Hiobs Botschaft - Andreas Sperling-Pieler - E-Book

Hiobs Botschaft E-Book

Andreas Sperling-Pieler

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Beschreibung

Joop leidet an einer äußerst schweren und unheilbaren Schmerzerkrankung, die ihn letztlich in die völlige soziale Isolation treibt. Am Ende des Romans wird er zwar nicht von seiner Krankheit geheilt, findet aber den Weg in ein Leben - auch mit der Krankheit - zurück. Der Titel ist nicht zufällig gewählt. Die einzelnen Kapitel orientieren sich an Versen aus dem alttestamentlichen Buch. Hiobs Geschichte ist auch Joops Geschichte. Der Roman veranschaulicht die individuellen und sozialen Faktoren einer schweren Erkrankung. Letztlich wird Joop an den Rand des Erträglichen getrieben und erfährt - wie Hiob - seine Grenzen. Der Roman ist für alle geschrieben, insbesondere aber für Menschen die von einer chronischen Schmerzerkrankung betroffen sind. Dies gilt in besonderem Maße für Clusterkopfschmerzpatienten und ihre Angehörige, Arbeitskollegen und Freunde. Der ausführliche Anhang enthält Hinweise für einen möglichen Einsatz in der Bildungsarbeit. Außerdem sind Materialien und Hintergrundinformationen zum Clusterkopfschmerz beigefügt.

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Inhaltsverzeichnis

Im Lande Uz lebte ein Mann mit Namen Ijoop. Dieser Mann war untadelig und rechtschaffen; er fürchtete Gott und mied das Böse. Er besaß siebentausend Stück Kleinvieh, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder und fünfhundert Eselinnen, dazu zahlreiches Gesinde. An Ansehen übertraf dieser Mann alle Bewohner des Ostens. (1,1.3)

Zofar [ein Freund]: Wenn du selbst dein Herz in Ordnung bringst und deine Hände zu ihm ausbreitest - Heller als der Mittag erhebt sich dann dein Leben, die Dunkelheit wird wie der Morgen sein. Du fühlst dich sicher, weil [...] Hoffnung ist; du schaust dich um und kannst sicher schlafen. (11,13.17-18)

Wahrhaftig, ihr seid besondere Leute und mit euch stirbt die Weisheit aus. Ich habe auch Verstand wie ihr, ich falle nicht ab im Vergleich mit euch. Wer wüsste wohl dergleichen nicht? (12,2-3)

Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. (2,13)

Sieben Söhne und drei Töchter wurden ihm geboren. (1,2)

Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, mein Geist hat ihr Gift getrunken, Gottes Schrecken stellen sich gegen mich. (6,4)

Elifas [ein Freund]: Siehe, viele hast du unterwiesen und erschlaffte Hände stark gemacht. Dem Strauchelnden halfen deine Worte auf, wankenden Knien gabst du Halt. Nun kommt es über dich, da gibst du auf, nun fasst es dich an, da bist du verstört. (4,3-5)

Zofar [ein Freund]: Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben und soll der Maulheld recht behalten? Bringt dein Geschwätz Männer zum Schweigen, darfst du spotten, ohne dass einer dich beschämt? (11,2-3)

Des Nachts durchbohrt es mir die Knochen, mein nagender Schmerz kommt nicht zur Ruh. Mit Allgewalt packt er mich am Kleid, schnürt wie der Gürtel des Rocks mich ein. Er warf mich in den Lehm, sodass ich Staub und Asche gleiche. Ich schreie zu dir und du antwortest mir nicht; ich stehe da, doch du achtest nicht auf mich. Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich, mit deiner starken Hand befehdest du mich. (30,1721)

Jetzt aber hat er mich erschöpft. Den Kreis meiner Freunde hast du mir zerstört. Sie sperren ihr Maul gegen mich auf, schlagen voll Hohn mir auf die Wangen, scharen sich gegen mich zusammen. (16,7. 10)

Lege ich mich nieder, sage ich: Wann darf ich aufstehn? Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert. (7,4)

… dass du Schuld an mir suchst, nach meiner Sünde fahndest, obwohl du weißt, dass ich nicht schuldig bin und dass keiner retten kann aus deiner Hand (10,6-7)

So seid ihr jetzt ein Nein geworden: Ihr schaut das Entsetzliche und schaudert. Habe ich denn gesagt: Gebt mir etwas, von eurem Vermögen zahlt für mich (6,21-22)

Doch ich will zum Allmächtigen reden, mit Gott zu rechten ist mein Wunsch. Ihr aber seid nur Lügentüncher, untaugliche Ärzte allesamt. Dass ihr endlich schweigen wolltet; das würde Weisheit für euch sein. (13,3-5)

Durch seinen Hauch wird heiter der Himmel, seine Hand durchbohrt die flüchtige Schlange. Seht, das sind nur die Säume seines Waltens; wie ein Flüstern ist das Wort, das wir von ihm hören. Doch das Donnern seiner Macht, wer kann es begreifen? (26,13-14)

Sieht er denn meine Wege nicht, zählt er nicht alle meine Schritte? (31,4)

