Unter der Oberfläche - Andreas Sperling-Pieler - E-Book

Unter der Oberfläche E-Book

Andreas Sperling-Pieler

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Beschreibung

"Unter der Oberfläche" wagt einen neuen Blick auf die alten Texte der Bibel. Die Geschichten und Erzähltexte des vorliegenden Bandes haben den Menschen mit all seinen Krisen und Verwerfungen im Blick - als Individuum und als gesellschaftliches Wesen. Dabei erhalten sie eine neue Sprache und Aktualität. Das Buch eignet sich einfach nur zum Lesen, als Einstieg im Unterricht und in der Gruppenarbeit oder für die Predigt- und Gottesdienstvorbereitung. Das enthaltene Stichwortverzeichnis erleichtert dabei die thematische Suche, bzw. den Umgang mit den Texten. "Unter der Oberfläche" ist der zehnte Band aus der Reihe "Mit Bibel überLeben". Die Reihe will anregen, Bibeltexte auf ganz persönliche Art neu zu lesen und so Verborgenes und Unbekanntes zu entdecken. Sie versucht Themen und Motive der Bibel aufzugreifen, in unterschiedlicher Form zu bearbeiten und in die heutiger Zeit zu übertragen.

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„Unter der Oberfläche“ wagt einen neuen Blick auf die alten Texte der Bibel. Die Geschichten und Erzähltexte des vorliegenden Bandes haben den Menschen mit all seinen Krisen und Verwerfungen im Blick - als Individuum und als gesellschaftliches Wesen. Dabei erhalten sie eine neue Sprache und Aktualität.

Das Buch eignet sich einfach nur zum Lesen, als Einstieg im Unterricht und in der Gruppenarbeit oder für die Predigt- und Gottesdienstvorbereitung. Das enthaltene Stichwortverzeichnis erleichtert dabei die thematische Suche, bzw. den Umgang mit den Texten.

„Unter der Oberfläche“ ist der zehnte Band aus der Reihe „Mit Bibel überLeben“. Die Reihe will anregen, Bibeltexte auf ganz persönliche Art neu zu lesen und so Verborgenes und Unbekanntes zu entdecken. Sie versucht Themen und Motive der Bibel aufzugreifen, in unterschiedlicher Form zu bearbeiten und in die heutige Zeit zu übertragen.

Es könne einem passieren, dass man

im Medium alter überholter Sätze weiterdenke

und sich dadurch für einen halte,

der immer noch die alten Erfahrungen mache,

obwohl inzwischen ganz neue Erfahrungen

ins alte Gefüge eingesickert seien,

die ihre verwandelnde Kraft

indessen erst würden entfalten können,

wenn sie in neue Sätze gegossen würden.

Pascal Mecier

„Perlmanns Schweigen“

Seite 196

Inhaltsverzeichnis

Über die Nachfolge

Die Hirten und der Weinberg - Jer 12,9-11

Über die Nachfolge einmal anders

Folgt mir nach - LK 9,57-62

Über die Nachfolge

Schuld, Leid und Krankheit

Der Gelähmte - Mt 9,1-7

Eine etwas andere Heilung

Der Gelähmte - Mk 2,1-5

Neuanfang

Zwei Blinde – Mt 20,29-34

Über das richtige Sehen

Facetten der Schuld – ein Kreuzweg

1. Jesus wird zum Tode verurteilt

Täuschungsversuch

2. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

Palastrevolution

3. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

Fragmente einer Karriere

4. Jesus begegnet seiner Mutter

Das Tagebuch

5. Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

Autopanne

6. Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

Die Flucht

7. Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

Diebe

8. Jesus begegnet den weinenden Frauen

Gewalterfahrungen

9. Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

Schuldfrage

10. Jesus wird seiner Kleider beraubt

Kälte

11. Jesus wird an das Kreuz genagelt

Nadelstiche

12. Jesus stirbt am Kreuz

Sprachlos

13. Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt

Warum?

