Facetten der Schuld - Andreas Sperling-Pieler - E-Book

Facetten der Schuld E-Book

Andreas Sperling-Pieler

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Beschreibung

"Facetten der Schuld" aus der Reihe "Mit Bibel überLeben" thematisiert in 14 Geschichten die unterschiedlichsten Dimensionen der Schuld. Die Texte erzählen von gewöhnlichen Menschen in einer gewöhnlichen Kleinstadt - und sie erzählen von Schuld: Schuld und Unrecht sind selten eindeutig - sie haben Feinheiten und Zwischentöne, die oft verwirrend sein können; sie können objektiv gegeben sein oder subjektiv empfunden werden; sie können sich hinter Bürokratie und Organisation verstecken oder im Alltag verbergen. Auch der Tod Jesu lag in der Verantwortung anderer: der damaligen Justiz, den Machtverhältnissen, einer Verschwörung oder einem Verrat und ebenso im Schweigen und Nichthandeln. Er hat die Schuld auf sich genommen. Hat das auch mit unserem täglichen Handeln zu tun? Ist es überhaupt möglich als Teil einer Gemeinschaft schuldlos zu sein? Was macht die Schuld mit dem Menschen und was bleibt von ihr? Das Buch (mit Stichwortverzeichnis) wendet sich an alle Menschen, aber insbesondere an Multiplikatoren wie Lehrer, Pfarrer oder Referenten in der Erwachsenenbildung. Die Texte sind an die 14 Stationen des Kreuzwegs angelehnt (mit entsprechenden Bildern nur im E-Book) und so bietet sich die Verwendung von Auszügen auch in der Karwoche an.

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Facetten der Schuld

Zum BuchMit Bibel überLeben1. Jesus wird zum Tode verurteilt2. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern3. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz4. Jesus begegnet seiner Mutter5. Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen6. Veronika reicht Jesus das Schweißtuch7. Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz8. Jesus begegnet den weinenden Frauen9. Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz10. Jesus wird seiner Kleider beraubt11. Jesus wird an das Kreuz genagelt12. Jesus stirbt am Kreuz13. Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt14. Der Heilige Leichnam Jesu wird in das Grab gelegtUnd jetzt?Dank und methodische AnmerkungenStichwortverzeichnisZur Reihe "Mit Bibel überLeben"Zum AutorImpressum

Zum Buch

Menschen bekennen ihre Unschuld, sie weisen jede Verantwortung von sich und geben sich alle Mühe ihre weiße Weste zu präsentieren. Aber ist das wirklich so mit

unserer Unschuld und wo werden wir schuldig, auch ohne, dass wir es spüren oder uns jemand dafür verurteilt - und wo sind wir es nicht?

„Facetten der Schuld“ aus der Reihe „Mit Bibel überLeben“  thematisiert in 14 Geschichten die unterschiedlichsten Dimensionen der Schuld.

Die Texte erzählen von gewöhnlichen Menschen in einer gewöhnlichen Kleinstadt – und sie erzählen von Schuld: Schuld und Unrecht sind selten eindeutig - sie haben Feinheiten und Zwischentöne, die oft verwirrend sein können; sie können objektiv gegeben sein oder subjektiv empfunden werden; sie können sich hinter Bürokratie und Organisation  verstecken oder im Alltag verbergen.

Auch der Tod Jesu lag in der Verantwortung anderer: der damaligen Justiz, den Machtverhältnissen, einer Verschwörung oder einem Verrat und ebenso im Schweigen und Nichthandeln. Er hat die Schuld auf sich genommen. Hat das auch mit unserem täglichen Handeln zu tun? Ist es überhaupt möglich als Teil einer Gemeinschaft schuldlos zu sein? Was macht die Schuld mit dem Menschen und was bleibt von ihr?

Das Buch (mit Stichwortverzeichnis) wendet sich an alle Menschen, aber insbesondere an Multiplikatoren wie Lehrer, Pfarrer oder Referenten in der Erwachsenenbildung. Die Texte sind an die 14 Stationen des Kreuzwegs angelehnt (mit entsprechenden Bildern nur im E-Book) und so bietet sich die Verwendung von Auszügen auch in der Karwoche an. 

