Evidenzbasierte Schwangerenbetreuung und Schwangerschaftsvorsorge - Kirstin Büthe - E-Book

Evidenzbasierte Schwangerenbetreuung und Schwangerschaftsvorsorge E-Book

Kirstin Büthe

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Beschreibung

Eine umfassende und fundierte Hebammenbetreuung wirkt sich protektiv auf die Schwangerschaft und auf eine physiologische Geburt aus. Das Praxisbuch zeigt den evidenten Rahmen und die Grenzen von Hebammenarbeit im Kontext der Schwangerenvorsorge und -beratung auf. Konkrete Arbeitsweisen einer Hebamme, z. B. zur Sicherstellung eines zeitgerechten fetalen Wachstums, werden ebenso behandelt wie frühe Hinweise auf Frühgeburtsbestrebungen oder hypertensive Komplikationen. Besondere Erfordernisse von Frauen mit ausgewählten chronischen Erkrankungen werden ebenfalls vorgestellt. Beratungsinhalte zu einem gesundheitsförderlichen Lebensstil werden u. a. am Beispiel der schwangeren Gewichtsentwicklung, Ernährung und Bewegungsförderung, der Rauchentwöhnung, der Anleitung zu geburtsvorbereitenden Maßnahmen sowie bei Leistungsabfall und Schlafstörungen erläutert, wobei klare Empfehlungen ausgesprochen werden. Die 2. Auflage berücksichtigt die aktualisierten Aussagen und Evidenzen zu den genannten Inhalten, wodurch ein sicherer Rahmen für die Betreuung, Beratung und Vorsorge von Schwangeren geschaffen wird.

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Seitenzahl: 585

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Die Autorin

 

Unter Mitarbeit von

 

Kirstin Büthe, M. A., studierte Inklusive Pädagogik und Kommunikation und ist seit 1999 Hebamme. Sie arbeitet seit 2009 in Schulen für Gesundheitsberufe sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Hebammen.

 

Prof. Dr. Cornelia Schwenger-Fink, seit 2002 Hebamme und seit 2007 aktiv in der fach- und hochschulischen Lehre und Forschung. Seit 2020 leitet sie den primärqualifizierenden Studiengang Hebammenwissenschaft (B. Sc.) an der Fachhochschule des Mittelstands.

 

Antje Krone, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Dipl.-Pflegepädagogin

 

Damaris Lahmann, Hebamme, M. Sc. Public Health

Kirstin Büthe

Evidenzbasierte Schwangerenbetreuung und Schwangerschaftsvorsorge

Eine Arbeitshilfe für Hebammen im Praxisalltag

2., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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2., aktualisierte Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-041532-4

 

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-041533-1

epub: ISBN 978-3-17-041534-8

Inhalt

1         Einführung

Kirstin Büthe

1.1      Was ist Evidenzbasierte Betreuung, Pflege, Hebammenarbeit und Medizin?

1.1.1    Definitionen und Begriffe

1.1.2    Vorgehen

1.2      Evidenz dieses Buches

2         Embryonale und fetale Entwicklung

Cornelia Schwenger-Fink

2.1      Entwicklungsstadien von der Konzeption bis zur Geburt

3         Schwangerenvorsorge

3.1      Alter

Kirstin Büthe

3.2      Gravidität und Parität

Kirstin Büthe

3.3      Schwangerschaftsnachweis und Terminbestimmung

Kirstin Büthe

3.4      Schwangerschaftsdauer

Kirstin Büthe

3.5      Einling und Mehrlinge

Kirstin Büthe

3.6      Serologische Untersuchungen

Kirstin Büthe

3.6.1    Blutgruppe und Rhesusfaktor

3.6.2    Nachweis von Immunschutz oder Infektionskrankheiten

3.6.3    Blutentnahme

Antje Krone

3.6.4    I. m.-Injektionen

3.7      Fundushöhe

Kirstin Büthe

3.7.1    Fundusstand zu niedrig

3.7.2    Fundusstand zu hoch

3.8      Hebammenhandgriffe

Kirstin Büthe

3.8.1    Leopold-Handgriffe

3.8.2    Beckenmaße und Michaelis-Raute

3.9      Uterusmotilität, Herztöne und Kindsbewegungen

Kirstin Büthe

3.10    Ödeme

Kirstin Büthe

3.11    Varizen

Kirstin Büthe

3.11.1    Thromboseprophylaxe

Antje Krone

3.11.2    S. c.-Injektionen

Antje Krone

3.12    Gewicht und Gewichtsentwicklung

Kirstin Büthe

3.12.1    Mütterliche Gewichtsentwicklung

3.12.2    Frauen mit Untergewicht

3.12.3    Frauen mit Übergewicht und Adipositas

3.13    Blutdruck und Herz-Kreislauf-System

Kirstin Büthe

3.13.1    Blutdruck

3.13.2    Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft

3.13.3    Pflege von Frauen mit hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft

3.13.4    Anämie und Hämoglobin

3.14    Niere, ableitendes Harnsystem und Urin

Kirstin Büthe

3.14.1    Asymptomatische Bakteriurie und Zystitis

3.15    Zervix

Kirstin Büthe

3.15.1    Vaginale Untersuchung

3.15.2    Frühgeburtsbestrebungen

3.15.3    Pflege von Frauen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und Zervixinsuffizienz

3.16    Gestationsdiabetes

Kirstin Büthe

3.16.1    Blutzuckermessung von Kapillarblut

3.17    Fazit Schwangerenvorsorge

4         Beratungskompetenz

4.1      Inklusionssensible Schwangerenbegleitung

4.2      Kommunikation und Beratungskompetenz

4.3      Vorbereitung auf die Mutter- und Elternrolle

5         Beratungsthemen

5.1      Protektiver Lebensstil und Umwelt

Kirstin Büthe

5.2      Ernährung

Kirstin Büthe

5.2.1    Makronährstoffe

5.2.2    Vitamine

5.2.3    Mikronährstoffe

5.2.4    Lebensmittelhygiene

5.2.5    Ernährung nach bariatrischer Operation

5.3      Zahn-, Haut- und Körperpflege

Kirstin Büthe

5.3.1    Zahnpflege

5.3.2    Haut- und Körperpflege

5.3.3    Hautirritationen und Erkrankungen

5.4      Bewegung und Sport

Kirstin Büthe

5.5      Teedrogen und Genussmittel

Kirstin Büthe

5.5.1    Teedrogen

5.5.2    Genussmittel

5.5.3    Rauchentwöhnung

5.5.4    Rauschmittel und Sucht

5.6      Arbeiten und Mutterschutzgesetz

Kirstin Büthe

5.7      Urlaub und Reisen

Kirstin Büthe

5.8      Haus- und Nutztiere

Kirstin Büthe

5.9      Grunderkrankungen und Schwangerschaft

Kirstin Büthe

5.9.1    AD(H)S

5.9.2    Tuberkulose

5.9.3    Rheumatische Erkrankungen

5.9.4    Zervixkarzinom

5.10   Vorbereitungen auf die Geburt

5.10.1    Geburtsvorbereitungskurs

Kirstin Büthe

5.10.2    Geburtsmodus

Kirstin Büthe

5.10.3    Geburtsort und Betreuungsform

Kirstin Büthe

5.10.3    Damaris Lahmann

Kirstin Büthe

5.10.4    Wehenvorbereitung

Kirstin Büthe

5.10.5    Dammvorbereitung

Kirstin Büthe

5.10.6    Verlängerte Schwangerschaftsdauer und Übertragung

5.11    Vorbereitungen auf das Wochenbett und Stillen

Kirstin Büthe

5.11.1    Vorbereitung auf das Wochenbett

5.11.2    Stillen

5.12    Fazit Schwangerenberatung

6         Schwangerschaftsbeschwerden

Kirstin Büthe

6.1    Beschwerden des Magen-Darm-Traktes

6.1.1    Ptyalismus gravidarum

6.1.2    Reflux

6.1.3    Nausea und Emesis

6.1.4    Obstipation

6.1.5    Hämorrhoidalleiden

6.2    Schmerzen

6.2.1    Pharmakologische Behandlung von Schmerzen in der Schwangerschaft

6.2.2    Rückenschmerzen

6.2.3    Symphysenlockerung

6.3    Leistungsabfall und Schlafstörungen

6.4    Descensus genitale und Harninkontinenz

6.4.1    Descensus genitale

6.4.2    Harninkontinenz

6.5    Karpaltunnelsyndrom

6.6    Fazit Schwangerschaftsbeschwerden

Literatur

Stichwortverzeichnis

1        Einführung

Kirstin Büthe

Hebammen begleiten Schwangere auf dem Weg vom Leben ohne Kind in die Elternschaft und (in die größer werdende) Familie (Von Rahden & Ayerle 2010). Sie führen die Schwangerenvorsorge durch und beraten bei Fragen und Unsicherheiten. Sie unterstützen Schwangere und ihre Partner/-innen durch geeignete Maßnahmen und bereiten sie auf die Geburt und Elternrolle vor. Frauen möchten auf die umfassende Betreuung durch Hebammen weder in der Schwangerschaft noch während der Geburt, im Wochenbett sowie in der Stillzeit verzichten (Ayerle et al. 2016).

Wählt eine Hebamme im Rahmen der Schwangerenbetreuung eine nach ihrem Methodenschwerpunkt und für die Frau und Familie geeignete Behandlungsempfehlung oder Maßnahme aus, gelangt sie dabei unweigerlich in das Spannungsfeld zwischen traditioneller Hebammenkunst und evidenzbasierter Betreuung, Pflege (Evidence-based Nursing – EBN), Hebammenarbeit (Evidence-based Midwifery) und Medizin (Evidence-based Medicine – EBM). Die langjährigen Beobachtungen und Erfahrungen von Hebammen stehen den evidenzbasierten Maßnahmen teilweise gegenüber. Ergebnisse aus aktueller und systematischer Forschung sollen in die praktische Arbeit und die Handlungsempfehlungen mit einbezogen werden. In diesem Sinne arbeiten Hebammen evident und frühzeitig proaktiv. (Ayerle et al. 2016)

Ziel des vorliegenden Buches ist es, aktuelle Evidenzen zu Wirksamkeit und Unwirksamkeit sowie Beratungsinhalte und Maßnahmen der traditionellen Hebammenkunst zu den einzelnen Parametern von Schwangerenvorsorge, Schwangerenberatung und Hilfe bei Beschwerden zusammenzuführen.

Hier und im Weiteren wird sich bei der Nennung »Hebamme« und bei dem Verweis auf die Berufsgruppe auf die weibliche Form beschränkt. Gemeint sind jeweils alle Geschlechter der Berufszugehörigen. Um Kolleg/-innen eine Hilfe im QM-Prozess Schwangerschaft zu geben, ist jedes Kapitel nach gleichem Schema in Anlehnung an das QM- System des DHV (DHV et al. 2015) aufgebaut. Jedes Unterkapitel befasst sich inhaltlich mit einem Parameter der alltäglichen Hebammenarbeit (z. B. Hilfe bei Emesis). Der strukturelle Rahmen umfasst die Punkte Definitionen, Ziel, Inhalt, Beratung, Maßnahmen und Anleitung, Beginn und Dauer, Gute Erfahrung mit/Vorgehen bei Komplikationen und Kooperierende. In Tabelle 1.1 werden diese Parameter erläutert ( Tab. 1.1).

Tab. 1.1:  Aufbau der Unterkapitel (eigene Zusammenstellung) fbau der Unterkapitel (eigene Zusammenstellung

StrukturErläuterung

1.1       Was ist Evidenzbasierte Betreuung, Pflege, Hebammenarbeit und Medizin?

Hebammen begleiten und betreuen Frauen in der Schwangerschaft und bereiten sie auf die Geburt vor. Sie fördern die Bindung von Mutter/Eltern und Kind. In der Schwangerschaft werden wichtige Weichen für das Wochenbett gestellt. Hebammen begegnen Frauen und werdenden Eltern auf Augenhöhe und beraten sie kompetent.

