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Nach wie vor leisten heutzutage hauptsächlich Mütter die Care-Arbeit in der Familie. Sie übernehmen einen Großteil der Kinderbetreuung, organisieren den Alltag und versuchen bei all dem, ihren eigenen Weg nicht zu vergessen. Allen gerecht werden, mich dabei aber selbst nicht zu vergessen, ist ein Wunsch, den die meisten Mütter heute haben. Einer, an dem viele verzweifeln. Dieses Buch soll Müttern einen Weg aufzeigen, wie sie den Alltag mit Kindern wieder gut meistern können, ohne sich dabei komplett selbst aufzugeben, wie sie ausgeglichen und zufrieden den Bedürfnissen aller begegnen können. Neben persönlichen Erzählungen, Einblicken in die Welt der Achtsamkeit und zahlreichen alltagstauglichen Übungen, gibt es am Ende einen 8-Wochen-Kurs, der helfen soll, wieder zu sich selbst und dem, was wirklich wichtig ist, zurückzufinden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Nichts geht jemals vorbei, bis wir daraus gelernt haben, was wir lernen sollten.
Pema Chödrön
Für all die Mütter da draußen, die täglich aus ganzem Herzen Großes leisten.
Vorwort
Orientierung
Achtsamkeit als Fundament
Achtsamkeit - Trend oder Zaubertür
Deine Intention
Präsenz
Selbstachtsamkeit
Selbstmitgefühl
Wir sind nicht allein
Hör nicht auf die anderen
Grenzen
Grenzen erkennen
Mit welcher Haltung
Hilfe holen
Sich abgrenzen
Bedürfnisse & Selbstfürsorge
Meine Bedürfnisse. Deine Bedürfnisse
Kleine Pause, große Wirkung
Energietankstellen im Alltag
Gemeinsam statt einsam
Selbstliebe als Weg
Freundschaften pflegen und erhalten
Dankbarkeit & Freude
Dankbarkeit ausdrücken
Freude am Tun
Mudita – die Kunst der Mitfreude
Der Acht-Wochen-Kurs
Woche 1 – Bestandsaufnahme
Woche 2 – Im Körper zu Hause
Woche 3 – Meinen Stress erkennen
Woche 4 – Achtsam auf Stress reagieren
Woche 5 – Selbstfürsorge
Woche 6 – Selbstmitgefühl
Woche 7 – Dankbarkeit und Freude
Woche 8 – Achtsamkeit im Alltag
Dank
Übungsübersicht
Literaturverzeichnis
Über die Autorin
Es hatte gedauert, bis ich das Burn-out, in dem ich steckte, als Burnout erkannt hatte. Bis dahin war ich überzeugt, dass mir das nicht passieren würde. Ich hatte ja keinen stressigen Job. Ich arbeitete selbstständig nebenbei, den Rest der Zeit war ich Mutter. Ja klar, ich wohne außerdem in einem Wohnprojekt, in dem ich mich ehrenamtlich engagiere. Aber das mache ich doch gern. Und apropos gern - ich mache fast alles, was ich mache, sehr sehr gern. Wie kann dann irgendetwas so stressig oder anstrengend werden, dass ich in ein Burn-out gerate? „Was Freude macht, belastet nicht“ hatte mein Physiklehrer immer gesagt. Er wollte uns überzeugen, dass Physik so viel Freude macht, dass die Hausaufgaben, die er uns mit dem Spruch begleitend aufgab, doch ein Klacks waren. Pure Freude. Ich glaubte ihm, auch wenn die Physik mir nicht sonderlich viel Freude bereitete. Aber ich war überzeugt davon, dass das, was man liebte und gern tat, keine Belastung sein würde. Schließlich hatte auch Mark Twain schon gesagt „Wenn Du liebst, was Du tust, wirst Du nie wieder in Deinem Leben arbeiten.“ Das klingt doch logisch.
