Bonobo - Jens Kirsch - E-Book

Bonobo E-Book

Jens Kirsch

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Beschreibung

Der Lebensraum der Menschenaffen schrumpft dramatisch. Zwei Überlebensstrategien prallen aufeinander: Die kämpferisch aggressive der in die Enge getriebenen Schimpansen prallt auf das harmonieorientierte Lebenskonzept ihrer nächsten Artverwandten, der Bonobos. Für beide Gruppen geht es um Leben und Tod, denn sie werden von ihren entfernteren Artgenossen, den Menschen, gnadenlos verdrängt. Doch nicht nur ihr Lebensraum schwindet. Sie selbst sind es, die als Bushmeat das notwendige Eiweiß für die Männer liefern, die ihre Wälder abholzen. Ein perfider Fleischwolf dreht sich, der mit Besorgnis und wissenschaftlichem Interesse von deutschen Verhaltensforschern beobachtet wird, die bald selbst in den Fokus von Überlebensstrategen geraten. Wie wird dieser Kampf enden?

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Der Lebensraum der Menschenaffen schrumpft dramatisch. Zwei Überlebensstrategien prallen aufeinander: die kämpferisch aggressive der in die Enge getriebenen Schimpansen prallt auf das harmonieorientierte Lebenskonzept ihrer nächsten Artverwandten, der Bonobos. Für beide Gruppen geht es um Leben und Tod, denn sie werden von ihren entfernteren Artgenossen, den Menschen, gnadenlos verdrängt.

Doch nicht nur ihr Lebensraum schwindet. Sie selbst sind es, die als Bushmeat das notwendige Eiweiß für die Männer liefern, die ihre Wälder abholzen. Ein perfider Fleischwolf dreht sich, der mit Besorgnis und wissenschaftlichem Interesse von deutschen Verhaltensforschern beobachtet wird, die bald selbst in den Fokus von Überlebensstrategen geraten…

Wie wird dieser Kampf enden?

Personenverzeichnis in der Reihenfolge ihres Auftritts

Mitglieder der Schimpansenhorde

Eh – neugierige Mutter von Be

Be – gerade ausgewachsener Schimpansenmann

mit Profilierungsbedarf

Waldarbeiter

Johnson Wilmer – Ausputzer1

Mikele – Freund Johnsons, arbeitet als Anschläger

Der Finstere - Vorarbeiter

Verhaltensforscher

Prof. Dr. Auerbach – Begründer des Instituts für Verhaltensforschung

LeMans – Frank Lehmann, Biologe mit Motorsportinteresse, fest angestellter Assistent im Institut für Verhaltensforschung

Dr. Thomas Neureiter – Thomas und LeMans bilden ein Team, promovierter Verhaltensforscher mit befristeter Anstellung

Dr. Berger - promovierter Verhaltensforscher mit Festanstellung, arbeitet im Innendienst

Stefan und der Kleine – arbeiten gemeinsam im zweiten Team

Bonobohorde

Awa (sprich: Awea), Awb (sprich: Awebe usw.) – weibliche Alphatiere, Leittiere.

Awea wird von LeMans wegen ihrer königlichen Position als Queen Elisabeth oder liebevoll als Elli bezeichnet.

Bwa, Bwb – weibliche Mitglieder der zweiten Gruppenebene, die über den Children der C-Gruppe und weit über den Omegas der O-Gruppe stehen

Bma, Bmb, Bmc – männliche Mitglieder der zweiten Ebene

Cw1, Cw2, Cw3, Cm1, Cm2, Cm3 – die Kinder der ersten und zweiten Ebene, Children eben, C1 und C2 sind bereits geschlechtsreif

Om1, Om2 – Omegatiere, schwarze Schafe, Prügelknaben, beide die männlichen Parias der Horde

Berliner Lobbyisten

Richard Graubert

Dr. Gausenberg

Frank Leonhardt

Team des Sozialladens

Andrea Scherff, ehemalige Führerin einer nationalistischen deutschen Partei

Arbeitslose Akademiker (Einstein, Harras, Edda)

Französische Neusiedler nördlich von Boende, einer Kleinstadt im Kongo

Chantal

Edouard

1 Kursiv gekennzeichnete Begriffe werden im Anhang erläutert

Die wichtigsten Orte des Geschehens:

Inhalt

Erstes Buch – Regenwald

Zweites Buch – Transkription

Drittes Buch – Die Macht des Faktischen

Viertes Buch – Bonobo, und wie die Welt umsozialisiert wurde

Erstes Buch – Regenwald

*

In der Ferne, in der Nähe des Flusses, dröhnt eine Motorsäge. Die Menschen haben ihr Tagwerk begonnen.

Die alte Äffin Eh spitzt die Ohren. Sie lauscht und wartet. Das Motorengeräusch verstummt. Der Stille folgen ein zischendes Geräusch, ein Furcht erregendes Knacken und Prasseln und schließlich ein dumpfer Knall - der Aufprall des gefällten Urwaldriesen.

Unruhig dreht die Äffin den Kopf, damit sie besser hören kann. Sie ist neugierig, und oft genug hat sie sich in die Nähe der Waldarbeiter geschlichen. So weiß sie, dass jetzt die Vögel auffliegen. Sie sieht es vor sich und hört deutlich, wie der Protest, das Kreischen der fernen Tiere immer lauter wird. Unruhig hebt Eh die Augenbrauen. Fast hätte sie vergessen, dass sie doch ihren Sohn bewachen muss, fast hätte sie mit ihrem aufsteigenden Schrei ihren heimlichen Auslug hoch in den Wipfeln verraten.

