Fakemedizin - Christian Kreil - E-Book

Fakemedizin E-Book

Christian Kreil

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Beschreibung

Dieses Buch ist die Abrechnung eines medizinischen Laien: mit ausgebildeten Ärzten, die es besser wissen müssten und die ihr Berufsethos verraten; mit eingebildeten Heilern, die Verzweifelten und Kranken Heilsversprechen verkaufen; mit Gurus, die als Influencer des Irrsinns den Boden für Scharlatanerie bereiten, und mit gewieften Unternehmen, die mit der Hoffnung der Menschen spielen. Es gibt einen Überblick über die Akteure, die Praktiken und den Schrott einer boomenden Branche. Dieses Buch ist ein Aufruf an Politik, Ärzte- und Apothekerkammern sowie Universitäten, Farbe zu bekennen in der Causa Scharlatanerie versus Medizin.

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Originalausgabe

1. Auflage 2021

Verlag Komplett-Media GmbH

2021, München

www.komplett-media.de

ISBN E-Book: 978-3-8312-7075-0

ISBN print: 978-3-8312-0580-6

Lektorat: Dr. Katharina Theml, Wiesbaden

Korrektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Satz und Layout: Daniel Förster, Belgern

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Ich danke meinem Vater für das Zwiebelschmalz, das er mir mit Liebe zubereitet hatte, wenn ich als Kind an Husten litt.

Bei ihm bedanken können sich auch die Fakemediziner, um die es in diesem Buch geht. Und zwar dafür, dass er mit ihren Angeboten nie konfrontiert wurde. Die Scharlatane hätten ordentlich am Watschenbaum gerüttelt.

Inhalt

Prolog

Eine Bestandsaufnahme

10 Prämissen zur Fakemedizin

Es gibt keine »Alternativmedizin«

Was heißt eigentlich »Schulmedizin«?

Warum funktioniert der faule Zauber?

Das »wilde Denken« lässt uns nicht los

Die »Granderisierung« der Welt

Die Schaffung eines Marktes

Gurus – 11 Porträts

Jim Humble:Der Bischof mit der Chlorbleiche

»Leonard Coldwell«:Der smarte Hochstapler, der Krebs ganz locker heilt

Robert Franz:Der Naturbursche mit dem Pharmavertrieb

Christoph Fasching:Der mit den Viren Klartext redet

Rüdiger Dahlke:Die Plaudertasche, die für jede Krankheit eine Erklärung hat

João de Deus:Der Wunderheiler, der am Fließband heilt

Rudolf Steiner:Der Universaldilettant, der Zynismus in sanfte Farben kleidet

Ryke Geerd Hamer:Der Rabauke, der den Juden die Leviten liest

Peer Eifler:Der Guru, der wacker gegen die Maskenpflicht kämpft

Sucharit Bhakdi:Der Professor, dessen Fehlalarm sich als Fail erwies

Braco:Der Zauberer, dessen Blick betört

21 Facetten der Scharlatanerie

Homöopathie I: Alles eine Frage der Etikettierung

Homöopathie II: Bei der Arzneimittelprüfung geht es rund

Homöopathie III: Doktorspiele ohne Schamgrenzen

Homöopathie IV: Die tiefen Abgründe der Obskuranten

Homöopathie V: Eine Sache für Gerichte

Krebsheilung: Irre Versprechen für Verzweifelte

Fernheilung: Echte Wunderheiler machen sich nicht die Finger schmutzig

Informationsmedizin: Ärzte ohne Skrupel

Aurachirurgie: So unblutig können Operationen ablaufen

Essenzen mit dem Spirit der  steirischen »Sonnenhexe«

Bioresonanz: Sie misst sogar den Vitalwert von Leberkäse

Heilung zum Aufmalen: Vom Ötzi bis in die Gegenwart

Berührungslos heilen mit dem Prana-Zauberstab

Das Vitaminmärchen: Ein perfekter Clou der Pharmaindustrie

Germanische Neue Medizin: Wenn Laien Doktor spielen

Anthroposophische Medizin: Endlich machen Krankheiten Sinn

Corona Fails I: Bizarre Ratschläge von Ärzten

Corona Fails II: Schamanenheiler laufen zur Höchstform auf

Impfgegner I: Die irre Welt der Seuchenfreunde

Impfgegner II: Eine wilde Propagandaschlacht

Impfgegner III: Die Stunde der Verschwörungsplauderer

Ein Resümee

Ein paar Tipps

Prolog

Der Medizinmann bei den Zande – das ist ein Volk in Zentralafrika – kann den Sonnenuntergang hinauszögern. Das geht recht einfach. Der Medizinmann legt dazu einen Stein in die Astgabel eines Baumes.

Der deutsche Arzt Jens Wurster behauptet, eine Corona-Erkrankung heilen zu können. Auch das geht einfach: Der homöopathische Herr Doktor legt dazu Zuckerkügelchen auf die Zunge seiner Patienten.1

Die beiden verstehen ihr Handwerk. Es hat aber nichts mit Heilung oder Medizin zu tun. Warum die beiden nicht mit einem nassen Fetzen aus ihren Städten oder Dörfern verjagt werden? Das ist die Frage, die dieses Buch stellt. Ich kann Ihnen leider nicht allzu viel Spaß beim Lesen wünschen. Das Lachen ob mancher Praktiken von Ärzten, Schamanen und Scharlatanen im Namen von Heilung und Medizin bleibt uns nämlich schnell einmal im Hals stecken. Ich wünsche Ihnen aber, dass dieses Buch Ihre Sinne schärft, um faulen Zauber erkennen und Fakemedizin widersprechen zu können.

Der Medizinmann bei den Zande zaubert aber nicht nur mit der Sonne, deren Untergang er verzögert. Er »operiert« auch. Er schmiert Patienten, die an Bauchschmerzen leiden, eine Paste aus zerstoßener Rinde, Holzkohle und allerlei zermalmten Insekten auf den nackten Bauch, dazu murmelt er heilsame Sprüche.

Weniger kompliziert geht der Wiener Arzt Michael Pani an die Sache heran. Der Kinderarzt hat bis zum Frühjahr 2020 über einen Webshop kleine Therapiefläschchen vertrieben. Auf der Webseite des Arztes konnten wir lesen, dass die Fläschchen mit Informationen gegen Bakterien und Viren aufgeladen sein sollen.2 Verreiben muss der Mediziner nichts. Er macht sich im Gegensatz zu seinem Kollegen in der afrikanischen Savanne die Finger nicht schmutzig. Pani rät seinen Patienten, die magischen Fläschchen 20 Minuten vor (!) die Brust zu halten. Die heilsame Information springe dann schon auf den Körper über. (Das Angebot mit den wundersamen Fläschchen ist auf wundersame Weise von der Webseite des Mediziners verschwunden, nachdem ich in der Stiftung Gurutest erstmals darüber berichtet hatte.)