Also machte ich weiter. Ein bisschen müde und gereizter von Zeit zu Zeit. Ein bisschen weniger Freude beim Tun. Aber wer hat schon jeden Tag gute Laune? Das wird schon wieder. Am Wochenende werde ich mich mal etwas zurückziehen. Ein paar Minuten für mich sein, den Mann mit den Kindern allein losschicken. Und dann kam ein Wochenende. Ich hatte Zeit für mich. Da konnte ich endlich mal ein paar liegengebliebene To Dos abarbeiten. Endlich mal in Ruhe alle Zimmer saugen. Ein paar Emails in Ruhe beantworten. Ach ja und bestimmt kommen sie bald wieder, da werden sie hungrig sein, da sollte ich mal was kochen. Wenn ich schon nicht mit ihnen unterwegs bin gemeinsam, dann sollte ich sie wenigstens freudig versorgen, wenn sie nach Hause kommen.
So vergingen die Wochen. Ich schaute mich um. Mal müde. Meistens müder. Aber hey, die Mutter da schafft das ja auch. Und die ist sogar alleinerziehend. Und was die nebenbei noch auf die Beine stellt. Die da arbeitet sogar dreißig Stunden fest angestellt. Und was soll’s, der Laden muss ja weiterlaufen. Die Kinder brauchen das ja alles und sie sind ja noch klein. „Bald wird alles besser, wirst sehen“ sagten die mit älteren Kindern. Und ich hoffte auf bald. Aber bald kam einfach nicht. Jedenfalls nicht rechtzeitig.
Nein, ich fiel nicht um. Ich verfiel auch nicht in Depressionen. Jedenfalls am Anfang nicht. Ich schaffte es weiterhin jeden Morgen aufzustehen. Aber ich war dennoch am Limit. Naja eigentlich, um ganz ehrlich zu sein, hatte ich das Limit weit weit weit überschritten. Aber ich hatte immer geglaubt ein Burn-out ist wenn nichts mehr geht, man nicht mehr kann. So wie die Mütter, die ich erlebt hatte, die dann einfach nicht mehr taten. Die dann im Krankenhaus landeten und durch Hilfe von Medikamenten, Therapie und viel gutem Willen wieder hergerichtet wurden. Um weiter zu funktionieren.
Am Ende war es der Tinnitus, der mich aufweckte. Der war anfangs leise da, ein stiller aber stetig singender Begleiter. Nein eigentlich klang er wie das Grillenzirpen in dem Urlaubsort in Griechenland, in dem wir waren, als irgendwie alles noch in Ordnung war. Klingt vielleicht gar nicht so schlimm. Aber wenn ein Geräusch stetig und immer da ist, dann kann das noch so schön und urlaubsromantisch sein, dann ist das ziemlich zermürbend. Vor allem – wie in meinem Fall – wenn es stetig lauter wird. Bis es eines Tages so laut war, dass ich unter Tränen am Morgen in der Küche stand und sagte: „Ich halte das nicht mehr aus.“ Da, erst da, bin ich aufgewacht. Und habe erkannt, dass ich etwas ändern muss. Schnell. Und grundlegend.
Danke, Tinnitus.
Doch eigentlich ist es egal, was ein Burn-out ist und was nicht. Und ob ich eines hatte oder nicht. Fakt war, dass ich sehr am Ende war und nun auf sehr dünnem Eis spazierte, immer Gefahr laufend, dass – wenn ich noch ein winzig kleines Ding schultern würde – einbrechen und ertrinken würde. Und während ich begann mir einen sanften, vorsichtigen Gang anzugewöhnen und genau auf all das, was ich mir über die Schultern warf, besonders achtete, lernte ich sehr sehr viel über mich. Über mein Dasein als Mutter. Als Frau. Als Freundin und Nachbarin. Als Nadine. Ich lernte mir fiese grundlegende Fragen zu stellen. Und die auch zu beantworten. Ich lernte, dass dieses „Aber es geht ja nicht anders“ eben doch anders geht. Weil es immer einen anderen Weg gibt und man sich eben nicht immer komplett verausgaben muss. Und ich lernte Glück und Freude zu empfinden. Das hatte ich nämlich längst verloren unterwegs. Und irgendwie fühlte sich das ähnlich schlimm an wie der Tinnitus im Ohr.
