Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung - Jürgen Meyer - E-Book

Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung E-Book

Jürgen Meyer

0,0

Beschreibung

Seit den Lehrplanreformen der frühen 2000er Jahre hat sich der Stellenwert von Literatur im Englischunterricht verändert: Die Vermittlung sprachlich-kommunikativer und handlungsorientierter Kompetenzen ging zulasten der literarischen Interpretation mit ihrem Bemühen um ein Verstehen der Vieldeutigkeit von literarischen Texten. Es zeigt sich, dass das Bemühen um lebensweltliche Bezüge zur Realität der Leser:innen nicht immer zu Umgangsweisen mit Texten führt, die der erfolgreichen Ausbildung von literarischer Kompetenz zuträglich sind. Diese Studie vergleicht Unterrichtsmodule aktueller Lehrwerke (Camden Town, Context, Green Line Oberstufe und Pathway Advanced) und legt an ihnen dar, wie Literatur wieder als Literatur betrachtet werden kann. Thematisch rücken neben Ausschnitten aus Shakespeares Werken vor allem Dystopien und Science Fiction des 20. und 21. Jahrhunderts in den Vordergrund.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 545

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jürgen Meyer

Fachdidaktik Englisch: Fokus Literaturvermittlung

Eine hermeneutische Analyse von Lehrwerken der gymnasialen Oberstufe

Digitaler Anhang abrufbar unter

 

© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 2367-3826

ISBN 978-3-8233-8519-6 (Print)

ISBN 978-3-8233-0335-0 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Ausgangspunkte1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“?1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata1.3 Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/curriculare Rahmungen1.4 Literaturdidaktische Problemfelder1.5 Ziele und Aufbau der Studie2 Vier Lehrwerke: Camden Town – Context – Green Line – Pathway Advanced2.1 Inhaltlich-struktureller Aufriss der Lehrwerke2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff2.2.1 Literaturorientierte Aufgabenformate2.2.2 Camden Town: Schulen der Zukunft – Zukunft der Schule?2.2.3 Context: Von Frankensteins Monster zum „Big Brother“2.2.4 Green Line: Mit Little Brother zum ECHO Boy2.2.5 Pathway Advanced: Menschenskinder2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie?2.3.1 Camden Town: Über die Sonette zum Schauspiel2.3.2 Context: Mit Shakespeare aus der Vergangenheit in die Gegenwart2.3.3 Green Line: Vom Dramatiker zur Film-Figur2.3.4 Pathway Advanced: Shakespeare als postmoderner Mythos3 Ergebnisse und Perspektiven3.1 Literaturbasierte Wissens- und Kompetenzvermittlung3.2 Ein bescheidener Vorschlag3.3 Mit der schulischen Text- / Medienkompetenz ins Literatur-Seminar4 Bibliographie

Vorwort

In dieser Studie plädiere ich dafür, dem diskursiven, reflektierten Umgang mit Literatur einen neuen Ort im Fremdsprachenunterricht der Schule im Fach Englisch einzuräumen. Dies geschieht keineswegs, um die bewährte Kombination von affektiven und kognitiven Zugängen vollständig zu beseitigen oder die Arbeit mit neuen, digitalen Medien aus dem Unterricht auszuschließen; gleichwohl soll bewirkt werden, eine bessere Anschlussfähigkeit zwischen schulisch vermittelter literarischer Kompetenz und akademischen Methoden der Texterschließung herzustellen. Damit soll ein weniger starker Bruch zwischen Sekundar- und Tertiärbildung, zwischen dem schulischen Fremdsprachenunterricht Englisch und den Bereichen Literaturwissenschaft/Literaturdidaktik im Fach Anglistik ermöglicht werden.

Es wird hier darum gehen, vor allem zwei per se literaturaffinen Themen in Englisch-Lehrwerken für die gymnasiale Oberstufe besondere Geltung als Literatur zu verschaffen und an ihnen die spezifische Wirkung sprachlicher Kunstwerke erarbeiten zu lassen: „Science, Technology“ (inkl. Utopie und Dystopie) sowie „Shakespeare“. Mit diesen Unterrichtsthemen können zeitgenössische und klassische literarische Texte als ästhetische, historische und formale Diskursformationen zu Wort kommen und so zur Geltung gebracht werden, dass sie nach dem Übergang in die akademische Lernumgebung produktiv genutzt werden können. In anderen thematischen Zusammenhängen mit einem höheren Lebensweltbezug, wie z.B. in „Individual and Society“, „Identity“, „Media“ und „Globalization“, erscheint demgegenüber ein höherer Grad von didaktischer Plausibilität gegeben, wenn die Schüler:innen in ihrem Dialog mit literarischen Texten vermehrt auch eigene imaginäre Spielräume konstruieren.

Die Studie richtet sich an fortgeschrittene Studierende in den Lehramtsstudiengängen ebenso wie an Referendar:innen und (Hochschul-) Lehrer:innen. Die folgenden kurzen Hinweise mögen als Orientierung für die verschiedene Adressatengruppen dienen. Kapitel 1 und 3 richten sich vor allem an diejenigen Gruppen, die in die gymnasiale Lehramtsausbildung involviert sind: Angesprochen sind hier insbesondere anglistische und amerikanistische Literaturwissenschaftler und Literaturdidaktiker – ersteren sollen zum einen Hinweise gegeben werden, die ihnen bestimmte Dynamiken im gegenwärtigen Lehrbetrieb vieler Seminarveranstaltungen besser zu verstehen helfen; zum anderen soll ihnen hier ein Überblick darüber gegeben werden, mit welchen methodischen Verfahren im Oberstufenunterricht die englischsprachigen Literaturen an die zukünftigen Studierenden vermittelt werden. Die fachdidaktischen Kolleg:innen wiederum sind eingeladen, aus empirischer Sicht die hier beschriebenen Symptome in den schulischen Kursen zu evaluieren, sowie ggf. die Ursachen für die Krise im Umgang mit Literatur schärfer zu erfassen.

Die zentrale, vergleichende Lehrwerkanalyse (Kapitel 2) adressiert v.a. gymnasiale Lehrkräfte, die konstruktive Anregungen für den kritischen Einsatz der hier fokussierten Inhalte ‚ihrer‘ schulischen Lehrwerke suchen, wie auch Studierende mit praktischer Lehrerfahrung und Referendar:innen, die dies gerade erlernen. Sie sollen erkennen, dass sie die in Lehrwerken angebotenen Materialien für den Unterricht immer wieder analysieren, beurteilen und verändern bzw. anpassen müssen. Diese Zielgruppen finden jenseits der hier vorgestellten thematisch-methodisch fokussierten Darlegungen in einem digitalen Anhang zu diesem Buch Unterrichtsmaterialien mit Textpassagen, die den Lehrwerkstexten als (ihrerseits editierbare und also modifzierbare) Ergänzung zugeordnet sind. Das Ziel dieser Materialien ist es, die textnahe Unterrichtsarbeit mit dem jeweiligen literarischen Werk zu intensivieren. Die Anlage dieses digitalen Anhangs ist so gestaltet, dass ein dynamischer Vorrat an lehrwerksgebundenen Materialien geschaffen wird, der über die Verlags-Website abgerufen werden kann (www.meta.narr.de/9783823385196/digitaler_Anhang.zip).