Noch smarter ist die Medizin des bayerischen Arztes Mathias Künlen. Er verschickt gegen Vorabkasse Zettel mit QR-Codes. Die sollen vom Patienten an ein Glas Wasser gehalten werden. Wird das Wasser getrunken, soll die Heilung beginnen. Der QR-Code für Frauen, die an Wechseljahresbeschwerden leiden, ist auf der Webseite medicodes.net für 39 Euro zu haben, der Code gegen Reizdarm kostet nur 19 Euro.

Ich vermute, dass sich der Medizinmann der Zande in Afrika ein wenig fremdschämen würde, wenn er erfährt, was sich seine Kollegen in Mitteleuropa erlauben. Ich muss mich nicht weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich behaupte: Die soeben skizzierten Beispiele sind pure Scharlatanerie. Diese Scharlatanerie konnte sich in den letzten Jahrzehnten in Mitteleuropa unter dem Label »Alternativmedizin« etablieren. Sie wird propagiert von schillernden Gurus, die als Influencer des Irrsinns den Boden bereiten für Scharlatane. Scharlatane, die haltlose Heilversprechen abgeben – völlig unabhängig davon, ob sie das als ausgebildete Ärzte tun, die ihr Berufsethos verraten, oder als selbst ernannte Heiler ohne Ausbildung. »Alternativmedizin«, das ist zudem ein schier unüberblickbares Sammelsurium von Anwendungen, Medikationen, Zaubermitteln und Gerätschaften, die eines gemeinsam haben: Für die Heilung sind sie so wirksam wie ein gegen den Uhrzeigersinn in den Schnee gepinkeltes Herz. Im Gegensatz zu diesem kosten sie fast ausnahmslos Geld.

»Alternativmedizin« ist offensichtlich Teil unseres Lebens. Man entgeht ihr und Diskussionen darüber nur mit Mühe. Sie ist Teil eines Phänomens, das man – vereinfacht gesagt – unter der Bezeichnung Esoterik zusammenfasst. Der Markt dafür ist fast unüberschaubar groß und facettenreich: Wir finden Heilsteine und Engelsprays, die unser Gemüt erhellen sollen, Wahrsagereien, Mondholz, Talismane, Seminare für mehr Bewusstsein und eine bessere Erdung, Ausbildungen zum Schamanen, Retreats beim Schamanen und Trommeln für den praktizierenden Schamanen. Wir können uns durch einen Wust an erbaulicher und verschwurbelter Literatur arbeiten, die Kilometer von Buchregalen füllt.

Irgendwann landen wir aber mit Sicherheit bei den in diesem Buch beschriebenen »alternativmedizinischen« Produkten und Praktiken. Mit Esoterik und »Alternativmedizin« wird in Mitteleuropa ein weitaus höherer Umsatz gemacht als mit Alkohol.

Es scheint, wir haben nicht nur schlechte Leberwerte.

1 Natur und Heilen, Homöopathie – Behandlungserfolge bei COVID-19, Oktober 2020

2https://web.archive.org/web/20190803075422/,http://www.drpani.at/immunstaerkung-2/

Eine Bestandsaufnahme

Ich befasse mich seit fast zehn Jahren mit Esoterik, Fakemedizin und Verschwörungsplaudereien. Ich schreibe darüber in meinem Blog Stiftung Gurutest in der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Der Name der Kolumne ist provokant, das ist Absicht. Eine Reihe von Fragen wird immer wieder an mich gerichtet. Die häufigste: Warum tue ich mir das an? Meine Antwort lautet: Ich lasse mich ungern für dumm verkaufen, und ich will auch nicht, dass jemand meine Mitmenschen für dumm verkauft. Wenn ich mit Bekannten über kleine Zipperlein plaudere, die uns hie und da plagen, werde ich fast täglich mit »Alternativmedizin« konfrontiert. Mir werden homöopathische Notfalltropfen angeboten, wenn ich scherzhaft meine Angst vor dem Zahnarzt erwähne. Bekannte erzählen bedeutungsschwer, dass der Energetiker mit Bioresonanz herausgefunden hat, was die Ursache für die Frühjahrsmüdigkeit ist: Vitamine! Und davon hatte er zufällig ein paar im Schrank zum Verkauf. Ein feines Set homöopathischer Globuli scheint ohnehin in fast keinem Haushalt zu fehlen. Bin ich ein paar Wochen ein wenig schlapp beim Radfahren, raten mir Kollegen von der wöchentlichen Radausfahrt, mich doch einmal von einem Energetiker austesten zu lassen.

Diesen Leuten ist oftmals gar nicht bewusst, dass das, was sie da propagieren, Pseudomedizin ist. Die Leute, die ich und vermutlich auch Sie kennen, sind nicht dumm. Aber sie fallen auf ein Marketing der Pseudomedizin herein, das ausgefuchst ist.

Was mich unter anderem motiviert hat, dieses Buch zu schreiben: Die Mehrzahl der Reaktionen auf meine Beiträge ist positiv. Ich erhalte täglich E-Mails von Personen, die sich bedanken, mir Hinweise zu Gurus und Scharlatanerien geben und mich bitten, denen mal – schreibend – eine vor den Latz zu knallen. Mein Blog verzeichnete mehr als 6 Millionen Aufrufe (Stand November 2020), unter meinen Beiträgen finden sich gut 50.000 Kommentare von Lesern.

Das Thema interessiert und bewegt Menschen, hie und da werde ich für Reportagen zu Interviews gebeten oder zu Fernsehdiskussionen eingeladen. Besonders prickelnd ist es, dabei einem der von mir »getesteten« Gurus gegenüberzusitzen. Im November 2019 war ich zu einem Talk im ORF mit Rüdiger Dahlke geladen. Die Plaudertasche unter den Gurus fand es nicht sehr prickelnd, von einem »Nobody« wie mir als »Kalauer-Mediziner« bezeichnet zu werden. Er drohte sogar, die Diskussion zu verlassen.

Bedrückend sind indes Zuschriften von Ärzten oder Angehörigen, die von verschleppten oder verweigerten Therapien bei ernsten Krankheiten berichten, weil ein selbst ernannter Heiler oder ein skrupelloser Arzt schwer kranken Menschen haltlose Heilversprechen macht. Leute, die mich – in der Regel von anonymen E-Mail-Accounts – beschimpfen, gibt es auch. Die sind aber in der Minderheit, und in meinem Papierkorb ist ausreichend Platz.

Die zweite Frage ist zumeist eine Anklage: Wie komme ich als Nichtmediziner dazu, mich über »Alternativmedizin« auszulassen? Ich stelle dann zumeist die Gegenfrage: Muss ich Pilot oder Flugzeugkonstrukteur sein, um feststellen zu können, dass der fliegende Teppich aus dem Märchen 1001 Nacht niemals abheben wird? Eben. Ich schreibe nicht über Medizin, ich schreibe über Pseudomedizin und versuche, sie bestmöglich zu dechiffrieren.