Mit Bibel überLeben

Facetten der Schuld  -  Ein Kreuzweg

Andreas Sperling-Pieler

Noch einmal diese Augen auf uns,

voll Blut und Tränen,

ein letztes Mal.

Länger kann man ihn nicht behalten,

in Gottesnamen, es bleibt keine Wahl.

Man sieht die Menge brüllen,

und der Richter wäscht sich rein.

Paul Claudel, Der Kreuzweg

Vorbemerkung 

Die 14 Geschichten spielen in einer ganz normale Kleinstadt - mit Gymnasium, Handwerkern und etwas Industrie, mit Frauen, Männern und Kinder. Die Menschen gehen ihrer Arbeit nach, in die Schule oder genießen ihr Leben (oder auch nicht). Sie könnte überall liegen und wir alle kennen sie - irgendwie.

Aber wie immer gibt es im täglichen Miteinander auch Schmerz und Leid. So manches davon bleibt im Verborgenen oder versteckt hinter Strukturen und Bürokratie. Dann ist die Frage nach der Verantwortlichkeit und der Schuld zuweilen sehr schwer.

Und genau darum geht es hier: um die Verantwortung, um Schuld in den unterschiedlichsten Formen und um die vielleicht wichtigste Frage: Was hat das mit mir zu tun?

1. Jesus wird zum Tode verurteilt

Täuschungsversuch

„Noch fünf Minuten, macht Schluss, jetzt kommt doch nur noch Mist“ Grinsend geht Schöttler ein letztes Mal durch die Bankreihen. Eigentlich weiß er, dass es nervös macht – aber er will nach so vielen Jahren auf seine Gewohnheiten nicht verzichten.

Als er nach seinem letzten Rundgang wieder am Pult sitzt, besieht er sich das Zettelchen genauer, das er gerade zwischen Chiara und Mike aufgehoben hat. Er meint, Chiaras Handschrift zu erkennen – nein – eigentlich ist er sich sicher.

Sorgfältig legt er das Papierstückchen mit der Formel und dem grobskizzierten Rechenweg auf die Seite – nicht ohne eine gewisse Befriedigung über seinen Erfolg.

Inzwischen hat es geläutet. „Macht fertig, ich will einsammeln!“ Er nimmt die Klassenarbeiten von den Tischen, während die Schüler ihre Taschen packen und nach und nach das Zimmer verlassen.

„Chiara, kommst du noch kurz zu mir?“

Sie hat ein ganz gutes Gefühl bei der Arbeit – eigentlich wie immer; Mathe ist ihr Ding und die letzte Arbeit vor dem Zeugnis ist für sie eigentlich nur eine Formsache; es geht darum, ob sie die „Eins“ im Zeugnis bekommt.

Schöttler legt das Papierstückchen vor sie hin: „Ich dachte eigentlich, dass du das nicht nötig hast …“

Chiara sagt nichts. Ja, es stammt tatsächlich von ihr. Sie hat die Lösung einer Aufgabe kurz notiert und ihrem Banknachbarn Mike rüber geschoben, in der Hoffnung, dass er so eine weitere „Sechs“ vermeiden kann.

Seit Monaten paukt sie mit Mike; mit ihr zusammen kann er die Aufgaben auch. Sobald er aber im Klassenzimmer ist, geht überhaupt nichts mehr. Besonders schlimm ist es, wenn Schöttler ihn an die Tafel holt und dort genüsslich verhungern lässt. Es ist ein Scheißspiel: Erst wird Mike vorgeführt, dann sie: „Na, kann unsere Rechenprinzessin vielleicht helfen?“

„Hast du das geschrieben? Es lag bei deinem Platz auf dem Boden!“ Schöttler wird ungeduldig.

„Ja.“ Sie sagt nichts weiter; was soll sie auch sagen?

Der Lehrer schaut sie an. Er ist ratlos: Die Aufgaben hätte sie auch ohne jede Hilfe problemlos bewältigt, da ist er sicher. Trotzdem: Sie wurde mit einem Spicker erwischt und die Kameraden warten nun darauf, dass sie stolpert. Denn sie hat nicht nur Freunde in der Klasse.

Im Grunde hat er keine Wahl: Sie wurde erwischt und die Klasse will Blut sehen; sie warten darauf, dass sie fällt. Und wenn er nichts macht, dann ist er es, der in der Luft zerrissen wird.

