Ethische Perspektiven in der Betriebswirtschaftslehre - Hans-Ulrich Küpper - E-Book

Ethische Perspektiven in der Betriebswirtschaftslehre E-Book

Hans-Ulrich Küpper

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Beschreibung

Hans-Ulrich Küpper beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss Wissen und Glauben auf das Entscheiden und Handeln haben. Dabei spannt er einen weiten Bogen durch Wissenschaft, Philosophie, Erkenntnistheorie und Theologie. Er geht davon aus, dass ein zentrales Merkmal der Betriebswirtschaftslehre die Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Aussagen und die hohe Zuverlässigkeit von Wissen ist. Darüber hinaus stellt der Autor die Frage, inwieweit eine anwendungsorientierte Wissenschaft auch normative und moralische Fragestellungen einbeziehen sollte. Denn die Handlungen und Entscheidungen von Menschen, die in Organisationen tätig sind, werden stets von persönlichen Wertvorstellungen, empirischem Wissen und nicht zuletzt vom eigenen »Glauben« beeinflusst. Die Analyse spannt einen weiten historischen Bogen, der auch philosophische, metaphysische sowie transzendente und religiöse Konzepte umfasst. Damit schafft der Autor eine wertvolle Basis, um Entscheidungen und Handlungen im persönlichen wie im unternehmerischen Kontext kritisch zu reflektieren. 