Von dieser Seite kommt auch meist der Vorwurf, ich würde nicht fair an die Sache herangehen, ich sei voreingenommen und ließe »die andere Seite nicht zu Wort kommen«. Das muss ich zurückweisen. In der Regel zitiere ich die Ärzte, Gurus und Scharlatane sehr ausführlich. Ich klicke mich zu diesem Zweck durch stundenlange YouTube-Filmchen und wühle mich durch Webseiten, Bücher, Newsletter und Flyer der zumeist sehr mitteilungsbedürftigen Akteure. Ich nehme diese Leute einfach beim Wort, etwas Entlarvenderes gibt es kaum.

Hie und da muss ich zu journalistischen Tricks greifen, um Informationen zu bekommen. Auf eine offene Anfrage in meinem Namen reagieren die Akteure in der Regel nicht. Mein Name ist nicht mehr ganz unbekannt in der Esoterikszene. Ein Aurachirurg, den ich mit meinem echten Namen für eine Stellungnahme kontaktiert hatte, schrieb mir zurück: »Ich habe mir Ihre Artikel angesehen und bin nicht bereit, Ihnen zu antworten.«

Großes Verlangen, von mir thematisiert oder porträtiert zu werden, hat in der Szene kaum jemand. Brauchbare und entlarvende Informationen erhalte ich in der Regel dann, wenn ich mich mit einer Fake-Identität als Patient ausgebe. Kaum wittern die Akteure einen Kunden, wird geplaudert und die Heilung vom blauen Himmel herunter versprochen. Wittern die Akteure einen wohlbestallten Kunden, sind sie beim Plaudern und Schwurbeln gar nicht mehr zu stoppen. Meine Vorgehensweise ist natürlich ein wenig »g’feanzt« – wie wir Österreicher sagen. Und ich weiß, das gibt Abzüge auf meinem Karma-Konto. Aber: Dem einen oder anderen skrupellosen Heilversprecher hat eine Veröffentlichung von mir bereits die Flügel gestutzt. Immer wieder verschwinden dubiose Heilangebote von Webseiten, nachdem ich in meiner Kolumne darauf hingewiesen habe. Wenn künftig weniger ahnungslose Kranke auf solche Scharlatane hereinfallen, dann hat sich die Sache gelohnt, finde ich.

In diesem Buch beschränke ich mich auf jenen Teil der Esoterik, die den Anspruch erhebt, bei Gesundheitsthemen mitreden zu können – und das ist eben die »Alternativmedizin«. Alles andere würde den Rahmen sprengen. Das Buch nennt die Dinge beim Namen und verpasst der »Alternativmedizin« einen neuen. Aus einem ganz einfachen Grund: Wenn etwas nachweislich hilft oder heilt, dann ist es Medizin (und keine »Schulmedizin«), wenn etwas nicht hilft oder heilt, dann ist es keine Medizin und auch keine »Alternativmedizin«, sondern: Fakemedizin.

Diese Bezeichnung ist bewusst gewählt, und sie spielt natürlich auf den Begriff Fake News an. Diese machen uns seit einigen Jahren das Leben schwer, sie überfluten die sozialen Medien, populistische Politiker nutzen sie schamlos für ihre Agenda. Dass Fake News oftmals die Agenda der Fakemedizin bedienen, ist evident. Wenn wir in einem dubiosen Internetkanal lesen, dass Bill Gates den Corona-Virus in die Welt gesetzt hat, um uns mit einer Impfung, deren Serum er längst in seinem Kühlschrank gelagert hat, einen Chip einzupflanzen, mit dem uns eine Elite künftig fernsteuern kann, dann wissen wir: Es sind Fake News. Fake News sind und bleiben Falschmeldungen, und zwar völlig unabhängig davon, ob sie Donald Trump oder Millionen von Menschen gefallen. Ebenso ist und bleibt Fakemedizin Unsinn, auch wenn Millionen Menschen darauf schwören.

Dieses Buch gibt Ihnen einen Überblick über wesentliche Akteure der Fakemedizin und allerlei Praktiken und Schulen und Tand. Ich habe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bei den Recherchen zu diesem Buch poppten an allen Enden neue Scharlatane und Fakemedizin-Angebote auf, von denen ich noch nie gehört hatte. Eine vollzählige Auflistung wäre der Irrsinn, es würde nicht ein Buch füllen, sondern ganze Regale. Es gibt noch viel zu tun für die Stiftung Gurutest.

Die Auswahl, die ich getroffen habe, ist daher ein buntes Potpourri. Es reicht von lustigen Vögeln, über die man mit etwas gutem Willen noch lachen kann, über messerscharf kalkulierende Tandverkäufer, über deren Chuzpe man sich ärgern muss, über zynische Seuchenfreunde, die sich selbst gern als Impfkritiker zu verharmlosen versuchen, bis zu ideologisch motivierten Agitatoren, deren menschenverachtenden Anschauungen man mit aller Vehemenz entgegentreten muss.

Der Fokus des Buches ist natürlich auf die Fakemediziner gerichtet, die sich bei uns in Mitteleuropa tummeln. Aus guten Gründen: Die zu Beginn angeführten Schilderungen von der Zauberei des Medizinmanns bei den Zande in Afrika sind fast 100 Jahre alt und längst Geschichte. Bedeutend öfter als von zentralafrikanischen Medizinmännern werde ich von heimischen Schamanen, Heilern und pseudomedizinischen Ärzten belästigt. Die Zaubereien dieser Ärzte mit Informationsmedizin, Homöopathie und Ähnlichem sind topaktuell, das Angebot an Fernheilungen diverser Schamanen und rasanter Krebstherapien selbstbewusster Heilpraktiker und Energetiker ist enorm. Dabei scheint stets die Frechheit zu siegen. Ein österreichischer Humanenergetiker macht mir da schon einmal das Angebot, Krebs »mit guten Chancen für die Behandlung«1 in seiner selbst gebastelten »Therapiekapsel« zu therapieren. Der Kostenvoranschlag für drei Stunden Therapie: 25.000 Euro. Alternativmedizinischer Schrott und Tand wird allerorten feilgeboten und verkauft sich scheinbar umso besser, je unverschämter das Versprechen ist.

Ein elektronisches Kästchen mit dem schönen Namen Ravo-­Zapper verspricht, die Krankheiten einfach aus unserem Körper wegbrummen zu können. Um knappe 500 Euro wandert das Teil in den Warenkorb, 100 unterschiedliche Frequenzen sind im Preis enthalten, sie werden einfach im Display ausgewählt, und sie helfen bei Alkoholismus, Impotenz, Migräne, Neurodermitis, Krebs und 95 weiteren Leiden. Man muss in dem Gerät nur die richtige Programmnummer einstellen.

