EspressoProsa. Klein. Stark. (Manchmal) schwarz. - Markus Walther - E-Book

EspressoProsa. Klein. Stark. (Manchmal) schwarz. E-Book

Markus Walther

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Beschreibung

53 Kurzgeschichten to go Was haben Espresso und Kurzgeschichten gemeinsam? Beide werden ihrer Größe wegen - oder sollte man vielleicht eher sagen wegen ihrer geringen Menge - oft unterschätzt. Doch so wie in dem kleinen Tässchen eine geballte Ladung Koffein steckt, können sich selbst in der kürzesten Geschichte Universen auftun und sogar ganze Leben entfalten - manchmal braucht es nur eine Seite. In einer hohen Konzentration können sich hier Sinn und Unsinn frei entfalten und den Geist erhellen oder manchmal einfach nur belustigen. EspressoProsa ist die Fortsetzung von Kleine Scheißhausgeschichten und entfaltet ebenso wie sein Vorgänger Humor und Geistreiches über die Wunderlichkeiten des Alltags und der Welt. Kurzweilig, aber dennoch pointiert versüßen sie die eine oder andere Tasse Kaffee. Und auch wer Kaffee und Humor lieber schwarz genießt, wird auf seine Kosten kommen.

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Markus Walther 

Espresso Prosa

Walther, Markus: Espresso Prosa. Klein. Stark. (Manchmal) schwarz,

Hamburg, ACABUS Verlag 2012

Originalausgabe

PDF-ebook: ISBN 978-3-86282-127-3

ePub-ebook: ISBN 978-3-86282-128-0

Print: ISBN 978-3-86282-126-6

Lektorat: Sophia Schmidt, ACABUS Verlag

Cover: © Petra Rudolf

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

© ACABUS Verlag, Hamburg 2012

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Für Zoe, Felicia und Michi.

Ohne Kaffee läuft nix ...

Ein paar Worte vorab

Kaffee

Modifikation

Spiegelzauber

Das Lexikon

Der Kommandeur

Sternschnuppen

Die Umschulung

Der Forscher

Zeitlos

Der Wächter

Symbolik

Verlockung

Feindberührung

Training

Ein paar Worte dazwischen

Milch

Maître

Der Dämon

Geschwindigkeitsrausch

Asche zu Asche

Frühlingserwachen

Chaostheorie

Im Tarifdschungel

Zacharias im Waschsalon

Walthers Tierleben

Beutejagd

Neulich, am Styx

Dankbarkeiten

Frauenlogik

Noch ein paar Worte dazwischen

Zucker

Vorhölle

Der Sinn des Lebens

Der Seelenfresser

Verfolgungswahn

M26

Arbeitseinweisung

Der Admiral

Endspiel

Alrauna

Filofax

Auf der Türschwelle

Zanders Armageddon

Ingenieurskunst

Schon wieder ein paar Worte dazwischen

Kaffee, Milch und Zucker

Des Teufels Geschenke

Die Made

Lebenszauber

Mallorca

Augenhöhe

Barock

Groschenroman

Wortspiel

Gomorra

Afroamerikanische Zuwendungen

Ein paar Worte danach

Ein paar Worte vorab

Einen Espresso zu genießen, dazu braucht man nicht viel Zeit. Das reicht gerade, um vielleicht einen Blick auf die Straße zu werfen, um die Schlagzeilen auf dem Titelblatt der Tageszeitung zu überfliegen oder um der hübschen Kellnerin (bzw. dem knackigen Kellner) unauffällig nachzuschauen.

Stellen wir uns also vor, dass Sie gemütlich beim Italiener um die Ecke sitzen. Es bleiben Ihnen noch – sagen wir mal – zehn Minuten, bis Sie gleich aufstehen müssen, um am Tresen die Rechnung zu bezahlen. Das ist genug Zeit, um sich diese kleine Tasse aus scheinbar viel zu dickem Porzellan zu bestellen. Gefüllt ist sie mit dem köstlichen Schwarz.