„Das bedeutet, dass deine Arbeit mit ungenügend bewertet wird. Damit hat sich die Eins wohl erledigt; es tut mir leid.“

Eigentlich tut es ihm nicht leid; es ist ihm egal und er will einfach keine Schwierigkeiten.

Im Gang wird Chiara mit hämischem Grinsen von der Klasse erwartet.

Die meisten halten sie für arrogant: die einen, weil sie bei ihr nicht landen konnten (tatsächlich hat sie jeden abblitzen lassen), andere können nicht verschmerzen, dass ein Mädchen in Mathe besser ist als sie, und die Mädels fürchten die Konkurrenz im Kampf vor dem Spiegel.

Wortlos lässt sie die anderen stehen. Sie muss mit Mike reden; sie will wissen, was passiert ist. Aber offensichtlich hat er ein schlechtes Gewissen, denn er ist nirgends zu finden.

Zu Hause in dem kleinen Zimmer, das sie sich mit ihrer Schwester teilt, findet sie die Unterlagen für das Stipendium. Sie nimmt sie und legt sie auf den Stapel mit Altpapier. Die 6 von heute mit der 1 und der 1,5 aus dem ersten Halbjahr ergeben eine 3; für die Begabtenförderung hätte sie mindestens eine 2 gebraucht, und den Eltern reicht das Geld jetzt schon nicht.

Als sie Mike am nächsten Tag anspricht, zuckt der nur mit den Schultern. „Muss mir wohl runtergefallen sein, irgendwann war er verschwunden, aber Danke“, er grinst, „ich denke, für eine 4 wird’s bei mir reichen.“

„Mike …“ Sie schaut ihn an, traurig und auch wütend. „Dafür ist meine Note versaut - und meine Pläne ...“

„Egal, dann machst du halt was anderes und mit deiner Hilfe ich mein Abi.“

2. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

Palastrevolution

Die fünf Auszubildenden ahnen bereits, dass heute etwas passiert. Heute Morgen wurden sie durch die Hausmitteilung angewiesen, sich in der Lehrwerkstatt einzufinden. Sie würden über Weiteres benachrichtigt, so hieß es. Durch die Buschtrommel wissen sie, dass Obstbauer ins Büro beordert wurde.

Eigentlich ist keiner von ihnen mit der Ausbildung so recht zufrieden, aber als Obstbauer sie für sein „Ehrenamt“ als Messner zum Teil samstags ins Gemeindehaus einbestellte (er nannte das dann „Sonderunterricht“), war das Maß voll: Statt Ausbildung oder wenigstens Berichtsheft schreiben, waren Putzen und Kleinreparaturen im Gemeindehaus und der Kirche angesagt. Der Ausbilder glänzte vor Abwesenheit und – wie üblich am Nachmittag – seine Nase vom Alkohol.

Unterstützung fanden sie keine. „Lest den Lehrvertrag genauer! Punkt 7: Nachhilfe und Sonderunterricht“, war die ganze Antwort des Betriebsrates

Vor vier Wochen hatten sie sich dann bei Jochen im Keller getroffen; gemeinsam schrieben sie einen Brief an den Chef. Jochen hat ihn dann getippt und für sie alle unterschrieben.

Jetzt sitzen sie also an ihren Werkbänken und warten.

„Vielleicht bekommt Obstbauer einen auf den Deckel“, meint einer. „Oder er wird freigestellt“, vermutet ein anderer. „Das macht dann für uns auch keinen Unterschied – denn Ausbildung gab es bisher nicht“, setzt ein Dritter nach. „Oder es gibt eine Abmahnung.“, „Ja, aber bitte für Obstbauer!“, „Träum weiter, der wird doch gedeckt …“, „Der Samstag wird vielleicht als Überstunden vergütet!?“, „Wir bekommen einen anderen Ausbilder und Obstbauer fliegt!“. Die Spekulationen gehen wild durcheinander.

Gegen zehn Uhr geht endlich die Türe auf und der Betriebsrat kommt rein. Von ihm erhoffen sie sich jetzt Klarheit, aber der Kollege zeigt nur auf Jochen: „Du bist in 20 Minuten mitsamt deinem Werkzeug im Büro!“ Grinsend schaut er die anderen an. „Möchte ihn vielleicht jemand begleiten?“

Unter den erstarrten Blicken der kleinen Gruppe verschwindet Jochen in der Umkleide, murmelt etwas von „anderes Hemd anziehen“.

