Erwerb der deutschen Pluralflexion - Gülsüm Günay - E-Book

Erwerb der deutschen Pluralflexion E-Book

Gülsüm Günay

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Beschreibung

Mehr als ein Drittel der Kinder in Deutschland besitzen einen sogenannten Migrationshintergrund und oft werden die Sprachprobleme dieser Kinder thematisiert. Untersuchungen zum Zweitspracherwerb von Kindern mit türkischem Migrationshintergrund liegen bislang in den Bereichen Syntax und Wortschatz vor. Während sich bislang einzelne Arbeiten mit dem Erwerb des Genus- und Kasussystems beschäftigen, existiert noch keine Studie, die den Erwerb der deutschen Pluralflexion durch Kinder mit Türkisch als Erstsprache umfassend untersucht. Mit dieser Arbeit werden hierzu erstmals Daten erhoben und analysiert.

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Seitenzahl: 343

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Gülsüm Günay

Erwerb der deutschen Pluralflexion

Empirische Studien zu Kindern mit Türkisch als Erstsprache und Deutsch als Zweitsprache

A. Francke Verlag Tübingen

 

 

© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

Inhalt

TabellenverzeichnisAbbildungsverzeichnisAbkürzungsverzeichnis1 EinleitungTeil I Zur Nominalflexion2 Die Nominalflexion des Deutschen2.1 Das Numerussystem des Deutschen2.2 Das Genussystem des Deutschen2.3 Das Kasussystem des Deutschen2.4 Zusammenfassung3 Die Nominalflexion des Türkischen3.1 Das Numerussystem des TürkischenFunktion I:Funktion II:Funktion III:3.2 Das Genussystem des Türkischen3.3 Das Kasussystem des Türkischen3.4 ZusammenfassungTeil II Zum Spracherwerb4 Der Zweitspracherwerb4.1 Zur Begriffsklärung4.2 Die Rolle des Alters4.3 Zur Erklärung der Sprachverarbeitung4.4 Zusammenfassung5 Der Erwerb der deutschen Nominalflexion5.1 Der Erwerb der deutschen Nominalflexion im ErstspracherwerbZum PluralerwerbZum GenuserwerbZum Kasuserwerb5.2 Der Erwerb der deutschen Nominalflexion im Zweitspracherwerb5.3 Fragestellungen und HypothesenHypothese IHypothese IIHypothese IIIHypothese IVHypothese VHypothese VITeil III Zum Plural- und Kasuserwerb –Eigene Untersuchung6 Experiment 1: Das Zauberkisten-Experiment – Zum Pluralerwerb6.1 Methode und Material6.2 UntersuchungsteilnehmerDaZ-KinderDaE-Kinder6.3 Durchführung6.4 Auswertungskriterien6.5 Hypothesen6.6 Ergebnisse6.7 Diskussion der Ergebnisse7 Experiment 2: Das Kunstwort-Experiment – Zum Pluralerwerb7.1 Methode und Material7.2 Untersuchungsteilnehmer7.3 Durchführung7.4 Auswertungskriterien7.5 Hypothesen7.6 Ergebnisse7.7 Diskussion der Ergebnisse8 Experiment 3: Das Bildkarten-Experiment – Zum Pluralerwerb8.1 Methode und Material8.2 Untersuchungsteilnehmer8.3 Durchführung8.4 Auswertungskriterien8.5 Hypothesen8.6 Ergebnisse8.7 Diskussion der Ergebnisse9 Experiment 4: Das Clown-Experiment – Zum Akkusativerwerb9.1 Methode und Material9.2 Untersuchungsteilnehmer9.3 Durchführung9.4 Auswertungskriterien9.5 Ergebnisse9.6 Diskussion der Ergebnisse10 Experiment 5: Das Wink-Experiment – Zum Dativerwerb10.1 Methode und Material10.2 Untersuchungsteilnehmer10.3 Durchführung10.4 Auswertungskriterien10.5 Ergebnisse11 Experiment 6: Das Bauernhof-Experiment – Zum Pluralerwerb11.1 Methode und Material11.2 Untersuchungsteilnehmer11.3 Durchführung11.4 Auswertungskriterien11.5 ErgebnisseTeil IV Diskussion der Ergebnisse12 Zum Pluralerwerb12.1 ErwerbsphasenHypothese IHypothese II12.2 Übergeneralisierungen12.3 EinflussfaktorenHypothese IIIHypothese IV12.4 Zusammenfassung13 Zum Verhältnis von Numerus, Genus und Kasus13.1 Zum Verhältnis von Numerus, Genus und AuslautHypothese V13.1 Zum Verhältnis von Numerus und KasusHypothese VI13.3 ZusammenfassungTeil V Zusammenfassung und AusblickZusammenfassungAusblickAnhangLiteraturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Zur Flexion des Nomens im Deutschen

8

Tabelle 2:

Genusmarkierung im Deutschen (im Nominativ Singular)

17

Tabelle 3:

Genusmarkierung im Deutschen (im Nominativ Plural)

18

Tabelle 4:

Kasusmarkierung im Deutschen (im Singular)

23

Tabelle 5:

Kasusmarkierung im Deutschen (im Plural)

23

Tabelle 6:

Deklinationstypen der deutschen Kasusflexion (erstellt nach Wegener 1995: 146f. und Dudenredaktion 2006: 197f.)

24

Tabelle 7:

Kasusregeln für Nomenmarkierung

25

Tabelle 8:

Kasusregeln für Artikelmarkierung

25

Tabelle 9:

Kasusregeln für Adjektivmarkierung

26

Tabelle 10:

Beispiel für Genus-, Kasus- und Numerussynkretismen (nach Wegener 1995: 166)

27

Tabelle 11:

Zu den semantischen Rollen in der Kasusmarkierung

28

Tabelle 12:

Geschlechtsunterscheidungen im Türkischen (nach Korkmaz 2007: 254f.)

37

Tabelle 13:

Kasusmarkierung am Nomen im Türkischen

39

Tabelle 14:

Erwerbsreihenfolgen von Kindern mit DaE in unterschiedlichen Studien

60

Tabelle 15:

Übergeneralisierungsrichtung von Kindern mit DaE in unterschiedlichen Studien

61

Tabelle 16:

Pluralerwerbsphasen nach Bittner (2000) übertragen auf den ZSE

71

Tabelle 17:

Untersuchungsteilnehmer (DaZ-Kinder)

77

Tabelle 18:

Berufe der Mütter (DaZ-Kinder)

78

Tabelle 19:

Berufe der Väter (DaZ-Kinder)

79

Tabelle 20:

Vorleseverhalten der Eltern (DaZ-Kinder)

80

Tabelle 21:

Gesamtauswertung Cito-Test

 

Tabelle 22:

Untersuchungsteilnehmer (DaE-Kinder)

80

Tabelle 23:

Berufe der befragten Mütter (DaE-Kinder)

81

Tabelle 24:

Berufe der befragten Väter (DaE-Kinder)

81

Tabelle 25:

Vorleseverhalten der Eltern (DaE-Kinder)

81

Tabelle 26:

Items des Zauberkisten-Experiments (vgl. Bartke 1998: 71)

83

Tabelle 27:

Mittelwert der zielsprachlichen Pluralformen (Zauberkisten-Experiment)