Dazu wird vermutlich ein Glas Wasser serviert. Jetzt ist genau der Moment, in dem Sie eine Seite lesen könnten.

Lohnt das? Auf einer Seite kann doch nicht viel passieren …

Sie werden überrascht sein, wie viel auf eine Seite passt: Ein Tag, ein Jahr, manchmal ein ganzes Leben oder auch nur ein Augenblick.

Auf den folgenden Seiten erwarten Sie sogenannte Kürzestgeschichten. Erzählungen, die, in sich abgeschlossen, ihren eigenen kleinen Mikrokosmos bilden.

Bevor ich Sie nun in andere Welten entführe, vom Menschen nebenan erzähle oder von Teufeln und Dämonen berichte, habe ich noch eine kleine Bitte:

Lesen Sie immer nur eine Geschichte und machen Sie dann etwas Pause. Nur so können sich die einzelnen Ereignisse wie ein gutes Kaffeearoma entfalten.

Viel Spaß beim Lesen

Ihr Markus Walther

Kaffee

Seine Aufforderung war eigentlich unmissverständlich: „Kommst du noch auf einen Kaffee mit hoch?”

Gaby gehörte nicht zu der Art Frau, die einem One-Night-Stand abgeneigt war. Sie war ein eingefleischter Single und liebte ihr ungezwungenes Leben ohne Verpflichtungen. Heute Nacht hatte sie Mike kennengelernt. Insgeheim hatte Gaby ihn als „annehmbar” katalogisiert. In ihrer ganz persönlichen Liste von möglichen Liebhabern nahm er daher einen eher mittelprächtigen Status ein.

Sein Charakter wirkte etwas zu arrogant, aber sein Prachtkörper war ja auch nicht zu verachten. Immerhin zeichnete sich durch sein enges Muskelshirt ein ansprechendes Sixpack ab. Schließlich wollte sie sich nicht mit ihm unterhalten.

„Warum nicht?”, antwortete sie also und begleitete ihn in seine Penthousewohnung im vierzehnten Stock.

Die Wohnung mit den imposanten Designermöbeln war großartig und der Ausblick auf die Skyline der Stadt nahm sofort jeden Blick gefangen. Der Abend schien doch noch recht vielversprechend zu werden.

Gaby legte ihre leichte Sommerjacke ab und warf sie über die Lehne des Ledersessels. Sie fand es zwar etwas befremdlich, dass Mike sie sofort nahm, vorsichtig glatt strich und auf einen Bügel in der Garderobe neben der Tür hing, aber ein ordentlicher Mann konnte eigentlich keine falsche Wahl sein.

Sie selbst positionierte sich auf die Couch, zog ihre Pradas aus und legte die Beine in einer lasziven Pose übereinander. Sie wusste um ihre Reize, hatte sie sie doch stundenlang vor ihrem Spiegel erprobt. Welcher Mann konnte ihr schon widerstehen?

Etwas überrascht stellte sie fest, dass Mike sich nicht zu ihr gesellte. Er verschwand in der Küchenzeile neben der Hausbar. „Mein ganzer Stolz”, erklärte er, als er auf eine Espresso-Maschine deutete, die in ihren Ausmaßen an einen kleineren Wandschrank erinnerte.

„Möchtest du einen Filterkaffee? Espresso? Kaffee Brasiliana? Mokka? Cappuccino? … oder eine Latte?” Gaby dachte, dass er das letzte Angebot vielleicht anzüglich gemeint hatte. Aber die Ernsthaftigkeit, mit der er sich dem Automaten widmete, ließ sie daran zweifeln.

Auf einer kleinen Warmhalteplatte ruhten die verschiedensten Tassen und Gläser. In einem Wandhalter hingen spezielle Löffel und im Regal darüber waren Kaffeedosen angeordnet. Sorgsam beschriftete Etiketten waren darauf angebracht. Gaby hätte nie geahnt, dass es so viele Mischungen in einem Haushalt geben konnte.

„Kaffee ist etwas ganz besonderes”, erklärte Mike. „Kaum zu glauben, was aus diesen kleinen weißen Blüten der Coffea alles werden kann.”

