Europas Stunde - Torsten Riecke - E-Book

Europas Stunde E-Book

Torsten Riecke

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Beschreibung

Europa und der Westen stehen im Herbst 2020 vor einer historischen Weichenstellung. Sollte die "Ära Trump" keine vorübergehende Laune der Geschichte gewesen sein und sich der Kampf der Giganten USA und China um die Weltherrschaft weiter radikalisieren, könnte dies die westlich orientierte Staatengemeinschaft Europas zerreiben. Den kalten Wirtschaftskrieg zwischen den dominierenden Nationen China und USA, das Wettrennen um die Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts und den Wettstreit konkurrierender Gesellschaftsentwürfe um die Köpfe und Herzen seiner Bürger, all dies kann Europa nicht allein entscheiden. Aber es hat die intellektuelle, politische, wirtschaftliche und historische Potenz, einen dritten Weg, ein interessantes Alternativmodell zum bisherigen entweder "China" oder "USA" zu entwickeln. Die Renaissance Europas könnte seine Menschen und Nationen zu einer neuen, ungeahnten Blüte zurückführen und die Welt erneut inspirieren.

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Torsten Riecke

Europas Stunde

Der Kampf der großen Mächteund die Renaissance eines unterschätzten Kontinents

Orell Füssli Verlag, www.ofv.ch

© 2020 Orell Füssli AG, Zürich

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Dadurch begründete Rechte, insbesondere der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf andern Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Vervielfältigungen des Werkes oder von Teilen des Werkes sind auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie sind grundsätzlich vergütungspflichtig.

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

ISBN 978-3-280-05725-4

eISBN 978-3-280-09105-0

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Teil I: Aufstieg und Fall der großen Mächte im digitalen Zeitalter

Prolog

Der andere Kalte Krieg

Die GoT-Formel der Weltpolitik

Das Ende des amerikanischen Zeitalters und die überkochende Wut der Verlierer

China und das Gesetz ökonomischer und politischer Schwerkraft

Russland: Scheinriese und Störenfried

Europa – Missing in Action

Tech War

Das neue Wettrüsten

Zurück in die Zukunft

Nation Facebook

Wirtschaft als Waffe

Der Fluch der Globalisierung

Geteilte Welt

Teil II: Europas Stunde

Was uns erwartet

Wohin geht Europa?

Strategische Souveränität

Digitale Souveränität

Geoökonomische Souveränität

Darwin – der neue Joker im geopolitischen Machtpoker

Beim Geld fängt die Freundschaft an

Grüne Schwäne

Die neue deutsche Frage

Renaissance eines unterschätzten Kontinents

Europas Platz in der Welt

Europas großes Gespräch

Literatur

Vorwort

»Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts geschieht; und es gibt Wochen, in denen so viel geschieht wie sonst nur in Jahrzehnten.« Dieses alte Lenin-Zitat aus der stürmischen Zeit der Russischen Revolution beschreibt ganz gut die atemberaubenden Veränderungen unserer Gegenwart. Bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 hatten politische Krisen, wirtschaftliche Umbrüche und die digitale Revolution das gefühlte Tempo unserer Zeitläufe so deutlich erhöht, dass Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Eindruck hatte, die Welt gerate aus den Fugen. Handelskriege, Klimawandel, Bürgerkriege, Massenmigration, wirtschaftlicher Nationalismus, autoritärer Populismus, der Zerfall des Westens, die Dauerkrise Europas, der Aufstieg Chinas, der Abstieg Amerikas, der Wettlauf beider Großmächte um technologische Dominanz, das vermeintliche Ende der Globalisierung. »Keine Atempause, Geschichte wird gemacht.« Mit diesen Worten hatte die deutsche Rockband »Fehlfarben« bereits 1982 den schon damals als atemlos empfundenen Zeitgeist beschrieben. Rückblickend erscheinen uns die 1980er-Jahre jedoch wie eine Epoche in Zeitlupe. Ob das hohe Tempo der jüngsten Veränderungen dem Fortschritt Beine machen wird, muss man allerdings bezweifeln. Vieles von dem, was uns momentan schwindelig werden lässt, ist nicht unbedingt ein Schritt in eine bessere Welt.

