Erlebtes und mehr - Friedrich Wilhelm Hackländer - E-Book

Erlebtes und mehr E-Book

Friedrich Wilhelm Hackländer

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Beschreibung

In diesem Werk sammelte Hackländer kleinere Erzählungen aber auch Briefe und Zeitungsartikel. Aus dem Inhalt: Ein Geheimniß. Reise-Abenteuer. Ein Schicksal. Gefährliche Blumensträuße Familien-Concert. Zwei Nächte Im Bivouak Die erste Wache Venedig. u.a.

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Erlebtesund mehr

Friedrich Wilhelm Hackländer

Inhalt:

Friedrich Wilhelm Hackländer – Biografie und Bibliografie

Erlebtes

Erster Band

Ein Geheimniß.

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel.

Reise-Abenteuer.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Ein Schicksal.

Gefährliche Blumensträuße

Familien-Concert.

Zweiter Band

Zwei Nächte

Die erste Nacht.

Die zweite Nacht.

Im Bivouak

Die erste Wache

Venedig.

Die erste Versammlung deutscher bildender Künstler.

Der Clubb für unbegränzte Freiheit.

Anonyme Briefe.

Zeitungsartikel in aufsteigender Potenz.

Erlebtes und mehr, F. W. Hackländer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849626778

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Wilhelm Hackländer – Biografie und Bibliografie

Roman- und Lustspieldichter, geb. 1. Nov. 1816 in Burtscheid bei Aachen, gest. 6. Juli 1877 in seiner Villa Leoni am Starnberger See, widmete sich, früh verwaist, 1830 dem Kaufmannsstand, trat nach zwei Jahren bei der preußischen Artillerie ein, kehrte aber, da ihm der Mangel an Vorkenntnissen die Aussicht auf Avancement verschloß, zum Handelsstand zurück. Das Glück lächelte ihm indes erst, als er sein frisches Erzählertalent mit »Vier Könige« und »Bilder aus dem Soldatenleben« (Stuttg. 1841) geltend zu machen begann. Die auf eignen Erlebnissen beruhende Wahrheit und der liebenswürdige Humor dieses Büchleins, dem später die weitern Skizzen »Das Soldatenleben im Frieden« (Stuttg. 1844, 9. Aufl. 1883) folgten, erregten allgemeine Aufmerksamkeit und verschafften H. insbes. die Zuneigung des Barons v. Taubenheim, der ihn zum Begleiter auf seiner Reise in den Orient (1840–41) wählte. Deren literarische Früchte waren: »Daguerreotypen« (Stuttg. 1842, 2 Bde.; 2. Aufl. als »Reise in dem Orient«, 1846) und der »Pilgerzug nach Mekka« (das. 1847, 3. Aufl. 1881), eine Sammlung orientalischer Märchen und Sagen. Durch den Grafen Neipperg dem König von Württemberg empfohlen, arbeitete H. einige Zeit auf der Hofkammer in Stuttgart und wurde im Herbst 1843 zum Sekretär des Kronprinzen ernannt, den er auf Reisen und 1846 auch zu seiner Vermählung nach Petersburg begleitete. Im Winter 1849 aus dieser Stellung entlassen, begab er sich nach Italien, wo er im Hauptquartier Radetzkys dem Feldzug in Piemont beiwohnte, war darauf im Hauptquartier des damaligen Prinzen von Preußen (spätern Kaisers Wilhelm I.) Zeuge der Okkupation von Baden und nahm dann in Stuttgart seine schriftstellerische Tätigkeit wieder auf. 1859 wurde er vom König Wilhelm von Württemberg zum Direktor der königlichen Bauten und Gärten ernannt, begab sich noch in demselben Jahr, bei Ausbruch des italienischen Krieges, auf Einladung des Kaisers Franz Joseph in das österreichische Hauptquartier nach Italien, wo er bis nach der Schlacht bei Solferino blieb, und wurde 1861 für sich und seine Nachkommen in den österreichischen Ritterstand erhoben. Beim Regierungsantritt des Königs Karl (1865) plötzlich seines Amtes enthoben, lebte er seitdem abwechselnd in Stuttgart und in seiner Villa Leoni am Starnberger See. Die literarische Tätigkeit hatte H. während seiner verschiedenen amtlichen Obliegenheiten und Reisen eifrig fortgesetzt; aus der Teilnahme am piemontesischen Feldzug Radetzkys und der Belagerung von Rastatt im Sommer 1849 erwuchsen die »Bilder aus dem Soldatenleben im Krieg« (Stuttg. 1849–50, 2 Bde.); den »Wachtstubenabenteuern« (das. 1845, 3 Bde.; 6. Aufl. 1879), den »Humoristischen Erzählungen« (das. 1847, 5. Aufl. 1883) und »Bildern aus dem Leben« (das. 1850, 5. Aufl. 1883) folgten größere humoristische Romane: »Handel und Wandel« (Berl. 1850, 2 Bde.; 3. Aufl., Stuttg. 1869), voll ergötzlicher Reminiszenzen aus seiner kaufmännischen Lehrzeit, »Namenlose Geschichten« (das. 1851, 3 Bde.) und »Eugen Stillfried« (das. 1852, 3 Bde.). Hackländers Lustspiel »Der geheime Agent«, bei der von Laube 1850 ausgeschriebenen Konkurrenz mit einem Preis gekrönt (3. Aufl., Stuttg. 1856), wurde auf allen deutschen Bühnen mit Erfolg ausgeführt, auch mehrfach übersetzt. Weniger Glück machten: »Magnetische Kuren« und die Possen: »Schuldig« (1851), »Zur Ruhe setzen« (1857) und »Der verlorne Sohn« (1865). Geteilten Beifall fand sein Roman »Europäisches Sklavenleben« (Stuttg. 1854, 4 Bde.; 4. Aufl. 1876). Mit den »Soldatengeschichten« (das. 1854, 4 Bde.) begann eine gewisse Vielproduktion, in der Wiederholungen unvermeidlich waren, und die zuletzt in manieristische Flüchtigkeit auslief. Wir nennen noch: »Ein Winter in Spanien« (Stuttg. 1855, 2 Bde.), das Resultat einer 1853 nach Spanien unternommenen Reise; »Erlebtes. Kleinere [595] Erzählungen« (das. 1856, 2 Bde.); »Der neue Don Quixote« (das. 1858, 5 Bde.); »Krieg und Frieden« (das. 1859, 2 Bde.); »Der Tannhäuser« (das. 1860, 2 Bde.); »Tag und Nacht« (2, Aufl., das. 1861, 2 Bde.); »Der Wechsel des Lebens« (das. 1861, 3 Bde.); »Tagebuchblätter« (das. 1861, 2 Bde.); »Fürst und Kavalier« (das. 1865); »Künstlerroman« (das. 1866); »Neue Geschichten« (das. 1867); »Hinter blauen Brillen«, Novellen (Wien 1869); »Der letzte Bombardier«, Roman (Stuttg. 1870, 4 Bde.); »Geschichten im Zickzack« (das. 1871, 4 Bde.); »Sorgenlose Stunden in heitern Geschichten« (das. 1871, 2 Bde.); »Der Sturmvogel«, Seeroman (das. 1872, 4 Bde.); »Nullen«, Roman (das. 1873, 3 Bde.); »Verbotene Früchte« (das. 1878, 2 Bde.); »Das Ende der Gräfin Patatzky« (das. 1877); »Reisenovellen« (das. 1877); »Residenzgeschichten« (das. 1877); »Letzte Novellen«, mit seinen ersten literarischen Versuchen (das. 1879) etc. Eine Gesamtausgabe seiner Werke erschien Stuttgart 1855 bis 1874, 60 Bde. (neuer Abdruck 1876); eine Auswahl in 20 Bänden 1881, seitdem auch in illustrierten Ausgaben. Auf journalistischem Gebiet begründete H. 1855 mit Edm. Höfer die »Hausblätter« und 1859 mit Edm. Zoller die illustrierte Wochenschrift »Über Land und Meer«. H. zeigte sich in seinen literarischen Produktionen als eine gesunde und frisch genießende Natur von großer Welt- und Menschenkenntnis, soweit es sich um die Beobachtung der äußerlichen Weltzustände und der äußerlichen Charaktere handelt. Unter seinen größern Romanen zeichnen sich besonders die »Namenlosen Geschichten« und »Eugen Stillfried« durch die Frische aller Farben, die seltene Lebendigkeit der Erzählung vorteilhaft aus. Der Humor Hackländers ist vorwiegend harmlos und gutmütig; nur in einzelnen Romanen, wie im »Europäischen Sklavenleben«, spitzt er sich tendenziös zu. Aus seinem Nachlaß erschien eine interessante Selbstbiographie: »Der Roman meines Lebens« (Stuttg. 1878, 2 Bde.). Vgl. H. Morning, Erinnerungen an Friedr. Wilh. H. (Stuttg. 1878).

Erlebtes

Erster Band

Ein Geheimniß.

Erstes Kapitel

Handelt vom Herbstwetter, von der Unterhaltung nach einem guten Diner und erzählt, wie der Baron nahe daran war, gesteinigt zu werden.

