Es war einmal ein Dorf - Jens Kirsch - E-Book

Es war einmal ein Dorf E-Book

Jens Kirsch

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Beschreibung

Der Fischer Ture gerät anno 1168 mit dem ihm anvertrauten Jungmädchen Lyr in die Auseinandersetzungen des Königs von Dänemark mit Fürsten und Herzögen um die Vorherrschaft auf der Insel Rügen. Dieser Kampf der Mächtigen zerstört das Leben einfacher Leute. Auch Lyr und Ture werden in einen Strudel von Gewalt und Hass gezogen. Ihre Flucht vom Kap Arkona nach Angriff des Kriegerbischofs Absalon auf das Heiligtum der Ranen, ihre Rückkehr nach Moorbrüggen, dem Handelsplatz der Wikinger an der Via Regia, soll ihnen eine neue Heimat liefern. Doch Inger, Freundin Tures aus Kindertagen, steht der Liebe des ungleichen Paares im Wege. Während sich der Untergang Moorbrüggens anbahnt, entwickelt sich ein Salinenweiler zur Stadt: Grypswold.

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Der Fischer Ture gerät anno 1168 mit dem ihm anvertrauten Jungmädchen Lyr in die Auseinandersetzungen des Königs von Dänemark mit Fürsten und Herzögen um die Vorherrschaft auf der Insel Rügen. Dieser Kampf der Mächtigen zerstört das Leben einfacher Leute. Auch Lyr und Ture werden in einen Strudel von Gewalt und Hass gezogen. Ihre Flucht vom Kap Arkona nach Angriff des Kriegerbischofs Absalon auf das Heiligtum der Ranen, ihre Rückkehr nach Moorbrüggen, dem Handelsplatz der Wikinger an der Via Regia, soll ihnen eine neue Heimat liefern. Doch Inger, Freundin Tures aus Kindertagen, steht der Liebe des ungleichen Paares im Wege… .

Während sich der Untergang Moorbrüggens anbahnt, entwickelt sich ein Salinenweiler zur Stadt: Grypswold.

Die wichtigsten handelnden Personen

Erzähler

Josef

schreibt diesen Roman

Biblische Personen

Abel, Kain

Kinder von Eva und Adam

Historische Personen

Absalon von Lund

Bischof von Roskilde,

Ziehbruder und Berater des

Königs von Dänemark

Bogislaw I.

Herzog der Pommern

Heinrich der Löwe

Herzog der Sachsen

Jaromar I.

Fürst der Ranen

Hildegard

Jaromars Gattin

Waldemar I.

König von Dänemark

Konrad I.

Bischof von Wollin

erfundene Personen

Lyr

Hauptheldin

Ture

Fischer in Moorbrüggen

Abel

Tures Vater, Fischer

Inger

Bewohnerin Moorbrüggens

Ole und Jon

Söhne Ingers

Arne

Bootsmann, Musikant,

Händler

Wenzel

Arnes Vater

Hannes

Diener im Hause Wenzels

Hörst du denn nicht den Trommler, der beharrlich in dir schlägt, der dich bei aller Gegenwehr auch durch Feindeslager trägt? Hör auf ihn, er sagt dir was, wenn er sich nicht mehr regt, ist das ein Zeichen dafür, dass sich gar nichts mehr bewegt.

Hermann van Veen, Der Trommler

Für Eveline

Die wichtigsten Orte der Handlung

Inhalt

Präludium

Kain

Josef

Ein Feldzug beginnt

Außerhalb der Burg, Vitt

In der Burg

Gefahr

Altenkirchen

Gewitter

Vor dem Kampf

Abschied von Rugia

Die Jaromarsburg ist gefallen

Rast an der Mündung der Hilda

Beute

Prägung

Saline

Lohn

Ankunft in Moorbrüggen

Willkommen?

Lebensboote

Mittsommernacht

Ein gutes Werk

Heimat

Handel

Inger will Ture

Rache

Mit Inger…

Überfall auf Moorbrüggen

Grypswold

Fisch und Karneol

Auftrag ist Auftrag

Auftrag ausgeführt

Uhl und Nachtigall

Wohngemeinschaft

Grypswold wächst

Zorn

Bündnisse

Viking auf Moorbrüggen

Menschen sterben

Lyr flieht nach Grypswold

Auch Orte können sterben

Tures langer Marsch

Arne wirbt

Ganz unten

Lyr hat Durst

Pflegefälle

Aufschwung?

Handel

Die Flotte ist fertig

Waffen

Schlacht

Rauch

Grypswold wird zur Festung

Frieden

Epilog

Quellen

Präludium

„Sag, Josef, wo kommt dein seltsamer Familienname her? Dainer! Da passt kein Beruf zu, keine körperliche Besonderheit. Ich kenne auch keinen Ort, der so heißt.“

Stoffel stochert in der Glut, bis die Funken fliegen. Die Flammen beginnen wieder zu flackern, Josefs Gesicht leuchtet im warmen Licht des Feuers auf, als er sich nach vorn beugt. Er wendet sein schmales Gesicht dem Freund zu.