Hebammen können zur Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden auf ihr Fach- und traditionelles Hebammenwissen zurückgreifen. Die Schwangerenvorsorge sowie Beratungsthemen zum Lebensstil etc. basieren maßgeblich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Eine Professionalisierung von Hebammenbetreuung im Tätigkeitsfeld der Schwangerenberatung, -betreuung und -vorsorge setzt die Kenntnis der vielschichtigen Prozesse der schwangerschaftsbedingten Veränderungen des mütterlichen Organismus ebenso voraus wie die der charakteristischen Symptome von Regelwidrigkeiten und Notfällen. Evidente Behandlungsmöglichkeiten zur Linderung von Schwangerschaftsbeschwerden sowie die Berücksichtigung von lebensstilgebundenen Determinanten von Gesundheit begründen die Basis einer qualifizierten Informierung. (Lühnen et al. 2017)

Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen repräsentieren die aktuellen wissenschaftlichen Belege und Ergebnisse und stellen die Inhalte zu Behandlungs- und Gesundheitsentscheidungen dar (Lühnen et al. 2017).

1.1.1    Definitionen und Begriffe

Evidenzbasierte Betreuung(EbB): Die Begleitung, Beratung, Anleitung und Behandlung einer Frau in Orientierung an der eigenen Fachexpertise und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der systematischen Forschung. Der Frau wird mit Sensibilität und Sachverstand begegnet. Ihre Wünsche und Ziele stehen im Mittelpunkt und werden respektiert: Sowohl die Betreuungsform als auch die Behandlungsmaßnahmen werden gleichberechtigt festgelegt (Stiefel et al. 2012).

Evidence-basedNursing(EbN), dt.: Evidenzbasierte oder beweisgestützte Pflege: EbN beschreibt die Nutzung der aktuellen besten wissenschaftlichen Ergebnisse pflegerischer Forschung in der Zusammenarbeit zwischen Patient/-innen und professionell Pflegenden (Behrens & Langer 2016).

Evidence-basedMedicine(EbM), dt.: Evidenzbasierte oder beweisgestützte Medizin: Der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für individuelle Entscheidungen in der medizinischen Patient/-innenversorgung. In der praktischen Umsetzung von EbM wird die individuelle klinische Expertise durch bestmögliche Forschungsergebnisse ergänzt (DNEbM 2011; Sackett et al. 1996).

Evidence-basedMidwifery(EbMid), dt.: Evidenzbasierte Hebammenarbeit oder Hebammenbetreuung: Nach einer gemeinsamen Abwägung von Wissen und Erfahrung der Hebamme mit den Wünschen und Bedürfnissen von Frau und Familie wird eine Entscheidung getroffen. Hebammenerfahrung und alle verfügbaren wissenschaftlichen Evidenzen fließen in die Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme mit ein. Eine Anamneseerhebung und körperliche Untersuchung der Frau validieren den Rahmen von Behandlungsmöglichkeiten. Die Informationen sind der schwangeren Frau und den werdenden Eltern in verständlicher Form, fundiert und ergebnisoffen mitzuteilen. Evidenzbasiertes Arbeiten bedeutet, die Sinnhaftigkeit und den Benefit der eigenen Arbeit für die Frau und Familie stetig in Frage zu stellen: Eine stetige Reflexion der eigenen Haltung und Arbeitsweise ist unabdingbar. Eine ablehnende Entscheidung der schwangeren Frau ist stets zu akzeptieren. (Stahl 2014)

Qualitative Studien: Diese Forschung fragt nach menschlichen Empfindungen, Reaktionen und Erfahrungen und berücksichtigt kulturelle sowie soziale Lebensumstände des gewohnten Umfeldes. Sie sind für ein evidenzbasiertes Vorgehen besonders aufschlussreich in Hinsicht auf die Erforschung von Patient/-innenerfahrungen, -ansichten und der Compliance gegenüber ausgewählten Maßnahmen (Herr-Wilbert 2008).

Quantitative Forschung: Ausgehend von einer Fragestellung oder Hypothese wird nach Ursache und Wirkung der Interaktion von Variablen gesucht und Beziehungen und Unterschiede geprüft. Die Ergebnisse von quantitativer Forschung sind geeignet zur Übertragung auf die Praxis. Je nach Design werden verschiedene, im Folgenden aufgeführte Studienformen unterschieden (Herr-Wilbert 2008).

Review, dt.: Übersichtsarbeit. Zusammenfassung der Ergebnisse durch Auswertung aller relevanten Studien zu einer Fragestellung (Schwarz & Stahl 2013).

Randomized ControlledTrial(RCT), dt.: randomisierte kontrollierte Studie. Sie erforscht Ursache und Wirkung und zeichnet sich durch eine hohe Verlässlichkeit der Ergebnisse aus. Die Teilnehmer/-innen werden per Zufall (engl.: random) einer Gruppe zugeordnet. Die Zugehörigen einer Gruppe werden einem Ereignis ausgesetzt, die anderen nicht. Doppelblind bedeutet in diesem Zusammenhang, dass weder Untersuchende noch Untersuchte wissen, wer dem Einfluss ausgesetzt ist und wer nicht (Kontroll- und Placebo-Gruppe). Randomisiert kontrollierte Studien sind eine geeignete Methode zur (nachträglichen) Überprüfung pflegerischer Interventionen (Herr-Wilbert 2008).

Cohort-Study, dt.: Kohortenstudie. Sie erforscht den Zusammenhang von Belastungen oder Ereignissen auf einen Zustand, beispielsweise auf die Gesundheit. Dazu wird eine Gruppe von Menschen, die einer Belastung oder einem Ereignis ausgesetzt waren oder sich selber ausgesetzt haben, mit einer Gruppe verglichen, die keinen Einfluss einer entsprechenden Belastung hatte. Beide Gruppen werden über einen bestimmten Zeitraum beobachtet. Geprüft wird, ob, wie häufig oder in welchem Zeitabstand und in welcher Gruppe relevante Ereignisse auftreten (Schwarz & Stahl 2013).

Case-Control-Study, dt.: Fall-Kontroll-Studie. Von einem untersuchungsrelevanten Ergebnis betroffene Patient/-innen werden rückblickend (retrospektiv) verglichen mit einer ähnlichen Population ohne dieses Ergebnis. Es wird geprüft, ob und welche Gruppe einer Exposition ausgesetzt war, die von Interesse ist. Diese Studienform kommt bei seltenen Ereignissen zum Einsatz und gibt Hinweise auf ursächliche Faktoren (DNEbM 2011; Herr-Wilbert 2008).

Cross-Sectional-Study, dt.: Querschnittstudie. Verschiedene Merkmale von postuliert ursächlicher Wirkung werden in Beziehung gesetzt. Ergebnisse dieses Studiendesigns identifizieren einflussnehmende Faktoren und deren Gewicht (DNEbM 2011; Herr-Wilbert 2008).

Before-After-Study, dt.: Vorher-Nachher-Studie. Teilnehmer/-innen werden vor und nach einem Ereignis oder einer Intervention untersucht. Es gibt keine Kontrollgruppe. Diese Form der Untersuchung eignet sich für Fragestellungen über den Einfluss eines Ereignisses, beispielsweise Eintritt der Schwangerschaft oder die Geburt, auf ein Merkmal wie die psychische Gesundheit (Herr-Wilbert 2008).

Survey, dt.: Befragung. Umfrage in und über bestimmte Bevölkerungsgruppen mittels mündlichen oder schriftlichen Interviews. Der Rücklauf im Verhältnis zu den versandten Fragebögen beschreibt die Repräsentanz der Umfrage (Schwarz & Stahl 2013).

SystematicReview, dt.: Systematische Übersichtsarbeit. Die Bewertung aller zu einer konkreten Fragestellung vorhandenen Studien anhand vorher genau festgelegter Kriterien (Timmer & Richter 2008).

Empfehlungenund Stellungnahmen: Dienen der Sensibilisierung der Behandelnden und ggf. der Öffentlichkeit für änderungsbedürftige und beachtenswerte Sachverhalte (Schwarz & Stahl 2013).

Richtlinien: Eine Richtlinie regelt das Verfahren, den Inhalt und Umfang und bietet Orientierung für beteiligte Institutionen und Personen zu einem medizinischen Thema. Es ist eine abstrakte Handlungsanweisung, welche den aktuellen Stand der medizinwissenschaftlichen Erkenntnisse widerspiegelt (Bundesärztekammer (BÄK) 2015).

Leitlinien: Systematisch und nach gegenwärtigem Kenntnisstand entwickelte Aussagen, die die Entscheidungsfindung von Ärzt/-innen und Patient/-innen für eine angemessene Behandlung unterstützen. Sie sprechen klare Handlungsempfehlungen aus. In begründeten Fällen kann und muss von ihnen abgewichen werden (Lühnen et al. 2017; AWMF 2012a).

Ziel: Eine stetige Aktualisierung und Verfeinerung der eigenen Fachexpertise

Inhalt: Erfahrungswissen wird zunehmend durch wissenschaftlich untermauerte Fachexpertise ergänzt und bereichert. In diesem Zusammenhang kann auf Forschungsergebnisse durch evidenzbasierte Pflege und Medizin zurückgegriffen werden.

Beratungsinhalte und Handlungen im Sinne von Interventionen können ebenso eine unerwünschte oder negative Nebenwirkung haben. Sie können wohlgemeint eine ärztliche Behandlung verfrüht oder verspätet einleiten und damit den Gesundungsprozess beeinflussen (Schlömer 2000).

Eine kontinuierliche Aktualisierung der eigenen Fachexpertise schützt davor, nicht evidente Heilungsversprechen zu machen oder aufwendige Pflegepraktiken einzuleiten.

Eine professionelle Entscheidung bezüglich Beratung und Behandlung erfolgt unter Berücksichtigung von vier Komponenten. Zum einen die Wünsche, Ziele und Vorlieben der Patientin sowie ihres familiären und sozioökonomischen Kontextes, dies in vorrangiger Rolle. Beide Komponenten stellen die »Interne Evidenz« dar. Zum andern die Expertise der Fachkraft, hier der Hebamme, sowie entsprechende Forschungsresultate. Diese sogenannten Erfahrungen Dritter bilden die » ExterneEvidenz« (Behrens & Langer 2016; Behrens 2008).

1.1.2     Vorgehen

Evidenzbasierte Betreuung, ob EbB, EbN, EbMid oder EbM, ist eine praxisorientierte Methode. Eine gezielte, zur Lösung eines Problems dienliche Frage wird formuliert, zu deren Beantwortung relevante Studien und Forschungsergebnisse in Datenbanken und Fachzeitschriften gesichtet werden.

Sowohl die Fragestellung oder Hypothese als auch wissenschaftliche Gütekriterien entscheiden über die Auswahl von Studien. Besonders quantitative Forschungsdesigns werden auf Gültigkeit (Validität) geprüft, d. h. darauf, ob ihre Ergebnisse auf eine Patient/-innengruppe außerhalb der Studie übertragbar sind. Ihre Zuverlässigkeit (Reliabilität) sagt aus, ob eine Studienwiederholung zu gleichen Ergebnissen führen würde. Die (Irrtums-)Wahrscheinlichkeit (p-Wert) gibt an, wie viele der ermittelten Messwerte auf Koinzidenz oder Kausalität zurückzuführen sind. Sie ist ein Maß für die statistische Signifikanz. Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit ergänzen als qualitative Gütekriterien die Bewertung. Das Design des Forschungsvorhabens und -vorgehens unterliegt strengen ethischen Anforderungen. Das Studiendesign wird durch den Aufbau des Forschungsvorhabens definiert.

Der Evidenzlevel, die Beweiskraft einer Studie (im Sinne der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere, z. B. Bevölkerungsgruppen), geht aus dem Studiendesign hervor. Vom Evidenzlevel (I–IV) wiederum hängt der Grad der Empfehlung ab. Dieser kann von einem hohen Empfehlungsgrad A über Abstufungen zum mittleren Empfehlungsgrad B bis hin zu einem schwachen Empfehlungsgrad C reichen. Ungeachtet eines schwachen Evidenzgrades kann es sich dennoch um den höchsten Beweisgrad handeln, der zu der wissenschaftlichen Beantwortung einer Frage vorliegt (Schwarz & Stahl 2013).