Es war kein schwerer Weg. Es war nur einer, den ich vorher einfach nicht als solchen wahrgenommen hatte. Weil ich immer nur nach unten blickend geradeaus gelaufen war. Weil ich immer nur darauf geachtet hatte, dass ich es erst einmal allen um mich herum recht machen muss. Weil ich immer dachte: Bald wird alles besser. Und dann ist wieder mehr Zeit für mich. Bald. Bald Bald.
Aber diese Rechnung geht nicht auf. Sie ging bei mir nicht auf und bei vielen tausenden anderen Müttern geht sie auch nicht auf. Und damit all die vielen tausend Mütter da nicht weiter geradeaus weiterlaufen und damit noch mehr tausende und tausende Mütter gar nicht erst in diese Richtung geraten, habe ich dieses Buch geschrieben. Mit all meinem Wissen, meinen Schätzen an Erfahrungen, meiner Gabe an Einfühlungsvermögen und Empathie will ich allen Müttern und Vätern und Omas und Opas und allen, die Kinder haben oder sich um sie kümmern, entgegen kommen. Sie auffangen und rufen: Stop! Halt inne. Atme durch. Und nimm doch einfach diesen Weg hier.
Das Buch ist im ersten Teil gespickt mit vielen Beispielen, kleinen Übungen und Aufgaben, im zweiten mit einem konkreten Programm, dass dich dabei unterstützen soll, wirklich nachhaltig aus deiner Situation herauszukommen. Was von all dem du für dich mitnimmst, überlasse ich dir. Betrachte es als ein großes luxuriöses Buffet auf einem Kreuzfahrtschiff. Da gibt es alles, was du dir wünschst und worauf du Hunger hast. Jederzeit. Lass es dir gut damit gehen. Genieß es unbedingt. Und kehre immer wieder beim kleinsten Appetit hierher zurück. Das ist meine Empfehlung für dich. Von Herzen.
Nadine Hilmar,
Wien, Januar 2020
Und warum bist du hier?
Weißt du, es braucht ja kein Burn-out oder was auch immer, um zu verstehen, dass man vielleicht einfach auf dem falschen Weg ist. Es reicht auch manchmal die Erkenntnis: Das ist mir jetzt einfach ein bisschen zu viel. Oder irgendwie bin ich so, wie es im Moment ist, recht unzufrieden.
Ich habe Mütter gefragt, was für sie die größte Herausforderung ist im Leben mit Kindern ist. Die Reaktionen waren zu 90% gleich und liefen auf die selbe Antwort hinaus: „Es allen gerecht zu machen und mir dabei selbst gerecht bleiben.“
Im Detail lauteten die Antworten so:
„Den Kindern gerecht zu werden ohne dabei selber nicht unter zu gehen“
„Es für alle ‚gut genug‘ zu machen.“
„Die größte Herausforderung ist es, mir die nötigen Pausen zu nehmen um nicht in erlernte Muster zu verfallen und bei mir selbst zu bleiben.“
„Allen gerecht zu werden bzw. gleichzeitig mir den Druck zu nehmen, allen gerecht werden zu müssen ;) und Geduld.“
„Die größte Herausforderung im Moment ist, wenn mich alle 3 gleichzeitig brauchen und/oder ich nicht für jeden gleichermaßen da sein kann. Und diese Tatsache zu akzeptieren.“
„Allen Rollen, die das Leben mit Familie mit sich bringt, gerecht zu werden ohne selbst unter zu gehen und die Ansprüche an sich selbst nicht zu hoch zu halten.“
„Allen immer alles Recht zu machen, dennoch bei mir zu bleiben das ist das schwierigste im Alltag mit Kindern. Manchmal sind die Erwachsenen selbst jedoch das größere Übel.“
„Mich selbst nicht zu kritisch zu betrachten und meine Bedürfnisse nicht zu übergehen.“
„Bei mir zu bleiben.“
Und vermutlich hast du beim Lesen dieser ausgewählten Antworten hier jetzt heftig genickt. Oder einfach leise geseufzt.