Zu Beginn der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts sieht sich Europa drei globalen Disruptionen gegenüber, die miteinander eng verknüpft sind und sein Schicksal für den Rest des Jahrhunderts bestimmen werden: einer technologischen Revolution, die unseren Alltag, unsere Arbeit und das Zusammenleben der Völker in noch nie dagewesenem Ausmaß und bisher ungekannter Geschwindigkeit verändert. Dieser Technologieschub verschärft einen sich schon länger anbahnenden Kampf der Großmächte USA und China um die geopolitische Dominanz, der Europa vor die Wahl stellt, sich für eine Seite zu entscheiden oder seinen eigenen Weg zu gehen. Ausgetragen wird der Kampf der großen Mächte in der Arena der Wirtschaft, und neue Technologien sind dabei die entscheidenden Waffen. Gekennzeichnet ist das geoökonomische Ringen der Großmächte außerdem von einem wirtschaftlichen Nationalismus, der eine Reaktion auf die wachsende soziale Ungleichheit und die kulturelle Rebellion ist, die insbesondere in westlichen Industrieländern mit dem technologischen Wandel und der Globalisierung einhergehen. Zu diesem explosiven Gemisch technologischer, wirtschaftlicher, machtpolitischer und sozialer Kräfte kam im Frühjahr 2020 noch der »anthropologische Schock« einer Pandemie, der die Erschütterungen des Weltbebens weiter verstärkt hat. Die weltpolitische Landschaft, durch die Europa sich seinen Weg bahnen muss, könnte herausfordernder kaum sein. Europa darf jedoch jetzt nicht länger zaudern und lamentieren. »Die Europäer müssen mit der Welt so umgehen, wie sie ist, und nicht, wie sie sie sich wünschen«, schrieb EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Frühjahr 2020.

Noch können wir nicht wissen, ob die Pandemie entsprechend der altgriechischen Bedeutung des Wortes »Krise« ein derart epochaler Einschnitt ist, dass er die Geschichte in ein Davor und ein Danach unterteilt. Das werden Historiker erst viel später entscheiden. Und doch spüren wir, dass es sich hier um eine Zeitenwende handeln könnte, wie es sie zuletzt vor dem Ersten Weltkrieg gab: »Vor 1914 hatte die Erde allen Menschen gehört«, schrieb der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig im Exil Anfang der 1940er-Jahre in seinen »Erinnerungen eines Europäers« und berichtete davon, dass er bis nach Indien und Amerika ohne Pass reisen konnte: »Jeder ging, wohin er wollte und blieb, solange er wollte.« Auch wenn das schon damals nur für die Privilegierten zutraf, die sich das Reisen leisten konnten, beschreibt Zweig doch sehr gut das Lebensgefühl grenzenloser Freiheit, das uns Europäern heute so selbstverständlich und lieb geworden ist. Zweigs Erinnerungen an »Die Welt von Gestern« sind auch deshalb wieder aktuell, weil sie uns zeigen, dass Katastrophen – dem Ersten Weltkrieg folgte mit der Spanischen Grippe eine Pandemie – oft die Weichen in die Zukunft stellen. Und zwar im Guten wie im Schlechten. Nationalismus, Protektionismus und wirtschaftliche Depression führten damals geradewegs in die nächste, noch größere Katastrophe. Am Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch rückten zumindest im Westen die Nationen zusammen, sodass kurze Zeit später die Idee Europas geboren wurde – zunächst als Wirtschafts- und später auch als Wertegemeinschaft.

Dies ist kein Buch über die Coronakrise. Wenn die Pandemie im Folgenden dennoch eine wichtige Rolle spielen wird, dann nur insoweit, wie sie das zentrale Thema dieses Buches berührt: den Kampf der großen Mächte China, Amerika und Europa um die technologische, wirtschaftliche und geopolitische Dominanz. Niemand ist gegen das Virus immun, die Pandemie hat liberale Demokratien genauso getroffen wie autoritäre Regime. Es gibt zwei Denkschulen, welchen Effekt die Pandemie auf den geopolitischen Machtkampf haben könnte: Entweder das Virus wirkt wie ein Katalysator, der die bereits vor seinem Ausbruch erkennbaren Konflikte verschärft. Oder wir werden aus dem Corona-Koma aufwachen und die Welt wird völlig anders aussehen. Dieses Buch vertritt eine mittlere Position: Die Pandemie beschleunigt langfristige Trends und spitzt den Kampf der großen Mächte zu. Dadurch wird sich die ohnehin in Auflösung befindliche alte Weltordnung schneller und deutlicher verändern, als es ohne das Virus geschehen wäre. Die Pandemie hat bereits die Rivalität zwischen Amerika und China verschärft. Beide Supermächte ringen mit Propaganda und Verschwörungstheorien um die Deutungshoheit der Katastrophe. Nationalismus, Protektionismus und Grenzen sind heute stärker als zuvor und scheinen vor allem Europa weiter zu schwächen. Neue Überwachungstechnologien spielen beim Schutz, vielerorts aber auch bei der Kontrolle der Bevölkerung eine entscheidende Rolle. Und auch das Rennen um den Corona-Impfstoff wird nicht zuletzt von neuen Technologien entschieden.