Was sollte das denn jetzt werden?, durchfuhr es Gaby. Einen wissenschaftlichen Vortrag über Kaffee hatte sie heute Abend am allerwenigsten erwartet.

„Arabica und Robusta sind die am häufigsten verwendeten Sorten für gute Kaffeemischungen.” Eifrig begannen seine Hände ein kleines Ritual. Die Finger flogen zum Schalter. Eine Handvoll Kaffeebohnen flog in einen durchsichtigen Behälter und wurde von einem automatischen Mahlwerk zu Pulver verarbeitet.

„Aber um einen vernünftigen Kaffee zu zaubern, braucht es noch einiges mehr. Weißt du, ich glaube, dass das Kaffeemachen eine kleine Kunst für sich ist. Beherrscht nicht jeder.”

Gaby setzte sich etwas bequemer hin. Die Erotik durfte wohl erst einmal eine Pause einlegen.

„Mancher Kaffeeverbrecher scheint sein geheimes Kaffeerezept mit einer Prise Salz im Filter zu beenden, aber so was ist schon fast blasphemisch.”

„So?”

„Das Kaffeewasser muss aufs Grad genau erwärmt sein. Und auch die Tassen dürfen nicht kalt sein. Wenn ich sehe, dass sich jemand Süßstoff in den Kaffee wirft, bekomme ich den puren Ekel. Brauner Zucker ist die richtige Wahl. Aber eigentlich mag ich’s am liebsten ohne.”

Gaby strich sich ihren Rock etwas tiefer und schlüpfte wieder in ihre Schuhe. Wie sie es am liebsten mochte, stand im Augenblick anscheinend nicht mehr zur Debatte. Sie blendete sein Gelaber aus ihrem Bewusstsein aus – so gut es eben ging. Leider verging die Zeit nicht so schnell wie ihre Stimmung.

„… französisch?” Seine Frage ließ sie hochschrecken.

„Wie bitte?”

„Kennst du Kaffee auf Französisch? Ich meine die Zubereitung.”

Mike zeigte ihr einen Glasbehälter mit Metallhebel und einem eingelassenen Filtersieb.

Gaby musste es sich eingestehen: Der Abend war gelaufen. Mit dieser Schnarchnase würde sie heute nichts mehr anfangen.

Nun gut. Gleich würde sie aufstehen, ihre Jacke vom Bügel nehmen und die Reise mit dem Lift ins Parterre antreten. Doch vorher würde sie ihm auch den Abend versauen. Eine kleine Rache musste sein.

„Weißt du”, sagte sie, „wenn du mir was richtig Leckeres machen möchtest, dann mach mir doch bitte einen Tee. Hast du vielleicht einen Earl Grey?”

Modifikation

Das Baby quäkte. Schon wieder. Noah verdrehte genervt die Augen. Eigentlich wollte er heute Abend die Hoverball-Meisterschaft anschauen. Es war wohl zuviel verlangt, dass er sich am Ende eines arbeitsreichen Tages in den Docks etwas Erholung im Wohnzimmer erhoffte.

„Liebes!“ Er schaltete den Projektor ab. „Die Kleine schreit.“

„Ich kann gerade nicht. Ich hydriere uns eine Pizza.“ Das war nicht die Reaktion, die sich Noah erhofft hatte. Miriam konnte doch nicht von ihm erwarten, dass er …

„Kannst du dich mal um die Kleine kümmern? Sie hat bestimmt nur ihren Nucki verloren.“

Na toll! Noah legte die Fernbedienung zur Seite und stampfte wütend die Treppe ins Kinderzimmer hinauf. „Mensch, Debby! Ich verpass den Anstoß“, zischte er in Richtung des Kinderbettes. Als Antwort erhielt er markerschütterndes Weinen.