Ich denke hier wird sichtbar, was die wirklichen Herausforderungen für Eltern, aber vorzugsweise Mütter sind. Ich sage deswegen „Mütter“, weil sie einfach nach wie vor diejenigen sind, die sich oft mehr für die Erziehung der Kinder einbringen, die in ihren Rollen dadurch besonders gefordert sind, weil sie sich oft durch Teilzeitarbeit noch mehr behaupten müssen. Weil sie noch immer beweisen müssen, dass sie dennoch eine wertvolle Arbeitskraft sind. Und es sind die Mütter, die gerade überall im Internet gelockt werden mit den unzähligen Möglichkeiten, sich neben den Kindern auch noch ein rentables Onlinebusiness aufzubauen, dennoch Karriere machen und erfolgreich sein zu können. Was auf viele – natürlich nicht auf alle – enormen Druck ausübt. Was nicht für alle erstrebenswert ist. Nicht in erster Linie. Ich will hier keine Debatte darüber beginnen, ob Mütter Karriere machen sollen oder nicht. Das kann nur jede Frau für sich entscheiden und egal welchen Weg sie wählt, es ist der richtige für sie. Es ist aber nicht der Weg der Freundin, der Mutter im Internet, der Bekannten von neulich oder der Nachbarin auch genau dein Weg, den du gehen musst. Er kann es gar nicht sein. Und er darf es auch nicht sein.
Ich will hier unbedingt verhindern, dass die Frauen, die sich dem nicht gewachsen sehen, auch nicht das Gefühl haben, diese Mutter sein zu müssen. Ich möchte nicht, dass alle glauben sie könnten sich neben drei oder vier Kindern noch erfolgreich selbst verwirklichen und das wäre so einfach. Ich halte es für äußerst bedenklich, dass da draußen Methoden vermittelt werden, die nicht individuell angepasst sind. Ich möchte, dass Mütter ganz für sich spüren und dann entscheiden, wie sie sich in ihren verschiedenen Rollen aufteilen wollen.
Und so habe ich das Buch ausschließlich für Mütter geschrieben. Weil sie am ehesten darunter leiden, wenn es ihnen zu viel wird und sie nicht mehr so funktionieren und agieren, wie sie es sich wünschen. Ich habe erkannt, dass Väter zum einen oftmals stressresistenter sind, was die Familie anbelangt, aber auch einfach anders mit der Tatsache umgehen, wenn sie spüren, dass sie nicht so agieren, wie sie möchten. Väter brauchen dabei manchmal einen anderen Zugang als wir Mütter. Natürlich kann man das nicht einfach so für alle sagen, aber auf die meisten trifft es wohl zu. Und weil ich auch in meiner Arbeit viel mehr mit den Müttern zu tun habe, die zu mir kommen und um Rat suchen, habe ich mich nun auf sie fokussiert. Und wer weiß – vielleicht findet sich einmal ein Vater, der sagt: „Hey, wir brauchen das genauso und ich würde gern dafür sorgen, dass auch wir so einen Begleiter bekommen.“ Dann darf der sich gern bei mir melden und wir gestalten einen gemeinsam.