Allerlei Gurus bereiten in Büchern und Vorträgen vor einem Millionenpublikum den Boden für eine Atmosphäre, in der man über den ernsthaften und gewissenhaften Wissenschaftler lacht, während man dem kalauernden Schlangenölverkäufer mit aufmerksamer Miene sein Ohr schenkt.

Was ich ebenfalls oft gefragt werde: Ob ich denn nicht akzeptieren könne, dass es »zwischen Himmel und Erde« mehr geben kann, als wir mit unserem Verstand erfassen können?«

Meine Antwort darauf ist erstens: Was wir mit unserem Verstand nicht fassen können, das wird uns wohl auf ewig verborgen bleiben. Zweitens: Ich lasse mir ungern von jemandem erzählen, dass ausgerechnet er etwas fassen kann, wofür es mir und dem Rest der Welt an Verstand fehlt. Drittens: Mit meinem Verstand kann ich sehr gut erfassen, dass die Anbieter der Fakemedizin mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, auch wenn sie sich gern eine wenig zwischen Himmel und Erde schwebend darzustellen versuchen. Dieses Buch appelliert daran, unseren Verstand zu nutzen, um mit Scharlatanen Tacheles reden zu können.

Die große Fangfrage an mich wird selten ausgelassen: Ob ich denn selbst völlig immun bin gegen Spirituelles, Übersinnliches, Magie oder Unerklärliches. Ich gebe zu: Wenn mir eine Zeitung in die Hand fällt, lese ich schon mal mein Horoskop und freue mich natürlich, wenn die gute Fee, die ein paar Zeilen über mein Sternzeichen getippt hat, mir just an dem Tag Glück im Spiel, in der Liebe im Beruf und im Sport prophezeit. (In meinem Lebenslauf gebe ich an, kein Sternzeichen zu haben. Da dürfen Sie sich ein Augenzwinkern hinzudenken. Ich bin Schütze, und was esoterischen Unsinn betrifft, bin ich sogar Scharfschütze.)

In meinem Auto befindet sich eine kleine Christophorus-Plakette. Christophorus ist der Patron der Reisenden. Die silberne Plakette hat mir meine Mutter geschenkt, zusammen mit dem klaren Auftrag, sie auch wirklich im Auto anzubringen. Der Christophorus trägt zu meiner Sicherheit im Auto bei. Vermutlich fällt er mir manchmal ins Auge und erinnert mich daran, dass sich jemand um mich sorgt. Und vielleicht fahre ich deswegen tatsächlich vorsichtig, und sei es unbewusst. Das kleine Totem in Form eines münzgroßen Heiligenbildes wirkt also. Der Punkt ist aber der: Ich würde deswegen nicht darauf verzichten, mich anzugurten. Müsste ich die Wahl treffen zwischen Christophorus und dem Sicherheitsgurt, so würde ich den Sicherheitsgurt wählen. Auf die Christophorus-Plakette alleine würde ich mich im Straßenverkehr nicht verlassen. Würde ich die Argumentation der Fakemediziner auf den Straßenverkehr übertragen, dann hieße es: Mit dem Christophorus bist du auf der sicheren Seite, das ist sanfter als der Sicherheitsgurt der Autoindustrie. Vertrau lieber auf deine Selbstsicherheitskräfte und nicht auf eine Mechanik, die auf deine individuelle Konstitution im Straßenverkehr keine Rücksicht nimmt. Und vergiss nicht, gegen das Karma kommst du ohnehin nirgendwo sicher an.

Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr kletterte ich in den Bergen, in jungen Jahren durchaus extrem. Meinen Kletterhelm in wilden Jahren schmückte das Abziehbild eines Engels aus dem Wallfahrtsort Maria Taferl, ein kleiner Davidstern und die erste Sure des Korans. Hie und da fragte mich in den Bergen jemand, was das bedeuten soll. Ich sagte scherzhaft: Ich bereite mich auf alle Eventualitäten vor in der Nordwand der Westlichen Zinne. Sollte ich den Heldentod in den Bergen erleiden, so bin ich auf der sicheren Seite beim Eintritt ins Paradies, egal ob der Pförtner Christ, Muslim oder Jude ist. Hinduistische und buddhistische Symbole habe ich keine auf meinem Helm. Noch ein paar Karmarunden mit unvorhersehbaren Reinkarnationen als Lastenesel, als Fan des FC Bayern oder als Vegetarier, darauf kann ich verzichten.

Anfang der neunziger Jahre forschte ich im Sudan und ritt mit Nomaden und ihren Kamelherden durch die Wüste. Die Atmosphäre im Sudan war damals etwas aufgeladen, marodierende Viehräuber überfielen manchmal Herden und Hüter. Alle Nomaden, mit denen ich unterwegs war, trugen auf ihren Oberarmen kunstvoll vernähte Lederetuis. In die waren Zaubersprüche eingenäht, die eine Art islamischer traditioneller Heiler verfasste, ein Sufi. Die Zaubersprüche versprachen Glück in der Liebe, Gesundheit und noch wichtiger: Glück auf der Suche nach saftigen Weiden, Glück beim Finden der wenigen Tränken. Mir wollte man unbedingt einen Zauberspruch zum Schutz vor Gewehrkugeln aufschwatzen. Ich blieb hart und sagte: »Wenn geschossen wird, dann lauf ich weg und verstecke mich hinter einem Felsen.« Die Nomaden haben über meine Antwort gelacht. Sie haben die Sache auch nicht so ernst genommen, denn der beste Schutz vor fremden Kugeln waren die Kugeln in den eigenen Gewehren, die sie selbstverständlich dabeihatten, wenn es mit den Herden auf Tour ging.

10 Prämissen zur Fakemedizin

Zurück zu den Zaubereien, die mir mitten in Europa angeboten werden. Die Phänomene, Angebote und Versprechen, über die ich in diesem Buch schreibe, stelle ich nicht zur Diskussion, sondern an den Pranger. Das klingt hart, aber irgendjemand muss es nun mal machen, und ich denke, dass ich die Argumente für diese durchaus apodiktische Aussage auf meiner Seite habe. Im Folgenden skizziere ich kurz, von welchen Prämissen und Überzeugungen ich ausgehe. Lesen Sie sich das gut durch, sonst werden Sie sich schwertun mit dem Buch.