Nun, nachdem der Baum am Boden liegt und die aufgescheuchten Vögel wieder ruhiger werden, kann sich Eh wieder auf die Geschehnisse unter ihr konzentrieren, auf die Verfolgung, die Jagd, die auf der kleinen Lichtung unter ihr kurz zum Stillstand gekommen ist.

Auch die männlichen Schimpansen, unter ihnen Krieger einer Nachbarhorde, halten kurz inne und lauschen ebenfalls dem Sterben des Baumes. Die angespitzten Stöcke, ihre tödlichen Waffen, werden kurz zu Stützen. Fast sieht es so aus, als hätte sich eine Gruppe freundlicher Gesellen auf einer der seltenen lichtüberfluteten Stellen des Regenwaldes versammelt, um kurz über die besten Futterstellen zu palavern.

Doch der Schein trügt, denn als das Krachen des Dschungelriesen verhallt ist, werden die Stöcke, Spitzen voran, wieder zu Waffen. Der kurze Moment des Innehaltens und Lauschens ist schnell vorüber. Die aufrechte Beobachterhaltung – fast wie die Haltung von Menschen - wird zu geducktem und angriffsbereitem dreibeinigen Huschen und Vorwärtsspringen, Spieß voran!

Ja! Spieß voran! Es muss ein Ende haben mit dem Eindringen der fremden schwarzen Affen, die von den Menschen Bonobos genannt werden, in die eigenen Lebensräume. Nur deshalb haben sich die Affenmänner bewaffnet. Nur deshalb suchen sie seit Tagen in ihren Revieren systematisch nach den verhassten Eindringlingen. Sie werden die kleine Gruppe schwarzer Affen stellen und werden sie töten. Es muss sein!

Eh sieht, wie die Männer im Unterholz verschwinden. Besorgt blinzelt sie in das Blätterdach über ihr, dann kratzt sie sich ausgiebig die wunde Stelle unterhalb der Brust, die nicht heilen will. Sie hebt die Brust an und denkt dabei an ihren Sohn Be, der das erste Mal mit den Männern auf Streife ist.

Be, ihr kleiner Be, der so lange aus ihr getrunken hat und jetzt ein starker Schimpanse ist, ein Bild von einem Mann: blitzende Augen, ein verschmitztes Gesicht und eine schöne helle Mundpartie.

Verblüfft sieht Eh, wie sich aus der Richtung, in die die Streife verschwunden ist, das Unterholz teilt. Drei schwarze Affen, drei Bonobos, treten vorsichtig aus der Deckung. Das sind keine Krieger! Das sind Halbwüchsige, fast noch Kinder. Während Eh noch überlegt, ob sie die Schwarzen warnen soll, bricht das Inferno bereits los. Die Affen der Streife rennen mit Gebrüll aus dem Unterholz, die Stecken hoch erhoben. Einer der Bonobos tritt ihnen entgegen als wolle er verhandeln, der andere umfasst das kleinste Mitglied der Gruppe, drückt es fest an sich.

Ist das ihr Sohn Be, der dort brüllt und den Knüppel zum Schlag erhebt? Ihr Be, der ihre Milch trank? Mit dumpfem Schlag trifft der Knüppel den Parlamentarier der Bonobos am Kopf, der nun ebenfalls schreit und versucht, nach dem Knüppel zu greifen.

Be dreht regelrecht durch, er springt, dreht sich um die eigene Achse, sticht nun mit dem spitzen Ende zu. Die anderen Affen der Streife schlagen ebenfalls, stechen zu.

Der bereits verletzte Parlamentarier bricht zusammen. Aus allen Richtungen kommen die Schläge der tobenden Schimpansen. Auch der Schutzengel des kleinen Bonobos kann nun nicht mehr helfen. Ohne dass er eine Hand zur Gegenwehr erhoben hätte, prügeln ihn die Schimpansen und trennen ihn so von seinem kleinen Schützling. Nach wenigen Sekunden haben sich die lebendigen Leiber der Bonobos in blutige Fellbündel verwandelt.

Die Streife schlägt und sticht nun wie im Rausch. Die Wut kennt keine Grenzen, auch Be bekommt einen Schlag auf das Bein. Er knickt ein, Eh kann nicht mehr an sich halten. Sie schreit und schreit.

Die ganze Lichtung stinkt inzwischen nach Blut, die Männer der Streife reißen die Kadaver der Feinde in Fetzen, schlagen sie auf die Erde, nichts soll von ihnen übrig bleiben. Und wie ihre Hände die Bonobos, zerreißen ihre Schreie die heiße Luft der Lichtung.

Be rappelt sich wieder auf, und erneut schreit Eh aus voller Kehle, sie schreit um ihren Be, der Schrei geht in ein stöhnendes Grunzen, in ein Bellen über.

Doch erst, als das bedrohliche Brummen der Kettensägen wieder einsetzt, verharren die Krieger. Betreten steckt sich Be ein Stück Fleisch in den Mund, spitzt die Lippen und spuckt es wieder aus.

Die schöne helle Maske seines Mundes ist blutverschmiert. Er humpelt zur Seite, hebt seinen Knüppel auf und schleudert ihn ins Gebüsch.

Eh beeilt sich vom Baum zu kommen, doch noch bevor sie bei ihrem Sohn ist, hat der Patrouillenführer den Arm um ihn gelegt. Be schaut nicht auf, als die Mutter vor ihm steht. Die Männer der Streife verschwinden nacheinander grußlos im Wald. Ihre Mission ist vorerst erfüllt. Der Versuch der Eindringlinge, in ihrem Revier Fuß zu fassen, ist vereitelt.

