Sauerstoff - Jens Kirsch - E-Book

Sauerstoff E-Book

Jens Kirsch

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Beschreibung

Ob Ella besser einschlafen wird, wenn ihr Mann Fred nicht mehr schnarcht? Ob Marja, mit Freundin Petra und Großmutter, jemals Wolin, welches so sehr dem sagenhaften Vineta gleicht - für die Großmutter jedenfalls-, erreichen wird? Wird Mucki die Schläge seiner Mutter verkraften? Vertreiben die Männer um den langen Petersen vermeintliche Diebe aus ihrem Dorf? Lesen Sie die teils vergnüglichen, teils bitteren Geschichten, die zwar in ihren kurzen Fassungen Einschlafformat haben, nicht jedoch in ihren Inhalten.

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Ob Ella besser einschlafen wird, wenn ihr Mann Fred nicht mehr schnarcht? Ob Marja, mit Freundin Petra und Großmutter, jemals Wolin, welches so sehr dem sagenhaften Vineta gleicht - für die Großmutter jedenfalls-, erreichen wird? Wird Mucki die Schläge seiner Mutter verkraften? Vertreiben die Männer um den langen Petersen vermeintliche Diebe aus ihrem Dorf?

Lesen Sie die teils vergnüglichen, teils bitteren Geschichten, die zwar in ihren kurzen Fassungen Einschlafformat haben, nicht jedoch in ihren Inhalten.

Für Susann

Inhaltsverzeichnis

Sauerstoff

Casa Monte Daltierra

Marjas Großmutter

Nach den Gewittern

Projektarbeit

Rote Pickel

Streife

Bis die Fetzen fliegen

Thailand

Gina ist weg

Urks

Sackgasse

Krischan, Lene und das Kätzchen

Aschkatze

Die Türmer

Höfe

Eine sehr kurze Ehe

Überall…

Sauerstoff

Ella Merten war die Verkörperung dessen, was man landläufig als eine gestandene Frau bezeichnet. In der Größe Mittelmaß, mit einigen Pfunden zu viel an den richtigen Stellen, drehte sich noch mancher Kerl nach ihr um, wenn sie durch die Fußgängerzone der Stadt flanierte, obwohl sie aus dem Alter nun tatsächlich heraus war. Immerhin konnte sie voller Stolz auf ein halbes Dutzend Enkel verweisen, die, zumindest die Älteren von ihnen, ebenfalls ihren Mann standen. Oder die Frau, wenn Sie so wollen. Ella fühlte sich rundherum wohl im Leben. Die Tage vergingen in gemächlicher Gleichmäßigkeit. Ihr Mann Fred verließ jeden Morgen pünktlich das Haus und kam erst am späteren Abend wieder, denn seine Arbeitsstelle lag einige Orte entfernt. So addierte sich zwar die Fahrzeit zu seinen täglichen acht Stunden, doch diese kleine Unannehmlichkeit wurde durch die großzügige jährliche Steuerrückerstattung der gefahrenen Kilometer mehr als ausgeglichen. Jedenfalls aus Sicht Ellas, die sich jedes Jahr wieder ein schönes neues Kleid von der Lohnsteuerausgleichszahlung leistete.

Ja, der Mensch muss sich etwas gönnen, und die begehrlichen Blicke der Männer auf der Flaniermeile gaben ihr irgendwie auch recht. Und wenn sie die Kleider jedes Jahr einen Tick kürzer wählte? Wenn schon, denn auf ihre schönen Beine konnte Ella wirklich stolz sein!

Es hatte also alles seine beste Ordnung.

Aber wie es das Sprichwort besagt: Unter jedem Dach wohnt ein Ach! Und das Ach Ellas bestand in einer kleinen unscheinbaren Verkrümmung im Nasengang ihres Mannes, die dazu führte, dass Fred, sobald er sich in die Horizontale begab, unweigerlich zu schnarchen begann. Viele Jahre ertrug Ella das nächtliche Getöse neben ihr klaglos. Vielleicht trug ihr allabendlicher Erschöpfungszustand, der aus der anstrengenden täglichen Arbeit und den tagesabschließenden Ritualen der Kindererziehung resultierte, dazu bei, dass sie das Schnarchen ihres Gatten kalt ließ? Vielleicht war ihr Schlaf damals einfach tiefer, weil sie noch jung war?

Zuerst verließen die Kinder das Haus, später wurde die Arbeit leichter. Sie brauchte sich nicht mehr krumm zu legen und hatte schließlich auch andere Bedürfnisse, als Abend für Abend neben einem von der Arbeit ausgelaugten alten Sack einzuschlafen, um ihm dann am Morgen den Kaffee zu kochen und die Brote zu schmieren.