 

***

Entstanden ist die Idee zu dieser Studie in den Jahren meiner universitären Lehrtätigkeiten als Literaturwissenschaftler. Gestalt angenommen hat sie dann während meiner Professurvertretungen der Englischen Fachdidaktik an den Universitäten Paderborn (2014-16), Bielefeld (2016-19) und Vechta (2019/20). In dieser Zeit konnte ich mich, aus dem Arbeitsgebiet der Englischen Literatur- und Kulturwissenschaft kommend, kontinuierlich und systematisch mit den Inhalten der Englischen Literaturdidaktik auseinandersetzen.

Dem Reihen-Herausgeber, Prof. Dr. Engelbert Thaler (Universität Augsburg), danke ich vielmals für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe Studies in English Language Teaching. Prof. Dr. Michael Meyer (Universität Koblenz-Landau) war der erste Leser des Manuskripts und lieferte mir mit seinem kritisch-konstruktiven Feedback eine Fülle von wertvollen und sachdienlichen Hinweisen – ein herzlicher Dank geht auch an ihn. Frau Kathrin Heyng und besonders Frau Tina Kaiser vom Verlag Narr Francke Attempto waren für mich in der Phase der Druckeinrichtung stets erreichbare Ansprechpartnerinnen; sie trugen wesentlich dazu bei, dass der Band eine ansehnliche Form erhalten hat. Selbstredend gehen alle verbliebenen Fehler und Unzulänglichkeiten zulasten des Autors.

Meine innigste Dankbarkeit gilt meiner Familie: Tess und Laura. Sie haben den langwierigen und anhaltenden Prozess der fachlichen und persönlichen Horizonterweiterung mit manchen Ermahnungen, vielen Ermunterungen und unzähligen Ermutigungen geduldig begleitet und mir alle erdenkliche Unterstützung zukommen lassen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.

 

Sennewitz, im Sommer 2021    Jürgen Meyer

1Ausgangspunkte

1.2Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata

Vor der eigentlichen Betrachtung der hier zu untersuchenden Englisch-Lehrwerke in Kapitel 2 richtet sich im Zuge dieses Einführungskapitels die Aufmerksamkeit in Abschn. 1.2 auf die wichtigsten Aspekte der Lehrwerkforschung und in Abschn. 1.3 auf wichtige Impulsgeber für curriculare Orientierungsraster. Abschn. 1.4 schließt mit den praxeologischen Konsequenzen an, die den Literaturunterricht seit der Implementierung dieser Orientierungsraster geprägt haben. Hier sind zentrale Konzepte zu erläutern, die für die Analysen in Kapitel 2 von zentraler Bedeutung sind. Abschn. 1.5 liefert abschließend einen inhaltlichen Aufriss der Studie.

Ansätze. Auf einer grundlegenden Theorie des (fremdsprachlichen) Lehrwerks basiert diese Studie mit ihrem Fokus auf der Vermittlung von Literaturkompetenzen nicht (als Teilmenge der curricular definierten Text- / Medienkompetenzen); nicht zuletzt auch in Ermangelung einer solchen, wie Lies Sercu in ihrem Beitrag zur Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning formuliert: „there is no universally recognized theory of the textbook“ (Sercu 2004: 626). Sie begründet diesen Sachverhalt u.a. damit, dass über den Umgang der Lehrkräfte mit dem Lehrbuch im Klassenzimmer zu wenig bekannt sei, ebenso wie zur Effizienz der Arbeit mit Lehrwerken, und dass die Einflüsse auf die Konzeption und Gestaltung von Lehrwerken zu vieldimensional seien, als dass sie zu einer solchen führen könnten.

Gleichwohl lohnt sich zunächst ein kurzer Blick auf die methodischen Ansätze der Lehrwerkforschung. Diese erscheint aus fachdidaktischem Blickwinkel (nicht nur mit Sicht auf den Fremdsprachenunterricht Englisch) trotz neuer Impulse aus dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als ein weitgehend vernachlässigtes Feld. So bilanziert die Anglistin Daniela Elsner noch 2016: „Trotz ihrer Rolle sind Lehrwerke und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht nur wenig erforscht“ (Elsner 2016: 443).1 Jedoch ist nicht zu übersehen, dass gerade aus der Anglistik schon früh wichtige Impulse für die aktuelle Lehrwerkkritik kamen. Denn für den deutschsprachigen Raum reichen die Wurzeln der Erforschung des fremdsprachlichen Englischunterrichts mehr als fünf Jahrzehnte zurück (Sauer 1964, Heuer 1973, Bung 1977, Neuner 1979). Die erste Generation von empirischen Studien entstand in der „doppelten Umbruchsituation des Unterrichts in den 1970er Jahren mit der Einführung der kommunikativen Didaktik und der Gesamtschule“ (Funk 2019: 364), aber aus heutiger Sicht sind sie aufgrund stark veränderter institutioneller, curricularer und methodischer Rahmenbedingungen kaum mehr jenseits historischer Einordnungen aussagekräftig. Die Systematische Lehrwerkanalyse (Bung 1977) kann aus heutiger Sicht als Initialzündung für empirische Untersuchungsverfahren in der englischen Fachdidaktik gewürdigt werden, ebenso wie die Aufsatzsammlung Zur Analyse fremdsprachlicher Lehrwerke (Neuner 1979).

Diese älteren Studien weisen die Gemeinsamkeit auf, die Vorzüge des seinerzeit innovativen kommunikativen Ansatzes (Communicative Language Teaching) innerhalb der Fremdsprachendidaktik gegenüber dem bis dahin praktizierten audiolingualen Lehransatz herauszustellen. Damals mussten Lehrwerkgestalter also eher auf sich verändernde didaktische Vermittlungsmethoden und reformierte Lern- / Lehrmodelle reagieren, die jedoch in großen zeitlichen Abständen aufeinander folgten: zunächst der Wechsel von der behavioristisch grundierten audiolingualen Lehrmethode zu konstruktivistisch orientierten kommunikativen Ansätzen, die sich in den folgenden Jahrzehnten immer weiter in Richtung handlungsorientierter, aufgaben-basierter, kooperativer Lernmethoden ausdifferenzierten.

Brian Tomlinson setzt eine ernsthafte akademische Auseinandersetzung und die Erschließung von Lehrwerken im internationalen Rahmen, von einigen wenigen Vorläufern abgesehen, überhaupt erst für den Zeitraum seit Mitte der 1990er Jahren an (vgl. Tomlinson 2012/13: 343), und Dietmar Rösler ergänzt das Bild mit der Behauptung, „dass die Rezeptionsanalyse, die Lerner- oder Lehrerverhalten beim Umgang mit Lehrwerken oder Teilen von Lehrwerken wie Übungen und Aufgaben oder Textformaten analysiert, recht unterentwickelt ist.“ (Rösler 2016: 474). Wolfgang Gehring wiederum weist auf die befremdliche, aber nach wie vor gültige Tatsache hin, dass Lehrwerke in wissenschaftlichen, selbst fachdidaktischen Zeitschriften nicht einmal rezensiert werden (vgl. Gehring 2012/13: 357);2 eine Haltung, die keineswegs immer bestanden hat. So erinnert Christiane Lehmann daran, dass „zur Zeit der Neusprachlichen Reformbewegung regelmäßig Lehrbuchrezensionen verfasst [wurden]“ (Lehmann 2010: 32), allerdings nur bis in die 1950er Jahre. Ein Grund für diese Zurückhaltung einer kritischen Rezeption innerhalb der academic community mag darin liegen, dass Lehrwerke für lange Zeit einen komplexen, mehrstufigen Genehmigungsprozess in den zuständigen Landesbildungs-Ministerien durchlaufen mussten, ehe sie zum Druck freigegeben wurden: „Für die Schulen und die Bildungsverlage ist die kultusministerielle Zulassung ein Gütesiegel.“ (Jürgens 2010: 229; vgl. dazu Fey 2016). Erst im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts rückten die ministeriellen Genehmigungsverfahren wieder in den Hintergrund, teilweise unter einem kompletten Verzicht auf die Begutachtung (vgl. Stöber 2010, Wendt 2010).