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Seitenzahl: 300

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

InhaltsverzeichnisHinweis zum UrheberrechtImpressumVorwort1 Öffnung der ­Betriebswirtschaftslehre gegenüber Ethik, Philosophie und ­Theologie1.1 Notwendigkeit und Zweck ethischer Analysein der Betriebswirtschaftslehre1.2 Defizit in Bezug auf Fragen von Glauben1.3 Aufbau der Untersuchung1.4 Ausrichtung und Adressaten der Untersuchung2 Wissen – Hintergründe wissenschaftlicher Erkenntnis2.1 Anforderungen und Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis2.2 Formen wissenschaftlicher Erkenntnisseund ihre Zuverlässigkeit2.2.1 Wissenschaftliche Erkenntnisformen und Aussagearten2.2.2 Logische Aussagen und deren Zuverlässigkeit2.2.2.1 Kennzeichnung logischer Aussagen2.2.2.2 Überprüfung logischer Aussagen2.2.3 Empirische Aussagen und deren Zuverlässigkeit2.2.3.1 Formen empirischer Aussagen2.2.3.2 Überprüfung empirischer Aussagen2.2.3.3 Abgestufte Zuverlässigkeit der Aussagen2.2.4 Normative Aussagen und deren Überprüfbarkeit2.2.4.1 Kennzeichnung normativer Aussagen2.2.4.2 Werte, Normen und Regeln als Komponenten normativer Aussagen2.2.4.3 Allgemeine Geltung normativer Aussagen2.2.4.4 Überprüfung normativer Aussagen2.2.5 Gewinnung und Anwendung von Erkenntnissen als Wissenschaftszwecke2.3 Beziehungen zwischen Wissen und Bewerten2.3.1 Struktur von Wertungen und Werturteilen2.3.2 Wertungen in unterschiedlichen Wissensbereichen2.3.3 Begrenztheit des Wissens3 Glauben – Vorstellungen zwischen Wissenschaft, Religion und Philosophie3.1 Verständnis von Glauben3.1.1 Unterschiede zwischen Wissen und Glauben3.1.2 Begriffe des Glaubens3.1.2.1 Weite und enge Fassung des Glaubensbegriffs3.1.2.2 Spanne des Glaubensbegriffs von »Meinen« bis zum religiösen »Glauben«3.1.2.3 Glauben von Inhalten oder an Personen3.2 Gegenstände bzw. Inhalte des Glaubens3.2.1 Überblick über Gegenstände des Glaubens3.2.2 Glauben empirischer und logischer Sachverhalte3.2.2.1 Glauben als das Fürwahrhalten empirischer Einzeltatbestände und Zusammenhänge3.2.2.2 Glauben als ein Fürwahrhalten logischer Schlüsse3.2.2.3 Begriffliche Abgrenzung zwischen Glauben und Wissen3.2.3 Transzendente Vorstellungen als Gegenstand bzw. Inhalt von Glauben3.2.3.1 Glauben von transzendenten Vorstellungen3.2.3.2 Glaubensvorstellungen von Zeit und Ewigkeit3.2.3.3 Glaubensvorstellungen tieferliegender Sinnzusammenhänge3.2.4 Glauben als Verankerung normativer Sachverhalte und Wertvorstellungen3.2.4.1 Kennzeichnung normativer Sachverhalte und Wertvorstellungen als Glaubensinhalte3.2.4.2 Verankerung von Werten und Normen im einzelnen Menschen3.2.4.3 Determinanten der Verankerung von Werten und Normen3.2.5 Glaube an Personen und an Gott3.2.5.1 Glauben als Vertrauen auf Personen3.2.5.2 (Religiöser) Gottesglaube3.3 Funktionen des Glaubens in unterschiedlichen (Lebens-)Bereichen3.3.1 Grundlegende Funktionen des Glaubens3.3.1.1 Glauben als Entscheidungsprämissen3.3.1.2 Erkenntnisgewinnung und Ersatz von Wissen3.3.1.3 Vermittlung von Werten und Zielen sowie Sinngebung3.3.2 Funktionen und Bereiche von Glauben in der Wissenschaft3.3.2.1 Notwendigkeit von Bewertungen und Prognosen in der Wissenschaft3.3.2.2 Entscheidungstatbestände der Forschung3.3.2.3 Determinanten der Entscheidungsfindung in der Forschung3.3.3 Funktionen und Arten religiösen Glaubens3.3.3.1 Vielfalt der Religionen3.3.3.2 Christlicher Glaube an einen dreieinigen Gott3.3.3.3 Ausrichtung auf christliche Werte und Gebote3.3.3.4 Sinnstiftung für ein christliches Leben3.3.3.5 Christliche Jenseitshoffnung3.3.4 Funktionen und Arten philosophischen Glaubens3.3.4.1 Philosophischer Glaube bei Immanuel Kant3.3.4.2 Philosophischer Glaube bei Karl Jaspers3.3.4.3 Nach-metaphysischer Glaube bei Jürgen Habermas4 Entscheiden und Handeln – Abhängigkeit von Wissen und Glauben4.1 Determinanten des Handelns4.2 Einfluss des Wissens auf rationales Entscheiden und Handeln4.2.1 Begriff und Struktur rationaler Entscheidungen4.2.1.1 Komponenten rationaler Entscheidungen4.2.1.2 Rationalitätsverständnis der normativen Entscheidungstheorie4.2.1.3 Unvermeidbarkeit des Umgangs mit unvollkommener Information4.2.2 Einfluss von Wissen und empiriebezogenem Glauben auf Entscheiden und Handeln4.2.3 Abhängigkeit der Wert- und Zielvorstellungen vom Glauben4.2.4 Einfluss unbewusster Glaubensvorstellungen auf Entscheiden und Handeln4.3 Abhängigkeit des Entscheidens und Handelns von ­Basiswertvorstellungen4.3.1 Funktion persönlicher Basiswertvorstellungen für Entscheiden und Handeln4.3.2 Konzepte zur Begründung allgemeiner Basiswertvorstellungen4.3.2.1 Religiöse Begründung von Basiswertvorstellungen4.3.2.2 Rationale metaphysische Konzepte zur Begründung von Basiswertvorstellungen4.3.2.3 Kontrakt- und vertragstheoretische Begründung von Basiswertvorstellungen4.3.2.4 Begründung durch eine Komprimierung empirisch akzeptierter Basiswerte4.3.3 Gewinnung von Basiswertvorstellungen aus individuellen und gesellschaftlichen Erfahrungen4.3.3.1 Herleitung von Gründen für Basiswertvorstellungen aus Erfahrungen4.3.3.2 Einfluss individueller Erfahrungen auf persönliche Basiswertvorstellungen4.3.3.3 Wandel von Basiswertvorstellungen im 20. Jahrhundert4.3.3.4 Einfluss gesellschaftlicher Erfahrungen auf allgemeine zentrale Basiswertvorstellungen4.4 Einfluss transzendenter Glaubensvorstellungen auf ­Entscheiden und Handeln4.4.1 Hintergrund transzendenter Glaubensvorstellungen4.4.2 Einfluss transzendenter Glaubensvorstellungen4.4.2.1 Einfluss religiöser Glaubensvorstellungen4.4.2.2 Gefahren religiöser transzendenter Glaubensvorstellungen4.4.2.3 Entwicklung hin zu nach-metaphysischem Glauben4.4.2.4 Existenz nicht-religiöser transzendenter Glaubensvorstellungen4.4.3 Wichtige Inhalte transzendenter Glaubensvorstellungen4.4.3.1 Vorstellungen von Gott oder einem Hintergrund von allem4.4.3.2 Fragen aus Nahtoderfahrungen4.4.3.3 Vorstellungen von Jenseits und einem Leben nach dem Tod4.4.4 Wirkungen transzendenter Glaubensvorstellungen4.4.4.1 Wirkungen religiöser Glaubensvorstellungen4.4.4.2 Handlungssituation ohne religiöse Glaubensvorstellungen4.4.4.3 Offenheit gegenüber transzendenten Vorstellungen5 Ergebnis: Verantwortliches Handeln ohne Sicherheit im Wissen und Glauben5.1 Notwendigkeit der klaren Trennung zwischen logischen, empirischen und normativen Aussagen5.2 Breite der Gegenstände und Funktionen von Glauben5.3 Funktionen von Wissen und Glauben für das Entscheiden und Handeln5.4 Frage nach dem Sinn und Ziel des LebensLiteraturverzeichnisDer AutorStichwortverzeichnis

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Hans-Ulrich Küpper

Ethische Perspektiven in der Betriebswirtschaftslehre

1. Auflage, Juni 2025

© 2025 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

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Für Irmtraud, Claudia, Victoria und Julia

Vorwort

Betriebswirtschaftslehre und Theologie sind, bereits biographisch gesehen, zwei Pole in meinem Leben. Meine beiden Großväter waren Pfarrer, mein Vater Unternehmer. Es wurde mir in die Wiege gelegt, seine Nachfolge in der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens anzutreten. Dafür ging ich nach dem Abitur in eine kaufmännische Lehre und studierte BWL. Nach der Promotion fiel die Entscheidung in eine andere Richtung. Der Weg zum Hochschullehrer, den mein Vater dann akzeptierte, schien mir die einzige Möglichkeit, ihm gütlich klar zu machen, dass ich nicht sein Nachfolger werden, sondern meinen eigenen Traum verwirklichen wollte.