Ich muss nicht rund und um die Erde segeln – zumindest nicht, um zu beweisen, dass die Erde eine Kugel ist. Es gibt tatsächlich eine wachsende Anzahl von Menschen, die behaupten, dass die Erde eine Scheibe ist. Wenn wir es mit diesen Flat-Earthern zu tun haben, reicht ein Verweis auf Geografen, Physiker und Astronomen. Die erklären Phänomene wie Ebbe, Flut, Gravitation und die Bahnen der Gestirne recht schön. Deren Modelle für die Kugelform der Erde bauen wunderbar aufeinander auf. Die in dieser Sache firmen Wissenschaftler können die Gestalt der Erde und die Ausgestaltung des Universums recht gut veranschaulichen, und sie erklären uns plausibel, warum sich eine Scheibe im Universum verdammt schwertäte. Wer die Kugelform der Erde anzweifelt, der darf gern die Segel setzen, zum Rand der Scheibe segeln und uns Fotos von dort schicken. Und ab diesem Zeitpunkt bin zumindest ich beeindruckt und still. Bis dahin gilt allerdings für die Astrophysik und die Geografie, was auch für die Medizin gilt, und damit kommen wir zu Regel Nummer 2: Die Regeln der Wissenschaft gelten immer. Wer behauptet, dass er mit Fernheilung Krebs besiegen kann, muss die Beweise dafür bringen. Wer behauptet, dass in wirkstofffreien Zuckerkugeln eine imaginäre Information gespeichert ist, die uns heilt, der muss Beweise dafür liefern. Die Beweise müssen belastbar und reproduzierbar sein, so einfach ist das. Die Beweislast liegt beim Anbieter. Es ist nicht meine Aufgabe, nachzuweisen, dass die von den anthroposophischen Medizinern angebotenen Mistel-Präparate Krebs nicht heilen. Natürlich darf jemand behaupten, dass er mit Weißwurst-Senf, den er auf einem Fensterbrett in Form von Mandalas verschmiert, Multiple Sklerose heilt. Allerdings muss der Weißwurst-Mandala-Experte den Beweis für die Wirksamkeit bringen. Machen wir es kurz: Das mit der Beweisführung, das wird nicht geschehen. Fakemedizin scheut Wissenschaft, Fakten, Messbares, Nachvollziehbares und die Evidenz wie der Teufel das Weihwasser. Bei fast allen Scharlatanerien, mit denen ich Sie in diesem Buch konfrontiere, werden Sie auf der Webseite oder in den Foldern der Anbieter irgendwo einen Disclaimer finden, der das implizit bestätigt. Dort lesen wir im zumeist Kleingedruckten, dass die Anbieter »darauf aufmerksam machen, dass die Methode von der Schulmedizin nicht anerkannt wird«, oder »... bitte bedenken Sie, dass mein Angebot keinen Arzt ersetzt« oder dass »die Schwingungsglobuli nur auf der energetischen Ebene wirken« und lediglich »dazu da sind, die Selbstheilungskräfte zu stärken«. Auf ein Ärztezentrum nahe meiner Heimatstadt Steyr bin ich aufmerksam geworden, als ich mich auf die Suche nach einem Facharzt für Interne Medizin gemacht habe. Auf der Webseite bieten die Ärzte dort von Aderlass bis Quantenheilung allerlei an, das mit diesem Hinweis versehen ist: »Es wird darauf hingewiesen, dass viele dieser Methodiken seitens der westlichen Schulmedizin derzeit nicht anerkannt werden.« Danke für den Hinweis, aber ich suche mir lieber Ärzte, die anerkannte und wirksame Methoden anwenden. Wären das keine Ärzte, sondern Kfz-Mechaniker, sie würden die Bremsleitung meines Autos vermutlich mit Luft füllen, dafür ein ordentliches Honorar verlangen, mich aber freundlich warnen: »Leider müssen wir Sie darauf hinweisen, dass unsere Methoden, die Bremsen zu reparieren, vom westlichen Schulmechanikertum derzeit nicht anerkannt werden.« Das ist ein kluger Schachzug, um als Mechaniker auf der sicheren Seite zu sein, wenn es nach der Reparatur kracht. Was man bei derlei Ärzten sinngemäß zwischen den Zeilen liest: »Lieber Patient, wir bieten Ihnen auch Schrott an. Danke für Ihr Interesse und danke vorab dafür, dass Sie nicht lästig nachfragen, ob der irgendwie wirken kann. Und wenn er nicht hilft, ist das ohnehin nicht unsere Schuld.« So funktioniert das Geschäftsmodell Fakemedizin. Der diskrete Disclaimer ersetzt die Evidenz. Die schöne Verpackung ersetzt den Beweis für die Wirksamkeit. Egal ob Fernheiler oder Homöopathen, sie werden – ebenso wie die Flat-Earther – auch in Zukunft daran scheitern, ihre Thesen beweisen oder eine Wirkung nachweisen zu können. Die Erde ist keine Scheibe und Fakemedizin wirkt nicht.Ich muss dem Regenmacher nichts glauben. Ich bin Ethnologe. Der Ethnologe begibt sich – etwas vereinfacht gesagt – in eine »fremde Kultur«, er beobachtet das Leben dort, nimmt daran teil, er lässt sich etwas erzählen, und er dokumentiert das. Die Ethnologie ist allerdings keine rein deskriptive Wissenschaft. Als Ethnologe gebe ich nicht nur wieder, was ich gesehen und gehört habe und was mir in den Notizblock diktiert wurde. Ich muss allfällige fremde Phänomene auch interpretieren und in unsere Denkweise übersetzen. Das ist eine Herausforderung, vor allem wenn es um immaterielle Manifestationen einer Kultur geht: Spirituelles, Religiöses, Schamanismus, Voodoo und Ähnliches. Wenn mir am Blauen Nil, im Hochland von Neuguinea oder am Amazonas ein Regenmacher vorgestellt wird, werde ich als Ethnologe dort natürlich nicht sagen: »Hört mir auf mit dem Blödsinn, keiner kann Regen machen.