„Bei dir ist das einfach? Lindemann, der Mann, der von der Linde kam?“

Stoffel lacht.

„Lindemann! Ich glaube, die im Dorf haben meinen Familiennamen schon lange vergessen. Für die bin ich nur noch Stoffel. Gerade mal die Briefträger kennen meinen Familiennamen!“

Die Männer sitzen still und überlegen. Ja, wo kommen die Namen her? Dainer ist wie Musik, vielleicht ein Name, eingedeutscht, ein Rest aus fernen Ländern?

Josef überlegt laut „Mein Großvater war Soldat, später Lehrer, schon mein Urgroßvater war Bauer. Die meisten dürften Bauern gewesen sein. Damit steht die Quelle meines Namens sehr wahrscheinlich mit einem Ort in Verbindung, denn Bauern klebten an der Scholle.“

Josef ist jeder Anstoß recht, alles wird gerade bei ihm zu einer Geschichte.

„Sag, Stoffel, ihr seid doch mit dem Boot um Rügen herum gefahren.“

Stoffel nickt, zaubert sein Bier irgendwo aus dem Dunkel, lehnt sich nach hinten und nimmt einen großen Schluck. Es gluckert leise.

„Ist dir nicht dieser seltsame Hügel am Kap Arkona aufgefallen?“

Stoffel setzt wieder ab.

„Klar, ist doch nicht zu übersehen. Die Hälfte liegt schon unten. Das ist die Jaromarsburg.“

Josefs Gesicht hängt wie eine Maske im Dunkel.

„Weißt du, das Jaromar ein Ranenfürst war, letzter Heide auf Rügen?“

Stoffel sieht ihn an, das Gesicht ein Fragezeichen. Josefs Gehirn nimmt Fahrt auf.

„Was, wenn mein Name aus dem Slawischen kommt, etwa von dai mnje, wie gib her! Dann wären meine Vorfahren Räuber!“

Jetzt muss Stoffel grinsen, etwas Russisch kann er auch noch.

„Möglich auch, deine Urahnen waren Geizkragen, denn dai nje heißt, es gibt nix, oder?“

Josef reckt sich, gähnt.

„Geizkragen! Also! Feierabend, lass uns ins Bett gehen!“

Er zeigt auf das Haus am Ryckbogen, alle Lichter sind bereits aus. Schnell sind die Campingstühle weggestellt, das Feuer ist sowieso nur noch ein mageres Glutnest. Stoffel schlägt dem Freund auf die Schulter, bevor er in Richtung der Brücke im Dunkel verschwindet.

„Schlaf gut, du Dostojewski!“

Josef hört Stoffels Schritte auf den Brettern der Brücke. Dostojewski! Er schüttelt den Kopf. Leise öffnet er die Tür des Hauses, Annalia, seine Frau, und die Tochter Ama schlafen schon fest, jedenfalls ist alles ruhig und dunkel. Nur der Hund fiept an der Tür. Josef lässt ihn nochmal raus, damit er nicht in die Küche pinkelt. Die Tür zum Bad quietscht leise, im Spiegel sieht Josef prüfend sein Gesicht an, zieht die Wangen nach unten.

Tatsächlich, etwas Slawisches hat sein Gesicht. Die hohen Wangenknochen, die hageren Wangen, ein Dostojewski! Der Stoffel! Nun ist Josef wieder hellwach. So braucht er sich nicht zu Annalia zu legen, sein Gezappel würde ihr sowieso nur den Schlaf rauben.

Also putzt sich Josef die Zähne, holt den Hund wieder herein und schaltet im Wohnzimmer die kleine Stehlampe an.

Was waren das für Zeiten, als die Ranen auf Rügen das Evangelium empfingen? Sein Vater hätte ihm gesagt, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Auch so ein Spruch! Wie war denn das Sein auf Rügen?

Hatten die Ranen Geld? Josef schaltet den PC ein und schon bald ist er im Juni 1168 angekommen. Josef steht wie Jaromar auf einem Turm, die Schlacht gegen den christlichen Kriegerbischof Absalon steht bevor.

Wrippel, der Hund in der Gegenwart, beginnt sich zu kratzen und Josef fällt aus seinem Traum. Er hilft dem kleinen Hund beim Jucken.

„Na, ist schlimm, so eine Allergie, was?“

Der Hund kneift wohlig die Augen zusammen. Durch Josefs Kopf schießen die Ideen. Vor einigen Jahren entdeckte ein Familienvater an der Tollense einen Knochen, in welchem eine Feuersteinspitze steckte. Später zeigte sich, hier hatten sich einheimische Nomaden und Hethiter aus dem Zweistromland in die Haare bekommen. Mehr als eintausend Gebeine sollen im Schlamm stecken! Alle von Männern zwischen 18 und 35 Jahren.

Was hat die denn geritten?

Warum mussten die sich die Schädel einschlagen?

Warum nicht ganz vorn beginnen?