85

Tabelle 28:

Insgesamt produzierte Pluralformen nach Items und Zielsprachlichkeit (Zauberkisten-Experiment)

85

Tabelle 29:

Auswertung der Antworten nach Kategorien (Zauberkisten-Experiment)

86

Tabelle 30:

Ergebnisse nach Altersgruppen und Kategorien (Zauberkisten-Experiment)

87

Tabelle 31:

Mittelwertunterschiede der Ergebnisse nach Anzahl korrekter Pluralformen und Altersgruppen (Zauberkisten-Experiment)

87

Tabelle 32:

Übergeneralisierungen nach Endungen im Zauberkisten-Experiment (mit und ohne Nullmarkierung)

88

Tabelle 33:

Ergebnisse insgesamt nach Markierung und Zielsprachlichkeit (Zauberkisten-Experiment)

89

Tabelle 34:

Verteilung der insgesamt produzierten Formen im Zauberkisten-Experiment (N=832)

89

Tabelle 35:

Markierte Pluralformproduktionen nach Teilnehmern (Zauberkisten-Experiment)

94

Tabelle 36:

Übersichtsvergleich der Daten Günay im Zauberkisten-Experiment mit den Ergebnissen von Bartke

95

Tabelle 37:

Mittelwerte der produzierten korrekten Pluralformen bei DaE- und DaZ-Kindern (Zauberkisten-Experiment)

95

Tabelle 38:

Insgesamt produzierte Pluralformen nach Items und Zielsprachlichkeit von DaE-Kindern im Vergleich zu DaZ-Kindern (Zauberkisten-Experiment)

96

Tabelle 39:

Übergeneralisierungen nach Endungen (mit und ohne Nullmarkierung) der DaE-Kinder im Vergleich zu den DaZ-Kindern (Zauberkisten-Experiment)

97

Tabelle 40:

Items des Kunstwort-Experiments

100

Tabelle 41:

Einteilung der Items des Kunstwort-Experiments in Gruppen (nach Marouani)

101

Tabelle 42:

Pluralmarkierung der Kunstwörter nach Items mit Nullmarkierung

103

Tabelle 43:

Zusammenfassung der Pluralmarkierung der Kunstwörter (mit und ohne Nullmarkierung)

103

Tabelle 44:

Pluralmarkierungen der Kunstwörter nach Items und Altersgruppen

108

Tabelle 45:

Mittelwert der zielsprachlichen Pluralformen bei den DaZ-Kindern (Bildkarten-Experiment)

111

Tabelle 46:

Insgesamt produzierte Pluralformen nach Items und Zielsprachlichkeit (Bildkarten-Experiment)

112

Tabelle 47:

Auswertung der Antworten nach Kategorien (Bildkarten-Experiment)

112

Tabelle 48:

Ergebnisse nach Altersgruppen und Kategorien (Bildkarten-Experiment)

113

Tabelle 49:

Mittelwertunterschiede der Ergebnisse nach Altersgruppen (Bildkarten-Experiment)

113

Tabelle 50:

Übergeneralisierungen nach Endungen im Bildkarten-Experiment (mit und ohne Nullmarkierung)

113

Tabelle 51:

Items des Clown-Experiments

116

Tabelle 52:

Auswertungskriterien des Clown-Experiments

119

Tabelle 53:

Ergebnisse des Clown-Experiments nach Items und Zielsprachlichkeit (DaZ-Kinder)

120

Tabelle 54:

Mittelwerte der zielsprachlichen Antworten im Nominativ und im Akkusativ im Clown-Experiment (DaZ-Kinder)

120

Tabelle 55:

Antworten der DaZ-Kinder im Nominativ und im Akkusativ (Clown-Experiment)

121

Tabelle 56:

Antworten der DaZ-Kinder im Nominativ und Akkusativ nach Items und Gebrauch von Adjektiv (Clown-Experiment)

123

Tabelle 57:

Antworten der DaE-Kinder im Nominativ und im Akkusativ (Clown-Experiment)

125

Tabelle 58:

Items des Wink-Experiments

126

Tabelle 59:

Auswertungskriterien des Wink-Experiments

129

Tabelle 60:

Mittelwerte der zielsprachlichen Antworten im Dativ im Wink-Experiment (DaZ-Kinder)

130

Tabelle 61:

Antworten der DaZ-Kinder im Wink-Experiment

130

Tabelle 62:

Adjektivgebrauch der DaZ-Kinder (Wink-Experiment)

130

Tabelle 63:

Antworten der DaE-Kinder (Wink-Experiment)

132

Tabelle 64:

Adjektivgebrauch der DaE-Kinder (Wink-Experiment)

132

Tabelle 65:

Altersgruppen Bauernhof-Experiment (DaZ-Kinder)

135

Tabelle 66:

Berufe der befragten Mütter (DaZ-Kinder/Bauernhof-Experiment)

135

Tabelle 67:

Berufe der Väter (DaZ-Kinder/Bauernhof-Experiment)

136

Tabelle 68:

Vorleseverhalten (DaZ-Kinder/Bauernhof-Experiment)

136

Tabelle 69:

Berufe der Mütter und Väter (DaE-Kinder/Bauernhof-Experiment)

137

Tabelle 70:

Vorleseverhalten der Eltern (DaE-Kinder/Bauernhof-Experiment)

138

Tabelle 71:

Altersstufen der DaZ- und DaE-Kinder im Bauernhof-Experiment

156

Tabelle 72:

Übergeneralisierungen im Zauberkisten-Experiment nach Items in Phase 2 und 3 (ohne Nullpluralformen)

173

Tabelle 73:

Übergeneralisierungen im Bildkarten-Experiment nach Items in Phase 2 und 3 (ohne Nullmarkierungen)

174

Tabelle 74:

Anteil korrekter Pluralformen in Phase 2, 3 und 4 im Vergleich (Zauberkisten-Experiment)

175

Tabelle 75:

Anteil korrekter Pluralformen in Phase 2, 3 und 4 im Vergleich (Bildkarten-Experiment)

176

Tabelle 76:

Übergeneralisierungen im Zauberkisten-Experiment nach Items und Altersgruppen

178

Tabelle 77:

Übergeneralisierungen im Bildkarten-Experiment nach Items und Endungen (DaZ-Kinder)

180

Tabelle 78:

Übergeneralisierungen im Bildkarten-Experiment nach Items und Altersgruppen

182

Tabelle 79:

Frequenzermittlungsvergleiche der Items aus dem Bildkarten-Experiment

184

Tabelle 80:

Gesamtbetrachtung der Pluralmarkierungen (nach Items) aus allen Pluralerwerbs-Experimenten

194

Tabelle 81:

Beispiel für „fortschrittliche“ Übergeneralisierung

208

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Pluralbildung im Deutschen (nach Wegener 1992)

13

Abbildung 2:

Exemplarischer Gesprächsausschnitt aus dem Zauberkisten-Experiment

83

Abbildung 3:

Vergleich der übergeneralisierten Endungen

91

Abbildung 4:

Beispielkarten Trul

99

Abbildung 5:

Gesprächsausschnitt aus dem Bildkarten-Experiment

110

Abbildung 6:

Fehlerquote nach Altersgruppen (Bildkarten-Experiment)

115

Abbildung 7:

Fragemuster bei der Elizitation von Akkusativobjekten

117

Abbildung 8:

Gesprächsausschnitt aus dem Clown-Experiment

118

Abbildung 9:

Fehlerqoute nach Altersgruppen – Nominativ der DaZ-Kinder (Clown-Experiment)

124

Abbildung 10:

Fehlerqoute nach Altersgruppen – Akkusativ der DaZ-Kinder (Clown-Experiment)

124

Abbildung 11:

Fragemuster bei der Elizitation von Nominativformen

127

Abbildung 12:

Fragemuster bei der Elizitation von Dativobjekten

127

Abbildung 13:

Bauernhof-Experiment

133

Abbildung 14:

Gesprächsleitfaden (Bauernhof-Experiment)

139

Abbildung 15:

Gesamtergebnis nach Zielsprachlichkeit und Geschlecht (Bauernhof-Experiment)

140

Abbildung 16:

Markierung des Items Schaf nach Altersgruppen

141

Abbildung 17:

Übergeneralisierte Endungen im Bauernhof-Experiment

155

Abbildung 18:

Übergeneralisierungsrichtung der DaZ-Kinder (Bildkarten-Experiment)

181

Abbildung 19:

Übergeneralisierungen im Bauernhof-Experiment nach Altersgruppen

182

Abkürzungsverzeichnis

Abb.

Abbildung

Abl

Ablativ

Adj

Adjektiv

Akk

Akkusativ

ANOVA

Analysis of variance (Einfaktorielle Varianzanalyse)

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

Cito

Cetraal Instituut voor Toetsontwikkeling (Sprachstandtest)

D

Durchgang

DaE-Kinder

Kinder mit Deutsch als Erstsprache

DaZ-Kinder

Kinder mit Deutsch als Zweitsprache

Dat

Dativ

def.

definit

DO

direktes Objekt

ebd.

ebenda

f.

folgende

ff.

fortfolgende

Fem

Femininum

G

Genus

Gen

Genitiv

GL

Gesprächsleitung

H

Hypothese

HAVAS5

Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands Fünfjähriger (Sprachstandtest)

IPE

Institut für Interkulturelle Pädagogik im Elementarbereich Mainz

IO

indirektes Objekt

indef.

indefinit

irreg.

irregulär

k.A.

keine Angabe

Lok

Lokativ

Mask

Maskulinum

N

Anzahl

Neutr

Neutrum

Nom

Nominativ

PG

Pluralgruppe

Pl

Plural

PLM

Pluralmarkierung

PW

Passiver Wortschatz

S

Silbenanzahl

SD

Standardabweichung

Sg.

Singular

SU

Subjekt

TN

Untersuchungsteilnehmer

u.a.

unter anderem

UL

Umlaut

usw.

und so weiter

ÜG

Übergeneralisierung

vgl.

vergleiche

z.B.

zum Beispiel

Zit.

Zitat

ZSE

Zweitspracherwerb

1Einleitung

Mit großen Augen betrachtet das Kind das auf dem Boden aufgebaute Bauernhof-Brettspiel, während die Gesprächsleiterin das Spiel erklärt. Dann fängt es an zu würfeln. „Ein Schaf“, sagt es, auf das Bild auf dem Würfel schauend, und findet sogleich das dazugehörige Spielfeld. „Hier! Hier sind ganz viele Schäfe!“, ruft es auf die Wiese mit den Schafen zeigend. Das Spiel beginnt – beziehungsweise das Experiment 6 der vorliegenden Arbeit –, das mit Kindern mit türkischem Migrationshintergrund durchgeführt wurde.

Kinder mit Migrationshintergrund – so werden die Kinder von rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung (Statistisches Bundesamt 2013) bezeichnet.1 Sie sind in Deutschland geboren, besuchen meist ab dem dritten Lebensjahr eine deutsche Kindertagesstätte und sprechen verschiedene Erstsprachen. Mehr als ein Drittel der Kinder unter 10 Jahren in Deutschland besitzen einen Migrationshintergrund. Die größte Gruppe dabei bilden die Kinder mit Türkisch als Erstsprache. Sie werden in Kindergärten und Grundschulen oft als Problemkinder wahrgenommen – vor allem aufgrund ihrer Sprachdefizite. Welche Bereiche der deutschen Sprache stellen diese Kinder beim Erwerb vor besondere Probleme?

Gegenstand von Untersuchungen des kindlichen Zweitspracherwerbs von Kindern mit Türkisch als Erstsprache sind bislang der Erwerb der Verbstellung (Haberzettl 2005), der Satzstruktur (Kroffke/Rothweiler 2006, Chilla 2008), des Wortschatzes (Karasu 1995, Kuyumcu 2008), der Determinierer (Lemke 2008) und der Präpositionen (Turgay 2010). Umfassende Studien zum Erwerb der deutschen Nominalflexion durch türkischsprachige2 Kinder liegen bislang nicht vor. Dies liegt gewiss nicht daran, dass dieser Bereich der Sprache beim Erwerb keine Rolle spielt oder dass die Formen und Strukturen schnell korrekt produziert werden. Im Gegenteil, die Komplexität der deutschen Nominalflexion und die damit verbundenen Erwerbsprobleme für Zweitspracherwerber3 sind offensichtlich und evident. Dies zeigt Wegener (1992) mit ihrer Habilitation über den Zweitspracherwerb von Kindern mit Polnisch, Russisch und Türkisch als Erstsprache. Bislang veröffentlichte sie jedoch nur in verschiedenen Aufsätzen ihre Ergebnisse aus der Studie, die sie mit vier Kindern mit Polnisch und Russisch als Erstsprache und zwei Kindern mit Türkisch als Erstsprache durchgeführt hat (1995a-d; 2006). Ihr Interesse gilt insbesondere der Frage, ob die Komplexität der Strukturen für die Erklärung der Erwerbsschwierigkeiten hinzuzuziehen ist oder eher die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Erstsprache und dem Deutschen den Erwerb beeinflussen. Neben fundierten theoretischen Ausführungen formuliert sie mit Hilfe ihrer empirischen Arbeit Erwerbsphasen für den Nominalflexionserwerb, die beispielsweise der Arbeit von Marouani (2006) als Grundlage dienten. Marouani (2006) untersucht den Zweitspracherwerb von neun drei- bis fünfjährigen Kindern mit Arabisch als Erstsprache. Sie analysiert hauptsächlich in Anlehnung an Wegener (1995a) die Kategorien Genus, Numerus und Kasus hinsichtlich ihrer Markierung, ihrer Zuweisung und ihrer Funktion und deren Erwerb mit Hilfe von Spontansprachdaten der arabischsprachigen Kinder. Die zentrale Frage ihrer Arbeit, ob Abhängigkeitsverhältnisse beim Erwerb der Kategorien bestehen, kann sie eindeutig verneinen, da sie keine Beziehung zwischen Genuszuweisung und Pluralmorphologie und zum Kasus feststellte. Die in der Theorie feststellbaren Abhängigkeitsverhältnisse schienen beim Erwerb keine Rolle zu spielen. Die Notwendigkeit weiterer Studien zum Erwerb der Nominalflexion, insbesondere durch Kinder mit anderen Erstsprachen wie zum Beispiel durch Kinder mit Türkisch als Erstsprache, hebt sie besonders hervor:

„Es wäre allerdings eine effizientere Behandlung der in dieser Arbeit untersuchten Problematik sehr nützlich gewesen, wenn weitere Daten von anderen gleichaltrigen ausländischen Kindern mit ähnlichen Lernbedingungen, aber unterschiedlichen Muttersprachen hatten, herangezogen werden können, wie z.B. Türkisch oder Russisch. Ein solcher Vergleich hätte dazu beitragen können, den Gebrauch der untersuchten grammatischen Erscheinungen bei den arabischen Kindern besser verstehen zu können und es erlaubt, den Erwerbsverlauf der nominalflexivischen Kategorien klarer darzustellen.“ (Marouani 2006: 257)

Weitere Arbeiten, die den Zweitspracherwerb der Nominalflexion durch Kinder mit Türkisch als Erstsprache untersuchen, sind insbesondere im Bereich der Kategorie Genus (z.B. Kaltenbacher/Klages 2006, Jeuk 2008) zu finden. Einen ersten fundierten Ansatz in diesem Bereich liefert die Studie von Ruberg (2013), der den Genuserwerb von Kindern mit Türkisch, Polnisch und Russisch als Erstsprache untersucht. Er stellt fest, dass der Genuserwerb bei Kindern, die bis zum Alter von vier Jahren mit dem Zweitspracherwerb beginnen, wie beim Erstspracherwerb verläuft (vgl. Ruberg 2013: 318). Lediglich Unterschiede hinsichtlich der Geschwindigkeit seien feststellbar. Im Vergleich zu den untersuchten Kindern mit Polnisch und Russisch als Erstsprache beobachtet er bei den Kindern mit Türkisch als Erstsprache einen langsamer ablaufenden Erwerbsverlauf.

Die zentrale Frage, die hier aufkommt, ist: Wie ist der Erwerbsverlauf in anderen Bereichen der Nominalflexion? Zum Numerus- und Kasuserwerb von türkischsprachigen Kindern liegen uns bislang außer den Ergebnissen von Wegener, die sie mit Hilfe von zwei Kindern ermittelt und den Analysen von Lemke (2008), die er im Rahmen seiner Studie zum Erwerb von Determiniererphrasen in Bezug auf ein von ihm untersuchtes Kind mit Türkisch als Erstsprache formulierte, keine Daten vor.

In dieser Arbeit wird der Erwerb der deutschen Pluralflexion durch 77 Kinder mit Deutsch als Zweitsprache und Türkisch als Erstsprache analysiert.4 Als Kontrollgruppe dienen 19 DaE-Kinder (Kinder mit Deutsch als Erstsprache).5 Mit Hilfe eines vor der Untersuchungsdurchführung von den Eltern ausgefüllten Fragebogens werden Daten zum Alter und Beginn des Zweitspracherwerbs ermittelt, um eine möglichst homogene Gruppe von DaZ-Kindern (Kindern mit Deutsch als Zweitsprache) untersuchen zu können. Hierbei werden lediglich sprachunauffällige Kinder für die Experimente herangezogen. Zudem werden nur Kinder untersucht, die mit drei Jahren in eine Kindertagesstätte kamen und bei denen die Eltern angeben, zu Hause Türkisch mit den Kindern zu sprechen. Die Daten werden mit Hilfe von verschiedenen Elizitationstests in den Wohnungen der Kinder erhoben. Neben dem Erwerb der Pluralflexion erfolgt auch ein Einbezug des Genus- und insbesondere des Kasuserwerbs.

Für den Genus- und Kasuserwerb von DaZ-Kindern, die bis zum Alter von vier Jahren mit dem Erwerb des Deutschen beginnen, konnte in bisherigen Studien festgestellt werden, dass der Erwerb wie in der Erstsprache verläuft (vgl. z.B. Thoma/Tracy 2006, Rothweiler 2007, Chilla 2008, Meisel 2009, Ruberg 2013). Gilt dies auch für den Pluralerwerb von türkischsprachigen DaZ-Kindern?

 

Folgende drei zentrale Fragen sollen in dieser Arbeit untersucht werden:

Unterscheidet sich der Erwerb der Pluralbildung durch DaZ-Kinder mit Türkisch als Erstsprache, die bis zum Alter von vier Jahren mit dem Erwerb des Deutschen beginnen, vom Erstspracherwerb des Deutschen?

Welche Strategien setzen DaZ-Kinder bei der Wahl der Pluralmarker ein?

Sind die in der Theorie feststellbaren Abhängigkeitsverhältnisse der Kategorien Numerus, Genus und Kasus auch beim Erwerb dieser Kategorien erkennbar?

Aus diesen Fragen leiten sich die Hypothesen ab, die im fünften Kapitel der Arbeit formuliert werden.

Die Arbeit gliedert sich in sechs Teile. Zunächst wird im ersten Teil die Nominalflexion des Deutschen und des Türkischen thematisiert, indem das jeweilige Numerus-, Genus- und Kasussystem skizziert wird. Hierbei erfolgt die Beschreibung der türkischen Nominalflexion, soweit möglich, auf einer direkten Vergleichsebene mit der im vorhergehenden Kapitel dargestellten deutschen Nominalflexion. Auch wenn im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit der Schwerpunkt auf der Pluralflexion liegt, erscheint die Betrachtung des Genus- und Kasussystems sinnvoll, um den Kontext und die Komplexität der Erwerbsaufgaben, mit denen die Kinder in diesem Bereich konfrontiert sind, aufzeigen zu können.

Der zweite theoretische Teil beschäftigt sich eingangs mit grundlegenden Thesen und Annahmen des Zweitspracherwerbs und fokussiert anschließend den Erwerb der Nominalflexion. Neben den Untersuchungen und Annahmen zum Pluralerwerb, werden dabei auch Studien und Erkenntnisse zum Genus- und Kasuserwerb skizziert, um einen Überblick über die Annahmen zum Erwerb der deutschen Nominalflexion in der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung zu geben. Ausgehend von den theoretischen Grundlagen, den aufgeführten Studien und den obigen drei Fragen werden am Ende dieses Teils, in Kapitel 5.3, die Hypothesen der Arbeit formuliert.

Im dritten Teil werden die eigenen Untersuchungen zum Plural- und Kasuserwerb vorgestellt. Hierfür werden die sechs durchgeführten Experimente und ihre Ergebnisse einzeln detailliert beschrieben, analysiert und diskutiert.