Seine Frau sagte zu ihm: Hältst du immer noch fest an deiner Frömmigkeit? Segne Gott und stirb! (2,9) Kein Spross, kein Stamm bleibt ihm in seinem Volk, am Ort seines Aufenthaltes keiner, der ihn überlebt. (18,11)

Zofar (ein Freund): Wenn du selbst dein Herz in Ordnung bringst und deine Hände zu ihm ausbreitest […] Dann wirst du auch das Ungemach vergessen, du denkst daran wie an Wasser, das vorüberfloss. Heller als der Mittag erhebt sich dann dein Leben, die Dunkelheit wird wie der Morgen sein. Du fühlst dich sicher, weil noch Hoffnung ist; du schaust dich um und kannst sicher schlafen. Du lagerst dich und niemand schreckt dich auf und viele mühen sich um deine Gunst. (11, 13. 16-19) .....

Seht! Schreie ich: Gewalt!, wird mir keine Antwort, rufe ich um Hilfe, gibt es kein Recht. Er brach mich ringsum nieder, ich muss dahin; er riss mein Hoffen aus wie einen Baum. Seinen Zorn ließ er gegen mich entbrennen, gleich seinen Gegnern gelte ich ihm. (19,7.10-11)

Warum schenkt er dem Elenden Licht und Leben denen, die verbittert sind? Sie warten auf den Tod, doch er kommt nicht, sie suchen ihn mehr als verborgene Schätze. Sie würden sich freuen und jubeln, sie würden frohlocken, fänden sie ein Grab. (3,20-22)

Schweigt vor mir, damit ich reden kann! Dann komme auf mich, was kommen mag. Meinen Leib nehme ich zwischen die Zähne, in meine Hand lege ich mein Leben. Dass ihr endlich schweigen wolltet; das würde Weisheit für euch sein. (13,13-15)

Denn nur wenige Jahre werden noch kommen, dann muss ich gehen den Weg ohne Wiederkehr. (16,22)

Ich sage zu Gott: [...]Hast du die Augen eines Sterblichen, siehst du, wie Menschen sehen? (10,2.4) Elifas [ein Freund, zu Hiob]: Bist du als erster Mensch geboren, kamst du zur Welt noch vor den Hügeln? (15,7)

Er spannt über dem Leeren den Norden, hängt die Erde auf am Nichts. (26,7)

Elihu (ein Außenstehender): Jedoch, es ist der Geist im Menschen, des Allmächtigen Hauch, der ihn verständig macht. Nicht viele sind weise noch Greise stets des Rechten kundig. (32,8-9)

Elifas [ein Freund]: Werde sein Freund und halte Frieden! Nur dadurch kommt das Gute dir zu. (22,21)

und [der Herr] sprach: Bis hierher darfst du und nicht weiter, hier muss sich legen deiner Wogen Stolz? (38,11)

Elihu (ein Außenstehender): Wenn dann ein Engel ihm zur Seite steht [...] und spricht: Erlös ihn, dass er nicht ins Grab hinabsteige, Lösegeld habe ich für ihn gefunden!, dann blüht sein Fleisch in Jugendfrische, zu den Tagen seiner Jugend kehrt er zurück. (33,23-25)

Hiob: Fürwahr, ich habe geredet, ohne zu verstehen, über Dinge, die [...] unbegreiflich sind. [42,3b] Da kamen zu ihm alle seine Brüder, alle seine Schwestern und alle seine früheren Bekannten und speisten mit ihm in seinem Haus. [42,11a]

Anhang

Zum Einsatz in der Bildungsarbeit

Inhalt in Kurzform

Personen mit den entsprechenden Eckdaten

Übersetzungen der englischen Texte

Anregungen und Entwürfe

Weitere Texte zum Einsatz im Unterricht

Zum Clusterkopfschmerz

Was ist Cluster

Diagnose

Medikamente

Clusterkopfschmerz und Alltag

Kopfschmerz und Schule

Bericht eines betroffenen Paares

Quellen und Information zu Cluster

Zum Buch

Joop leidet an einer äußerst schweren und unheilbaren Schmerzerkrankung, die ihn letztlich in die völlige soziale Isolation treibt. Am Ende des Romans wird er zwar nicht von seiner Krankheit geheilt, findet aber den Weg in ein Leben – auch mit der Krankheit – zurück.

Der Titel ist nicht zufällig gewählt. Die einzelnen Kapitel orientieren sich an Versen aus dem alttestamentlichen Buch. Hiobs Geschichte ist auch Joops Geschichte. Der Roman veranschaulicht die individuellen und sozialen Faktoren einer schweren Erkrankung. Letztlich wird Joop an den Rand des Erträglichen getrieben und erfährt – wie Hiob - seine Grenzen.

Der Roman ist für alle geschrieben, insbesondere aber für Menschen die von einer chronischen Schmerzerkrankung betroffen sind. Dies gilt in besonderem Maße für Clusterkopfschmerzpatienten und ihre Angehörige, Arbeitskollegen und Freunde.

Der ausführliche Anhang enthält Hinweise für einen möglichen Einsatz in der Bildungsarbeit. Außerdem sind Materialien und Hintergrundinformationen zum Clusterkopfschmerz beigefügt.