Während Fred also seinem eisernen Lebensrhythmus folgte, und jeden Abend pünktlich gegen neun Uhr in seinem Bett verschwand – er musste schließlich früh raus -, verschob Ella ihre Ablage im gemeinsamen Ehebett in kleinen Schritten in Richtung Mitternacht.

Später hörte sie von den verschiedenen Schlaftypen, von Eule und Lerche, mochte sich allerdings nie als Eule einordnen. Denn immerhin war sie auch nach dem Abschluss der zeitlichen Verschiebung des Zubettgehens immer noch früh auf den Beinen. Fred bekam weiter seinen morgendlichen Kaffee und seine Brote von ihr zubereitet. Ebenso wenig, wie sie sich als Eule sah, konnte sie Fred als Lerche einordnen. Dafür machte er ihr einfach zu viel Lärm in der Nacht!

Und dieser Lärm klang wirklich nicht wie Lerchengesang: Das Schnarchen klang weniger wie Tierisches, eher wie etwas Technisches, etwas ungesund Kaputtes.

Früher, als sie noch in der landwirtschaftlichen Genossenschaft arbeitete, wurde sie am Morgen, gemeinsam mit den Kindern, in einem altersschwachen Bus der Marke Ikarus abgeholt. Der Ikarus wurde in keiner Weise seinem Namensgeber gerecht. Wenn der Fahrer auf das Gaspedal trat, röhrte und schnaufte die Karre und stieß gewaltige rußige Schwaden aus.

Dazu kam das krachende Geklapper der Motorenhaube, die sich am Heck unterhalb der durchgehenden Rückbank befand und bei jeder Delle ihren Beitrag zum Lärm des Transportfahrzeuges leistete. Und genau an diese Mischung von asthmatischem Aufbrüllen des betagten Dieselmotors und rhythmischem Blechschlag der Haube dieses Busses erinnerte sie nun Abend für Abend das Atemgeräusch des Gefährten an ihrer Seite.

Zunächst versuchte sie, das Schnarchen durch sanfte Gewalt zu beenden. Sie hielt Freds Nase zu, stupste ihn liebevoll an, rüttelte manchmal auch sanft an seiner Schulter.

Ja, Fred unterbrach die Tiefschlafphase und begab sich in fast muntere Traumgefilde, wie ihr seine rollenden Augäpfel bewiesen. Doch kaum schaltete Ella das Licht aus, kehrte Fred in den Modus der gleichmäßig lärmenden Ikarusfahrt zurück.

Später folgte mancher Tritt, den sie ihm gab. Das Ergebnis blieb ähnlich. Vielleicht war der Übergang in die ruhigere Phase des Aktivschlafes ein klein wenig länger - dafür erfolgte der Rückfall in den Dauerlauf des Krawallschlafes nach kurzer Pause umso heftiger.

Ella wusste sich nicht anders zu helfen. Sie verließ das eheliche Schlafgemach, um auf dem Sofa des Wohnzimmers die erforderliche Nachtruhe zu finden. Ein Sofa ist nun aber keine geeignete Schlafstätte und so setzte für Ella ein Schlafmartyrium der besonderen Art ein: Nach Nächten regelmäßig durch Rückenschmerzen unterbrochenen Schlafes auf dem Diwan trieb sie die Müdigkeit wieder ins Ehebett, wo sie der schnarchende Fred bereits erwartete. Nach wenigen Wochen war Ella nervlich und körperlich am Ende. Sie verschlief regelmäßig die morgendlichen Arbeitsvorbereitungen ihres Mannes und Fred war gezwungen, sich seine Stullen selbst zu schmieren. Ja, selbst der Bedienung der Kaffeemaschine musste er sich stellen, wollte er den täglichen Muntermacher genießen.

Fred war davon nicht angetan. Schließlich brachte er das Geld ins Haus, zumindest mehr als Ella.

Dafür durfte er doch wohl erwarten, dass früh der Kaffee auf dem Tisch steht, oder? Und so gern Ella den zunächst wohlwollend vorgetragenen Wünschen des Ehegatten nachgekommen wäre – einige Nächte in der Schlafhölle machten die guten Vorsätze null und nichtig. Entweder ihr tat beim Schlaf auf der Ottomane der Rücken so weh, dass sie erst am Morgen in einen unruhigen Schlummer fand, der ungefähr um den Startzeitpunkt Freds herum dann in die Tiefschlafphase überging, oder sie lauschte dem Brüllen ihres Mannes. Beide Arten der Ruhephase führten zum gleichen Ergebnis: Kaffee und Brote fielen aus.