„Schon gut. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Sein Versuch, das Kind zu trösten, kam zu spät. Es war zum Verzweifeln. Teddy und Mobile blieben wirkungslos. Auch Grimassenschneiden und Schlafliedsingen half nicht. Selbst mit dem Trinkfläschchen konnte er das Plärren nicht abstellen. Einem Sturzbach gleich rannen die Tränen über Debby‘s gerötete Wangen.

Noah tat also das, was von jedem guten Vater in dieser Situation erwartet wurde: Während seine Frau im Wohnzimmer die Pizza aß, hatte er das Baby mit ins Schlafzimmer genommen. Dort lag er nun im Bett mit Debby auf dem Bauch, die zwar friedlich entschlummert war, doch bei jeder noch so kleinen Bewegung seinerseits, einer Drohung gleichkommend, schluchzte. Bloß nicht bewegen!

Das war die Nacht, in der Noah einen Entschluss fasste …

„Du bist dir wirklich sicher, dass du dir ein Implantat setzen lassen willst?“ Miriam schüttelte ungläubig den Kopf. Zum Frühstück hatte sie nicht mit solchen Neuigkeiten gerechnet.

„So ein medizinischer Eingriff ist heutzutage Routine, Liebes.“ Noah lächelte. „Heute Nachmittag bin ich schon wieder zu Hause. Ich brauche nicht mal einen Termin.“

„Aber was mache ich so lange mit Debby? Ich muss doch gleich ins Büro.“

„Kein Problem. Ich kann sie mitnehmen. In der Praxis gibt es eine Kinderbetreuung mit Krippe. Sie wird dort bestens aufgehoben sein.“

Das Implantat war klasse! Noah lag im Bett und schloss die Augen. Das Rückspiel der Hover-Jetsons im Arenastadion erstrahlte auf der Innenseite seiner Lider. Dreidimensional.

„Schatz“, rief Miriam, „das Baby schreit.“

„Kein Problem“, antwortete Noah vergnügt. Als er ins Kinderzimmerging, hielt er ein Auge geschlossen. Keine Sekunde würde er von dem Spiel verpassen.

Debby schien andere Pläne für den Abend zu haben. Aus Leibeskräften gab sie ihr Geschrei zum Besten. Und wieder ignorierte sie sämtliche Beruhigungsversuche.

Doch Noah war darauf vorbereitet …

Miriam durfte nie erfahren, dass das eingepflanzte Fernsehimplantat ihm nur als Alibi diente.

Vorsichtig schob Noah seine Hand in den Nacken, ertastete die kleine Narbe am Haaransatz des Kindes. Unter der Haut verborgen lag der winzige Schalter.

„Klick.“

Aus.

Ruhe.

Spiegelzauber

Die Fensterläden klapperten im Wind. Peitschender Regen nässte die Mauern der Burg, die sich dunkel gegen das Gleißen der Blitze abzeichnete. Es war eine Nacht wie sie Magier lieben.

„Meister, ich kann Euch doch helfen!“, rief der Lehrling die Treppe hoch.

Doch sein Herr ignorierte ihn und schloss die schwere Eichentür hinter sich. Die ersten Formeln huschten mit einem Flüstern über seine Lippen.

Die Stimme des Lehrlings drang immer noch durch das Holz: „Aber Meister! So hört mich rufen. Lasst mich das für Euch tun. Es ist ganz einfach. Ich weiß, wie es geht.“

Nichts wusste dieser Jungspund. Und für eine neue Lektion hatte Justinus keine Zeit. Sein Zögling musste warten.

Denn Magie kommt nicht mit einem Fingerschnippen. Sie ruht nicht in den Knochen des Zauberers. Die Realität beeinflusst man nicht mit angeborenen Fähigkeiten. Es braucht dazu Wissen. Nicht mehr. Nicht weniger.

Justinus beherrschte die alten Kräfte, die den Dingen innewohnten. Er konnte den Elementen seinen Willen aufzwingen. Ohne glitzernden Stab oder spitzen Hut.

Eiligen Schrittes durchmaß er die Turmkammer bis er zu einem mannshohen Spiegel gelang.