An die Stelle des tiefen Brummens der Fällmaschinen tritt das höhere der leichteren Kettensägen. Die Motorengeräusche verweben sich ineinander; ihr Auf und Ab schwebt wie ein seltsames Maschinenlied über dem Regenwald.

*

Nach dem Fall des Baumriesens beginnen die Ausputzer ihr Werk. Und Johnson Wilmer ist so ein Ausputzer. Ein gefährlicher Job! Sie sollen Schutzkleidung tragen. Die Vorschrift haben sich die Chefs ausgedacht, die nicht bis zu den Waden im eigenen Saft stehen müssen! Der Vortrupp, der sich zu den Bäumen vorarbeitet, die später markiert werden, hat es vergleichsweise leichter: Die arbeiten mit Macheten. Allerdings müssen die Arbeiter genau wie er verdammt aufpassen, dass sie nicht auf giftige Schlangen treten. Davon gibt es hier schließlich genug! Johnson spuckt aus.

Erst vor wenigen Tagen kamen die Vortruppleute gerannt, winkten mit den Armen. Johnson stürzte hinter ihnen her. Sie packten den Mann, der ohnmächtig neben dem Trampelpfad lag und schleppten ihn wie die Besessenen in Richtung der Arbeiter, die mit den Rücketraktoren schnell bei der Straße sind. Allein, sie rannten nicht schnell genug. Der Mann – Johnson kannte nicht einmal seinen Namen – war schon tot, als sie ihn über die Trittleiter in den haushohen Trecker zerren wollten.

Direkt neben der Straße haben sie ihn beerdigt. Er liegt dort nicht allein. Der zweite Mann, der hier gestorben ist, war, wie Johnson, aus Angola gekommen, um hier am Kongo gutes Geld zu verdienen.

Johnson bückt sich, füllt vorsichtig das Benzin aus dem Kanister in den Tank der Kettensäge. Als ihn ein Moskito in den Hals sticht, zieht er automatisch die rechte Schulter hoch. Verdammt! Ein Schwall Benzin schwappt über den heißen Motor. Gut, dass er die Kippe vorher ausgemacht hat. Eine Verpuffung hätte ihm noch gefehlt. Hähä, da ist ein Sonnenbrand ein Klacks dagegen!

Er muss sich beeilen, denn bald schon kommen die Anschläger, um den Baum an die Trecker anzuhängen. Je zwei der starken Maschinen sind nötig, denn der Baumriese, der vor ihm liegt, dürfte an die einhundert Tonnen wiegen!

Also nimmt Johnson Kettensäge und Benzinkanister und arbeitet sich längs des Stammes in Richtung der Krone des Überdeckers vor. Bäume wie dieser, an die siebzig Meter hoch, werden nicht alle Tage umgenietet. Die Vortruppler haben für heute noch drei, vier Stück freigelegt. Die Umnieter sind ihnen bereits gefolgt. Johnson konnte sehen, wie sie sich mit ihren Maschinen abplagten. Das sind andere Kaliber, als seine vergleichsweise leichte Mokete mit dem Meterschwert, die er noch allein tragen kann. Bei denen müssen schon die Anschläger mit ran und so jagen die zwischen Vorposten, Entastern und Treckern hin und her. Ein wahres Höllenkommando, wobei einige von ihnen echte Pfundskerle sind. Wie sein Freund Mikele!

Mikele! Wenn er den nicht hätte! Gerade noch war er bei ihm und hat ihm atemberaubend schnell von den neuesten Baumfunden des Vortrupps berichtet. Ebenso gut weiß Mikele Bescheid, wenn es um die Mitglieder der verschiedenen Gruppen geht: Die Leute aus dem Vortrupp kommen aus vielen Ländern Afrikas. Die Verständigung untereinander ist schwierig. Freundschaften unter ihnen sind selten. Zu groß sind die Sprachunterschiede. Stumm hacken sie sich hintereinander durch den Dschungel. Finden sie einen Baum, den es zu fällen lohnt, hacken sie sich wieder denselben Weg zurück, so dass die Umnieter ihre Maschinen an den Fuß des jeweiligen Baumes schleppen können.

Die Vortruppler sind selbst wie Holz: Zähe Kerle, ihnen macht das tagelange Schwingen der armlangen Klingen nichts aus. Obwohl sie nicht oder nur selten miteinander reden, halten sie zusammen!

Die Ausputzer sind aus Angola. Die meisten von ihnen sprechen portugiesisch. Klar, die halten ebenfalls zusammen.

Die Rücker sind Kongolesen, der Adel unter den Baumfällern. Sie sind hier zu Hause, es ist ihr Land, und sie holzen ihre eigenen Bäume ab.

Zu den Straßenbautrupps, die ihre Arbeit tun, indem sie für den notwendigen Vorlauf sorgen, haben sie nur wenig Kontakt. Die kaufen das Buschfleisch, das die anderen in ihrer knappen Freizeit aus den Bäumen schießen.

Später kommen die Brandroder, doch dann sind sie schon lange wieder weiter gezogen.

Johnson muss einen ersten Ast absägen, der ihm den Weg zur Krone versperrt. Sorgsam prüft er, ob der Ast unter Spannung steht, denn auch wenn es scheint, als ob der Baum nach dem Sturz zur Ruhe gekommen wäre, lauert hier nach den Schlangen die nächste Gefahr: gerade die ersten Äste, die die Ausputzer absägen, lösen oftmals ganze Kettenreaktionen aus.