Zu Anfang unserer kleinen, aber wie immer außerordentlich wahren Geschichte müssen wir dem geneigten Leser sagen, daß es spät im Herbste ist, so um die Mitte Oktober, jene Zeit, wo Berg und Haide, die den ganzen Sommer in einem einfachen, grünen Kleide prangten, nun noch vor dem Winter, ihrem Alter, anfangen recht kokett zu werden und sich mit den hübschesten und auffallendsten Farben zu schmücken. Die Natur weiß, daß bald ihre Anziehungskraft vorbei ist, und sie thut nun alles Mögliche, noch an sich zu fesseln. Gelb, Braun, Violet, Roth, Alles schimmert durch einander. Der Boden des Waldes ist mit schon vertrockneten Blättern bedeckt, einem bunten Teppich gleich; das Weinlaub zeigt ein gelbes Grün, die Blätter verschiedener Schlingpflanzen haben sich in Purpurroth verwandelt, und nur der Epheu ist sich gleich geblieben; er umrankt die grauen Mauern mit derselben Liebe, mit derselben Treue; er allein scheint nichts von dem herannahenden Winter zu fühlen, und nur hie und da, wenn der Wind allzu heftig über die Stoppeln jagt, bewegen sich die kleinen Blätter und zittern und seufzen. Ach, sie allein werden zurückgelassen, um im Winter zu frieren! Ja, es ist einer jener Herbsttage, die, wenn Morgens früh der Nebel in die Thäler hinab sinkt, noch frisch, warm und angenehm sein können, die aber, wenn das Sonnenlicht jene weißen dichten Massen nicht zu überwältigen vermag und sie nun langsam zum Himmel empor steigen, alles mit ihrem trüben Grau überziehen und alsdann zu einem jener langweiligen, frostigen Regenwetter werden, welche nie so empfindlich und unangenehm sind, als gerade um diese Zeit. Die Wolken hangen so dicht herab, daß man sie fast mit den Händen greifen kann; hier vor uns in einer einfachen trüben Farbe, dort weiter wie in langen grauen Schleiern, welche zuweilen von einem frostigen Winde emporgejagt werden, ohne etwas Angenehmeres, als ähnliche graue Schleier, hinter sich zu zeigen. Der Regen fällt schräge herab, und es sind recht kalte, unbehagliche Tropfen. Die armen Blätter schaudern zusammen, lassen erstarrt vor Kälte los und flattern zu Tausenden nieder auf den Boden. Feld und Wald haben nichts Anmuthiges mehr, und der Anblick der Straßen der Stadt ist auch nicht geeignet, ein trauriges Gemüth zu erheitern. Die Leute laufen umher mit rothen Händen und bläulichen Nasen, frierend und sehr schlechten Humors. In dieser Zwischenzeit hat man noch nicht die Winterkleider hervor gesucht; gestern war es noch zu warm für den dicken Paletot, heute ist es zu kalt für den dünnen, und doch ist man noch nicht durch Eis und Schnee in seine Wohnung eingeschlossen; man hat, auf das gute Wetter der letzten Tage vertrauend, sich vorgenommen, heute noch Manches zu besorgen, und rennt umher mit seinem Regenschirme. Man begegnet andern Regenschirmen, man stößt an sie hin und entschuldigt sich, man wird vom herabtropfenden Wasser bespritzt, man erkennt seine Freunde nicht, die gekommen sind, uns aufzusuchen, und da man so bei einander vorüber rennt, macht man manchen vergeblichen Gang. Und wenn es nun anfängt dunkel zu werden, wenn der Regen, wie um diese Zeit gewöhnlich, heftiger zu strömen beginnt, wenn die Gaslaternen dunkelroth in eine Nebelmasse glühen, dann rettet man sich so gern von dem feuchten Pflaster zwischen die schützenden Wände des Hauses in ein elegantes, behagliches Zimmer, in ein Gemach, in dem schon die Winterteppiche liegen, wo in einem kleinen, zierlichen Kamine leicht aufgeschichtetes Holz lustig flackert und knistert, und wo die Flamme desselben mehr eine moralische Sicherheit gegen die Kälte draußen ist, als daß sie das Zimmer, wie auch unnöthig wäre, übermäßig erwärmte.

Es ist ein kleiner, sechseckiger Salon, in dem wir uns befinden; er hat zwei Fenster und zwei Thüren, die ersteren mit schweren Vorhängen verhängt; von den letzteren ist eine geschlossen, und die andere soll es in diesem Augenblicke werden; denn ein Bedienter in einfacher Livree hat beide Flügel derselben erfaßt und scheint nur auf einen Befehl zu warten, den ihm ein junger Mann im nächsten Augenblicke geben wird.

Dieser junge Mann, der Herr des Hauses, hat sich mit dem linken Arme auf den Kamin gelegt, und trägt den rechten in einer Binde. Vor dem flackernden Feuer stehen drei niedere Sammtfauteuils; zwei sind mit anderen Herren besetzt, und ein vierter Herr stützt sich auf die Lehne des noch leeren Fauteuils, indem er den jungen Mann, der den Arm in der Binde trägt, forschend ansieht.

»Sobald meine Frau nach Hause zurückgekehrt ist, soll man es mir sagen.«

Der Bediente machte eine Verbeugung und schloß die Flügelthüren.

»Ich werde sie alsdann bitten, daß wir den Thee bei ihr nehmen dürfen.«

»Wofür wir dir und der Gräfin sehr dankbar sein werden,« entgegnete der Herr, der am Fauteuil stand.

»Dein Diner war vortrefflich,« sagte der augenscheinlich jüngste der Herren. »Und es ist auch zur Abwechslung angenehm, wieder einmal en garçon zu speisen.«

»Auch bringt es dich nicht aus deiner Gewohnheit,« versetzte lachend sein Nachbar.

»Ach, das kann ich gerade nicht sagen,« meinte der Andere, indem er mit seiner Uhrkette spielte. »Wenn der Chef verheirathet ist, so gehören die Gesandtschafts-Secretäre ebenfalls zur Familie.«

»Und da das bei dir der Fall ist,« fügte der Hausherr bei, »so sehnst du dich hie und da recht sehr nach einem Garçondiner.«

»Namentlich wenn die Dame des Hauses so unumschränkt und absolut regiert, wie Ihre Excellenz.«

»Ist es wahr,« fragte laut lachend der Vierte, »daß die kleinen Herrinnen des Hauses ihren Platz zwischen dir und dem Attaché haben, und daß die Frau Gesandtin sehr darauf steht, daß ihr Beiden ihnen keine Unarten durchgehen laßt?« »Man hat mir erzählt,« sagte der Nachbar des Diplomaten, »daß das Umbinden der Servietten der Reihe nach gehe.«

»Dafür sind aber die Diners auch recht kurz,« bemerkte der, welcher hinter dem Fauteuil stand, – »Hausmannskost, eine Suppe und zwei Platten. Wir kennen das.«

»Nun, wenn ihr es kennt, so laßt's gut sein. Sprechen wir von was Anderem!«

Die vier Herren, die sich hier in dem Zimmer befanden, waren, wie wir aus obigem Gespräche entnehmen können, genaue Bekannte, ja, gute Freunde. Der Hausherr, der den Arm in der Binde trug, Graf B., hatte zweien derselben, die eben von weiten Reisen heimgekehrt waren, dem Baron A. und dem Major v. S., ein kleines Diner veranstaltet, und den Gesandtschafts-Secretär, den wir als solchen bereits bezeichnet, dazu eingeladen.

»Nehmen wir Cigarren!« sprach der Hausherr, indem er eine Bewegung nach dem Kamin machte, wo mehrere Sorten des Feinsten, was die Havannah bietet, in eleganten Kistchen lagen. »Es plaudert sich besser, wenn man dazu raucht.«

Alle drei folgten dieser Aufforderung, und der Major, ein großer, kräftiger Mann, ziemlich hoch in den Dreißigen, mit einem schwarzen, wohlgepflegten Schnurrbart, ließ den Fauteuil, hinter dem er gestanden, eine halbe Wendung machen, und warf sich hinein.

Der Hausherr war eine schlanke, zierliche Gestalt, von eleganten und leichten Bewegungen; er hatte blondes Haar, einen eben solchen zierlich zugespitzten Bart, den er durch häufiges Drehen mit den Fingern in seiner horizontalen Lage zu erhalten suchte. Sein Gesicht war offen und ehrlich, namentlich die blauen Augen unter der hohen Stirn, und diese glänzten und zeigten dem aufmerksamen Beschauer, daß das Herz des Grafen ohne Falsch war, und daß man ihm unbedingt vertrauen dürfte. Das wußten auch alle seine Freunde, und deßhalb liebten sie ihn.

Der Graf B. war sehr reich und hatte vor ungefähr vier Monaten nach seiner Neigung geheirathet. Die Gräfin war ebenfalls schön, jung, von guter und reicher Familie; beide liebten sich zärtlich, mithin waren sie sehr glücklich.

Der Baron N. war der Aelteste der vier Freunde. Ein Mann an die Vierzig, hatte er ein bewegtes Leben geführt, lange und weite Reisen gemacht und kam eben mit dem Major aus England zurück, wo sie sich ein halbes Jahr aufgehalten, nachdem sie vorher im Orient zufällig sich getroffen.