„Wenn du Unerreichbares erreichen möchtest“, sprach er zu dem Gesicht hinter dem versilberten Glas, „so musst du Unvollbringbares vollbringen.“

Mit seinen knochigen Fingern tippte er an das Glas. Sein Abbild tat auf der anderen Seite das gleiche.

„Lass uns heute zaubern. Es ist an der Zeit, mein Leid zu lindern. Wir sollten uns sputen.“

Als sich Justinus vom Spiegel abwandte, schien sein Körper zu schrumpfen. Sein Rücken beugte sich leicht nach vorn und sein Kopf sank zwischen die Schultern.

„Ich bin gleich wieder da“, rief er noch, bevor er in einem begehbaren Schrank verschwand. Doch es war vergebens, denn sein Konterfei hatte längst die Geduld verloren und ebenfalls seinen Platz verlassen.

„Na, dann nicht“, sagte Justinus achselzuckend. „Aber den Weg hättest du dir sparen können.“

Ächzend und schnaubend kam Justinus nach einer Weile zurück. Er schob einen zweiten, ebenso großen Spiegel vor sich her. Mit einiger Mühe platzierte er ihn mit etwas Abstand genau vor den Ersten.

„So“, keuchte der Alte, „wollen wir doch mal sehen, wie viel Magie es benötigt …“

Er trat zwischen die Spiegel. Sein Körper straffte sich, richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Abraxas!“, rief er. Und seine abertausend Reflexionen hinter dem Glas taten es ihm gleich, potenzierten sein Wort bis in die Unendlichkeit.

Justinus blickte an seinem Spiegelbild vorbei. Dahinter reflektierte das Spiegelbild des gegenüberliegenden Spiegels. So konnte er seinen eigenen Rücken sehen. Und eine Reflexion weiter stand er sich wieder von Angesicht zu Angesicht im Wege. Dieses Spiel setzte sich immer weiter fort. Ein nicht enden wollender Schacht tat sich in den Spiegelbildern auf – leicht gekrümmt, da er etwas seitlich hineinblicken musste.

„Ich muss mich sputen. Es drängt“, sagte er zu seinem Gegenüber. Es klang fast entschuldigend.

„Abraxas!“ Mit einem kraftvollen Hieb rammte er seine Faust in das Glas. Doch es prasselten keine Scherben zu Boden …

… der Schacht blieb.

Seine Spiegelbilder traten zur Seite. Seine Hand streckte sich durch die Dimensionen.

Gewiss: Es war ein äußerst aufwändiger Zauber, der Justinus viel abverlangte. Doch sein Lohn war grenzenlos.

Denn nur wenige Augenblicke später durchdrang seine Hand den rückwärtigen Spiegel und berührte ihn zwischen den Schulterblättern.

Und er konnte sich endlich an der Stelle kratzen, an die er sonst nicht herankam.

Das Lexikon

Das Buchgeschäft am Ende der Straße hatte einen besonders guten Ruf. Reginald, der Inhaber des Ladens, war weit über die Stadtgrenzen dafür bekannt, dass er anscheinend alle guten Bücher inhaltlich kannte, sie auch anbot oder zumindest beschaffen konnte. Egal ob Roman, Sachbuch oder Biografie: Reginald wusste immer Bescheid.

Paul war einer seiner Stammkunden. Mindestens einmal die Woche schaute er vorbei, stöberte in den Auslagen und Verkaufsregalen oder diskutierte mit Reginald die neuesten Rezensionen in der Tagespresse.

„Hallo Reginald“, sagte Paul, als er an einem Dezemberabend wieder einmal den Laden betrat.