Warum ist Kain auf Abel losgegangen?

Josef nimmt sich seinen Laptop auf die Oberschenkel, Wrippel kringelt sich neben ihm ein. Das Licht leuchtet traulich, Benterdal liegt und schläft, das leise Klappern der Tasten beginnt. Josef ist im Zweistromland angekommen, ganz kurz nach dem Paradies. Er ist Kain, spürt das Brennen der Sonne.

Kain

Alles geht schnell, ohne dass ich es recht will. Die Sonne knallt unbarmherzig auf die staubige Erde. Das ewige Lamentieren meines Bruders geht mir auf die Nerven. Und Durst, einen Durst habe ich, die Lippen sind rissig, trocken. Während ich von hinten auf den Bruder zulaufe, der, ohne den kommenden Angriff zu ahnen, weiter vor sich hin brabbelt, stiehlt sich meine Zunge wie von selbst zwischen die trocknen Lippen. Voller Hass fixiere ich die hervortretenden Sehnen am Hals Abels, dessen Kopf nickt, gleich dem Kopf eines gehenden, saudummen Schafes. Was für ein stieriger Idiot, warte, dir werde ich es zeigen. Mein Blick zuckt zu den Seiten, auf der Suche nach etwas, nach irgendetwas, womit ich dem Bruder weh tun könnte.

Abels Fuß knickt ein, sogar zum Laufen ist der Kerl zu dämlich, aber da, da liegt der Stein, der ein Ende verspricht. Das Schaben des Steines, das leise Klatschen in meiner Hand muss Abel aufmerksam gemacht haben, vielleicht ist es auch die Angst, sein Schutzinstinkt, der macht, dass er sich im letzten Moment vielleicht noch wehren will?

Doch es ist zu spät, der Stein fliegt, schon während er den Kopf wendet, die Hände noch fest an den Griffen des Hakenpfluges. Mit einem trockenen Knacken trifft der Stein den Kopf meines Bruders, durchschlägt die Schädeldecke oberhalb des Ohres, reißt Kopf und Mann mit sich auf seinem Weg zurück zur Erde, so dass Abel nun neben dem Pflug liegt.

Der Ochse bleibt sofort stehen, dreht den Kopf, soweit das Kummet dies zulässt, das Weiße des Auges schimmert. Dann brüllt das Tier, der ganze Körper spannt sich diesem Schrei entgegen, während aus Abels Kopfwunde nur ein ganz klein wenig Blut quillt.

Abel dreht den Kopf, will er den Ochsen ein letztes Mal beruhigen? Und ich? Ich beobachte genau, wie die letzten Gedanken ihre Abbilder über die Stirn meines Bruders schicken, wie die Ablehnung der Situation dem jähen Erkennen weichen muss, wie dem jähen Erkennen der tiefe Frieden folgt, der letzte Blick in das Himmelsblau.

Als die Augen Abels erlöschen - sie gehen tatsächlich aus wie ein erlöschendes Feuer, werden stumpf wie ein Dolch auf Stein, sein Augenlicht bricht, sucht euch aus, was euch am besten passt, - als er offenbar nicht mehr erfassen kann, dass ich, sein Bruder, neben ihm stehe-, hebe ich den Kopf und lausche.

Die Sonne brennt weiter, mein Mund ist immer noch trocken und der Ochse nutzt die kurze Pause, seinen Mageninhalt wiederzukäuen. Eine Lerche tiriliert und in der Ferne höre ich das stampfende Mahlen Rachels, die jetzt das Korn für mich allein zerstößt. In diesem Moment weiß ich, dass mein Handeln völlig logisch war, denn auf dieser Erde ist nur Platz genug für mich, für mich, Kain!

Josef

Josef lehnt sich zurück. Nicht schlecht, fürs Erste! Er streichelt Wrippel, der vor Wonne schnauft und die Beine in die Höhe reckt. Josef murmelt.

„Warum fand der Mann in seinem Schlauchboot Knochen in der Tollense?“

Nach kurzem Suchen liefert ihm das Internet Auskunft. In Rostock wurde ein Lehrstuhl für Archäologie eröffnet. Den Grund dafür lieferte die Bootsfahrt dieses Mannes. Hier, an der Tollense, hat sich eine der ersten großen Schlachten des Nordens ereignet. Josef schreibt wieder weiter.

Vor 3300 Jahren zerbrach das Reich der Hethiter in furchtbaren Kriegen. Die Schockwellen des Zusammenbruchs reichten weit über die damaligen Grenzen des Reiches hinaus. Sie reichten bis in das Tal der Tollense, dem Abfluss des gleichnamigen Sees nahe dem heutigen Neubrandenburg.