Der Major war Adjutant des Königs und diente, da er gleichfalls ein großes Vermögen besaß, nur aus Anhänglichkeit an seinen Monarchen. Er war ein Mann von anerkanntem Muth, von einer großen Körperkraft, ein vortrefflicher Reiter, kurz, ein Offizier, mit allen den Eigenschaften versehen, die nöthig sind, um im Kriege eine große Karriere zu machen. Doch leider, für ihn herrschte der tiefste Frieden, und da er nun einmal nicht unthätig bleiben konnte, so hatte er, wie schon gesagt, große Reisen gemacht und während derselben Gefahren aller Art aufgesucht und glücklich bestanden.

»Ja, ja,« sagte Graf B., »jetzt sind wir wieder hier in dem Salon versammelt, wo so oft Pläne gemacht wurden, um das Entgegengesetzte auszuführen.«

»Das war namentlich bei dir der Fall,« entgegnete lachend der Major. »Hattest du nicht den Entschluß gefaßt, mit uns zu ziehen? Statt dessen aber siehst du die schönen Augen deiner Frau und bleibst an die Scholle gefesselt.«

»Die Wege des Schicksals sind sonderbar,« antwortete beistimmend der Graf; »denn ihr Beiden zieht hinaus, besteht Gefahren und Ungemach aller Art, und als ihr nun glücklich zurückkommt, gesund und unverletzt, findet ihr mich mit dem Arm in der Binde.«

Bei diesen letzten Worten war der Graf sehr ernst geworden und fuhr mit der linken Hand an seinen Schnurrbart, während er mit dem rechten Arm ungeduldig zuckte.

»Das sind Sachen,« meinte der Baron achselzuckend, »die Jedem von uns passiren können. Heute dir, morgen mir. Namentlich wenn man einmal verheirathet ist. Und ich bin noch froh, daß die Sache so ablief. – Hast du es dem Major erzählt?«

»Noch nicht – später,« antwortete zerstreut der Graf. – »Aber wie findet ihr meine Cigarren? Mögt ihr noch Havannah rauchen, da ihr wahrscheinlich durch vortreffliche Nargileh und den feinsten Latakia aus unendlich langen Pfeifen verwöhnt seid ...?«

»Was mich anbelangt,« versetzte der Major, »so war ich unendlich froh, wieder einmal eine vernünftige Cigarre zu bekommen. Und die hat man in England, theuer, aber gut.«

Der Graf richtete, ohne eine Antwort zu geben, die Augen forschend auf den Kamin und sagte, mehr zu sich selber, als zu den Anderen: »Meine Frau bleibt lange aus!« – Auch hätte ein sehr aufmerksamer Beobachter bemerken können, daß bei diesen Worten ein leichter Schatten über die sonst so offenen Züge des Grafen flog.

»Wohin ist die Gräfin?« fragte der Baron.

»Sie dinirt bei ihrer Mutter,« entgegnete der Graf.

»Ah, das müssen wir uns zum Vorwurfe machen,« warf der Legations-Secretär dazwischen. »Durch dein Garçondiner haben wir sie vertrieben. Ich bedaure das sehr. So gern ich, wie schon früher bemerkt, en garçon speise, so möchte ich doch in deinem Hause nie anders als ein Diner en famille machen.«

»Ich danke dir im Namen meiner Frau für dieses Kompliment,« erwiderte lächelnd der Graf. »Doch hat es dieselbe ganz und gar nicht gestört. Wenn sie nicht kommt, so müssen wir noch ein wenig warten, das heißt, wenn ihr gesonnen seid, der Gräfin einen guten Abend zu wünschen.« »Ich freue mich sehr darauf,« entgegnete der Baron. »Ich bin wirklich begierig, wie sich die kleine Eugenie von damals verändert hat – Gott! als ich sie zum letzten Male sah, das sind jetzt in der That zehn Jahre; ich bin alt geworden; – wo habe ich mich in der Zeit nicht umhergetrieben!«

»Und so viel Wunderbares gesehen!« sagte der Diplomat. »Baron, du solltest so artig sein und uns etwas aus deinen Erlebnissen Preis geben. Du bist ja kein Schriftsteller, der das Geheimniß seines nächsten Buches zu bewahren hat, und wir sind auch keine Männer von der Feder, die dir deine seltenen Abenteuer ablauschen, um sie hintennach als Erlebnisse zu erzählen.«

»Ja, Letzteres fürchte ich besonders,« antwortete lachend der Baron. »Da habe ich so einen Bekannten, einen kleinen, dicken Literaten, dem brauche ich nur das Geringste zu erzählen, und ich kann darauf schwören, es acht Tage nachher in irgend einer Zeitung zu lesen.«

»Scherz bei Seite!« nahm der Hausherr das Wort. »Aber erzähle uns irgend etwas, lieber Freund! Doch etwas aus deinen Erlebnissen, was dich persönlich angeht.«

»Was mich persönlich angeht?« fragte der Baron mit einem lächelnden Blick auf den Major. »Was meinst du?« sagte er zu diesem. »Soll ich ihnen etwas zum Besten geben, was uns Beide zusammen so genau betrifft? – etwa die Geschichte von Malta?«

Der Major lachte ebenfalls und entgegnete: »Meinetwegen! ich habe nichts dagegen; nur mußt du bei der Wahrheit bleiben.«

»O, unbesorgt!« fuhr der Baron fort. »Aber vor allen Dingen muß ich diesen beiden Freunden erklären, auf welch sonderbare Weise ich in Kairo mit dem theuren Major zusammen traf.«

»Ah, das wird sehr interessant für uns sein!«

»Für mich war der Moment auch sehr interessant,« antwortete lachend der Baron; »denn ich befand mich gerade im Begriffe, gesteinigt zu werden.«

»Läuft man denn heutigen Tages noch Gefahr, im Orient auf solche Art sein Leben zu verlieren?« fragte der Hausherr.

»Bah!« nahm der Diplomat das Wort, indem er die Füße weit von sich abstreckte und beide Hände in die Taschen seiner Beinkleider steckte; »da übertreibt der gute Baron schon zu Anfange seiner Erzählung. Wozu hätten wir alsdann unsere diplomatische Verbindung mit jenen Ländern, unsere Generalconsuln und Agenten? Was würden die in dem Falle thun?«

»Sie würden höchstens früh genug ankommen, um dich anständig begraben zu lassen,« sprach ernst der Baron, »wenn man dich überhaupt auffinden könnte. – Also hört mir zu; ich sage euch die reine Wahrheit. Aber ich bitte um festen und unwandelbaren Glauben.«

»Wir glauben!« versetzten die Drei.

Und der Baron begann.

»Die Aegyptier sind sehr anständige Leute. Man kann Alles thun in der guten Stadt Kairo, dieser phantastischen, merkwürdigen Stadt, welche ein berühmter Reisender das Paris des Orients genannt, obgleich andere ebenso berühmte Männer nicht dieser Ansicht sind. Genug, Kairo ist eine angenehme Stadt, wo man, allerdings für theures Geld, sehr gut leben kann, wenn es einem vergönnt ist, in einzelne Familienkreise zu dringen und angenehme Bekanntschaften zu machen. Das Absperrungssystem wird hier nicht so streng gehandhabt, wie in Konstantinopel. Man hat hier sehr gute Gasthöfe, man findet die besten Früchte der ganzen Welt; man hat den Nil zum Baden und dessen kühles Wasser zum Trinken. Es gibt hier keine Polizeistunde, und wenn man sich einmal eine Freinacht machen will, so kann man vermittelst guter Bekannter sich eine solche nach seiner Phantasie veranstalten lassen; da ist nämlich ein Ballet arabischer Tänzerinnen, das man bei sich aufführen läßt.«

»Ach ja!« sagte nachdenkend der Major.

»Doch das unter uns,« fuhr der Erzähler fort. »Es gibt in Kairo so gut wie gar keine Polizei, und deßhalb kann man so frei und ungehindert leben, wie man nur will. Doch hat das morgenländische Paris dafür auch seine Schattenseiten.«

»Eine Hauptschattenseite ist,« schaltete der Major ein, »daß überhaupt zu wenig Schatten da ist und man vor Hitze fast umkommt.«