Zum Autor

Andreas Sperling-Pieler hat neben dem Studium der Religionspädagogik (FH 1982) Soziale Verhaltenswissenschaften, Politik- und Erziehungswissenschaft (B.A. 2005) studiert, sowie eine Ausbildung zum Meditationsleiter (1997) gemacht. Zwischen 2003 und 2010 beendete er zwei mehrjährige Weiterbildungen zu Beratung und Begleitung.

Er beleuchtet in der 11-bändigen Reihe „Mit Bibel überLeben“ verschiedene Dimensionen des Mensch-seins.

Für meine Frau, die Jahrzehnte mit mir mitgelitten hat.

1.Im Lande Uz lebte ein Mann mit Namen Ijoop. Dieser Mann war untadelig und rechtschaffen; er fürchtete Gott und mied das Böse. Er besaß siebentausend Stück Kleinvieh, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder und fünfhundert Eselinnen, dazu zahlreiches Gesinde. An Ansehen übertraf dieser Mann alle Bewohner des Ostens. (1,1.3)1

Joop de Jong steht vor der Klasse, die Stunde hat noch nicht begonnen, aber nach und nach füllen sich die Plätze. In seinen Wahlkurs „Hebräische Sprache und Kultur“ kommen verschiedene Schüler und Schülerinnen aus der gesamten Oberstufe.

„Ich lese Euch einen Text vor und Ihr versucht ihn einzuordnen! Wer ihn kennt, ist still!“

Joop weiß, welches Glück er hatte – mit seiner Fächerkombination (Altsprachen und Ethik) - eine Stelle zu bekommen. Dass sich ein Gymnasium in einer süddeutschen Kleinstadt mit Altsprachen profilieren will, ist nicht selbstverständlich.

Er mag die Menschen hier und seine Arbeit genauso wie die Schüler. Joop fühlt sich wohl, auch noch am Freitagmittag in der letzten Stunde.

„Okay – Fragen zum Text?“

Von allen Seiten stürmt es auf ihn ein. Er notiert Stichworte an der Tafel:

Göttersöhne

Gott und Satan – Geschäft?

Satan gemeinsam mit Göttersöhnen

Wette?

Alle sind gespannt auf das, was jetzt kommt. Es wird wild über die Herkunft des Textes spekuliert.

„Okay, wir stimmen ab! Wer ist für apokryph, wer für satanisch, wer für biblisch?“

Die satanische und die apokryphe Fraktion sind jeweils beinahe gleich stark.

„Nein, er ist aus der Bibel! Alle liegen falsch“, lacht Joop, „der Text ist nicht lang; ich schlage vor, wir lesen ihn nochmals!“

Die Arbeitsblätter werden ausgeteilt und die Schüler und Schülerinnen schauen noch immer etwas verwirrt auf die Zeilen.

Hiob 2 1 Nun geschah es eines Tages, da kamen die Gottessöhne, um vor den HERRN hinzutreten; unter ihnen kam auch der Satan, um vor den HERRN hinzutreten. 2 Da sprach der HERR zum Satan: Woher kommst du? Der Satan antwortete dem HERRN: Die Erde habe ich durchstreift, hin und her. 3 Der HERR sprach zum Satan: Hast du auf meinen Knecht IJoop geachtet? Seinesgleichen gibt es nicht auf der Erde: ein Mann untadelig und rechtschaffen; er fürchtet Gott und meidet das Böse. Noch immer hält er fest an seiner Frömmigkeit, obwohl du mich gegen ihn aufgereizt hast, ihn ohne Grund zu verderben. 4 Der Satan antwortete dem HERRN und sagte: Haut um Haut! Alles, was der Mensch besitzt, gibt er hin für sein Leben. 5 Doch streck deine Hand aus und rühr an sein Gebein und Fleisch; wahrhaftig, er wird dich ins Angesicht segnen2.

Nach und nach klärt er Fragen: Eventuell gehe der Text auf eine außerbiblische Vorlage zurück; Gottessöhne seien nicht als „Söhne Gottes“ zu verstehen, sondern eher mit einem orientalischen Hofstaat zu vergleichen - der Einfachheit halber könne man wohl auch Engel sagen; Satan lässt sich in diesem Fall am ehesten als „Staatsanwalt“ oder „Chefankläger“ vorstellen und somit ebenfalls als Teil eines orientalischen Hofstaates.

Die Fragen und Antworten gehen hin und her und als es läutet, ist die Diskussion noch lange nicht zu Ende.

Auf den Heimweg wartet Jonas auf dem Schulhof.

„Darf ich ein Stück mit Ihnen gehen?“

Joop nickt. Der Schüler und sein Interesse für religiöse Themen ist ihm schon lange aufgefallen; obendrein wohnen sie nicht weit auseinander.

„Du kanntest Hiob nicht?“

Sie setzen sich auf eine Parkbank unter einer mächtigen Kastanie und sprechen über den Text und vieles andere.

Auch Jonas‘ Wunsch, Pfarrer zu werden, kommt zur Sprache und welche Probleme ihm Joops Umgang mit der Bibel macht.