Experiment 1, das Zauberkisten-Experiment zur Erhebung von Pluralformen, ist eine leicht modifizierte Form des Elizitationsexperiments, mit dem Bartke (1998) den Pluralerwerb von DaE-Kindern untersuchte. Im zweiten Experiment wird das mit arabischsprachigen DaZ-Kindern durchgeführte Kunstwort-Experiment zur Pluralflexion von Marouani (2006) repliziert. In Experiment 3, dem Bildkarten-Experiment, steht ebenfalls die Pluralmarkierung der DaZ-Kinder im Mittelpunkt der Betrachtung. Hierbei wird anhand von Bildkarten die Pluralbildung von Nomen aus dem Realwortschatz untersucht, die sich teilweise mit den Items aus den anderen Experimenten der Studie überschneiden, um diese Ergebnisse miteinander vergleichen zu können. Bei den Experimenten 4 und 5 handelt es sich ebenfalls um Elizitationsexperimente. Diese von Eisenbeiß (1994) adaptierten Experimente beschäftigen sich mit dem Kasuserwerb. Im Clown-Experiment werden durch das Anziehen eines Clowns Nominativ- und Akkusativformen elizitiert. Im Wink-Experiment, das bei Eisenbeiß den Namen „Zoo-Besuch“ trägt, winken Playmobilfiguren verschiedenen Tieren zu und dem Kind wird die Frage gestellt, wem die Figur gerade zuwinkt. Das letzte Experiment ist ein selbst entworfenes Bauernhof-Brettspiel, mit dem je Kind Pluralformen von 36 Nomen erhoben werden. Da es sich hierbei um eine andere Probandengruppe handelt als in den anderen obigen Experimenten, wird es in der Arbeit als letztes Experiment aufgeführt.

Der vierte Teil der Arbeit gliedert sich in zwei Kapitel. Zunächst werden die Ergebnisse zum Erwerb der Pluralflexion ausgewertet und diskutiert, indem auf der Grundlage der im dritten Teil der Arbeit vorgestellten Ergebnisse die Kernhypothesen dieser Arbeit überprüft werden. Anschließend wird das Verhältnis von Genus zu Numerus und von Kasus zu Numerus, das sich aus den selbst erhobenen Daten ableiten lässt, beschrieben.

Im fünften Teil der Arbeit werden die Erkenntnisse bezüglich der Fragestellungen und die Antworten, die auf der Grundlage der erhobenen Daten formuliert werden können, zusammengefasst und die zentralen Ergebnisse diskutiert.

Teil IZur Nominalflexion

2Die Nominalflexion des Deutschen

In den nächsten Kapiteln erfolgt eine Beschreibung der deutschen Nominalflexion nach den Merkmalklassen Numerus, Genus und Kasus, da in dieser Arbeit die Lexemklasse Nomen fokussiert wird:

Lexemklasse

Nomen

Merkmalklasse

Numerus

Genus

Kasus

Merkmale

Sg.

Pl.

Fem.

Mask.

Neutr.

Nom.

Akk.

Dat.

Gen.

Tabelle 1: Zur Flexion des Nomens im Deutschen

Die in der obigen Tabelle aufgezeigten Merkmalklassen und ihre Merkmalsausprägungen im Deutschen werden nun in den folgenden Unterkapiteln dargestellt.

2.1Das Numerussystem des Deutschen

Das Deutsche besitzt die Numeri Singular und Plural. Bezieht sich ein Nomen auf nur ein Objekt, wie z.B. bei Tisch, so liegt das Merkmal Singular vor, während beim Bezug eines Nomens auf mehrere Objekte, wie bei Tische, das Merkmal Plural auftritt. Es existieren im Deutschen keine „charakteristischen Singularmorpheme“ (Wegener 1995b: 10), wie in einigen anderen Sprachen, nur der Plural wird durch einzelne Morpheme markiert.

Der Numerus im Deutschen kann als eine „semantische Kategorie, die es ermöglicht, flexivisch zwischen Einzahl und Mehrzahl zu unterscheiden“ (Weber 2001: 11), bezeichnet werden. Aus diesem Grund erscheint die Betrachtung der Möglichkeiten der Pluralbildung im Deutschen unter dem Aspekt der Semantik als sinnvoll.

Nomen können aufgrund ihrer Bedeutung in konkrete und abstrakte Nomen unterteilt werden. Zu den konkreten Nomen (Konkreta) zählen Nomen, mit denen etwas „Gegenständliches“ (Dudenredaktion 2006: 147) ausgedrückt wird:

(1)

Eigennamen: Petra, Goethe, Mainz

(2)

Gattungsbezeichnungen (Appellativa): Hund, Pflanze, Lehrerin

(3)

Sammelbezeichnungen (Kollektiva): Wald, Gebirge

(4)

Stoffbezeichnungen (Kontinuativa): Kupfer, Milch, Papier

Die abstrakten Nomjen (Abstrakta) dagegen drücken „Nichtgegenständliches“ (ebd., siehe dazu auch Löbel 2009: 265ff. und Bußmann 2002: 664) aus:

(5)

Eigenschaften: Treue, Ruhe

(6)

Vorgänge: Schlaf, Traum

(7)

Beziehungen: Ehe, Freundschaft

(8)

Maß- und Zeitbegriffe: Gramm, Minute

Kennzeichnend für die deutsche Pluralbildung ist ihre Eigenschaft, dass sie nur erfolgen kann, wenn es sich um ein zählbares Nomen handelt. Nichtzählbare Nomen können im Deutschen keinen Plural bilden. Eine ausführliche Behandlung der Thematik, wie der Plural im Deutschen zu klassifizieren ist, kann unter anderem bei Biermann (1982: 228ff.), Simmler (1998: 215ff.), Löbel (2009: 265ff.) nachgelesen werden und eine Betrachtung der Semantik des Numerus verschiedener Sprachen im Allgemeinen ist in Corbett (2000: 78ff.) und Itturrioz-Leza/Skopeteas (2004: 1054ff.) zu finden.

 

Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem folgenden Konzept von Wurzel:

„Da sich die semantischen Basiskonzepte in den grammatischen Kategorien nicht unmittelbar, sondern nur sehr vermittelt ausdrücken, führen wir den Begriff des grammatischen Basiskonzepts ein, der beides aufeinander bezieht. Die grammatischen Basiskonzepte lassen sich am angemessensten als Verfahren der sprachlichen Realisierung semantischer Basiskonzepte charakterisieren. So ist es z.B. sinnvoll, ein grammatisches Basiskonzept Pluralität als Verfahren zur Versprachlichung des semantischen Basiskonzepts der Mehrzahligkeit anzunehmen, ohne daß freilich zwischen ihnen eine eindeutige Zuordnung herrscht.“ (Wurzel 2001: 62)

Das heißt, dass nicht im Einzelnen auf die jeweiligen semantischen Bezüge eingegangen wird. Vielmehr geht es um die grammatische Kategorie Numerus. Dabei wird bei der Untersuchung der Pluralmorphologie von „einem semantischen Basiskonzept der Mehrzahligkeit“ ausgegangen. Es handelt sich folglich um Mehrzahl, wenn die Bezeichnung „Plural“ genutzt wird.

Nahezu in allen Publikationen zum Pluralsystem des Deutschen taucht die Bezeichnung „komplex“ für dieses System auf (siehe z.B. Wegener 1999: 1, Wiese 2012: 204, Kürschner 2008: 8). Neef (1998: 244) spricht gar von einem unerklärlichen Wunder.

Insgesamt existieren fünf native Suffixe, die zur Bildung von Pluralformen am Nomen verwendet werden1. Diese sind -e, -er, -n, -en und -s. Neben der Möglichkeit der Verwendung dieser Allomorphe besteht zum einen die Möglichkeit der Pluralbildung allein durch Umlautung und zum anderen die Möglichkeit der Kombination aus Umlaut und des Suffixes -e oder des Suffixes -er. Die Bildung des Plurals kann im Deutschen jedoch auch ohne Veränderung der Singularform erfolgen. In diesem Falle wird eine Pluralmarkierung durch das Nullallomorph -Ø angenommen und wenn es sich um ein Nicht-Femininum handelt, kann über den Artikel eine Markierung erfolgen (11). Zudem handelt es sich beim Numerus des Deutschen um eine „obligatorische Kategorie“ (Corbett 2000: 14), das heißt, dass es zwangsläufig eine Differenzierung in Singular und Plural gibt, während in anderen Sprachen nur nach Bedarf unterschieden wird.