Den höchsten Empfehlungsgrad für die Übertragbarkeit einer Studie besitzen Untersuchungsergebnisse mit dem Evidenzlevel Ia und Ib. Dem Level Ia entsprechen systematische Übersichtsarbeiten von randomisierten kontrollierten Studien (RTC) sowie Metaanalysen. Ib umfassen die Ergebnisse von RTCs an sich. (Kunz et al. 2001)

Ein moderater Empfehlungsgrad B wird für Ergebnisse von wissenschaftlichen Arbeiten mit Evidenzlevel II und III ausgesprochen. Der Evidenzlevel IIa und IIb umfasst die systematischen Übersichtsarbeiten von Kohorten- und kontrollierten Studien bzw. einzelne Kohorten- und quasi-experimentelle Studien. Systematische Übersichtsarbeiten von Fall-Kontroll-Studien, einzelne Fall-Kontroll-Studien, deskriptive Studien, Vergleichsstudien sowie Korrelationsstudien werden mit dem Evidenzlevel III bewertet. (Kunz et al. 2001)

Von schwachem Empfehlungsgrad III sind Evidenzen mit Level IV. Dies umfasst Berichte und Meinungen von Expert/-innenkreisen, von Konsenskonferenzen oder von klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten. (Kunz et al. 2001)

Nach dem o. g. methodischen Vorgehen wird die Literatur kritisch geprüft, z. B. dahingehend, ob die Ergebnisse aussagekräftig genug oder auf die aktuelle Situation anwendbar sind. Die Evidenzen werden mit der eigenen Fachexpertise verglichen und finden schließlich ggf. Eingang in die eigene Arbeitsweise (Schlömer 2000).

1.2       Evidenz dieses Buches

Im Rahmen dieses Buches wurde nach wissenschaftlichen Belegen für Prozesse, deren Beeinflussbarkeit sowie den dazugehörigen Maßnahmen gesucht. Es wurde Fachliteratur (Lehrbücher und Fachzeitschriften) gesichtet sowie Internetrecherche betrieben (Google, Google scholar, non-profit Fachdatenbanken, Cochranelibrary, pubmed, ncbi, NICE, AWMF, DGGG, BfR, DGE, DNQP, RKI), mit dem Ziel einer komplexen Darstellung der Informationen zu Schwangerenvorsorge, -beratung und Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden unter dem besonderen Gesichtspunkt lebensstilgebundener Fragen und Unsicherheiten. Die vorliegende Arbeit versteht sich dabei weniger als das Ergebnis einer wissenschaftlichen Literaturrecherche als eine Literaturrecherche wissenschaftlicher Ergebnisse. Ziel war die komplexe Darstellung der Empfehlungen zu dem großen Thema Schwangerschaft.

2        Embryonale und fetale Entwicklung

Cornelia Schwenger-Fink

Mit der Fusion des weiblichen und männlichen Vorkerns ist der Befruchtungsvorgang abgeschlossen: Die menschliche Entwicklung beginnt. In den folgenden Monaten entsteht aus einer einzigen Zelle ein Organismus aus Millionen von Zellen. (Romahn 2015)

2.1       Entwicklungsstadien von der Konzeption bis zur Geburt

Definitionen:

Zygote: Die Zygote, eine diploide Zelle, entsteht durch die Fusion des männlichen und weiblichen Vorkerns im Rahmen der Konzeption. Genetisch ist die Zygote einmalig, da die eine Hälfte der Chromosomen von der Mutter und die andere vom Vater stammt. Sie ist der Beginn eines neuen menschlichen Lebens in Form eines Embryos. (Moore et al. 2013)

Morula: Durch Furchungen (wiederholte mitotische Teilungen) entsteht ca. 96 Stunden post conceptionem eine kugelige Anordnung aus 16 bis 32 embryonalen Zellen, den sogenannten Blastomeren: Aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit einer Maulbeere (lat. morula) erhält die Morula ihre Bezeichnung. (Weingärtner 2020b; Moore et al. 2013)

Blastomeren: Frühe Embryonalzellen, die durch Furchungsteilungen der Zygote gebildet werden: Bei jeder Teilung werden die Blastomeren kleiner, da die Zygote während der Furchung von einer stabilen Zona pellucida umgeben ist. Bis zur Implantation und dem Auflösen der Zona pellucida am ca. fünften Tag verändert sich die Gesamtgröße der Zygote nicht. (Moore et al. 2013)

Blastozyste: Bezeichnung für den Embryo während des Entwicklungsvorgangs der Blastogenese ca. am vierten Tag post conceptionem: Aus der Morula gehen ein flüssigkeitsgefüllter Hohlraum (Blastozystenhöhle) sowie eine innere und äußere Zellmasse hervor. Aus der inneren Zellmasse entstehen alle Zellen des embryonalen Körpers, weshalb sie auch als Embryoblast bezeichnet wird. Aus der äußeren Zellschicht (Trophoblast) entwickelt sich der embryonale Teil der Plazenta. (Weingärtner 2020a; Moore et al. 2013)

Synzytiotrophoblast: Mit der Implantation der Blastozyste in das Endometrium beginnen die Trophoblastzellen zu proliferieren und differenzieren sich in zwei Schichten: in eine innere Schicht, den Zytotrophoblast, sowie eine äußere Schicht, den Synzytiotrophoblast. Der Synzytiotrophoblast hat direkten Kontakt zum maternalen, mit Blut gefüllten Lakunensystem. Er ist Teil der Plazentaschranke und reguliert den embryo- bzw. feto-maternalen Stoffwechsel. Die endometrialen Bindegewebszellen reagieren auf den Kontakt mit dem Synzytiotrophoblasten mit einer Umwandlung der Stromazellen zu Dezidualzellen. In den Synzytiotrophoblastzellen wird das Proteohormon Humanes Choriongonadotropin (ß-HCG) gebildet. (Weingärtner 2020c; Moore et al. 2013)

Embryonalperiode: Die Embryonalperiode umfasst die ersten acht Wochen post conceptionem. Sie beginnt nach der Verschmelzung der Vorkerne durch die Bildung der Zygote. Am Ende der Embryonalperiode ist die Organogenese fast vollständig abgeschlossen. Die einzelnen embryonalen Entwicklungsschritte werden nach dem Vorliegen von Entwicklungsmerkmalen in sogenannte »Carnegie-Stadien (1–23)« eingeteilt. Da die embryonalen Entwicklungsstufen individuell und unterschiedlich schnell durchlaufen werden, wird bei dieser Klassifikation auf die ausschließliche Zuweisung nach Zeit/Tagen verzichtet. (Moore et al. 2013)

Fetalperiode: Die fetale Entwicklung schließt nach den embryonalen Entwicklungsschritten der abgeschlossenen achten Woche an und erstreckt sich bis hin zur Geburt. Während der Fetalperiode steht vor allem das Wachstum im Vordergrund und nicht mehr die Differenzierung der Organe. Im Verlauf der Fetalperiode wächst der Fetus auf ca. 500 mm. Für die Fetalperiode existiert keine offizielle Stadieneinteilung, weshalb die Entwicklungsschritte zusammengefasst in wenigen Wochen betrachtet werden. (Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin 2022)

Alle Wochenangaben beziehen sich auf den Zeitpunkt der Konzeption. Um den Termin in Bezug auf die letzte Menstruation zu erhalten, müssen jeweils zwei Wochen hinzugezählt werden.

Ziel: Beratung von Schwangeren und ihren Angehörigen zu den embryonalen und fetalen Entwicklungsstufen unter Berücksichtigung individueller Bedarfe und Bedürfnisse (z. B. bei Fragestellungen im Kontext pränataldiagnostischer Maßnahmen oder lebensstilgebundener Einflüsse): Vermeidung von Embryo- und Fetopathien

Inhalt:

Embryonalperiode:

Carnegie 1 bis 3: Ca. 20 Stunden nach der Imprägnation besteht die Eizelle aus zwei Zellen. Durch sogenannte Furchungsteilungen entstehen in den nächsten Stunden weitere Tochterzellen, die alle mit derselben genetischen Information ausgestattet sind. Da die Eizelle noch von einer starren Hülle (Zona pellucida) umgeben ist, sind die neu entstehenden Zellen nur halb so groß wie ihre Vorgängerzellen. Nach ca. 96 Stunden besteht der Embryo aus ca. 16 bis 32 Zellen. Aufgrund seiner Ähnlichkeiten zu einer Maulbeere, wird er in diesem Stadium Morula genannt. Durch eine Kompaktierung der Zellen entsteht ein epithelialer, nach außen dichter Zellverband, dessen Zellen abflachen und kleiner werden.

Durch den Einstrom von Flüssigkeit entsteht eine Höhle (Blastocystenhöhle) und die inneren Zellen formieren sich zur inneren Zellmasse. Aus dieser inneren Zellmasse wird sich der eigentliche Embryo entwickeln. Das Vorliegen der Blastocystenhöhle sowie der inneren (Embryoblast) und äußeren Zellmasse (Trophoblast) kennzeichnet die Blastocyste. (Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin 2022a)

Carnegie 4 bis 5: Am ca. fünften Tag befreit sich der Embryo aus der umhüllenden Zona pellucida durch eine aufeinanderfolgende Reihe von Ausdehnungskontraktionen. Diese »erste Geburt« wird als Hatching bezeichnet. Nach der Passage der Tube hat der Embryo nun das Cavum uteri erreicht und nistet sich am ca. sechsten Tag in das Endometrium ein. Im Laufe der Implantation differenziert sich die äußere Zellschicht, der Trophoblast, in den außen gelegenen Synzytio- und den innen gelegenen Zytotrophoblasten. Die Zellen des Synzytiotrophoblasten infiltrieren die Epithelzellen der Uterusschleimhaut, sodass der Embryo durch die geschaffenen »Lücken« weiter in das Endometrium eindringen kann. Die angrenzenden maternalen Zellen reagieren auf die Anwesenheit der Blastocyste und auf das durch das Corpus luteum ausgeschiedene Progesteron: Sie werden metabolisch und sekretorisch aktiv (sogenannte Dezidualreaktion), ermöglichen die Ernährung des Embryos und schaffen einen immunologisch privilegierten Raum (Schutz durch Abgrenzung) – die Entwicklung der Plazenta beginnt. Die Amnionhöhle entsteht am ca. achten Tag. Am ca. neunten Tag bedeckt das Uterusepithel die Implantationsstelle wieder vollständig. (Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin 2022b)

Durch Zellabspaltungen am Embryoblasten (jetzt Epiblast) entsteht eine neue Schicht von flachen und isoprismatischen Zellen. Diese werden als Hypoblast bezeichnet. Durch die Ausbildung des Hypoblasten wird bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die spätere dorso-ventrale Ausrichtung der Körperachse fixiert. Der Embryo (bestehend aus Hypo- und Epiblast) wird in diesem Stadium als zweiblättrige (didermische) Scheibe erkennbar. In der Mitte der zweiten Woche erscheinen im Synzytiotrophoblasten Lakunen, die mit Uterussekret und Gewebeflüssigkeit gefüllt sind. Nach Erosion der maternalen Gefäße wird deren Blut in die Lakunen einfließen. Diese werden später zum intervillösen Raum und dienen der (weiteren) Ernährung des Embryos. (Moore et al. 2013)

Carnegie 6 bis 10: In der dritten Woche wandern über eine Eintrittsstelle (sogenannter Primitivstreifen) zwischen die bestehenden Zellen des Epi- und Hypoblasten weitere Zellen ein und bilden das dritte embryonale Keimblatt (Mesoblast). Von nun an wird das dorsale Keimblatt (ehemals Epiblast) als Ektoblast/-derm, das mittlere/dritte Keimblatt als Mesoblast/-derm und das ventrale Keimblatt (ehemals Hypoblast) als Endoblast/-derm bezeichnet. Aus dem Ektoblasten entwickeln sich das Oberflächenektoderm (z. B. Epidermis, Zahnschmelz und Brustdrüsen) sowie Neuroektoblast (z. B. ZNS) und Neuralleiste (z. B. Ganglien und sensible Hirnnerven). Aus dem Mesoblasten entwickeln sich z. B. Knochen, Knorpel, (glatte und quergestreifte) Muskulatur und das kardiogene System. Aus dem Endoblasten geht z. B. das Epithel des Verdauungstraktes und der Bronchien hervor. Am ca. 19. Tag beginnt mit der primären Neurulation die Entstehung des Nervensystems (Induktion des Neuroektoderms, Bildung des Neuralrohrs und der Neuralleistenzellen). Schließt sich in deren Entwicklung das Neuralrohr nicht (komplett), kommt es – je nach Lokalisation – zu Neuralrohrdefekten, z. B. Meroanencephalie, Spina bifida (cave: Medikamenteneinnahme, Alkoholmissbrauch). (Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin 2022c, 2022d).