»Das versteht sich von selbst. Aegypten im Sommer ist ein großer Brutofen, 36 Grad in den Häusern von Morgens Neun bis Abends Neun, und in der Nacht vielleicht 24 Grad. Das ist ein Zustand zum Verzweifeln. Aber ich wollte vorhin sagen, so duldsam der Aegyptier im Allgemeinen ist, so gibt es doch Stellen, wo die die fanatische Volksmasse außerordentlich sterblich ist – leicht berührt und leicht beleidigt. Ihr wißt, daß alljährlich an einem gewissen Tage von Kairo aus die große Pilger-Karawane nach Mekka abzieht, so an dreitausend Kameele und dabei eine entsprechende Anzahl von Starkgläubigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, nach dem Grabe des Propheten zu wallfahrten und dort zu beten. Diese Karawane nun ist ein Gemisch von Pracht und Reichthum, von Elend und Armseligkeit. Den Glanzpunkt des ganzen Zuges aber bildet das berühmte Kameel, welches eine kostbare Abschrift des Korans trägt, die, mit einem unendlich reich gestickten grünen Teppich bedeckt, dem heiligen Grabe alljährlich zum Geschenke gemacht wird. Diesen berühmten Teppich hat der Vicekönig von Aegypten zu liefern, und wenige Tage vor dem Abmarsch der Karawane wird er in großem Cortege im allerfeierlichsten Aufzug von der Citadelle auf dem Mokkatam nach der großen Moschee gebracht, um dort bis zur Abreise aufbewahrt zu bleiben. Natürlicher Weise zieht dieser Zug Tausende und wieder Tausende der Einwohner Kairo's in jene Gassen zusammen, durch welche er kommen soll, und auch ich beschloß, mir irgend ein Plätzchen auszusuchen, um diesem merkwürdigen Getreibe zuzuschauen. Mit einem Engländer, der mit mir im gleichen Gasthofe wohnte, ritten wir auf kleinen Eseln nach jener Gegend der Stadt, jedoch, leichtsinniger Weise, ohne einen Kawassen mitzunehmen. Wir zogen so lange fort, als wir Platz hatten. Endlich aber, obgleich es noch früh war, wurde das Gedränge in den ohnehin engen Gassen so groß, daß wir abstiegen und uns vor einer kleinen Kaffeestube auf jene bekannten kleine Taborets niederließen, die ungefähr so aussehen und so groß sind, wie kleine Kinderstühle bei uns. Ich bin nun von ziemlicher Gestalt, wohlbeleibt, und Ihr könnt denken, wie ich mich hier ausnahm.«

»Und in deiner Kleidung!« sagte lachend der Major. »Der gute Baron war weiß von oben bis unten. Weiße Unaussprechliche, weißen Rock, weiße Handschuhe, weißen Hut, mit einem Tuche turbanartig umwunden, und dazu einen weißen Sonnenschirm.«

»Unser Platz,« fuhr der Erzähler fort, ohne auf die Spöttereien zu achten, »war von dem Engländer gewählt worden und recht passend. Zur Linken, woher der Zug kommen mußte, machte die Straße eine kleine Biegung, und uns gegenüber hatten wir ein großes Haus mit prächtigen vergoldeten Gittern, die aber alle geöffnet waren und eine Menge der schönsten Mädchengesichter zeigten.«

»Unverschleiert?« fragte neugierig der junge Diplomat.

»Ich muß gestehen, daß sie gegen den orientalischen Gebrauch ihre Schleier zuweilen sehr kokett auf die Seite schoben und uns dann ihr ganzes Gesicht zeigten. Es waren Augen darunter von erstaunlicher Größe, schwarz und Blitze werfend, Augen, die äußerst gefährlich waren.«

»Wir tranken unsern Kaffee und rauchten unsere Pfeife. Und als es eine Zeit lang so gedauert hatte, füllte sich die Straße immer mehr mit Menschen, so daß sich langsam und allmälig eine Reihe Zuschauer vor uns hinschob und uns jede Aussicht benahm. Neben uns war die Bude eines alten Türken, so eines von der ehemals festen, ja ehrwürdigen Race mit langem gutgepflegtem Bart, bunt-farbigem Turban und sehr wohlwollenden Gesichtszügen. Er winkte uns, näher zu kommen, und zwar mit dem bekannten orientalischen Zeichen, das einige Aehnlichkeit hat mit der Bewegung, als wolle man Jemanden die Augen auskratzen. Wir nahmen natürlicher Weise seine Einladung an, er überließ uns ein paar Kissen, auf die wir uns setzten, und schob zuerst mir, als Beweis seiner innigen Freundschaft, die eigene brennende Pfeife in den Mund. Es ist das eine Artigkeit, die man sehr schätzen muß, und bedeutet fast eben so viel, als wenn der Araber Brod und Salz mit einem theilt.

»Endlich kündigte sich der Zug in der Ferne durch einen wahren Höllenlärm an. Vielleicht sechszig bis achtzig junge Kerle von verschiedenen Regimentern mit kleinen und großen Trommeln, Triangeln, Becken, mehreren Schellbäumen bearbeiteten diese Instrumente mit all dem Feuer, welches Jugendkraft und fanatische Begeisterung hervorzubringen im Stande ist. Ein paar unglückselige Posaunen und Clarinetten konnten natürlicher Weise nicht zu Worte kommen und ergaben sich scheinbar stillschweigend in ihr Verhängniß. So rauschte, dröhnte, gellte und klirrte diese ächt türkische Musik immer näher und schien den Umstehenden außerordentlich wohl zu gefallen. Auch unser alter Türke wiegte den Kopf bald auf diese bald auf jene Seite und schmatzte, als genösse er etwas außerordentlich Gutes.

»Nun zog die Musik vorüber, und hinter ihr drein ergoß sich der ganze Zug, der das Kameel mit dem heiligen Teppich begleitete, in all seiner phantastischen orientalischen Wildheit – Kameele, Pferde, Esel, kostbare Thiere und schäbiges Zeug durcheinander, ebenso wie ihre Reiter. Dort ritt ein alter Emir, in grüne Lumpen gekleidet, neben ihm ein Mameluk im prächtigsten, reichsten Costüme. Ganze Schaaren von Derwischen zogen vorüber, Offiziere der ägyptischen Armee, ihnen folgten gewöhnliche Reiter und Infanterie, und die Menschenmasse war so groß, daß sich Alles wie ein brausender, buntfarbiger Strom scheinbar nur etwas vorüber schob. Es war keine Bewegung einzelner Figuren mehr, es war nur eine wirre Masse. Unmittelbar hinter dem Kameele kam eine Schaar von vielleicht tausend bis fünfzehnhundert halberwachsener Jungen – es waren aber Kerle von meiner Größe darunter – in langen weißen oder hellgelben schlottrigen und ziemlich schmierigen Kaftans, mit knabenhaften trotzigen Augen, die recht herausfordernd umschauten, weil sie die Ehre hatten, unmittelbar hinter dem alten Kameel laufen zu dürfen. Ich muß gestehen, daß ich nicht weiß, ob sie zu irgend einer ägyptischen Brüderschaft gehörten, oder ob es vielleicht die Gymnasiasten von Kairo waren; ich vermuthe das Letztere. Kaum war diese Rotte Korah vor unserem Fenster angekommen, so schienen wir, der Himmel mag wissen, weßhalb, ihre ungetheilte Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Sie blieben vor uns stehen, rissen ihre Mäuler auf, streckten die Zungen heraus und brachen dann in ägyptische Verwünschungen aus, die unübersehbar sind. Was sollten wir machen? Das Beste war – was wir thaten, – ruhig sitzen zu bleiben und sie schreien zu lassen. Aber es blieb nicht bei dem Schreien. Ein paar griffen in ihre Taschen, holten Zwiebeln und Orangen hervor und fingen an, uns damit zu bewerfen. So lange hatte unser alter guter Türke mit tiefer Verachtung lächelnd dem Treiben zugesehen, ja, er hatte sich vor sie hingestellt, um uns ihren Blicken zu entziehen. Aber vergebens! Wie der Tiger, wenn er Blut geschmeckt hat, so wurden diese Buben nach den ersten Würfen ganz des Teufels. Plötzlich sprang unser Wirth in die Höhe und ich muß gestehen, ich hatte noch nie aus eines Menschen Munde eine solche Fluth der gräßlichsten Flüche und Verwünschungen gehört, wie sie der alte Türke jetzt auf unsere Verfolger ergoß. Mittlerweile wurde die Kanonade heftiger, und zwischen die Orangen und Zwiebeln mischten sich schon harte Stücke Brod und Steine. Da riß unserem Hausherrn vollends die Geduld. Er nahm die große eiserne Stange, mit der er seinen Laden zu verschließen pflegte, sprang auf die Straße hinab und fing an, mit diesem improvisirten Schwerte zwischen die Reihen der jungen fanatischen Leute hineinzuhauen. Als er das aber that, wurden wir gänzlich blosgestellt, und ich erhielt einen heftigen Steinwurf an die Schulter. Wer weiß auch, wie die Sache geendigt hätte, wenn nicht die ungeheure Menschenmasse, die der heiligen Decke folgte, so unaufhaltsam von hinten vorgedrängt hätte, daß unsere Feinde nothwendigerweise weggeschoben wurden! Nur ein paar der ergrimmtesten lösten sich von dem Haufen ab und faßten in der Nähe unseres Hauses Posto. Darunter war Einer, ein langer, aufgeschossener blasser Schlingel, mit Augen wie eine Schlange.«

»Ah ha!« sagte lachend der Major.

»Dieser hatte sich auch unserem Hausherrn entgegen geworfen und ihm heftig in seinen langen grauen Bart gespuckt. Freilich bekam er dafür einen Tritt vor den Magen, der ihn wie eine Feder zusammen krümmte; aber er ging nicht vom Platze. Nun muß ich gestehen, auf diesen Kerl hatte ich eine ungeheure Malice. Ihn hoffte ich zu treffen, ihm Einiges heimzuzahlen.