Joop kennt das, auch er wollte Pfarrer werden … „… aber Sie haben sich dagegen entschieden …“ Jonas schaut ihn fragend an.

„Nein, nicht gegen die Theologie, sondern für die Altsprachen …“

Als sie auseinandergehen, sagt Jonas: „Das Thema ist für mich noch lange nicht fertig …“

„Nein, damit wird man nie ganz fertig!“

Zu Hause stellt Joop seine Tasche auf der Treppe zu seiner Wohnung ab, um Martha, der Vermieterin zu sagen, dass er morgen den Rasen mähen wird. Er klingelt und betritt die Wohnung, so wie sie es abgesprochen haben.

Seine Vermieterin ist schlecht zu Fuß und er unterstützt sie, wo er kann. Für ihn ist das, wie ein Stück Familie, die er schon lange nicht mehr hat – außer einem Patenonkel, der etwas mehr als zwei Autostunden entfernt in der Schweiz ein Architekturbüro hat.

„Joop, bist Du das? Du kommst gerade richtig – der Kaffee ist fertig.“

Als er die geräumige Küche betritt, ist er etwas verwirrt.

Martha hat offensichtlich Besuch. Das ist ungewöhnlich, denn soviel er weiß, hat sie keinerlei Angehörige und nur wenige Freunde.

„Ich bin die Leiterin der Sozialstation. Martha will mit Ihnen reden und ich soll bei dem Gespräch dabei sein.“

Nach einer längeren Vorrede erklärt Martha, dass sie sich eine Wohnung im Betreuten Wohnen kaufen wird; deshalb wolle sie das Haus verkaufen.

„Du weißt, dass ich keine Familie habe und keine Erben, ich habe nur Dich. Ich würde das Haus gerne Dir verkaufen ... dann hast Du genug Platz für Gertrud und die kleine Jenny.“ Martha zwinkert ihm zu; sie ist bestens informiert über seine Pläne, eine Familie zu gründen.

„Ich weiß überhaupt nicht, ob ich das finanzieren kann – Interesse hätte ich, das weißt du.“

„Mir würden hunderttausend Mark genügen…“ „Aber das Haus ist viel mehr wert …“ Joop schüttelt ungläubig den Kopf.

„Herr de Jong, Martha und ich haben das ausführlich besprochen. Sie ist fest entschlossen und wir haben es gemeinsam durchgerechnet. Und“, hier schmunzelt sie etwas, „überhaupt würden Sie es ja sowieso erben – oder wussten Sie das nicht?“

„Joop, jetzt schau nicht so, wer sollte es denn sonst bekommen – vielleicht der Staat?“

Eine Stunde später verspricht Joop, die Finanzierung mit seiner Bank zu besprechen und sich um den Notarstermin zu kümmern. Allerdings wird er sich vorher von einem Rechtsanwalt beraten lassen. Er möchte die alte Dame auf keinen Fall irgendwie übervorteilen und selbst auf der sicheren Seite sein.

Etwas später in seiner Wohnung kann er es noch nicht richtig fassen. Er greift zum Telefon. Er kann unmöglich bis morgen warten, bis Gerti mit Jenny kommen wird. Er will jetzt sein Glück teilen – und am besten mit ihr.

Er hatte sich schon vor Monaten entschlossen, hier sesshaft zu werden und sie suchten schon seit einer Weile eine entsprechende Wohnung.

Die beiden sind überglücklich und Jenny hört er übers Telefon jubeln. Aber auch Gerti hat eine passende Überraschung parat. Sie arbeitet in der Werbebranche und ihr wurde zum wiederholten Mal der Posten einer Eventmanagerin angeboten. Das würde bedeuten, dass sie viel von Zu Hause arbeiten, aber auch immer wieder reisen müsse.

Bisher lehnte sie immer ab, weil sie wegen Jenny regelmäßige Arbeitszeiten braucht. Das könnte sich mit Joop gemeinsam ändern – falls er einverstanden wäre. Sie würde am nächsten Tag dann Genaueres erzählen.

Er beginnt sofort eine Liste zu machen. Es musste jetzt ziemlich flott gehen. Er nimmt ein Blatt zur Hand: Egal, was ist, sie brauchen als erstes einen Kindergartenplatz und für Jenny ein Zimmer; außerdem er und Gerti jeweils ein Arbeitszimmer. Dazu muss das kleine Haus umgestaltet werden, also Handwerker, Pläne und nochmals Finanzierung; Gerti wird in ihrer neuen Stelle das Büro zu Hause haben und braucht deshalb einen eigenen Telefonanschluss und ein Fax. Und vielleicht einen Raum, wo sie potentielle Kunden empfangen kann – so viel hat er bereits aus ihrem Gespräch herausgehört.

Er notiert jeden einzelnen Punkt und zeichnet im Geiste bereits Pläne: Das Haus ist im Grunde winzig, obwohl es zwei Wohnungen hat. Die von Martha hat 48 m2; das sind zwei kleine Zimmer und eine geräumige Küche. Seine hat 34 m2, derselbe Grundriss, aber mit Dachschräge. Und auf 82 m2, zusätzlich das Treppenhaus, ist nicht viel Luft für eine Familienwohnung mit zwei Arbeitszimmern. Aber so hat man eben früher gebaut.