Mit Jürgen Kurtz lässt sich festhalten, dass mittlerweile aktuelle und jüngere Lehrwerksgenerationen weniger aus spezifisch methodisch-didaktischer Sicht überarbeitet werden müssen, sondern eher aufgrund umfassender, „zeitlich versetzte[r] ‚Materialisierungen‘ gesellschafts-, bildungs- und sprachenpolitischer, pädagogischer, fachdidaktischer und fachwissenschaftlicher, medientechnologischer und medienpädagogischer, kommerzieller (u.a.m.) Überlegungen“ (2011: 5). In diesem Zusammenhang ist zunächst die Einführung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) / Common European Framework of Reference for Languages (im Folgenden in der englischen Fassung als CEFR zitiert) zu nennen, der im Jahr 2001 von der europäischen Union verabschiedet wurde. Weitere Impulse erfolgten durch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland 2009 ratifiziert wurde, und die KMK Strategie Bildung in der digitalen Welt (2016), die zusammen mit dem „DigitalPakt.Schule 2019-2024“ (2019) zum gegenwärtig stattfindenden Generationswechsel im Angebot der Bildungsverlage seit 2020 führten. Entsprechend sind die hier untersuchten Lehrwerke mit ihren Erscheinungsjahren zwischen 2015 und 2019 durch einen erhöhten Grad an Kompetenzorientierung und Inklusivität geprägt, so dass ein breiteres Differenzierungsangebot gegenüber früheren Ausgaben zur Verfügung steht; hinzu kommt ein höheres Gewicht auf dem verstärkten Einsatz von kooperativen Lernformen. Der Einsatz digitaler Medien mit den Möglichkeiten einer stärkeren Individualisierung des Unterrichts ist jedoch gegenüber den aktuellen Produktlinien stark reduziert. Folglich lässt sich bezüglich der „Halbwertzeit“ von Lehrwerken im Zeitalter der Digitalisierung konstatieren, dass diese sehr viel schneller veralten, als dies für solche der 1960er bis in die 1990er Jahren galt (Funk 2016: 440, nennt einen Zeitraum von nur mehr „3-5 Jahre[n]“ bei Verlagsinvestitionen von sechsstelligen Beträgen; vgl. dazu auch Thaler 2011: 23). Entsprechend beträgt die Dauer, für die eine Schulbuchzulassung gilt, ca. sechs Jahre (vgl. Stöber 2010: 6); sie wird i.d.R. bei der zumeist jahrgangsweise fortschreitenden Einführung neuerer, überarbeiteter Lehrwerksausgaben verlängert, bis diese vollständig vorliegt.

Ein maßgeblicher Anteil der Lehrwerkkritik fand lange Zeit, institutionell betrachtet, parallel zu den universitären Fakultäten statt; sie wurde auf administrative, d.h. bildungspolitische bzw. curriculare Ebenen verschoben. Mittlerweile aber erschiene es insbesondere seitens der Fachdidaktiken geradezu fahrlässig, auf eine intensivere inhaltliche kritische Reflexion der Lehrwerke zu verzichten, da in vielen Fällen ein ministerielles „Gütesiegel“ fehlt und eben keine maximale „Verlässlichkeit“ im Hinblick auf die „fachwissenschaftliche[-] und didaktische[-] Anordnung“ der Inhalte per se gewährleistet ist (Anton 2017: 13; vgl. dazu auch die Ausführungen zum Kriterium der „Korrektheit und Aktualität der Information“ in Lehrmaterialien bei Volkmann 2010: 238). Die Qualitätskontrolle von Lehrwerken rückt somit wieder vermehrt in den Verantwortungsbereich der jeweiligen Fachdidaktik, obgleich in den seltensten Fällen alle Unterrichtsfelder eines Faches analysiert werden. Anders als ein proaktives ministerielles Zulassungsverfahren weist die akademische Lehrwerkanalyse naturgemäß stets eine zeitliche Verzögerung von etlichen Jahren zwischen dem Erscheinen der Untersuchungsgegenstände, ihrem flächendeckenden Einsatz im Unterrichtsgeschehen und der Veröffentlichung der Kritik auf: Die Vertreter:innen dieses Forschungsfeldes unterliegen einer anderen Form des Zeitdrucks als die Redaktionen in Schulbuchverlagen, die innerhalb kurzer Zeit ihre Lehrwerke den veränderlichen curricularen und amtlichen Vorgaben anpassen und zugleich marktorientiert verfahren müssen. Dies betont auch Rösler: „Der mit der Produktion einhergehende Zeitdruck und das Interesse daran, ein entwickeltes Lehrwerk auch an die Lernenden zu bringen, sind Gegenkräfte zu einer ausführlichen Erprobung“ (Rösler 2016: 473): zu nennen sind hier eine intensive interdisziplinäre (lerntheoretisch, lernpsychologisch, fachdidaktisch und fachwissenschaftlich) kompetente Betreuung durch das jeweilige Autoren- und Redaktionsteam. Es sei allerdings nicht bestritten, dass ein Lehrbuch trotz einzelner inhaltlicher Schwächen im Unterricht eine Vielzahl „an fachlichen, didaktischen und methodischen Anregungen“ liefert, die „generell den Unterricht nur verbessern“ (Sandfuchs 2010: 23), statt ihn zu behindern. So betrachtet, sind die jüngeren Forschungsansätze, die sich der kritischen Lehrwerkanalyse zuwenden, als Kontrollinstrumentarien zu begrüßen, zumal zu einer Fundamentalkritik bzw. einer in den 1990er Jahren verbreiteten Verzichtshaltung gegenüber dem Lehrwerk an sich ebenso wenig Anlass besteht (siehe aber, aus konstruktivistischer Sicht, Wolff 2001, sowie Freudenstein 2001) wie einer radikalen Ablehnung gegenüber analytischen Textaufgaben (vgl. dazu die Diskussion in Lauber 2004).

Aktuelle Tendenzen. Insgesamt lässt sich sehr wohl feststellen, dass die Lehrwerkforschung neuerlich eine gewisse Dynamik entwickelt hat. Vor dem Hintergrund der Studien aus den letzten zwei Jahrzehnten ergibt sich folgendes Bild: Mit Blick auf den Stellenwert des Lehrwerks für den Unterricht besteht weitestgehend Konsens darüber, dass zumindest in der Primar- und Sekundarstufe I Lehrwerke eine weite Verbreitung erreichen und insgesamt ein recht hohes Ansehen genießen; lediglich Grimm/Meyer/Volkmann äußern sich reserviert und weisen darauf hin, dass auf eine gute Durchmischung von allgemeinen lehrwerks- und lerngruppenspezifischen Zusatzmaterialen zu achten sei, da ansonsten die Gefahr durch wenig authentische Unterrichtsgegenstände sowie durch stereotypisierende Themenzuschnitte entstehe, die zudem für die Lernenden oft uninteressant sind und wenig Kreativität zuließen. Im gleichen Maße würden die Lehrenden ‚entlehrt‘, oder „deskilled“ (Grimm/Meyer/Volkmann 2015: 250), da ihnen mit den entsprechenden Lehrerhandreichungen alle methodischen Schritte vorgeschrieben würden. Daher mag Kurtz’ Regel nach wie vor Gültigkeit zugeschrieben werden: „Optimale Lehrwerkverwendung bedeutet nicht maximale Lehrwerkbindung.“ (Kurtz 2001: 43) In der Regel aber vereinen die jüngsten Lehrwerksgenerationen verschiedene Vorzüge, die eine Lehrkraft in mehrfacher Hinsicht unterstützen (können):

The new generation of textbooks offer [sic] a variety of different text forms and activities that aim at the integrated practice of language skills […]. They follow the common principles of EFL teaching and learning by incorporating meaningful communicative tasks, catering to different learner styles and offering manifold activities for language practice. Modern textbooks for the secondary classroom embed grammar and vocabulary practice in meaningful contexts and they illustrate and explain the value of learning strategies and techniques, supporting learners in their individual learning processes. With this, textbooks are valuable timesavers in terms of teachers’ preparation times and they offer a secure learning progression that is transparent to students, teachers and parents alike. Given the fact that there is hardly a textbook anymore that does not come with a language learning software for the computer and CDs with texts and songs spoken / sung by native speakers, textbooks are also an effective resource for self-directed learning. (Elsner 2018: 30; Herv.i.Orig.)