Nach den ersten erkennbaren Entwicklungen der kardiogenen Anlage um den ca. 18. Tag erfolgen bereits zu Beginn der vierten Woche die ersten Kontraktionen der embryonalen Herzanlage. Durch verschiedene Induktionssignale, Regulationsgene und Signalmoleküle erfolgt die Steuerung der weiteren Herzentwicklung und die des Blutgefäßsystems. Die Bildung und Entwicklung von Blutzellen beginnen. (Moore et al. 2013)

Die drei Keimblätter beginnen sich im Folgenden zu differenzieren und verwandeln durch eine Längs- und Seitenabfaltung die einst flache embryonale Scheibe in eine zylindrische, c-ähnliche, für Vertebraten typische Form: Die Leibeswände entstehen. Die Anlagen von Leber, Pankreas, Darm, Innenohr sowie die Knospen der oberen und unteren Extremitäten werden erkennbar. Der Embryo ist 1,5 bis 3 mm lang. (Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin 2022e).

Carnegie 11 bis 14: In der fünften Woche sind die morphologischen Veränderungen diskret. Vorherrschend ist das Wachstum des Kopfes, was mit der schnellen Entwicklung des Nervensystems zusammenhängt. Die Arm- bzw. Beinknospen sind paddel- bzw. flossenförmig. Die Urnieren wölben sich in die Urogenitalleiste vor und die Sinnesorgane entstehen (z. B. Augenbläschen und Nasenplakode). Die ersten Schlundbögen sind erkennbar. Der mittlere Abschnitt der sogenannten Gonadenleiste entwickelt sich zur Gonadenanlage. Der Embryo ist ca. 2,5 bis 7 mm lang und hat einen charakteristischen Schwanz, der sich in der sechsten bis achten Woche wieder zurückbildet. (Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin 2022f)

Carnegie 15 bis 17: Während der sechsten Woche tritt eine kleine Schleife des Darms in den extraembryonalen Raum/den proximalen Abschnitt der Nabelschnur, da die Abdominalhöhle noch zu klein ist, um ihn ganz aufzunehmen. Dies ist vorübergehend physiologisch (cave: Ompahlozele). Die Differenzierung der Arme und Beine setzt sich rasch fort: Ellenbogen, Handplatte und Fingerstrahlen sind erkennbar. Die Verknorpelung der zukünftigen Knochen beginnt. (Moore et al. 2013)

Carnegie 18 bis 23: Der Kopf des Embryos rundet sich ab, richtet sich auf und erhält immer mehr menschliches Aussehen. Er ist über den Hals mit dem Rumpf verbunden und misst die Hälfte der gesamten Embryolänge. Das Gesicht ist gut entwickelt: Lippen und Nase sind erkennbar. Augen und Ohren haben sich fast bis zu ihrer definitiven Form entwickelt. Die äußeren Geschlechtsorgane sind noch nicht so differenziert, als dass das Geschlecht bestimmt werden könnte. Die Schwanzknospe hat sich inzwischen fast vollständig zurückgebildet. Ein Teil des Darms befindet sich weiterhin im proximalen Abschnitt der Nabelschnur. (Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin 2022g, 2022h)

Fetalperiode:

9. bis 12. Woche: Die Scheitel-Steiß-Länge beträgt zu Beginn der neunten Woche 3 mm. Das Längenwachstum des Körpers beschleunigt sich. Der Kopf ist zum Ende der zwölften Woche allerdings noch unproportional groß. Die Augenlider sind miteinander verklebt (sogenannte Lidnaht). Im Skelett (v. a. im Schädel und in den Röhrenknochen) entstehen primäre Ossifikationszentren. Am Ende der elften Woche liegt der Darm wieder vollständig in der Abdominalhöhle. Die Urinbildung beginnt und Urin wird in die Amnionflüssigkeit abgegeben. Der Fetus beginnt, Amnionflüssigkeit zu schlucken. Über die Plazentaschranke werden fetale Abfallprodukte in den maternalen Kreislauf abgegeben. Die endgültige Ausprägung der fetalen Genitalien erfolgt frühestens in der zwölften Woche. (Moore et al. 2013)

13. bis 16. Woche: Die Bewegungen von Armen und Beinen erfolgen in der 14. Woche koordiniert, wenngleich sie noch zu schwach sind, als dass sie von der Mutter wahrgenommen werden. Eine rege Verknöcherung des Skeletts vollzieht sich: Die Knochen sind in der 16. Woche sonographisch deutlich zu erkennen. Langsame Augenbewegungen treten auf und die Anordnung der Haare auf der Kopfhaut wird festgelegt. Das Geschlecht der äußeren Genitalien kann erkannt werden. (Moore et al. 2013)

17. bis 20. Woche: Die Extremitäten erhalten ihre endgültigen Proportionen. Die fetale Haut wird von der fettigen Vernix caseosa überzogen und schützt sie vor Abschürfungen und Austrocknung. Die Lanugo-Behaarung, die die Vernix caseosa auf der Haut hält, überdeckt den Fetus vollständig. Augenbrauen und Kopfhaut sind deutlich zu erkennen. Uterus und Vagina bilden sich. Die Ovarien enthalten zahlreiche Primordialfollikel mit Oogonien (Ureizellen). Der Deszensus der Hoden beginnt. Die fetale Scheitel-Steiß-Länge nimmt auf ca. 50 mm zu. (Moore et al. 2013)

21. bis 25. Woche: Der Fetus nimmt beachtlich an Gewicht zu. Die Haut erscheint noch faltig und rot. Die Fingernägel werden ausgebildet. Die ersten schnellen Augenbewegungen treten auf. In den sekretorischen Epithelzellen beginnt in der 24. Woche in den Alveolarsepten die Surfactant-Sekretion, um die sich entwickelnden Lungenalveolen offen zu halten. (Moore et al. 2013)

26. bis 29. Woche: Die Augenlider öffnen sich. Lanugo- und Kopfbehaarung sind deutlich ausgeprägt. Durch den Aufbau von reichlich Unterhautfettgewebe verschwindet ein großer Teil der Hautfalten. In der 28. Woche endet die Blutbildung in der Milz und findet ab dann vor allem im Knochenmark statt. (Moore et al. 2013)

30. Woche bis Geburtstermin: Die Haut erscheint rosig und glatt; die Extremitäten sind mollig. In der 35. Woche können Feten fest zugreifen und sich spontan zum Licht orientieren. In Hinsicht auf den baldigen Geburtstermin ist das Nervensystem reif genug, um einige wichtige integrative Funktionen zu übernehmen. In der 36. Woche sind Kopf- und Bauchumfang annähernd gleich. Mit der nahenden Geburt verlangsamt sich das Wachstum. (Moore et al. 2013)

Beratung: Epidemiologische, tierexperimentelle und klinische Befunde verweisen darauf, dass Einflüsse während der Embryonal- und Fetalentwicklung im Sinne einer perinatalen Programmierung den gesundheitlichen Entwicklungsverlauf im späteren Leben prägen können (Schleußner 2019). Zum Schutz des Embryos/Fetus sollten Schwangere, vor allem in den vulnerablen Phasen, daher schädigende Einflüsse vermeiden. Als schädigend gelten neben Noxen und Gesellschaftsdrogen (z. B. Nikotin und Alkohol) auch soziale und psychische Belastungen (z. B. Partnerschaftskonflikte). (Goerke 2020a; Felitti et al. 1998)

Auch die Väter/Partner/-innen sollten zur bestmöglichen Unterstützung der Schwangeren sowie zur Prävention und Intervention eines schädigenden väterlichen/partnerschaftlichen Einflusses (z. B. Alkoholabusus) teilweise mit in die Beratungen einbezogen werden.

Maßnahmen und Anleitung:

•  Über die embryonalen/fetalen Entwicklungsstufen sowie Embryo-/Fetopathien informieren (z. B. unter Verwendung von Bildmaterial/Apps)

•  empathisches, nicht abwertendes Erfragen schädigender Einflüsse (z. B. mit Hilfe von speziellen Erfassungsbögen, z. B. zum Alkoholkonsum)

•  gemeinsam Möglichkeiten entwickeln, schädigende Einflüsse bewusst zu reduzieren oder zu vermeiden (z. B. Rauch-, Ernährungsprotokolle führen)

•  Ressourcen der Schwangeren/des Paares erfragen und nutzen (z. B. einen regelmäßigen Paar-Abend zur Partnerschaftspflege und Stressvermeidung gestalten)

•  Aushändigung von Kontaktadressen/(Notfall-)Telefonnummern zu Informationsportalen (z. B. https://www.embryotox.de der Charité-Universitätsmedizin zu Berlin, Frauenhäusern) sowie zu regionalen Unterstützungsangeboten (z. B. Suchtberatung, Paarberatung, Elterntrainings)

Beginn und Dauer: In Hebammensprechstunde und Kursen, bei Fragen während der gesamten Schwangerenbegleitung

Gute Erfahrung mit: Bereits bei bestehendem Kinderwunsch bzw. Absetzen der hormonellen Kontrazeptiva schützt eine Abstinenz von Alkohol, Nikotin und teratogenen Medikamenten eine eintretende Schwangerschaft. Die Verwendung von Modellen, Bildtafeln, Apps oder Kalendern veranschaulicht die embryonalen und fetalen Entwicklungsschritte und ermöglicht das Herstellen eines individuellen Bezugs zur eigenen Schwangerschaft. Entspannungsübungen (z. B. progressive Muskelrelaxation) und das Anleiten zum Ertasten der kindlichen Lage im zweiten Trimenon fördern die persönliche elterliche Beziehung zum Ungeborenen.

Kooperierende: Gynäkolog/-in/Ultraschalldiagnostiker/-in, Familienhebamme, Sozialarbeiter/-in.

3        Schwangerenvorsorge

Eine Schwangerenvorsorge – ob durch Hebamme oder Gynäkolog/-in – dient der Senkung der peripartalen und perinatalen Mortalität!

Definitionen:

Morbidität: Die Häufigkeit einer Erkrankung innerhalb einer Bezugsgruppe oder Population, die in Größen wie Inzidenz (Auftreten), Prävalenz (Vorherrschen) o. a. ausgedrückt wird (Müller 2017).

Mortalität: Auch Sterberate. Die Anzahl der Todesfälle in einem Beobachtungszeitraum. Die spezifische Mortalität gibt die Anzahl der Todesfälle durch eine bestimmte Erkrankung im Verlauf eines Beobachtungszeitraums an. (Pschyrembel 2015)

Perinatale Mortalität: Alle Totgeburten ab der 22. Schwangerschaftswoche im Sinne des Beginns der Überlebensfähigkeit und neonatale Todesfälle bis zum 28. Lebenstag des Kindes (Pschyrembel 2015).