Vielleicht sollte er einen Architekten fragen - vielleicht seinen Onkel. Wieder greift er zum Telefon.

Nach dem kurzen Gespräch – der Onkel hat wie meist wenig Zeit – ist sein Problem zwar nicht gelöst, aber Ruedi verspricht, nächste Woche vorbei zu kommen. Er plane sowieso ein Projekt an der deutsch-schweizerischen Grenze und da sei es ja nur noch ein Sprung. Die einzigen Bedenken, die er hat, ist die Größe des Gebäudes: „Wenn da noch weitere Kinder kommen, wird’s deutlich eng; da geht dann gar nichts mehr!“

Aber da kann Joop beruhigen: Gerti kann keine Kinder mehr bekommen und in langen gemeinsamen Gesprächen wurde klar, dass das kein Hinderungsgrund für die Beziehung ist.

Mit einem Becher Kaffee geht er in den Garten und setzt sich in die kleine Laube. Ja, er ist glücklich und fühlt sich schon fast wie ein Hausbesitzer, der endlich seine eigene Familie bekommt; dazu die Schule, mit der er es gerade mit seiner exotischen Fächerkombination gut getroffen hat und das Ganze in einer Kleinstadt in der Provinz, in erreichbarer Entfernung von seiner einzigen Verwandtschaft.

Auf dem Weg in seine Wohnung spürt er seinen Magen; seit heute früh hat er nichts mehr gegessen. Kurz entschlossen greift er zum dritten Mal den Hörer und ruft seinen Kollegen Jochen an, mit dem er manchmal freitags ein Bier trinkt.

Gegen elf Uhr kommt er heim und ist noch immer aufgewühlt von seinem Glück. Natürlich haben sie über den Hauskauf gesprochen. Von Martha hatte er vorher noch schnell die Pläne geholt, die er dann gemeinsam mit Jochen angeschaut hat; der Umbau würde wohl nicht so umfangreich werden, falls er sein Arbeitszimmer in den Keller verlegen würde. Der Hobbyraum wäre durchaus ausbaufähig.

In dieser Nacht träumt er von Gerti und dem gemeinsamen Umbau.

Sie hatte sich ja vom ersten Augenblick in das kleine Haus verliebt. Er sieht Jenny mit den Nachbarskindern durch den Garten tollen, während er mit Gerti unter dem Apfelbaum Kaffee trinkt.

Es ist ein wunderschöner Traum und am nächsten Morgen kann er noch immer nicht begreifen, dass er wahr werden soll.

1 Für alle Bibelstellen, wenn nichts anderes vermerkt: https://www.bibleserver.com - Einheitsübersetzung 2016

2 Verhüllender Ausdruck für fluchen

2.Zofar [ein Freund]: Wenn du selbst dein Herz in Ordnung bringst und deine Hände zu ihm ausbreitest - Heller als der Mittag erhebt sich dann dein Leben, die Dunkelheit wird wie der Morgen sein. Du fühlst dich sicher, weil [...] Hoffnung ist; du schaust dich um und kannst sicher schlafen. (11,13.17-18)

Es regnet ein wenig. Er hätte doch den Wagen nehmen sollen, denkt er sich. Es sind zwar nur ein paar Minuten zu Fuß, aber es reicht, um nass zu werden.

Die Bank sah kein Problem bei der Finanzierung. Allerdings brauchen sie die neuen Pläne auch wegen des Kreditrahmens – wenn es neue Pläne gibt – wenn es einen Umbau gibt. Tatsächlich weiß er noch immer nicht, was er tun soll und ob er überhaupt umbauen soll.

Der Onkel war von dem Häuschen begeistert. Er sah drei Möglichkeiten: Komplettumbau, Wände versetzen und zusätzlich ein Zimmer im Keller. Das wäre die teuerste und zeitaufwändigste Lösung. Als Alternative sah er eine abgespeckte Version: lediglich ein Durchbruch im Erdgeschoß zwischen Wohnzimmer und Küche; so würde eine schöne Wohnküche geschaffen werden. Aber auch hier wäre das Zusatzzimmer im Keller notwendig.

„Du kannst es drehen, wie Du willst: Du brauchst zwei Schlafzimmer, zwei Arbeitszimmer und ein Wohnzimmer; kannst Du rechnen? Das geht nicht.“

Irgendwann kam recht zögerlich der dritte Vorschlag.

Man könne auch alles so belassen: zwei kleine Arbeitszimmer oben, wenn das genügen würde; die bisherige Küche könne Spielzimmer, Wohnzimmer oder sowas wie Empfangsraum werden; unten wären dann zwei Schlafräume und die große Küche, aber kein Wohnzimmer. „Ich fände das prima. Das würde am ehesten zum Charakter des Hauses passen. Und die Küche ist tatsächlich der Raum, in dem man sich am meisten aufhält.“

Ruedi versprach bei der weiteren Planung zu helfen, aber entscheiden müsse Joop schon selbst.