Johnson pumpt ein wenig Sprit in den Vergaser, dann reißt er am Starterseil. Die Säge, seine Mokete, meint es gut mit ihm. Bereits beim ersten Versuch blubbert sie kurz, beim zweiten Zug startet sie durch. Die Kette läuft gut geschmiert über das Schwert. Die Späne fliegen, als sich die rasende Kette zunächst von unten in den Ast frisst. Johnson setzt nach. Mit gespreizten Beinen erhöht er den Druck auf das Schwert und drückt die Spitze gleichzeitig auf der Rückseite des Stammes nach oben.

Der Stamm senkt sich nicht. Der Baum bleibt im Gleichgewicht. Jetzt kann er den Ast vom Hauptstamm trennen.

*

Während Johnson sich Schritt für Schritt am Stamm des gefällten Baumes entlang arbeitet, steigt die Sonne dem Zenit entgegen. Jetzt wird die Arbeit zur schweißtreibenden Angelegenheit und Johnson ist froh, als er endlich die zerschmetterten Zweige der Baumkrone des Überdeckers erreicht hat.

Er stellt die Säge kurz ab, deren Gewicht ihn langsam aber sicher ermüdet. Klar, wer ein solches Ding kurz mal anhebt, kann sich nicht vorstellen, wie das dauernde Auf und Ab, das ständige Hebeln an den knorrigen alten Ästen auf die Knochen geht.

Mikele jedenfalls fuchtelt gern mit der Säge des Freundes umher. Johnson sieht in Gedanken Mikele vor sich umherspringen, die Säge wie einen Speer mit dem Kettenschwert in Richtung Himmel gereckt.

„Wenn ich Glück habe, erwischt dich der Finstere, dann darf ich auch bald ausputzen!“

Glück! Die Vortruppler wollen Anschläger werden, die Anschläger Ausputzer, die Ausputzer Umnieter, die Umnieter Rücker…

Alle wollen sie etwas anderes! Johnson schüttelt den kurz geschorenen Kopf. Dann fummelt er am Gürtel nach dem Helm und dem Beutel.

Der letzte Ausputzer, der vor ihm am Stamm ohne Helm vom Vorarbeiter angetroffen wurde, ist jetzt wieder auf dem Weg nach Angola oder sonst wo hin. Da kennt der Finstere kein Erbarmen. Der kriegt zwar das Maul nicht auf, aber wenn er einen seiner Arbeiter ohne Helm antrifft, schallt sein Gebrüll weit.

Wer weiß, warum die Alarmkette bei Johnsons Vorgänger Ben versagte! Oft, eigentlich ständig, tönen die kurzen Hupsignale der Rücker durch den Wald. Das ist normal.

Nur, was der Finstere nicht weiß: wenn sich das Hupen innerhalb weniger Sekunden zwei Mal kurz hintereinander wiederholt, setzen alle Waldarbeiter ihre Helme auf. Klappt eigentlich immer. Warum das vereinbarte Signal nicht gegeben wurde, lag daran, dass Ben zur gleichen Frau wie der auf gleicher Schicht arbeitende Rücker eine zärtliche Beziehung hatte.

Der Rücker sah den Finsteren wohl kommen, fühlte sich aber nicht verpflichtet, dem Konkurrenten Ben das vereinbarte Signal zu geben. Letztlich war das nun wieder Johnsons Glück gewesen: Am Tag auf das ausgebliebene Signal hin, Ben stand wie ein Trottel ohne Helm im Wald vor seinem Vorarbeiter, kam der Finstere, knallte ihm Bens Säge vor die Füße.

„Du putzt heute aus!“

Besonders redselig ist der Finstere nicht. Ja, so war Johnson zu seinem Job gekommen. Nicht, dass er hier das große Geld verdient. Die Umnieter kriegen mehr und die Rücker bekommen mehr als das Doppelte. Dafür kann er im Vergleich zu den Anschlägern und Vortrupplern nicht klagen.

So geht das! Einer ist dem anderen nicht so ganz grün, aber im Großen und Ganzen können sie sich schon aufeinander verlassen, hier in diesem Loch im Regenwald.

Jetzt ist Johnson also an den zerschmetterten Ästen der Baumkrone angekommen und genau jetzt braucht er seinen Beutel. Den Niedergang des Baumes haben viele der Baumkronenbewohner nicht überlebt und flink füllt er den Sack mit Buschfleisch. Sicher, die kleinen Tiere bringen nicht so viel ein wie ein ausgewachsener Affe, aber zu verachten ist das frische Fleisch auf keinen Fall!

Wenn die Arbeiter nicht alle Möglichkeiten nutzen würden, die ihnen der Regenwald bietet, würden ihnen hier, mitten in der artenreichsten Region der Erde, die Zähne an Skorbut ausgehen. So erbärmlich kocht Pinky, der, warum auch immer, hier ihren Koch gibt.

Pinky, Stinky! Jeden Abend, jeden Morgen klatscht er ihnen denselben undefinierbaren Brei auf die Palmblätter. Johnson muss lächeln, wenn er an die verbiesterten Gesichter seiner Kollegen bei der Essenausgabe denkt. Er gewinnt durch die Unfähigkeit Pinkys. Wenn die Sonne untergeht, hat Johnson mit Hilfe Mikeles das Buschfleisch fertig geputzt, und während die anderen ihr Bier schlürfen, heizt Mikele den kleinen Lehmofen an, der inzwischen schon ganz passabel ausgebrannt ist.

