reichsabschied zu Augsburg

70

Löhne, Höhe der Preise, Tuchverkauf, Wucher, Juden, Zigeuner, Handwerker, Spezereienbetrug

1553

Reichsabschied zu Augsburg

71

Wollausfuhr

1559

Reichsabschied zu Augsburg

72

Handwerker, Wollausfuhr

1566

Reichsabschied zu Augsburg

73

Handwerker, Wollausfuhr

1567

Reichsabschied zu Erfurt

74

Druckschriften

1570

Reichsabschied zu Speyer

75

Handwerker, Tuchverkauf, Druckschriften

1576

Reichsabschied zu Regensburg

76

Juden, Wucher

Bereits der Wormser Reichstag 1521 stellte die Weichen für erste Vorbereitungen der späteren Reichspolizeiordnung von 1530. Einbezogen wurden die ursprünglichen Entwürfe aus dem Jahr 1495 von Berthold von Henneberg.77 In den Jahren 1523 und 1524 wurde durch Johann Freiherr zu Schwarzenberg (1463–1528)78 im Reichsregiment die Arbeit an der Reichspolizeigesetzgebung entscheidend vorangetrieben, sodass er als der geistige Vater der Reichspolizeiordnung von 1530 angesehen wird.79 Nach 1530 übernahmen die oben genannten Reichsabschiede die Bestimmungen aus der ersten Reichspolizeiordnung. Die Regelungen wurden erweitert, die Strafsanktionen teils verschärft, teils etwas abgeschwächt, je nach der Akzeptanz oder Wirkung der einzelnen Norm.80 Auch nach Erlass der zweiten Reichspolizeiordnung von 1548 kam es weiterhin zu Ergänzungen und Änderungen. 1551 wurde im Reichsabschied zu Augsburg konstatiert, dass die Polizeiordnung bei Bürgern, Untertanen und Einwohnern der Städte und Flecken nur schwerliche Akzeptanz finde.81 Andererseits wird im Reichsabschied 1555 bemerkt, die Reichspolizeiordnung von 1548 sei nicht zu verbessern, da sie stattlich und mit Bedacht errichtet worden sei.82

Die Reichspolizeiordnungen konnten, im Gegensatz zu den Landesordnungen in den Fürstentümern und den städtischen

Polizeiordnungen, nur eine nachrangige Rolle spielen, da es unmittelbare Reichsuntertanen, die direkt den Reichspolizeiordnungen unterfielen, etwa seit Ende des Mittelalters nicht mehr gab, nachdem sich die Reichsstädte an die Reichsstände angeschlossen hatten und nun eigene Territorien bildeten. Das Reich war bei der Herstellung „Guter Ordnung und Policey“ also darauf angewiesen, dass die lokalen Polizeiordnungen Wirkung entfalteten.83