Zu Hause nimmt er als erstes seine Liste zur Hand. Ruedi hakt er ab, Bank ebenso. Auch der Termin beim Notar ist fix – allerdings braucht er für beides noch die Pläne – und dazu eine Entscheidung.

Gerti meinte, mittelfristig brauche sie ein Arbeitszimmer, wo sie auch Besucher empfangen könne - wobei es in ihrer Branche durchaus üblich sei zu improvisieren.

Jetzt ist er so schlau wie vorher. Er soll entscheiden, aber so, dass die Damen zufrieden sind!

Auf einem leeren Blatt skizziert er eine Tabelle mit drei Spalten. Akribisch notiert er Für und Wieder jeder Alternative.

Nach einem Espresso in der Laube ist er sich sicher: Er lässt alles, wie es ist und das gesparte Geld wird in zwei Dachbalkone investiert. Das war Ruedis Idee. So werden die Arbeitszimmer deutlich aufgewertet und er muss nicht mehr zum Rauchen in den Garten.

Jetzt gibt es noch zwei Baustellen: der Kindergartenplatz für Jenny – da muss er morgen dringend anrufen - und ein Kostenvoranschlag für die Dachbalkone.

Nochmals nimmt er seine Liste zur Hand; er meint, da sei noch etwas...

In Gedanken geht er alles zum wiederholten Mal durch.

Arbeitszimmer: Dachbalkone, Kostenvoranschlag – okay und notiert; Küche: rausreißen, streichen und Möbel – gemeinsam mit Gerti aussuchen; das Schlafzimmer im Erdgeschoss: bringt Gerti mit, muss noch ausgemessen werden – notiert; Kinderzimmer: soweit vorhanden – okay; Küche unten: bleibt, Martha fragen, ob er die Eckbank haben kann – notiert.

Er ruft Gerti an. Auch sie findet die Lösung gut und von den Dachbalkonen ist sie begeistert. Für die Küche beziehungsweise den Vorraum oben – sie wissen beide noch nicht genau, wie sie es nennen sollen – schlägt sie noch eine Couch vor, so hätten sie auch ein Wohnzimmer. Joop ist begeistert; auf die Idee war er noch gar nicht gekommen. Jetzt ist es perfekt.

Noch schnell notiert er: Baugenehmigung - Dachbalkone um sich dann der Hiob-Übersetzung zu zuwenden.

Ruedi wollte eine ziemlich genaue Übersetzung des alttestamentlichen Buches! Joop schüttelt den Kopf, sein Onkel schafft es immer wieder ihn, zu überraschen. Er hat keine Ahnung, zu was er die braucht. Er hat zwar noch den überarbeiteten „Hiob“ aus dem Studium, aber Ruedi hat ihm schon so viel geholfen; jetzt will er etwas für ihn tun.

3.Wahrhaftig, ihr seid besondere Leute und mit euch stirbt die Weisheit aus. Ich habe auch Verstand wie ihr, ich falle nicht ab im Vergleich mit euch. Wer wüsste wohl dergleichen nicht? (12,2-3)

In seinem Lateinkurs schafft er es nicht, Ruhe zu schaffen. Kein Wunder, denkt er sich, eine Übersetzungsübung vom lateinischen Hiob ins Deutsche, reißt niemanden vom Hocker. Aber nachdem er am Vorabend bis spät nachts über den „Gottessöhnen“ gebrütet hat (oder sind es doch „Göttersöhne“?), waren nicht mehr viel Nerven für die Unterrichtsvorbereitung übrig.

Wenigstens haben die Lateiner für Unterhaltung gesorgt:

„Stimmt das, dass Sie in Wirklichkeit Hiob de Jong heißen?“

Natürlich war das Gelächter groß und sein Spitzname Hiob war ihm längst bekannt.

„Tatsächlich ist Joop die Kurzform von Hiob, aber davon abgesehen, habe ich nichts mit ihm zu tun!“

„Außer dass es Ihr Lieblingsthema ist ...“

„... und Sie sich pausenlos damit beschäftigen!“

„... und Sie uns damit beschäftigen“!

„... und uns damit quälen!“

„... und sogar in Latein der Hiob untergeschoben wird!“

„Also gut, das nächste Mal bring ich Cicero mit ...“

„Ach, ich finde Hiob doch nicht so schlecht; den kennen wir wenigstens inzwischen.“

Auf dem Nachhauseweg passt ihn wieder Jonas ab. Offensichtlich hatte er ihn mit dem Hiobtext doch mehr getroffen – oder ist es eher seine Unsicherheit, was den Berufswunsch angeht? Joop weiß es nicht.

„Ich hätte da noch eine Frage!“

„Kein Problem, wir haben ja beinahe den selben Heimweg.“

Auf der Parkbank, auf der sie schon vor kurzem saßen, reden sie dann wieder, diesmal über das „Eingreifen Gottes in die Welt“.

Joop weiß überhaupt nicht, wie er reagieren soll. Schließlich ist er ja eigentlich nicht vom Fach. Aber auch ihn hatte diese Frage damals, während des Studiums, aus der Bahn geworfen. Er zögert mit der Antwort, ist sich unsicher.