Gleichwohl gibt es gewisse Vorbehalte gegenüber dem Lehrwerk-Einsatz auf dem Niveau der Sekundarstufe II: „As teachers are more or less free to choose how they want to approach the topics and texts set by curricular guidelines, the use of classical textbooks is not very popular at secondary II level.” (Elsner 2018: 33) Eine entwicklungspsychologische und fremdsprachenerwerbs-typische Lernprogression ist hier nämlich gegenüber der Gestaltung von Lehrwerken für die Sekundarstufe I nicht mehr zu erwarten. Da die eigentliche Spracherwerbsphase zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen gilt, werden grammatische Phänomene nicht von Grund auf erarbeitet, sondern zumeist situativ und wiederholend angewendet bzw. vertieft; in den thematischen Modulen werden zudem immer wieder grammatische Strukturen in Gestalt eines „focus on form / language“ eingefügt. Auch sind zu diesem Zeitpunkt verschiedene Lesetechniken mit jeweils eigenen Funktionen thematisiert worden, so dass die vielfältigen Skill Files einer weiteren Automatisierung und Autonomisierung des fremdsprachlichen Lernens und Arbeitens dienen – als (inter-)subjektiver Akt der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung, als kognitive Methode der Bedeutungskonstruktion.

Somit erscheint es aus fachdidaktischer Sicht insbesondere seit Einführung erstens der inhaltlich offen gestalteten, kompetenzorientierten Bildungsstandards, zweitens der landesspezifischen Kerncurricula für die Sekundarstufe II und drittens angesichts zunehmender Zentralisierung der Abiturprüfungen mittlerweile durchaus naheliegend, dass Lehrwerke im Sinne einer weitgehenden Wissensstandardisierung und Vergleichbarkeit das Rückgrat des Fremdsprachenunterrichts im modernen Klassenzimmer bilden sollten, auf das sich sinnvollerweise auch die schulinternen didaktischen Jahreslehrpläne stützen.

Eine Mehrzahl der aktuellen lehrwerkanalytischen und / oder -kritischen Studien aus der Zeit nach 2001 (namentlich Anton 2017, Vali 2015 und Hammer 2012) wendet sich Untersuchungsgegenständen für das Fach Englisch zu, die mittlerweile zur (vor-)vorletzten Generation der Lehr- und Lernmaterialien zu rechnen sind, d.h. die zwar die im CEFR von 2001 vorgesehene Kompetenzorientierung i.d.R. schon erfasst haben, aber noch nicht die seit 2014 erschienenen Lehrwerksreihen untersuchen. Fünf neuere Monographien richten dabei die Aufmerksamkeit auf die Anlage und Entwicklung interkultureller (kommunikativer) Kompetenzen im Englisch-Unterricht der Primar- (Staab-Schultes 2010, Vollmuth 2004; Brunsmeier 2016; Kirchhoff 2019a) bzw. der Sekundarstufe I (Hammer 2012, Lehmann 2010, Merkl 2002)3; zudem gibt es nur wenige Studien mit einem Fokus auf der Sekundarstufe II: neben Renges (2005) und Eick (2020) sind für dieses Bildungsniveau erneut die Arbeiten von Anton (2017) und Vali (2015) sowie Freitag-Hild (2010) zu nennen. Diese Studien sind ausnahmslos der Vermittlung allgemeiner (ziel- oder inter-) kultureller (kommunikativer) Kompetenzen gewidmet.4

Desiderata. Demgegenüber besteht noch immer eine empirische Forschungslücke bezüglich des schulischen Umgangs mit literarischen Inhalten, die Volkmann auf den „erheblichen argumentativen Legitimationsdruck“ zurückführt, dem die „Literatur im kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterricht“ ausgesetzt ist (Volkmann 2017: 210; vgl. Kirchhoff 2019b: 219). So gibt es zwar eine Fülle von Unterrichtsbeispielen über die Vermittlung von interkulturellen (kommunikativen) Kompetenzen anhand literarischer Texte, doch stehen diese i.d.R. lehrbuchunabhängigen Unterrichtsprojekte in ihrer bei weitem überwiegenden Mehrzahl mit Texten und -materialien parallel zu den Inhalten von Lehrbüchern mit ihren eigenen thematischen Schwerpunktsetzungen (vgl. z.B. Delanoy/Eisenmann/Matz 2015, die Beiträge in Teil II von Hallet/Surkamp/Krämer 2015; Teil III in Surkamp/Nünning 2010; Hallet/Nünning 2009; oder in Teil IV von Bredella/Burwitz-Melzer 2004). Es bleiben die Arbeiten von Britta Freitag-Hild (2010) und Ann Kimes-Link (2013) zu erwähnen, die beide aus empirischer Sicht die Literaturaufgaben im fremdsprachlichen Unterricht untersuchen. Während Freitag-Hild ihre Aufgabentypologie speziell für den Literaturunterricht unter interkulturellen Vorzeichen entwickelt, setzt Kimes-Link den Akzent auf die Erarbeitung u.a. von umfangreicheren Ganztexten wie Shakespeares Romeo and Juliet, Carol Matas’ Cloning Miranda und Joyce Carol Oates’ Big Mouth Ugly Girl. Beide Arbeiten lassen die Entwicklung literarischer Kompetenzen im Medium der Lehrwerke unberücksichtigt.

Die vorliegende Betrachtung mit ihrem Schwerpunkt auf der Literaturvermittlung über Englisch-Lehrwerke für die Qualifikationsphase an der gymnasialen Oberstufe und somit an der Schwelle zum tertiären Bildungssektor dringt folglich in ein weitgehend unbekanntes bzw. fremd gewordenes Territorium innerhalb des Gebietes der anglistischen Lehrwerkforschung vor. Sie erweitert den aktuellen Schwerpunkt der Lehrwerkforschung, der sich auf die Vermittlung interkultureller kommunikativer Kompetenzen konzentriert, um die bislang unzulänglich betrachtete Inhaltsebene: was wird den Schüler:innen wie angeboten bzw. was fordert man von ihnen auf welche Weise ein? In diesem Sinne erinnert Weskamp emphatisch daran, „dass Literaturunterricht nicht nur ‚Unterricht‘ ist, der mit den Methoden der empirischen Forschung beschreibbar ist, sondern dass es auch um Literatur geht, die hermeneutisch betrachtet werden muss.“ (Weskamp 2019: 133) Dazu gehört nicht zuletzt, wie Carola Surkamp eine zentrale „Aufgabe des Literaturunterrichts“ formuliert, dass den „Lernenden Einblicke in die Wirkungs- und Funktionsweisen textueller Strategien zu vermitteln“ seien (Surkamp 2019a: 141). Dementsprechend argumentiert die vorliegende Studie für eine moderate, themenbezogene Re-Philologisierung des gymnasialen Literaturunterrichts und damit für eine intensivierte Betrachtung der Literatur als Literatur.