Hier, am Ufer des kleinen verträumten Flusses, prallten genau zu dieser Zeit Menschen verschiedener Entwicklungsstufen, verschiedener Welten aufeinander. Die Suchenden aus dem Süden brachten das Wissen ihrer zerfallenen und zerstörten Welt mit sich; sie besaßen die Kenntnisse der Metallbearbeitung, konnten verschiedene Metalle miteinander in Schmelzen mischen und in erheblichen Mengen den härtesten formbaren Werkstoff der damaligen Zeit bearbeiten, die Bronze. Hier im Norden trafen sie auf erbitterte Gegner, die sich mit allen Mitteln gegen die befürchtete Verdrängung aus ihrem Lebensraum wehrten. Jäger und Sammler aus einem riesigen Bereich schlossen sich zusammen, gegen die suchenden Vorboten einer Hochkultur zu kämpfen. Sie kämpften auf verlorenem Posten. Das Ende der Welt, wie die Jäger und Sammler sie kannten, war besiegelt. Nach der Schlacht blieb vor der Schlacht.

Während weit im Süden, in den Metallhütten der Hethiter, bereits das Ende der Bronzezeit und der Übergang zum massenweisen Gebrauch von Eisen und Stahl vorbereitet wurde, nahm die Assimilation der Überlebenden der Schlacht an der Tollense ihren Lauf, ging das Leben zur Tagesordnung über.

Während weit im Süden die rücksichtslosen und beweglichen Machtsysteme ihre Dauerhaftigkeit mit Mord, Totschlag und Krieg trainierten, ging in den härteren klimatischen Zonen des Nordens der Kampf ums Überleben von der extensiven Nutzung gewaltiger Ländereien zur intensiven Nutzung und dichteren Besiedlung über.

Die Jäger und Sammler, allesamt Nomaden, wurden sesshaft, sie wurden zu Ackerbauern und Viehzüchtern, also Bauern.

Arbeitsteilung und Spezialisierung waren die Folge, die Arbeit führte zu Ergebnissen, die verglichen und bewertet wurden. Tausch und Handel bauten die vorhandenen Kommunikationswege aus.

Die Menschen sind verschieden in Größe und Körperbau, sie sind verschieden an Kenntnissen und Auffassungsgabe, sie sind verschieden in ihren Gefühlen, in Freude und Leid. Sie sind rücksichtslos oder voller Mitgefühl, kein Charakter, der dem anderen gleicht. Die einen greifen nach der Macht, andere ordnen sich unter.

Wer einmal eine Position, einen Status erreicht hat, hält ihn fest, gibt ihn seinen Kindern weiter. Cliquen halten zusammen, Clans reden dieselbe Sprache. Auf dieser Grundlage bildeten sich Dörfer heraus. An den Knoten des Handels erteilten die Clanchefs das Marktrecht, Städte wurden gegründet, das alte Spiel der Siedler war aus dem Zweistromland herausgetreten und im Norden angekommen.

Mit dem immer weiteren Rückzug des Eises in Richtung Norden stiegen die Erträge, das Klima verbesserte sich. Die Zahl der Siedler wuchs und wuchs. Etwa zweitausend Jahre später, die Ströme der sogenannten Völkerwanderung, sind annähernd zur Ruhe gekommen, beginnt das Spiel um Einfluss und Macht im Westen der Ostsee aufs Neue.

Die Beteiligten sind diesmal nicht assyrische Adlige, die gegen hethitische Stammesfürsten vorgehen, sondern dänische Potentaten, die nach dem Handelsweg des Nordens greifen, nach dem Meer! Im Jahre 1168 macht sich der Bischof von Roskilde, Absalon, Ziehbruder des Dänenkönigs Waldemar, auf den Weg in Richtung Osten. Sein Ziel ist die Zerschlagung des Fürstentums der Ranen auf der Insel Rügen, die von Waldemar unabhängig ihrem Clanobersten Jaromar Tribut zollen. Und nur ihm!

Ein Feldzug beginnt

Absalon

Als ich an diesem klaren Morgen im Frühjahr des Jahres 1168 die Burg in Roskilde verlasse, höre ich die hellen Schreie der Möwen. Ich nehme das als gutes Zeichen, auf jeden Fall als ein besseres, als das sonst alltägliche Geknarre der Krähen, die gern auf den Zinnen der Burg rasten.

Unsere Flotte steht im Roskilde Fjord bereit, am Ufer rauchen noch die Küchenfeuer. Auf mein Zeichen reiten die Hauptleute der Landetruppen voraus, den Kapitänen den Befehl zur baldigen Ausfahrt zu geben. Der Wind weht stetig aus Süd, die ersten faserigen Wolken deuten auf den Wetterumschwung hin, der uns Westwind bringen wird. Dieser Wind aber trägt uns bis in das Ranenland nach Rugia, deren unerträglicher Götzendienst dort gebrochen werden muss.

Waldemar, mein Ziehbruder würde mich auslachen.