Die Männer haben Johnson zunächst ausgelacht, als er den roten Schlamm der Straße Beutel für Beutel mit in den Wald bis neben ihre Schlafhütte geschleppt hat. Selbst Mikele schüttelte vor wenigen Wochen noch den Kopf. Doch als Johnson die ersten Fledermäuse scharf anbriet und der Duft des Buschfleisches durch den Dschungel zog, steckten die Biertrinker zuerst ihre Nasen, später ihre Essnäpfe aus dem Verschlag. Seitdem wird Pinkys Brei allabendlich mit Buschfleisch aufgebessert und Johnson kassiert sein kleines Essengeld.

Eines hat sich Johnson vorgenommen: das ‚Kleinvieh macht auch Mist‘ muss ein Ende haben. Er hat sich in Boende ein Gewehr bestellt. Demnächst wird es Affen geben. Dann hat das Absammeln der Fledermauskadaver ein Ende!

*

LeMans stößt vor Begeisterung seinem Nachbarn Thomas den Ellenbogen in die Seite.

„Da, da! Ich fasse es nicht!“

Er fokussiert das kopulierende Paar, bis er deutlich die Penetration Aweas durch Oemtu erkennen kann. Gleichzeitig drückt er die sechste Stoppuhr, die als Reserve an einer Öse seiner Armyjacke rechts über der Hüfte baumelt. Anerkennend nickt er mit dem Kopf, weil er sich bereits dachte, dass die M-Theorie seines Chefs, Werner Auerbachs, über den Jordan gehen würde. So wie es der C-Theorie und der verrückten A-Theorie ergangen war, nachdem sich herausstellte, dass die Bonobos auch homosexuell ihre Sozialpartnerschaften pflegen.

Awea jedenfalls scheint den Geschlechtsakt regelrecht zu genießen. Oemtu ist ganz bei der Sache und überzieht die durchschnittliche Kopulationszeit von zwölf Sekunden erheblich. Awea umfängt ihn in der Missionarsstellung mit den Beinen, ihre Hände streicheln heftig den Rücken des Affenmannes.

Die Gruppe geht inzwischen in aller Ruhe ihren Geschäften nach, nur eines der Gruppe-C-Männchen, es könnte Ceemone sein, greift nach dem Arm seiner Nachbarin.

LeMans kann nicht recht erkennen, welches der Weibchen Ceemone erwählt hat. Jedenfalls steht sie der Aufforderung nicht abgeneigt gegenüber, denn nach einem kurzen Blick geht sie auf alle Viere und dreht ihm ihr Hinterteil auffordernd zu.

Verdammt, nun kommt er mit den verbliebenen fünf Stoppuhren überhaupt nicht mehr klar. LeMans muss lächeln, während er nach der Uhr an der Hüfte tastet. Gleich muss es bei der Chefin und ihrem Lover vorbei sein; Oemtus Hüftschwung erreicht ein nicht mehr zu steigerndes Tempo!

Donnerwetter. Der Kerl durfte doch wirklich in Awea kommen? Jetzt trennen sich die Beiden wieder und LeMans schielt auf das Zifferblatt. Eine Minute, vierundzwanzig Sekunden. Er flüstert die außergewöhnlich lange Kopulationsdauer in das Ohr seines Nachbarn Thomas, der ungerührt das Geschehen beobachtet.

„Scheint so, als ob sich Awea nicht viel aus Auerbachs Thesen macht, oder?“

Thomas schnauft nur, dann zischt er:

„Mensch, LeMans, musst du so zappeln? Ich will wegen dir Trottel nicht abstürzen!“

Die Kritik kommt nicht ganz unberechtigt, denn ihr Baumhaus befindet sich mindestens fünf Meter über dem Boden, so dass sie eine gute Übersicht über den ‚Dorfplatz‘ der Bonobos haben. Die Gruppe, die die beiden Männer von ihrem Basiscamp in Teskolingu aus verfolgen, ist nicht so groß wie die des zweiten Teams. Gerade mal fünfzehn Tiere sitzen jetzt friedlich auf der kleinen freien Tenne, die die Forscher so liebend gern für ihre Beobachtungen benutzen, dass sich der Aufbau des Baumhauses lohnte. Damit haben es Thomas und LeMans deutlich besser als die beiden anderen Männer, die einer erheblich beweglicheren Gruppe hinterherspüren.

Allerdings ist das Auffinden der Menschenaffen inzwischen bei weitem nicht mehr so problematisch, wie zu Beginn der Verhaltensforschung, als Jane Goodall noch auf die Zuwendung eines Schimpansenmannes, den sie Graubart nannte, angewiesen war. Jane Goodall ist ihrem Erstkontakt am Ufer des Tanganjikasees noch wochenlang hinterher gerannt! Heutzutage reicht die einmalige Implantation eines GPS-Chips und die Tiere sind dank des europäischen Satellitensystems GALILEO über Wochen genau zu lokalisieren. Man muss einfach nur noch hinlatschen!

LeMans starrt immer noch durch das Fernglas auf die nun zur Ruhe gekommene Affengruppe, die wie zu einer Versammlung beisammen sitzt. Er setzt das Fernglas ab und redet ungeniert laut auf seinen Baumhausnachbarn ein.