14. Der Heilige Leichnam Jesu wird in das Grab gelegt

Auf Wiedersehen

Menschliche Existenz

Turmbau zu Babel - Gen 11,1-9

Vom Mann, der immer besser werden wollte

Das Kamel und das Nadelöhr - Lk 18,25

Ein rätselhafter Text und zwölf Ansichten

Der Pfarrer

Der Hoffnungslose

Der Zoobesucher

Die Ordensfrau

Ein einfacher Mann

Der Bettler

Der Journalist

Die Geschichte vom Torwächter und vom Händler

Der Egoist

Der Fallschirmspringer

Der Flüchtling

Der Reiche

Nicht um Frieden zu bringen - Mt 10, 34-36

Nicht Frieden, sondern das Schwert

Jona 1-2

Die Entscheidung

Ich und der andere

Kain und Abel - Gen 4,1 –16

An seiner Ruhelosigkeit werdet ihr ihn erkennen

Der verlorene Sohn - Lk 15,11-32

Eine Geschichte von Verlust und Neubeginn

Der Verlust - beinahe klassisch

Der Vater: Das Wiedersehen

Der ältere Sohn: Das Wiedersehen

Vom Schatz und der Perle - Mt 13,44 und vom wunderbaren Fischfang - Lk 5,1-11

Ein Märchen in zwei Teilen

Über Ehe und Partnerschaft - Gen 2,23 und das Bekenntnis des Petrus - Mt 16,13-15

Über die Partnerschaft

Jesus

Geburt Jesu - Mt 1,18-2,18 und Lk 2,1-20

Was ist Weihnachten

Ein Adventskalender

Kreuzigung - Lk 23,33-49

Die Kreuzigung aus der Sicht des Hauptmanns

Die Verklärung Jesu - Mk 9,2-10

Über die Furcht

Anhang

Nachwort und Dank

Grundsätzliche methodische Anmerkungen

Zur Herkunft der Texte

Verwendete Bibelübersetzungen

Die Reihe „Mit Bibel überLeben“

Stichwortverzeichnis

Zum Autor

Vorbemerkung

Die Geschichten und Texte lassen sich problemlos ohne den Bibeltext lesen und mit Hilfe des umfangreichen Stichwortverzeichnisses finden sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Trotzdem haben sie einen klaren und unmittelbaren Bezug zum Bibeltext, denken ihn weiter, führen ihn fort und aktualisieren ihn. Ob Sie tatsächlich auf den Bibeltext verzichten können, kann ich Ihnen als Religionspädagoge nicht unvoreingenommen beantworten – aber als Psychologe würde ich sagen, versuchen Sie es. Mit meinen Schülern habe ich es auch gemacht, bzw. bin den Weg rückwärtsgegangen: erst die Geschichte, dann den Bibeltext – mit Erfolg!

Die meisten Texte sind den neun bisher erschienenen Bänden aus der Reihe „Mit Bibel überLeben“ entnommen und teilweise etwas angepasst. Darüber hinaus sind einige bisher unveröffentlichte Geschichten enthalten. Die entsprechenden Angaben lassen sich mit Hilfe der Fußnoten, bzw. im Anhang finden.

Wenn nichts anderes angegeben ist, stammen die Bibelübersetzungen aus der Einheitsübersetzung (2016 revidiert). Darüber hinaus wurden die Übersetzungen von Friedolin Stier (Neues Testament), Franz Eugen Schlachter und Martin Buber/Franz Rosenzweig (Alte Testament) verwendet.

Über die Nachfolge

Die Hirten und der Weinberg1 - Jer 12,9-112

Ist mein Erbteil für mich zu einer Hyänenhöhle geworden, um die sich die Raubvögel ringsum scharen? Geht hin und versammelt alle Tiere des Feldes; bringt sie herzu, damit sie fressen!

Viel Hirten haben meinen Weinberg verwüstet und meinen Acker zertreten; meinen kostbaren Acker haben sie zur öden Wüste gemacht. Man hat ihn verheert; verwüstet trauert er vor mir. Das ganze Land liegt wüst, denn niemand nahm es sich zu Herzen.

1 Aus „Wie kommt das Kamel durchs Nadelöhr“, S.47ff

2 Übersetzung Schlachter

Über die Nachfolge einmal anders

„Wer hat eigentlich behauptet, es würde einfach werden?“ Jesus ist ziemlich ungehalten. „Wer von Euch kam auf die grandiose Idee, mit einem Schluck Wasser über die Stirn wäre alles erledigt? Frei nach dem Motto: Quantität vor Qualität!“ Jesus steht in Rom vor dem Kardinalskollegium, die Hände in die Hüften gestemmt und einem Blick wie damals, bei der Tempelreinigung.