Schon in dem von uns geforderten Studium Generale konnte ich durch Vorlesungen in Theologie und Philosophie u. a. bei Karl Rahner, einem der führenden katholischen Theologen während des Zweiten Vatikanums, und Ernesto Grassi den anderen Pol ein wenig verfolgen. Auch die wissenschaftstheoretische Fundierung der Dissertation trug dazu bei. Da ich über meine Vorfahren aus einer protestantisch-christlichen Tradition stamme, fiel mir immer stärker auf, dass sich die BWL und die ihr nahestehenden Disziplinen nicht mit Fragen des Glaubens befassen und dieses Wort bei ihnen praktisch nicht vorkommt. Im Hinblick auf den religiösen Glauben erscheint das nachvollziehbar. Studierende mit der Bitte zu einem Vortrag zu »Wirtschaft und Ethik« sowie eine Ringvorlesung an der TH Darmstadt waren die Auslöser, mich stärker mit Unternehmensethik zu befassen. Danach wurde es mir zum Anliegen, zusammen mit anderen die Abwehr gegen Unternehmensethik in unserem Fach zu überwinden. Inzwischen ist sie als notwendiger Teil der BWL weitgehend anerkannt.

Offen blieb jedoch der Bezug zum Glauben. Durch Wissenschaftstheorie und Ethik hatte ich eine klare Auffassung zu »Wissen«. Dessen Verhältnis zu »Glauben« war auch für mich persönlich wichtig geworden. Zunehmend hatte ich gefühlt, dass mich einfache Antworten hierzu nicht mehr zufriedenstellen, denn meine Frau hatte mich auf Widersprüche in meinem Denken und Handeln hingewiesen.

Das Ende der beruflichen Verpflichtungen gab mir die Zeit, wenigstens einige Defizite in Bezug auf Philosophie sowie Theologie zu schließen und mich intensiv mit den mich bewegenden Fragen auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse finden sich in dieser Schrift.

Zu einer wertvollen Komponente meines Lebens wurde die Freundschaft mit vielen, denen ich vom Studium an begegnete. Dadurch habe ich den Vorzug, dass mehrere Freunde und Kollegen aus Theologie und BWL bereit waren, meine Entwürfe zu lesen. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Dr. h. c. Friedrich Wilhelm Graf, Prof. Dr. Christian Hofmann, Prof. Dr. Dr. h. c. Ralf Reichwald und Prof. Dr. Philipp Schreck für ihre Durchsicht meines Manuskripts und ihre überaus wertvollen Hinweise. Herrn ­Geschäftsführer ­Volker Dabelstein und seinen Mitwirkenden im Schäffer-Poeschel Verlag danke ich für die Bereitschaft zur Veröffentlichung dieser Schrift und die sehr gute Zusammenarbeit seit mehr als drei Jahrzehnten. Verwurzelung, Rückhalt, Unterstützung und viel Schönes durfte ich in der Familie erfahren. Deshalb widme ich diese Schrift den mir Nächsten, meiner Frau, unserer Tochter und deren beiden Töchtern, die mein Leben bereichern.

München, im Frühjahr 2025

Hans-Ulrich Küpper

1 Öffnung der ­Betriebswirtschaftslehre gegenüber Ethik, Philosophie und ­Theologie

1.1 Notwendigkeit und Zweck ethischer Analysein der Betriebswirtschaftslehre

Das Verhältnis der BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre (BWL) gegenüber der EthikEthik hat sich in den vergangenen 60 Jahren deutlich gewandelt1. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte man sich früh intensiv mit wissenschaftstheoretischen Fragen auseinander2. Über die Rezeption von Rudolf Carnap3, Karl Popper4, Hans Albert5, Wolfgang Stegmüller6 und anderen wurde ein Bezug zur Philosophie hergestellt. Die Erfahrungen während des Nationalsozialismus waren wohl ein Grund, dass sich die Auffassung durchsetzte, dem Konzept der Wert(urteils)freiheit von Max Weber7 zu folgen. Diese wurde von wichtigen Vertretern des Faches wie Adolf Moxter8, Günter Wöhe9 und Edmund Heinen10 vertreten und bestimmte für mehrere Jahrzehnte die Ausrichtung. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Fragen der Ethik erschien daher nicht notwendig.

Später wandten sich Dieter Schneider11, Herbert Hax12 und Horst Albach13 explizit gegen die Einbeziehung von UnternehmensethikUnternehmensethik als Teilgebiet der BWL. Das zentrale Argument dieser führenden Vertreter vor allem in den Bereichen Finanzierung und Rechnungswesen lag darin, dass die BWL ihre eigenen, vor allem ökonomischen Kriterien habe und daher nicht weitere Werte berücksichtigen müsse. Einer solchen shareholderorientierten Konzeption, wie sie schon früher und am deutlichsten von den wirtschaftswissenschaftlichen Nobelpreisträgern August von Hayek14 und Milton Friedman15 ausgedrückt wurde, standen Anhänger einer Stakeholderorientierung gegenüber, die eher aus Teildisziplinen wie der Organisation und des Personal­wesens kamen. Diese Konzeption war insbesondere von R. Edward Freeman16 entwickelt worden und wurde zu einer der Grundlagen des normativen Ansatzes der Corporate ­Social ResponsibilityCorporate Social Responsibility (CSR)17.