Das Virus trifft auf eine Welt mit politischen Vorerkrankungen, und Europa zählt dabei zu der besonders gefährdeten Risikogruppe. Für die Europäische Union ist die Corona-Pandemie gleich eine doppelte Herausforderung: Der erste Krisenreflex hat alte Grenzen neu gezogen, den Nationalismus geschürt, autoritären Populisten wie Viktor Orbán in Ungarn noch mehr Macht verliehen und den alten Streit zwischen Nord und Süd ums Geld wieder aufleben lassen. Die Krise weckt also ausgerechnet jene Untugenden, die Europa schon lange schwächen und die es als Gemeinschaft überwinden will. Zugleich jedoch offenbart die Coronakrise wie keine andere zuvor die Stärken der Europäer: ihren Glauben daran, dass Aufklärung und Vernunft gerade in Krisenzeiten unser Handeln leiten müssen. Ihre Einsicht, dass die Pandemie wie andere globale Bedrohungen keine Grenzen kennt und deshalb nur gemeinsam und solidarisch besiegt werden kann. Und ihr Vertrauen darauf, dass die politische Balance zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger und ihrem Wunsch nach Freiheit nur durch einen demokratischen und offenen Diskurs garantiert wird. Der Jahrhunderttest der Pandemie ist deshalb »Europas Stunde« und könnte zu einer Renaissance jener europäischen Tugenden beitragen, die den Kontinent einst stark gemacht haben. Auch nach der mittelalterlichen Pest folgte schließlich die europäische Renaissance.

Phil Graham, der frühere legendäre Verleger der »Washington Post« hat Journalismus einmal als »ersten Entwurf der Geschichte« bezeichnet. In diesem Sinne ist dieses Buch ein journalistisches Buch. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist noch nicht zu Ende. Viel spricht dafür, dass wir noch mittendrin stecken und das Ende offen ist: Weder sind Chinas Aufstieg und Amerikas Abstieg ausgemacht, noch ist Europas Schwäche unabänderlich. Viel wird davon abhängen, wie wir die wirtschaftlichen und politischen Zukunftsfragen beantworten: Wie verteidigen wir in Europa unsere offene Gesellschaft und ihre Werte der Aufklärung gegenüber autoritären Staaten wie Russland und China und gegen populistische Scharlatane im Inneren? Wie wehren wir uns gegen den wachsenden Nationalismus, der die regelgebundene internationale Ordnung durch das Recht des Stärkeren ersetzen will und die Weltwirtschaft zu spalten droht? Wie sichern wir unseren Wohlstand in einer Welt, in der die marktwirtschaftliche Demokratie womöglich nicht mehr per se das wirtschaftlich und technologisch überlegene Gesellschaftssystem ist? Ist Europa in der Lage, die Pandemie nicht nur zu überstehen, sondern daraus vielleicht sogar gestärkt hervorzugehen? Die Antworten auf diese Schicksalsfragen sind offen. Das heißt aber auch: Wir können noch Einfluss nehmen auf den Lauf der hier erzählten Geschichte. Umso wichtiger ist eine informierte Debatte, zu der dieses Buch einen Beitrag leisten will. Niemand weiß, welche Richtung der neue Kalte Krieg zwischen den USA und China nehmen und welche langfristigen Folgen die Coronakrise haben wird. Gut möglich, dass die wachsende Rivalität zwischen China und dem Westen noch Jahrzehnte fortdauert. Drohungen, neue Handelsbarrieren und Wirtschaftssanktionen könnten sich abwechseln mit Verhandlungen, »Feuerpausen« und Friedensverträgen. Es ist aber auch möglich, dass der amerikanische Politologe Graham Allison Recht behält und die rivalisierenden Großmächte wie viele vor ihnen in die Falle des Thukydides tappen und es zu militärischen Scharmützeln kommt. Zum Beispiel im Südchinesischen Meer, wo China und die USA im Streit über Schifffahrtsrouten ihre militärischen Muskeln spielen lassen. Oder in Taiwan, das China für sich beansprucht und dessen Sicherheit und Demokratie die USA garantieren. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Kampf um die geopolitische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert nicht auf dem militärischen Schlachtfeld, sondern in der wirtschaftlichen und technologischen Arena entschieden wird und dass neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz dabei jene entscheidende Rolle spielen werden, die bislang die Atomwaffen beim militärischen Kräftemessen innehatten.