„Götzendienst? Lieber Bruder, die Ranen haben ein funktionierendes Gemeinwesen aufgebaut, ihre Geschäfte gehen ausgezeichnet! Lass uns teilhaben daran, bring mir den Zehnten oder meinetwegen ein Fünftel ihrer Erträge. Aber vor allem, bring mir ihren Treueschwur, ihren Lehnseid. Das Pommernland und Mecklenburg den Her-zögen, doch wenn ich, der König, Rugia kontrolliere und das Grenzland und die Seehandelswege, gehört mir das Baltikum! Mach Jaromar das deutlich.“

Jaromar sitzt in seiner Burg am Nordkap Rugias, und er sitzt dort nicht schlecht. Von Norden aus haben wir keine Chance, die Ringburg zu erstürmen, zu steil sind dort die Klippen. Wir werden also, vom Westwind getragen, an der Westküste Rugias landen und die Burg belagern.

Eine Belagerung dort ist einfach, denn wo sollen die Leute Jaromars hin, wenn nicht ins Wasser? Ein Angriff aber bräuchte eine gehörige Übermacht. Eine Übermacht? Ein Teil meiner Übermacht verlässt gerade ziemlich gemächlich die Frühstückfeuer.

Viele der Soldaten haben altes Wikingerblut in sich, sie sind satt, ihre Ausrüstung ist gut. Ich muss ihnen etwas geben, wofür es sich zu kämpfen lohnt. An den ersten Feuern springe ich vom Pferd, bis zum Flaggschiff bleibt nur noch ein kurzer Weg. Der Kapitän des ersten Schiffes eilt mir die Gangway herunter entgegen, ergreift meine Hand und küsst den Ring an ihr.

„Bischof Absalon, Gott mit dir!“

„Mit uns, Alfgrimur, mit uns!“

„Wann werden wir die Segel hissen?“

Inzwischen hat sich eine Ansammlung der Soldaten gebildet, die auf das Schiff will. Schnell steige ich einige Sprossen der Gangway hinauf und von hier aus brülle ich über die Köpfe der Gruppe.

„Wir werden die Segel jetzt hissen, und wir werden Jaromar unseren Heiland bringen. Wenn wir heimkehren, werden auf Rugia Kreuz und Kirche bleiben. Gebt es an alle eure Gefolgsleute, an eure Kameraden weiter: Wir segeln mit Gott, und wir werden das Licht in die seit Ewigkeiten währende Finsternis des Götzendienstes bringen. Wir werden all jene gnadenlos vernichten, die sich uns in den Weg stellen! So wahr mir Gott helfe!“

Ich ziehe das Schwert aus der Scheide, halte es hoch über den Kopf, ein Finger, der zu Gott zeigt. Dann greife ich um, halte das Schwert wie ein Kreuz in der Linken, während ich mit der Rechten das Kreuz spende.

„Wir werden siegen! Dem Svantevit die Hölle!“

Die Soldaten begannen zu brüllen.

„Absalon! Absalon! Absalon!“

Die Aufmerksamkeit der Soldaten der anderen Schiffe ist greifbar, schon eilen Abgesandte aller Schiffe auf uns zu. Die Vergrößerung des Auflaufes muss ich vermeiden, denn wir können uns keine weiteren Verzögerungen erlauben. Schnell steige ich wieder auf mein Pferd, halte weiter das Schwert wie ein Kreuz in die Höhe, nach kurzem Trab ist die Gangway des Flaggschiffes erreicht. Die Signalgasten heben die Fahnen, die Matrosen entern auf, während sich die Soldaten schnell um die besten Plätze neben den Pferden drängen. Die Segel entrollen sich, knattern zuerst lose. Kommandorufe schallen, die Leinen werden gefiert, der Wind greift, die Segel blähen sich, und die Flotte schiebt sich Schiff auf Schiff in Richtung Kattegat. An den Küsten Mecklenburgs und Südschwedens, hier liegen die Pommerschen Schiffe auf Reede, gleichen sich die Bilder, die Soldaten der vereinigten Flotte besetzen ihre Plätze. Gegen Mittag dreht der Wind wie vorhergesehen auf West, die Matrosen setzen auch hier die Segel, die Fahrt gegen Rugia hat begonnen. Wir werden die Jaromarsburg belagern.

Außerhalb der Burg, Vitt

Ture

„Der Schmied muss ran, der Schmied!“

Mit aller Kraft versuche ich den Haken des Setzkeschers so in die Öse des Steges zu hängen, dass die gefangenen Fische zwar im Wasser bleiben, nicht jedoch aus der handbreiten Öffnung der Reuse entwischen können.

Lyr, die auf der Brücke kniet, zieht den Kescher in die Höhe, um den Haken zu entlasten. Ich drücke und zerre, es ist hoffnungslos. Lyr nestelt sich den Gürtel von der Hüfte und, siehe da, nach wenigen Handgriffen schaukeln die Fische im Wasser, während die Öffnung der Reuse hoch über dem Wasser am Haken hängt.

Lyr spottet „Der Schmied muss ran, der Schmied!

Geht wohl auch ohne Eisen!“

An meinen Händen kleben silbrige Schuppen. Ich klopfe mir die Schuppen an der Hose ab. Als ich zu Lyr hinauf auf den Steg schaue muss ich lächeln und die Augen zusammenkneifen, denn die Sonne, die Lyr noch vom Land her anstrahlt, verpasst ihr eine Aura, die heller leuchtet, als ihr helles Haar.