Ziel: Senkung der mütterlichen und kindlichen Morbidität und Mortalität durch die Schwangerenvorsorge

Inhalt:

 

Der mütterliche Organismus erfährt unter der Einwirkung der Schwangerschaftshormone hCG, Progesteron, Östrogene sowie Relaxin u. a. eine Veränderung seines Stoffwechsels. ß-hCG wird bereits wenige Tage nach der Befruchtung von den Synzytiotrophoblasten gebildet. Nach einem Konzentrationsanstieg bis zur zehnten Schwangerschaftswoche fällt seine Serumkonzentration rasch ab. Es stimuliert in der Frühphase der Schwangerschaft das Corpus luteum zur Bildung von Progesteron vor Syntheseübernahme durch die Plazenta. Es unterstützt maßgeblich die Implantation bei der Angiogenese und wirkt protektiv wehenhemmend. Durch seine frühe Anwesenheit in einer Schwangerschaft dient es als Schwangerschaftsnachweis. (Kohlhepp et al. 2018)

Progesteron ist mit seiner Eigenschaft als Steroidhormon maßgeblich für den Erhalt der Schwangerschaft verantwortlich. Seine Konzentration im Serum steigt knapp bis zum Ende der Schwangerschaft an. Es stimuliert das Wachstum von Brustdrüsengewebe, unterbindet vorzeitige Uteruskontraktionen und verursacht höchstwahrscheinlich die ausgesprochene Vasodilatation des mütterlichen Organismus. Vier verschiedene Steroidhormone der Östrogene (Estron, Estradiol, Estriol und Estetrol) entfalten ihre Wirkung auf den mütterlichen Organismus. Ihre Konzentrationen steigen bis zum Ende der Schwangerschaft an. Sie fördern u. a. die Angiogenese, insbesondere des uteroplazentaren Blutflusses, bereiten den Uterus auf Kontraktionsarbeit vor und steigern den katabolen Stoffwechsel. (Kohlhepp et al. 2018)

Relaxin ist ein Peptidhormon, welches anfänglich im Corpus luteum, später in der Plazenta und Dezidua gebildet wird, mit einem Maximum im I. Trimenon. Es wirkt vasodilatativ und steigert wahrscheinlich die Nierenfunktion. (Kohlhepp et al. 2018)

Die Veränderungen charakterisieren eine optimale Anpassung des mütterlichen Organismus an die Erfordernisse der Schwangerschaft, einschließlich der des Embryos und Fetus. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge werden u. a. signifikante Parameter auf die erfolgreiche Umstellung des mütterlichen Organismus hin untersucht.

Eine gesunde, schwangere Frau kann zwischen einer Hebammen- oder gynäkologisch geleiteten Vorsorge wählen. Die Schwangerenvorsorge umfasst Elemente der Lebensstiländerung (Rauchentwöhnung, Bewegungsförderung u. a.), diagnostische (z. B. Blutdruck, Urin), präventive (Substitution von Mikronährstoffen u. a.) und therapeutische (z. B. Eisen-Substitution) Maßnahmen sowie eine individualisierte Risikoadaption bei beispielsweise Mehrlingsschwangerschaften (Goeckenjahn et al. 2021).

Ein Vorgehen entlang der Untersuchungen der Mutterschutzrichtlinien ermöglicht das Erkennen und den Ausschluss behandlungsrelevanter Risiken. Prophylaktisch geeignete Maßnahmen können früh empfohlen und eingeleitet werden. Risikoschwangerschaften und Risiken für die bevorstehende Geburt können früh identifiziert werden. Die Empfehlung bezüglich geeignetem Geburtsmodus und Geburtsort kann dem Risikostatus der schwangeren Frau angepasst werden.

In einer gesunden Schwangerschaft sollten die Vorsorgeuntersuchungen im vierwöchentlichen Abstand bis zur 32. SSW erfolgen, darüber hinaus im zweiwöchentlichen Abstand. Bei Risikoschwangerschaften nach Katalog B der Mutterschutzrichtlinien wird der Abstand der Untersuchungen ärztlicherseits engmaschiger festgelegt und durchgeführt. Die Informationen sollten verständlich, transparent und sachlich gegeben werden. In Anlehnung an das angloamerikanische Vorgehen kann die Schwangerenvorsorge auch in der Gruppe – gekoppelt z. B. an eine Geburtsvorbereitung – durchgeführt werden. Frauen könnten in diesem Sinne Teile der Messungen übernehmen und so mehr Selbstverständnis für ihren Körper entwickeln. (Schwarz 2018)

Die initiale Beratung der schwangeren Frau umfasst Themen wie HIV-Test, Influenza-Impfung, Mundgesundheit, Ernährung, Sport und Reisen, Diabetes-Screening u. a. Die Themen sollten zu Beginn der Schwangerschaft angesprochen werden. In SSW 41+0 soll die schwangere Frau über die Möglichkeit der Geburtseinleitung informiert werden. Ab SSW 41+3 soll ihr dazu geraten werden. Die Beratung sollte bedarfs- und bedürfnisorientiert durchgeführt werden. Die Akzeptanz der individuellen Lebenssituation und des eigenen Handlungsspielraums ist zu berücksichtigen. Der schwangeren Frau ist im Falle des Bedarfs Unterstützung im Sinne einer interdisziplinären, medizinischen und sozialen Versorgung auch zur Vermeidung eines Schwangerschaftskonfliktes anzubieten.

Neben den wiederkehrenden Untersuchungen entlang der Parameter des Gravidogramms erfolgen zu festgelegten Zeiten die Kontrolle von Immunschutz gegenüber Röteln, der Nachweis bzw. Ausschluss einer Chlamydien-, Lues-, Hepatitis-B- und ggf. HIV-Infektion u. a., des Rhesus-Faktors sowie des indirekten Antiglobulin-Tests gegen zwei Test-Blutmuster mit den Antigenen D, C, c, E, e, Kell, Fy und S. Ärztlicherseits begleitet die Schwangerschaft das Angebot von drei Ultraschall-Untersuchungen (1. Screening: SSW 8+0 bis 11+6, 2. Screening: SSW 18+0 bis 21+6, 3. Screening: SSW 28+0 bis 31+6) (G-BA 2019). Die einzelnen Untersuchungsmerkmale des 3. Kapitels der Schwangerenvorsorge reihen sich entlang der Nennung im Mutterpass auf. Nach Merkmalen der Biographie der Schwangeren (Alter, Gravidität etc.) schließen sich Terminbestimmung und serologische Untersuchungen an. Es folgen die Untersuchungsaspekte der Schwangerenvorsorge nach dem Gravidogramm (Schwangerschaftsdauer, Fundusstand etc.). In jedem Unterkapitel schließt sich die Pathologie der Physiologie an. Die aktuellen pflegerischen Empfehlungen schließen das Thema ab.

3.1       Alter

Kirstin Büthe

Gehobenes Alter ist ein wesentlicher Risikofaktor für einen physiologischen Schwangerschaftsverlauf!

Definitionen:

Kalendarisches Alter: Auch chronologisches Alter. Bereits 1991 unterschied Rüberg das kalendarische Alter vom biologischen Alter. Das kalendarische Alter gibt demnach eine bestimmbare Größe an, die sich aus dem Geburtszeitpunkt und dem aktuellen Datum ergibt. Es ermöglicht die Zuordnung eines Menschen in eine Lebensphase. Das kalendarische Alter entspricht nicht unbedingt dem biologischen Alter (Simm 2015).

Biologisches Alter: Beschreibt den biologisch-physiologischen Entwicklungszustand des Individuums (Simm 2015). Das biologische Alter misst den Gesundheits- und Alterszustand eines Menschen im Vergleich zu einem Normalkollektiv (Simm 2015). Zur Bestimmung des biologischen Alters werden meist Vitalkapazität, das nach maximaler Einatmung ausgeatmete Luftvolumen, die Hörgenauigkeit sowie verschiedenen Hormone herangezogen (Wolf et al. 2007).

Reproduktive Phase (Geschlechtsreife): Die geschlechtsreife Phase der Frau schließt sich an die Pubertät an und endet mit dem Klimakterium (Skibbe & Löseke 2013). Sie wird von Peptid- und Steroidhormonen gesteuert. Zu den Peptidhormonen gehören das im Hypothalamus gebildete Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) sowie das in der Hypophyse synthetisierte follikelstimulierende Hormon (FSH) und das luteinisierende Hormon (LH). Die Steroidhormone (Progesteron, Androgene und Östrogene) werden vorrangig vom Ovar gebildet. (Dudenhausen & Schneider 1994)

Ziel: Das biologische Alter positiv durch einen protektiven Lebensstil beeinflussen!

Inhalt:

Der Alterungsprozess eines Menschen verläuft individuell. Seine Organe altern unterschiedlich – beeinflusst von seinem Lebensstil, geistiger, körperlicher und persönlicher Beanspruchung (Wolf et al. 2007). Nach ansteigender Körper- und Organfunktion bis zu einem Alter von 18–25 Jahren folgt ein Zeitraum von fünf bis zehn Jahren der maximalen Körperfunktion. Ein linearer Abfall während des Erwachsenenalters schließt sich an. (Hofecker et al. 1980)

Das biologische Alter wird durch den Fitness- und Gesundheitszustand im Vergleich zum Normalkollektiv bestimmt (Simm 2015). Es kann erheblich schneller voranschreiten als das kalendarische Altern. Mit zunehmendem Alter können das biologische und kalendarische Alter divergieren (Simm 2015). Belsky et al. (2015) ermittelten bei ausgeprägtem Stress und nachteiligem Lebensstil für ein Alter von 38 Lebensjahren eine biologische Alterung um drei Jahre in einem Kalenderjahr.

Die Akkumulation von »Advanced glycation products« (AGEs) im menschlichen Organismus ist ein zentraler Aspekt des Alterungsprozesses. Die Anhäufung von AGE führt zu einem Funktionsverlust und bewirkt eine Gewebeversteifung der Quervernetzung von Proteinen. (Simm 2015) Dieser über einen Hautscan messbare Stoff sinkt nachweislich nach einer dreimonatigen Phase von Kraft- und Ausdauersport. Ein Benefit körperlicher Betätigung für das biologische Alter ist signifikant. (Navarrete Santos et al. 2011)

Das durchschnittliche Alter einer Frau bei der Geburt ihres Kindes steigt seit den 1970er Jahren (20–24 Jahre) allmählich an. Bereits 2006 lag das Vergleichsalter bei 30 bis 34 Jahren. (Franz & Husslein 2010).

Das geburtshilfliche Risiko einer schwangeren Frau ist im Teenageralter erhöht, sinkt im jungen Erwachsenenleben und steigt mit ihrem Alter wieder an. Die psychische Gesundheit von Teenagermüttern ist vor Eintritt der Schwangerschaft häufiger instabil. Eine geringere Anzahl von Bildungsjahren führt in der Familiengründungsphase zu ökonomischen Problemen und triggert psychische Probleme. Die Mutter-Kind-Beziehung wird dadurch nachteilig beeinflusst. (Dahmen et al. 2019) Teenagerschwangerschaften korrelieren dezent mit vorangegangener Kindesmisshandlung und Missbrauchserfahrungen sowie mit alternativer sexueller Orientierung zu Heterosexualität. (Charlton et al. 2018). Junge Frauen (16–24 Jahre), insbesondere wenn sie alleinstehend sind, haben im Rahmen einer Schwangerschaft eine höhere Prävalenz von Depressionen, Angst-, Regulations- und Posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Sicherstellung eines sozialen Netzwerks sowie ggf. Maßnahmen zur Suchtprävention sind angezeigt. (Lockwood et al. 2019) Auch Teenagerschwangerschaften enden gehäuft in einem Abort (Sedgh et al. 2015).