Fred fühlte sich als Herr des Hauses herabgewürdigt. Mit eisiger Miene löffelte er selbst den Kaffee in den Filter, mit grimmigem Blick strich er die Butter auf die Brotscheiben. An den Abenden würdigte er seine Frau keines Wortes.

Die Stimmung im Hause Merten war am Tiefpunkt angekommen. Es konnte so nicht weitergehen. Ella konsultierte in aller Heimlichkeit ihre kürzlich geschiedene Freundin und informierte sich genauestens über die diversen Stufen des Niedergangs dieser Ehe. Fred studierte die Annoncen in „Sie sucht ihn“.

Wie der Zufall es will, kam Fred eines Tages ein Rollstuhlfahrer entgegen. An sich schaute Fred über Behinderte ganz gern hinweg. Er will sich mit dem Thema nicht befassen! Aber irgendwie kam ihm der Typ vage bekannt vor und, ja, es war Jürgen!

Zwei Schläuche in der Nase des alten Freundes führten zu einem kleinen rucksackartigen Tornister. Jürgen hatte eine Sauerstoffflasche an Bord des kleinen Elektrofahrzeugs, die ihm den Stoffwechsel in Schwung brachte.

Nach einem kurzen Gespräch – Hähä, was haben wir nicht gesoffen! - holperte der ehemalige Freund davon.

Fred aber ging nachdenklich weiter. Sauerstoff, Eigenblutdoping, war das nicht früher ein Privileg der Reichen, oder zu ehrgeiziger Sportler, die sich mit Sauerstoff fit hielten? Könnte er nicht mit Sauerstoff sein Schnarch- und Ellas Schlafproblem beheben?

Ich will es kurz machen: Beim Einschlafen Schläuche in der Nase zu fühlen – daran musste sich Fred erst gewöhnen. Aber selbst diese kleine Unannehmlichkeit führte bereits dazu, dass sein Schnarchen unterdrückt wurde.

Klar, zunächst muffelte Fred an den Morgen nach der ungewohnten Sauerstoffbelüftung vor sich hin. Ihm fehlte nun ebenfalls ein wenig Schlaf. Aber nur einige Tage später gewöhnte er sich an die kleine Störung und Ella kehrte in das gemeinsame Ehebett zurück. Angespannt lauschte sie, lauschte und lauschte, bis sie schließlich einschlief… .

Im Traum sah sie, wie sie und ihre beiden Ältesten Hand in Hand zur Bushaltestelle liefen. Die schwarze Katze, die mit dem weißen Lätzchen, begleitete sie auf ihrem Weg zur Bushaltestelle. Miezi, hatte sie nicht Miezi geheißen? Miezi also würde dort am Haltepunkt auf ihre Rückkehr von der Arbeit warten.

In der Ferne sah sie einen Bus, ihren Ikarus! Dieser allerdings war strahlend weiß und sein Auspuff stieß keinen Ruß aus. Nichts trübte den blauen Himmel. Miezi setzte sich auf die Hinterläufe und begann sich gemächlich zu putzen. Die Kinder pflückten noch schnell einige Kornblumen, kamen auf sie zu, mit den viel zu großen Ranzen auf dem Rücken, die kleinen fusseligen Sträußchen in der Hand. Mit ganz ernsten Gesichtern streckten sie ihr die Wildblumen entgegen. Ella nahm die Blumen vorsichtig entgegen.

Und leise, ganz leise kam der Bus immer näher, bis er schließlich vor ihnen anhielt.

Casa Monte Daltierra

Zur Zeit eines der großen Beginne baute ein junger Bauer sein Haus an einen der milden Hänge des Tales des Flüsschens Oscher. Die Sage berichtete, dass von seinem Grunde aus ein unterirdischer Gang bis zu den Pforten des Klosters Hilda im Osten des Landes führe. Tatsächlich waren am selben Hang mehrere Kellergänge geteuft, in denen die Bauern ihre mühsam den Unwägbarkeiten des Wetters abgetrotzte Ernte bargen.

Einer dieser Stollen begann am neuen Haus des Bauern zur Rechten, während das Haus zur Linken sinnvoll durch eine wehrhafte Mauer ergänzt wurde. Das an sich recht kleine Häuschen bekam dadurch etwas Burgartiges und der Bauer, bewusst oder unbewusst, tat das Seine, um diesen Charakter durch weitere Anbauten sein Leben lang zu betonen.