Torsten Riecke, im Juni 2020

Teil I: Aufstieg und Fall der großen Mächte im digitalen Zeitalter

Prolog

Noch zehn Minuten, um die Welt zu retten. Unerbittlich zeigt mir die digitale Uhr links auf dem schlichten Holztisch an, dass die Zeit abläuft. Was tun? 200 nuklear bestückte Interkontinentalraketen rasen unaufhaltsam auf Amerika zu. Vor mir liegen drei Handlungsoptionen, die sich nur dadurch unterscheiden, dass die prognostizierten Opferzahlen um zig Millionen Menschenleben schwanken. Wie auch immer ich mich entscheide, das Ende der Welt, so wie wir sie kennen, scheint sicher. »Ich brauche jetzt eine Entscheidung«, verlangt der uniformierte Chef der Streitkräfte auf einem Video-Bildschirm vor mir. Auf dem Bildschirm daneben philosophiert der Nationale Sicherheitsberater über die Motive des Angreifers, zu dem es keine Verbindung gibt. Der Monitor rechts davon flimmert nur noch – so wie mein Herzschlag etwa. Noch vier Minuten, um einen nuklearen Gegenschlag anzuordnen. Doch gegen wen? Nur Russland kommt als Angreifer in Frage, niemand sonst verfügt über eine so große Zahl von Interkontinentalraketen mit Atomsprengköpfen. »Wir haben neue Informationen«, ruft der General von der Videowand, »es hat heute Nacht eine Cyberattacke gegeben. Wir können also nicht mehr hundert Prozent sicher sein, dass der Nuklearangriff wirklich stattfindet.« Was nun? Noch zwei Minuten bis zum Einschlag der Raketen, die es womöglich gar nicht gibt. Ich entscheide, einfach abzuwarten – in der Hoffnung, dass dies alles nur ein digitaler Albtraum ist.

»Das war’s«, sagt Sharon Weiner und nimmt mir die schwere Virtual Reality (VR)-Brille mit den Kopfhörern vorsichtig aus den Händen. Der digitale Albtraum ist zu Ende. »Wir wollten Ihnen zeigen, in welch unmöglicher Stresssituation sich ein amerikanischer Präsident heute bei einem Nuklearangriff befinden könnte«, erklärt mir die Professorin von der American University in Washington. Sie arbeitet für »Global Zero«, eine internationale Organisation für die Abschaffung der Nuklearwaffen. Die VR-Simulation eines Nuklearangriffs auf Amerika soll mit dazu beitragen, dass der öffentliche Druck auf die Atommächte wächst, ihre Vernichtungswaffen zu strecken. Ich verlasse den schmucklosen Raum auf der Empore des Münchner Luxushotels »Bayerischer Hof« und tauche mit einem mulmigen Gefühl in die Schar aus Politikern, Wissenschaftlern und Militärs der »Munich Security Conference« (MSC) ein: Zwar hatte ich Szenen eines nuklearen Showdowns schon in einigen Katastrophenfilmen wie »War Games« gesehen. Erschreckt hat mich jedoch, wie sich hier die Risiken der alten Atomwaffen des 20. Jahrhunderts durch eine virtuelle Cyberattacke des 21. Jahrhunderts potenzieren. Der erste Kalte Krieg trifft quasi auf den neuen kalten Technologiekrieg. Eine Bemerkung von Ren Zhengfei, dem Gründer des umstrittenen chinesischen Hightech-Konzerns Huawei, über die kommende, fünfte Generation der digitalen Mobilfunktechnik (5G) kommt mir in den Sinn: »Für Amerika ist das eine Art neue Atombombe.«

Tech War

Das neue Wettrüsten

Waffenstillstandsverhandlungen finden meist an schmucklosen Orten statt. Die Feuerpause am Ende des Ersten Weltkriegs zum Beispiel wurde in einem Eisenbahnwaggon auf einer Waldlichtung im nordfranzösischen Compiègne besiegelt. Schon deshalb war der Rahmen am 1. Dezember 2018 in Buenos Aires für den Anlass ungewöhnlich. Die lange Tafel im Salón Cristal des Palacio Duhau-Park Hyatt Hotels unweit des Rio de la Plata in der argentinischen Hauptstadt war festlich eingedeckt: Auf den mit Ornamenten verzierten Platztellern lag das Drei-Gänge-Menu, darüber standen langstielige Weingläser, gleich neben den weißen Stoffservietten lag ein langes, sehr spitzes Steakmesser. Gegrilltes Sirloin Steak mit Ziegenricotta und roten Zwiebeln stand als Hauptgang auf der Speisekarte. Dazu wurde ein edler Rotwein der Marke Nicholás Catena Zapata, Jahrgang 2014, gereicht. Über den beiden Protagonisten des Abends schwebte ein kristallener Kronleuchter. Die festliche Kulisse stand jedoch im krassen Gegensatz zur globalen Krise, die Anlass des samstäglichen Abendessens war: Die beiden mächtigsten Männer der Welt wollten hier am Rande des Treffens der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) eine »Feuerpause« in ihrem seit Monaten tobenden Handelskrieg vereinbaren. US-Präsident Donald Trump und Chinas starker Mann Xi Jinping einigten sich nach zweieinhalb Stunden »wining and dining« tatsächlich darauf, den Stellungskrieg mit Drohungen, Strafzöllen und Vergeltungsmaßnahmen für neunzig Tage nicht weiter eskalieren zu lassen. Die Weltfinanzmärkte atmeten erleichtert auf, die Aktienkurse stiegen.