« Ich höre mir natürlich geduldig an, wie der Regenmacher den Regen herbeizaubert, und höre den Leuten, die dem Regenmacher vertrauen, und den Bauern, die sehnlichst auf den Regen warten, zu. Natürlich ist die Technik des Regenmachens letztlich nicht relevant. Was wirklich wichtig ist und relevant: Ich muss herausfinden und hinterfragen, warum die Menschen dem Regenmacher glauben, warum sie seiner Zauberei eine Wirksamkeit attestieren. Natürlich wissen wir, dass ein Regenmacher keinen einzigen Tropfen Niederschlag herbeizaubern kann. Das scheinbar Irrationale oder Geheimnisvolle lässt sich in der Regel rational recht einfach erklären. Der Regenmacher ist vermutlich ein Mann, der ein Wissen über Wolken und das Entstehen von Wetter hat. Das hat er vermutlich von seinem Vater gelernt, der die Profession des Regenmachens in der Familie bewahrt haben will. Vielleicht hat der Regenmacher auch einfach ein Wissen über den Jahresverlauf des Klimas, er hat die Fähigkeit, sich die Tage, Wochen und Monate zu notieren oder hat gar so etwas wie einen Kalender, der dem »gewöhnlichen Volk« nicht bekannt ist. All das sind Dinge, die in einer schriftlosen Gesellschaft durchaus außergewöhnlich sind und die allerhand Informationsvorsprung bedeuten. Und der Regenmacher wäre dumm, wenn er nicht bei einer durch Cumulus-Wolken angekündigten Regenfront oder kurz vor dem Beginn der Regenzeit ein kleines Regenmacher-Fest organisiert, bei dem er auch ein wenig die Hand aufhalten darf für seine Dienstleistung. Die Wahrheit ist oft so herrlich unromantisch. Man muss scheinbar unerklärlichen Phänomenen nur ein wenig auf den Zahn fühlen. Ich mache beim Homöopathen, beim Heilpraktiker und beim Energetiker nichts anderes als beim Regenmacher. Ich lasse mir ins Notizheft zitieren, wie der Zauber wirkt, ich höre tapfer und aufmerksam zu, lese die Bücher der Gurus, lausche ihren Vorträgen, ziehe meine Schlüsse und stelle die entscheidende Frage: Warum glaubt eine erkleckliche Anzahl der Menschen in meiner Gesellschaft diesen ­Leuten? Interessant ist nicht, wie Homöopathen oder andere Heilversprecher zaubern (oder zu zaubern vorgeben), sondern welchen Stellenwert die Kunden und Patienten dieser Zauberei einräumen. Wenn etwas nicht wirkt, ist es irrelevant, wie es nicht wirkt. Interessant ist, wie sich die Kundschaft des Regenmachers und des Fakemediziners täuschen lässt oder warum sie bewusst nicht genau hinsieht oder die Täuscherei zwar erkennt, aber verteidigt. Wenn es ernst wird, landen alle beim echten Arzt. Was macht der Geistheiler, wenn er an einer akuten Blinddarm­entzündung leidet? Wandert er zum Schamanen ins Nachbardorf? Lässt er sich russische Heilzahlen auf den Bauch malen? Schließt er sich an ein Bioresonanzgerät an, um den entzündeten Wurmfortsatz mit der passenden Frequenz wegzubrummen? Oder sucht er doch ehestmöglich ein sauberes Krankenhaus auf? Auf welche Narkose vertraut der überzeugte Homöopathie-Kunde, ehe der Chirurg sein Skalpell ansetzt? Der Homöopathie-Hersteller Remedia aus Eisenstadt im Burgenland, zum Beispiel, preist auf seiner Webseite gut 5.000 verschiedene homöopathische Mittel an: Darunter sind Fundstücke wie die indische Kakerlake, Leopardenurin, die Muttermilch des Dackels oder die Käseschmiere von der Haut Neugeborener und: Cola Light. Alles ist sauber verschüttelt und sehr, sehr verdünnt und wird in Globuli aus Zucker feilgeboten. Allerdings, wenn es jetzt pressiert und der Chirurg das Messer am Bauch ansetzen muss, um uns rasch von unserem schmerzenden Appendix am Darm zu befreien, dann gibt es unter den 5.000 Mittelchen kein einziges, das uns in den für eine Operation nötigen Tiefschlaf versetzt. Vermutlich ist selbst der überzeugteste Homöopathie-Gläubige in dieser Situation recht froh darüber, dass Big Pharma proper wirkende Anästhetika entwickelt hat. Diese befördern uns in Sekundenschnelle zuverlässig ins Reich der Träume und holen uns erst dann wieder von dort ab, wenn die blutige Metzelei in unseren Eingeweiden erfolgreich über die Bühne gegangen ist und unsere Wunden gut versorgt sind. Das sind die Momente, in denen wir den kalten Apparaten der »Schulmedizin« und den Ärzten mit den scharfen und sterilen Messern vertrauen. Der Fernheiler, der sich gegen einen feinen »Energieausgleich« mordsmäßig auf unser Leiden zu konzentrieren verspricht, der hat in dieser Situation keinen Auftrag, und unsere Sozialversicherungsnummer ist ein wenig mehr wert als alle russischen Heilzahlen zusammen. Zusammengefasst: Das, was wir unter westlicher Medizin verstehen, was uns hilft, wenn wir krank sind und uns im Ex­tremfall das Leben rettet, ist nichts anderes als evidenzbasierte Medizin, und die ist das Maß der Dinge. Gurus und Scharlatane wissen das am besten. Sie erzählen es nur ihren Kunden nicht, aus verständlichen Gründen. Der brasilianische Wunderheiler João de Deus soll täglich bis zu mehreren Tausend Kunden geholfen haben – quasi im Vorbeigehen. Als er selbst an Magenkrebs erkrankte, gönnte er sich eine Privatklinik mit den besten Ärzten des Landes.Religion spielt hier keine Rolle. Ich werde immer wieder kritisiert, dass ich etwas inkonsequent sei: weil ich zwar Esoterik und den Glauben an irrationale Heilmethoden kritisiere, nicht aber Religionen und deren irrationale Erzählungen. Da ist zunächst etwas dran. Diese Kritik nehme ich ernst, ich glaube, ihr aber begegnen zu können. Zugegeben: Ich glaube nicht daran, dass Moses das Rote Meer einfach so mithilfe seines Wanderstabs geteilt hat, dass Jesus Brot und Fische vermehrt hat, um ein Fest zu schmeißen. Dass der Prophet Mohammed mit einem Schimmel vom Tempelberg direkt in den Himmel geritten ist, halte ich für blühende Fantasie, das Konzept der Wiedergeburt bei den Buddhisten deute ich als recht nette Erbauungsphilosophie, mit der sich die Anhänger den Zustand der Welt schönreden. Auf die Wiederkehr des Messias warten – zumindest metaphorisch gesehen – Christen, Muslime und Juden in leicht unterschiedlichen Versionen, ich wünsche viel Geduld. Es gibt viele Gründe, Religionen zu kritisieren und zu hinterfragen. Mit Religionskritik, die zumal viel profunder ist, als meine Ausführungen hier sein können, beschäftigen sich kompetente Autoren. Fakemedizin blüht allerdings quer durch alle Milieus und Religionen. Religiosität der Akteure, so irrational sie im Wesen auch sein mag, ist kein Indiz dafür, dass die Person in medizinischen Fragen irrational handelt. Wir alle kennen Krankenhäuser, die von christlichen Orden oder von Diözesen geführt werden. Dort misst man der evidenzbasierten Medizin und einer Behandlung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft einen ebenso großen Stellenwert zu, wie es in kommunalen, konfessionslosen Krankenhäusern der Fall ist. Ich kenne gläubige Christen und gläubige Muslime, die Ärzte