„Ich glaube, dass alles, was ist, auf Gott oder eine höhere Macht zurückgeht - auch die Naturgesetze. Und ER wird sie mir zuliebe wohl nicht abschaffen, auch nicht, wenn ich ihn darum bitte!“

„Aber das Gefühl, dass Gott einem beisteht, mein Leben irgendwie lenkt, kennen Sie das nicht?“

Beide schweigen. Natürlich kennt Joop dieses Gefühl.

Aber irgendwie (und irgendwann) hat er sich eingerichtet und gelernt, auch offene Fragen zu akzeptieren.

„Ich vermute, Du hast den Hiob weiter gelesen!“ Joop schaut seinen Schüler fragend an.

„Ja, bis zum Schluss ...“

„Okay! Hiob hadert mit Gott; er befragt ihn und macht ihm enorme Vorwürfe, aber er erfährt keine Hilfe. Er spürt genau das nicht, was Du „beistehen“ nennst. Erst als er seine eigene Begrenztheit erkennt und zu ihr steht, geht’s mit ihm bergauf.“

„Sie meinen ganz zum Schluss, in den letzten Kapiteln ...“

„Ja, genau! Er sieht ein, dass er nur ein winziger Teil des Universums ist, nur ein äußerst begrenztes und letztlich unwissendes Sandkorn. Und diese Ungewissheit, dieses begrenzte Wissen ...“

Joop weiß nicht, wie er weiter reden soll.

„Vielleicht bringt ihn das Wissen um sein begrenztes Wissen dazu, selbst zu handeln ... auf jeden Fall beginnt er irgendwann die Realität zu akzeptieren. “ Joop ist mit seiner Antwort nicht zufrieden, und das sagt er auch.

Jonas wirkt nachdenklich. „Ich glaube, das hilft mit irgendwie weiter ... aber ich muss darüber nachdenken.“

Dieser Anspruch, den er spürt und den er auch an sich selbst stellt, macht ihm ganz schön zu schaffen. Es kommen nicht viele Schüler, so wie Jonas, aber die, die ihn um Rat fragen oder seine Meinung hören wollen, haben doch eine ganz schöne Erwartungshaltung. Gerade so, als müsste ein Lehrer automatisch alles wissen. Und tatsächlich will er das auch: nicht alles wissen, aber doch wenigstens befriedigende Antworten geben können.

Zu Hause greift er sich als erstes die Übersetzung.

„Göttersöhne“ ha’älohîm oder heißt es „Gottessöhne“. In Genesis 6,4 gibt es eine weitere Stelle:

In jenen Tagen gab es auf der Erde die Riesen, und auch später noch, nachdem sich die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten. Das sind die Helden der Vorzeit, die namhaften Männer.

Die Stelle hilft ihm nicht weiter. Die Genesisstelle kennt er natürlich; die würde er sich aber für andere Gelegenheiten aufheben.

Eher zufällig wird er in einem Psalm fündig:

Wohl habe ich gesagt: Ihr seid Götter und allzumal Söhne des Höchsten; aber ihr werdet sterben wie Menschen und wie ein Tyrann zugrunde gehen. [82,6-7]

In anderen Psalmen hat er abermals Glück: da wären die Verse 29,1 und 89,7. Da heißt es ’elîm. Auch das bringt nicht wirklich etwas.

Auf einem separaten Zettel notiert er, dass offensichtlich nirgends im Alten Testament die Formulierung „Sohn JHWHs“ zu finden ist. Was bedeutet das?

Um auf andere Gedanken zu kommen, schlägt er einen weiteren Begriff aus Hiob nach: Satan .

Martin Buber übersetzt hier „Hinderer“3. Und Buber war Jude. Er kannte also die Kultur. Er wird eine Anmerkung für den Onkel machen. Der „Staatsanwalt“, wie er gerne hier sagt, ist zwar ganz treffend, aber hat in einer Übersetzung nichts verloren.

Tatsächlich lässt ihm das Thema keine Ruhe. Beim Rasenmähen geht er die beiden Begriffe nochmals durch: Gottessöhne oder Göttersöhne – beide Lesarten sind möglich. Mit ihnen gemeinsam gehört der Satan zum „Hofstaat Gottes“ (den Begriff findet er sehr passend). Ist das in der Bibel öfters so? Muss er nachschauen.

Martha reißt ihn aus seiner Grübelei. „Willst Du Kaffee?

In fünf Minuten ...“

„Das passt; ich bin fast fertig, nur noch der Grasschnitt muss weg.“ Die Unterbrechung kommt ihm genau recht.

Vor lauter Hiob platzt ihm fast der Kopf.

Bei einem leckeren Stück Kuchen („Ich wusste ja, dass Du noch nichts gegessen hast“) kommt Joop auf das Thema Küche und Eckbank zu sprechen.