Diese Vielzahl an Möglichkeiten der Pluralbildung und der unklare Status, ob Regularitäten existieren, erschweren die Darstellung einer Systematisierung von Bildungsregularitäten und führen zu verschiedenen Ansichten darüber, wie das System der Pluralmorphologie zu erfassen ist. Während einige Linguisten die Arbitrarität der Pluralbildung betonen (z.B. Clahsen et al. 1992, Wiese 1996, Niedeggen-Bartke 1999, Wunderlich 1999), heben andere die bestehenden Regelmäßigkeiten hervor und bezeichnen die abweichenden Formen als Ausnahmen (z.B. Mugdan 1977, Augst 1979, Köpcke 1994, Wegener 1999, Eisenberg 2000). Weitgehende Einigkeit herrscht jedoch darin, dass gewisse Tendenzen bei der Pluralbildung ausgemacht werden können. Im Deutschen gibt es die Möglichkeit, die Pluralmarkierung sowohl am Nomen mit Flexiven als auch am Artikel vorzunehmen.2

Wurzel unterscheidet zwischen drei verschiedenen „Markertypen“ (Wurzel 2001: 99). Er schließt neben den morphologischen Markern Suffix und Umlaut den Artikel mit ein, der keine morphologische Markierung ist. Diese Markertypen können sowohl als alleinige Marker (9–11) als auch in Kombination miteinander (12–15) auftreten:

(9)

nur Artikel

 

der Löffel

die Löffel

 

das Messer

die Messer

 

ein Schüler

--- Schüler

(10)

nur Umlaut

 

die Mutter

die Mütter

(11)

nur Suffix

 

die Uhr

die Uhren

(12)

Artikel und Suffix

 

das Schwein

die Schweine

(13)

Umlaut und Suffix

 

die Maus

die Mäuse

(14)

Artikel und Umlaut

 

der Vogel

die Vögel

(15)

Artikel, Umlaut und Suffix

 

der Baum

die Bäume

Wie die Zuweisung dieser Markierungen erfolgt und wie dieses System optimal zu beschreiben ist – darüber gibt es verschiedene Ansichten. In den nächsten Abschnitten sollen die wichtigsten Beschreibungsansätze vorgestellt, ihre Gemeinsamkeiten aufgezeigt sowie ihre Differenzen herausgearbeitet werden.

Augst untersucht das „zentrale Pluralsystem“ (Augst 1979: 224) und formuliert diese Tendenzen in Form von Regeln. In Anlehnung an Augst sind im Duden unter der Überschrift „Das zentrale Pluralsystem“ drei Grundregeln aufgeführt (vgl. Dudenredaktion 2006: 183).

 

Die erste Regel besagt, dass Maskulina und Neutra den Plural durch das Anhängen von -e bilden:

(16)

der Tisch

die Tische

 

das Regal

die Regale

Mit der zweiten Regel wird vorausgesagt, dass Feminina den Plural mit der Verwendung der Suffixe -en bzw. -n bilden:

(17)

die Frau

die Frauen

 

die Blume

die Blumen

Als „e-Tilgungs-Regel“ wird die dritte Regel bezeichnet. Sie beschreibt, dass bei der Pluralbildung von Singularformen, die auf ein unbetontes -e, -el, -em, -en, oder -er enden, eine Tilgung des -e zu beobachten ist, das nach der oben beschriebenen ersten Regel suffigiert werden müsste:

(18)

das Segel

die *Segele

die Segel

 

das Fenster

die *Fenstere

die Fenster

 

der Balken

die *Balkene

die Balken

Diese drei Grundregeln zeigen, dass der Wortauslaut von nominalen Pluralformen einen Trochäus aufweist. Am Wortende folgt auf eine betonte Silbe eine unbetonte Silbe.

Das Phänomen der Umlautung wird in diesen Regeln nicht betrachtet. Aus diesem Grund werden im Duden neben diesen Grundregeln in Unterkapiteln „Umlaut-“ und „Zusatzregeln“ formuliert. Diese Regeln können aber nicht alle irregulären Bildungen oder bestehenden Schwankungsfälle erklären.

Auch Wegener (1992) beschreibt das deutsche Pluralsystem unter Beachtung der Aspekte des Wortauslauts und des Genus. In Anlehnung an Mugdan (1977) führt sie, mit dem Ziel eine möglichst kompakte, aber dennoch genaue Skizze des deutschen Pluralsystems zu erstellen, die wichtigsten Pluralmarker im Zusammenhang mit den beobachtbaren Regeln auf. Nur fünf Pluralmarker einschließlich Umlaut (UL) seien ausreichend und drei Hauptregeln seien auszumachen, um die Pluralbildung im Deutschen aufzeigen zu können (vgl. Wegener 1992: 226). Diese sind nach einer Abbildung von Wegener wie folgt darzustellen:

Abbildung 1: Pluralbildung im Deutschen (nach Wegener 1992)

Als „markiert“ gelten Nomen, die bei vokalischem Auslaut auf kein Schwa enden, sondern auf einen unbetonten Vollvokal (wie Auto). Dazu gehören auch Kurzwörter wie Kuli und Abkürzungen wie PKW. Die letzte Gruppe von Nomen, die als markiert gelten, zeichnet aus, dass aus verschiedenen Gründen keine Pluralbildung durch lautliche Veränderung der Nomen möglich ist, wie z.B. bei Kurzwörtern wie Loks oder bei Eigennamen. All diese Nomen mit markiertem Auslaut wählen den Pluralmarker -s.

Diese Beobachtung ist phonologisch zu erklären: Der Pluralmarker -e bzw. -en kann nur auf betonte Vokale am Wortende folgen, wie z.B. bei Ideen, da eine Suffigierung an einem unbetonten Vokal eine unnatürliche Dehnung zur Folge hätte, die so im Deutschen nicht auftritt, wie z.B. *Uhuen oder *PKWen (vgl. Wegener 1992: 228). Unmarkierte Feminina wie z.B. Uhr, Ader wählen den Pluralmarker -en bzw. -n und unmarkierte Maskulina wie z.B. Jahr, Garten wählen den Pluralmarker -e (eventuell mit Umlaut) bzw. den Nullplural.

Mit diesen Hauptregeln sei für den Großteil der Nomen die Pluralbildung erklärbar. Neben diesen Hauptregeln formuliert Wegener „Nebenregeln“ und wählt bewusst diesen Terminus, statt diese Phänomene beispielsweise als Ausnahmen zu bezeichnen, da „eine Teilregularität“ (Wegener 1992: 231) vorhanden sei. Nur Fälle der besonderen Pluralbildung wie z.B. Numeri, die nicht produktiv sind und keine Klassen bilden, sollten als Ausnahmen gelten.

