Etwas Kleines gut versiegeln - Svealena Kutschke - E-Book

Etwas Kleines gut versiegeln E-Book

Svealena Kutschke

4,7

Beschreibung

"Ist das Leben ein seltsames Höhlensystem?", fragt sich Lisa, als sie ihr Fotografiestudium abbricht, auf einen Brückenbogen klettert und die Kamera auf die Bahngleise wirft. Australien ist ihr gerade weit genug. Sie geht nach Sydney, wo sie bei Marc wohnt, dem fürsorglichen Ex-Freund ihres Bruders, und sich ins rauschende Leben stürzt. Atemlos sucht sie neue Bekanntschaften und wirft sich zwischen die schillernden Nachtgestalten in der Oxford Street. Aber Fotos bleiben auch in Australien wichtig für sie. Nicht nur, weil Lisa sechs unentwickelte Filmrollen mitgenommen hat, auf denen jemand zu sehen ist, der ihr einmal viel bedeutete und, auf verlorene Weise, immer noch bedeutet. Sondern auch, weil sie auf der Straße ein einzelnes Foto findet, auf dem sie selbst in einer ihr vollkommen unbekannten Umgebung zu sehen ist. Sie läßt sich auf das seltsame Spiel ein und macht sich auf die Suche nach diesem Café, immer begleitet vom ironischphilosophischen Fragenkatalog des Künstlerduos Fischli & Weiss. So hangelt sie sich durch Merkwürdigkeiten ihres Alltags, entwirft lustvoll Erklärungen, verzweifelt, dass alles immer anders kommt als gedacht, und macht neue, ganz unerwartete Erfahrungen. Die Grenzen des Realen verschwimmen, und die Polaritäten der Geschlechterfestlegung sowieso.

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Svealena Kutschke

Etwas Kleines gut versiegeln

Svealena Kutschke

Etwas Kleinesgut versiegeln

Roman

Wenn ich auf das Meer schaute, schien der Horizont nie weit weg. Es war, als ob das Auge Himmel und Meer gewaltsam zusammenziehen würde. Wie eine Narbe sah der Horizont auf dem Wasser aus.

Schluss jetzt, wir sollten uns alle ausziehen und nackt auf die Straße laufen.

Warum dreht sich die Erde einmal pro Tag?

Ich hatte kalte Füße und nichts zu verlieren. Die Stewardess stellte einen Plastikbecher mit Rotwein auf das Tablett. Auf den Tragflächen lagen Eiskristalle und verliehen meinem wuchtigen Kokon etwas Fragiles.

Der Rotwein legte sich pelzig über meine Zunge. Ich hielt den ersten Schluck geraume Zeit am Gaumen. Er schien sich auf diese Art zu verdichten. Als ich ihn herunterschluckte, hatte er nichts Flüssiges mehr, er rutschte mir durch die Kehle wie etwas, das ich eigentlich hätte zerkauen müssen. Ich schloss die Augen. Ich sah B. Er lachte mich an, hatte Lippenstift an den Zähnen. Immer wenn ich die Augen schloss, sah ich B, als wäre er mir in die Innenseite der Lider tätowiert. Es knackte leise, bevor die Stimme des Piloten aus dem Lautsprecher drang, auf die Einfuhr von Drogen in Kuala Lumpur stehe die Todesstrafe. Erst mit Verspätung begriff ich, dass auch ich gemeint sein könnte. Das Gramm Kokain, das ich seit Monaten in der Hosentasche mit mir herumtrug, war für mich zu einem Fossil geworden, zu einem winzigen versteinerten Seeigel. Ich warf es trotzdem lieber auf den Boden. Der Engländer neben mir wurde blass, aber das lag sicher nur daran, dass wir an Höhe verloren. Ich hatte mein Buch an einer beliebigen Stelle aufgeschlagen: »Lebt die Freiheit?«, las ich dem Engländer vor, es nützte nichts.

»Wo kann man denn hier rauchen, bitte?« Eine Dame in knallroter Uniform schaute mich missbilligend an und winkte vage den langen Gang hinunter. Ich irrte eine halbe Stunde durch den Flughafen von Kuala Lumpur, bis ich eine kleine Glasbox fand, aus deren Ritzen Qualm drang. Ich öffnete die Einstiegsluke und tauchte ab. Wir standen uns alle gegenseitig auf den Füßen, nestelten an Streichhölzern und Feuerzeugen, ich wurde 26, Sudden Smith in meiner Hosentasche 14.

»Herzlichen Glückwunsch!«, flüsterte ich und streichelte seinen kleinen Holzkopf.

»Herzlichen Glückwunsch!«, flüsterte Sudden Smith zurück.

Trotz allem wurde ich ein bisschen blass vor Freude, grinste die Nebelgestalten im Kubus an, schmeckte selbst mein Husten rein und neu.

»Ein Dorf mit Ureinwohnern wurde für den Bau des Flughafens umgesiedelt«, raunte Sudden Smith. »85 Familien der Orang-Asli. Orang bedeutet Mensch, Asli bedeutet –«

»Wir gehen ja gleich«, seufzte ich.

Ich pulte die Verpackung vom Huhn, während der Engländer sich abgestorbene Hautreste von den Füßen kletzelte. Ich hatte gehofft, er würde in Kuala Lumpur aussteigen.

Preset von Console tröpfelte federleicht in meine Ohren. Der Engländer tippte mir mit spitzen Fingern auf die Schultern. Ich drehte mich um und beobachtete seine vehementen Mundbewegungen. Auch die Haut in seinem Gesicht schälte sich. Er musste im Solarium gewesen sein, um sich auf die Sonne Australiens vorzubereiten. Das Ergebnis war traurig. Es brauchte zurzeit nicht viel, um mich traurig zu machen, aber dieser müde Hautzipfel, der ihm am Mundwinkel hing, brach mir fast das Herz. Ich musste mich beherrschen, nicht daran zu zupfen. Widerwillig nahm ich die Kopfhörer ab.

»I know some German words«, grinste er. Der Hautfetzen an seinem Mund zitterte. »Heil Hitler, Komposthaufen, Autobahn, Bier, Ich liebe dich!«, ratterte er stolz herunter.

Ob er sich darauf die letzten 14 Stunden vorbereitet hatte?

»Interessante Mischung«, knirschte ich. »I know some English words: Baked Beans, Beer and Motherfucker.«

Den Rest des Fluges sprachen wir nicht mehr miteinander.

Die diffuse Enttäuschung, als der rosa-braun karierte Koffer mit all diesen Klamotten tatsächlich auf dem Laufband auftauchte. Bei der Einweihung des Flughafens von Kuala Lumpur 1998 soll das Gepäckfördersystem zusammengebrochen sein, und viele Gepäckstücke waren verloren gegangen. Ich war offensichtlich einige Jahre zu spät gekommen, mein Koffer war nicht verloren gegangen, er kam in Sydney an. Als er in Deutschland durchleuchtet worden war, hatte ich fast erwartet, Bs Portrait auf dem Monitor aufleuchten zu sehen, und war erleichtert gewesen, als sich nur die Umrisse der 6 Filmdosen abzeichneten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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