„Da bumst das letzte Omegakerlchen so einfach die Chefin!“

Er schüttelt den Kopf. Die derzeitige M-Theorie Professor Auerbachs besagt, dass die beiden ranghöchsten Alphafrauen Awea und Abea nur mit den stärksten Männern der zweiten Hierarchieebene Bema, Bembe und Beemce kopulieren. Diese Feststellung kommt nicht von ungefähr, denn sie ist durch die Aufzeichnungen der beiden Feldforscher belegt.

Der Bembe hat dabei das Privileg, sowohl mit Gruppenchefin Awea, als auch mit deren rechter Hand, der Stellvertreterin Abea, kopulieren zu dürfen. Diese Fünferbeziehung blieb stabil – bis soeben!

Thomas reicht LeMans wortlos seine Strichliste, die neben dem M der Fünferbeziehung nun einen seitlichen Auswuchs direkt in die kleine Gruppe der Omegas, hin zu Oemtu bekommen hat.

Thomas nimmt seinen Schlapphut ab und wischt sich den Schweiß vom Nacken.

„Die Bonobos haben es gut. Die poppen wie sie wollen. Und wir?“

Resigniert winkt er ab. Professor Auerbach, ihr Chef und Gründer des Institutes für Verhaltensforschung in Leipzig, meint, dass Sex während der Felduntersuchung nur vom eigentlichen Auftrag ablenkt. Deshalb ziehen nun täglich zwei Männergruppen in den Regenwald, um das Sexualverhalten der Bonobos zu quantifizieren. Die dritte Gruppe betreibt inzwischen mit dem Chef gemeinsam die Auswertung der Feldforschungsergebnisse.

Nach einer Stunde Fußmarsch, der die beiden Männer über inzwischen schon recht ausgetretene Pfade durch den Regenwald führt, leuchten die drei Container ihres Basiscamps Teskolingu von einer Lichtung, die dafür freigeschlagen worden war. Im hellblauen Container befinden sich ihre Lebensmittel, eine kleine Küche und zwei großzügige Duschkabinen mit Umkleideraum davor. Im hellgrünen sind drei Schlafkabinen mit zwei Doppelstockbetten darin, während der hellrote ihre Arbeitsstation und die Unterkunft ihres Chefs beherbergt. Das Moskitonetz bauscht sich sanft nach außen, die Tür des hellroten steht offen.

An der Grenze von Regenwald und Lichtung packt Thomas den vor ihm gehenden LeMans von hinten am Arm.

„Du, Lehmann, das mit Awea und Oemtu… lass mich das ihm sagen!“

LeMans schaut ihn fragend an. Thomas blickt zur Seite, dann sagt er:

„Bei dir, als Assi, kommt es eh nicht drauf an….“

Der Griff um LeMans Arm wird fester.

„…aber wenn ich, ich ihm diese Entdeckung präsentiere…, denk nur, ich brauche den Job, meine Frau, die Tochter…“

LeMans legt die Hand auf die des Kameraden und etwas spöttisch erwidert er:

„Klar, Thomas. Das geht klar!“

*

LeMans hätte nie gedacht, dass eine solch kleine, anscheinend unbedeutende Beobachtung mit so viel Aufmerksamkeit aufgenommen werden würde. Auerbach nickt begeistert, als er vor allen drei Teams in seinem Wohnbüro, das auch als Beratungsraum dient, seine neue Theorie von der „KONFLIKT-VERMEIDUNG“ entwickelt.

Mit offenem Mund lauscht der Assistent den entfesselten Schlussfolgerungen ihres hochgeschätzten Profs. Ja, der Mann hat aus dem Nichts ein weltweit anerkanntes Institut gegründet. Ja, der Mann hat unverdrossen Forschungsgelder für ein Gebiet herangezaubert, dessen Exotik weniger Gläubige schon vor jeder Aktivität zum Abwinken genötigt hatte. Das trifft es: Auerbach ist zutiefst gläubig.

Voll wachsender Begeisterung stimmt LeMans, stimmen die Mitglieder des zweiten Teams zu: Wäre nicht Dr. Thomas Neureiter zur rechten Zeit an der richtigen Stelle gewesen, wäre eine zunächst einfach scheinende Interaktion nicht bemerkt worden.

Wäre ihr Chef nicht an Ort und Stelle gewesen, diese einzigartige Interaktion zu bewerten, wie leicht hätte übersehen werden können, dass die Kraft der sozialen Beziehungen in der Lage ist, Gruppenzwänge zu überwinden?

Langsam dämmert es LeMans. Das, was er in seiner beschränkten Einsicht nur als Ausrutscher, als Erweiterung oder gar Störung des M-Musters angesehen hat, stellt der Professor in einen wesentlich erweiterten Zusammenhang. Bereits die gemeinsamen Vorfahren der Menschenaffen und der Menschen müssen in der Lage gewesen sein, Konflikte, die aus der Gruppenbildung resultieren und sich später in Kastenzuordnungen, in Religionszugehörigkeiten, ja, sogar in der marxistischen Klassenbildung manifestierten, durch einfache soziale Interaktion zu durchbrechen.

Oh, Mann, jetzt ist es auch dem Letzten in der Forschergruppe klar geworden. Indem die Chefin mit dem Außenseiter bumst, kann das latent schwelende Konfliktpotenzial zwischen der weiterhin die Führung beanspruchenden Riege der Alphatiere und den Außenseitern der Omegas in Nichts aufgelöst werden. Die großzügige Geste erweist sich als systemstabilisierende Maßnahme ersten Ranges.