Dieses Buch soll ausschließlich dazu dienen zu erkennen, dass wir nun so, wie wir bisher leben, nicht weitermachen können. Dass es Veränderung braucht, wie auch immer diese aussehen mag. Es braucht dringend einen anderen Weg als diesen hier, den ich und so viele andere da draußen nehmen und genommen haben. Ich wollte dabei erkunden, was wirklich wichtig ist, was uns Müttern wirklich gut tut, was im stressigen Alltag machbar scheint und was schaffbar ist. Für jede Frau ganz individuell. Hier. Und jetzt. Denn viele sagen: „Ich habe keine Zeit, noch irgendeinen Kurs zu besuchen. Ich schaffe es kaum ein Buch zu lesen“ oder „Ich habe ja nicht einmal in Ruhe Zeit meinen Kaffee warm auszutrinken.“ Da gilt, was im Zen über das Meditieren gesagt wird:
„Meditiere zwanzig Minuten am Tag. Es seid denn du hast keine zwanzig Minuten, dann meditiere eine Stunde.“
Nun will ich nicht, dass du das Gefühl hast eine Stunde täglich meditieren zu müssen. Es sei denn, du möchtest das unbedingt, dann natürlich sehr gern. Aber dieses große Wort meditieren schreckt so viele ab. Es scheint so unmöglich. So schwierig. Ich möchte dir einen anderen Zugang vermitteln. Einen, mit dem du schlussendlich vermutlich auch auf dem Meditationskissen landen wirst. Aber wenn nicht, dann ist das auch okay. Denn hier soll jede ihren ganz eigenen Weg finden.
Das Buch ist in zwei große Teile geteilt. Im ersten Teil gehe ich sehr viel auf die Aspekte von Achtsamkeit, Selbst(Mitgefühl), Grenzen und Bedürfnissen sowie Selbstfürsorge ein. Ich hebe diese Themen ein wenig hervor und verwebe sie mit allem, was das Muttersein oftmals so schwierig macht. Ich stelle dabei viele Übungen zur Verfügung, die helfen können aus dem alten, stressigen Treiben auszusteigen, die Autobahn der alten Muster zu verlassen und neue Nebenstraßen und -wege zu entdecken und einzuschlagen.
Im zweiten Teil des Buches habe ich für dich einen konkreten Plan erarbeitet, der dich leiten wird und eine Hilfestellung ist, diese Übungen in den Alltag zu integrieren. So dass der Ratgeber eben nicht nur ein neuer Staubfänger im Regal wird mit einigen Aha-Momenten, an die du dich später kaum erinnern kannst, sondern damit du hier ein wirkungsvolles Buch in der Hand hast, dass für dich auf längere Zeit ein Wegbegleiter ist. Ein Buch, in das du immer wieder neugierig hineinschaust und das wirkliche Hilfe sein kann.
Der erste Teil des Buches ist in sechs Kapitel unterteilt, die aufeinander aufbauen. Es macht also Sinn, das Buch von vorn bis hinten durchzulesen und teilweise die Übungen, die dich ansprechen, durchzuarbeiten. Auf alle Fälle solltest du jedenfalls die Kapitel „Achtsamkeit als Fundament“ und „Mitgefühl und Selbstmitgefühl“ in Ruhe durchlesen, bevor du dich weiter anhand des 8-Wochen-Programmes am Ende des Buches auf eine spannende Reise begibst.
Die Achtsamkeit fragt: „Was ist gerade?“
Das Mitgefühl fragt: „Was brauche ich jetzt?“
Da es aber nicht leicht ist im Alltag diese Fragen einfach so zu beantworten, braucht es ein paar Impulse und Übungen. Einfach auch um uns selbst zu verstehen, zu erkennen, was in uns ist und zu spüren, was wir jetzt in diesem Moment brauchen. Darauf bauen diese beiden Kapitel auf. Danach geht es konkreter um Themen wie Grenzen, Bedürfnisse, Selbstfürsorge und so weiter.
In jedem Kapitel gibt es imm wieder Übungen, die du in deinen Alltag integrieren kannst und die dir helfen sollen, bei dir zu bleiben, auch wenn es mal wieder komplett turbulent um dich herum bebt.
Ich rate dir auch dir ein Notizbuch zuzulegen, in dem du deine Gedanken parallel aufschreiben kannst. Zum einen wirkt dieses Aufschreiben manchmal noch etwas klärender, zum anderen tut es gut, wenn Gedanken – vor allem Aha-Momente – irgendwo notiert sind und wir sie nicht im Kopf mit uns herumtragen müssen. Es kann auch ein Kalender sein, wenn du da noch einen aus Papier verwendest und in dem genug Platz ist, um hin und wieder kleine Notizen hinein zu kritzeln.