In Kriegszeiten, ob heiß oder kalt, ist jedoch nichts so, wie es scheint. Und die Wahrheit ist bekanntlich das erste Opfer des Krieges. So auch diesmal. Etwa zur gleichen Zeit, da Trump und Xi sich in Buenos Aires friedlich zuprosteten, spitzte sich der Konflikt zwischen der alten und der neuen Supermacht an einer ganz anderen, gut 11000 Kilometer entfernten Front ihres geopolitischen Ringens dramatisch zu.

Meng Wanzhou blickt nach der langen Flugreise von Hongkong über den Pazifik dem Zwischenstopp in Vancouver entgegen, bevor es dann nach einer zwölfstündigen Erholungspause weiter zu ihrem eigentlichen Ziel in Mexiko gehen soll. Vancouver ist so etwas wie das zweite Zuhause für Meng, die dort nicht nur zwei Häuser besitzt, sondern lange Zeit auch eine ständige Aufenthaltsgenehmigung hatte. Seit ihrer überwundenen Krebserkrankung fällt der 46-Jährigen das Reisen schwer. Zumal die Chinesin immer mal wieder auch noch mit einer Schlafkrankheit zu kämpfen hat. Ihr Job lässt ihr jedoch keine Wahl. Als Finanzchefin von Huawei, dem weltgrößten Telekomausrüster mit fast 120 Milliarden US-Dollar Umsatz und Vorzeigeunternehmen für Chinas technologischem Aufstieg, braucht sie gleich mehrere Reisepässe, um Platz zu schaffen für all die Einreisestempel jener Länder, die sie im Dienste von Huawei besucht. So finden sich in ihren insgesamt sieben Pässen u. a. die Stempel von Frankreich, Großbritannien, Russland, Japan, Ghana, Mumbai und Myanmar.

Neben ihrem Vater und Firmengründer Ren Zhengfei ist Meng das globale Gesicht von Huawei. Und genau deshalb ist sie auf die Fahndungsliste der US-Justiz geraten. Mengs Flug 838 mit Cathay Pacific landet um 11.30 Uhr Ortszeit in der kanadischen Westküstenmetropole. Bei der Einreise wartet jedoch nicht ein freundliches »Welcome back« der kanadischen Einwanderungsbeamten auf die Huawei-Managerin, sondern die Handschellen der Polizei. Nach einem Zwischenstopp im Richmond General Krankenhaus findet sich Meng in einer Zelle des »Alouette Correctional Centre for Women« im nahe gelegenen Maple Ridge wieder. Der Grund für die Haft: Ein Auslieferungsbegehren der US-Justiz.

Die USA hatten ihre kanadischen Nachbarn um Amtshilfe gebeten. Matthew Whitaker, damals der amtierende US-Generalstaatsanwalt, beschuldigte Huawei und Meng in dreizehn Anklagepunkten unter anderem der Industriespionage, der Geldwäsche und des Bankbetrugs. Außerdem soll die Chinesin gegen die Iran-Sanktionen der USA verstoßen haben. Schon im August 2018 hatte ein US-Richter einen Haftbefehl gegen die chinesische Managerin ausgestellt. Huawei wies die Anschuldigungen zurück. »Wir befinden uns im Krieg«, kommentierte Mengs Vater die Verhaftung seiner Tochter. Ein Regierungssprecher in Peking sprach von »politischen Motivationen und Manipulationen« der Amerikaner. Es gehe Washington in Wahrheit darum, bestimmte chinesische Unternehmen zu »diskreditieren«, um deren »legitime und legale Aktivitäten abzuwürgen«. Vergeltung übte China zunächst jedoch nur gegen Kanada: Die chinesischen Behörden verhafteten ihrerseits zwei Kanadier unter dem Verdacht der Industriespionage, Peking wirft ihnen vor, die »nationale Sicherheit« Chinas gefährdet zu haben. Im Februar 2020 legte die US-Justiz noch einmal nach und verschärfte die Anklage gegen Huawei und seine Finanzchefin noch um den Vorwurf der organisierten Kriminalität und des Diebstahls von Firmengeheimnissen. Meng, die immer noch auf ihre Freilassung oder Auslieferung wartet, ist zwar gegen eine Kaution von 7,5 Millionen Dollar auf freiem Fuß, sie wird jedoch rund um die Uhr überwacht und trägt eine elektronische Fußfessel.