Mit einem Alter der Schwangeren von über 40 Jahren steigt das Risiko für Frühgeburtlichkeit, Gestationsdiabetes, fetale Lageanomalien sowie periventrikuläre Leukomalazie. Sowohl die über 40-Jährigen als auch die unter 17-Jährigen sind häufiger davon betroffen, Kinder mit schweren intraventrikulären Blutungen zu bekommen. (Londero et al. 2019)

Kofaktoren der Risiken sind höhere Parität oder niedriger sozioökonomischer Status (Lindquist et al. 2014). In der Schwangerschaft treten Fehlgeburt, spontane vorzeitige Wehentätigkeit, Frühgeburt, Gestationsdiabetes oder Präeeklampsien häufiger auf, je älter die Frau ist (Khalil et al. 2013; Chan & Lao 2008). Unter der Geburt sind vaginal-operative Entbindung, (Not-)Sectio, Placenta accreta, Hysterektomie oder Fruchtwasserembolie häufiger auftretende Ereignisse (Schimmel et al. 2015; Lindquist et al. 2014; Wang et al. 2011). Das Kind ist mit höherer Wahrscheinlichkeit ein SGA-Kind und bei einem mütterlichen Alter von über 45 Jahren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von perinatalem Tod betroffen (Schimmel et al. 2015; Carolan 2013). Frauen mit einem höheren Alter profitieren von einem guten gesundheitlichen Zustand vor Eintritt einer Schwangerschaft sowie einer geburtshilflichen Versorgung auf Level-1-Niveau (Carolan 2013). Ein höheres biologisches Alter hingegen ist ein unabhängiger Risikofaktor für eine verkürzte Dauer der Schwangerschaft und ein niedrigeres Geburtsgewicht des Kindes (Ross et al. 2020). In Deutschland besteht für ältere Frauen ein höheres Risiko bezüglich chromosomal bedingter (Franz 2013; Franz & Husslein 2010) und nicht chromosomaler Fehlbildungen (Loane et al. 2009) beim Kind gegenüber jüngeren Müttern ( Tab. 3.1).

Tab. 3.1:  Geburtshilfliche Risiken nach Alter der Frau

AlterRisiko allgemeinRisiko für NulliparaRisiko für Mehrgebärende

Beratung:

•  Teenagerschwangerschaften korrelieren mit mütterlichen psychiatrischen Erkrankungen (Dahmen et al. 2019).

•  Ab 35 Jahren steigt das Risiko für Erkrankungen der Schwangerschaft (Khalil et al. 2013), dies in höherem Maße für Erstgebärende (Schimmel et al. 2015).

•  Ein protektiver Lebensstil verlangsamt das biologische Altern ( Kap. 5.1).

Maßnahmen und Anleitung:

•  Bewegungsförderung ( Kap. 5.4) und Gewichtskontrolle ( Kap. 3.12.3)

•  Aufmerksamkeit bezüglich früher Merkmale von hypertensiver Erkrankung ( Kap. 3.13)

•  Rauchentwöhnung ( Kap. 5.5.3)

•  Kontrolle des Fundusstandes ( Kap. 3.7.1)

•  Kick-Chart zur Kontrolle der kindlichen Vitalität ab der 28. SSW ( Kap. 3.13.2)

•  Bei Teenagerschwangeren eine Anbindung in ein soziales Netz sicherstellen

Beginn und Dauer: Mit Übernahme der Betreuung.

Gute Erfahrung mit: Hochwertige Ernährung im Sinne hochwertiger Eiweiße, komplexer Kohlenhydrate, omega-3-fettsäurenreicher Öle und vitamin- sowie antioxidantienreicher Nahrungsmittel.

Vorgehen bei Regelwidrigkeiten: Hinzuziehung des Gynäkologen/der Gynäkologin bei frühsten Hinweisen auf Regelwidrigkeiten (Blutungen, Umkehr des zirkadianen Rhythmus, nachlassende Kindsbewegungen).

Kooperierende: Gynäkolog/-in, geburtshilfliche Einrichtung, Perinatalzentrum

3.2       Gravidität und Parität

Kirstin Büthe

Normalgewichtige, nichtrauchende Zweitgebärende im mittleren Alter haben das geringste geburtshilfliche Risiko!

Definitionen:

Gravida: Anzahl der vorangegangenen Schwangerschaften zuzüglich der Bestehenden. Dazu zählen Aborte, Abruptiones, Extrauteringraviditäten sowie erfolgreich ausgetragene Schwangerschaften.

Parität: Es zählen Lebend- und Todgeburten dazu.

Lebendgeburt: Geburt eines Kindes mit einem Lebenszeichen unabhängig von seinem Gewicht und Dauer des Lebens. Als Lebenszeichen gelten Herzschlag, Pulsieren der Nabelschnur, Atmung und willkürliche Muskelbewegung (Kluge 2005).

Totgeburt: Geburt eines Kindes mit einem Geburtsgewicht ab 500 g und keinem Lebenszeichen (Schmidt-Matthiesen & Wallwiener 2005).

Abort: Auch Fehlgeburt. Geburt eines toten Fetus mit einem Geburtsgewicht unter 500 g und keinem Lebenszeichen. Aborte werden unterschieden nach Gestationsalter, Ursache (Spontanabort oder artifizieller Abort) oder Begleitsymptom Fieber (febriler oder afebriler Abort) u. a. (Schmidt-Matthiesen & Wallwiener 2005)

Frühabort: Der Verlust des Fetus bis zur 12. bis 14. SSW (Marzusch & Pildner von Steinburg 2006) bzw. bis zur 16. SSW (Schmidt-Matthiesen & Wallwiener 2005).

Spätabort: Abort ab der 14. SSW (Marzusch & Pildner von Steinburg 2006) bzw. ab der 16. SSW (Schmidt-Matthiesen & Wallwiener 2005).

Nullipara(e): Eine nullipare Frau ist zum ersten Mal schwanger und steht noch vor der Entbindung (Pschyrembel & Dudenhausen 1994).

Primipara(e): Auch Erstgebärende (Martius & Heidenreich 1999). Im engeren Sinne eine Schwangere vor oder kurz nach ihrer ersten Geburt.

Pluripara: Auch Mehrgebärende. Die Zahl der vorangegangenen Schwangerschaften beträgt zwei bis fünf (Martius & Heidenreich 1999).

Multipara: Auch Vielgebärende. Die Zahl der vorangegangenen Geburten beträgt (fünf) sechs und mehr (Martius & Heidenreich 1999).

Vaginal birth after cesareansection(VBAC): Vaginale Geburt nach Sectio caesarea.

Ziel: Risikoadaptierte Wahl des Geburtsortes

Inhalt:

Gravidität:

Ein Risiko ausgehend von der Gravidität entfaltet sich erst mit steigendem Alter der Frau. Primigravide Frauen sind zunehmend betroffen von hypertensiven Erkrankungen, Diabetes mellitus, Frühgeburt sowie Fehlbildungen, Wachstumsretardierung des Fetus und IUFD (Ferreira et a. 2016; Naqvi & Naseem 2004). Bastani et al. (2008) postuliert eine Wahrscheinlichkeit für eine Präeklampsie bei höherer Anzahl der Schwangerschaften und gleichzeitig höherem BMI. Multigravidität ist ein Risikofaktor für eine Anämie (Ramesh et al. 2017).

Schwangerschaftsabstand:

Mit einem kurzen Schwangerschaftsabstand steigt das Risiko von Frühgeburtlichkeit auch unter Berücksichtigung von weiteren Risikofaktoren. Frauen nach vorzeitiger Entbindung profitieren von einem Abstand von zwölf Monaten bis zur nächsten Schwangerschaft bezüglich einer längeren Schwangerschaftsdauer der folgenden Gravidität. (DeFranco et al. 2007)

Ein Abstand von sechs Monaten zwischen einer Geburt und dem Eintreten einer neuen Schwangerschaft führt bei einem Alter von über 34 Lebensjahren zu steigender mütterlicher Mortalität und Morbidität. Eine steigende fetale Gefährdung ist hingegen bei vergleichbarem Schwangerschaftsabstand bei jüngeren Frauen im Alter zwischen 20 bis 34 Jahren zu beobachten. (Schlummers et al. 2018)

Parität:

Frauen mit bis zu drei vorangegangenen Geburten haben das niedrigste Risiko für geburtshilfliche Komplikationen sowie perinatale und neonatale Mortalität. Höhergradig paride (vier oder mehr Geburten) sowie nulliparide Frauen bergen ein höheres Risiko für geburtshilfliche Komplikationen sowie perinatale und neotalale Morbidität. (Bai et al. 2002)

Das geringste Risiko für geburtshilfliche Komplikationen vaginal-operativer Entbindung oder Sectio, Sphincer-Verletzungen, postpartale Hämorrhagien sowie für einen fetalen 5-Minuten-Apgar unter sieben haben multipare Frauen ohne eine Sectio in ihrer geburtshilflichen Biographie mit knapp 1/10 der Geburten. Bestehen spezifische Risikofaktoren, steigt die Wahrscheinlichkeit auf ca. 1/5 der Geburten. Besonders eine oder mehrere Sectios in der Anamnese führt zu einem Anstieg auf 42–66 % der Geburten. Nullipare Frauen haben ein Risiko von ca. 43–64 % für die o. e. Komplikationen. (Jardine et al. 2020) Frauen nach fünf oder mehr Entbindungen haben häufiger eine Entbindung per Sectio, ein makrosomes Kind, einen Diabetes mellitus oder einen schwangerschaftsinduzierten Hypertonus (Alsammani & Ahmed 2015).

Beratung:

•  Gewichtskontrolle ( Kap. 3.12.3)

•  Ernährungsberatung ( Kap. 5.2)

•  Eine Sectio in der geburtshilflichen Biographie steigert das folgende geburtshilfliche Risiko (Jardine et al. 2020).

Maßnahmen und Anleitung:

•  Aufmerksamkeit bezüglich früher Merkmale von hypertensiver Erkrankung ( Kap. 3.13)

•  Kick-Chart ab der 28. SSW ( Kap. 3.9)

Beginn und Dauer: Mit Beginn der Betreuung

Gute Erfahrung mit: Bei subjektiver Unsicherheit bezüglich der Intaktheit der Schwangerschaft, (Unterbauch-)Schmerzen und Unwohlsein umgehend eine geburtshilfliche Einrichtung aufsuchen.

Vorgehen bei Regelwidrigkeiten: Hinzuziehung des/der Gynäkolog/-in bei Umkehr des zirkadianen Rhythmus ( Kap. 6.3), Unwohlsein und Schmerzen, vorzeitigen Wehen, bei Blutungen mit Rettungsdienst in eine geburtshilfliche Einrichtung fahren.

Kooperierende: Gynäkolog/-in, geburtshilfliche Einrichtung, Perinatalzentrum

3.3       Schwangerschaftsnachweis und Terminbestimmung

Kirstin Büthe

Eine exakte Terminbestimmung ist ein Schutz vor fraglicher Übertragung und Einleitung.

Definitionen:

Konzeption: Auch Befruchtung. Die Vereinigung von Oozyte und Spermium. Ein in Teilschritten verlaufender Prozess, der mit der Penetration der Zona pellucida, der Imprägnation der Eizellmembran durch das Spermium sowie dem Polyspermieblock beginnt. Die Meiose der Eizelle hält an und die Dekondensation des Zellkerns aus dem Spermiumkopf beginnt. Es schließt sich die Replikation von maternalem und paternalem Genom und Vereinigung beider Vorkerne an. (Moore & Persauld 2007)

Embryo: Der sich im Zeitraum von 56 Tagen p. c. der Embryonalperiode entwickelnde Mensch. Zum Abschluss sind alle wesentlichen Strukturen und Organe angelegt. (Moore & Persauld 2007)

Fetus: Die Bezeichnung für den menschlichen Keim nach der Embryonalperiode (nach abgeschlossener ca. achter Woche p. c.) bis zu seiner Geburt. Während der Fetalperiode wachsen und differenzieren sich fetales Gewebe und Organe. (Moore & Persauld 2007)

Schwangerschaftsdauer: Auch »echte Schwangerschaftsdauer«. Die Dauer der Schwangerschaft beträgt 267 Tage p. c. (Lange 2010).