Gegen die Position eines Verzichts auf Unternehmensethik und die Auseinandersetzung mit Ethik18 wandte sich ab Mitte der 1980er Jahre eine zunehmende Anzahl an Betriebswirten19 und anderen Wirtschaftswissenschaftlern20. Ihr zentrales Argument bestand und besteht darin, dass in Unternehmungen moralische Probleme auftreten, die so eng mit der wirtschaftlichen Dimension verknüpft sind, dass man sie nicht getrennt behandeln und nicht einfach anderen Disziplinen überlassen kann. In der Wirklichkeit müssen sich wirtschaftliche Entscheidungsträger auch mit den Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf die Menschen auseinandersetzen und dafür Verantwortung übernehmen. Allein mit ökonomischen Kriterien lassen sich wichtige moralische Fragen in Unternehmungen nicht analysieren. Hinter den ökonomischen Zielen und Kriterien stehen tiefergehende Werte und Normen, die in Unternehmungen eine Rolle spielen. Als anwendungsorientierte Wissenschaft sollte sich die BWLBetriebswirtschaftslehre auch mit diesen und den vielfältigen moralischen Fragen befassen, um den Entscheidungsträgern in der Praxis Instrumente zu deren Analyse und Lösung an die Hand zu geben sowie Studierende auf die Bewältigung derartiger Probleme vorzubereiten21.

Inzwischen wird die Notwendigkeit einer Beachtung der Ethik in Forschung und Lehre der BWL weitgehend anerkannt. Unternehmensethik ist in zahlreiche Lehrpläne eingegangen, Evaluationsagenturen achten auf ihre Berücksichtigung im Studium. Ethische Fragen werden in der Forschung sowie auf Tagungen ebenso wie Nachhaltigkeit und CSR als wichtige Themen behandelt.

Ein auffallendes Phänomen besteht darin, dass zwar die normative Entscheidungstheorie oder Entscheidungslogik seit den 1960er Jahren22 zu den wichtigen Forschungsbereichen und Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften gehört. Ihr Bezug zur Ethik wurde jedoch kaum hergestellt, obwohl ihr Zweck darin gesehen wurde, die Struktur rationaler Entscheidungen herauszuarbeiten. Dazu wurden Normen »vernünftigen« Handelns formuliert und begründet23. Damit folgte man explizit nicht dem Konzept wertfreier wissenschaftlicher Aussagen. Der Bezug der normativen EntscheidungstheorieEntscheidungstheorie, normative zur Ethik liegt aber auf der Hand. Eigentlich könnte man sie auch als »Ethik der WirtschaftswissenschaftenEthik, ~der Wirtschaftswissenschaften« ansehen. Diese Konsequenz wurde nicht gezogen und sie erscheint auch nicht als gerechtfertigt, weil die Instrumente der Entscheidungstheorie nicht ausreichen, um die Vielfalt der in Unternehmungen auftretenden moralischen Probleme zu analysieren24.

1 Vgl. zum Folgenden Küpper 2018.

2 Vgl. u. a. Keinhorst 1956; Moxter 1957; Wöhe 1959; Katterle 1964; Köhler 1966; Chmielewicz 1970; Fischer-Winkelmann 1971.

3 Carnap 1956; Carnap 1973.

4 Popper 1976.

5 Albert 1968.

6 Stegmüller 1970; Stegmüller 1973; Stegmüller 1983.

7 Weber 1968a; Weber 1968b; Weber 1968c sowie die Abschnitte 2.2.4.3 und 2.3.2.

8 Moxter, 1957, 46 ff.

9 Vgl. Wöhe 1959, 146 ff.; Wöhe 1960, 18 ff. bis hin zu Wöhe/Döring/Brösel 2023.

10 Heinen 1968, 23; Heinen 1992, 28.

11 Schneider 1990b, 888; Schneider 2001, 317 ff.

12 Hax 1993; Hax 1995.

13 Albach 2005.

14 Hayek 1967; Hayek 1998.

15 Friedman 1970.

16 Freeman 1984.

17 Vgl. hierzu Küpper 2011, 125.

18 Zu der zunehmenden Verbreitung von Unternehmensethik vgl. Küpper/Schreck 2008.

19 Vgl. die Übersicht bei Küpper 1992, 500 sowie insb. Steinmann/Schreyögg 1982; Steinmann/Oppenrieder 1985; Steinmann/Löhr 1988; Steinmann/Löhr 1992; Steinmann/Löhr 1995; Küpper 1988; Küpper 1992; Küpper 1995a; Küpper 1995b.

20 Homann 1988; Homann 1991; Homann 1992a; Homann 1992b; Homann 1993; Homann 1994; Ulrich 1981; Ulrich 1987; Koslowski 1988; Ulrich 1991. Karl Homann und Peter Ulrich haben beide Philosophie und Volkswirtschaftslehre studiert.