„Grüß‘ dich, Paul.“ Reginald kramte gerade kopfüber in einer großen Holzkiste, die mitten im Laden stand. „Schön, dass du vorbeischaust. Ich habe gerade eine Warensendung bekommen. Sachbücher von einem neuen Verlag.“

„Neuer Verlag?“

„Ausnahmsweise kenne ich nicht ein Stück des Verlagsprogramms. Aber die Buchtitel haben mich neugierig gemacht.“ Reginalds Kopf hob sich aus der Kiste und lächelnd blickte er Paul an. „Außerdem habe ich schon ein halbes Dutzend Vorbestellungen für einen Titel aus dem Sortiment. Scheint ein echter Geheimtipp zu sein. Ein Exemplar wird in der nächsten Viertelstunde abgeholt.“

„Ein halbes Dutzend Vorbestellungen für ein Buch aus einem unbekannten Verlag?“ Paul pfiff erstaunt. „Das nenne ich mal ein gutes Debüt. Neue Verlagshäuser sollen es doch so schwer haben.“

Reginald langte in die Kiste und zog ein Buch heraus. Es war ein dickes Hardcover, eingeschweißt in Folie. Das Titelbild war sachlich schlicht. Es zeigte nur ein stilisiertes Herz auf dem die Silhouette einer Fledermaus zu erahnen war. Die Überschrift lautete: „Medizinisches Lexikon für Vampire“

„Wow“, sagte Paul, „du bist dir wirklich sicher, dass dies ein Sachbuch ist?“

„Wir können ja mal reinschau’n. Ich wollte sowieso wissen, was ich da verkaufe.“

Also setzten sie sich hinter den Kassenbereich, entfernten die Folie und schlugen das Inhaltsverzeichnis auf. Mit jedem Wort, mit jedem Satz und mit jeder Zeile veränderte sich der Gesichtsausdruck der beiden Leser. Zunächst waren sie erstaunt, dann irritiert. Später amüsiert. Und zum Schluss vollkommen perplex. Sie lasen von Ratschlägen zu Knoblauch-Unverträglichkeiten, Behandlungsmöglichkeiten von Blutarmut, Sonnenallergien und ihren Folgen. Außerdem wurde ausgiebig die Versorgung bei Verletzungen durch Holzsplitter besprochen und Erste Hilfe bei fehlplazierten Pflöcken erklärt. Der Vermeidung von Silberschocks und der Verwendung von Nickelersatz hatte der Autor eine ebenso umfangreiche Abhandlung gewidmet, wie dem Thema Staublunge durch zu häufige Aschetransformation. Ein Kapitel speziell zu Fledermauskrankheiten durfte anscheinend auch nicht fehlen.

Der strenge, wissenschaftliche Ton verunsicherte Paul. Er legte das Lexikon zur Seite. „Das ist doch ein Scherz, … oder?“

Reginald nickte langsam. „Ja, natürlich. Ich meine, das muss ein Scherz sein. Niemand kann …“

In diesem Augenblick bimmelte das Glöckchen an der Tür. Ein kleiner Mann hatte den Raum betreten. Gekleidet in einen langen schwarzen Mantel stand er plötzlich vor dem Tresen.

„Ah“, sagte er, „endlif. Ich fehe das Buch ift eingetroffen. Meine Vorbeftellung, bitte. Jetzt kann ich endlif waf gegen meinen Überbiff tun.“

Der Kommandeur

Hauptmann Rech betrachtete das Schlachtfeld. Trümmer und Schmutz, Staub und Lehm, wohin das Auge blickte. Und es würde nicht lange dauern, bis der Feind wieder einfiele, um seinen Vernichtungsfeldzug fortzusetzen. Es gab kein Entrinnen.

Zahlenmäßig vollkommen unterlegen, musste er sich dringend eine Strategie einfallen lassen. Sonst würde er nicht nur eine Niederlage erleben. Es wäre ein Fiasko.

Dass er mit den Hacken schlug und entschlossen die Hände hinter dem Rücken zusammenlegte, war ein jahrelang antrainierter Reflex.

„Die Frage ist“, intonierte er, „wie wir der Lage Herr werden?“

Keine Antwort abwartend, öffnete er den obersten Knopf seines olivgrünen Hemdes und krempelte anschließend die Ärmel hoch. Er musste ein gutes Beispiel geben, auch wenn es nicht seinem Stand in der Befehlsstruktur gerecht wurde.

„Nicht lange reden!“ Er räusperte sich. „Anpacken.“