Ach, Lyr, wenn du wüsstest! Gestern noch dürres Mädchen, mit eckigen Schultern und knorpeldicken Gelenken, heute schon alles an dir rund und reif! Hinter Lyr, in Richtung Norden, über der Jaromarsburg, steigt der Rauch nur wenig in die Höhe, dann treibt ihn der Westwind über die Wieck. Mit dem Rauch zieht ein dumpfes Dröhnen über das Meer. Ich spitze die Ohren.

„Du, Lyr, wir müssen zur Burg! Die große Trommel wird geschlagen.“ Lyr zuckt die Schultern.

„Die große Trommel, pah! Wenn wir jedes Mal zur Burg laufen würden, wenn Jaromar einen Angriff vermutet. Weißt du noch, gerade vorgestern, als die Trommel ebenfalls geschlagen wurde? Die Schiffe fuhren in Richtung Norden, wir waren denen völlig egal. Außerdem, meint Jaromar, wie kommen die die Felsen herauf? Sind doch keine Vögel! Ist er so ein Held, dass er vor einigen Schiffen Angst hat?“

Lyrs große Klappe ist manchmal unmöglich. Also mahne ich sie.

„Sei lieber still, Lyr. Dein großer Mund bringt dich noch ins Unglück. Jaromar ist vorsichtig. Das muss er auch sein, denn, denk nur, er hat den Schatz der Ranen in der Burg. Und wenn wir das wissen, dann weiß es auch der Wind.“

Ich zeige auf die Rauchschwaden, die in Richtung Osten vorbeiziehen.

„Siehst du, wenn es der Wind weiß, wissen es die Pommern. Wenn es die Vögel wissen, wissen es die Mecklenburger!“

Dann zeige ich in Richtung Westen, ziehe die Schultern hoch.

„Was ist das nur für ein Leben, so zwischen Nachbarn, die nur eines wollen, unseren Schatz!“

Lyr springt vom Steg in den Sand. Zwischen den Büscheln des Dünengrases führt der Weg zwischen den wenigen niedrigen Hütten hinauf auf das Plateau des Nordkaps. Bis zum Sonnenuntergang könnten wir bei der Burg sein.

Lyr läuft den Hang hinauf, ihr macht das nichts, sie läuft so gern! Oben schirmt sie die Augen gegen die tief im Westen stehende Sonne. In der Ferne ziehen einige Wagen, Menschengruppen eilen auf das für sie unsichtbare Tor zu. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir laufen jetzt los, dann sind wir bis zum Sonnenuntergang am Tor, oder wir bleiben hier. Ich kenne die Sturheit der Torwächter. Ein Eintreffen nach Sonnenuntergang hat zur Folge, dass derjenige, der Einlass begehrt, wirklich gute Gründe vorbringen muss. Diese guten Gründe muss der Schutz-suchende durch eine kleine Klappe neben dem baumstarken Haupttor dem Hauptmann der Torhüter direkt in die Hand geben, sonst riskiert der den möglichen Anpfiff Jaromars nie und nimmer.

Und genau diese guten Gründe haben weder Lyr noch ich. Wozu brauchen wir auf der Jaromarsburg sonst schon Geld? Wofür bekämen wir schon welches? Die meisten Geschäfte, die ich abwickele, gehen im Direkttausch über die Bühne. Tja, und ich fahre nicht schlecht dabei, meine geräucherten Fische sind heiß begehrt, alles was vor und in der Burg hergestellt wird, kann ich dafür bekommen. Nur für den Eintritt nach Sonnenuntergang, dafür werden wirkliche Silberstücke und keine Silberfische benötigt. Lyr wendet sich mir zu. Sie ruft

„Und, großer Fischer, was ist? Keine Lust auf Burgfrieden?“

Kann sie Gedanken lesen? Tatsächlich überlege ich, was das Bleiben bei den Hütten zur Folge hätte. Eine Nacht gemeinsam mit Lyr? Ich sehe das Mädchen gegen den abendlichen Himmel im Licht der untergehenden Sonne leuchten. Nicht die schlechteste Alternative! Ich winke Lyr zu.

„Ist bestimmt wieder ein Fehlalarm! Ich hole uns einige Fische aus dem Ofen, dann machen wir es uns gemütlich!“

Lyr kommt den schmalen Hohlweg hinunter wie der Blitz, ihre bloßen Füße scheinen die Erde kaum zu berühren, die Haare wehen, die Arme schlagen seitlich, als wollte sie das letzte Stück tatsächlich abheben. Dann springt sie mich an, der Ansturm reißt mich zu Boden. Ich halte das große Mädchen fest und Lyr legt den Kopf an meinen Brustkorb. Ich halte die Luft an, dann atme ich wieder, mein Brustkorb hebt und senkt sich langsam.

Von unserem Platz am Strand aus ist die Sonne bereits nicht mehr zu sehen. Die kühle Meeresluft steigt auf, die Möwen lassen sich schreiend in den Aufwinden tragen, sie leuchten im Abendrot wie kostbare Perlen. Das Sonnenlicht lässt in der Ferne auch das Meer der Wieck leuchten. Das Trommeln verstummt, es wird stiller, immer stiller, nur die Schreie der Möwen stören manchmal das leise Plätschern der kleinen Wellen. Ab und zu dringt ein Ruf, eine menschliche Stimme, ein Lachen bis zu uns.

Lyr liegt ganz still, wie verzaubert lauscht sie den friedlichen Tönen, während ihr Kopf langsam vor meiner Nase auf und ab steigt, von meinen vorsichtigen Atemzügen bewegt: Auf und ab, wie die kleinen Wellen, die an den Steinen unseres kleinen Fischerhafens brechen.

In der Burg

Jaromar

Die Schiffe Waldemars sind in die sichere Bucht, den kleinen Fjord im Windschatten Hiddensees eingelaufen. Meine Späher haben mir die mit Kreide gezeichneten Strichlisten gezeigt, jedes Schiff ein weißer Balken, jeder weiße Balken ein Dutzend Pferde, fünf Dutzend Männer.

Ihre Reiterei ist etwas stärker als meine. Ihre Krieger sind ebenfalls in der Überzahl. Dafür haben wir die Burg. Sie werden uns nicht angreifen, alles spricht für eine Belagerung. Ich habe das Orakel befragt: Assers Schimmel hat das schwarze Gesicht gewählt – wir haben keine Chance.

Vor Hiddensee tauchen wieder Schiffe auf, die verspäteten Pommern, unsere Brüder aus dem Osten! Sie werfen westlich vor Rugia die Anker. Vielleicht geling es mir, zu Bogislaw Kontakt aufzunehmen? Ohne den Blick von den sich in den Wind legenden Schiffen zu wenden, rufe ich meinen Freund Wedego. Ich muss brüllen, denn die große Trommel dröhnt wieder und wieder. Asser ist unermüdlich.

Wedego ist immer noch dabei, die Zahl der Schiffe, Pferde und Männer und unsere Schlagkraft dagegen zu ermitteln. Mit zusammengezogenen Brauen sieht er in meine Richtung. Ich winke ihn heran, seine Miene hellt sich auf.

„Sieh nur, Wedego, die Pommern liegen direkt vor unserer Nase. Ob wohl Bogislaw bei ihnen ist? Ob er es tatsächlich fertig bringt, gegen uns zu kämpfen?“

Wedego starrt jetzt wie ich zu den Schiffen hinüber, auf denen die Feuerschalen angehen. Er legt die Hände auf die Brüstung des Turmes. „Morgen früh werden wir es wissen. Wirst du das Orakel erneut befragen?“

Die Tore der Burg sind noch weit offen, im Licht der untergehenden Sonne kann ich den Zug der Schutz-suchenden erkennen. Warum sollte sich die Zukunft für uns ändern? Eine erneute Befragung scheint mir sinnlos. Kann es sein, dass allein die schiere Masse der Schutzsuchenden, die in die Burg strömen, das Schicksal zum Einlenken bringt? Kann Bogislaw die vereinte Flotte der Dänen und Mecklenburger in die Zange nehmen und die vorhergesagte Niederlage vermeiden?

Ich bin kein Träumer, die Tribute, die wir in der Burg lagern, sind zu gewaltig. Auch Bogislaw wird seinen Teil bekommen. Wedego kann sich das Risiko und die Mühe der Überfahrt zur Pommerschen Flotte sparen.

„Nein, Wedego, ich werde das Orakel nicht noch einmal befragen. Meinst du, es könnte sich irren?“

Wedego nimmt erschrocken die Hände von der Brüstung.

„Der Svantevit irrt sich nicht.“

Er hat nicht vor mir Angst, ist es Asser, der ihm den Schrecken einjagt? Asser, der Seher, der Opfernde, Asser, der vor dem Tempel seine Kreise um den Schimmel dreht, Asser, der unnachgiebige Vollstrecker.

„Komm, Wedego, lass uns nach den Neuankömmlingen sehen.“

Wir steigen gemeinsam vom Turm und gehen auf den Hauptplatz, den Marktplatz der Burg, auf dem in den letzten Tagen ständig Karren dichter und dichter zusammen geschoben wurden.

Zwischen den Wagen brennen einzelne Feuer, an den Tiefbrunnen stehen die Frauen geduldig, bis sie an die Reihe kommen. Sorgfältig gießen die Brunnenknechte das Wasser in die Kessel. Die Köpfe wenden sich uns zu. „Jaromar, wir müssen ständig warten, bis das Wasser in der Tiefe wieder nachgelaufen ist. Es sind zu viele Herdfeuer in Gang!“

„Ist dies am nördlichen Brunnen genauso?“

Das Wasser des nördlichen Brunnens ist leicht brackig, für das Kochen der Abendsuppen sollte es immer noch gut sein.

„Herr, das Wasser des nördlichen Brunnens will keine der Frauen benutzen, es schmeckt nicht!“

Ich wende mich an die wartenden Frauen.

„Ihr habt die Wahl: Entweder eure Tröge sind schnell gefüllt und das Wasser ist schon gesalzen oder ihr könnt hier warten, bis ihr genug vom süßen Wasser bekommt. Diejenigen, die ihre Kessel schnell füllen wollen, gehen mit ihm da zum nördlichen Brunnen.“

Ich zeige auf den jüngeren der Brunnenknechte. Etwa die Hälfte der Frauen nimmt die Kessel auf. Sie stehen unentschlossen, bis ich den jungen Mann anfahre.

„Hast du was an den Ohren? Abmarsch, mach die Familien glücklich! Sie bekommen ihr Abendessen eher und sparen noch Salz dabei!“

Weitere fünf, sechs Frauen nehmen die Kessel auf. Der Zug der klappernden Eimerträgerinnen schlängelt sich durch die Wagenburg. Eine Burg in der Burg!

„Du, Wedego, wenn wir den Männern hier Waffen geben, haben diejenigen, die durch dieses Gewimmel, diese Burg in der Burg, wollen, keinen leichten Weg!“

„Verzeih, Herr, wenn diejenigen, die durch dieses Gewimmel wollen, Fackeln bei sich haben, wird die Burg in der Burg brennen, dass es bis Dänemark zu sehen sein wird.“

Ich springe auf den nächsten Wagen, forme mit den Händen einen Trichter, rufe für die Abziehenden und die Wartenden.

„Nach dem Abendessen müsst ihr die Kessel noch einmal mit Wasser füllen. Dann nehmt ihr nur Wasser aus dem nördlichen Brunnen! Die Kessel bleiben von jetzt an voll. Jede Feuerstelle, die mit leerem Kessel angetroffen wird, zahlt einen viertel Silberling Strafe!“

Und leise sage ich zu Wedego

„Du kontrollierst das morgen früh. Bei leerem Kessel kassierst du. Wer kein Geld hat, bekommt fünf Rutenhiebe. Ich wette, bevor du den zweiten Fall abkassierst, sind die vergessenen Kessel alle voll! Kommst du mit zu Asser? Ich will sehen, ob das heutige Opfer gut war. Einen verärgerten Svantevit können wir nicht brauchen.“

Wedego geht nicht mit mir, er kümmert sich um die Waffen, die im Anbau des Haupthauses, gleich neben den Pferdeställen, bereit liegen. Fünf seiner Reiter erfassen im Torhaus die wehrhaften Männer. Auch diese Erfasser sind, wie die Späher, mit der guten Kreide und einer Schiefertafel ausgestattet. Mit den Neuzugängen können wir die Krieger der Pommern hoffentlich zahlenmäßig ausgleichen. Aber ich frage mich, wozu, warum die ganzen Bemühungen, wenn wir doch verlieren werden?

Wenn uns Absalon den Landzugang abschneidet, müssten wir den Ausfall wagen. Doch ein Ausfall mit Bauernkriegern? Berge von Leichen wären die Folge.

Während ich langsam in Richtung des Tempels gehe, sehe ich in die Gesichter. Einige blicken freundlich, doch die meisten schauen finster. Jetzt verstummt die große Trommel, und ein spürbares Aufatmen zieht durch die Reihen, zu bedrohlich wummert der Klang der großen Trommel.

Es ist wohl nur einer, der diesen Klang geradezu liebt. Da steht er, Kopf an Kopf mit dem Tempelschimmel. Sein Trommler blickt mir mit fragendem Blick entgegen. Soll ich weitertrommeln? Er hebt fragend den Schlegel. Um Gottes willen! Nein! Ich wedele abweisend mit den Armen. Der Junge, halbtaub vom dröhnenden Ton, versteht die Geste. Er lässt die Schultern hängen und beobachtet weiter den obersten Priester, von dem seit geraumer Zeit keine Weisungen mehr kommen.

Auch ich starre auf Asser und das Pferd, bis der Schimmel den Kopf hebt und mir erwartungsvoll entgegen prustet. Nun heben sich Assers Lider, seine wachen Augen blitzen aus ihrem faltigen Bett.

„Jaromar, der Svantevit sprach nur noch leise, sein weißes Gesicht weilt bereits hoch im Norden. Osten und Westen haben uns ebenfalls verlassen. Nur der unaussprechliche, der schwarze Geist weilt hier im Lager. Ich habe das Horn mit Wein gefüllt, der Honig fließt schon vom Sockel. Waldemars Gott ist stärker, warum sonst hat sich die Kraft geteilt?“

Seine Augen flackern, so kenne ich Asser nicht. Zweifel waren ihm fremd, Zweifel bei anderen duldete er nicht. Manchen Zweifler schickte er über die Klippe, die Krähen zeigten an, wie ihm das Zweifeln bekommen war. Muss er nun selbst über die Klippe? Eine Gänsehaut jagt mir den Rücken hinunter.

„Wirst du dem weißen Geist folgen?“