Und gleich vorweg möchte ich sagen, was später im Kapitel Geduld noch einmal genauer erläutert wird: sei geduldig mit dir selbst. Ich weiß sehr gut wie das ist. Da meint man endlich den Schatz in den Händen zu halten, endlich zu erfahren, was man konkret tun kann, damit sich etwas ändert. Und da glaubt man recht schnell zu sehen, welche Schräubchen wir drehen können, damit es uns allen besser gehen kann. Und das will man dann auch sofort und hoch motiviert tun und umsetzen. Aber es will nicht so leicht und locker gelingen, wie es im Buch steht. Nun, wenn das so leicht wäre, dann hätten wir viele Probleme da draußen nicht. Denn Ratgeber lesen die Menschen haufenweise. Aber die Umsetzung in den eigenen Alltag und ins eigene Leben ist oft schwierig. Es braucht Zeit. Vor allem bei so einem wesentlichen Thema wie diesem hier, wo nicht nur wir, sondern eine ganze Familie betroffen ist. Sie alle spüren die Auswirkungen unserer kleinen Veränderungen. Und nicht immer gefallen ihnen diese auf Anhieb. Sie werden versuchen, dagegen anzugehen, in den Widerstand zu treten und zu rufen: „Aber bisher war es doch so, Mama!“ Das gehört dazu und ist für uns alle ein wichtiger Lernprozess. Aber wenn wir wissen, was uns gut tut und genau da dranbleiben, dann kann es uns gelingen, diese Veränderungen wirklich umzusetzen, allen eine wertvolle Erfahrung zu schenken. Hab Geduld mit dir, sei liebevoll zu dir selbst, sei nicht zu streng mit dir und sei achtsam mit allen um dich herum. Dann kann gelingen, was so unbedingt wichtig ist.
Achtsamkeit ist die Beschützerin, die uns hilft, nicht zwischen Vergangenheit und Zukunft verloren zu gehen.
Sylvia Kolk
Es war ein ganz normaler Donnerstag. Ich stand in der Küche und bereitete das Abendessen vor, die Kinder waren im Wohnzimmer und stritten mal wieder wegen einer Kleinigkeit. Das Schreien war mir zu laut, das stetige Nerven des großen Bruders zwickte mich schon längst und irgendwann rief ich genervt: „Was ist denn mit Euch heute schon wieder los?“ Und während der Satz von mir über den Esstisch hinweg ins Wohnzimmer flog, wo er knallhart an den Kindern abprallte und zu Boden fiel, da hielt ich einen Moment inne und fragte mich: „Was ist denn mit Dir heute schon wieder los?“
Da fiel es mir auf. Ich war schon den ganzen Tag genervt und angespannt, ich hatte am Vormittag nicht geschafft, was ich mir vorgenommen hatte, war dann in letzter Minute in den Supermarkt gefahren und danach in den Kindergarten. Am Nachmittag waren die Nachbarskinder ein- und ausspaziert, die Tür flog im regelmäßigen Takt auf und zu, meine Kinder hinterher und wieder rein. Es war zugegangen wie auf dem Bahnhof und ich fühlte mich wie ein entgleister Zug. Ich war schon wieder komplett los, losgelöst von mir selbst. Und deshalb waren auch die Kinder schon wieder so los und laut. Der Spiegel, von dem alle sprachen.
Bevor wir uns alle an den Tisch setzten zum Essen schloss ich für einen Moment die Augen und fragte mich: Was kann ich jetzt für mich tun? Wie kann ich hier gut durch den Abend kommen? Ich überlegte, was alles noch zu tun war und was bleiben konnte bis morgen. Ich lauschte für eine Weile meinem Atem und spürte meine Füße fest auf dem Boden. Schritt. Atemzug. Besenstrich. Ich erinnerte mich an Beppo, den Straßenkehrer aus „Momo“, dem Buch von Michael Ende.