„Nachfolge heißt überzeugt sein – und kann mir mal einer von Euch zeigen, wie das bei einem Baby geht?“ Jesus redet sich in Rage. „Nachfolge ohne Überzeugung – könnt Ihr mir mal bitte erklären, wofür die Freunde gestorben sind? Habt Ihr wirklich gemeint, ich lasse mich ans Kreuz nageln, der Rest wird ein Sonntagsspaziergang für Muttersöhnchen?“

Jesus geht zwei Schritte auf Einen zu, der ganz vorne sitzt und zeigt mit ausgestreckter Hand auf dessen Kopf. „Und überhaupt – was sollen diese albernen Hüte auf Euren Köpfen? Zu meiner Zeit sind damit nur die rumgelaufen, die ich am meisten fürchtete! Meint Ihr wirklich, ein wenig Pomp und alles geht von selbst, dachtet Ihr wirklich, es ist so einfach?“

Einer meldet sich zu Wort: „Nein, Du siehst das falsch; Außenwirkung und Abgrenzung ist wichtig. Es gibt so viele Scharlatane und jeder meint heutzutage, predigen zu können …“

Jesus fixiert ihn, schaut ihn genau an. „Ja ich weiß! Ich war einer von ihnen oder habt Ihr das vergessen?“

Ein anderer wirft ein: „Nein, wir haben es nicht vergessen und wir kennen all Deine Worte, aber …“

Jesus unterbricht ihn unwirsch. „Aber was? Ihr dachtet, es sei nicht ernst gemeint? Doch, bitterernst, so ernst, dass ich und viele sich haben foltern lassen. Und mit den Worten meinte ich immer zuerst einmal uns selbst – angefangen bei mir!“

„Das heißt?“, fragt einer aus der dritten Reihe.

„Das heißt Änderung, neue Wege, hin zum Nächsten, hin zu mir selbst.“ Sein Gesichtsausdruck verändert sich: Das zornige Gesicht weicht einem grimmigen Lächeln. „Ihr kennt doch meine Worte: Wo und bei wem war es doch gleich, wo ich gepredigt habe?“ Jesus wirkt jetzt fast zynisch, „ihr kennt doch all meine Reden und wohl auch meine Gedanken – sagt Ihr es mir, wo Eure Aufgabe liegt …! Ist es nicht einer von Euch, der meinen Geist für sich beansprucht …? Fragt ihn …er sollte es wissen …“

Der Papst wacht verschwitzt nach der unruhigen Nacht auf! „Gott sei Dank, alles nur ein böser Traum …“, wusch sich und ging frühstücken.

Folgt mir nach - LK 9,57-623

Als sie auf ihrem Weg weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.

Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.

Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!

Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.

3 Aus „Wie kommt das Kamel durchs Nadelöhr“, S. 57

Über die Nachfolge

Wenn mir Jesus heute begegnen würde, würde ich wohl auch Ausreden suchen!

Ich glaube nicht, dass ich bereit bin, mit ihm zu Mördern, kalkulierenden Betrügern, ins Rotlichtmilieu oder zu organisiertem Verbrechen zu gehen, um zu predigen.

Ich befürchte, ich halte es mit den Schriftgelehrten: Ich schreibe schöne Texte und halte kluge Reden. Ich befürchte, wenn es ernst wird, habe ich auch Ausreden parat.

Ich weiß, das ist falsch - aber es ist das Wenige, das ich mir zutraue – und das ist meine ganze Hoffnung.

Schuld, Leid und Krankheit

Der Gelähmte - Mt 9,1-74

Jesus stieg in das Boot, fuhr über den See und kam in seine Stadt.

Da brachte man auf einer Tragbahre einen Gelähmten zu ihm. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Hab Vertrauen, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!

Da dachten einige Schriftgelehrte: Er lästert Gott.

Jesus wusste, was sie dachten, und sagte: Warum habt ihr so böse Gedanken im Herzen? Was ist leichter, zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? Ihr sollt aber erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Darauf sagte er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause!

Und der Mann stand auf und ging heim.

4 Aus „Über Lähmung und Erstarrung – von Flucht und Rettung“ in Textsammlung S. 36ff

Eine etwas andere Heilung

Der Gelähmte: Erster Teil

Als Jesus einmal gemütlich auf einer Bank vor seinem Haus saß, brachte man einen Gelähmten zu ihm.

Nachdem sie eine Weile geplaudert hatten, fragte ihn Jesus: „Was willst du nun wirklich?“

„Ich will wieder laufen können!“ antwortete der Gelähmte.

„Das verstehe ich – aber sei mal ehrlich: Ist getragen werden wirklich so schlimm?“

Der Gelähmte grinste „Manchmal ist es auch gut …“

Jesus dachte einen Moment nach, dann antwortete er: „Du hast gewählt!“

Der Gelähmte: Zweier Teil

Nachdem einige Zeit verstrichen war und Jesus wieder einmal zu Hause weilte, brachte man den Gelähmten abermals.