21 Vgl. ausführlich Küpper 2011, 62 ff.; Küpper/Schreck 2008.

22 Vgl. u. a. Krelle 1968; Gäfgen 1974; Heinen 1976.

23 Vgl. hierzu Abschnitt 4.2.1.

24 Vgl. ausführlich Küpper 2011, 112 ff.

1.2 Defizit in Bezug auf Fragen von Glauben

WissenschaftstheorieWissenschaftstheorie und EthikEthik leiten dazu an, sich mit dem Hintergrund wissenschaftlicher Tätigkeit und ihres Gegenstands zu befassen. Wenn man sich dem Bezug der BWL zu Ethik und Philosophie stellt, muss man sich bewusster über das Verständnis von Wissenschaft, die Anforderungen an wissenschaftliche Aussagen und Erkenntnisse sowie die Wirkungen von WissenschaftWissenschaft in Lehre, Forschung und Beratung klar werden. Unvermeidlich gelangt man damit zu normativen Fragen. Das Verständnis bzw. der Begriff von Wissenschaft sind nicht empirisch oder logisch vorgegeben. Blickt man auf verschiedene wissenschaftliche Disziplinen der Natur-, Sozial- sowie Geisteswissenschaften und ihre Vertreter, so zeigt sich keine Einheitlichkeit. Zwar findet man in der Gesellschaft ein gewisses Vorverständnis über das, was Wissenschaft und ihre verschiedenen Disziplinen leisten (sollen). Die präzisen Anforderungen an Wissenschaft, wissenschaftliches Arbeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse werden jedoch in den Fächern, Hochschulen und von deren einzelnen Vertretern unterschiedlich getroffen.

Relativ einheitlich dürfte das Verständnis sein, dass Wissenschaft den Zweck hat, relativ zuverlässiges, möglichst objektives Wissen zu erarbeiten, mit dem Menschen ihre Entscheidungen fundieren können. Nach dem wirtschaftswissenschaftlichen Rationalitätsverständnis können rationale Entscheidungen umso besser getroffen werden, je mehr sie auf Wissen basieren. Deshalb widmet sich diese Schrift eingehend der Frage, was Wissen auszeichnet und welche Anforderungen es erfüllen muss. Dabei zeigt sich, wie unvollständig das für Entscheidungen und die daraus folgenden Handlungen erforderliche Wissen immer bleibt. Dies ist einmal auf den begrenzten Stand an Wissen in unserem und (wohl allen) anderen Fächern zurückzuführen. Vor allem hat es aber den systematischen Grund, dass die für rationale Entscheidungen unabdingbaren Kriterien normativer Art sind.

Diese lassen sich durch die Rückführung auf tieferliegende Werte, Normen und Regeln begründen, wie sie in der Ethik untersucht werden. Mit ihrer Analyse wird eine Berücksichtigung von Erkenntnissen aus EthikEthik, PhilosophiePhilosophie und TheologieTheologie unvermeidlich. Dem stellt sich diese Untersuchung. Dabei wird ein bislang nach meiner Kenntnis im Fach überhaupt nicht angesprochenes Defizit sichtbar. Über viele logische und empirische Sachverhalte haben wir kein bestätigtes, einigermaßen zuverlässiges Wissen. Dennoch müssen wir für Entscheidungen Vorstellungen über sie entwickeln; dann verwenden wir vielfach das Wort »glauben«. Ferner wird die Akzeptanz zumindest von grundlegenden Werten wie Liebe, Freiheit, Humanität usw. häufig zu den »Glaubensfragen« gerechnet, mit denen sich Philosophie und Theologie auseinandersetzen. Der Bezug der BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre zur Ethik in ihrer Bedeutung für die Fundierung von Entscheidungen und Handlungen macht es damit notwendig, sich auch in der BWL mit dem Thema »Glauben« zu befassen. Beide, Wissen und Glauben, münden in das Entscheiden und Handeln.

1.3 Aufbau der Untersuchung

Das maßgebliche Kriterium für Wissen sowie Wissenschaft ist nach der Ansicht vieler die intersubjektive Überprüfbarkeit von Aussagen. Über deren Prüfung durch unterschiedliche (fachkundige) Personen und mit nachvollziehbaren Methoden kann man Erkenntnisse hochgradig bestätigen. Damit gewinnen sie eine große Zuverlässigkeit und sind aufgrund ihrer Personenunabhängigkeit (relativ) objektiv. Dieses Verständnis von Wissenschaft und Wissen wird im zweiten Kapitel der Untersuchung dargelegt. Dabei erweist sich die Differenzierung von logischen, empirischen und normativen Aussagen als grundlegend (Abschnitt 2.2). Das ist darauf zurückzuführen, dass sich ­deren intersubjektive Prüfbarkeit und die davon abhängige Zuverlässigkeit maßgeblich unterscheiden. Der Zusammenhang zwischen ihnen zeigt sich, wenn man die Beziehungen zwischen Wissen und Bewerten betrachtet (Abschnitt 2.3).

Dem stehen Vorstellungen und Aussagen gegenüber, über die es kein echtes Wissen gibt. Dazu gehören vor allem Aussagen zu dem Sinn des Lebens, einem Leben nach dem Tod und einem Jenseits. Zu ihnen können die auf Wissen ausgerichteten Wissenschaften gegenwärtig und zumindest größtenteils auch grundsätzlich keine bestätigbaren Antworten geben. Dass es hierbei um Glaubensfragen geht, dürfte unstrittig sein. Ihre Abgrenzung gegenüber bestätigtem Wissen erscheint nicht allzu schwer. Auch die ­Akzeptanz von (Basis-)Werten wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit, Liebe usw. gehört zu diesen Glaubensfragen.

Dazwischen gibt es aber einen großen Bereich an Vorstellungen zu Sachverhalten, über die wir (noch) kein gut bestätigtes Wissen besitzen. In der Umgangssprache verwenden wir hierfür häufig ebenfalls das Wort »Glauben«. Natürlich könnte dafür ein anderes Wort wie »Meinen« herangezogen werden. Dann müsste der Dreiklang ­»Wissen – Meinen – Glauben« untersucht werden. Weil jedoch das Wort Glauben stärker verbreitet ist und sich in der Umgangssprache in diesem (Zwischen-)Bereich vielfach findet, gehe ich von einem sehr weiten Begriff des GlaubensBegriff des Glaubens aus. Im dritten Kapitel werden unter Bezugnahme auf Immanuel Kant und andere Philosophen die verschiedenen Sachverhalte dargelegt, die unter einem solch weiten Begriff des Glaubens gefasst werden können (Abschnitt 3.1). Gegenstände oder Inhalte von »Glauben« können dann empirische und logische Sachverhalte, transzendente Vorstellungen bis hin zu Gott oder Göttern und Wertvorstellungen sein (Abschnitt 3.2).

Wenn man den Begriff des Glaubens so weit fasst, wird ersichtlich, welche Bedeutung »Glauben« auch in der Wissenschaft hat (Abschnitt 3.3.2). Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass auch (rationale) Entscheidungen eine Bewertung und damit eine Orientierung an Werten verlangen. Da im Wissenschaftsprozess zahlreiche Entscheidungen zu treffen sind, spielt auf diesem Weg der Glaube der sie vollziehenden Personen eine Rolle. Darüber hinaus wird aufgezeigt, dass die Bedeutung von Glauben über die Entscheidungen im Prozess der Erkenntnisgewinnung hinausgeht.

Folgt man dieser Argumentation, wird es umso verwunderlicher, dass sich die auf Erkenntnisgewinnung bzw. Wissenserzielung ausgerichteten Wissenschaften nicht (oder zumindest sehr wenig) mit den aufgezeigten Glaubensfragen befassen. Insofern hoffe ich, mit meinen Analysen zum Aufdecken dieser Lücke beizutragen. Es erscheint mir eine Notwendigkeit der Ehrlichkeit und damit der wissenschaftlichen Moral, dass sich die Disziplinen diesen »Glaubensfragen« stellen.

Neben den Funktionen des Glaubens in der Wissenschaft werden im dritten Kapitel die Funktionen von religiösem (Abschnitt 3.3.3) und philosophischem Glauben betrachtet (Abschnitt 3.3.4). Letzteres deutet an, dass tiefergehende Fragen wie die nach dem Sinn des Lebens sowie dessen Ende alle Menschen berühren und diese Art von Glauben bei ihnen gefunden werden kann.

Wissen und Glauben helfen in der Gestaltung des Lebens. Dementsprechend muss ihrer Abgrenzung und näheren Kennzeichnung ein viertes Kapitel zu Entscheiden und Handeln folgen. Determinanten des Handelns neben den rationalen Wissenskomponenten sind psychische und unbewusste Faktoren (Kapitel 4.1).

Bei dem Einfluss von Wissen auf Entscheidungen kann man sich auf die breite wirtschaftswissenschaftliche Forschung zur normativen Entscheidungstheorie stützen (Abschnitt 4.2). Elemente des Glaubens werden vor allem über die Basiswertvorstellungen (Abschnitt 4.3) und transzendente Glaubensvorstellungen für das Entscheiden und Handeln wichtig (Abschnitt 4.4). Die Analyse ihrer Wirkungen kann an die im dritten Kapitel herausgearbeiteten Funktionen von Glauben anknüpfen. In sie fließen zunehmend persönliche Erfahrungen ein.

Diese sind der Hintergrund für die im fünften Kapitel herausgearbeiteten, für mich wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung. Am Schluss komme ich dabei zu dem Ergebnis, dass jeder Entscheidungsträger in der Wirtschaft und letztlich jeder Mensch ohne Sicherheit im Wissen auf der Basis seines individuellen (religiösen oder nicht-religiösen) Glaubens verantwortlich handeln muss.

1.4 Ausrichtung und Adressaten der Untersuchung

Die eigene berufliche Tätigkeit geht nicht spurlos an einem vorüber. Schon früh ist mir (von meiner Frau) gesagt worden, dass mich das Studium und dieses Fach geprägt haben. In noch stärkerem Maße gilt dies für meine Arbeit als Wissenschaftler. Wenn man sich ihr voll widmet und sich dabei den grundlegenden normativen Fragen um den Zweck von Wissenschaft sowie seiner eigenen (Forschungs-, Lehr- und Beratungs-) Arbeit stellt, werden sie zu Lebensfragen. Insofern ist dieses Buch auch eine Schrift, in der ich mir über mich selbst klarer werden wollte. Deshalb war ich selbst der Auslöser und erste Adressat dieser Untersuchung.

Schon während der frühen Arbeiten an ihr bin ich von Studierenden angesprochen worden, wie wichtig die Abgrenzung von Wissen und Glauben für sie sei. Sie bestärkten mich darin, meine Überlegungen in ein Buch zu gießen. Ich wundere mich, warum die Kennzeichnung sowie Trennung von logischen, empirischen und normativen Aussagen als den maßgeblichen Aussagearten wissenschaftlicher Erkenntnis nicht stärker verbreitet sind und eine allgemeine Grundlage wissenschaftlicher Lehre wie Forschung bilden.