Also bitte aufgemerkt! Fast liebevoll greift der Professor zur Kreide, fast zärtlich ergänzt er das große M an der Wandtafel, welches die Beziehungen zwischen den beiden dominanten Affenmüttern und ihren subalternen Lovern dokumentiert, um eine weit zur Seite reichende Linie, hin zu den untergeordneten Mustern der Kopulationen der diversen C und Os. Ist das aus Menschensicht nicht Unzucht mit Abhängigen?

Was hilft es, sind eben Tiere. Den Gedanken sollte er lieber nicht äußern, denn die promovierten Mitglieder der Teams sind Jünger ihres Professors. LeMans lässt den Blick aus dem Fenster schweifen, während Auerbach seinen Zuhörern weiter sehr, sehr ausführlich erläutert, wie bedeutend die neue Beobachtung für die Wissenschaft allgemein und das Institut im Besonderen ist.

Draußen geht ein Regenguss nieder, ein Schwall von Wasser, der einen der vielen Zuflüsse des Kongo, den Tshuapa, über den sie ihren Nachschub bekommen, dampfen lässt. Die Sonne ist schon hinter den Baumwipfeln am Rand der kleinen Lichtung ihres Camps verschwunden. Wie Scheinwerferlicht leuchtet ein Sonnenstrahl über das Flusswasser, ein Regenbogen leuchtet auf, wächst in die Höhe, bis er sich am Rand des Fensters verliert. Am liebsten würde LeMans aufstehen und die Stirn an das Fensterglas pressen. Er traut sich das allerdings nicht, denn Dr. Berger beobachtet ihn schon länger. Er ist einer der eifrigeren und älteren Gefolgsleute Auerbachs. Ein kleiner schmächtiger Mann, dessen starker Bartwuchs sein Gesicht trotz intensiver Rasur dauerhaft verschattet.

Plötzlich springt der Generator an. Ebenso plötzlich verschwindet die Sonne und das Lichtspektakel über dem Fluss geht im Dunkel und im Regen unter.

Feierabend.

Anlässlich des einmaligen Ereignisses gibt es Palmbier. Obwohl Auerbach auch hier ein striktes Regime führt: Ebenso wie sexuelle Ablenkung ist natürlich auch die Ablenkung durch Alkohol- geschweige denn durch Drogenrausch ein absolutes Tabu. Allerdings - keine Regel ohne Ausnahme - ein gelegentliches Schlückchen Palmbier stärkt die Beziehungen zu den einheimischen Händlern, schmeckt gut und macht gute Laune!

Von den zwanzig Kanistern, die LeMans nach diesem Zugeständnis im Küchencontainer einlagerte, hat der Professor allerdings keine Ahnung.

So kommt es, dass die Männer, nachdem sich der Professor nach dem Genuss eines Becherchens des edlen Gebräus zur Ruhe begeben hat, die Runde unverdrossen direkt neben der Bierquelle weiter fortsetzen, bis sie ausreichend Bettschwere erlangt haben.

Nur Berger und LeMans halten noch durch. Berger erzählt von seiner Frau Margitta, muss wohl ein rechter Besen sein, eine Kneifzange, wie sich LeMans schadenfroh denkt. Kein Wunder, dass sich dieses Männlein an der Seite seines berühmten Übervaters so gern im Dschungel herumtreibt. Obwohl, das hat ja offensichtlich Grenzen, denn Berger ist Innendienst!

LeMans versucht noch einige Storys seines Hobbys einzuflechten, doch Berger interessiert sich einen Dreck für Motorsport und schwenkt immer wieder zu Margitta ab. Als er nun noch die Schwiegermutter ins Spiel bringt, fragt sich LeMans, warum er überhaupt noch hier sitzt, trinkt den vollen Becher in einem Zug leer, rülpst.

„So, mir reicht‘s. Ich geh ins Bett!“

Berger rückt näher, seine feuchten Lippen glänzen.

„Hast du schon gehört?“

LeMans bemerkt, dass der Küchencontainer leicht zu schlingern scheint. Er bemüht sich um Konzentration.

„Nee, was’n?“

Berger trinkt einen kleinen Schluck, sein Adamsapfel hüpft.

„Auerbach will aufhören. Das ist sein letzter Einsatz.“

LeMans ist nicht sonderlich beeindruckt. Auerbach geht auf die Siebzig zu, da haben andere schon lange in den Sack gehauen. Er grunzt nur kurz, dann hält er sich an der Tischkante fest und drückt die Beine durch.

„Muss noch duschen!“

LeMans wackelt in den Schlafcontainer und taucht kurz darauf im Schlafanzug, mit Handtuch über der Schulter, Regenschirm in der Hand, wieder auf. Im Küchencontainer brennt noch Licht, Berger kann wohl nicht Schluss machen. Er blickt kurz in Richtung des beleuchteten Fensters, dann verschwindet er im Sanitärtrakt.

Die Dusche mit lauwarmem Wasser ist ein Hochgenuss. Zufrieden und glücklich seift sich LeMans die Haare. Den Schaum verteilt er über dem ganzen Körper, seift sich den Bauch, auch das Gemächt, das bei dieser Zuwendung leicht munter wird. Schnell lässt er das kreisende Seifen sein. Wozu soll eine Latte hier und jetzt gut sein?

Er denkt intensiv an das schöne Naturbild mit dem Regenbogen und trocknet sich, nun wieder halbwegs nüchtern, ab. Angenehm liegt nun die Baumwolle des dünnen Schlafanzuges auf der Haut. Seine Hand greift nach dem Lichtschalter der Duschkabine, in der Umkleide herrscht schummriges Dunkel. Plötzlich steht eine kleine Gestalt vor ihm. Berger.