Die Verhaftung der Huawei-Managerin ist Teil des neuen Kalten Krieges zwischen den USA und China. Die amerikanischen Sicherheitsdienste beäugen Huawei seit Jahren mit wachsendem Misstrauen. Vor allem weil der chinesische Konzern der global größte Anbieter für die Infrastruktur der hochmodernen 5G-Mobilfunktechnologie ist, die künftig unser gesamtes Leben vernetzen wird: von mitdenkenden Häusern über selbstfahrende Autos auf den Straßen und intelligente Maschinen in den Fabrikhallen bis hin zu autonomen Killerrobotern auf den Schlachtfeldern der Zukunft. Die US-Regierung startete Mitte 2018 eine internationale Offensive gegen Huawei, weil sie in dem chinesischen Hightech-Unternehmen ein modernes »Trojanisches Pferd« (US-Außenminister Mike Pompeo auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020) Chinas sieht, das die technologischen Nervenzentren des Westens mithilfe sogenannter »Kill-Switches« lahmlegen könnte. Verbündete wie Australien, Neuseeland, Japan, Großbritannien und Deutschland wurden von Washington unter massiven Druck gesetzt, auf die Produkte und Dienste der Chinesen zu verzichten. US-Außenminister Michael Pompeo drohte gar damit, die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen mit jenen Ländern zu beenden, die weiterhin Hightech-Produkte von Huawei einsetzen.

Dass Trump und Xi in Buenos Aires im amerikanischchinesischen Handelskrieg um eine »Feuerpause« ringen, während der Technologiewettstreit der beiden Supermächte zugleich 11000 Kilometer weiter nördlich eskaliert, zeigt die hybride Kriegsführung an verschiedenen Fronten des Machtkampfes. Die neuen Technologien werden dabei zu den wichtigsten Waffen. Der Cyberspace ist das Schlachtfeld im geopolitischen Ringen um die Weltherrschaft.

Kein anderer Konflikt wird das 21. Jahrhundert derart prägen, wie die Rivalität zwischen Amerika und China. Nicht wenige halten einen militärischen Konflikt zwischen der aufstrebenden und der etablierten Supermacht für unausweichlich. Das Säbelrasseln der USA und Chinas um Schifffahrtsrouten und Einflusssphären im Südchinesischen Meer kann nur allzu leicht in ein militärisches Scharmützel eskalieren. Seit China 2015 damit begonnen hat, Inseln und damit auch Hoheitsrechte in der viel befahrenen Schifffahrtsroute für sich zu beanspruchen, ist es immer wieder zu militärischen Beinahe-Zusammenstößen zwischen den beiden Supermächten gekommen. Ende September 2018 kam es fast zu einer Kollision zwischen dem amerikanischen Zerstörer »USS Decatur« und dem chinesischen Kriegsschiff »Lanzhou«. Es fehlten nur 40 Meter. US-Präsident Trump drohte seinem Gegenüber Xi Jinping danach an, ihre Männerfreundschaft aufzukündigen. Nur Europa, so schreibt der amerikanische Politologe Graham Allison in seinem Buch »Destined For War«, könne die Welt vor einem Krieg zwischen den USA und China retten.

Aber braucht es für den Machtkampf im 21. Jahrhundert überhaupt noch Soldaten, Flugzeugträger, Raketen und Panzer? Viel wahrscheinlicher ist, dass das Ringen um die globale Vorherrschaft zwischen den Supermächten auf einem ganz anderen Schlachtfeld entschieden wird: im Cyberspace, wo intelligente Maschinen immer stärker unser Leben mitbestimmen. Wo enorme Datenströme zu Lebensadern unserer modernen Gesellschaft geworden sind, die uns aber zugleich enorm verwundbar machen. Wo digitale Technologien unsere Wirtschaft, Arbeitswelt und unseren Alltag in rasendem Tempo verändern und damit die Kräfte im Ringen um den Wohlstand von morgen völlig neu verteilen. »Zwischenstaatliche Konflikte werden immer seltener militärisch ausgetragen«, konstatiert Daniela Schwarzer, Direktorin der »Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik« (DGAP), »das hat mit der sinkenden gesellschaftlichen Akzeptanz traditionellmilitärischer Konfliktmuster vor allem in westlichen Gesellschaften zu tun, und es macht Ereignisse wie die gewaltsame Annexion der Krim oder den Konflikt in Syrien eher zur Ausnahme als zur Regel.« Der Einsatz wirtschaftlicher und finanzieller Instrumente zum Ausbau der eigenen Machtbasis auch außerhalb des eigenen Territoriums sei dagegen auf dem Vormarsch. Und zu den wirtschaftlichen Waffen zählt sie ausdrücklich die neuen Technologien. »Die Tatsache, dass sich der Grad der Teilhabe an Digitalisierung und technologischer Revolution von Region zu Region, von Land zu Land erheblich unterscheidet, befeuert die wirtschaftlichen Machtverschiebungen und Ungleichgewichte zusätzlich. Längst ist ein Wettlauf um die Kontrolle neuer Schlüsseltechnologien in vollem Gange: Künstliche Intelligenz, Cloud Computing, Quanteninternet, 5G. Innovationskraft und technologischer Vorsprung sind unmittelbar sicherheitsrelevant.«