Auch diesmal stellte ihm Jesus dieselbe Frage: „Was willst du?“

„Das ist nicht so einfach, da muss ich ein wenig ausholen.“

„Nur zu – ich habe Zeit …“

„Ich will laufen können, wie alle anderen; ich will ausruhen können, wenn ich das will; ich will Hilfe genießen können, weil und wenn sie mir geschenkt wird; ich will selbständig leben, unabhängig von meinen Beinen und mit meinen Beinen!“

Jesus blickte ihn mit klarem Blick an, legte ihm die Hände sanft auf die Schultern und sagte leise: „Sei ganz [Gen 17,1], begreife es und du wirst gesund sein.“

Der Gelähmte schaute fragend zu Jesus. „Ist das alles?“

Jesus: „Ja, das ist alles!“

Der Gelähmte: Dritter Teil

Zuerst war er von den Worten Jesu verunsichert: „sei ganz“ und „das ist alles“. Er kannte Jesus und seine manchmal verwirrenden Reden, aber damit konnte er gar nichts anfangen.

Er lag auf der Veranda, wo ihn seine Freunde abgestellt hatten. Und genauso fühlte er sich: abgestellt, als halber Mensch.

Sei ganz – so ein Blödsinn – wie konnte er ganz sein – er fühlte sich nur als halber Mensch und verdammt noch mal, er war bestenfalls halb – oder ganz nutzlos – und auf jeden Fall abgestellt.

Er zwang sich zur Ruhe, wusste er doch, dass es zu nichts führt, sich immer und immer wieder seine Situation vor Augen zu führen.

Deshalb ließ er sich die Worte Jesu nochmals durch den Kopf gehen, ließ die Szene – dort bei Jesus– präsent werden, auch das Gefühl, das dieser ihm gab.

Wenn ich nur halb bin, dann ist eben der Rest das Ganze, das Ganze, was mich noch ausmacht.

Plötzlich wurde er unruhig, er spürte Gedanken in sich, die er so gar nicht kannte. „Sei ganz“ heißt ja dann: sei ganz im Rahmen deiner Möglichkeiten; und wenn du nicht mehr laufen kannst: sei ganz mit dem Rest, mit dem, was du bist und was du hast …

Aber was kann der Rest? Ich kann die Arme bewegen, Kopf und Bauch funktionieren auch noch … das reicht fürs erste … denn das ist ja schon mal etwas.

Als ein paar Minuten später sein Nachbar kam, um ihn in den Schatten zu schieben, sagte er auch gleich: „Reich mir bitte das Buch vom Schrank“. Der Nachbar wunderte sich, hatte er das doch seit langem nicht mehr erlebt.

Der Gelähmte nahm das Buch und fing an zu lesen. Mühsam war es – so mühsam wie immer; aber bisher war es seine Krankheit gewesen, der er die Schuld gegeben hatte. Jetzt war aber etwas anders: im Liegen zu lesen ist nicht ideal; besser wäre es zu sitzen. Ihm fiel der alte Rollstuhl ein, der im Keller stand. Man hatte ihn weggeräumt, weil er nur im Weg stand und er ihn doch nicht benutzte. Den solle man ihm bringen, gleich morgen würde er den Nachbarn bitten.

Beinahe wäre er wieder in Resignation versunken, denn er spürte allzu deutlich seine eigene Unfähigkeit, gerade jetzt, wo er doch wieder aktiv werden wollte. Und mit seiner stoischen Ruhe, die ihn die Folgen seines Unfalls ertragen ließen, war es auch vorbei. Fast wäre er sogar wütend auf Jesus geworden; hatte der ihm doch mit seinem Gerede einen dicken Strich durch seine sauber eingerichtete Hilflosigkeit gemacht. Er spürte aber auch, dass er etwas tun müsste, fragte er sich doch, wie er das bisher ertragen konnte.

Er konnte sich noch gut erinnern, dass seine Hände eigentlich nie stillstanden. Nicht ruhelos und nervös, sondern betriebsam und rege. Ja, früher, das war vor dem Unfall, an dem er keine Schuld trug; es war die Unvorsichtigkeit anderer, die das Unglück und so auch seine Verbitterung auslöste. Ja, früher – dachte er wehmütig – und heute?!

Du redest von deinen Händen – so rief er sich selbst zur Ordnung: die kannst du heute noch benutzen!

Er griff nach einem Stück Holz, das herumlag und begann damit zu hantieren, prüfte die Kraft seiner Hände und die Geschicklichkeit seiner Finger. Ich denke, es müsste gehen, aber ich muss sitzen …

Er war früher Holzschnitzer gewesen – ein guter Schnitzer. Die Leute waren von weit her gekommen, um seine Arbeiten zu bewundern – kleine Kunstwerke, sagten sie – und die Arbeit hatte ihm viel gegeben: Ruhe und Erfüllung und er hatte eine große Zufriedenheit in sich gefühlt. Damals!