Ohne ein Wort zu sagen, streckt der kleine Mann die linke Hand aus, hebt dem vor ihm stehenden LeMans die Jacke an und lässt die rechte flink in dessen Schlafanzughose verschwinden. Sanft streichelt er den Hodensack seines Gegenübers.

LeMans Sack zieht sich schlagartig zusammen. Er holt tief Luft, greift nach Bergers Hand und zieht sie ruckartig aus der Nähe seiner Eier, die vor Schreck Schutz im Bauchraum gesucht haben.

„Was soll denn das? Berger! Soll ich dir paar auf’s Maul hauen?“

Berger schüttelt den Kopf.

„Ich dachte, du hättest Verständnis für mich… für uns alle. In dieser Situation.“

Der kleine Mann wedelt vage mit der nun wieder freien Hand.

„Du warst immer so freundlich. Wie der Alte uns kurz hält… das ist unerträglich! Und ich meine nicht nur sexuell!“

LeMans überlegt noch, wie er mit der Situation fertig werden soll, da setzt Berger mit schmeichelnder Stimme nach.

„Soll dein Schade nicht sein, wenn wir zusammenhalten. Schließlich ist die Frage nach der Nachfolge des Alten offen. Und wenn ich Institutsdirektor bin…“

LeMans zieht rigoros seine Schlafanzughose hoch.

„Mensch, Berger, spinnst du? Der Alte hat gerade die größte Schlussfolgerung seiner Laufbahn gezogen und du kommst mit so was? Geh bloß ab ins Bett jetzt. Und … das bleibt unter uns, verstanden?“

Berger nickt.

Als LeMans im Bett liegt, schwirren seine Gedanken wie Hummeln. Der Auerbach will aufhören, der Berger will ihn als Bündnispartner in der Nachfolgerfrage und als sexuellen Spielgefährten …die Affenalte Awea bumst den Oemtu.

Zack, sitzt er wieder aufrecht. Was, wenn er im Camp der Oemtu ist, der Außenseiter, mit dem jeder machen kann, was er will? Der Thomas klaut ihm die Beobachtung, der Prof machte eine Theorie daraus, und Berger will ihm gleich ans Rosettchen!

Na, auf jeden Fall ist er gespannt darauf, was sein Affenkumpel Oemtu jetzt aus der Situation macht. Wird er der neue Favorit der Königin?

Der Generator geht aus, LeMans lässt sich wieder in das Kissen sinken und schläft mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

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Menschenaffen in den Tierparks und Zoos der Welt haben alle meist mehr oder weniger treffende Namen. Diese Namen werden ihnen durch die Menschen entweder anlässlich einer feierlichen Taufzeremonie gegeben, oder die Vorbesitzer haben sie ihnen bereits verpasst.

Die berühmten Verhaltensforscherinnen Jane Goodall und Dian Fossey, die durch den ebenfalls berühmten Museumschef und Paläontologen Louis Leakey motiviert wurden, das Verhalten der Menschenaffen in freier Wildbahn zu beobachten, erkannten die Persönlichkeiten der Menschenaffen und gaben ihnen logischerweise ebenfalls Namen statt der bisher in wissenschaftlichen Untersuchungen vorzugsweise verwendeten Nummern.

LeMans, der die Stoppuhren an seiner Jacke mit den Initialen der sich paarenden Hordenmitglieder gekennzeichnet hat, tendiert ebenfalls dazu, die Menschenaffen mit Namen zu versehen und damit gegen die Regeln der wissenschaftlichen Klassifizierung absichtlich zu verstoßen.

Für ihn ist die Königin der Horde einfach ‚die Queen‘ oder liebevoller ‚Eli‘.

Den Verhaltensforschern ist klar, dass die traditionelle Betrachtung der Menschenaffen als Tier, gar als Ding im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches, dem Wesen dieser Persönlichkeiten nicht gerecht werden kann. Trotzdem haben sie beschlossen, zur besseren Unterstützung der mathematischen Modellierung ihres Forschungsvorhabens die beobachteten Lebewesen mit Buchstaben- und Zahlenkombinationen zu bezeichnen. Sollten persönliche Beziehungen zwischen den Beobachtern und den Beobachteten entstehen, die eine persönlichere Bezeichnung nahelegen, so ist das die Sache des jeweiligen Beobachters. Es ist nicht gerade verboten, sollte jedoch das mathematisch orientierte Bezeichnungsmodell nicht verfälschen. Wo kämen sie da schließlich hin!

Für LeMans jedenfalls ist Awea Eli und ihr neuer Lover, Oemtu, ist Othello. Dabei rückt Oemtu eher zufällig durch seinen Anfangsbuchstaben in die Nähe des tragischen Feldherrn Othello, denn LeMans ist echt kein Opernfan!

Die Kurzfristbeziehung Elis zu Beema rührte nicht an des Beobachters Herz, ungerührt drückte er die jeweilige Stoppuhr. Nur der Underdog, der bisher stets an den Rand der Gruppe verwiesene Oemtu, vermochte ihn zu beeindrucken.

Hat sein Außenseiterdasein nun ein Ende? Ja, das will LeMans gern wissen. Seit der Beobachtung der ersten Paarung zwischen Eli und Othello sitzt LeMans oft allein im Baumhaus über der Tenne, voller Neugier, wie sich die Beziehung zwischen seinen persönlichen Lieblingen weiterentwickeln wird.

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