Wissen ist Macht, diese alte Erkenntnis des englischen Philosophen Francis Bacon gewinnt im digitalen Zeitalter exponentiell an Bedeutung. Schon der russische Revolutionsführer Lenin wusste um die Macht der Technologien: »Kommunismus ist Sowjetmacht plus die Elektrifizierung des ganzen Landes«, rief er 1920 den Bolschewiken zu. Xi Jinpings Plan könne deshalb auf die neue Formel »Staatskapitalismus ist die Partei des Volkes plus Künstliche Intelligenz« gebracht werden, schreibt Indermit Gill, Forscher am »Brookings Institute« in Washington. Wird doch Künstliche Intelligenz oder KI von vielen Experten als die Elektrizität des 21. Jahrhunderts gesehen. Neue digitale Technologien werden nicht deshalb zu Waffen der Machtpolitik, weil sie über eine Massenzerstörungskraft verfügen – das ist gar nicht mehr notwendig. Wer das digitale Nervenzentrum moderner Gesellschaften kontrolliert – also die wichtigsten Infrastruktureinrichtungen wie die Energie-, Transport- und Informationsströme, der kann seine Gegner auch ohne atomare Drohungen in die Knie zwingen. Einen Vorgeschmack, wie so etwas aussehen kann, war der Cyberangriff auf Estland am 27. April 2007, der das digitale öffentliche Leben in dem baltischen Land für Tage lahmlegte. Das Internet funktionierte nicht, Bankkonten waren gesperrt, Webseiten der Regierung unerreichbar. Bis heute vermuten Sicherheitsexperten Russland hinter dem Angriff. Kurz danach wurden auch Georgien und später die Ukraine Opfer von russischen Cyberattacken. Mit dem Aufbau der 5G-Netze werden noch größere Teile des öffentlichen, privaten und Wirtschaftslebens digitalisiert und damit Ziele für Cyber Warfare.

Zwar war auch das atomare Wettrüsten anfangs ein Wettrennen um eine Schlüsseltechnologie: die kontrollierte Kernspaltung. Eindeutiges Ziel damals war jedoch ihre militärische Nutzung – sei es als monströse Vernichtungswaffe wie in Hiroshima oder zur atomaren Abschreckung im Kalten Krieg. Auch die neuen digitalen Technologien sind bei den Militärs heiß begehrt: ferngesteuerte Drohnen, Killerroboter, Propaganda-Bots und gezielte Hackerangriffe auf Kommunikationswege und lebenswichtige Infrastruktur gehören längst zu ihrem Waffenarsenal. Mit einer ferngesteuerten Kampfdrohne vom Typ »MQ-9 Reaper«, was auf Deutsch durchaus passend »Sensenmann« bedeutet, ließ US-Präsident Trump den iranischen General Ghassem Soleimani töten. Der Iran schoss wenige Tage später irrtümlich eine ukrainische Passagiermaschine ab, alle 176 Insassen kamen ums Leben. Deutlicher lässt sich das technologische Machtgefälle auf dem Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts kaum zeigen. Trump feierte sich selbst für seinen Militärcoup, das Mullah-Regime in Teheran steht zu Hause und international mit dem Rücken zur Wand.

Für amerikanische Militärstrategen ist technologische Überlegenheit nicht erst seit Trump die Voraussetzung für die geopolitische Dominanz der USA. »Länder, die sich die gegenwärtige Welle von Innovationen zunutze machen, ihre Disruptionen abfedern und ihre transformative Kraft ausnutzen, werden gegenüber potenziellen Rivalen im Vorteil sein«, betonen zum Beispiel James Manyika und William H. McRaven. Ein Duo, dessen Worte in den USA Gewicht haben: Manyika ist Direktor des »McKinsey Global Institute« und einer der führenden Technologie-Experten der USA. Der inzwischen pensionierte Viersternegeneral McRaven genießt unter Militärs eine Art Heldenstatus, seit er im Mai 2011 mit einem Spezialkommando den Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden aufspüren konnte. Mit ihren Empfehlungen zu »Innovation und nationaler Sicherheit« rennen sie bei der US-Regierung in Washington längst offene Türen ein: Erst die Technologieführerschaft in Bereichen wie Künstlicher Intelligenz, Big Data, Robotics und Biotechnologie würde gewährleisten, dass »wir die Kriege der Zukunft bestreiten und gewinnen können«, heißt es in der »National Defense Strategy« des Pentagon von 2018. Und Trumps »National Security Strategy« aus dem Jahr 2017 fordert, dass sich die USA auf jene neuen Technologien konzentrieren sollten, die ihre »ökonomische und militärische Überlegenheit« sichern. Explizit werden dort neben KI auch die Genveränderung, Verschlüsselung und autonomen Technologien genannt. Damit die Botschaft aus Washington im Silicon Valley auch gehört wird, reiste US-Außenminister Mike Pompeo im Januar 2020 extra nach San Francisco und nahm im dortigen Commonwealth Club die versammelte Tech-Elite in die Pflicht der nationalen Sicherheit: »Wir müssen sicherstellen, dass amerikanische Technologie nicht einen wahrhaft Orwellschen Überwachungsstaat stärkt«, redete Pompeo den Tüftlern aus dem Tal der Zukunft ins Gewissen. Gemeint war damit natürlich China und die Belieferung des chinesischen 5G-Ausrüsters Huawei mit Technologien made in USA.