Von da an ging alles viel ruhiger. Ich tat die Dinge langsamer, achtsamer, bedachter. Ich redete ruhiger mit den Kindern. Und am Ende las ich ihnen noch mein Lieblingsbuch vor. Eines, bei dem wir alle immer kichern müssen. Und so kicherten wir auch an diesem Abend und irgendwie ging so dieser vorher so verquirlte Tag gut zu Ende.
Was mir hier geholfen hat, war die einfache Praxis der Achtsamkeit. Ein Wort, das mittlerweile scheinbar mehr Trend als wirkliche Praxis ist. Ein Wort, bei dem viele sofort abwinken und an Meditation denken. So ein Modeding, denken viele und gehen weiter ihren Weg.
Ich hatte im Mai 2017 einen MBSR-Kurs (Mindfulness Based Stress Reduction) begonnen. Den führten wir mit unserem wundervollen Lehrer auch nach den acht Wochen im monatlichen Rhythmus immer weiter, vertieften, tauschten uns aus und spürten immer mehr, was Achtsamkeit wirklich war. Was sie konnte und was sie für uns bereit hielt. Und ich merkte: je mehr ich eine wirkliche Achtsamkeitspraxis verinnerliche, desto mehr erkenne ich, wie wertvoll sie ist und wie wichtig sie als Fundament für alles, was ich tue, funktioniert. Damit meine ich alles. Den ganzen schweren bunten lauten und leisen Alltag.
Jetzt fragst du dich vielleicht: Wie konnte es trotzdem passieren, dass sie ins Burn-out rauschte? Und glaub mir, ich habe mir die Frage selbst oft ganz verzweifelt gestellt. Ich habe mich gefragt: Wozu mache ich das alles, und am Ende passiert mir genau das, wovor ich immer Angst hatte? Aber dann habe ich erkannt, dass mein Zugang viel zu erfolgsorientiert war. Ich wollte immer sofort, dass sich etwas verändert, verbessert. Aber ich war nicht bereit, kontinuierlich die einfachsten Dinge in meinem Alltag umzusetzen. Ich saß manchmal freudig, manchmal geplagt oder genervt auf meinem Meditationskissen und fragte mich vorher schon: „Was soll mir das jetzt wieder bringen? Naja los, irgendeinen Sinn muss das ja haben.“ Dabei habe ich die einfachsten Dinge ausgelassen. Habe mir die einfachsten Fragen eben nicht gestellt. Sondern habe geglaubt, wenn ich nur wie der Buddha still dasitze, dann wird alles gut. Dann werde ich irgendwo die Antworten sehen. Und vielleicht wäre mir das irgendwann, nach vielen Jahren, auch gelungen, wenn ich sonst nichts zu tun gehabt hätte.
Dabei habe ich übersehen, dass Achtsamkeit viel einfacher ist. Viel früher ansetzt. Und doch so unfassbar wertvoll ist.
Die Achtsamkeit trägt mich, auch wenn ich längst nicht mehr aufrecht stehen kann. Und ich kann und will einfach kein anderes Wort finden oder erfinden, um zu beschreiben, was sie schaffen kann. Ich will auch keine neuen Beschreibungen dafür erfinden, denn das, was da ist, ist ziemlich treffend.
Christoph Germer sagt:
„Achtsamkeit bedeutet zu wissen, was man erlebt, während man es erlebt, ohne es zu bewerten.“
Und im Grunde ist das einfach. Sehr einfach und doch so komplex. Einer der beiden Leiter des MBCL-Kurses (Mindfulness Based Compassionate Living), den ich besuchte, sagte immer: „It’s simple, but not easy.“ Und genau das ist sie, die Achtsamkeit. Simple. Very simple sogar. But not easy.
Denn dieses unbewertete Erleben wirft endlose Fragen auf. Und das macht diese Reise so unglaublich spannend.