Eisenberg (2000) bezieht sich ebenfalls auf Augst (1979) und Mugdan (1977). Er weist auf den Disput über Klassifikationen von Flexionstypen hin und schlägt eine Einteilung in „Genitiv Singular“ und „Nominativ Plural“ vor. Dabei unterscheidet er vier Haupttypen der Nominalflexion, die jeweils zwei Gruppen aufweisen (vgl. Eisenberg 2000: 152ff.). Im Folgenden sollen diese Haupttypen für die Pluralbildung im Nominativ vorgestellt werden.

 

Der erste Typ beschreibt die starke Deklination der Maskulina und Neutra:

(19)

der Berg

die Berge

 

das Kind

die Kinder

Zum zweiten Typ zählt die schwache Deklination der Maskulina:

(20)

der Mensch

die Menschen

 

der Löwe

die Löwen

Der dritte Typ betrifft die gemischte Deklination der Maskulina und Neutra:

(21)

der Staat

die Staaten

 

das Ende

die Enden

Beim vierten Typ geht es um die Deklination der Feminina:

(22)

die Burg

die Burgen

 

die Wand

die Wände

Wie Augst, Mugdan und Wegener stellt auch Eisenberg den Auslaut und das Genus betrachtend sechs Pluraltypen heraus, deren Ausprägung hier nicht beschrieben werden sollen, da nahezu alle Erklärungen der Regelmäßigkeiten bereits in den vorangehenden Ausführungen vorgestellt wurden.

Gegen diese eher strukturalistischen Ansätze versucht Köpcke (1993) eine Regelformulierung, die „um eine psychologische Komponente erweitert [… ist], in deren Mittelpunkt der Sprachbenutzer mit seiner allgemeinen kognitiven Ausstattung steht, aufgrund derer er dazu befähigt ist, eine Art sekundäre Ordnung in das scheinbare Chaos zu bringen“ (Köpcke 1993: 20). Trotz einiger Unterschiede, wie z.B. der Annahme, dass es im Deutschen acht (vgl. Köpcke 1993: 35) und nicht neun Pluralallomorphe gibt, wie oft in der Literatur aufgeführt (siehe z.B. Ramge 1975, Werner 1969: 93, Nübling 2002: 98, Mac Whinney 1994: 302, Christen 2000: 199)3, geht auch Köpcke in erster Linie von den bisher dargestellten Annahmen aus. Der entscheidende Unterschied beruht auf seiner Fokussierung des Sprecherverhaltens (vgl. Köpcke 1993: 37). Regelmäßigkeiten in der Pluralbildung könnten zwar formuliert werden, würden jedoch kaum dafür genutzt werden können, um Feststellungen über das Sprecherverhalten, wie es in der Wirklichkeit abläuft, zu konzipieren. Bereits Mugdans Ergebnisse von 1977, in denen er feststellt, dass „15 Regeln und 21 Listen von Ausnahmen benötigt [werden], um die Pluralzuweisung zu allen nominalen Lexemen des Deutschen erklären zu können“ (Köpcke 1993: 38), würden zeigen, dass eine alleinige Formulierung von Regeln nicht ausreiche. Die zahlreichen Auflistungen von Ausnahmen deuten darauf hin, so Köpcke, dass außer der Regelaufstellung die Bildung eines weiteren Konzeptes für die Erklärung der Pluralmarkierungszuweisungen notwendig sei, und zwar das Konzept der „Schemata“ (Köpcke 1993: 82). Der Sprecher bildet in seinem mentalen Lexikon verschiedene, mit unterschiedlichen Strukturen gekennzeichnete, Schemata. Die Kennzeichnung gehe aus der so genannten „Signalstärke“ hervor, die sich aus verschiedenen Kategorien der Wahrnehmung zusammensetze. Das heißt, dass der Sprecher bei der Zuweisung von Pluralmarkierungen auf Schemata zurückgreift, die er in seinem mentalen Lexikon durch vorherige Wahrnehmungen bildet.

Dieses Konzept soll an dieser Stelle nicht ausführlicher behandelt werden, da es in Kapitel 5.1 eingehender thematisiert wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Köpcke davon ausgeht, dass die Markierung des Plurals eher produktorientiert nach „abstrakten Schemata“ (Köpcke 1993: 86) im mentalen Lexikon erfolgt und weniger mit durch Regeln entstandene Morphembildungen zu erklären ist.

Wie bereits angedeutet, spielt die Silbenstruktur der Nomen ebenfalls eine Rolle bei der Pluralmarkierung. Es kann festgestellt werden, dass einsilbige Wortstämme bei der Pluralbildung in zweisilbige Pluralformen umgewandelt werden, die einen Trochäus mit finaler Schwa-Silbe aufweisen:

(23)

Schuh

Schuhe

Mehrsilbige Wörter enden bei der Pluralform ebenfalls auf einen Trochäus:

(24)

Elefant

Elefanten

Nahezu keine Regelaufstellung erfolgt, ohne dass Ausnahmen formuliert werden. Die einzige Regel, die bei allen Systematisierungsbestrebungen auftaucht und deren Gültigkeit immer gegeben ist, ist die Regel, dass für Feminina mit Schwa als Auslaut immer ein -n suffigiert wird (vgl. Sonnenstuhl-Henning 2003: 94):

(25)

die Birne

die Birnen

In den nächsten Kapiteln soll nun das Genussystem und anschließend das Kasussystem des Deutschen skizziert werden.

2.2Das Genussystem des Deutschen

Die Merkmalklasse Genus weist im Deutschen die Merkmale Femininum, Maskulinum und Neutrum auf und ist „nomeninhärent“, das heißt für jedes Nomen „festgelegt“ (Weber 2001: 11). Sind Gesetzmäßigkeiten bei dieser Festlegung erkennbar? Inwieweit sind diese Gesetze gültig? Können sie überhaupt als Gesetze formuliert werden? Welche Funktionen hat das Genus im Deutschen und wo und wie wird es markiert?

Die differenzierende Markierung beim Genus in feminin, maskulin und neutrum erfolgt nur im Singular und es wird „an sprachlichen Einheiten markiert, die gemeinsam mit dem Nomen auftreten: an indefiniten und definiten Artikeln, Determinativen1 und Adjektiven.“ (Montanari 2010: 194):

 

def. Artikel

indef. Artikel

Adjektiv

Fem.

dieNase

eineNase

einegroßeNase

Mask.

derMund

einMund

eingroßerMund

Neutr.

dasAuge

einAuge

eingroßesAuge

Tabelle 2: Genusmarkierung im Deutschen (im Nominativ Singular)

Außer den in Tabelle 2 aufgeführten Markierungen kann das Genus an weiteren „das Nomen begleitenden Wortarten ausgedrückt werden“ (Wegener 1995b: 97), wie z.B. den Pronomen (siehe dazu Montanari 2010: 195).2

In der Tabelle sind außerdem lediglich die Genusmarkierungen im Nominativ Singular aufgelistet, zu den Änderungen der einzelnen Markierungen in den jeweiligen Phrasenelementen je nach Kasus sei an dieser Stelle auf Montanari (ebd.) verwiesen. Im Plural besitzen Artikelwörter und Adjektive keine besonderen Genusformen, das heißt „alle drei Kategorien fallen in einer einzigen Form zusammen“ (Marouani 2006: 16). Die Markierung erfolgt im Plural ausschließlich ohne Genusdifferenzierung:

 

Artikel

Adjektiv

Artikel und Adjektiv

Fem.

dieNasen

großeNasen

diegroßenNasen

Mask.

dieMünder

großeMünder

diegroßenMünder

Neutr.

dieAugen

großeAugen

diegroßenAugen

Tabelle 3: Genusmarkierung im Deutschen (im Nominativ Plural)

Dabei existiert sowohl im Singular als auch im Plural eine besondere Beziehung zwischen dem Artikel, dem Adjektiv und dem Nomen – Eisenberg spricht von einer „syntagmatischen Bindung“ (Eisenberg 2000a: 91). Diese Beziehung wird als Kongruenz bezeichnet und stellt die „flexivische Anpassung der zusammengehörigen Satzteile“ (Weber 2001: 11) dar. Nach Corbett (2006) spielen bei der Kongruenz Verknüpfungen auf den syntaktischen, semantischen, morphologischen und lexikalischen Ebenen eine Rolle.