Gleich am nächsten Morgen bat er seinen Nachbarn, der ihn versorgte, den alten Rollstuhl zu holen.

Da stand es dann, das Gefährt, hässlich und beinahe wie ein Monstrum, Ausdruck seines Ausgeliefert-seins, ständige Erinnerung an das Unglück … und jetzt vielleicht ein Symbol der Hoffnung, der Selbständigkeit und je mehr er ihn betrachtete, umso mehr spürte er auch Zuversicht.

Beide betrachteten das hässliche Ding und beide hatten erst einmal ziemliche Bedenken. „Gut, ich bin zu Hause und wenn etwas ist, bläst du in die Pfeife.“ Der Nachbar setzte ihn in den Stuhl, prüfte den Sitz, reichte noch ein Kissen, damit er noch etwas auspolstern konnte, wenn es Not tat. Nach ein paar zaghaften Fahrversuchen verabschiedete sich der Nachbar.

Es war ein neues Gefühl, ein beinahe königliches Gefühl: ein anderer Blickwinkel, eine neue Selbständigkeit, auch Freiheit … Jetzt war er mobil, wenigstens in Grenzen.

Mal schauen, wie weit die Freiheit geht – sagte er sich und war schon auf dem Weg zum Herd. Er wollte Tee, nein, er wollte selbst Tee machen. Er kostete die Worte, die Gedanken und schmeckte den Unterschied.

Schnell merkte er, dass das mit dem Tee nicht klappte: der Wasserkrug war zu schwer, der Herd nicht angefeuert. Er griff nach dem Becher, der vom Morgenmahl übrig geblieben war und rollte nach draußen.

Dort griff er sich ein Stück Holz und ein altes Gartenmesser. Damit muss es auch gehen – dachte er – es müsste scharf genug sein. An sein Schnitzwerkzeug, die Messer und die Lederschürze als Schutz kam er jetzt nicht dran. Das lag in der Kammer.

Nachdem er das Holz geprüft hatte, die Form und die Struktur in sich aufgenommen hatte, entstand auch schon eine Figur in seinem Kopf. Bedächtig, wie es seine Art war, fing er an, die Konturen herauszuarbeiten.

Schon nach wenigen Minuten spürte er die Erschöpfung in sich: die verkrampfte Haltung, das konzentrierte Schnitzen war er nicht mehr gewohnt. Auch das Werkzeug war nicht geeignet. Er legte die Arbeit aus der Hand und schloss die Augen.

So fand ihn dann gegen Mittag der Nachbar. Der hielt das Schnitzwerk in den Händen und pfiff anerkennend. Davon war er wohl auch aufgewacht.

„Du hast es nicht verlernt!“, sagte der Freund anerkennend.

„Holst du mir mein Werkzeug vom Schrank?“

Der Freund legte das Gewünschte auf die eine Hälfte des Tischs. „Aber jetzt iss erst mal“; mit diesen Worten rollte er ihn an den Tisch und setzte sich selbst dazu.

Bis zum Abend hatten sie dann gemeinsam einen Plan zurecht gelegt: Er müsse erst mal wieder zu Kräften kommen. Allein das Sitzen strengte ihn an. Nach und nach wollte er dann Oberkörper und Arme trainieren und auf jeden Fall möglichst viel selbst machen. Der Freund hatte dann auch die Dinge des täglichen Bedarfs in Reichweite gestellt.

Nach einer Woche schaffte er es tatsächlich wieder alleine vom Bett in den Rollstuhl und nach einem Monat erledigte er viele Dinge des Alltags schon selbst: Sie hatten gemeinsam Hilfen konstruiert und ein wenig umgeräumt. Er konnte sogar schon selbst den Nachbarn besuchen, wenn er das wollte.

Sein Tag hatte einen festen Ablauf: Morgens stand er alleine auf, wusch sich und zog sich an. Gegen neun Uhr kam der Freud, brachte Tee und füllte den kleinen Wasserkrug wieder auf. Der Rest des Vormittags ging mit Hausarbeit vorüber. So war er beschäftigt und trainierte durch seine Betriebsamkeit auch beständig seine Muskeln. Am Nachmittag saß er meist in der Sonne und schnitzte. Er hatte schon eine ganze Gruppe an kleinen Figuren fertiggestellt. Und abends kamen nun auch wieder die Freunde zu Besuch; dann saßen sie zusammen und tranken Tee oder auch ein Glas Wein.