Darüber hinaus kann diese Untersuchung Wissenschaftler der BWL und anderer Disziplinen anregen, sich intensiver mit dem Thema »Glauben« zu befassen. Die auf bestätigtes Wissen ausgerichteten Wissenschaften sollten sich der Frage stellen, welchen Einfluss Glauben zumindest im Sinne von Vorstellungen (»Meinen«) über logische sowie empirische Sachverhalte und Wertvorstellungen auf ihre Forschungsprozesse haben. Darüber hinaus können sie sich fragen, inwieweit transzendente Glaubensinhalte für ihre Tätigkeit wichtig sind. Zu all dem soll diese Untersuchung Impulse liefern und erste Schritte gehen. Damit werden Forscher zu einem weiteren Adressaten dieser Schrift.

Schließlich geben die Überlegungen des vierten Kapitels Hinweise für jeden Einzelnen, mit der Verantwortung25 umzugehen, die er durch seine Entscheidungen in Unternehmungen sowie darüber hinaus zu tragen hat. Damit treffen sie einen wichtigen Bereich der Ethik. Die vorgelegte Analyse macht sichtbar, in welchem Ausmaß eigene Vorstellungen und der individuelle Glaube mit seinen verschiedenen Dimensionen das Handeln eines jeden bestimmen. Die Untersuchung ist dabei so breit angelegt, dass sie vom religiösen bis zum nach-metaphysischen Glauben reicht. Insofern kann sie für viele Menschen hilfreich sein, die in der Praxis Verantwortung übernehmen.

25 Unverständlicherweise wird diese als Kehrseite der Entscheidung sowohl in der Entscheidungstheorie als auch in der gesamten BWL nur begrenzt behandelt. Vgl. Küpper 1999.

2 Wissen – Hintergründe wissenschaftlicher Erkenntnis

2.1 Anforderungen und Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis

Wie viele andere Wörter auch, wird WissenWissen in der Umgangssprache vielfältig gebraucht. In diesem Buch begrenze ich den Begriff auf jenes Wissen, wie es in den Wissenschaften erarbeitet, analysiert, geprüft und bewertet wird. Dadurch sind die Begriffe Wissen und WissenschaftWissenschaft hier eng miteinander verknüpft. Wichtig ist dabei eine für mich grundlegende Erkenntnis, die sich durch die gesamte Schrift zieht. Die Definition von Begriffen und damit das Verständnis, was mit dem jeweiligen Begriff bezeichnet werden soll, ist eine sprachliche Festlegung und daher normativ. Begriffe werden in der Sprache sozialer Einheiten, z. B. in einem Volk, in der Bevölkerung einer Region oder in einer Disziplin verwendet. Damit sich deren Mitglieder gegenseitig richtig verstehen, benötigen sie ein (weitgehend) gleiches Verständnis der verwendeten Wörter. Ein derartiger übereinstimmender Gebrauch der Wörter hat sich meist mit der Zeit herausgebildet. Er unterliegt Wandlungen und kann durch die Arbeit von Einzelpersonen, Gremien sowie politischen Institutionen gefördert werden, deren Ergebnisse in Regelungen und Büchern (z. B. dem »Duden«) niedergelegt werden.

In den Wissenschaften findet man zahlreiche Auseinandersetzungen über die Abgrenzung und Verwendung wichtiger Begriffe26; häufig legt ein Autor zu Beginn einer wissenschaftlichen Abhandlung sein Verständnis und seine Definitionen der von ihm verwendeten Grundbegriffe dar. Letztlich bleiben die genaue Definition und Verwendung von Wörtern dem Einzelnen überlassen. Dies kann durch allgemeine Regeln, gar Gesetze nicht wirksam vorgeschrieben werden. Es muss sich eher im Umgangs- oder Fachsprachgebrauch durchsetzen und bewähren.

Insofern ist auch das hier zugrunde gelegte Verständnis von Wissenschaft und Wissen subjektiv und kann also keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Nach meinem, wie ich jedoch denke, von vielen geteilten Verständnis27 strebt Wissenschaft nach Erkenntnissen, die in hohem Maße bestätigt sind. Sie soll Wissen liefern, das zuverlässig und objektiv ist.

Für Platon sollte die Erkenntnis »wahr sein und unerschütterlich und sich auf das Sein beziehen«28. Jedoch war er im Unterschied zu dem hier vertretenen Verständnis der Auffassung, dass die Wahrheit in den Ideen zu finden sei. Die Natur sei der Bereich des Werdens und Vergehens, in dem sich nur die Abbilder der Ideen zeigen, während heute die Überprüfung an der Realität, und damit zu wesentlichen Teilen der Natur, zum Kern wissenschaftlicher Tätigkeit gehört. Eine »Wissenschaft von der Natur gäbe es dementsprechend erst in der Neuzeit nach Galilei«.29 Deutlich wird die Auffassung von Platon an seinem Liniengleichnis.30 Dem unteren Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren gehören zuerst Schatten und Erscheinungen, darüber die Dinge der Welt an. Die Erkenntnis über beide stellt nach Platon Deutung und Vermutung bzw. Glaube31 dar. Auf den oberen Erkenntnisstufen stehen die mit dem Verstand erfassbaren Mathematika und die über die Vernunft zu gewinnenden Ideen.