Durch den Hinzubau von Schuppen, Verschlägen und Türmchen längs der Wehrmauer entstand eine Burganlage im Kleinen, die zur Dorfstraße hin nur noch durch eine Ziehbrücke hätte ergänzt werden müssen.

Die Taubenschläge hätten, als Pechnasen fungierend, jeden ungebetenen Eindringling mit Taubenmist verkippt, der es gewagt hätte, ungerufen das schwere Tor zu durchdringen. So erhielt das Anwesen zunächst spöttisch den Namen Burg Ottostein, nach dem Vornamen des Häuslers.

Otto verfiel mit zunehmendem Alter einem Autarkiewahn, der etwas später, in einer verschärften Variante, die Obrigkeit des gesamten Landes erfasste. Nach dem Beenden seiner beruflichen Schaffenszeit als Bauer wollte Otto durch das Sammeln von Holz unabhängig von Brennstoffimporten werden. Deshalb verfüllte er jedes noch so kleine Loch des Anwesens mit Brennholz. Über diesem Vorhaben ging viel Zeit und am Ende er dahin.

Die neuen Besitzer, eine junge Familie mit großstädtischem Hintergrund, schliff als erstes die Wehranlagen und versah das Haus mit zeitgemäßem Komfort.

Kinder und Gäste waren willkommen und die Zeiten Ottosteins verblassten am Zeithorizont des großen Vergessens. In einem freundlichen Garten spendeten Gruppen von Haselnusssträuchern und Kiefern Schatten. Über die allein verbliebene und auf das Notwendige gestutzte Wehrmauer klang Kinderlachen.

Die Regierung lebte indessen ihren Autarkiewahn aus, den die Erwachsenen mit Wein aus dem wohltemperierten Kellergang und selbst hergestellten, zu guten Konditionen zu verkaufenden Kunstwerken des Mannes aushielten. Die Frau, von Beruf Lehrerin, brachte den Kindern die deutsche Sprache nahe.

Die Bildungsmöglichkeiten der Kinder blieben, trotz der rigiden Eingriffe der Regierung in alle Lebensbereiche, akzeptabel.

Die regierungsseitig angestrebte Landesautarkie erwies sich als undurchführbar und verschwand sang- und klanglos im Konsumrausch, den eine neu herbeigerufene Regierung ermöglichte.

Die Weinsorten im Keller der Besitzer bekamen einen qualitativen Hub: Ausgezeichnete weiße Weine von Saale und Unstrut, sogar Meißener Weine vervollständigten die Lagerbestände. Die roten Weine kamen aus aller Herren Länder. Die Absicherung des Lebensunterhaltes durch Kunstwerke allerdings war schwer geworden.

Neben den Kindern mussten Erwachsene geschult werden, um die neu verordneten Rahmenbedingungen des Lebens zu verstehen, proaktiv an - oder widerstandslos hinzunehmen. Also schulte die Frau nun Erwachsene und der Mann griff auf seine großstädtischen Erfahrungen zurück. Er nahm eine zwar ungeliebte aber einträgliche Arbeit auf.

In diesen abhängigen Arbeitsverhältnissen verblieben sie bis zum Eintritt ihres vorgezogenen Pensionsalters. Sie freuten sich, danach wieder das tun zu können, was ihnen am meisten lag und was ihnen viel Freude bereitete: Das schöpferische Herstellen von schönen Dingen. Der Konsumrausch war inzwischen, wie jeder Rausch, nach der euphorischen Phase, in eine Katerstimmung geraten und viele Leute meinten, dass es so nicht weiterginge, da allzu viel durch das rauschhafte Verschwenden kaputtging.

Plötzlich fanden die schönen dauerhaft gemachten Dinge mehr und mehr Anklang und Frau und Mann fanden Erfüllung darin, dass sie sich und auch anderen eine Freude bereiten konnten. So ging ihr Leben seinen Lauf mit Freude und Trauer, mit neuem Leben und gehendem.

Bis eines Tages ein Vorfall dazu führte, dass das Haus im ganzen Dorf einen neuen Namen bekam und viel unternommen werden musste, damit die Zustände in und um das Haus wieder in das gewohnte Gleis zurückgelenkt werden konnte.

Eine große Flut überschwemmte das Land. Es war schon die zweite innerhalb des jungen Jahrhunderts, viele würden offenbar noch folgen. Das Wasser allein konnte dem Haus nichts anhaben, denn es war klug zwischen die Wasserscheiden gesetzt. Allein versteckt unter seinen Fundamenten ruhte eine Kaverne, die aus der Gründerzeit der Löcher grabenden Häusler verblieben war. Sie blieb zunächst unentdeckt, denn sie lag unter Rasensoden versteckt.