»Bei allem dem saßen wir aber schön in der Klemme. Der ganze Zug mußte vielleicht in einer halben Stunde wieder hier vorbei kommen, und wenn sie uns dann noch fanden, so ging der Tanz von Neuem los. Auch wollten wir unseren guten Hauswirth nicht länger incommodiren, und da mittlerweile unsere Esel zurückkamen, so beschlossen wir, durch die unzählige Menschenmenge unseren Rückzug zu nehmen und uns dabei so gut wie möglich zu vertheidigen. Wir dankten für die genossene Gastfreundschaft, saßen auf und ritten davon, natürlich im langsamsten Schritt, denn die Menge stand dicht an einander gepreßt auf der Straße. Ich sah wohl, wie uns jener Kerl folgte, und war sehr auf meiner Hut. Einen elastischen Stock mit bleiernem Knopf hielt ich so drohend, daß wir unangefochten auf einen breiteren Platz kamen. Doch kaum wollten wir unsere Esel in einen kleinen Trab versetzen, als mein Gefährte, der Engländer, einen solchen Schlag auf den Kopf erhielt, daß ihm sein Hut über die Augen hineinfuhr. Natürlich wandte ich mich rückwärts; jener Kerl war dicht hinter uns, und ein Anderer sprang von der Seite her und faßte meinen Esel am Zügel. Dem Letzteren ließ ich aber meinen Stock so kräftig auf die Hand fallen, daß er heulend dieselbe los ließ, um mich jedoch gleich darauf mit der anderen wieder zu fassen. Wir saßen schön im Gedränge und konnten im nächsten Augenblick zu Boden geschlagen und zertreten sein. Da trabte ein Reiter quer über den Platz dahin, dem zwei Kawassen folgten. Mir schien anfänglich jener Reiter ein vornehmer Beduine zu sein, denn er trug einen prächtigen Burnus und ein goldgesticktes Kopftuch. Die drei Reiter kamen gerade auf uns zu, weßhalb die Menge einen Augenblick auf die Seite wich. Plötzlich sah ich, wie der Beduinen-Häuptling mit einem Satze seines Pferdes an meiner Seite war, und als ich mich umdrehte, hatte er jenen Kerl, der gerade einen Schlag nach mir führen wollte, am Halse gefaßt und zog ihn so gewaltig in die Höhe, daß er einen Schuh vom Boden zappelte.«

»Der brave Major!« sagte laut lachend der Hausherr. »Das war zur rechten Zeit gekommen.«

»Aber so konnte auch nur er komme»,« fuhr der Baron fort. »Nachdem er unseren Feind einen Augenblick hatte zappeln lassen, warf er ihn mit einer Handbewegung in den dicksten Haufen hinein, so daß er selbst zu Boden stürzend, Drei bis Vier mit sich niederriß.«

»Ja, ja,« nahm in diesem Augenblicke der Major das Wort, »es war schade, daß damit die Geschichte zu Ende war. Ich hätte mich auf eine kleine Rauferei unendlich gefreut. Wenn man so frisch aus der Wüste kommt, tagelang im Sattel, immer unter freiem Himmel, hier und da eine kleine Attaque auf einen Trupp Raub-Beduinen mitmacht, da jucken Einem die Finger. Es war, wie gesagt, schade, Baron, daß ich dich nicht ein Bischen tiefer im Gedränge fand. Aber sie stoben auseinander wie aufgeschreckte Hühner. Ich richtete mich in den Steigbügeln empor, sah mich ein paar Mal rings um – Alles umsonst; sie machten uns mehr Platz als wir brauchten. Und da nahmen wir denn die beiden Bekannten in die Mitte und zogen nach unserem Hotel.«

»Und so,« sagte der Baron, »traf ich mit dem Major in Kairo zusammen.«

Zweites Kapitel.

Der Major macht durch einen zu kräftigen Händedruck die Bekanntschaft eines Vaters, der zwei schöne Töchter hat. Der Baron erzählt vom Bienentanze, von der Nilfahrt und von einem sehr angenehmen Paragraphen des Schiffs-Reglements.

In diesem Augenblicke rollte ein Wagen durch die Straßen, bog in den Thorbogen ein und rasselte dröhnend durch das Haus in den Hof.

»Ah, meine Frau!« sagte der Hausherr. Und ein freudiger Zug flog über sein Gesicht. Bald darauf hörte man Schritte im Vorzimmer, der Graf wandte sich nach der Thüre, und als diese geöffnet wurde, trat ihm statt der Erwarteten einer der Bedienten entgegen und meldete, daß die Gräfin bei ihrer Mutter geblieben sei, ihren Wagen nach Hause geschickt habe und erst später heimkehren werde.

Ueberrascht blieb der Graf stehen, preßte eine Sekunde lang die Lippen heftig auf einander, und wie ein leichter Blitz flammte es in seinen Augen auf. Doch nur eine Sekunde lang. Dann glätteten sich seine Züge wieder, er sagte dem Bedienten: »Es ist gut,« und wandte sich mit vollkommen ruhigem Gesichte seinen Freunden wieder zu. Niemand sah, daß er die Hand des verwundeten Armes mehrmals fest zusammen ballle, und daß es ihm Mühe machte, den hiedurch verursachten Schmerz nicht laut werden zu lassen. Er stützte sich abermals auf den Kamin und sprach: »Es thut mir unendlich leid, daß wir unseren Thee allein nehmen müssen. Meine Frau ist bei ihrer Mutter geblieben; ich glaube, Frau von D. ist unpäßlich, und da ist es sehr natürlich, daß die Tochter der Mutter Gesellschaft leistet.«

»Vollkommen begreiflich,« entgegnete der Diplomat mit dem Tone der Ueberzeugung und setzte hinzu: »Du wirst uns erlauben, unser Bedauern darüber auszudrücken, daß wir die Gräfin heute Abend nicht sehen können.«

Der Baron sagte etwas Aehnliches und schien ebenfalls darin nichts Besonderes zu finden. Er blickte in die Gluth des Kaminfeuers und war offenbar mit seinen Gedanken in Aegypten oder sonstwo.

Nur der Major allein that einen forschenden Blick auf den Freund, und ihm war es nicht entgangen, daß die Lippen des Grafen einige Mal gezuckt und daß derselbe einen ernsten Blick auf das Zifferblatt der Uhr neben sich warf.

»Ihr seht,« versetzte der Hausherr nach einer kleinen Pause, »daß ich heute nicht im Stande bin, euch die versprochene Gesellschaft meiner Frau zu verschaffen. Aber es wäre sehr schön von euch, wenn ihr noch ein paar Stunden bliebet, um mit meinem Thee und mir fürlieb zu nehmen.«

»Ich kann nichts Besseres thun,« entgegnete der Baron.

Und der Gesandtschafts-Sekretär meinte: es könne vom Fortgehen keine Rede sein, da der Baron ihnen eine Geschichte von Malta versprochen habe.

»Es versteht sich von selbst, daß wir bei dir bleiben,« sprach bestimmt der Major. »Gib uns eine Tasse Thee und halte uns so lange du willst. Vorausgesetzt, daß du es uns sagen wirst, sobald du oder vielmehr dein verwundeter Arm müde wird.«

»Ich bin euch für euer Anerbieten sehr dankbar,« entgegnete der Graf, »denn ich würde mich sehr einsam fühlen; ich bleibe auf alle Fälle auf, bis meine Frau zurückkommt, und schätze mich glücklich, daß ihr mir Gesellschaft leisten wollt. – Aber trinken wir unseren Thee – nehmt neue Cigarren, und dann muß uns der Baron etwas Heiteres erzählen.« »Ja,« sagte der Major mit bestimmtem Tone, »der Baron muß erzählen. Ich gebe ja auch unsere Geheimnisse Preis. Wir sind ja unter Freunden, und die Geschichte drückt mich doch schon lange.«

»Mit Vergnügen denn,« erwiderte der Baron. »Aber wie der Major eben durchblicken ließ, Alles unter uns; denn es sind Geschichten, die nicht blos den Major und mich, sondern auch Andere betreffen, welche uns sehr theuer und werth sind.«

Hierauf klapperten einen Augenblick die Tassen, die Fauteuils wurden zurück- und wieder vorgeschoben und frische Cigarren angesteckt, wogegen sich der Baron einige der langen türkischen Pfeifen seines Freundes erbat.

»Denn,« fügte er bei, »ich erzähle und muß es würdig und in des Königs Kambyses Weise thun.«

»Der Beduinen-Häuptling,« begann er sodann nach einer Pause, »mit seinen beiden Kawassen begleitete uns also in den Gasthof zurück, und mittlerweile hatte sich unsere Escorte insofern vergrößert, als ein paar Reiter mit Hand- und Packpferden, die dem Beduinen-Häuptling folgten und sein eigen waren, sich an uns anschlossen. Es war aber heute der Tag der Rencontres. Denn als wir in das Thor des Gasthofes einritten – der Major und ich befanden uns schon im Hofe, – da carambulirte unser Gefolge mit zwei Herren, die auf Eseln reitend hinter uns dreinkamen. Von diesen Herren war der eine ein großer, dicker Mann von vorgerücktem Alter, mit grauem, fast weißem Barte, der, wie die Mähne eines Tigers, nach allen Seiten aus dem Gesichte starrte. Von der unerträglichen Hitze war dieses Gesicht schon auffallend geröthet, begann aber ins Purpurfarbene zu spielen, als, wie gesagt, einer aus unserem Gefolge diesen Herrn, ohne es übrigens zu wollen, etwas unsanft gegen den Thorbogen quetschte. Der andere Herr war sehr mager, hatte ein blasses, ächt englisches Gesicht, röthliches Haar und schielte ein wenig.«

»Kaum war der dicke Mann in dem Hofe angekommen, so glitt er von seinem Esel herab, wandte sich an den Beduinen, der ihn gestoßen, und versetzte ihm, ohne etwas dabei zu sprechen, mit seiner Reitpeitsche einen derben Schlag über die Schultern. Der Sohn der Wüste riß sein Pferd zurück, sein Auge blitzte, er zeigte unter den geöffneten Lippen die schneeweißen Zähne und riß ein Pistol aus dem Gürtel, offenbar in der Absicht, den dicken Herrn damit niederzuschießen. Glücklicher Weise aber hatte der Major diesen Vorfall gesehen, warf sein Pferd zwischen die Beiden und rief dem Beduinen ein paar arabische Worte zu, worauf dieser sein Pistol wieder einsteckte. Mochte es nun sein, daß der Major den dicken Herrn bei dem Dazwischenfahren gestreift, oder mochte dieser ihn ebenso für einen Farbigen halten und deßhalb glauben, er könne sich auch gegen ihn eine kleine Artigkeit herausnehmen, genug, er hob abermals die Hand mit der Reitpeitsche. Doch beugte sich der Major in diesem Augenblicke etwas von seinem Sattel nieder, faßte das Faustgelenk seines Gegners und drückte es so zusammen, daß der alte Herr die Peitsche mit einem gelinden Schrei fallen ließ.«

»Es war der erste Händedruck, den wir wechselten,« flocht der Major ein.