„Willst wohl noch Eindruck schinden“, aber das hört Jochen schon nicht mehr.

Jochen weiß genau, warum man ihn herausgefischt hat – oder glaubt es zu wissen: Er ist der Einzige, der noch in der Probezeit ist und er hat den Brief unterschrieben. Damals im Keller sahen sie da kein Problem, denn er unterschrieb ja ausdrücklich für alle. Allerdings war ihm eigentlich klar, dass er im Zweifelfall alleine dastehen würde.

„Natürlich haben sie Schiss“, denkt er sich, „die meisten haben die Lehrstelle doch nur über Beziehungen gekriegt.“

Auf seinem Weg sieht er die Augen an den Fenstern und meint fast das Tuscheln zu hören; der Betrieb ist klein und eine Palastrevolte spricht sich überall schnell herum. Die meisten wissen, dass Obstbauer säuft und dass seine größte Stärke hier im Betrieb sein Bierkonsum ist. Fachlich war er mal gut, aber das ist Jahrzehnte her und seitdem sind alle Neuerungen und Entwicklungen an ihm vorbei gegangen.

Jochen hat sich im Vorfeld bei seinem Vater und vor allem bei der Gewerkschaft Rat geholt. Obstbauer sei kein Unbekannter, sie kennen die Klagen, aber „uns sind die Hände gebunden; formal ist alles korrekt und der Betrieb ist einer der wenigen, die noch ausschließlich hier in der Region produzieren. Denk auch mal an die Arbeitsplätze!“ Die Hände wollte sich dort keiner schmutzig machen.

Inzwischen wird das Werkzeug schwer und Jochen schaut sich in der Produktionshalle nach einem Rollwagen um.

„Mensch, sei nicht dumm, mach die Augen zu, schluck den Staub und küss die Stiefel“, gibt ihm der Vorabeiter mit auf den Weg. „Ich weiß, wie’s bei Euch zugeht, aber lass mich raus; ich habe Frau und Kinder …“

„… und Schulden für den neuen Benz“, denkt Jochen resigniert.

„Ja, alle wissen wie’s mit dem Ausbilder bestellt ist – und machen die Augen zu.“ Der Personalchef, der mit seinem Vater befreundet ist, hat ihm einmal in einem „streng vertraulichen Vier-Augen-Gespräch“ gesagt, dass der Chef den Obstbauer nie fallen lassen würde; und das liegt nicht nur daran, dass sie seit der Kindheit befreundet sind, sondern vor allem an dessen kirchlichen Kontakten. Bei entsprechenden Ausschreibungen hat die kleine Firma regelmäßig die Nase vorn. „Dafür könnt Ihr ruhig auch mal am Samstag im Gemeindehaus Glühbirnen wechseln. Junge! Augen zu und durch! Und Du weißt ja, dem Chef ist die Kirche sehr wichtig.“ Dann fügte er noch hinzu „und wenn Ihr fertig seid, bekommt Ihr übertariflich bezahlt!“

Inzwischen hat Jochen den Verwaltungstrakt beinahe erreicht; aber beruhigt hat er sich noch nicht. „Alle decken den Obstbauer und machen sich im Grunde mitschuldig an dessen Sauferei; er bekommt die Sicherheit, obwohl er einen Entzug bräuchte!“ Jochen weiß, dass es niemandem hilft am Sonntag fromm die Hände zu falten, wenn das Notwendige nicht getan wird.

Wenn vom Büro die Rede ist, meint jeder zuerst einmal das Sekretariat vom Personalchef. „Du sollst zum Chef kommen“, sagt die Sekretärin, „zum Big Boss“, fügt sie etwas leiser hinzu. „Mensch du traust dich was; ich find gut, dass endlich mal jemand den Mund aufmacht … ich sag’s ja schon lange … aber ich bin ja nur eine kleine Sekretärin.“

Er klopft.

In dem geräumigen Zimmer sieht er neben dem Chef und Obstbauer auch den Betriebsrat und den Personalchef.

Der Chef legt ein Aktenbündel vor sich und bittet Jochen, doch näher zu treten. „Wir würden gerne Ihr Werkzeug kontrollieren.“