So kam es, dass Otto beim Bau des Hauses mit den Feldsteinfundamenten an den Rand dieser kellergroßen Kaverne geriet. Das machte über Jahrzehnte nichts aus - erst als die zweite Jahrhundertflut unterirdisch ihre Wassermassen an der Kaverne vorbeiführte, gerieten deren Wände ins Rutschen.

Als nun der Besitzer des Hauses eines Morgens aus der Tür trat, traute er seinen Augen kaum. Dort, wo sein Vorgarten auf lieblich japanische Weise mit weißen Kieseln bedeckt Wasser darstellte, klaffte ein kellergroßes Loch, welches sich bis unter das Haus fortsetzte.

Auch die Frau blickte in diesen Orkus und ihr brannte sich ein Bild ein: Wir wohnen auf einer verdammten Brücke.

Schnell wurden Fachleute herangeholt, die zum Verfüllen des Loches mit B1200 rieten – das ist ein Beton, mit dem tatsächlich Brücken gebaut werden.

Zwei Großgeräte wurden ins Spiel gebracht: ein martialischer Mischer und eine Betonpumpe vom Typ Gigalift. Mit Hilfe diese Monstermaschinen wurde die Kaverne verfüllt, so dass am Hang ein unterirdischer Felsen mit zwei Kuppen entstand.

Auf der einen Kuppe ruhte das Haus, während die zweite für den notwendigen Überdruck sorgte, damit der B1200 auch bis in das letzte Eckchen des vormaligen Kellers dringen konnte.

Diese zweite Kuppe nun musste sichtbar bleiben, damit die Versicherungsleute auch glaubhaft feststellen konnten, welche Betonmassen hier verarbeitet wurden. So schaute also die zweite Kuppe des unterirdischen Berges aus dem japanischen Kieselsee und bald schon machte sich im Dorf ein Name breit. Der Berg hieß fortan Monte Daltierra, das Haus erhielt den poetischen Namen Casa Monte Daltierra. Nach einigen Tagen externen Übernachtens während der Festigungszeit des Kunstfelsens konnte das Haus wieder bezogen werden.

Der Mann hobelte wöchentlich die Eingangstür ein wenig nach, da der Monte Daltierra sich setzen musste. Als die Setzungsphase vorbei war, ging der Frau der Blick auf den Unterbau des Hauses hinein in den Orkus nicht aus dem Kopf, sie traute dem Unterbau, der Basis ihres Hauses nicht mehr.

Zur gleichen Zeit legte im Hof des Bruders des Mannes ein besonders empfindsames Huhn nur noch Eier mit so dünner Schale, dass sie bei der kleinsten Berührung zu Bruch gingen, manchmal direkt beim Legevorgang.

Das Huhn hatte so schlechte Nerven, dass es bei der geringsten Erschütterung, die vom torfigen Boden des Grundstückes des Bruders ausging, einen Legekrampf bekam. Das Ei stürzte vorzeitig zu Boden und ging zu Bruch. Der Bruder hatte die Idee, dem Huhn den zweiten Gipfel des Monte Daltierra als Legestelle und gleichzeitige seismische Station zur Verfügung zu stellen, denn dort sollte tatsächlich nichts mehr wackeln.

Sollte andererseits der Monte Daltierra beben, würde das dazu führen, dass das Ei zerbricht. Dieser Eierbruch wäre dann als seismische Warnung frühzeitig erkennbar.

So ging das Huhn mit hermetischem Paketdienst auf die Reise und der Mann baute einen kleinen kunstvollen japanischen Legetempel auf den sichtbaren Gipfel des Monte Daltierra. Das Huhn bezog mit Freude die obere Etage und legte in aller Ruhe ein stoßseitig ungestörtes Ei. Alle freuten sich, alles ging glatt, das Ei blieb heil.

So können die beiden Bewohner des Casa Monte Daltierra nun täglich ein Ei des seismischen Huhnes genießen. Die Frau gewann ganz allmählich das Vertrauen in ihr Haus zurück und das Brückenbild in ihrem Kopf wurde ersetzt durch das Bild eines Hauses am Hang eines gewaltigen Berges, auf dessen zweitem Gipfel ein Huhn in einem japanischen Tempel ein Ei legt.

Marjas Großmutter

Marja hat durch ihre Großmutter mütterlicherseits polnische Wurzeln. Ihre Oma ist in Wolin geboren und zu einer Zeit aufgewachsen, als diese Stadt noch zu Pommern, mit der alten Hauptstadt Stettin, gehörte.