»Und als die Peitsche am Boden lag,« fuhr der Baron fort, »da rief unser Freund auf Englisch: ›Herr, bitte recht sehr, zu bedenken, daß wir nicht in Indien und daß freie Beduinen keine Sclaven sind.‹«

»Auf dieses Wort hin blickte sowohl der dicke wie der magere Gentleman den vermeintlichen Beduinen mit wahrem Erstaunen an. Denn sie hatten gewiß noch nie einen getroffen, der so fertig Englisch sprach.«

»Und wovon wußtet ihr, von welcher Nation die beiden Fremden waren,« fragte der Hausherr, »und woher sie kamen?«

»Ich hatte sie in Suez gesehen,« erwiderte der Major, »bei einem ähnlichen Act der Gewaltthätigkeit, der aber keine Folgen hatte, da der Matrose, den jener dicke Herr mit seinem Pfeifenrohr über den Kopf schlug, ein Laskare war.«

»Diese Begegnung hatte auch vor der Hand keine Folgen,« fuhr der Baron fort. »Die beiden Engländer, welche wohl einsahen, daß sie hier den Kürzeren ziehen müßten, begaben sich in den Gasthof, freilich noch immer mit einigem Widerstreben; denn der Dicke ballte mehrere Mal seine Fäuste, als suche er einen würdigen Gegner zu einer Box-Parthie.

»Der Major legte seine Beduinen-Tracht ab, ließ sich seinen zu langen Bart stutzen, und so dinirten wir ein paar Tag darauf seit längerer Zeit wieder zum ersten Male an der Table d'hôte des Gasthofes, wo das Erste, was uns in die Augen fiel, der dicke Gentleman war, der vor dem gedeckten Tische auf und ab spazierte. Bei unserem Eintritt stutzte er, sah den Major forschend an, und dann flog ein leichtes, ich möchte sagen, gutmüthiges Lächeln über seine dicken Züge, was mich veranlaßte, auf ihn zuzugehen, um von dem neulichen Vorfalle zu sprechen, indem ich ihm sagte, wir hätten unendlich bedauert, daß einer unserer Diener ungebührlicher Weise mit ihm zusammengestoßen sei, und würden auch nicht verfehlt haben, ihm schon sogleich damals unsere Entschuldigungen zu machen; doch hätte er sich auf eine Art selbst Recht verschafft, die es uns leider unmöglich gemacht, uns mit freundlichen Worten darein zu mischen.

»Auf das hin lachte der alte Herr heiter hinaus, reichte mir die Hand und erwiderte: ›Ich bin Ihnen in der That dankbar dafür, daß Sie einem alten, heftigen Manne so artig entgegen kommen. Meine außerordentliche Heftigkeit schafft mir nur zu oft ähnliche Auftritte auf den Hals. Von Jugend auf sehr reizbar, sind lange Jahre, in dem indischen Klima zugebracht, leider nicht im Stande, das Blut abzukühlen. Ich bin Sir Nobert J. – wollen Sie mir freundlichst Ihren Namen sagen, um mich alsdann Ihrem Freunde vorzustellen?‹

»Ich nannte mich, führte ihn zu dem Major, der ihm auf halbem Wege entgegen kam und ihm lachend die Hand schüttelte.

»›Wenn an meinem Betragen von neulich etwas verzeihlich ist,‹ sagte der alte Engländer lachend, ›so ist es, daß ich Sie für einen wirklichen Beduinen hielt. Ihr ganzes Aeußeres war mehr als Verkleidung – es war die vollkommenste Natur.‹

»›Da Sie mir das eingestehen,‹ antwortete der Major, ›so werden Sie es ebenfalls verzeihlich finden, daß ich auch vollständig in der Rolle des Beduinen blieb und meine Leute in Schutz nahm.«

»›Sprechen wir nicht mehr davon!‹ versetzte Sir Robert. ›Ich bin dem unangenehmen Vorfalle nur Dank schuldig, daß er mich so angenehme Bekanntschaften machen ließ. Wie ich zufällig gehört, werden Sie noch etwa vierzehn Tage hier bleiben, um über Alexandria und Malta nach dem Festlande zurückzukehren. Das trifft sich wirklich charmant, und wollen wir, wenn es Ihnen genehm ist, diese Tour recht angenehm und friedlich zusammen machen.‹

»In diesem Augenblicke trat sein Begleiter, der sehr blonde Engländer, mit zwei jungen Damen in den Saal.«

»Ei, ei, Baron!« bemerkte der Diplomat, »ihr waret von den Engländern außerordentlich schnell eingenommen. Vorhin hatte der junge Gentleman rothes Haar, jetzt ist er auf einmal hellblond geworden.«

»Ich will euch nur gestehen, daß ihr recht habt. Das Haar war eigentlich roth. Aber unter Bekannten nimmt man das nicht so genau. Er kam also in das Zimmer, und die beiden jungen Damen wandten sich augenblicklich an den alten Herrn und nannten ihn Papa. Was für ein Glück war es, daß wir uns mit ihm ausgesöhnt hatten! Die beiden Mädchen waren – nun, ich kann es mit Aller Bescheidenheit sagen – bildschön, gut erzogen, in jeder Hinsicht von den feinsten Manieren. Auch kannten sie eine ganze Menge Sprachen, Deutsch, Französisch, Indisch, von welch letzterem natürlicher Weise wir keinen Begriff hatten. Wir wurden vorgestellt und zu Gnaden aufgenommen – von den beiden Misses wenigstens. Der röthliche junge Mann, den man als Neffen präsentirte, schien sich dagegen über die neue Bekanntschaft nicht besonders zu freuen. Hatte er uns den Vorfall von neulich noch nicht vergessen, oder wollte er seinen liebenswürdigen Cousinen Alles sein – kurz, er benahm sich so förmlich und steif wie möglich. Mister B., englischer Offizier, in Indien stationirt, hatte einen Jahres-Urlaub, um seinen Oheim zu begleiten.

»Letzterer hatte bekanntlich in Indien ein Kommando gehabt, sich einen tüchtigen Namen gemacht, ungeheure Reichthümer erworben und kehrte nun für immer nach seiner Insel zurück.

»Ich kann euch versichern, wir Beiden, der Major und ich, waren bei Tische die personificirte Liebenswürdigkeit und stiegen gleich so bedeutend in der Gunst des alten Herrn, daß er uns für den Nachmittag zu einer Spazierfahrt nach Schuwra einlud.«

»Hattet ihr Absichten auf die jungen Damen?« fragte der Diplomat.

»Das ist eine Gewissensfrage und eigentlich unmöglich zu beantworten. Nur muß ich mit einiger Indiskretion gestehen, daß der gute Major am Abend dieses Tages schwor, sein Herz sei nie so erregt gewesen, und er wüßte nicht, was geschehen könnte.«

»Der gute Major!« antwortete dieser lachend. »Sag doch lieber: der gute Baron! Standest du nicht nächtlicher Weile am Fenster, schautest den Mond an und triebst allen möglichen poetischen Unsinn?«

»Wenn wir also vielleicht Absichten hatten,« fuhr der Baron in seiner Erzählung fort, »so könnt ihr euch denken, liebe Freunde, daß wir uns sehr in Acht nahmen, etwas dergleichen merken zu lassen. Der alte Herr war – ein sonderbarer Kauz. Was seine eigene Heftigkeit anbelangte, die er uns selbst gestanden, so überschritt dieselbe alles Maß des Erlaubten, ja, des Schicklichen. Ein Wort, eine Miene, die ihm mißfiel, konnte ihn plötzlich aus der heitersten Laune zu einem wahren Ungeheuer machen. Dann färbte sich sein Teint dunkelroth, seine weißen Haare starrten aus einander; der Neffe hustete verlegen, und die beiden jungen Damen schauten zusammen schreckend und zitternd auf ihre Teller.