Naegele-Regel: Der errechnete Entbindungstermin ergibt sich aus der folgenden Berechnung: 1. Tag der letzten Regel + 7 Tage – 3 Monate + 1 Jahr. Die Berechnung des Entbindungstermins nach der Neagele-Regel setzt einen regelmäßigen, 28-tägigen Zyklus voraus. (Lange 2010)

Erweiterte Naegele-Regel: Die Anwendung zur Berechnung des Entbindungstermins bei einem von 28 Tagen abweichenden Zyklus. Die positive oder negative Abweichung in Tagen wird von einem 28-tägigen Zyklus entsprechend addiert oder subtrahiert. Der errechnete Termin lässt sich über die folgende Formel ermitteln: 1. Tag der letzten Regel + 7 Tage – 3 Monate ± X Tage + 1 Jahr. (Lange 2010)

Terminbestimmung p. c.: Der Konzeptionstermin wird dem Ovulationstermin gleichgesetzt und in die Naegele-Regel eingeflochten. Der errechnete Geburtstermin ist der Konzeptionstermin −7 Tage −3 Monate + 1 Jahr. (Lange 2010)

Inhalt:

Eine exakte Bestimmung des Geburtstermins ermöglicht die Beurteilung der zeitgerechten Entwicklung des Kindes und Berechnung der Schutzfristen. Eine Aussage über den tatsächlichen Zeitpunkt der Entbindung kann daraus nicht abgeleitet zu werden. (Lange 2010)

Die durchschnittliche Dauer einer Schwangerschaft beträgt 280 bis 282 Tage bzw. 40 vollendete Wochen post menstruationem. Reifgeborene Kinder kommen mit einer zeitlichen Abweichung von ± 10,8 bis 12,7 Tagen auf die Welt. Typische Gründe für eine Termindiskrepanz sind ungenaue Kenntnis oder Angaben zum Zyklus, eine Fehlinterpretation der Nidationsblutung oder ein Ausbleiben der Menstruationsblutung gefolgt von dem Eintritt einer Schwangerschaft (Surbek 2011).

Nachweis einer Schwangerschaft:

Die Diagnose der Schwangerschaft erfolgt idealerweise in dem Monat nach Ausbleiben der Menstruationsblutung, spätestens im zweiten Monat danach. Ein Anstieg der Körperbasaltemperatur nach dem 16. Tag des Zyklus deutet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine eingetretene Schwangerschaft hin. (Hutzler et al. 2000)

Die Messung von ß-HCG ergibt bereits acht bis zehn Tage p. c. im Blut (Vetter & Goeckenjan 2006) oder im Urin einen immunologischen Nachweis einer Schwangerschaft ohne Hinweise auf intrauterinen Sitz und Intaktheit (Hutzler et al. 2000). HCG wird in die blutgefüllten Lakunen des Synzytiotrophoblasten abgegeben (Moore & Persaud 2007). Eine analytische Differenzierung in α- und ß-hCG ist möglich (Marzusch & Pildner von Steinburg 2006).

ß-hCG stabilisiert das Corpus Luteum in dessen Sekretion des schwangerschaftsprotektiven Hormons Progesteron (Moore & Persaud 2007). hCG übernimmt dabei die Aufgabe des luteinisierenden Hormons (LH). Es fördert die Hyperplasie der myometrialen Zellen, dämpft die Erregbarkeit des Myometriums und fördert die Vaskularisierung der uterinen Gefäße. (Griesinger & Grisinger 2015)

Das Hormon hCG ist bereits sieben Tage nach Konzeption (Thomas 2015) bzw. acht Tage nach der Ovulation (Marzusch & Pildner von Steinburg 2006) im maternalen Serum nachweisbar. Im maternalen Urin erreicht die hCG-Konzentration bis zur achten Entwicklungswoche bzw. 10. SSW ihren Höhepunkt und fällt danach ab (Moore & Persaud 2007; Marzusch & Pildner von Steinburg 2006).

In den ersten zehn bis zwölf Tagen verdoppelt sich die Konzentration von hCG bei einer intakten Schwangerschaft im mütterlichen Serum alle 1,3 Tage (Marzusch & Pildner von Steinburg 2006). Auch hier schließt sich an einen exponentiellen Anstieg ein Abfall an (Griesinger & Grisinger 2015).

Abweichungen in der Steigerungsrate erlauben keine konkreten Rückschlüsse auf die Intaktheit der Schwangerschaft oder deren intrauterine Lage. Ein rasanter Anstieg ist ein Hinweis auf eine Mehrlingsgravidität (Thomas 2015), ein mangelhafter Anstieg hingegen korreliert mit einer gestörten Frühschwangerschaft (Griesinger & Grisinger 2015). Ein auf einem geringen Niveau beginnender, flacher Anstieg ist charakteristisch für eine Extrauteringravidität. Eine hohe Biotin-Einnahme über 5 mg/Tag beeinflusst das hCG-Messergebnis (Thomas 2015).

Terminbestimmung:

Eine geeignete Errechnung des Geburtstermins mittels Formeln nach Naegele erfolgt unter Einbeziehung von Menstruations-, Ovulations- bzw. Konzeptionstermin (Hutzler et al. 2000). Bei Abweichungen des sonographisch bestimmten Termins von mehr als fünf Tagen gegenüber dem errechneten Termin ist der sonographische Wert aussagekräftiger.

Der Einsatz von Gravidarum oder eGravidarum erleichtert die Berechnung (Bollmann et al. 2019). Bei assistierter Reproduktion ermöglicht der Zeitpunkt der Insemination oder des Embryonentransfers eine Berechnung des Entbindungstermins (Vetter & Goeckenjan 2006).

Die mütterliche Angabe von Kindsbewegungen dient der Bestärkung der Schwangeren (Lange 2010). Mittels vaginaler Ultraschallmessung kann bereits in der 5. SSW p. m. die Fruchtanlage identifiziert werden. In der 6. SSW kann sowohl die SSL als auch der embryonale Lebendnachweis durch Herzaktion nachgewiesen werden. Die Genauigkeit beträgt ± 3 Tage bis ± 6 Tage. (Hutzler et al. 2000)

Eine präzise Bestimmung des voraussichtlichen Tags der Entbindung durch Ultraschallmessung setzt die Untersuchung bis zur 12. SSW voraus. Danach kann aufgrund des unterschiedlichen Wachstumspotentials des Fetus keine Terminkorrektur ohne Verlust von Terminsicherheit durchgeführt werden. (Vetter & Goeckenjan 2006)

Beratung:

•  Eine exakte Feststellung des Entbindungstermins unter Verwendung von Sonographie sowie eine Korrektur des Entbindungstermins stellt nur im ersten Trimenon und nur bei Diskrepanz von mehr als fünf Tagen zwischen errechnetem Termin und sonographisch ermitteltem einen Schutz vor nicht echter Terminüberschreitung dar (AWMF 2014a).

•  Eine exakte Terminbestimmung gewährleistet eine frühe Ultraschallmessung (Lange 2010) in Kombination mit einer Berechnung des Entbindungstermins (Hutzler et al. 2000).

•  Wegen der hohen Schwankungsbreite des Beginns von spürbaren Bewegungen sind diese Angaben zur Konkretisierung des Gestationsalters nicht geeignet (Lange 2010).

3.4       Schwangerschaftsdauer

Kirstin Büthe

Definitionen:

Gestationsalter: Schwangerschaftsdauer bis zum Geburtstermin (Goerke 2020f).

Am Termin geboren: Schwangerschaftsalter von 37+0 bis 42+0 SSW. Die durchschnittliche Dauer einer Schwangerschaft hängt von der Zahl der Feten ab. (Norwitz & Snegovskikh 2007)

Biophysikalisches Profil: Das biophysikalische Profil wird aus Ergebnissen von Sonographie (Fruchtwassermenge, fetale Bewegungsaktivität und Atemexkursion) und CTG erstellt (Schneider et al. 2006).

Ziel: Entbindung einer Einlingsschwangerschaft zwischen 37+0 bis 41+0 bzw. 41+3 SSW

Inhalt:

Der zeitgerechte Beginn von Wehen und Geburt ist eine wesentliche Voraussetzung für ein gutes perinatales Outcome. (Norwitz & Snegovskikh 2007) Die ultraschallbasierte Messung der SSL im ersten Trimenon ermöglicht eine sehr genaue Festlegung des Gestationsalters. Sie schützt vor Terminunsicherheit. (Schneider et al. 2006)

Eine niedrige perinatale Mortalität setzt eine korrekte Bestimmung des errechneten Termins voraus und korreliert mit einer Entbindung in einem bestimmten Gestationsalter: Der empfohlene Zeitraum liegt bei 37+0 bis 41+0 bzw. 41+3 SSW. Je höhergradiger Zwillingsschwangerschaften sind, umso früher liegt der Zeitpunkt im Bereich der Frühgeburtlichkeit ( Kasten 3.1). (Norwitz & Snegovskikh 2007)

Eine erhöhte Feinstaubbelastung von > 15 μg/m3 lungengängigem Feinstaub korreliert mit der Zunahme von Frühgeburtlichkeit. Am deutlichsten fiel dieser Effekt bei einer entsprechenden Exposition im dritten Trimenon aus. (Bublak 2016)

Kasten 3.1:   Durchschnittliche Schwangerschaftsdauer bei Einling und Mehrlingen (Dudenhausen & Maier 2013)

•  Einling: 39 SSW

•  Zwillinge: 36 SSW

•  Drillinge: 32 SSW

•  Vierlinge: 30 SSW

Beratung:

•  termingerechte Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen

•  protektiver Lebensstil ( Kap. 5.1)

•  Gewichtskontrolle bei Einlingsschwangerschaft ( Kap. 3.12.1)

•  Vorbereitung zur Geburt ( Kap. 5.11)

Maßnahmen und Anleitung:

•  pH-Wert-Kontrolle des Scheidensekretes mittels Testhandschuh zur Früherkennung einer wehenfördernden Vaginose ( Kap. 3.15.2)

•  Tokographie bei fraglichen Frühgeburtsbestrebungen und Kineto-CTG am Termin

Beginn und Dauer: Mit Übernahme der Betreuung

Gute Erfahrung mit: Terminbestimmung durch frühe ärztliche, biometrische Ultraschallmessung

Vorgehen bei Regelwidrigkeiten: Frühgeburtsbestrebungen und Frühgeburtlichkeit ( Kap. 3.15.2), bei nachlassenden Kindsbewegungen ab SSW 28 oder weniger als zehn fetalen Tritten in zwei Stunden ab SSW 28 umgehend eine geburtshilfliche Einrichtung aufsuchen (Unterscheider et al. 2009) ( Kap. 3.9).

Kooperierende: Gynäkolog/-in, Perinatalzentrum oder geburtshilfliche Einrichtung

3.5       Einling und Mehrlinge

Kirstin Büthe

Definitionen:

Hellin-Regel: Eine 1895 von dem Mediziner Dionys Hellin entwickelte Regel für die Häufigkeit von spontan gezeugten Mehrlingen im Vergleich zu Einlingen in Höhe von 1:85 (Dudenhausen & Maier 2010).