„In die neue Wohnung passt das eh‘ nicht rein und überhaupt, die Küche wird komplett neu. Es muss ja alles behindertengerecht und barrierefrei sein. Also sag was du brauchst.“

Als Martha nach seinen Umbauplänen frägt, erzählt Joop, dass es keine geben wird. „Wir lassen es, wie es ist und ... warte mal...“ Joop springt auf und holt aus seiner Wohnung die Prospekte, die er sich besorgt hat. „Solche Dachbalkone kommen oben rein, der Rest bleibt.“

Martha freut sich; sie und ihr verstorbener Mann haben das Haus vor einigen Jahren saniert und dabei die getrennten Wohnungen vorbereitet. „Dann hat sich die Arbeit ja gelohnt.“

Nochmals kommt sie auf den Umzug zu sprechen:

„Meinst Du, Du kannst mir helfen?“

Joop lacht. „Zu zweit schaffen wir das bestimmt!“

„Nein, zwei Helfer aus der neuen Einrichtung haben bereits zugesagt; aber noch ein oder zwei wären gut ...“

„Klar“, Joop denkt kurz nach, „ich frag noch einen Kollegen.“

Am Abend sitzt er dann über seiner Vorbereitung; es soll morgen besser werden als heute. Das wird wohl auch von ihm erwartet.

Den Hiob hat er auf die Seite geschoben und dafür das Englischbuch geholt. Englisch fachfremd – das einzige Zugeständnis, das er damals machen musste; aber mit Altsprachen alleine war es für den Schulleiter fast unmöglich, ihn unterzubringen. Auf jeden Fall ist er froh, beim Abitur weitgehend außen vor zu sein, außer ein paar in der mündlichen Prüfung.

Und über das Gespräch mit Jonas will er auch nochmal nachdenken. Das war extrem unangenehm für ihn. Er verstand die Frage und verstand das Problem. Aber die Antwort, die er gab, war eine richtige Lehrerantwort. Keine Antwort, die in einer solchen Situation nötig wäre.

Er spürt das Vertrauen, das Jonas ihm entgegenbringt und genießt es. Deshalb hat Jonas auch mehr verdient.

Während ihm das durch den Kopf geht, kommt ihm ein Gedanke: Er wird ihn wegen des Umzugs fragen. Sie sind sowieso beinahe Nachbarn und Jonas sucht Kontakt zu ihm – so hat er wenigstens das Gefühl. Beim gemeinsamen Arbeiten entsteht dann vielleicht auch ein anderes Verhältnis – eines, das nicht so lehrermäßig geprägt ist.

Und ein wenig Taschengeld kann er sicher auch gebrauchen.

3 M. Buber, F. Rosenzweig (1992). Die Schriftwerke: Das Buch der Preisungen

4.Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. (2,13)

Die Haare feucht vom Schnee, kommt Joop in die Küche.

„Hätte das Wetter nicht noch zwei Stunden halten können?!“ Mit einem Kaffeebecher tritt er ans Fenster.

Bis jetzt ging alles glatt.

Jonas und er brachten mit dem Pritschenwagen von Jonas‘ Eltern die Möbel in die Wohnanlage. Den Aufbau hatte Martha organisiert: Die zwei Hausmeister stellen die Möbel, wie vorher besprochen, und bauen die Schränke auf. Gemeinsam mit Gerti packt sie in der Zwischenzeit die letzten Umzugskartons und Jenny ist bei den Nachbarskindern untergekommen, mit denen sie auch sonst bei ihren Besuchen spielt.

Alles läuft wie geplant. Kein Grund zur Unruhe.

Der Schneeschauer ist vorüber und der Himmel reißt auf. Obwohl ihm plötzlich der Schweiß läuft, holt Joop sich noch einen Becher Kaffee.

„Ich geh kurz raus; ich brauch Luft.“

„Wo ist eigentlich Jonas?“ Gerti schaut von der Kiste hoch, die sie gerade verschließt. „Alles okay bei Dir, Du siehst ziemlich fertig aus!“

„Ja, ja, alles klar. Jonas bringt den Transporter zurück und kommt dann wieder her. Die letzten Kisten machen wir mit dem Kombi.“

Joop ist schon an der Terrassentür.

„Willst Du nicht doch ein Stück Zopf, Du musst doch Hunger haben?“ Martha hat Kaffeebecher und Hefezopf auf den Tisch gestellt.

„Nein, mir ist plötzlich so komisch ... ich geh‘ kurz raus.“

Joop wundert sich. Obwohl es eher kühl ist, hat er das Gefühl, der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Ganz plötzlich hat er stechende Kopfschmerzen, und sie werden immer schlimmer.

Dann ist die Hölle da.

Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Joop presst die Hände an die Schläfen, so etwas hat er noch nie erlebt.

Wie wenn ihm jemand ins Auge sticht und gleichzeitig der Kopf zu explodieren droht. Still sitzen geht gar nicht. Hektisch steht er auf, drückt den Kopf an die kalte Holzwand, er muss etwas gegen das Hämmern in seinem Kopf tun, geht wieder ein paar Schritte, greift eine Handvoll Schnee, um den Nacken zu kühlen.

Der Kampf und die Schmerzen erschöpfen ihn mehr als der ganze Umzug. Hilflos sinkt er auf die Knie und drückt den Kopf in den Schnee, versucht, sich irgendwie Erleichterung zu verschaffen.

Er will das Ganze nicht und er kennt es nicht. Er weiß