1.3Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/curriculare Rahmungen

Nach dem Forschungsüberblick zur Lehrwerkkritik ist nun zum einen darzulegen, in welcher Hinsicht bildungspolitische Rahmenwerke und Standardformulierungen den praktischen Literaturunterricht beeinflusst haben. Zum anderen werden drei aktuelle Beispiele von Systematisierungen literarischer Kompetenz angeführt, die in kritischer Distanz zu sprachlich-kommunikativen Standard-Setzungen stehen und diese als Korrektive zu optimieren suchen.

Für die verschiedenen Kompetenzbereiche gibt es Beschreibungskriterien, die von supranationalen Curricula bis zu schuleigenen Jahreslehrplänen eine Standardisierung der Leistungen leisten sollen. Die Akzentuierung des aktuellen Literatur-Unterrichts an der gymnasialen Oberstufe, wie sie von den jeweils landeseigenen Kernlehrplänen auf der Basis des CEFR 2001 vorgegeben wurde, hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten zur Folge, dass ästhetische Texte nur mehr äquivalent zu referentiellen Gebrauchstexten – oder im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen – gelesen werden: „literature is treated in the same way as a factual text“ (Fenner 2012/13: 379; vgl. Steininger 2014: 46-47). Das bedeutet nicht nur, dass das Verständnis für den fiktionalen, ästhetischen Charakter eines literarischen Textes unterentwickelt bleibt. Es bedeutet darüber hinaus, dass mit dem überhöhten Anspruch auf den fachdidaktisch vielstimmigen Begriff „Authentizität“ (vgl. dazu Abschn. 1.4) im Umgang mit solchen hyperkodierten Texten den Lernenden unter Umständen die grundsätzliche Kompetenz abhanden geht, zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen Realität und Realismus, zu unterscheiden – eine verheerende (und womöglich durch derlei curriculare Ansprüche ungewollt begünstigte) Dynamik gerade in einem postfaktischen Zeitalter. Daher ist zunächst der Blick auf die curricularen Taktgeber zu richten, die den ‚traditionellen‘ Literatur-Unterricht stark beeinflusst und verändert haben.

Seit Einführung des CEFR im Jahr 2001 war dem fremdsprachlichen Literaturunterricht an deutschen Schulen das Dilemma zwischen kommunikativer Kompetenz und Wissenschaftspropädeutik eingeschrieben. Dieses wurde schon bald nach dessen Einführung von Literaturdidaktiker:innen erkannt und moniert: Hingewiesen wurde dabei auf den marginalisierten Stellenwert von fremdsprachlicher Literatur in einem eher kommunikativ-pragmatisch gewendeten, berufsvorbereitenden Unterricht, der dem Anspruch auf die wissenschaftspropädeutisch ausgerichtete Kursstufe konträr entgegenstehe (vgl. dazu auch Freese 2009: 13). Dieses Dilemma und die damit einhergehende Abwertung der textnahen Erarbeitung von Literatur wurde als „unproduktiver deadlock“ (Surkamp 2012: 79) beschrieben, und Eva Burwitz-Melzer stellte fest:

Der Sinn eines Textes, der sich durch seine Analyse und seine Interpretation erschließt, hat [für die Formulierung von Deskriptoren im CEFR, JM] auf den Kompetenzstufen A1 bis C1 noch keine Rolle gespielt. Es kann aber nicht angehen, dass zentrale Kompetenzen wie ‚den Textsinn erschließen‘ erst in der letzten Niveaustufe eingeführt werden, wenn zuvor nicht einmal Vorstufen oder vorbereitende Leistungen auf niedrigeren Niveaustufen erwähnt worden sind. (Burwitz-Melzer 2007: 129; Herv.i.Orig.)1

„Wissenschaftspropädeutik“? An dieser Stelle ist es sinnvoll, einen kurzen Blick in die aktuellste Fassung der „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung“ seitens der Kultusminister-Konferenz (KMK) zu werfen. Dort wird man feststellen, dass gegenüber berufsvorbereitenden kommunikativen Kompetenzen folgende Kriterien als privilegiert hervorgehoben sind: „vertiefte Allgemeinbildung, allgemeine Studierfähigkeit sowie wissenschaftspropädeutische Bildung“, in deren Verlauf insbesondere der Unterricht der Qualifikationsphase „exemplarisch in wissenschaftliche Fragestellungen, Kategorien und Methoden“ einführt (KMK 2018: 5). Die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch / Französisch) für die Abiturprüfung präzisieren den Ausdruck wie folgt:

Im Unterricht in der gymnasialen Oberstufe geht es darüber hinaus um die Beherrschung eines fachlichen Grundlagenwissens als Voraussetzung für das Erschließen von Zusammenhängen zwischen Wissensbereichen, von Arbeitsweisen zur systematischen Beschaffung, Strukturierung und Nutzung von Informationen und Materialien, um Lernstrategien, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie Team- und Kommunikationsfähigkeit unterstützen. (KMK 2012: 5)

Diese grundlegenden Aspekte werden auf der anschließenden, tertiären Bildungsstufe laut dem revidierten Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse von 2017, in deutlicher „Differenzierung zu den Bildungsaufträgen anderer Bildungsbereiche, insbesondere der beruflichen Bildung“ (Bartosch et al. 2017: 4) schon auf dem ersten akademischen Level (Bachelor-Ebene) „wesentlich“ ausgeweitet und in ein „kritisches Verständnis der wichtigsten Theorien, Prinzipien und Methoden“ überführt, ehe auf Master-Ebene die „Besonderheiten, Grenzen, Terminologien und Lehrmeinungen […] zu definieren und zu interpretieren“ sind (KMK 2017: 7-8).

Die deutlich anti-ästhetische, utilitaristische Einstellung des ursprünglichen CEFR lässt, in Vorwegnahme der folgenden Kritik, das vage Bekenntnis zur Bedeutung von nationalen Literaturen im Unterricht in ihrer Funktion als ‚kulturelles Erbe‘ als Lippenbekenntnis („lip service“, Grimm/Meyer/Volkmann 2015: 176) erscheinen.2 Folgender Abschnitt des Referenzrahmens, „Aesthetic uses of language“, war für viele literaturdidaktische Urteile über den CEFR wesentlicher Stein des Anstoßes:3

Imaginative and artistic uses of language are important both educationally and in their own right. Aesthetic activities may be productive, receptive, interactive or mediating […], and may be oral or written. They include such activities as:

singing (nursery rhymes, folk songs, pop songs, etc.)

retelling and rewriting stories, etc.

listening to, reading, writing and speaking imaginative texts (stories, rhymes, etc.) including audio-visual texts, cartoons, picture stories, etc.

performing scripted or unscripted plays, etc.

the production, reception and performance of literary texts, e.g.: reading and writing texts (short stories, novels, poetry, etc.) and performing and watching/listening to recitals, drama, opera, etc.

This summary treatment of what has traditionally been a major, often dominant, aspect of modern language studies in upper secondary and higher education may appear dismissive.

It is not intended to be so. National and regional literatures make a major contribution to the European cultural heritage, which the Council of Europe sees as ‘a valuable common resource to be protected and developed’. Literary studies serve many more educational purposes – intellectual, moral and emotional, linguistic and cultural – than the purely aesthetic. It is much to be hoped that teachers of literature at all levels may find many sections of the Framework relevant to their concerns and useful in making their aims and methods more transparent.