An einem solchen Abend war es auch, als sie gemeinsam über seine Fortschritte sprachen: „Wenn du ins Bett gehst oder aufstehst, stehst du doch auf deinen Beinen …“

„Ja“, antwortete er „aber eigentlich halte ich mich hauptsächlich mit den Armen.“

Der Freund nahm ein Blatt Papier zur Hand. Mit schnellen Strichen fertigte er eine Skizze. „Hier hältst du dich, deine Arme sind ja stark – trotzdem stehst du und deine Beine müssen dann nur einen kleinen Teil deines Gewichts tragen.“

Eine weitere Woche später übte er dann schon täglich an seiner neuen Stellage das Aufstehen und das Hinsetzen. Durch die Kräftigung der Muskeln an den Beinen und am ganzen Körper ging ihm mit der Zeit die tägliche Arbeit immer schneller von der Hand und so hatte er auch mehr Zeit zum Schnitzen. Einige Stücke hatte er sogar bereits verkaufen können.

So ging ein ganzes Jahr vorüber.

Inzwischen konnte er seinen Haushalt beinahe vollständig alleine bewältigen und in der Küche hatte er sich angewöhnt, fast nur in der Stellage die Arbeiten zu verrichten und sie bei Bedarf einfach zu verschieben. Dort war er auch, als sein Nachbar mit zwei Krücken hereinkam. „Weißt du, was das ist?“, fragte dieser ihn. „Ich weiß nicht, ob ich mir das zutraue …!“ „Doch, du weißt es; heute Abend sind wir zu dritt, dann probieren wir! Und wenn`s nicht geht, dann war’s das halt …“

Nach weiteren vier Wochen traute er sich das erste Mal alleine, die Krücken zu benutzen. Die Beine waren längst stark genug, nur sein Gleichgewichtssinn spielte ihm immer wieder einen Streich.

„Das geht nur durch Training“, sagte er dem Freund am Abend „und dazu brauch ich eure Hilfe.“

Die Freunde machten es sich nun zur Gewohnheit, jeden Besuch mit ein paar Schritten an den Krücken zu verbinden. Erst gingen sie nur im Haus, er mit seinen wackeligen Stöcken, die Freunde rechts und links, um ihn im Notfall zu stützen. Nach wenigen Tagen trauten sie sich schon in den Garten. Das war wegen des unebenen Untergrunds ungleich schwerer.

Als sie nach einem solchen Spaziergang zusammen saßen, sagte er: „Ich schaffe das, ich spüre es. Ein Stein auf dem Weg ist nur ein Hindernis, das weggeräumt werden muss. Und die schlimmsten Brocken haben wir schon hinter uns.“

Als er dann im Sommer hörte, dass Jesus wieder im Dorf sei, machte er sich auf den Weg, ihn zu besuchen. Er war mächtig stolz, diesen dritten Besuch nun alleine und auf eigenen Beinen machen zu können.

Bei Jesus standen ein paar Ratsherren und stritten mit ihm. Die Herren waren aufgebracht: jeder könne neu anfangen – so sei in Jesu Reden zu hören – und das Gewesene hinter sich lassen. Das passte so überhaupt nicht in ihr Weltbild, in dem Schuld und Angst feste Größen waren.

„Doch“, sagte Jesus, „wir müssen nur den Mut haben, uns selbst anzunehmen, ganz ja zu uns zu sagen, dann spüren wir, dass da mehr ist …“

In dem Moment kam der Gelähmte um die Ecke. Jesus nahm ihn in die Mitte der Gruppe. „Wenn ein Mensch bereit ist, seine eigenen Fehler und seine eigene Verantwortung zu erkennen, wenn er bereit ist, ja zu sagen, zu dem, was ist und was war, wenn ein Mensch bereit ist, ganz zu sein, trotz seiner Unvollkommenheit, trotz seiner Fehler und Unzulänglichkeiten, dann können auch Gelähmte wieder gehen.“

Der Gelähmte - Mk 2,1-55

Als er einige Tage später nach Kafarnaum zurückkam, wurde bekannt, dass er (wieder) zu Hause war.

Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war; und er verkündete ihnen das Wort.

Da brachte man einen Gelähmten zu ihm; er wurde von vier Männern getragen. Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen (die Decke) durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab.

Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!

5 Aus „Über Lähmung und Erstarrung – von Flucht und Rettung“ in Textsammlung S. 48ff

Neuanfang

Günter erzählt

Ich heiße Günter und habe eine unheilbare Muskelerkrankung – aber das werdet ihr noch genauer erfahren. Denn ich möchte euch eine Geschichte erzählen – meine Geschichte.

Dazu muss ich allerdings etwas ausholen, hoffentlich habt ihr die Zeit – und hoffentlich hab ich sie, denn ich werde bald sterben. Meine Behinderung führt nämlich zum Tod – und zwar bald, wenigstens bei uns. Meine Brüder sind schon alle 1,80 Meter tiefer. Meine Schwestern nicht, denn die Krankheit wird nur an Jungs vererbt. Mädchen kriegen sie nicht und Männer erleben sie nicht – die sterben nämlich vorher.