sind. Die denken nicht einmal im Entferntesten daran, ihren Patienten Gebete oder Besuche von Kirchen, Moscheen oder Walfahrtsorten als Alternative zu echter Medizin und evidenzbasierten Therapien anzubieten. Gleichzeitig kenne ich ungläubige und an Religion völlig desinteressierte Menschen, die als Ärzte, Heilpraktiker oder Energetiker keinerlei Scham haben, ihren Patienten »alternativmedizinischen« Unfug aufzuschwatzen. Wenn es um Fakemedizin geht, ist Religion oder Religiosität mit Sicherheit nicht das Kriterium für Scharlatanerie. Dass im französischen Wallfahrtsort Lourdes Schindluder mit der Hoffnung gläubiger Kranker und deren Angehöriger betrieben wird, steht außer Frage. Derlei unwürdige Schauspiele werden aber auch von gläubigen Christen kritisiert. Und ehrlich gesagt: Pilgerreisen nach Lourdes sind – im Vergleich zu Pilgerreisen zu dubiosen Heilern – derzeit ziemlich out. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Wenn eine Apotheke beginnt, ernsthaft heilsames Weihwasser aus einer Quelle wie Lourdes zu verkaufen – eine Welle der Empörung wäre wohl die Folge. Zuckerkugeln ohne Wirkstoffe hingegen haben den Sanctus der Apotheker- und Ärztekammern. Der Gesetzgeber bereitet seit Jahrzehnten seine schützenden Schwingen über den Unfug aus. Die schiebt der Apotheker mit lachendem Gesicht über den Tresen. Dass sich Glaubensgemeinschaften und Religionen diese Ungleichbehandlung gefallen lassen, spricht fast für deren Gutmütigkeit. Bitte keinen Whataboutismus! Ich weiß, dass bei Ärzten und in Krankenhäusern vieles falsch läuft. Dass oftmals zu viele und zu starke Medikamente verschrieben werden, dass sich Ärzte zu wenig Zeit nehmen (können) für Patienten. Ich weiß, dass Krankenhauskeime ein enormes Problem darstellen, und dass sie Menschenleben kosten. Mir ist bewusst, dass es Kliniken gibt, die lieber einmal zu viel als einmal zu wenig operieren, weil es Geld bringt. Das alles sind keine Geheimnisse, derlei wird in wissenschaftlichen Studien aufgearbeitet, Gesundheitsökonomen und Sozialmediziner nehmen sich solcher Sachen an. Es gibt auch seriöse Literatur dazu. Doch die Tatsache, dass in der Medizin vieles falsch läuft, ist kein Argument dafür, dass in der Fakemedizin irgendetwas richtig läuft. Ich weiß, dass die Pharmaindustrie keine Wohlfahrtseinrichtung ist. Sie kümmert sich nicht darum, dass wir gesund sind. Sie kümmert sich darum, mit Medikamenten auf dem Markt erfolgreich zu sein. (Genauso wenig kümmert es die Automobil- oder die Erdölindustrie, ob wir unsere Eltern auf dem Land besuchen können, und genauso wenig sorgt sich die Lebensmittelindustrie darum, dass wir satt sind. Die Automobilindustrie versorgt uns lediglich mit Autos, die wir glauben besitzen zu müssen, die Erdölindustrie versorgt uns mit dem Sprudel, der die Autos fahren lässt, und die Lebensmittelindustrie bedient den Markt mit Leckereien, von denen sie zu Recht annimmt, dass sie uns schmecken und dass wir sie kaufen.) Und nachdem es weder bei Arzneien, Autos und Lebensmitteln ein Monopol gibt, strengt sich die Industrie an. Die Autos müssen tatsächlich fahren, die Bremsen müssen funktionieren, Wurst und Käse müssen uns tatsächlich schmecken, und Arzneimittel heilen tatsächlich Krankheiten und lindern Leiden. Wäre das nicht so, würden sie am Markt nicht bestehen können. Auch mit den Praktiken der pharmazeutischen Industrie beschäftigen sich seriöse Kritiker. Der pharmazeutischen Industrie muss – wie allen anderen Industrien und mächtigen Konzernen – auf die Finger geschaut und geklopft werden. Sie muss wie alle anderen Industrien kritisiert werden, und sie wird das auch. Allerdings: Niemand spielt der Pharmaindustrie einen Streich, wenn er anstelle von Medizin Fakemedizin konsumiert. Er agiert lediglich wie jemand, der sein Auto mit Fanta anstelle von Benzin betankt, um es der Automobil- und Erdölindustrie zu zeigen.Ich habe nichts gegen ganzheitliche Medizin. Mir gefallen nur die Leute nicht, die diesen Begriff missbrauchen. Eine ganzheitliche Medizin betrachtet den Menschen aus möglichst vielen Facetten seines Seins und bezieht diese in die Behandlung und Heilung mit ein. Eine ganzheitliche Medizin erfasst Krankheiten im Kontext von sozialen Lebensumständen, Umwelt und Persönlichkeit. Eine ganzheitliche Medizin erkennt, dass die Kopfschmerzen alleinerziehender Mütter, die sich mit prekären Jobs über Wasser halten müssen, und die Kopfschmerzen wohlbestallter Hofratswitwen aus dem Cottage-Viertel nur bedingt über einen Kamm geschoren werden können. Eine ganzheitliche Medizin ist sich darüber im Klaren, dass gegen chronische Atemwegserkrankungen in Millionenstädten, in denen die Sonne wegen des Smogs monatelang nicht zu den Menschen durchdringt, nicht nur tolle, neue Medikamente indiziert sind. Eine ganzheitliche Medizin erkennt den Menschen als Individuum, dessen Psyche selbstverständlich mit seiner Physis korrespondiert. Einer ganzheitlichen Medizin fehlt dafür – und das wissen wir alle – vor allem die Zeit, und oftmals auch die nötige Empathie der Ärzte. In diese Bresche springen die Anbieter von Fakemedizin mit Verve. Sie nehmen sich Zeit, lassen sich diese entgelten und nutzen sie, um ihren Tand und ihren faulen Zauber an den Mann und an die Frau zu bringen. Fernheilung gegen Vorauskasse, Zuckerkugeln aus der Apotheke und QR-Codes gegen Haarausfall und Heilsymbole gegen Corona sind trotzdem kein Beitrag zu einer ganzheitlichen Medizin. Dass unser Medizinsystem und die Kommunikation mit dem Kranken Defizite aufweist, bedeutet nicht, dass Scharlatanerie einen Beitrag zu einer ganzheitlichen Medizin leistet. Fakemedizin hat mit Naturheilkunde nichts zu tun. Fake­medizin ist weder sanft, alternativ oder ganzheitlich, und sie ist ebenso wenig natürlich. Humbug ist kein Teil der ­Natur, so sehr sich die Anbieter des Humbugs auch in diese hineinzu­reklamieren versuchen. Vor allem die fakemedizinische Königsdisziplin Homöopathie hat der Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten erfolgreich die Erzählung geprägt, als »Naturheilkunde« eine Alternative zur angeblich sterilen und kalten Medizin zu sein. Stimmige Bilder wurden mitgeliefert: Kaum eine Publikation zur Homöopathie kommt ohne Blätter tiefgrüner Pflänzchen aus, über die Tautropfen kullern, die inhaltslosen Zuckerkugeln der Disziplin werden geschickt daneben drapiert. Allerdings gilt auch hier die unromantische Feststellung: Wo nichts drinnen ist, ist auch keine Natur drinnen. Natürlich gibt es wirksame Naturheilmittel und Phytopharmaka – vom Salbeitee gegen Halsschmerzen bis zum Beifuß, dessen Extrakte gegen Malaria helfen. Die Natur ist Teil der Medizin, nicht der Fakemedizin. Kranke tragen keine Schuld. Wer vom Jugendalter an täglich 30 Zigaretten inhaliert, darf sich im Alter nicht beklagen, wenn die Lunge sich schwer beleidigt zeigt. Das wissen wir und wohl auch der Betroffene. Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass das kein Grund ist, dem Lungenkranken eine bestmögliche Behandlung zu verweigern. Vermutlich kennen wir alle in unserem Freundes- und Bekanntenkreis Menschen, die von einer Krankheit betroffen sind, für die es keine kausale Erklärung gibt. Hautkrebs bei Menschen, die sich nie unnütz der Sonne ausgesetzt haben, ein Schlaganfall, der einen 40-jährigen Nichtraucher von den Beinen holt, der immer Sport getrieben, kaum Alkohol getrunken und gesund gegessen hat. Diese Geschichten schreibt das Schicksal. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Krebserkrankungen in 29 Prozent der Fälle auf Umweltbedingungen und Lebensstil zurückzuführen sind, in nur fünf Prozent der Fälle hat die Erkrankung genetische Ursachen. In 66 Prozent der Fälle erfolgen die Krebsmutationen durch Zufall während der Zellteilung.2 Diese zwei Drittel sind ein gefundenes Fressen für die Fakemediziner. Nicht weil sie eine Therapie für die Erkrankung hätten, sondern weil sie die Krankheit bedeutungsschwer einem Defizit im geistigen Mindset des Menschen zuschreiben. Der Erkrankte darf sich dann nicht nur über ein bei ihm diagnostiziertes Karzinom den Kopf zerbrechen, sondern auch über den Beitrag seines unzulänglichen Denkens und Geists dazu. Sehr hemdsärmelig geht der Kalauer-Mediziner Rüdiger Dahlke in seinen zahlreichen Büchern an die Sache heran. Egal ob Schnupfen oder Krebs, Dahlke hat eine flache Metapher parat. Bei Brustkrebs ortet Dahlke jovial einen »Egotrip« der Zellen, der durch eine Vernachlässigung der Prinzipien »Versorgung von Kindern und Familie« oder »im Bereich Beziehung und Partnerschaft« begründet sei.3 Mit anderen Worten: Die Frauen sind selbst schuld am Krebs mit der Vernachlässigung ihrer Rolle als Frau. Auf die Spitze treibt die Schuldzuweisung die anthroposophische Medizin, die Krankheit im Wesentlichen als karmische Notwendigkeit betrachtet. Krankheit sei die Konsequenz aus einem imaginären, früheren Leben des Kranken. Das Durchmachen der Krankheit sei die Chance, das schlechte Karma zu verarbeiten. Das klingt so wunderbar tiefsinnig und ist nichts anderes als zynische Menschenverachtung: Wer krank ist oder an einer Krankheit stirbt, hat es aus Sicht der Anthroposophen auch verdient: »Blame the Victim« (»Gib dem Opfer die Schuld«) nennt man diese Attitüde, sie ist widerlich. Dieses Buch ist politisch. Fakemedizin ist ein Angriff auf die Wissenschaft – und auch das hat mich zu dem Buch motiviert. Ein Angriff auf die Wissenschaft ist – auch wenn das pathetisch klingt – immer auch ein Angriff auf die Demokratie. Der wissenschaftliche Diskurs und die redliche Argumentation sind Populisten ein Dorn im Auge. Für Populisten ist wahr, was massentauglich ist. Das Johlen ersetzt den Peer-Review, die platte Parole die Diskussion samt ihren Zwischentönen. Dass Populisten des rechten und rechtsextremen Spek­trums oftmals ein Herz für Fakemedizin haben, kommt nicht von ungefähr. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat die Fake News von Autismus, der angeblich durch Impfungen hervorgerufen werde, verbreitet. Ganz offensichtlich wurde ein Schulterschluss von Rechtsextremisten, Impfgegnern und Vertretern der Neuen Germanischen Medizin bei den Demonstrationen gegen die vermeintliche Corona-Diktatur, die seit April 2020 ihr Unwesen treiben. Eine ideologiefreie Impfkritik gibt es nicht. Wer Krankheiten als Resultat schlechten Karmas betrachtet, agiert politisch. Ich erlaube mir, auf politische Hintergründe des Phänomens und der Anbieter von Fakemedizin hinzuweisen. Das bedeutet nicht, dass ich alle, oftmals arglosen Nutzer, damit gleichsetze. Nicht alle Spielarten der Fakemedizin haben einen offensichtlichen politischen Hintergrund, fast alle sind aber mit politischen Hintergründen aufgeladen. Über eines müssen wir uns aber im Klaren sein, und das auszusprechen darf auch den freudigen Anwendern von Fakemedizin zugemutet werden: Es gibt nichts Politischeres als die Dummheit!

Es gibt keine »Alternativmedizin«

»Schulmedizin«. Das Wort fällt so sicher wie das Amen im Gebet, wenn wir mit schlauen Anbietern oder überzeugten Kunden der »Alternativmedizin« diskutieren. Der Hardcore-Anwender »alternativer« Heilmethoden wird bei dem Begriff ein wenig die Nase rümpfen, die »Schulmedizin« verteufeln oder sie zumindest rundum ablehnen. Der gemäßigte User oder Anbieter wird der »Schulmedizin« generös einen Bereich zuweisen, in dem sie neben der »sanften« oder »alternativen« Medizin »auch ihre Berechtigung« hat. Das geschieht meistens dann, wenn wir höflich darauf hinweisen, dass die neue Hüfte der Oma, die ihr plötzlich wieder schmerzfreies Gehen ermöglicht, kaum mit Aurachirurgie implantiert werden konnte. Wer auf sanfte Medizin schwört, kann bei einer Hüftoperation, die ein durchaus blutiges Gemetzel sein kann, maximal mit großen traurigen Augen zusehen. Der Esoteriker versucht sich dabei in der Regel mit diesem Kalauer aus der Bredouille zu ziehen: »Ja, da ist die ›Schulmedizin‹ eh gut, aber ...«