Users of the Framework may wish to consider and where appropriate state:

which ludic and aesthetic uses of language the learner will need/be equipped/be required to make.

(CEFR 2001: 56, Herv.i.Orig.)

Es wurden seit 2001 verschiedene Versuche unternommen, die Literaturkompetenzen angemessener zu evaluieren und – falls überhaupt möglich – zu standardisieren. Lothar Bredella hat dies für die Englischdidaktik in einem ausführlichen Beitrag versucht, in dem er verschiedene (entwicklungspsychologische) Stadien als Leser:in, die ein/e Heranwachsende/r zwischen Grundschulalter und fortgeschrittener Adoleszenz durchläuft, beschreibt. Er postuliert dabei eine Sukzession von mehreren Stufen, ausgehend vom „mythische[n] Verstehen“ im Kleinkindalter über ein identifikatorisches „romantisches Verstehen“, gefolgt von einem distanzierten, beobachtend-kritischen Zugang zur Literatur bis hin zum „philosophischen Verstehen“ bei jungen Erwachsenen, das eine ironisch-subversive Lesart von literarischen Texten ermöglicht (vgl. Bredella 2004: 81-138). Burwitz-Melzer (2007) macht in ihrer Kritik an den supranationalen und bundesweiten Referenzwerken einen Vorschlag zur Formulierung von schulischen Lesekompetenzen in einem modellhaften Entwurf für die Jahrgangsstufen 12/13. Dabei unterscheidet sie, im Gegensatz zu den „nicht begründeten und schwammig formulierten“ Kriterien der drei Anforderungsbereiche (im folgenden: AFB) Comprehension / Analysis / Activities für gymnasiale Aufgabenstellungen, wie sie seit Herausgabe der Einheitlichen Prüfungsanforderungen (KMK 2003) auch für die neueren Bildungsstandards verbindlich sind (KMK 2012), fünf unterschiedliche Kompetenzbereiche. Diese lassen sich psycholinguistisch begründen bzw. der Lernprogression und Lesesozialisation folgend organisieren: Es handelt sich um motivationale, kognitive, interkulturelle Kompetenzen sowie solche der Anschlusskommunikation und Reflexion (vgl. Burwitz-Melzer 2007: bes. 139-143). Letztere führen, wie die zuvor genannten Kriterien mit ihren unterschiedlich komplexen Stufen von Sinnkonstitution, zur schriftlichen Textproduktion bzw. zu mündlichen Sprachleistungen der Schüler:innen, die ihrerseits im Unterricht einsetzbar bzw. zu bewerten sind. Im Anschluss an diesen Vorschlag entwickelt Hallet seine vier Kompetenzebenen, die die Lernenden von der „literarischen Lesefähigkeit“ über die „literarische[n] als kulturelle Kompetenzen“ und die „Reflexionsfähigkeit“ bis hin zur „fremdsprachlichen Diskursfähigkeit“ führt (Hallet 2009: bes. 77-85). Es waren all dies Bemühungen, die dazu beitragen sollten, „kulturelle, interkulturelle und transkulturelle Kompetenzen, Lesekompetenzen (vor allem im Bereich des intensiven oder extensiven Lesens), narrative, affektive, imaginative Kompetenzen […] operationalisierbar sowie überprüfbar“ zu machen (Volkmann 2017: 218).

Drei aktuelle literaturdidaktische Korrekturvorschläge. Im Jahr 2018 erschien der Companion Volume zum CEFR, der eine deutliche Reaktion auf die zuvor geäußerte Kritik erkennbar werden lässt, insofern ästhetischen (als Subspezies von „kreativen“) Texten und ihrer Betrachtung mehr Platz eingeräumt wird als zuvor. Es gibt im ergänzenden CEFR, analog zu den sprachlichen Kompetenz-Deskriptoren, auch solche für die Abbildung und Messung literaturbezogener Kompetenzen, die im Bereich der Sprachmittlung („mediation“, vgl. dazu Quetz 2019) und der dabei besonders hervorgehobenen Eigenschaft des „constructing new meaning“ (CEFR 2018: 103) angesiedelt sind und im Zuge der anschließenden Ausführungen ausführlich erläutert und klassifiziert werden.4 So wird der Auseinandersetzung mit kreativen Texten und der ästhetischen Literatur in diesem Ergänzungsband zwar mehr Raum innerhalb des Beschreibungsschemas zuteil als im ursprünglichen Rahmenwerk. Eine Definition dessen, was „kreative“ Texte umfasst, liefert der Ergänzungsband hingegen nicht – ob es sich dabei um z.B. ‚witzige‘ Werbetexte, um emotiv-expressive bzw. appellative Texte wie Tagebucheinträge oder Kommentare oder eben um Texte der sogenannten Höhenkammliteratur handelt, wird nicht konkretisiert.

Jedoch unterscheidet das Companion Volume unterschiedlich gerahmte Rezeptionsszenarien. Der persönlich-intuitive Rezeptionsprozess geht gemäß diesen Abschnitten dem analytisch-evaluativen voran. Die Hierarchie führt vom „engagement“ über die „interpretation“ („ascribing meaning or significance to aspects of the work including contents, motifs, characters’ motives, metaphor, etc.“, CEFR 2018: 115) zur „analysis“ („of certain aspects of the work including language, literary devices, context, characters, relationships. etc.“, CEFR 2018: 116) und „evaluation“. Die Interpretation ist also als Form der Bedeutungsgebung nominell in der Hierarchie enthalten, ihr kommt aber lediglich ein subordinärer kognitiver Status zu: „Describing a personal reaction and interpretation is cognitively far simpler than giving a more intellectual analysis and / or evaluation.“ (CEFR 2018: 116) In deutlichem Selbstwiderspruch zu den gerade dargelegten Ausführungen ordnet gleichwohl auch der CEFR 2018 die individuelle literary literacy mit der Befähigung zur Interpretation den höheren und höchsten sprachlichen Stufen zu:

Progression up the scale is characterised as follows: At the lower levels the user / learner can say whether he / she liked the work, say how it made him / her feel, talk about characters and relate aspects of the work to his / her own experience, with increased detail at B1. At B2 he / she can give more elaborate explanations, comment on the form of expression and style and give his / her interpretation of the development of a plot, the characters and the themes in a story, novel, film or play. At the C levels, he / she can give broader and deeper interpretations, supporting them with details and examples. (CEFR 2018: 116)

Es zeigt sich hier die nach wie vor deutliche Unsicherheit gegenüber der Arbeit mit literarischen Texten und Werken: So werden z.B. gängige Umstellungen im Satzbau (z.B. Inversion, Ellipse, Anakoluth) in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen poetischen Verfahren (Metapher und Ambiguität) als „abnormal syntax“ stigmatisiert. Demgegenüber ließe ein neutraler, deskriptiver Kriterienkatalog – als der sich der CEFR doch auch in der Version von 2018 ausgibt – eine weniger wertende Formulierung wie ‚non-standard‘ erwarten. Zur Veranschaulichung seien hier die im neuen CEFR abgebildeten literaturbezogenen Kompetenzniveaus und ihre dazugehörigen Deskriptoren aufgeführt:5

ANALYSIS AND CRITICISM OF CREATIVE TEXTS (INCLUDING LITERATURE)

C2

Can give a critical appraisal of work [sic] of different periods and genres (novels, poems, and plays), appreciating subtle distinctions of style and implicit as well as explicit meaning.