Aber nun zu meiner Geschichte.

Ich gebe zu, ich gehe auf eine etwas gewöhnungsbedürftige Art mit meiner Krankheit um. Es ist nicht schön, aber für mich die einzige Art damit umzugehen … wenigstens, bis ich diesen Prediger mit meinem Elektrorollstuhl gerammt habe.

Er stand auf dem Marktplatz an meiner Stelle. Ausgerechnet an dem Platz vor der Mauer, wo ich immer meine Spenden einsammelte, stand er und redete. Eigentlich laberte er nur – so dachte ich wenigstens zuerst – über … weiß der Geier … ist auch egal.

Also, an meinem Stammplatz stand er, da, wo ich immer die Fremden um Geld anbettle (die Einheimischen kennen mich schon und machen einen Bogen um mich). Fragen sie, wofür ich sammle, sag ich: „Für einen Sarg aus Blei. Ich will nicht so schnell Blumendünger werden, wie meine Brüder.“ Manche sind dann so geschockt, dass sie gleich abhauen. Da macht’s dann keinen Spaß, da kann ich dann nur noch ein paar „nette“ Worte hinterher brüllen, von wegen alter Geizkragen und so. Aber wenn ein altes Mütterchen fast in Tränen ausbricht und den Geldbeutel zückt, wird’s echt scharf. Die mach ich dann richtig rund … von wegen freikaufen und sie sei wohl froh, dass ich noch vor ihr verrecke – aber sie sei ja auch bald dran – und so. Das ist dann eine echte Show. Denn keiner traut sich, was zu sagen, mir, dem armen Behinderten … aber sie sagen eh nichts … sie sprechen dann nur mit meinem Rollstuhl, meinen dünnen Beinen, mit meinem Korsett, das ich brauche, um mich aufrechtzuhalten.

Nein, mit mir sprechen sie nicht … ich existiere für die gar nicht. Und wenn einer mit mir spricht, dann wie mit einem Kind. Früher fand ich das normal … klar, wenn du zehn Jahre bist und man spricht mit dir wie mit einem Kind, ist es normal … aber ich bin 19 Jahre, und ich finds echt krass.

Einer fragte mich mal – nein, mein Korsett fragte er – ob ich in die Schule ginge … „Mann du Arschloch ich mach nächstes Jahr Abitur!“ Und was ich dann vorhabe? „Friedhofsgärtner, um mich an die Umgebung zu gewöhnen.“

Bei einer Frau, die nur mit meinem Rollstuhl gesprochen hat – sie konnte sich gar nicht losreißen … Mann die hat mich in zehn Minuten nicht einmal angeguckt – also, ich habe der Frau einfach auf die Titten geschaut – auch die ganze Zeit. Sie wurde schon ganz nervös und dann ärgerlich – klar hat sie‘s gemerkt, das war ja Sinn der Sache – und dann hat sie mich angeschnauzt, ich sei ein Ferkel, ein ungezogener Bengel und ob ich keine Kinderstube hätte … sie hat mich runtergeputzt wie ein kleines Kind. Ihr hättet mich sehn sollen: ich habe das alles über mich ergehen lassen … nur, um dann zu sagen, dass ich eben auch erstaunt bin, dass sie so anders sei als ich …

Eine andere Geschichte sind die Eintrittsgelder. Eintritt muss ich selten zahlen – ich zähle ja nicht – und wenn, dann für Kinder. Einmal musste ich den Behinderten-Eintritt zahlen – das war das erste Mal, ein richtig gutes Gefühl – Erwachsenen-Eintritt noch nie. Behinderte werden ja nicht erwachsen.

Aber ich bin vom Thema abgekommen.

Also, es war die Sache mit dem Prediger, den ich umgenietet habe. Wie üblich wollte ich meine Show abziehen, aber er ließ mich nicht. Er fing an, mit mir zu diskutieren – mit mir! Nicht mit dem Korsett, nicht mit dem Rollstuhl - und dass meine Arme und Beine seltsam dünn sind, schien er gar nicht zu bemerken, wenigstens interessierte es ihn nicht – er fing also an, mit mir rumzustreiten, zeigte seine Genehmigung und so. Dabei schaute er mich an und behandelte mich wie einen erwachsenen Menschen, der gerade Scheiß macht.

Also das hat mich damals ziemlich aus den Socken gehauen.

Und diesen Prediger sah ich wieder, als ich gerade mit meiner Engelsnummer unterwegs war.