»Der erste Auftritt der Art ging schon bei Tische los, als ihm der Kellner – er hatte Hochheimer verlangt – eine Flasche recht guten Rüdesheimer brachte. Er kostete einen Tropfen und sagte mit ärgerlichem Tone: ›Das ist kein guter Hochheimer!‹ worauf der unglückliche Kellner antwortete, es sei sogar eine vorzügliche Qualität. Eine Sekunde nachher, und er hatte Glas und Qualität im Gesichte. Es erschienen alle Anzeichen eines starken Zornausbruches, und Sir Robert schaute herausfordernd seine beiden Töchter sowie den Neffen an, ob sich nicht vielleicht ein Opfer finden würde, das an der Stelle des davongeeilten Kellners zu ergreifen wäre. – Es trat eine peinliche Pause ein, bis der Major den kühnen, aber klugen Einfall hatte, dem Tiger in seiner derben, unerschrockenen Manier direkt auf den Leib zu gehen. Er that prüfend einen Schluck, setzte das Glas nieder und sagte: ›Obgleich kein Hochheimer, ist er doch in der That von vorzüglicher Qualität. – Ah, bester Sir Robert, lassen wir uns durch Kleinigkeiten nicht die gute Laune trüben. – Ein frisches Glas und angestoßen! – Auf glückliche Ankunft in England!‹

»Die beiden Misses und der Neffe saßen erstarrt ob dieser Keckheit. Einen Augenblick auch zuckte die Hand des alten Generals, und ihm schien die Wahl wehe zu thun zwischen einer Flasche und einem Ragout-Deckel, um Eines davon in die Ecke des Saales zu befördern. Doch sah ihn der Major so fest und eigenthümlich lächelnd an, und hielt ihm seine Hand entgegen, dieselbe Hand, die der alte Herr neulich hatte kennen gelernt, daß er sich plötzlich eines Besseren besann, hart den Athem von sich blies und endlich sagte: ›Sie haben Recht, Herr Major. Warum uns über Kleinigkeiten ereifern! Mag der Teufel den Kellner holen!‹

»›Er soll ihn holen!‹ antwortete unser Freund, und die Sache war beigelegt. Die armen jungen Damen athmeten tief und freudig auf, und die älteste; Miß Eleonore, hob ihre großen, dunkeln Augen langsam auf und schmetterte dem Major einen Blick zu, ich möchte lieber sagen: eine Legion Blicke in eine Sekunde zusammen gedrängt, einen Blick, in dem sich Dankbarkeit, Achtung so stark ausdrückten, daß ich augenblicklich mit mir im Klaren war.«

»Und worüber warst du im Klaren?« fragte der Hausherr.

»Darüber, daß, wenn ich mich je einer der beiden jungen Damen mit ernsten Absichten nähern würde, dieß nicht Miß Ellen sein sollte.«

»Und er hielt seinen Entschluß,« warf der Major ein; worauf die drei Freunde herzlich lachten.

»Ich habe nur,« fuhr der Baron fort, »diesen kleinen Vorfall erzählt, um euch ein- für allemal mit der Heftigkeit des alten Herrn au fait zu setzen. Dergleichen Geschichten kamen täglich, ja, zuweilen stündlich vor, und dann trat entweder der Major oder ich als eine Art von Sicherheits-Ventil für die Damen oder als Blitzableiter auf. Den zweiten Vorfall, den wir erlebten, nahm ich natürlicher Weise auf mich.«

»Der Baron wollte auch seinen Blick haben,« versetzte der Diplomat.

»Und er bekam ihn,« bemerkte der Major.

»Nun gut, wir lebten so weit sehr angenehm zusammen, bis auf den Neffen. Der konnte es begreiflicher Weise nicht ertragen, daß wir uns bei dem alten General in Gunst setzten, und dann hatte er auch eines Tages die unglückselige Idee, bei einem Zornausbruche des Oheims unsere Rolle spielen zu wollen. Das lief aber für ihn so traurig ab, daß mich Miß Therese, die andere Tochter, augenblicklich holen ließ.«

»Miß Ellen hatte nach mir geschickt,« sagte trocken der Major.

»Ich kam zuerst und muß gestehen, es kostete einige Mühe, den armen Neffen aus dem Zimmer zu bringen. Denn der alte General umkreiste ihn wüthend, wie der Löwe sein Opfer, und wollte es selbst mir anfänglich gar keinen Dank wissen, daß ich dasselbe aus seinen Händen befreite.«

»Der Baron erzählt außerordentlich angenehm und verständlich,« bemerkte hier der junge Diplomat. »Miß Therese schickte nach ihm, Miß Ellen nach dem Major – wir wissen nun, woran wir sind.«

»Das ist jetzt gar kein Geheimniß mehr,« antwortete der Erzähler. »Damals war es freilich eines der gefährlichsten Art. Denn was seine beiden Töchter anbetraf, so verstand Sir Robert nicht den geringsten Spaß, und selbst der arme Neffe, der es eines Tages gewagt, sich der schönen Cousine etwas zu vertraulich zu nähern, wäre um ein Haar nach Indien zurückgeschickt worden. Trotzdem muß ich aber gestehen, daß wir bald bemerkten, wir seien mit unserer Liebenswürdigkeit und unserer glücklichen Manier, den Papa zu behandeln, in der Gunst der jungen Damen gestiegen, natürlicher Weise, so weit eine gutgezogene Dame so etwas merken läßt. – Und fein erzogen waren sie und dabei natürlich herzlich, – es thut mir wahrhaftig leid, daß ich durch die Situation verhindert bin, mich recht breit im Lobe von Miß Therese und Miß Ellen zu ergehen.«

»Wir begreifen deinen Kummer,« sagte lächelnd der Hausherr. »Aber wir erklären feierlich, du wirst nicht im Stande sein, ein Bild der beiden Damen zu entwerfen, das nicht von ihrer liebenswürdigen Wirklichkeit tausendfach übertreffen würde.«

Der Baron verbeugte sich dankend und schien weit beruhigter fortzufahren: »in Indien lernt man mit den Augen sprechen und durch Zeichen sich verständlich machen. Wir Beide lernten als eifrige Schüler und begriffen unsere Lehrerinnen bald. Glücklicher Weise aber begriff der Papa uns nicht. Denn obgleich auch er seine Zeichensprache hatte und dieselbe häufig genug anwandte, so war sie doch sehr verschieden von der seiner Tochter, – handgreiflich derb, ein vollkommen anderes Alphabet. Der Neffe dagegen schien in Indien auch schon auf dem Felde manöverirt zu haben, auf welches wir uns gewagt, und obgleich wir uns so sehr in Acht nahmen, wie möglich, so begriff er doch seinerseits hier und da einen beredten Blick und erlauschte die Wahrheit eines Händedruckes, der gleichgültig aussehen sollte, aber nichts weniger als das war.

»Die vierzehn Tage, die wir noch in Kairo blieben, gingen indessen ziemlich glücklich vorüber. Wenn ich sage »ziemlich,« so will ich damit ausdrücken, daß wir vor Entdeckung sicher blieben, dagegen aber trotz der sehr großen Hitze einige sehr kühle Tage bei unsern Damen verlebten.«

»Aha!« lachte der Major, »wo sie mit uns schmollten!«

»Allerdings!« fuhr der Baron fort. »Und daran war abermals der Vetter schuld. Als lernbegieriger Reisender muß man Alles mitmachen, und so trugen wir auch kein Bedenken, eine Einladung zu einer Abendunterhaltung anzunehmen, wobei sich arabische Tänzerinnen producirten. Der Major hatte dabei die Unklugheit, den blonden Gentleman mitzunehmen; und das Ende vom Liede war, daß dieser den alten General am Morgen darauf durch eine Erzählung des Gesehenen zu erheitern suchte. Weiß der Teufel, ob eine der jungen Damen im Nebenzimmer gelauscht – kurz und gut, wir hatten Schneewetter in Aegypten.«

»War denn diese Abendunterhaltung so außerordentlich gefährlicher Art?« fragte wißbegierig der Gesandtschafts-Secretär.