Can recognise the finer subtleties of nuanced language, rhetorical effect, and stylistic language use (e.g. metaphors, abnormal syntax, ambiguity), interpreting and ‘unpacking’ meanings and connotations.

Can critically evaluate the way in which structure, language and rhetorical devices are exploited in a work for a particular purpose and give a reasoned argument on their appropriateness and effectiveness.

Can give a critical appreciation of the deliberate breach of linguistic conventions in a piece of writing.

C1

Can critically appraise a wide variety of texts including literary works of different periods and genres.

Can evaluate the extent to which a work meets the conventions of its genre.

Can describe and comment on ways in which the work engages the audience (e.g. by building up and subverting expectations).

B2

Can compare two works, considering themes, characters and scenes, exploring similarities and contrasts and explaining the relevance of the connections between them.

Can give a reasoned opinion about a work, showing awareness of the thematic, structural and formal features and referring to the opinions and arguments of others.

Can evaluate the way the work encourages identification with characters, giving examples. Can describe the way in which different works differ in their treatment of the same theme.

B1

Can point out the most important episodes and events in a clearly structured narrative in everyday language and explain the significance of events and the connection between them.

Can describe the key themes and characters in short narratives involving familiar situations that are written in high frequency everyday language.

A2

Can identify and briefly describe, in basic formulaic language, the key themes and characters in short, simple narratives involving familiar situations that are written in high frequency everyday language.

Tab. 3:

Kann-Beschreibungen für den Umgang mit literarischen Texten (CEFR 2018: 117)

In unmittelbarer Reaktion auf die Veröffentlichung des Begleitbandes kritisiert Birgit Schädlich, dass die neuen Deskriptoren kaum dazu angetan seien, den „‚Mehrwert‘ des literarischen Lesens“ abzubilden (Schädlich 2019: 203) und, im Gegenteil, solche Eigenschaften wie die „Literarizität“, „Verfremdung [von Wirklichkeit]“ und „Alterität“ einfach „weg[zu]modellieren“ (Schädlich 2019: 206). Man wird den neuen Deskriptoren jedoch zugestehen können, dass sie in vielerlei Hinsicht jene zentralen Handlungstypologien und Aufgaben-Operatoren im Umgang mit Literatur reflektieren, die im fachdidaktischen Diskurs und in den Lehrwerken längst common currency geworden sind. Dies zeigt sich in den Beschreibungen der Aktivitäten in Auseinandersetzung mit Texten, die dieselben Begriffe (z.B. „describe“, „point out“, „evaluate“, „comment on“) aufweisen, die in den Lehrwerken zur Aufgabenformulierung als action verbs (Operatoren) verwendet werden, dort allerdings zusätzlich jeweils einem AFB zugeordnet und entsprechend differenziert sind.6

Dem Companion Volume seien hier zwei weitere Korrektive zum ursprünglichen CEFR zur Seite gestellt: zum einen die fremdsprachlichen Literatur-Kompetenzbeschreibungen, die Ivo Steininger vor dem Hintergrund seiner empirischen Studie zur Modellierung literarischer Kompetenz für die Sekundarstufe I vorgestellt hat, zum anderen die Deskriptoren des Literary Framework for Teachers in Secondary Education (LiFT-2): Steininger insistiert auf der holistischen Dimension der literarischen Kompetenz und unterscheidet dabei in seinem Kompetenz-Strukturmodell kommunikative, psychosoziale, reflexive, interkulturelle und methodische Teilkompetenzen, die ihrerseits vielfach aufgespalten sind und im Unterricht an geeigneter Stelle mit geeigneten Aufgaben zur synthetisierenden Interaktion gebracht werden müssen:

Kommunikative Kompetenzen

Kategorien

Sprachvermögen

Leseverstehen

Textproduktion

Wortschatz, Reparaturstrategien, Grammatik hierarchie-nieder; hierarchie-höher

Sprechen, Schreiben

Psycho-soziale Kompetenzen

Kategorie

Psycho-soziale Fähigkeiten

Ästhetische Fähigkeiten

Empathievermögen, affektive Mobilisatoren

Ästhetisches Lesen

Reflexive Kompetenzen

Kategorie

Weltwissen

Sprachwissen

Literarisches Wissen

Textdeixis, Wissensdeixis

Sprachbewusstheit, metasprachliche Fähigkeiten

Gattungswissen und Genreschemata, symbolisches Wissen

Interkulturelle Kompetenzen

Kategorie

Soziokulturelles Wissen

Fremdverstehen

Umgang mit fremdkulturellen Konzepten

Einnehmen der Innenperspektive, Einnehmen der Außenperspektive

Methodische Kompetenzen

Kategorie

Textbegegnung

 

Sinnkonstitution

 

Schreibhandeln

Aufführung und Vortrag

Erwartungshaltung aufbauen, Erwartungshaltung erhalten

Textinterpretatorisch orientiert, textanalytisch orientiert, Eigenständiges (Arbeiten), Informieren

Text als Anlass, Text als Modell

Präsentation des Textes

Präsentation der eigenen performativen Produkte

Tab. 4:

Kompetenzbeschreibungen für den Umgang mit literarischen Texten (im Anschluss an Steininger 2014: 393-398)

Diesen Kompetenzkategorien sind ihrerseits eigene Deskriptoren zugeordnet, die die jeweilige Kategorie anhand von Handlungsbeschreibungen konkretisieren, aber nicht im Sinne einer Kompetenzhierachie staffeln. Steininger betont, dass an dieses System anschließend in der Sekundarstufe II, „bedingt durch die Verwendung komplexerer Texte (Gattungsvielfalt, Themenbereiche, Erzählstrukturen, Umfang, sprachlicher Komplexität)[, sich] auch komplexere Handlungen“ (Steininger 2014: 399) initiieren lassen: zu denken ist hier insbesondere an metasprachliche diskursive Mittel, die Produktion textbezogener learning outcomes, sowie an die literaturbezogene Erweiterung der reflexiven und methodischen Kompetenzen (vgl. dazu Kapitel 3.3).

Eben solche Erweiterungen werden in einem weiteren Korrektiv zum CEFR genauer ausgeführt. Mit LiFT-2 sind – für die jeweilige schulsprachliche (i.d.R. also die jeweilige L1-) Literatur – zwei aufeinander folgende Kompetenzstufen für 12- bis 15jährige und 15- bis 18jährige Schüler:innen definiert. Dieses seit 2010 in einem multinational operierenden Forschungsnetzwerk unter Beteiligung von fünf europäischen Nationen erarbeitete Rahmenwerk definiert sechs Niveaustufen literarischer Kompetenz, die als Entwicklung von „indifferen[ten]“ (mit „geringer Übung im Lesen“) zu „fachkundigen“ Lesenden modelliert wird, welche literarische Texte auch metasprachlich erfassen, beschreiben und beurteilen können.7

Das zu entwickelnde Fachwissen innerhalb der LiFT-2-Matrix übersteigt die Kompetenzmodellierungen des CEFR 2018 erheblich. Denn gegenüber diesem tritt eine Diskursbeherrschung hinzu, derzufolge auf diesem Niveau Konzepte wie Plot, Handlungschronologie, narrative Mehrsträngigkeit, Erzählperspektive und die Semantisierung von (meta-)literarischen Motiven ebenso verfügbar sind wie die heuristische Deutung stilistischer und rhetorischer Figuren. Die Lernenden „können Literatur aus verschiedenen Perspektiven erschließen (psychologisch, politologisch, soziologisch, philosophisch, kulturell etc.) und interpretieren“ und darüber hinaus „Texte in Bezug zu anderen Schriften oder Künsten setzen (z. Bsp. Filme, bildende Kunst)“ (LiFT-2: Niveau 6 > Schüler(-innen)). Um diese Diskursfähigkeit zu erlangen, gestattet das Framework auch eine ästhetische Kompetenzausbildung der Schüler:innen:

Sie können die Eigenarten verschiedener Kunstwerke erkennen und vergleichen;

unterscheiden zwischen Lektüreansätzen für unterschiedliche Zwecke innerhalb und außerhalb des schulisch-institutionellen Kontextes;

vergleichen und synthetisieren unterschiedliche Lesarten eines Textes in einem Studienprojekt;

finden Aspekte des literarischen Diskurses und reflektieren ihn in angemessener Terminologie (Metasprache);

schließlich erkennen sie anhand „professioneller Kritiken“ (= wissenschaftliche Literatur) „ästhetische Tendenzen“

(LiFT-2: Niveau 6 > Didaktik: „Handlungen der Schüler (-innen)“)

Auffällig an der Zusammenstellung dieser Deskriptoren ist die Tatsache, dass hier Aktivitäten im Vordergrund stehen, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem konkreten literarischen Text erfordern. So betrachtet lässt sich LiFT-2 im Sinne der vorliegenden Studie als ein Impuls zu einer re-philologisierenden Unterrichtsgestaltung für ästhetische Texte begreifen (alternativ wird im EFL-Unterricht der Begriff „deskbound approach“ konzeptualisiert, vgl. Eschbach 2019: 66-71), der auf literaturaffine Themen angewendet zu einem höheren Grad an fremdsprachlichem Literatur-Wissen verhelfen könnte.

1.4Literaturdidaktische Problemfelder

Die folgenden Ausführungen setzen sich mit wichtigen Aspekten der Unterrichtsparadigmen auseinander, die den fortgeschrittenen gymnasialen Literaturunterricht prägen. Ziel ist es, den didaktischen Stellenwert des Interpretierens im Umgang mit literarischen Texten neu zu bestimmen und (wieder) aufzuwerten. Dazu müssen im Vorfeld einige Begriffe näher untersucht werden, die für den allgemeinen Fremdsprachenunterricht in sprachdidaktischer Hinsicht zwar hilfreich und notwendig sind, aber insgesamt geradezu den Status von Universalien erlangt haben. Dabei geht es um die Frage, ob das Kriterium von „Authentizität“ auch literaturdidaktisch seine uneingeschränkte Berechtigung hat, und andererseits um das schwierige Verhältnis zwischen literarischem Text und (lernenden) Rezipient:innen – hier geraten kognitive Prozesse wie die immersive Rezeption im unmittelbaren Leseakt ebenso in den Blick wie die (anschließende) Reflexion über das Gelesene. Ein besonderes Augenmerk wird in diesem Zusammenhang auf den Fiktionsstatus literarischer Texte sowie das Phänomen der „Stimmung“ darin gerichtet, die als „atmosphere“ in mehreren der hier untersuchten Lehrwerke thematisiert wird, und die sich als eine zwar ergiebige, aber auch problematische Analysekategorie insbesondere im didaktischen Unterrichtskontext erweist.

Aufgabenideal „Authentizität“? In der Analyse der verschiedenen Lehrwerke in Kapitel 2 wird sich zeigen, dass in einer Vielzahl von Beispielen die kommunikativen Kompetenzen in einem möglichst „authentischen“ bzw. lebensnahen Unterrichts-setting den Vorzug gegenüber einer allzu lebensfernen bzw. theoretisierenden Umgangsweise mit den literarischen Inhalten erhalten. Die – zumeist erzählenden – Texte werden dabei zum Kommunikationsanlass, ohne hinreichend als ästhetische Kompositionen mit eigenen Merkmalen von Authentizität wahrgenommen zu werden. Dahinter steht der Anspruch, den Schüler:innen ein möglichst hohes Maß an „Authentizität“ während ihres Fremdsprachenunterrichts zukommen zu lassen. Dieser Begriff wird als maßgebliches Kriterium fürs Aufgabendesign verwendet und ist in der Fremdsprachendidaktik von einer schillernden Bedeutungsvielfalt auf linguistischer, lerntheoretischer, und thematisch-kultureller Ebene geprägt.1 Erstere umfasst die sprachliche Komplexität der Materialien und impliziert, dass diese – anders als z.B. graded readers, d.h. in Vokabular und Grammatik vereinfachte und z.T. neu erzählte Materialien, die insbesondere in der Sekundarstufe I zum Einsatz kommen – nur begrenzt didaktisiert sind, z.B. durch einzelne Worterklärungen. Wo sogar hierauf verzichtet wird, bedeutet das: Die Schüler:innen werden idealiter einem komplexen Spracherlebnis ausgesetzt, wie sie es in einer realen englischsprachigen Umgebung erfahren könnten, selbst wenn es möglicherweise ihre eigenen sprachlichen Kompetenzen überstiege.

Damit einher geht auf der Ebene der Lerntheorie die „kommunikative Bedeutsamkeit“ (Bonnet/Decke-Cornill 2016: 158) einer Aufgabe, die z.B. nicht im Vokabel-Drill den aktiven Wortschatz der Lernenden kontext- und damit weitgehend sinnfrei erweitert, sondern auf kontextualisierten, simulativen Alltags-Situationen den Lerneffekt der Schüler:innen positiv beeinflussen soll. Bezogen auf literarische Texte ist der Einstieg in eine Gedichtanalyse über die Bestimmung des Metrums inauthentisch, während ein Rezeptionsgespräch, das den Schüler:innen Raum für eigene, auch affektive Stellungnahmen zum Gedicht gibt, einen sehr viel höheren Grad an Authentizität birgt.

Damit erhält der Begriff „Authentizität“ schließlich eine thematisch-kulturelle Bedeutung, die durch die Anschlussmöglichkeit eines Unterrichtsgegenstandes an das Weltwissen und die Lebenswelt der Lernenden gekennzeichnet ist. Die KMK-Bildungstandards benennen hier vier unterschiedliche, sehr allgemein formulierte Themenkreise, „die fachlich, motivatorisch und gesellschaftlich relevant sind“ (KMK 2012: 12):

Themen der Lebens- und Erfahrungswelt Heranwachsender

Themen des öffentlichen Lebens der Bezugskulturen

Themen des Alltags und der Berufswelt

Themen globaler Bedeutung.

(ebd.)

Explizit erwähnt werden an dieser Stelle „Werke der Literatur, Filme, thematisch relevante Werke der darstellenden Kunst“, da sie „spezifische Zugänge zu unterschiedlichen individuellen, universellen und kulturspezifischen Sichtweisen“ ermöglichen (KMK 2012: 12). In diesem Sinne lässt sich „Authentizität“ auch als eine differenzbestimmte Kategorie erfassen, die in interkulturellen (kommunikativen) Situationen zu bestimmen ist: Die Unterschiede zwischen einem deutschen Lebenslauf und einem britischen CV oder einem amerikanischen resumé sind hier ebenso von Bedeutung wie z.B. die Diskursivierung ähnlicher bzw. unterschiedlicher Feiertage im deutschen und anglophonen Sprachraum (vgl. hierzu auch allgemein Königs 2019: 98-100); wieder auf die Literatur angewendet lassen sich insbesondere race, class und gender in einer ethnisch und sozial heterogenen Lerngruppe „authentisch“ diskutieren, weil hier in einem geschützten Raum biographische Erfahrungen der Schüler:innen im fremdsprachlichen Kommunikationsakt ausgetauscht werden.