Also, die Engelsnummer muss ich auch noch kurz erklären: Mein Zivi – der auch krass drauf ist – macht mir Engelsflügel ans Korsett und den Rest könnt ihr euch denken: von wegen Üben … bis nächstes Jahr muss ich’s können … ich bin ja bald dran …

Also, ich kam gerade von meiner Tour durch die Shoppingmeile - in die Kaufhäuser darf ich nicht rein, Rollstühle versperren den Fluchtweg … übrigens auch in Restaurants … aber am Kiosk krieg ich was und muss nichts zahlen, weil „der Junge ist so arm dran“ … ey Mann, ich könnt kotzen … ganz ohne Currywurst – also wie ich von meiner Tour zurückkomme, dann sah ich ihn wieder, den Prediger, und natürlich auf meinem Platz.

Bevor ich weiter erzähl … ich war im normalen Rollstuhl unterwegs, denn wir haben noch die Treppennummer gemacht: du stehst an der Treppe … es ist klar, du brauchst Hilfe … aber keiner hilft dir, alle schauen in die andere Richtung – sonst bin ich für die die große Attraktion und jetzt … bist du Gar nichts mehr … nicht mehr existent.

Also, ich sehe ihn dort an meinem Platz. Diesmal bist du fällig, denke ich. Wir fuhren von hinten ran und der Zivi hob mich auf das Podest … ich mit meinen Engelsflügeln, hinter dem Prediger. Ich find die Idee noch immer echt scharf. Und wie ich da so sitze und warte, was passiert … passiert nix … oder auf jeden Fall nicht das, was ich erwartete.

Der Prediger spricht weiter.

Ich hätte mit allem gerechnet – zumindest mit Unruhe und Empörung und einem „Du schon wieder“ – aber der Prediger dreht sich leicht, so dass er nicht nur zu den Leuten vor sich spricht, sondern auch zu mir.

Ey Mann … er spricht zu mir – nicht zum Rollstuhl oder zum Zivi – als wär’s das Normalste von der Welt, dass ein Rolli mit Engelsflügeln auf dem Podest steht.

Als er mir dann noch freundlich zunickte – als wären wir seit Lebzeiten enge Freunde – wusste ich, er hat gewonnen … den kriegst du nicht geknackt.

Worüber er sprach, weiß ich nicht mehr … wusste es eigentlich nie, denn ich habe ihm nicht zugehört … aber der Prediger hat mich gefesselt, seine Stimme, seine Art mich einzubeziehen in sein Gelaber, in dem er mich anschaute, als wolle er sagen „auch dich mein ich …“.

Irgendwann fragt mich der Zivi: „Sollen wir gehen, ich lupf dich runter …“ „Ja“, hab ich bloß gesagt und dann, „ich will ihm zuhören, lupf mich runter.“

Wie die Geschichte etwas später weitergeht

Sie hatten den kleinen Stadtpark nach wenigen Minuten erreicht.

„Wollen wir uns setzen“, fragte der Prediger. Günter war erstaunt darüber, wie er immer wieder – und zwar wirklich er – angesprochen und gefragt war, und er war verblüfft, was das in ihm bewirkte. Er fühlte sich freier und erwachsener. Tatsächlich benahm er sich auch so: wie ein junger Erwachsener, dessen Meinung gefragt war.

Sie setzten sich auf eine Bank, etwas abseits von einer Gruppe Punks – d.h. der Prediger setzte sich, nachdem er Günter so platziert hatte, dass sie gut sprechen konnten.

Zuerst schwiegen sie ein Weilchen, bis der Prediger sich vorstellte: „Ich heiße Josef Meier; ich fände es schön, wenn wir uns duzen könnten!?“

„OK“, sagte Günter, der etwas in Gedanken war. Zum Einen wäre er jetzt vermutlich bei den Punks gelandet und er wunderte sich, wie sehr sie ihn jetzt störten. Zum Anderen genoss er das ungewohnte „Sie“. Sonst wurde er von niemandem gesiezt. Manche sagte Güni, andere Spasti – obwohl er gar kein Spastiker war – aber Günter sagte eigentlich niemand und den Nachnamen hatte tatsächlich erst einmal eine Frau auf dem Amt benutzt. Aber die sah ihn gar nicht an, sondern starrte nur auf den Antrag. Als sie ihn dann im Rollstuhl sah, war sie sofort wieder beim „Du“.

„Ich heiße Günter“, sagte er und nahm die gebotene Hand.

Sie sprachen eine Weile über dieses und jenes, über die Vorträge Josefs (tatsächlich war er kein Prediger, sondern informierte über ein Produkt, das er entwickelt hatte und bekannt machen wollte) und über die Schule Günters.