Diese Beziehung ist „keine symmetrische Relation, sondern die Beziehung einer Entität zu einer zweiten, auf die die erste einwirkt“ (Montanari 2010: 181). Durch dieses Aufeinanderwirken wird ihre Zusammengehörigkeit deutlich. Dabei stellt im Falle der Genusmarkierung im Deutschen das Nomen die Merkmalquelle dar, da es die Merkmale der anderen Bezugselemente bestimmt und vorgibt. Nach welchen Kriterien erfolgt diese Vorgabe? Die Beschäftigung mit dieser Frage und die unterschiedlichen Auffassungen über ihre Beantwortung führen zu der Annahme, dass es sich bei der „Genuszuweisung [… um] eines der undurchsichtigsten Kapitel der deutschen Grammatik“ (Wegener 1995e: 1) handelt und führt sogar soweit, dass das Genus „zu den […] umstrittensten Kategorien innerhalb der Sprachwissenschaft“ (Schwarze 2008: 182) gezählt wird. Während die „Analogisten“ (Fischer 2004: 30) die Gesetzmäßigkeiten in den Vordergrund stellen, betonen die „Anomalisten“ (ebd.) die Willkürlichkeit bei der Zuweisung des Genus an die Nomen. Oft ist von Genuszuweisungsprinzipien die Rede, da „neben produktiven“ Regeln, die formuliert werden, „andere mit beschränkter Produktivität stehen“ (Köpcke/Zubin 1997: 87).

Nicht nur Weber (2001) stellt in ihrer Analyse wichtiger deutscher Grammatiken fest, dass das Genus darin oft unzureichend thematisiert wird (siehe dazu auch Heringer 1995: 203). Aufgrund der unterschiedlichen produktiven Regeln, die oft auch für nur eine bestimmte Gruppe von Nomen gelten, werden diese Regeln nicht als Regeln betrachtet und es herrscht bei der Betrachtung des Genus im Deutschen, wie in diesen Grammatiken ersichtlich wird, eine gewisse Unsicherheit (vgl. Weber 2001: 90). Ein Blick in die aktuelle Genusforschung zeigt, dass eine Reihe von Regeln und Prinzipien erkennbar sind. Listen von Genuszuweisungsregeln werden u.a. von Köpcke (1982) und Wegener (1995a) formuliert. Eine differenzierende Zusammenstellung der wichtigsten Kriterien und Kategorien ist in Montanari (2010: 196–208) zu finden.

Nach Heringer (1995: 212) sind diese festgestellten Regeln „nach drei Kriterien zu beurteilen: Reichweite, Validität und Stärke“. Wie groß ist die Anzahl der Nomen, für die diese Regel gilt? Mit der Beantwortung dieser Frage wird die „Reichweite“ der Regel bestimmt. Wie viele Ausnahmen sind festzustellen? Hiermit wird die „Validität“ gemessen. Welche Regel siegt, wenn mehrere Regeln für ein Nomen anwendbar sind? Hier wird die „Stärke“ der Regel ermittelt. Je nachdem, wie die Beantwortung der jeweiligen Regel im Hinblick auf die Fragen ausfällt, handelt es sich um eine nützliche oder eher unbrauchbare Regel. Da diese drei Kriterien am stärksten von Wegener beachtet werden, soll im Folgenden ihre Herangehensweise bei der Konzipierung von Genuszuweisungsregeln skizziert werden. Sie nimmt eine Einteilung der Regeln in „semantische“ (Wegener 1995b: 68) und „formale Regeln“ (Wegener 1995b: 73) vor. In diesen zwei Kapiteln analysiert und diskutiert sie die bislang formulierten Regeln in der deutschen Genusforschung, während sie bei den formalen Regeln eine weitere Unterteilung in phonologische und morphologische Regeln vornimmt. Aufgrund der hohen Anzahl an Ausnahmen bei den semantischen Regeln3 plädiert Wegener für „ein generelles Leitwortprinzip“ (Wegener 1995b: 72). Der Oberbegriff gibt für eine Gruppe von Nomen die Genuszuweisung der Unterbegriffe vor:

(26)

die Zahncreme

die Elmex, die Colgate

 

das Metall

das Eisen, das Silber, das Gold

 

der Zug

der ICE, der Intercity

Mit Hinblick auf den Sprachunterricht formuliert sie darüber hinaus als einzige semantische Regel „das natürliche Geschlechtsprinzip“ (Wegener 1995b: 89): „Bezeichnungen für männliche Lebewesen sind im unmarkierten Fall Maskulina, solche für weibliche sind Feminina“ (ebd.). 4 Als unmarkiert werden Fälle „mit größerem Skopus und/oder höherer Validität“ (Wegener 1995b: 7) bezeichnet, während die Ausnahmen bzw. Nebenregeln als markiert gelten. Diese Abstufung nimmt Wegener bei der Formulierung aller Regeln vor.

Ebenso mit Hinblick auf den Sprachunterricht fokussiert sie folgende vier Regeln (siehe Wegener 1995b: 89):

1

Auf Schwa (-e) endenden Nomen wird im unmarkierten Fall das Genus Femininum zugewiesen:

(27)

Säge, Liebe, Kette

2

Einsilbige „und andere Kernwörter“ erhalten im unmarkierten Fall eine Maskulinmarkierung:

(28)

Ball, Zug, Fuß

3

Ebenso sind auf -el, -en, -er endende Nomen im unmarkierten Fall maskulin:

(29)

Deckel, Wagen, Becher

4

Derivationssuffixe des Nomens bestimmen sein Genus:

(30)

Gesundheit, Schönling, Zöpfchen

Die erste Regel gilt nach Wegener für 90 Prozent der Nomen, die auf Schwa enden, die zweite Regel für 51,8 Prozent der Einsilber, die dritte Regel für 65 Prozent der auf –el, -en und -er endenden Nomen und die vierte Regel für 100 Prozent der auf Suffixe, wie -ung und -heit endenden Nomen. Sie betont aber, dass trotz dieser teilweise sehr zuverlässigen Regeln keine Aussage über die Genuszuweisung der gesamten deutschen Nomen vorgenommen werden kann, ohne den „Skopus“ (ebd.) mit zu betrachten. Der Skopus zeigt, wie groß der Anwendungsbereich einer Regel ist. Der Wert wird auf der Grundlage von Oehlers (1966