Im Unterschied hierzu ist wissenschaftliche Erkenntnis zumindest seit der Aufklärung stark von dem Erkenntnisfortschritt in den Naturwissenschaften, insbesondere der Physik,32 geprägt. Sie ist vor allem auf die Gewinnung von intersubjektiv überprüf­barem Wissen ausgerichtet. Seine Geltung erlangt es dadurch, dass es von mehreren, möglichst vielen fachkundigen Personen geprüft worden ist, also nicht von der Ansicht des Einzelnen abhängt und Anforderungen erfüllt, die in den Wissenschaften weithin anerkannt sind.

Der Prozess von intersubjektivem Nachvollzug und Überprüfung ist darauf gerichtet, logisch und faktisch wahres Wissen hervorzubringen. Nach einem in den Wissenschaften weitverbreiteten Verständnis ist die Überprüfung ihrer Ergebnisse so zu gestalten, dass sie als allgemeingültig bezeichnet werden können. Schon Kant33 spricht davon, dass »Wahrheit … auf der Übereinstimmung mit dem Objekte« beruht, also der Aussage mit ihrem Gegenstand, und »der Einstimmung aller Urteile, ungeachtet der Verschiedenheit der Subjekte untereinander«. Die Kriterien für die Prüfung des Wahrheitsgehalts hängen von der Form der Erkenntnisgewinnung und der Art der Aussagen ab, in welcher die wissenschaftlichen Erkenntnisse wiedergegeben werden.

Nach diesem von den meisten Wissenschaften verfolgten Konzept werden ZuverlässigkeitZuverlässigkeitund ObjektivitätObjektivitätdadurch erzielt, dass ihre Aussagen und Ergebnisse von vielen Fachkundigen sowie mit anerkannten Methoden geprüft wurden34. Indem möglichst viele Personen, die den Untersuchungsgegenstand und die Untersuchungsmethoden beherrschen, bei der Überprüfung der behaupteten jeweiligen wissenschaftlichen Aussage bzw. Erkenntnis unter verschiedenen Bedingungen zu demselben Ergebnis gekommen sind, möchte man zu einem hochgradig gesicherten Wissen gelangen. Durch die intersubjektive ÜberprüfungÜberprüfbarkeit, intersubjektive soll dieses Wissen allgemeine Gültigkeit und einen hohen Grad an ZuverlässigkeitZuverlässigkeit erreichen. Dann kann es als personenunabhängig gültig und insofern »objektiv« bezeichnet werden – ein in der Wissenschaft und Gesellschaft hochgeachteter Wert.

Aus diesem Verständnis von Wissenschaft ergibt sich eine Reihe von Anforderungen an die wissenschaftliche Arbeit und ihre Ergebnisse. Das aus meiner Sicht maßgebliche Kriterium liegt darin, dass der Prozess der ErkenntnisgewinnungErkenntnisgewinnung für andere fachkundige Personen, i. d. R. Wissenschaftler, nachvollziehbar sein muss und seine Ergebnisse möglichst vielen Prüfungen unterzogen werden sollten. Dazu müssen wissenschaftliche ErkenntnisprozesseErkenntnisprozess transparent dokumentiert werden.

Eine zentrale sprachlogische Anforderung liegt darin, dass alle wissenschaftlichen Aussagen widerspruchsfreiWiderspruchsfreiheit formuliert sein müssen.35 Enthält eine Aussage oder ein Aussagensystem einen Widerspruch, so ist daraus jede beliebige Aussage herleitbar.36 Das macht sie inhaltsleerAussage, inhaltsleere und entzieht ihr jegliche inhaltliche Bedeutung. Deshalb steht die Überprüfung der Widerspruchsfreiheit, die mithilfe der Logik durchgeführt werden kann, im Allgemeinen am Anfang eines jeden Tests von wissenschaftlichen Aussagen, und liefert die Aufdeckung eines Widerspruchs den stärksten Einwand gegen sie. Schon Kant bezeichnet »den Satz des Widerspruchs als das allgemeine und völlig hinreichende Prinzipium aller analytischen Erkenntnis«, weist aber darauf hin, dass es nicht »zum Bestimmungsgrunde der Wahrheit unserer Erkenntnis« wird.37 Dieses Zitat lässt zugleich erkennen, dass die Anforderungen an den Prozess der Gewinnung von Wissen auf »WahrheitWahrheit« abzielen.

26 Z. B. in der BWL zwischen 1960 und 1970 zum Kosten- und anderen Begriffen. Vgl. Heinen 1983, 57–127; Menrad 1965; Brandt 1959. Oder die wohl bleibend unterschiedliche Verwendung der Wörter Erlöse oder Leistungen für bewerteten Gütereinsatz; vgl. hierzu u. a. Ewert/Wagenhofer 2011, 27 ff; Schildbach/Homburg 2008; Schweitzer/Küpper u. a. 2016.

27 Vgl. u. a. Balzer/Brendel 2019, 17 ff.; Brühl 2015, 34 ff. und 100; Popper 1976, 7 ff.; 44 ff., 67; Schurz 2014, 11 ff.; Seiffert 2001, 19 ff.

28 Böhme 2000, 202.

29 Böhme 2000, 223. Diese Aussage geht nach Böhme auf Mittelstraß zurück.

30 Platon, 2011, 509d-511e; Erler 2006, 156 ff.

31 Böhme 2000, 171.

32 Vgl. Popper 1976, 41, 47 ff.

33 Kant 2004a, 476.

34 Vgl. zum Folgenden auch Schurz 2014, 26 ff.

35 Kant 2004a, 139 f.

36 Opp 2002, 195.

37 Kant 2004a, 140.