»Das gerade nicht. Es kamen nur einige Nationaltänze, die für europäische, namentlich für englische Begriffe nicht ganz in den Gränzen des Schicklichen und Erlaubten zu bleiben schienen, z. B. der Bienentanz.«

»Ei der Tausend!« sagte der Hausherr. »Wir wollen wissen, was der Bienentanz ist.«

»Der Bienentanz ist meistens das Finale einer solchen Abendunterhaltung. Als das Schönste in den Augen der Orientalen wird er zuletzt dargestellt. Ihr habt von diesen arabischen Tänzerinnen schon gehört? – Es sind junge Mädchen von ungefähr vierzehn bis achtzehn Jahren, von äußerst elastischem, schlankem und schönem Körperbau. Ihr Teint ist für Aegypten ziemlich hell, ungefähr wie der der Sicilianerinnen. Sie tragen weite, weiße oder blauseidene, mit Gold und Silber gestickte Beinkleider, welche aber im Gegensatze zu denen der anderen Orientalinnen unten nicht zusammen geschnürt sind, vielmehr frei um die sehr kleinen und zierlichen Füßchen flattern. Den Oberkörper bedeckt das bekannte, in unzählige Falten gelegte gelbe, seidene Hemd, über welches eine Art Weste oder Mieder kommt, das sehr tief ausgeschnitten und meistens von violetter Farbe ist, auf der Brust bis zu den Hüften herunter mit goldenen Troddeln und Quasten besetzt. Ein rothseidener Gürtel, sehr knapp und tief um die Hüften gelegt, verbindet Hemd und Mieder; als Oberkleid tragen sie ein Jäckchen von rother Seide mit Silberstickereien und weiten weißen Aermeln. Diese fallen über die Finger herab, ohne am Handgelenke befestigt zu sein, weshalb sie beim Aufheben der Hände herab flattern und sehr wohlgeformte Arme zeigen, an welchen goldene und silberne Spangen glänzen.«

»Nach deiner Beschreibung,« meinte der Diplomat, »kann ich es den beiden Damen nun gerade nicht übel nehmen, wenn sie diese Abendunterhaltung nicht für sehr passend hielten.«

»Still! Hören wir weiter über den Bienentanz.«

»Ah, die Sache ist an sich sehr einfach, sieht sich aber recht gut an. Eine Tänzerin beginnt den Tanz, dann folgen die anderen. Die Grundidee dieses eigenthümlichen Pas ist eine Biene, die summend ins Zimmer geflogen kommt und plötzlich sich in die Kleider einer der Tänzerinnen verkriecht. Sie erschrickt, wendet sich schlangenartig umher, um zu erfahren, wo das Thierchen verborgen ist. Jetzt entdeckt sie es unter ihrem Halse. Hurtig wirft sie ihr Jäckchen herunter, sie hofft die Biene darin gefangen zu haben. – Aber umsonst! Dieselbe ist weiter hinabgeschlüpft. Jetzt folgt auch das Mieder in der gleichen Absicht. – Abermals vergebens! – So untersucht sie weiter und damit ist die ganze Geschichte beendigt.«

»Ich werde mich nächstens nach Kairo versetzen lassen,« sagte der junge Diplomat nachdenkend.

»Wie ich euch also erzählt,« fuhr der Baron fort, »so hatte der Neffe einiges über diesen Bienentanz bei dem Onkel fallen lassen. Der alte Sir hatte sich unsäglich darüber ergötzt, und um unsere Stellung gegenüber seinen Töchtern unbewußter Weise noch viel schwieriger zu machen, neckte er uns täglich mit diesem Vorfalle. So oft wir bei Tisch waren, summte er wie eine Biene und versicherte lachend, man könne sich vor diesen Insekten gar nicht mehr sicher stellen. Im Grunde bedauerte er sehr, diese Phantasie nicht auch mitgemacht zu haben.

»Endlich verließen wir Kairo und schifften uns in Boulak an Bord eines Nildampfbootes nach Alexandria ein. Es war das eine entzückende Fahrt, namentlich die Nächte prächtig und schön. Aus der erstickenden Gluth der Straßen von Kairo schwammen wir jetzt auf dem kühlen Wasser dahin; ein erfrischender Nachtwind kam uns entgegen, mit Wohlgerüchen durchdrungen; wir hauchten ihn gierig ein. Unter uns hatten wir den breiten, majestätischen Spiegel des Nils, diese glatte, glänzende Wasserfläche; über uns den ewig klaren Himmel, wie er namentlich Abends bei Sonnenuntergang in einer unbeschreiblichen Gluth und Pracht strahlte. Dazu die für uns Europäer so fremdartigen Ufer, die lichten Palmenwälder auf denselben, und unter ihnen die so sonderbar geformten ägyptischen Dörfer, ruhig wiederkäuende Kameele, nachdenkend in den Flußspiegel niederschauend, schwere Büffel, welche die Hitze ins Wasser getrieben, und von denen man nur den breiten Rücken und den riesigen Kopf sah, der sich verwundert erhob und ein dumpfes Brüllen ertönen ließ, wenn wir vorüber rauschten; dazu Hunderte phantastisch weißgekleideter Menschen, die ans Ufer liefen, wenn wir uns demselben etwas näherten, um das seltsame Feuerschiff und die sich drehenden Wasserräder anzuschauen; dann die üppig grünenden Felder; alles das machte auf uns einen unbeschreiblichen Eindruck, namentlich aber die Landschaft selbst in der Stille der Nacht. Man fühlte sich in die Jugend zurück versetzt, man träumte wieder wie damals nach dem Lesen der Tausend und Einen Nacht. So aufgeregt, vor uns die Heimat, welcher wir entgegen eilten, an unserer Seite schöne, liebenswürdige Wesen, deren Herzen wir gewonnen – es war wahrhaftig verzeihlich, wenn auch sehr unklug, daß wir unsere Vorsicht bei Seite ließen und in Folge hiervon durch den alten General ertappt wurden. »Wie weit diese Ertappung vor sich ging, kann ich nicht genau sagen. Hatte er gesehen, wie ich beim Scheine des Mondes Miß Theresen feurig die Hand küßte, oder hatte er bemerkt, wie der Major mit Ellen sehr vertraulich am Steuerruder saß? Wir hatten ihn nicht bemerkt, und er mußte das Verdeck betreten und wieder verlassen haben, schleichend und vorsichtig, wie er es vielleicht von den indischen Kriegen her gewohnt war. Auch bin ich überzeugt, daß uns der Vetter bei dieser Veranlassung irgend einen Liebesdienst erzeigt hatte. Dem sei nun, wie ihm wolle, verrathen waren wir einmal und bemerkten das sogleich am andern Morgen, wo uns der alte General erschien wie Jemand, der sich alle Gewalt anthat, um nicht wenigstens den Versuch zu machen, uns Beide in den Nil zu werfen. Was uns sehr überraschte, war, daß trotzdem keine heftige Erklärung folgte. Wir werden sehen, daß Sir Robert als ein kluger General manövrirte. Von Alexandria abreisen mußte er; ein großer Theil seines Gepäcks und seiner Dienerschaft befand sich bereits auf dem Schiffe; auch hatte er in Malta Geschäfte, weßhalb es ihm unmöglich war, über Triest oder Konstantinopel zu gehen.

»Er bezwang sich gegen uns auf eine unbegreifliche Weise. Den ersten Tag stolzierte er freilich beständig allein auf dem Verdeck umher, die Hände auf dem Rücken, ohne uns eines Blickes zu würdigen, und schnaubte dabei stärker als die Dampfmaschine. Aber schon Abends beim Diner fing er an aufzuthauen, trank sein Glas Wein mit uns, ja, er trieb seine Heuchelei so weit, daß er schon am andern Morgen die alte Summserei wegen des Bienentanzes wieder anfing. Er hatte offenbar seinen Entschluß gefaßt. Und daß derselbe nicht günstig für unsere Wünsche war, entnahmen wir daraus, daß die beiden Damen nur in seiner oder des Neffen Begleitung auf dem Verdeck erschienen. Endlich erreichten wir Adfeh und bald danach auf dem Mahmudikanal Alexandria. Es war Freitag, das Dampfboot nach Europa ging am Sonntag früh ab.

»Der alte General,« erzählte der Baron weiter, »forderte uns auf, mit ihm in demselben Gasthofe zu wohnen, was wir auf das Bereitwilligste thaten. Unterweges, vom Hafen in die Stadt, plauderten wir natürlicher Weise mit den jungen Damen; doch blieb uns Sir Robert immer zur Seite, und einmal, als ich ihn sehr plötzlich ansah, bemerkte ich, daß er ein Gesicht gegen mich machte, bei dem mir unwillkührlich ein Tiger einfiel, der seine gewisse Beute mit eingezogenen Krallen streichelt. Den Teufel auch! dachte ich; wir sind nicht in Indien! – Seine Töchter behandelte er ziemlich barsch und rauh, und auch sonst machte sich seine Heftigkeit wieder unerträglich breit. Dabei war es weder mir noch dem Major möglich, ihn durch ein lustiges Wort zu besänftigen. Wir hatten alle Gewalt über ihn verloren, und deß freute sich der röthliche Gentleman auf's sichtbarlichste.

»Samstag früh erhielten wir eine Einladung zum Diner bei Sir Robert. Das Diner war auf vier Uhr bestimmt, um sechs Uhr mußten wir an Bord. ›Meine Herren,‹ sagte er, als die Suppe kam, mit strahlendem Gesicht und triumphierender Miene, ›noch einmal wollen wir so recht angenehm zu Mittag speisen. Morgen kommt vielleicht die Seekrankheit, wir haben vier Tage nach Malta.‹ – Das Diner war vortrefflich, die Weine ausgezeichnet, und zuletzt thaten wir noch einen Abschiedstrunk aus dem Flaschenkeller Sir Robert's, um von hier morgen Abschied zu nehmen und frei der Heimat zuzusteuern. Dann gingen wir auf unsere Zimmer und ließen unser Gepäck abgehen.

»Ich weiß nicht, mir war ganz sonderbar zu Muthe. Ich hatte doch nur sehr wenig Bordeaux und Champagner zu mir genommen, und doch stieg mir das Blut so in den Kopf, alles drehte sich mit mir dergestalt herum, daß ich mich oftmals an einem Tische oder an einem Stuhle halten mußte. Der Major, der eine ungleich stärkere Konstitution besitzt, sah furchtbar blaß aus und spürte eine sonderbare Bewegung in der Gegend des Magens. Wir sahen uns achselzuckend an; aber es war keine Zeit zu verlieren, um lange darüber zu sprechen, wir mußten an Bord.