Warum in diesem Zusammenhang so hart um die Vorherrschaft in der 5G-Technologie gerungen wird, erschließt sich erst, wenn man ihre komplementäre Bedeutung für andere Schlüsseltechnologien erkennt: Erst die 5G-Netze ermöglichen den blitzschnellen Transport riesiger Datenmengen, die mithilfe von Big Data und der Cloud gesammelt und aufbewahrt werden. Big Data wiederum ist das Elixier, das Künstliche Intelligenz zum Leben erweckt. Und sollte irgendwann auch noch das Quantum Computing möglich werden, würde die Datenverarbeitung einen weiteren Quantensprung und zum Beispiel viele der bisherigen Verschlüsselungstechniken der Militärs nutzlos machen.

Der technische Fortschritt in die digitale Welt bietet jedoch weitaus mehr und wirkungsvollere Möglichkeiten für einen nicht nur militärischen, sondern vor allem smarten Machtkampf um die globale Vorherrschaft. Hatte Clausewitz den Krieg noch als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln deklariert, geht es jetzt um die Fortsetzung der Machtpolitik mit technologischen Mitteln. Das digitale Arsenal der neuen Instrumente der Macht wächst ständig: Fake News und Deep Fakes (manipulierte Videos), um die öffentliche Meinung zu manipulieren und politische Gegner zu diskreditieren. Computerbots, um in sozialen Medien Stimmung und Meinungen zu machen und so demokratische Wahlen zu beeinflussen. Hackerangriffe und digitale Kampfstoffe wie Computerviren, um unliebsame Regierungen zu destabilisieren. Industriespionage und Technologieklau, um im globalen Wettrennen um Wohlstand den Konkurrenten abzuhängen. Gesichtserkennung und KI, um politische Gegner und Minderheiten zu kontrollieren und mundtot zu machen.

Im strategischen Denken der USA sind technologische Überlegenheit und wirtschaftliche Dominanz wichtige Voraussetzungen für die nationale Sicherheit. »Techno-Nationalismus ist eine Politik des Merkantilismus, die Innovation und Unternehmergeist direkt mit nationaler Sicherheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Stabilität einer Nation verbindet«, schreibt Alex Capri, der für die »Hinrich Foundation« in Hongkong den Technologiekrieg zwischen den USA und China untersucht hat. Es geht also nicht nur um intelligente Killerroboter, autonome Drohnen oder modernste Datenkommunikation in Echtzeit mit den militärischen Kommandozentralen. Es geht auch um deutlich mehr als um den Cyberwar mit Fake News verbreitenden Bot-Armeen, Hackerangriffen, Computerviren und Kill Switches. Und es geht über das hinaus, was neue Technologien zur totalen Kontrolle und Unterdrückung der politischen Opposition mithilfe von Gesichts- und Gestenerkennung in einer digitalen Diktatur beitragen.

Neue Technologien sind nicht nur Waffen für die nationale Sicherheit und Werkzeuge der Repression. Sie sorgen für ein Machtungleichgewicht zwischen denen, die beim technischen Fortschritt die Nase vorn haben und jenen, die hinterherhinken. Neue Technologien verschieben die Machtverhältnisse zwischen Staaten und innerhalb von Volkswirtschaften auch dadurch, dass sie die Produktivität und damit den Wohlstand eines Landes mehren, dabei aber oft sehr ungleich verteilen. Wirtschaftliche und daraus resultierende finanzielle Macht bilden wiederum die materielle Grundlage für militärische Stärke. Und auch in diesem hybriden Techno-Wirtschaftskrieg gibt es Sieger und Verlierer: So wie die technologischen Supermächte in der geopolitischen Arena dominieren, so sind die technologischen Superstars aus dem Silicon Valley und ihre hochqualifizierten Wissensarbeiter die Gewinner im verschärften Verteilungskampf.

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