Superfecundatio: Die Befruchtung einer zweiten Eizelle im gleichen Menstruationszyklus durch erneuten Koitus. Eine Superfecundatio führt zu zweieiigen Zwillingen. Es besteht die Möglichkeit von zwei genetisch unterschiedlichen Vätern. (Goerke 2020g)

Feto-Fetales-Transfusionssyndrom(FFTS): Eine Blutumverteilung zugunsten eines Fetus durch interfetale Gefäßverbindungen auf plazentarer Ebene. Arterio-arterielle und venovenöse Anastomosen auf der Chorionplatte sowie auch arterio-arterielle Verbindungen in den Kotyledonen führen zu einem ungleichen Blutdruck und einer ungleichen Blutversorgung der Kinder. Der begünstigte Fetus (Akzeptor) entwickelt eine Polyglobulie und ggf. Hypervolämie. Der Geber (Donator) wird anämisch und hypovolämisch. Eine ausgeprägte Gewichts- und Fruchtwasserdifferenz kann sich entwickeln. (Dudenhausen & Maier 2013)

Ziel: Entbindungszeitraum von 37+0 bis 41+0 bzw. 41+3 SSW anstreben

Inhalt:

Einlingsschwangerschaft:

Frauen im Alter von 24 bis 39 Lebensjahren haben die höchste Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines Einlings am Termin. Gemessen an den geburtshilflichen Risiken haben nichtrauchende Zweitgebärende, deren Anzahl der Graviditäten mit denen ihrer Paritäten übereinstimmt, die eine mittlere Körpergröße und einen normalen BMI aufweisen, die höchste Wahrscheinlichkeit für eine unkomplizierte Geburt am Termin. (Pietzner 2011)

Mehrlingsschwangerschaft:

2016 lag der Anteil der Geminigeburten bei 1,8 % und der von Trigeminigeburten bei 0,033 %. Eine präzise Datierung der Schwangerschaft mit Anzahl der Feten – ab der 7. SSW einschließlich der Chorionizität mittels eines Ultraschalls darstellbar – ist Basis einer sorgfältigen Betreuung. Die Amniozität ist ab der 8–10. SSW darstellbar. (Ochsenbein-Köble 2019)

Je nach Zeitpunkt der Blastozystenteilung entstehen dichoriale diamniale Gemini (Teilung im Morulastadium) ca. bis zum dritten Tag nach Befruchtung (30 %), monochoriale diamniale Gemini (Teilung im Blastozystenstadium) bei Teilung bis ca. zum siebten Tag (65 %), monochoriale monamniale Gemini bei Teilung am ca. dreizehnten Tag nach Befruchtung (5 %) sowie keine oder unvollständige Teilung der Eizelle (bis zum ca. dreizehnten Tag nach Befruchtung) (siamesische Zwillinge) (Dudenhausen & Maier 2013; Ochsenbein-Löbele & Krähenmann 2006). Die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer ist bei Mehrlingen gegenüber der von Einlingen verkürzt (Dudenhausen & Maier 2013).

MonozygoteGemini oder auch eineiige Zwillinge kommen weltweit in einer Häufigkeit von 4 auf 1.000 Schwangerschaften vor und stellen knapp ein Drittel aller Gemini. Sie entstehen durch die Befruchtung einer Eizelle mit einem Spermium und der initialen Bildung einer Blastozyste, die sich innerhalb der ca. ersten 13 Tage nach wenigen Tagen spontan in zwei Anlagen teilt. Monozygote Zwillinge sind grundsätzlich geschlechtlich und genetisch gleich. Verbunden mit dieser Zwillingsform ist eine höhere Rate an Abort, Frühgeburtlichkeit, Wachstumsretardierung sowie plazentaren Gefäßverbindungen mit Blutaustausch (FFTS). (Dudenhausen & Maier 2013; Ochsenbein-Löbele & Krähenmann 2006)

DizygoteGemini oder auch zweieiige Zwillinge stellen gut zwei Drittel aller Gemini. Sie treten gehäuft mit höherem mütterlichem Alter bis 39 Lebensjahre, bei genetischer Disposition, bei höherer Parität oder groß gewachsener Körperstatur der Mutter auf. Sie entstehen durch die Befruchtung von zwei Eizellen mit verschiedenen Spermien. Die Feten können gleich- oder verschiedengeschlechtlich sein. Sie sind grundsätzlich dichorial und diamnial. Höhergradige Mehrlinge können aus der Teilung einer oder mehrerer befruchteter Eizellen entstehen. (Dudenhausen & Maier 2013; Ochsenbein-Löbele & Krähenmann 2006)

Die durch Ultraschall festzustellende Monooder Dizygotie der Mehrlingsschwangerschaft beeinflusst das Risiko der Mehrlingsschwangerschaft unterschiedlich. (Dudenhausen & Maier 2013) In Kasten 3.2 wird die optimale Schwangerschaftsdauer in Hinblick auf die niedrigste Mortalität dargestellt:

Kasten 3.2:   Optimale Schwangerschaftsdauer in Hinblick auf die niedrigste Mortalität (Lee et al. 2016; Committee on Practice Bulletin et al. 2016; Dudenhausen & Maier 2013; Norvitz & Snegovkikh 2007)

•  Einling: 40 SSW

•  Monoamniote Gemini: 32–34 SSW

•  Monochoriale Zwillinge: 36–37 SSW

•  Dichoriale Zwillinge: 37–38 SSW

•  Drillinge: 32 SSW

•  Vierlinge: 30 SSW

Je höhergradiger die Mehrlingsschwangerschaft, umso früher manifestiert sich eine Erkrankung und umso schwerwiegender ist der Verlauf (Lee et al. 2007).

Frauen mit Mehrlingsschwangerschaften, insbesondere mit höhergradigen Mehrlingen, sind häufiger von stationärem Aufenthalt, vorzeitiger Wehentätigkeit, Bluthochdruckerkrankungen, vorzeitiger Lösung der Plazenta sowie operativem Geburtsmodus betroffen. In der Schwangerschaft leiden die Frauen häufiger an Anämie, Harnwegsinfekten, Gestationsdiabetes sowie an vorzeitigem Blasensprung. Mütterliche Lungenembolien treten fünfmal häufiger auf als bei Einlingsschwangerschaften. Postpartale Hämorrhagie und Präeklampsie sind ebenso wie das HELLP-Syndrom in Mehrlingsschwangerschaften häufiger. (Lee et al. 2007)

Hypertensive Erkrankungen der Mutter profitieren von der niedrigdosierten ASS-Einnahme ab der 12. SSW zur Senkung insbesondere des Präeklampsierisikos (Ochsenbein-Köbele 2019). Für die Entwicklung eines Hämatokrits über 30 % und eine Thrombozytenzahl über 100.000 Mikrogramm/dl zur postpartalen Atonieprophylaxe bei einer zwillingsgraviden Entbindung kann auf eine angemessene Ernährung und ggf. Eisensubstitution in der Schwangerschaft hingewiesen werden (Blitz et al. 2019).

Die Morbidität und Mortalität von Mehrlingsschwangerschaften korreliert mit Anzahl der Feten sowie Chorionizität und Amniozität (Ochsenbein-Köbele 2019). Monochoriotische Zwillingsschwangerschaften verlaufen komplikationsreicher als dichoriotische. Ein FFTS ist dabei eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation. (Dudenhausen & Maier 2013; Lee et al. 2007)

Ein vorzeitiger Verlust, Frühgeburt der Kinder sowie eine Zerebralparese ist ein Risiko von Mehrlingsgeburten (Ochsenbein-Köbele 2019). Auch IUFT, niedriges Geburtsgewicht und nachteiliger neurologischer Status begleiten Mehrlinge häufiger (Dudenhausen & Maier 2013; Lee et al. 2007).

Die fetale Gewichtszunahme bei Zwillingsschwangerschaften korreliert mit der mütterlichen Gewichtszunahme und ihrem prägravitären BMI. So haben unter- und normalgewichtige Frauen bei einer Gewichtszunahme unter 15 kg bis zur 37. SSW ein Risiko für ein SGA-Kind. Gehen Sie bereits mit Übergewicht oder Adipositas in die Schwangerschaft, entwickelt sich dieses Risiko bei einer Gewichtszunahme unter 11 kg bzw. unter 6,4 kg. Ein LGA-Kind entwickelt sich hochwahrscheinlich bei unter- und normalgewichtigen Frauen bei einer gravitären Zunahme von über 27 kg. Eine Gewichtszunahme von über 28 kg bzw. 26 kg korreliert mit LGA-Kindern bei Frauen mit Übergewicht bzw. Adipositas. (Bodnar et al. 2019)

Geminischwangerschaften > 32 SSW und > 1.500 g mit einer cephalen Präsentation des ersten Geminus haben durch eine vaginale Geburt keinen Nachteil (Ochsenbein-Köbele 2019). Eine primäre Sectio wird bei Drillingen und höhergradigen Zwillingen, bei vorangehendem Geminus in Beckenend- oder Querlage, bei einer Gewichtsdifferenz von mehr als 500 g zu Ungunsten des vorangehenden Fetus, bei Gemini unter einem Schätzgewicht von 1.800 g sowie bei monoamniotischen Gemini als der zu empfehlende Geburtsmodus betrachtet (Dudenhausen & Maier 2013).

Beratung:

•  Der Mutterschutz bietet nach Mehrlingsgeburten längere Schutzfristen.

•  Ernährungsberatung ( Kap. 5.2)

•  protektiver Lebensstil ( Kap. 5.1)

•  Kick-Chart hat bei Mehrlingen keine Aussagekraft.

•  Anträge auf Elterngeld, Kindergeld, Sonderzahlungen, Anerkennung der Vaterschaft etc. frühzeitig vorbereiten

Maßnahmen und Anleitung:

•  Aufmerksamkeit bezüglich früher Symptome von hypertensiver Erkrankung ( Kap. 3.12.2)

•  Beckenbodentraining ( Kap. 6.5.1 Descensus genitale)

•  bei geplanten Frühgeburten die Entleerung der Brust von Hand zur Kolostrumgewinnung und den Umgang mit einer Milchpumpe veranschaulichen ( Kap. 5.12.2)

•  Handling von Neugeborenen früh zeigen

•  bei Anschaffungen die Praktikabilität und die Notwendigkeit in Hinblick auf einen Haushalt mit Mehrlingen prüfen

•  soziale Unterstützung für die erste Zeit mit Kindern annehmen oder erbeten

Beginn und Dauer: Mit Übernahme der Betreuung

Gute Erfahrung mit:

•  regelmäßige Pausen einplanen, sowohl im Alltag als auch bei der Arbeit

•  berufliche Aufgaben möglichst früh mit Kolleginnen teilen oder an diese abgeben

•  den Umfang der späteren Berufstätigkeit sowie das Aufgabenprofil bereits früh in der Schwangerschaft besprechen und schriftlich mit dem Arbeitgeber fixieren

•  das Nichterreichen des eigentlichen Mutterschutzzeitpunktes einplanen

Vorgehen bei Regelwidrigkeiten:

•  bei Frühgeburtsbestrebungen Behandlung in einem Perinatalzentrum ( Kap. 3.15.2)

•  bei Übertragung in geburtshilflicher Einrichtung oder Perinatalzentrum ( Kap. 5.11.5)

Kooperierende: Gynäkolog/-in, Perinatalzentrum

3.6       Serologische Untersuchungen

Kirstin Büthe

3.6.1    Blutgruppe und Rhesusfaktor

Definitionen:

Agglutinine: IgM-Antikörper des AB0-Systems, die bei Aufeinandertreffen mit Blut einer nicht entsprechenden Blutgruppe zum Verklumpen von Blut führen (Menche 2020).

Blutgruppenunverträglichkeit: Bei einer Blutgruppenunverträglichkeit zwischen der schwangeren Frau und dem Fetus kann die Mutter Antikörper gegen die kindlichen Erythrozyten entwickeln. Diese können einen Morbus haemolyticus fetalis sowie eine Anämie des Neugeborenen verursachen. Auch bei Bluttransfusion und Transplantation muss das AB0-System berücksichtigt werden, da eine Antigen-Antikörper-Reaktion zu lebensbedrohlichen Transfusionszwischenfällen oder einer Transplantatabstoßung führen kann. (Fetscher 2017)

AB0-Inkompatibilität: Unverträglichkeit verschiedener Blutgruppen des AB0-Blutgruppensystems, die zu medizinischen Komplikationen bei der Transfusion von Blutprodukten und in der Schwangerschaft führen kann (Meyer & Pruß 2020).

Rhesusinkompatibilität: Blutgruppenserologische Unverträglichkeit im Rhesus-Blutgruppensystem mit geburtshilflicher Bedeutung bei Rh-negativer Kindsmutter und Rh-positivem Kindsvater. Es besteht die Gefahr der Rhesus-Faktor-bedingten Vervielfältigung der Erythrozyten (Rhesus-Erythroblastose) durch maternale Antikörper beim Rh-positiven Fetus in Verbindung mit vorausgegangener Sensibilisierung der Rh-negativen Mutter. (Pschyrembel 2020b)

Morbus haemolyticus fetalis: