Falsche Wahl - Terri Blackstock - E-Book

Falsche Wahl E-Book

Terri Blackstock

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Beschreibung

Auf Cape Refuge herrscht Wahlkampf, als Lisa, die Frau eines der drei Bürgermeisterkandidaten, plötzlich verschwindet. Die ganze Insel beteiligt sich an der Suchaktion, doch erst durch den Hinweis eines Wahrsagers findet die Polizei die Vermisste - ermordet und im Fluss versenkt. Während Lisas Freundin Morgan und ihr Mann Jonathan dem verzweifelten Ehemann in christlicher Nächstenliebe beistehen, begeben sich Polizeichef Cade und Zeitungsinhaberin Blair auf Spurensuche. Wie konnte der Wahrsager wissen, wo Lisas Leiche ist? Ist er selbst in das Verbrechen verwickelt? Oder hat der Mord an Lisa etwas mit der Bürgermeisterwahl zu tun? Oder mit einer angeblichen Affäre ihres Mannes? Oder mit ihrer erfolglosen Kinderwunschbehandlung?

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Auf Cape Refuge herrscht Wahlkampf, als Lisa, die Frau eines der drei Bürgermeisterkandidaten, plötzlich verschwindet. Die ganze Insel beteiligt sich an der Suchaktion, doch erst durch den Hinweis eines Wahrsagers findet die Polizei die Vermisste – ermordet und im Fluss versenkt. Während Lisas Freundin Morgan und ihr Mann Jonathan dem verzweifelten Ehemann in christlicher Nächstenliebe beistehen, begeben sich Polizeichef Cade und Zeitungsinhaberin Blair auf Spurensuche. Wie konnte der Wahrsager wissen, wo Lisas Leiche ist? Ist er selbst in das Verbrechen verwickelt? Oder hat der Mord an Lisa etwas mit der Bürgermeisterwahl zu tun? Oder mit einer angeblichen Affäre ihres Mannes? Oder mit ihrer erfolglosen Kinderwunschbehandlung?

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Aus dem Englischen von Johanna Utsch

Die Bibelzitate sind der überarbeiteten Elberfelder-Übersetzung (Edition CSV-Hückeswagen) entnommen.

Die deutsche Ausgabe erscheint aufgrund einer Vereinbarung mit dem Originalverlag The Zondervan Corporation L.L.C. in der Verlagsgruppe HarperCollins Christian Publishing, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: River’s Edge

Copyright © 2004 by Terri Blackstock

Titelfotos:

© istockphoto.com / LukaTDB (Tatort)

© Fotolia / sixdays (junge Frau)

Umschlaggestaltung und Satz: DTP-MEDIEN GmbH, Haiger

eBook Erstellung: ceBooks.de, Eduard Klassen

Paperback:

ISBN 978-3-942258-03-6

Art.-Nr. 176.803

eBook (ePub):

ISBN 978-3-942258-53-1

Art.-Nr. 176.853

Copyright © der deutschen Ausgabe 2015

by BOAS media e. V., Burbach

Alle Rechte vorbehalten

www.boas-media.de

Dieses Buch entstand aus Liebe zu dem Nazarener,

Jesus von Nazareth.

Vorwort

Cape Refuge ist eine frei erfundene Insel, die ich östlich von Savannah, Georgia, an der Atlantikküste platziert habe. Zur Recherche war ich für einige Zeit auf Tybee Island, einer reizvollen, kleinen, am Strand gelegenen Ortschaft in der Nähe von Savannah. Viele meiner Ideen über das Leben in Cape Refuge habe ich dort gesammelt.

Direkt südlich von Tybee gibt es eine weitere Insel, die Little Tybee Island genannt wird, ein unbewohntes, sumpfiges Naturschutzgebiet. Für diesen Roman verwandelte ich Little Tybee Island mit ein paar Veränderungen des Geländes und der Küstenlinie in Cape Refuge. Ich hoffe, dass mir die liebenswürdigen Küstenbewohner von Georgia das verzeihen werden.

Großen Dank schulde ich J. R. Roseberry, dem Redakteur und Herausgeber der Tybee News, für seine Hilfe bei meinen Recherchen.

Danksagungen

Jedes Buch, das ich schreibe, erfordert einen großen Rechercheaufwand. Diese Recherche macht es oft erforderlich, dass ich Kontakt mit Spezialisten bestimmter Fachgebiete aufnehme. Ohne ihre Hilfe könnte ich meine Romane nicht schreiben. Dieses Mal danke ich in besonderer Weise Dr. Steve Bigler und Dr. Tree James, dass sie mir jede meiner Fragen beantwortet und mit mir verschiedene Szenarien für die Handlung durchgesprochen haben. Ein großes Dankeschön auch an Cissie Posey, die mir von ihren Nöten wegen ihrer Kinderlosigkeit erzählt hat.

Außerdem danke ich zwei Personengruppen, die dazu beigetragen haben, dass meine Bücher immer mehr Leser finden – den Buchhändlern und Bibliothekaren. Meine Bücher sollen ein Dienst für andere sein, und ich sehe in Ihnen meine Mitarbeiter in diesem Dienst. Danke für alles, was Sie tun.

Morgens um halb vier wurde Morgan von Krämpfen aus dem Schlaf gerissen. Sie hatte von einem kleinen Mädchen geträumt, das auf einer Schaukel saß und dessen braunes Haar im Wind hin- und herwehte. Sie wusste ohne jeden Zweifel, dass dieses Mädchen ihr ungeborenes Baby war.

Die Krämpfe waren wie eine heftige Vorwarnung, als ob sich ihre Unruhe in einen stumpfen Gegenstand verwandelt hätte, der auf ihre Hoffnung einschlug.

Sie setzte sich auf, presste die Hand auf ihren flachen Bauch und sah Jonathan an, der friedlich schlafend neben ihr lag. Sollte sie ihn wecken, um ihm zu sagen, dass sie Krämpfe hatte, oder einfach ruhig sein und warten, bis es vorbei war?

Gestern Morgen hatte sie zu Hause einen Schwangerschaftstest gemacht und dann am Nachmittag bei ihrem Arzt auch noch eine Blutuntersuchung durchführen lassen. Jonathan hatte mit ihr im Behandlungszimmer gesessen, herumgehampelt und mit ihr geplaudert, damit die Zeit schneller verging. Als die Arzthelferin mit dem Ergebnis zurückkam, sprang er auf, alle Muskeln angespannt wie ein Tiger, der eine Gazelle wittert.

„Bevor ich Ihnen das Ergebnis mitteile, möchte ich wissen, ob ich Ihnen gute oder schlechte Nachrichten bringe.“

Jonathan blickte Morgan an, und sie wusste, dass er kurz davor stand, die Frau als Klugschwätzerin zu bezeichnen und sie zu warnen, keine Spielchen mit ihnen zu spielen. „Geben Sie sich einen Ruck und sagen Sie es uns einfach.“

„Aber wollen Sie überhaupt ein Kind? Freuen Sie sich eher über ein Ja oder ein Nein?“

Bevor er die Arzthelferin an den Schultern packen und die Antwort aus ihr herausschütteln konnte, sprudelte es aus Morgan hervor: „Ja! Mehr als alles in der Welt!“

„Bekommen wir jetzt ein Baby oder nicht?“, fragte Jonathan.

„Herzlichen Glückwunsch!“, stieß die Arzthelferin endlich hervor. Morgan sprang vom Untersuchungstisch und flog ihm in die Arme, und sie schrien wie Kinder, als er sie herumwirbelte.

Sie waren sich einig, dass sie diese Neuigkeit heute noch nicht verkünden wollten, damit sie das unbeschreibliche Glücksgefühl diese erste Nacht für sich allein genießen und das Geheimnis miteinander teilen konnten.

Sie warteten, bis Caleb, ihr 18 Monate alter Pflegesohn, fest eingeschlafen war, dann gingen sie über die Straße zu dem privaten Strandabschnitt des Hanover Houses hinüber. Sie kicherten und tanzten im Mondlicht der klaren Mainacht zur Musik der Wellen, die rauschend gegen die Küste schlugen. Als sie schließlich zu Bett gegangen waren, hatten sie bis kurz vor Mitternacht wachgelegen und überlegt, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde und wann sie ihr Kind auf dem Ultraschall sehen könnten. Jonathan hielt Morgan im Arm und redete flüsternd über Fußballspiele und Ballett, Klavierstunden und den Lehrer-Eltern-Ausschuss.

Dann waren sie beide endlich eingeschlafen, und nun wollte sie ihn nicht wecken. Es war wahrscheinlich nichts Dramatisches. Nur etwas, was sie gestern Abend gegessen hatte. Sie würde in Zukunft vorsichtiger sein müssen.

Aber als die Krämpfe schlimmer wurden, konnte sie es nicht mehr ignorieren. Sie faltete die Hände über ihrem Bauch und schob die Füße aus dem Bett. Als sie sich aufsetzte, erkannte sie, dass es schlimmer war, als sie gedacht hatte. Auf ihrem Bett war Blut.

„Oh nein.“ Die Worte kamen unbeabsichtigt laut heraus. Jonathan drehte sich um und sah sie im Dunkeln an.

„Schatz, was ist los?“

Sie schaltete das Licht ein. „Oh, Jonathan ...“

Er sah zu ihr auf. In seinem Blick lagen schreckliche Angst und große Sorge, obwohl er noch nicht wusste, worum es ging. Langsam setzte er sich auf. „Was?“

Sie fing an zu schluchzen und zeigte auf die Matratze.

Für einen Moment starrten sie beide auf den Blutfleck ihres sterbenden Traums.

Ihr gerade entstehendes, noch kaum reales, geheimes Baby starb.

Endlich erwachte Jonathan aus seiner fassungslosen Benommenheit und sprang aus dem Bett. „Hast du Schmerzen?“

„Ich werde es verlieren.“ Die Worte sprudelten aus ihr heraus. „Jonathan, ich verliere das Baby.“

„Wir fahren ins Krankenhaus. Vielleicht ist es ja gar nicht das, was du denkst. Vielleicht können sie es aufhalten.“ Er zog die Jeans an, die auf einem Stuhl neben dem Bett hing.

Vielleicht hatte er recht. Vielleicht war das Baby noch da, in seine kleine Fruchtblase eingehüllt, gut geschützt vor dem, was auch immer in ihr passiert war. Oder falls nicht, könnten die Ärzte vielleicht die größte Gefahr abwenden, das drohende Unheil verhüten und ihr eine Wundertablette geben, die dem Baby helfen würde durchzuhalten.

Sie zog sich schnell an, während Jonathan Sadie – ihre 17-jährige Pflegetochter und Calebs Schwester – weckte, um ihr die Notlage mitzuteilen und sie zu bitten, sich um ihren Bruder zu kümmern, falls sie nicht zurück wären, bevor er aufwachte.

Dann führte Jonathan sie nach draußen zum Auto, als ob sie eine schwerkranke Frau wäre, die nicht mehr selbst gehen könnte. Sie versuchte, keine abrupten Bewegungen zu machen, nicht zu fest aufzutreten und sich nicht so stark zu verkrampfen.

Aber alles schien außer Kontrolle zu sein.

„Wir schaffen das, Liebling“, sagte Jonathan, während er in halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Insel fuhr. „Bald sind wir in Savannah.“

War es bereits zu spät? Die Fahrt von Cape Refuge bis zum nächsten Krankenhaus war viel zu weit. Leise weinend starrte sie durch die Windschutzscheibe und betete, dass Gott helfend eingreifen möge.

„Gott wird sie bewahren“, murmelte Jonathan vor sich hin. „Er muss es einfach.“

Morgan verzog das Gesicht. „Sie ... du hast sie gesagt.“ Sie schaute zu ihm hinüber und sah die Tränen auf seinem Gesicht. „Denkst du, dass es ein Mädchen ist?“

Er antwortete nicht. „Gott, bitte ...“

Sie schluchzte und presste die Hand auf ihren Bauch, während er durch die Nacht raste. Was bin ich nur für eine Mutter? Konnte ich das Baby noch nicht einmal einen Tag in meinem Bauch beschützen? Wegen der kühlen Luft aus der Klimaanlage fühlten sich die Tränen auf ihrem Gesicht kalt an.

Jonathans Lippen bewegten sich in einer Art tonlosem Monolog. War es das verzweifelte Gebet eines Predigers des Glaubens und der Hoffnung? Oder das wütende Wettern eines Seemanns, der eine Gefahr kommen sah und glaubte, sie mit genügend Drohungen vertreiben zu können? Seine Hände umklammerten das Lenkrad und von Zeit zu Zeit griff er nach ihrer Hand, um sie zu beruhigen.

Endlich kamen sie beim St. Joseph-Krankenhaus an und Jonathan fuhr direkt vor den Eingang der Notaufnahme. Er stieg aus und rannte um den Wagen herum auf Morgans Seite, um ihr herauszuhelfen. Hinten war ihre Kleidung voller Blut und sogar der Sitz war etwas feucht geworden.

„Ich brauche Hilfe!“ Jonathan führte sie durch die Glasschiebetür. „Bitte, helfen Sie uns doch!“

Aber Morgan wusste, dass es keine Hilfe mehr für ihr Baby gab. Es war bereits zu spät.

Polizeichef Matthew Cade, der von allen Bekannten nur Cade genannt wurde, kam früh am nächsten Morgen ins Hanover House. An seinem Gesichtsausdruck konnte Morgan erkennen, dass er nicht vorbeigekommen war, um mit ihnen zu frühstücken. Er war Jonathans bester Freund und die große Liebe ihrer Schwester und kam daher öfters vorbei – aber gewöhnlich nicht in Polizeiuniform.

Ben Jacksons Haus war eines der eleganteren auf der Insel. Es lag in der Nähe der nordöstlichen Spitze der Insel und vom Garten aus konnte man den Atlantik sehen. Ein Strandgrundstück war etwas Besonderes auf Cape Refuge, aber es war überall bekannt, dass die Jacksons Geld hatten. Das war auch der Grund, warum er im Bürgermeisterwahlkampf an der Spitze lag.

Er hatte mehr Geld in den Wahlkampf investiert als die beiden anderen Kandidaten. Seine Werbespots liefen seit einem Monat auf den Fernsehsendern von Savannah und große Plakate direkt hinter der Brücke nach Tybee Island und neben der Inselschnellstraße nach Savannah warben für ihn. Außerdem hatte er ganzseitige Werbeanzeigen in der Savannah Morning News und im Cape Refuge Journal geschaltet. Auch Blair hatte ihm Platz für seine Anzeigen verkaufen müssen, die ihm dabei halfen, sein Image als „der Mann des Volkes“ aufzubauen.

Das Verandalicht an seinem Haus war an, obwohl die Sonne heiß und grell vom Himmel schien. Wahrscheinlich hatte Ben es die ganze Nacht über angelassen.

Morgan klopfte. Jonathan stand hinter ihr, die Hände in den Hosentaschen. „Ich kann nicht glauben, dass ich hier bin.“

„Jonathan, vergiss mal einen Moment, dass ihr im Bürgermeisterwahlkampf Rivalen seid, und verhalte dich wie ein Pastor. Wir sind als Christen hier, die sich um ihn kümmern wollen, und nicht als Konkurrenten.“

Jonathan schluckte. „Du hast recht.“

Ben öffnete die Tür. Sein Gesicht war blass und seine Augen gerötet mit dunklen Ringen darunter. Er war unrasiert und sein Haar war zerzaust und fettig. „Was macht ihr hier?“

„Ich wollte dir Gesellschaft leisten“, sagte Morgan. „Du musst das hier nicht allein durchstehen.“

Er trat von der Tür zurück und ging wieder nach drinnen, und Morgan fragte sich, ob er sie damit einlud, ebenfalls hereinzukommen. Sie stieß Jonathan an, und sie gingen hinein und machten die Tür hinter sich zu.

Sie folgten ihm durch ein großes Zimmer mit teuren Seidenvorhängen und protzig verzierten Wänden in die angrenzende Küche, die eine metallisch glänzende Decke hatte und mit blitzblanken Edelstahlgeräten ausgestattet war. Ben stützte sich schwer auf die bernsteinfarbene Granittheke. „Was wollt ihr?“ Er sah Jonathan an. „Bist du hergekommen, um dich daran zu weiden, dass es mich jetzt getroffen hat?“

Mit einem raschen Blick bat Morgan ihren Mann, freundlich zu antworten.

„Das würde ich nie tun. Ich bin gekommen, weil Morgan meinte, dass du verzweifelt und einsam wärst. Ich dachte, dass es vielleicht etwas gibt, was wir für dich tun können.“

„Ihr könntet rausgehen und nach ihr suchen!“ Seine Hand zitterte, als er sich damit durchs Haar fuhr. „Ihr könntet mir sagen, wo sie ist. Das könntet ihr tun.“

„Ben, bist du dir sicher, dass sie nicht einfach für eine Nacht die Stadt verlassen hat?“, fragte Morgan. „Vielleicht hat sie bei all dem Stress ...“

„Auf keinen Fall. Wir waren gerade dabei, eine In-vitro-Fertilisation durchführen zu lassen. Das erfordert Tag für Tag große Disziplin. Ich muss ihr jeden Tag um dieselbe Zeit eine Spritze geben und ihren Körper mit Hormonen und Medikamenten vollpumpen. Es wäre alles umsonst, was sie bisher durchgestanden hat. Das würde sie niemals tun.“

Jonathan setzte sich und rieb mit den Händen über seine Knie. „Diese Hormone, rufen sie keine Gemütsschwankungen hervor oder vielleicht sogar irrationales Verhalten? Vielleicht ist ihr der Druck zu viel geworden ...“

„Sie kommt mit dem Stress zurecht“, unterbrach Ben ihn. „Sie hat es bisher immer geschafft. Wir haben es schon dreimal versucht und sie kam klar damit. Das ist unser Leben. Schon seit 13 Jahren. Ja, die Hormone machen sie launisch. Sie weint öfter. Sie ist reizbar und unleidlich, und manchmal ist sie zornig. Jede Frau wäre das, wenn sie vier Fehlgeburten gehabt hätte und nichts zu funktionieren scheint. Aber sie ist nicht verärgert über mich und sie wäre nicht einfach so abgehauen, solange wir noch Hoffnung haben.“

Er ging zu dem großen Fenster mit Meerblick und starrte hinaus, als ob er erwartete, dass sie gleich durch die Wellen geschwommen käme und tropfnass über den Strand liefe.

Bei ihrem Morgenspaziergang genoss Blair Owens die letzten ruhigen Augenblicke des Tages, bevor sie anfing, neuen Storys für ihre Zeitung, die dreimal wöchentlich erschien, hinterherzujagen. Das Zeitungsgewerbe war noch neu für sie. In den letzten Jahren hatte sie als Bibliothekarin gearbeitet, und sie hatte die Zeitung erst vor einem Monat gekauft. Denn obwohl sie weithin als Recherchegenie bekannt war, das den Fakten nachjagen konnte wie ein Windhund einem Kaninchen, hatte die Arbeit als Bibliothekarin aufgrund ihres Minderwertigkeitskomplexes gut zu ihr gepasst. Wegen der Brandnarben auf ihrer rechten Gesichtshälfte fühlte sie sich in der Öffentlichkeit unsicher, doch seit sie die Zeitung gekauft hatte, war sie gezwungen, ihre eigenen vier Wände zu verlassen. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie sich daran gewöhnt hatte, aber dann merkte sie, dass ihre neue Aufgabe besser zu ihrer Persönlichkeit passte.

Sie stapfte durch den Sand und das Gras am Flussufer der Insel zu Cricket’s hinüber, einem kleinen Schnellimbiss am Kai, in dem sie jeden Morgen frühstückte. Oft wurde sie am Ende ihres Spaziergangs dadurch belohnt, dass sie auf Cade traf, der dort am Tresen saß und an seinem Kaffee nippte, als ob er nur auf sie gewartet hätte.

Sie hoffte, dass er auch heute da war. Es war schon ein Monat vergangen, seit sie sich zum ersten Mal geküsst hatten, und seitdem hatte sie Schmetterlinge im Bauch. Sie fragte sich, ob es ihm genauso viel bedeutet hatte wie ihr. Obwohl er seither viel mehr Zeit mit ihr verbrachte, wollte sie nicht zu viel hineininterpretieren. Es hatte sich bereits das Gerücht verbreitet, dass Cade und sie ein Paar waren, und die Leute auf der Insel fingen an, sie auch so zu behandeln. Aber in Wirklichkeit war sie sich gar nicht sicher, was sie waren. Sie hatten ihre Gefühle nie in Worte gefasst, aber die Veränderung von Cades Verhalten ihr gegenüber ließ darauf schließen, dass es inzwischen mehr als nur eine enge Freundschaft war. Sie hatte nicht viel Erfahrung mit dieser Art von Beziehung. Sie fühlte sich wie ein Teenager, der für jemanden schwärmte, der unerreichbar war.

Sie ging zur Fliegengittertür des kleinen Restaurants und trat ein. Cade saß am Tresen, er trug seine khakifarbene Uniform. Als die Tür aufging, drehte er sich auf seinem Stuhl um und lächelte sie an. Sie konnte sich den wohligen Schauer, der sie durchfuhr, nicht erklären.

„Hallo“, sagte sie mit einer Stimme, die, wie sie hoffte, freundlich und gelassen klang. Sie unterdrückte den Drang, sich zu ihm hinüberzubeugen und ihn zu küssen, seine frisch rasierte Wange zu berühren oder mit dem Finger über sein Ohr zu streichen.

„Ich habe gehofft, dass du kommen würdest, bevor ich gehen muss.“

„Wohin gehst du?“

„Auf die Arbeit.“ Er wandte sich wieder dem Tresen zu, als sie sich setzte. „Colonel, bringen Sie Blair bitte eine Tasse Kaffee?“

Sie betrachtete Cade, während der Colonel ihr eine Tasse brachte. Cade sah aus, als ob er in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen hätte. Hatten die Schmerzen in seinem Bein ihn nicht schlafen lassen? Sie hatte den Kampf miterlebt, den er gehabt hatte, als er die Krücken gegen den Stock ausgetauscht und sich dazu gezwungen hatte, das operierte Bein wieder zu belasten, obwohl die Knochen nur von den Stahlstäben zusammengehalten wurden, die die Chirurgen eingesetzt hatten. „Du siehst müde aus.“

„Ja, ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen.“ Er nippte an seinem Kaffee. „Ich habe an dem Fall einer vermissten Person gearbeitet.“

„Wer wird vermisst?“

„Lisa Jackson“, antwortete der Colonel über die Bar hinweg.

Blair sah auf und hielt die Luft an. „Ben Jacksons Frau? Sie wird vermisst?“

Cade nippte erneut an seinem Kaffee und nickte. „Ja, inzwischen weiß es fast jeder, weil wir überall auf der Insel Leute befragt haben.“

„Das gleiche hat Ben auch getan“, sagte der Inhaber des Restaurants. „Er hat jeden ausgequetscht, der gestern Abend hier hereingekommen ist. Ich glaube, dass sie wahrscheinlich einen Streit hatten und dass sie abgehauen ist, um eine Nacht Ruhe zu haben. Sie wird heute Morgen bestimmt wieder auftauchen und sie werden alles in Ordnung bringen. Das müssen sie einfach. Denn keiner von beiden will Bens Chancen bei der Bürgermeisterwahl gefährden.“

Blair nahm ihren Kaffee und drehte sich wieder zu Cade um. „Wie lange wird sie schon vermisst?“

„Seit noch nicht ganz 24 Stunden, soweit wir wissen. Aber ich sah keinen Grund dafür, noch zu warten, nachdem Ben uns verständigt hat. Wenn sie heute auftaucht, umso besser.“

Sie dachte darüber nach, während sie einen Schluck trank. „Der Stress wegen der Podiumsdiskussion hat die Stimmung wahrscheinlich aufgeheizt. Im Moment kann es schon sein, dass das Zusammenleben mit Ben nicht ganz einfach ist.“

„Er ist davon überzeugt, dass ihr etwas zugestoßen ist.“

„Na ja, wir wissen beide, dass Ben gewöhnlich Unrecht hat. Trotzdem sorgt der Zwischenfall für eine interessantere Story am Rande der Podiumsdiskussion. Bisher habe ich mir einen großen Artikel auf der Titelseite vorgestellt mit ein paar prägnanten Zitaten von ihrem Wortgefecht heute Morgen, aber jetzt kann ich von vermissten Ehefrauen und dem Stress, den der Wahlkampf in den Familien der Kandidaten hervorruft, berichten. Weiß der Himmel, wie aufreibend es für meine Schwester ist. Morgan war so angespannt, dass man kaum mit ihr reden konnte. Man könnte meinen, dass Jonathan schon seit Jahren in der Politik ist.“

„Schlachte es nicht zu sehr aus, Blair. Bis jetzt gibt es noch keine Story.“

Blair bemühte sich, nicht beleidigt auszusehen. „Ich? Hey, ich berichte nur die Wahrheit. Du weißt, dass ich nichts ausschmücke.“

„Jeder Journalist neigt zum Ausschmücken und deine Fantasie ist gerade auf dem besten Weg dahin.“

„Du weißt, dass ich seriös arbeite.“ Zumindest hoffte sie, dass er es wusste. Früher, als sie nach ihren eigenen Regeln gelebt hatte, hätte sie um der Auflagenzahl willen vielleicht übertrieben. Aber ihr Leben hatte sich verändert. Sie hatte ihr Leben erst vor einigen Wochen Jesus Christus übergeben und seitdem hatte sich alles verändert. Jetzt versuchte sie, auch bei der Arbeit die biblischen Grundsätze der Ehrlichkeit und der Liebe zu verwirklichen. Es war nicht immer einfach – manchmal schaffte sie es noch nicht ‒, aber in Gottes Schule lernte sie Tag für Tag hinzu.

Cade stand auf und griff nach seinem Stock. „Ich muss gehen.“

Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. „Du hast keine Zeit mehr, etwas zu essen?“

„Ich habe zu Hause eine Schale Müsli gegessen.“ Seine Stimme wurde tiefer, als er sich nahe zu ihrem Ohr hinunterbeugte. „Ich bin nur gekommen, um dich zu sehen.“

Sie lächelte ihn an und wusste, dass ihre Gefühle sich in ihren strahlenden Augen widerspiegelten. Er schmunzelte, während er zur Tür hinaushumpelte und die Fliegengittertür hinter sich zufallen ließ.

Als sie sich wieder umdrehte, sah sie, dass der Colonel sie angrinste. „Was ist?“

Er fing an zu kichern. „Dich hat es genauso erwischt wie ihn.“

Leise lachend brachte sie die Tasse an ihre Lippen und versteckte sich dahinter. Sie hoffte, dass der Colonel Cades Gefühle für sie richtig einschätzte.

Cade und Ben Jackson hatten ein gestörtes Verhältnis zueinander, aber Cade wusste, dass er das ausschalten musste, solange er an diesem Fall arbeitete. Er durfte sich nicht mit Gerüchten oder Übertreibungen, mit Bens unbegründeter Kritik an der Polizeiarbeit und seinem Vorhaben, ihn zu feuern, wenn er zum Bürgermeister gewählt würde, aufhalten. Tatsächlich hatte Cade in Lisas Fall sogar außergewöhnlichen Einsatz gezeigt, um zu beweisen, dass er nichts gegen ihn hatte. Die meisten Polizeieinheiten hätten die Suche erst gestartet, wenn sie seit 24 Stunden vermisst worden wäre. Doch Cade hatte ein besonderes Interesse daran, vermisste Personen zu finden, weil er selbst noch vor Kurzem vermisst wurde. Dabei spielte es für ihn keine Rolle, dass Lisas Mann vorhatte, ihn fertigzumachen.

Cade war sich sicher, dass Ben ihn angerufen hätte, wenn er etwas von Lisa gehört hätte. Trotzdem hatte er entschieden, vom Cricket’s aus bei ihm vorbeizufahren, um ihn über die neuesten Ergebnisse der Suche zu informieren. Er traf dort auf Jonathan und Morgan, und obwohl es ihn wunderte, dass Ben Jonathan hereingelassen hatte, war er froh, dass der Mann nicht allein war. Jeder auf der Insel wusste, dass Morgan eine gute Trösterin war ‒ sie war immer eine der ersten, die nach einer Tragödie einen frisch zubereiteten Auflauf vorbeibrachte und die Trauernden in den Arm nahm.

Obwohl Jonathan viel einfühlsamer geworden war, seit er den Predigerdienst in ihrer kleinen Gemeinde übernommen hatte, würde es ihm zweifellos schwerer fallen, seinen politischen Rivalen zu trösten. Dennoch wusste Cade, dass sein Freund der Aufgabe gewachsen war.

Ben sah noch schlechter aus als gestern Abend. In seinen Augen war schreckliche Angst zu erkennen und seine Hände zitterten, aber er schien dankbar zu sein, als er hörte, wie viel die Polizei bereits unternommen hatte, um Lisa zu finden.

Er rieb sein stoppeliges Kinn und sah Cade mit feuchten Augen an. „Hören Sie mal, was ich während des Wahlkampfs alles über Sie gesagt habe ...“

„Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Ben. Das spielt jetzt alles keine Rolle. Ich bin nur hier, um meinen Job zu machen.“

Ben sah so geknickt aus, wie Cade ihn noch nie gesehen hatte. „Was ich nur sagen will: Hätte ich gewusst, dass ich Sie mal so brauchen würde, wäre ich sicherlich ein bisschen vorsichtiger gewesen, mit dem, was ich gesagt habe.“

Morgan klopfte ihm auf die Schulter. „Cade ist nicht nachtragend. – Du wirst sie doch finden, Cade?“

„Wir werden alles dafür tun. Aber ich muss noch ein paar Dinge mit Ihnen besprechen, Ben.“

Ben nickte, als müsse er seine Kooperationsbereitschaft unter Beweis stellen. „Natürlich. Alles, was Sie wollen.“

Jonathan stand auf. „Wir fahren jetzt, damit ihr euch in Ruhe unterhalten könnt.“ Er schüttelte Ben die Hand. „Sag uns Bescheid, wenn du etwas brauchst, okay?“

Morgan umarmte Ben. „Ruf uns bitte an, wenn sie wieder auftaucht. Wir werden alle Leute bitten, für euch zu beten.“

Ben rieb sich das Gesicht. „Ich weiß das zu schätzen.“

„Und die Podiumsdiskussion wird nicht ohne dich stattfinden“, sagte Jonathan. „Ich werde sie absagen.“

„Das musst du nicht. Sam wird damit ganz und gar nicht einverstanden sein.“

„Natürlich werde ich sie absagen. Das hier ist eine ernste Sache, und Sam wird darüber hinwegkommen.“

Ben hätte kaum gleichgültiger wirken können. Er starrte einfach nur Cade an und wartete unverkennbar darauf, dass er seine Fragen stellen würde. Cade hatte das Gefühl, dass ihn die Bürgermeisterwahl momentan nicht im Geringsten interessierte.

Auf der Heimfahrt war Morgan schweigsam.

„Geht es dir gut, Liebling?“, fragte Jonathan.

Sie lehnte ihren Kopf gegen die Kopfstütze. „Ja.“

„Du hast über das Baby nachgedacht, oder?“

Sie schloss ihre Augen und hoffte, dass er ihren gequälten Blick nicht sah. „Ich habe mich gerade gefragt, ob Gott meine Gebete noch erhört. Wird er meine Gebete für Lisa erhören, wenn er nicht mal meine Gebete für das Baby erhört hat?“

Eine Zeit lang herrschte Stille zwischen ihnen. Sie war froh, dass er nicht gleich mit der platten Antwort, dass Gott sie zwar gehört, aber einen anderen Plan mit ihr hatte, daherkam. Auch wenn das wahr war, wollte sie es im Moment nicht hören.

„Wird es jemals funktionieren, Jonathan?“

„Natürlich.“ Seine Stimme klang genauso schwach und unsicher wie ihre.

Als Morgan mit Blair die Treppe herunterkam, erkannte sie gleich die wütende Stimme an der Haustür.

„Ich habe gehört, dass ihr vorhabt, die Podiumsdiskussion abzusagen. Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid, dass ihr diese Entscheidung treffen könnt, ohne mich überhaupt zu fragen?“

Morgan sah Blair an.

„Sam Sullivan“, sagten beide im selben Moment.

Sam war der dritte Kandidat im Bürgermeisterwahlkampf – und er hatte ein Buch über unbarmherzige Wahlkämpfe geschrieben. Morgan hätte sich denken können, dass es ihm nicht gefallen würde, dass sie die Podiumsdiskussion abgesagt hatten.

Als sie unten ankam, ging sie zu Jonathan, der an der Haustür stand.

„Lisa Jackson wird vermisst“, sagte er gerade. „Unter diesen Umständen können wir die Sache unmöglich durchziehen.“

„Wir beide hätten es auch allein machen können.“ Sams Ohren wurden rot. „Wenn jemand nicht kommen kann, ist es sein Pech. Aber die Podiumsdiskussion muss heute trotzdem stattfinden. Wir haben überall in der Stadt Werbeplakate angebracht – teuer bezahlte Werbeplakate, wie ich betonen möchte. Die Podiumsdiskussion darf nicht abgesagt werden, ohne dass es vorher mit allen Teilnehmern abgesprochen wurde.“

Jonathan schüttelte den Kopf. „Wir können sie verschieben, Sam. Das schadet niemandem.“

Sam sah mit seinem Bürstenhaarschnitt und seiner „Ich werde nicht respektiert“-Einstellung wie ein Südstaaten-Verschnitt von Rodney Dangerfield1 aus. „Du hältst dich wohl für ziemlich schlau, Jonathan, was? Uns alle aus dem Konzept zu bringen, nachdem wir uns darauf vorbereitet hatten. Du weißt nur zu gut, dass Ben Jackson alles tut, um das öffentliche Interesse auf sich zu ziehen. Und das hier ist der größte Werbegag, den er bisher inszeniert hat.“

„Das habe ich auch erst gedacht“, sagte Jonathan. „Aber inzwischen glaube ich nicht mehr, dass es ein Werbegag ist. Ich war heute Morgen bei ihm.“

„Hab ich’s doch geahnt!“ Sam riss die Hände hoch. „Ihr beide steckt also unter einer Decke. Ich hätte es wissen müssen. Aber du kannst sicher sein, dass ich es jedem Reporter in der Gegend erzählen werde ...“

„Versuch es ruhig auszunutzen“, sagte Jonathan. „Damit wirfst du dich selbst aus dem Rennen. Wenn du wie jemand dastehen willst, der keinen Funken Mitleid hat, dann bitte.“

„Ich hätte große Lust, die Podiumsdiskussion heute trotzdem stattfinden zu lassen. Dann stehe ich eben allein da und kann die Gunst der Stunde nutzen.“

„Wie ich schon gesagt habe: Wirf dich ruhig selbst aus dem Rennen.“ Jonathan öffnete schwungvoll die Windfangtür, um Sam hinauszulassen. „Schade, dass du schon wieder gehen musst. Aber es war nett, dass du vorbeigekommen bist, Sam.“

Als Sam Morgan und Blair im Flur stehen sah, sagte er: „Blair Owens, Sie täten gut daran, in Ihrer Zeitung über diesen Zwischenfall hier zu berichten! Erzählen Sie den Leuten, wie er mich behandelt hat. Sie dürfen nicht parteiisch sein.“

Blair kreuzte ihre Arme vor der Brust. „Ich bin schon dabei, Sam.“

Er marschierte zur Tür hinaus. Dabei murmelte er etwas davon, dass versucht würde, die Wahl zu torpedieren, und dass er wegen des Geldes für die Werbung vor Gericht ziehen würde. Jonathan ließ die Tür hinter ihm zuknallen.

Blair kicherte. „Der Mann macht sich selbst lächerlich. Der Traum eines jeden Reporters.“

Jonathan biss die Zähne zusammen. „Kommt in mein Haus und staucht mich zusammen. Soll er die Podiumsdiskussion doch durchziehen. Ich hoffe, er stolziert zum Pier hinunter und zeigt sein wahres Gesicht.“

„Wirst du auch hingehen und die Bekanntgabe machen?“

„Darauf kannst du wetten“, sagte Jonathan. „Und wenn Sam versucht, sich mir in den Weg zu stellen, werden die Leute sehen, was er für ein Typ ist.“

Sadie kam die Fahrt zum Gefängnis, das eine Stunde östlich von Atlanta lag, jedes Mal, wenn sie die Strecke fuhr, länger vor. Sie vertrieb sich die Zeit mit Musikhören, aber als sie dort ankam, graute ihr schon vor der Heimfahrt.

Sie ging durch die Sicherheitskontrolle, wo sie ihre Taschen ausleeren, ihre Schuhe ausziehen und eine Durchsuchung über sich ergehen lassen musste, die sie erniedrigend fand. Dann nahm sie in einer der Besucherkabinen Platz und wartete darauf, dass ihre Mutter geholt wurde. Sie hatte sie schon seit über einem Jahr nicht mehr umarmen können, seit sie verhaftet und wegen Drogenhandels verurteilt worden war. Eine dreckige Glasscheibe trennte sie, und sie mussten über Telefone, die auf beiden Seiten der Glaswand hingen, miteinander sprechen.

Detective Joe McCormick, der einzige Kriminalbeamte in Cades Polizeieinheit, war letzte Nacht nicht dabei gewesen, als Ben Lisa vermisst gemeldet hatte. Da sie immer noch nicht gefunden worden war und die Möglichkeit, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden war, mit jeder weiteren Stunde wuchs, beschloss Cade, McCormick in den Fall einzubeziehen. Vielleicht würde der Detective in Bens Geschichte auf irgendeinen nützlichen Hinweis stoßen.

McCormick machte Notizen, während Ben seine Geschichte noch einmal erzählte. Als Ben fertig war, las McCormick sich seine Notizen noch einmal genau durch. „Wo haben Sie gestern geangelt, Ben?“

„Ich bin mit meinem Boot zu den Riffs gefahren.“

„Haben Sie etwas gefangen?“

„Ja. Sechs schwarze Seebarsche. Sie sind in der Gefriertruhe.“

„Dann haben Sie sich also die Zeit genommen, sie auszunehmen, bevor Sie losgefahren sind, um sich mit Lisa zu treffen?“

„Ja. Es hat nicht so lange gedauert. Danach habe ich geduscht und bin zur Arztpraxis gefahren.“

„Wie lange waren Sie da draußen?“

„Bis ungefähr zwei Uhr. Unser Arzttermin war um halb vier.“

„Hatten Sie noch mal Kontakt mit ihr, nachdem Sie Cape Refuge verlassen hatten?“, fragte McCormick.

Ben schüttelte den Kopf. „Nein, gar nicht. Sie hatte doch die vielen Termine. Es war ein wichtiger Tag für sie. Sie stand bei einigen Häusern kurz vor dem Geschäftsabschluss und freute sich auf diese Termine. Und ich muss Ihnen ja nicht erklären, dass die Handys auf der Insel nicht funktionieren. Wenn sie in Savannah ist, kann ich sie normalerweise erreichen, aber nicht hier.“

„Hat sie sich Sorgen über irgendetwas gemacht – oder war sie erregt?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nur das Übliche.“

„Welches Übliche?“, fragte McCormick.

„Also, wie Sie wissen, waren wir beide wegen des Bürgermeisterwahlkampfs gestresst. Außerdem hat sie sich Sorgen darüber gemacht, ob die In-vitro-Fertilisation funktionieren würde. Und dann wollte sie sich noch mit diesem einflussreichen Hollywood-Produzenten treffen, um ihm dabei zu helfen, passende Locations für seinen neuesten Film zu finden.“

„Ich weiß, um wen es geht“, sagte Cade. „Wir werden ihn noch heute befragen.“

„Sie ist nicht zu diesem Termin erschienen. Rani hat gesagt, dass sie für Lisa einspringen musste.“

McCormick rieb sich das Kinn, während er in Bens Gesicht zu lesen versuchte. Cade wusste, wonach er suchte. Der Ehemann galt immer als möglicher Verdächtiger, wenn eine Frau Opfer eines Verbrechens geworden war. Doch bis jetzt hatte Cade weder Falschheit in Bens Körpersprache noch Widersprüche in seiner Geschichte finden können. Sie waren sich immer noch nicht sicher, ob an der Sache vielleicht irgendetwas faul war.

„Sie hatte viel zu tun, was?“, fragte McCormick.

„Ja, aber das ist bei ihr immer so.“

Ist. Dass er die Gegenwartsform verwendete, war ein gutes Zeichen.

„Ich hatte erwartet, sie zu Hause anzutreffen, als ich wieder zurückkam, denn wir wollten zusammen zum Kinderwunschzentrum fahren. Aber sie war nicht da. Also habe ich in ihrem Büro angerufen. Doch Rani hatte sie auch nicht gesehen. Niemand hatte sie gesehen, aber ich habe mir trotzdem noch keine Sorgen gemacht. Ich nahm an, sie würde direkt zur Arztpraxis kommen. Denn es war undenkbar, dass sie diesen Termin verpassen würde.“ Er brach ab und rieb sich über den Mund. „Erst dann ist mir klar geworden, dass ihr etwas zugestoßen sein muss. Ab diesem Zeitpunkt habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen.“

Cade hörte, wie draußen eine Tür zugeschlagen wurde. Sofort sprang Ben auf und stürzte zum Fenster, als ob er erwartete, Lisa aus ihrem Auto steigen zu sehen. Aber es war nicht Lisa. Ein Übertragungswagen eines Fernsehsenders aus Savannah parkte vor dem Haus und ein Kamerateam baute seine Ausrüstung auf. Cade beobachtete den stylisch frisierten Reporter, der über den Rasen auf die Haustür zulief.

„Es ist die Presse“, sagte Ben. Seine Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen. Er ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. „Ich habe gedacht, sie käme zurück.“

Cade sah, wie er sein Gesicht mit den Händen bedeckte und mit den Tränen kämpfte. Er wusste nicht, wie er den Mann trösten sollte, aber er war sich sicher, dass das keine Schauspielerei war. Die Sorge und die Angst schienen echt zu sein.

Es klingelte. „Wollen Sie mit ihnen sprechen?“, fragte Cade leise.

Ben nahm die Hände vom Gesicht und schaute in Richtung Haustür. „Ich denke, es könnte hilfreich sein zu erzählen, was passiert ist.“

Es war nicht die Antwort, die Cade erwartet hatte. Aber er verstand, was er damit beabsichtigte. Vielleicht war es eine gute Idee.

Ben ging an die Tür und teilte dem Reporter mit, dass er in einer Minute kommen würde, um ein Interview zu geben. Dann drehte er sich zu Cade und McCormick um. „Ich muss überlegen, was ich ihnen sagen will.“

„Geben Sie ihnen ein Bild von ihr“, sagte Cade. „Beschreiben Sie ihnen ihr Auto und sagen Sie ihnen, wann sie zum letzten Mal gesehen wurde. Solche Sachen.“

Ben holte ein eingerahmtes Bild von einem Beistelltisch. „Das sollte reichen.“ Seine Hände zitterten, als er es aus dem vergoldeten Rahmen herausnahm. Er wirkte zerstreut, als würde er in Gedanken unaufhörlich für seine Frau beten. „Sind wir hier fertig?“

Cade sah McCormick an. Er nickte. „Ben, gestern Abend haben wir alle Hotels auf der Insel überprüft, um zu sehen, ob sie vielleicht irgendwo ein Zimmer genommen hat. Aber das hat sie nicht. Heute haben wir die Hotels in den umliegenden Städten überprüft. Gibt es noch irgendwelche anderen Städte, die wir überprüfen sollten? Hat sie Familienangehörige, zu denen sie gefahren sein könnte?“

„Nein. Ich habe gestern Abend mit ihren Eltern, die in Cordele wohnen, telefoniert. Sie haben nichts von ihr gehört. Und sie hat keine Geschwister. Ich kann mir nicht vorstellen, wo sie sonst hingefahren sein könnte.“

„Wir fahnden im gesamten Bundesstaat nach ihrem Auto, und ich werde die Polizei in South Carolina und Florida bitten, dasselbe zu tun. Vielleicht entdeckt es ja jemand.“ Cade stand auf und griff nach seinem Stock. McCormick folgte ihm zur Tür.

Ben hielt sie an der Tür auf, griff nach Cades Arm und blickte ihn voller Verzweiflung an. „Finden Sie sie, Cade. Es darf ihr nichts passieren.“

Cade wollte ihm keine leeren Versprechungen machen. „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, Ben.“

Bens Gesicht war eingefallen, gezeichnet von großer Angst. „Würde es Ihnen beiden etwas ausmachen, mit mir nach draußen zu kommen und bei mir zu bleiben, während ich das Interview gebe? Vielleicht werden sie Ihnen auch ein paar Fragen stellen wollen.“

„Ich werde kein Interview geben“, antwortete Cade. „Aber unsere Anwesenheit wird ihnen zeigen, dass wir die Angelegenheit ernst nehmen.“

Die drei gingen in den Vorgarten, und sofort wurde die Fernsehkamera eingeschaltet. Cade sah, dass Blairs Wagen gerade vor dem Haus hielt. Sie stieg aus und hastete durch den Garten auf sie zu. Offenbar wollte sie auf keinen Fall etwas verpassen.

Cade hoffte, dass die öffentliche Aufmerksamkeit Lisa dazu bringen würde, zurück nach Hause zu kommen, und dass sie sich später alle wie Trottel vorkommen würden, weil sie so einen Wirbel um Nichts gemacht hatten. Doch noch wollte er sich nicht darauf verlassen, dass es tatsächlich so war. Wenn es nach ihm ginge, würde Lisa noch heute gefunden werden.

Den ganzen Morgen über kreisten Morgans Gedanken um ihre verschwundene Freundin. Schließlich beschloss sie, zu Lisas Maklerbüro zu fahren, um mit ihrer Geschäftspartnerin zu sprechen. Rani Nixons Mercedes Roadster war der einzige Wagen, der auf dem Parkplatz stand. Morgan vermutete, dass die Angestellten samstags frei hatten.

Die Sonne brannte auf den schwarzen Asphalt und der Straßenbelag strahlte die Hitze wieder nach oben ab. Sie war froh, dass die Podiumsdiskussion heute nicht stattfand. Sie war immer noch von der Fehlgeburt geschwächt. Dabei hätte ihr auch so schon davor gegraut, draußen am South Beach Pier zu stehen und versuchen zu müssen, trotz der 35 Grad Celsius frisch und gut gelaunt auszusehen.

Als sie das Gebäude betrat, in dem sich das Maklerbüro befand, umwehte sie kühle Luft aus der Klimaanlage. Sie ging in den Wartebereich. Es war niemand da, und sie sah sich um. Morgan war noch nie hier gewesen, wusste also nicht, wo Ranis Büro lag, aber sie konnte ihre Stimme aus einem der hinteren Büros hören. Sie ging zur Tür und sah, dass die Frau telefonierte. Rani bemerkte sie, winkte ihr zu und bedeutete ihr, dass sie sich gleich um sie kümmern würde.

„Ja, hören Sie, falls sie bei Ihnen vorbeikommt, würden Sie ihr bitte sagen, dass sie zurückrufen soll? Wir machen uns alle große Sorgen um sie.“ Rani schniefte und putzte sich mit einem zusammengeknüllten Taschentuch die Nase.

Morgan wandte sich ab, weil sie spürte, dass sie in ein persönliches Gespräch hineingeplatzt war.

„Wir hoffen es auch nicht. – Ja, ich weiß.“

Morgan sah wieder zu ihr hin und beim Anblick dieser ungewöhnlich attraktiven Frau empfand sie so etwas wie Bewunderung. Rani Nixon sah immer noch wie ein Covermodel aus. Mit ihren Halle Berry2-Gesichtszügen und dem kurzgeschnittenen, schwarzen Haar sah sie so gut aus, dass es kaum gewundert hätte, wenn immer noch Horden von Paparazzi hinter ihr hergelaufen wären. Als sie vor fünf Jahren ihre Model-Karriere aufgegeben hatte und nach Cape Refuge gezogen war, um Lisas Geschäftspartnerin zu werden, hatte sie auch in diesem Geschäft sofort großen Erfolg gehabt. Jeder wollte mit dieser Berühmtheit Geschäfte machen. Ihr Ruf, ihr Geld und ihre aggressive Art hatten zu dem schwindelerregenden Erfolg des Maklerbüros beigetragen.

Rani legte auf. „Sie sind Morgan, nicht wahr?“ Sie erhob sich. Im Vergleich zu ihren 1,77 Metern kam Morgan sich wie ein Zwerg vor.

„Ja.“ Die Frau hatte einen Handschlag wie an der Wall Street, und Morgan fühlte sich eingeschüchtert. „Gut, dass ich Sie antreffe. Ich bin einfach mal vorbeigekommen, um mit Ihnen über Lisa zu sprechen. Ich mache mir wirklich Sorgen um sie.“

„Das tun wir alle. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich war krank vor Sorge.“ Sie bat Morgan mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen, und Rani setzte sich ebenfalls wieder. „Wie haben Sie denn davon erfahren?“

„Ich habe gestern ein paar Nachrichten auf Lisas Anrufbeantworter gesprochen. Deshalb ist Cade heute Morgen zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich später noch Kontakt mit ihr hatte. Aber das hatte ich nicht. Sie hat nicht zurückgerufen.“

Rani schüttelte den Kopf und beugte sich vor. „Ich habe ein schlechtes Gefühl, Morgan. Ein sehr schlechtes Gefühl.“

Das war nicht das, was Morgan hören wollte. „Warum?“

„Weil sie gestern unzählige Termine hatte. Glauben Sie mir, sie hätte sie nicht einfach so versäumt. Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, den Schaden zu begrenzen und für sie einzuspringen. Und das passiert normalerweise nie. Aber der Gipfel ist, dass sie ihren Arzttermin verpasst hat.“

„Im Kinderwunschzentrum.“ Morgan wollte Rani zu verstehen geben, dass Lisa mit ihr darüber gesprochen hatte.

„Ja, was diese Dinge betrifft, ist sie ein wenig verrückt. Ihr Körper ist so mit Hormonen vollgepumpt, dass sie geradezu ausflippt, wenn Ben nur eine Minute zu spät zu diesen Terminen erscheint. Sie hat auf gar keinen Fall einfach mal so beschlossen, nicht hinzugehen und die Stadt zu verlassen.“

„Genau das ist die Frage. Glauben Sie nicht, dass diese Hormone vielleicht dazu geführt haben könnten, dass sie völlig durchgedreht ist?“

„Hey, sie ist launisch, aber sie ist nicht verrückt. Ich habe gemeint, dass sie bezüglich der Arzttermine, ihrer Fruchtbarkeit und der ganzen Babysache überspannt ist. Sie ist wie besessen davon, wissen Sie? Ich habe aber nicht gemeint, dass die Hormone sie wirklich verrückt gemacht haben. Ein wenig gereizt vielleicht. Ein bisschen launisch. Und mal ehrlich, sie hat gestern Termine verpasst, die ihr Provisionen im Wert von einer halben Million eingebracht hätten. Das würde sonst nie passieren.“

„Könnte es sein, dass sie mit dem Auto irgendwo liegen geblieben ist oder so etwas?“

„Das weiß ich nicht. Ihr Auto ist noch nicht aufgetaucht, deshalb kann niemand etwas dazu sagen.“ Sie griff in eine Schublade und holte eine Zigarette und ein Feuerzeug heraus. „Es macht Ihnen doch nichts aus, oder?“, fragte sie, als sie sich die Zigarette anzündete. Sie nahm einen Zug und stieß den Qualm heftig aus, dann legte sie das Feuerzeug zurück in die Schublade. „Lisa kann es nicht ausstehen, wenn ich im Büro rauche. Ich habe versucht aufzuhören, aber bei dem Stress im Moment ist das unmöglich.“

Morgan bemühte sich, nicht zu husten.

„Falls die Polizeibeamten ihren Job verstehen – aber ehrlich gesagt habe ich da so meine Zweifel –, werden sie sicher jeden befragen, mit dem Lisa gestern einen Termin hatte.“

Morgan ließ sich durch den Kommentar über Cades Polizeiteam nicht aus der Fassung bringen. „Sie werden sie finden. Ich kenne Cade sehr gut. Er versteht sein Handwerk hervorragend.“

„Hoffen wir, dass Sie Recht haben. Aber ich bin skeptisch, ob sie das mit nur einem Kriminalbeamten und einem halbverkrüppelten Polizeichef schaffen. Wenn es Lisa gut ginge, hätte sie inzwischen angerufen. Natürlich vorausgesetzt, dass sie an ein Telefon kommen kann. Wenn diese von der Zivilisation abgeschnittene Insel doch nur Handyempfang hätte – so etwas Rückständiges gibt es sonst nirgends. Es hat mich beinahe davon abgehalten, hierher zu ziehen. Und es schadet dem Maklergeschäft, kann ich Ihnen sagen. Die Leute ziehen lieber woanders hin, wenn sie hier noch nicht mal mit dem Handy telefonieren können.“

Morgan machte sich nicht die Mühe zu erwähnen, dass sie schon immer nur Ma Bell3 gehabt hatten. „Hatte sie denn ein Handy dabei?“

„Ja, und ich habe schon unzählige Male versucht anzurufen. Sie geht nicht dran. Wenn sie irgendwo anders als auf dieser Insel wäre, würde sie zumindest ihre Mailbox abhören.“ Rani führte die Zigarette wieder an ihre Lippen. „Ich bin überzeugt, dass er etwas damit zu tun hat.“

„Was? Wer?“

„Ben.“ Sie blies den Qualm Richtung Decke. „Ich würde es ihm zutrauen.“

Morgan starrte sie an. „Halten Sie es für möglich, dass er Lisa etwas antun würde?“

Rani warf Morgan einen verschwörerischen Blick zu. „Ich beschuldige ihn nicht, okay? Ich sage nur, dass es schon lange Zeit Ärger in ihrem kleinen Paradies gab.“

Morgan wusste nicht, ob sie erleichtert oder besorgt sein sollte. Wenn es wirklich ein Streit gewesen war, war Lisa vielleicht weggefahren, um sich abzureagieren. Vielleicht würde sie zurückkommen.

Rani klopfte die Asche der Zigarette in einen Aschenbecher, der wie eine manikürte Hand geformt war. „Vor ein paar Wochen kam Lisa mit verweinten Augen hier herein. Sie hatte in ihrem Büro die Post sortiert ... und Sie werden nicht glauben, was sie da gefunden hat.“

Morgan hatte nicht die geringste Ahnung. „Was?“

„Einen Brief von einer Frau, die behauptet, Bens Geliebte zu sein.“

Morgan fiel die Kinnlade herunter. „Sie machen Witze.“

„Die Frau schrieb ihr, dass sie schon seit Monaten eine Affäre mit Ben habe, und er ihr versprochen hätte, Lisa zu verlassen.“

„Von wem war der Brief?“

„Das ist es ja.“ Rani stützte sich auf ihren Schreibtisch und sah Morgan fest in die Augen. „Es gab keine Unterschrift und keinen Absender. Der Brief wurde in Cape Refuge abgestempelt. Aber es gab keinen Hinweis darauf, von wem er stammt.“

„Hat Lisa Ben damit konfrontiert?“

„Natürlich.“ Rani drückte ihre Zigarette aus. „Dieser Blödmann hat ihr nur gesagt, dass er keine Ahnung hätte, wer den Brief geschrieben hat, und dass er nur Lügen enthielte. Er meinte, dass sie, wenn sie ihm nicht glauben würde, einen Detektiv engagieren könnte, um ihn beschatten zu lassen. Sie hat es ihm abgekauft.“

„Und hat sie einen Detektiv engagiert?“

„Nein. Sie war schließlich selbst davon überzeugt, dass er die Wahrheit gesagt hat. Sie hat gedacht, dass er nicht so viel Mühe auf sich nehmen würde, mit ihr ein Baby zu bekommen, wenn er vorhätte, sie zu verlassen. Außerdem schien er jederzeit für sie da zu sein. Nicht so, wie man es erwarten würde, wenn er etwas zu verbergen hätte.“ Sie wedelte mit der Hand durch die Luft. „Sie haben die Temperaturmethode angewandt, um herauszufinden, wann sie einen Eisprung hat, und all diese Dinge. Und immer, wenn sie ihn angerufen hat, hat er alles stehen und liegen lassen und ist zu ihr gefahren – nach Hause, in die Arztpraxis oder wo immer sie ihn brauchte. Er hat sie auch davon überzeugt, dass er so etwas Dummes nicht tun würde, während er für das Bürgermeisteramt kandidiert. In einer Stadt wie dieser hätte er dann keine Chance mehr.“

„Na ja, das klingt nachvollziehbar“, sagte Morgan. „Ben ist immer um sein Image besorgt. Man sollte wirklich meinen, dass er nicht so dumm ist, eine Affäre zu haben, wenn für ihn dabei so viel auf dem Spiel steht.“

„Das sollte man meinen.“ Sie legte ihr Kinn auf die Hand und seufzte tief. „Aber ich habe es nicht geglaubt. Ich habe sowas schon früher erlebt. Die Leute sind dumm, wenn sie betrügen. – Und dann bekam sie noch mehr Briefe.“

Morgan runzelte die Stirn. „Wie viele?“

„Noch drei oder vier. Und jedes Mal hat er es abgestritten. Aber ich glaube, so langsam fing Lisa an, ihn zu durchschauen. Nach dem letzten Brief war sie wirklich besorgt, und ich konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie anfing, ihm zu misstrauen. Ich versuchte, sie davon zu überzeugen, ihn beim Wort zu nehmen und einen Detektiv zu engagieren, aber ich glaube nicht, dass sie es gemacht hat.“

Morgan fühlte sich schlecht. Vielleicht war der Schmerz, den sie so oft in Lisas Gesicht gesehen hatte, nicht nur eine Folge des Kummers über ihre Kinderlosigkeit. Vielleicht gab es da noch einen tiefer liegenden Grund.

„Rani, haben Sie das auch der Polizei erzählt?“

Rani zündete sich eine weitere Zigarette an. „Ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Ich wusste nicht, ob ich es tun soll, weil es nur noch mehr Fragen aufwirft. Und vielleicht nehmen sie dann an, dass Lisa einfach nur davon gelaufen ist und hören mit der Suche auf.“

„Das würde Cade nicht tun. Sie müssen es ihm erzählen. Das sind für den Fall relevante Informationen.“

„Wenn Ben einen Funken Anstand besitzt, wird er es ihnen selbst sagen.“

„Nicht, wenn er etwas zu verbergen hat.“ Morgan dachte daran zurück, wie Ben sich an diesem Morgen verhalten hatte. Sah er wie ein Mann aus, der sich seiner Schuld bewusst war, wie jemand, der eine Affäre gehabt, seine Frau betrogen und sie die ganze Zeit über belogen hatte? Nein. Er hatte regelrecht neben sich gestanden, und das Verschwinden seiner Frau hatte ihn in Panik versetzt. Das konnte er nicht nur vorgetäuscht haben.

Oder doch?

„Trotz allem glaube ich aber nicht, dass er sie umbringen würde“, sagte Rani. „Selbst wenn er eine Affäre gehabt haben sollte.“

Morgan erschauderte. „Sie umbringen?“

„Nun ja. Ich meine, um sie aus dem Weg zu schaffen, damit er bei seiner Geliebten sein kann oder was auch immer.“

Morgan hatte schon mal daran gedacht, dass Lisa tot sein könnte, aber nur flüchtig. Jetzt verstörte sie der Gedanke, dass Ben es getan habe könnte, mehr, als sie in Worte fassen konnte. „Rani, Sie müssen mit der Polizei sprechen.“

Rani starrte sie lange an und dachte darüber nach. „Ich glaube, Sie haben recht. Ich frage mich, ob sie diese Briefe in ihrem Schreibtisch aufbewahrt hat. Sie sind schließlich hier eingegangen. Vielleicht finde ich sie ja.“ Sie schob den Stuhl zurück und verließ das Büro. Der Duft ihres Parfüms wehte hinter ihr her und vermischte sich mit dem Zigarettenqualm.

Morgan folgte ihr in Lisas Büro. Die Wände sahen aus, als wären sie aus poliertem Marmor, und der Teppich war weinrot. Tiffany-Lampen zierten den antiken Schreibtisch und die Sitzecke. Morgan konnte sich Lisa gut vorstellen, wie sie in diesem Büro ihre Geschäfte zum Abschluss brachte.

Rani zog die Schubladen heraus und durchsuchte sie, bis sie in der untersten eine Schachtel mit Briefen fand.

„Bingo. Da sind sie ja.“ Sie zog die Briefe heraus und warf sie auf den Schreibtisch. „Schauen Sie sich die Briefe an, wenn Sie mir nicht glauben.“

„Ähm ... nein. Das wäre nicht richtig. Bringen wir sie zu Cade. Dann kann er sie lesen.“

Rani zuckte mit den Schultern. „Okay, vielleicht sind sie ja wirklich wichtig. Ich hole nur noch meine Handtasche.“

Nachdem Rani das Büro abgeschlossen hatte, sah Morgan sie an. „Möchten Sie, dass ich mit Ihnen komme, wenn Sie mit Cade sprechen?“ Sie fühlte sich albern, dass sie gefragt hatte. Rani war tough und selbstbewusst. Sie brauchte niemand, der ihr die Hand hielt.

Doch die Frau überraschte sie. „Ja, ein wenig moralische Unterstützung könnte nicht schaden, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Während Morgan Ranis Roadster zur Polizeistation folgte, dachte sie über die Briefe nach. Sie betete, dass sie nicht bedeuteten, dass etwas Schlimmes mit Lisa geschehen war. Grämte Ben Jackson sich, weil seine Frau verschwunden war – oder wegen der Schuld, die er auf sich geladen hatte? Deckte er seine Geliebte, die die Sache vielleicht selbst in die Hand genommen hatte?

Von diesen Fragen wurde ihr übel. Sie hoffte nur, dass Cade sie beantworten konnte.

Am Strand neben dem South Beach Pier war die Bühne für die Podiumsdiskussion zum Bürgermeisterwahlkampf aufgebaut und mit den Flaggen der USA und von Georgia geschmückt worden. Überall waren die Kabel der Tontechnik verlegt worden, damit die Podiumsdiskussion auch noch in mehreren hundert Metern Entfernung verstanden werden konnte. Es hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt, als Jonathan vorfuhr und sein Auto auf einem der für die Kandidaten reservierten Parkplätze abstellte. Sam Sullivan war schon da und tummelte sich in der Menge. Er trug einen hellblauen Seersucker-Anzug und einen Panama-Hut. Damit sah er aus wie Rodney Dangerfield, wenn er Harry Truman spielte.

Art Russell, einer der Stadträte, fing Jonathan ab, bevor er die Menge erreichte.

„Jonathan, wollen Sie das hier wirklich absagen? Es sind Straßenhändler hier, die Essen und Getränke verkaufen. Viele Leute haben sich dafür mächtig ins Zeug gelegt. Die Squaredancer haben auch schon ihre Kostüme an und sind bereit für ihren Auftritt.“

„Wir müssen es absagen, Art. Es ist nicht richtig, eine Wahlkampfdiskussion durchzuführen, wenn nicht alle Kandidaten anwesend sind.“

„Aber Ben hatte die Möglichkeit herzukommen.“

Jonathan ging weiter. „Nein, die hatte er nicht. Seine Frau ist verschwunden. Ich werde das nicht ausnutzen, und Sam auch nicht.“

Art schaute sich nach der Menschenmenge um. „Sie wissen, dass er vorhat, sich auch allein auf die Bühne zu stellen.“

„Ich werde versuchen, das zu verhindern.“

Jonathan hielt sich nicht damit auf, jemandem die Hand zu schütteln, als er durch die Menge und direkt auf die Bühne zuschritt. Sarah Williford, die Stadträtin, die sie vorstellen sollte, saß schon auf ihrem Platz, als ob sie Angst hätte, dass ihn ihr jemand wegnehmen könnte. Sarah sah aus, als stamme sie aus einer Hippie-Kommune. Sie trug zu diesem besonderen Anlass ein weit fließendes Kleid, das aussah, als wäre es aus Käseleinen, und flache Sandalen.

Jonathan nahm sich nicht die Zeit, mit ihr zu sprechen. Er ging direkt zum Mikrofon und klopfte daran. „Entschuldigen Sie, dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“

Sam Sullivan schrie auf und stürmte durch die Menge schnurstracks auf ihn zu. In seiner Eile stolperte er beinahe die Stufen hinauf.

Jonathan ignorierte ihn und sprach weiter: „Meine Damen und Herren, es tut mir leid, aber wir müssen die Podiumsdiskussion absagen. Ben Jackson kann heute leider nicht hier sein. Seine Frau Lisa wird seit gestern vermisst.“ Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge. „Wir werden die Podiumsdiskussion um zwei Wochen verschieben, weil es nicht richtig wäre, sie in dieser Situation ohne ihn abzuhalten.“

In diesem Moment betrat Sam die Bühne. Er starrte Jonathan an, als hätte er ihm die Schau gestohlen, und riss ihm das Mikrofon aus der Hand.

„Wir brauchen Ihre Hilfe und die Hilfe von jedem auf der Insel, der dazu bereit ist“, sagte Sam. „Lisa – Gott schütze sie – wurde gestern Morgen zum letzten Mal gesehen. Wenn einer von Ihnen sie gestern irgendwann gesehen hat oder jemanden kennt, der sie gesehen hat, bitten wir Sie, die Polizei von Cape Refuge anzurufen und es dort zu melden. Jetzt ist nicht die Zeit, um über Politik zu reden. Jetzt ist die Zeit, zusammenzuarbeiten, um einer Mitbürgerin in Not zu helfen.“

Jonathan trat zurück und starrte den Mann an. Würde ihm wirklich jemand diese plötzliche Besorgnis abkaufen? Er hoffte, dass die Leute Sams scheinbar selbstlose Tat durchschauen würden.

Jonathan griff wieder zum Mikrofon. „Ich habe mit Cade gesprochen, bevor ich hierher gefahren bin. Er hat gesagt, dass wir viele Freiwillige brauchen, um die Insel abzusuchen. Da Sie nun schon mal alle hier sind, werde ich gleich da drüben an der Seite an dem Tisch einen Stand eröffnen, an dem sich diejenigen, die helfen wollen, melden können.“

Rani Nixon schloss das Dach ihres Roadsters, während sie durch die Stadt raste. Sie war hundemüde, weil sie die letzte Nacht nicht geschlafen hatte. Sie hatte zu viel Zeit damit verbracht, immer und immer wieder Lisas Handynummer zu wählen. Sie hatte ihr etliche Nachrichten hinterlassen, in denen sie sie anflehte, sie zurückzurufen und sie alle von den quälenden Sorgen zu erlösen. Sie war zu jeder Immobilie gefahren, die Lisa an dem Tag, an dem sie verschwunden war, mit Kunden besichtigt haben könnte. Dort hatte sie jedes Zimmer nach ihr abgesucht und dabei gebetet, dass sie nicht auf Lisas Leiche stoßen würde. Aber trotz aller Mühe hatte sie bis jetzt noch keinen einzigen Hinweis darauf, wo ihre beste Freundin war. Deshalb hatte sie, als heute Morgen ein Wahrsager angerufen hatte, ohne Zögern einen Termin mit ihm vereinbart.

Er hieß Carson Graham, und da sie noch nie etwas von ihm gehört hatte, hatte sie im Internet schnell nach ihm gesucht und eine Homepage gefunden, auf der die Dienste, die er anbot, beschrieben wurden. Dazu gehörten Handlesen, Horoskope und Tarotkarten. In seiner Biografie wurde behauptet, dass er der Polizei bei der Aufklärung einiger Kriminalfälle geholfen habe, indem er seine übernatürlichen Fähigkeiten auf die Opfer angewandt habe.

„Ich wollte Ihnen einfach meine Dienste anbieten“, hatte er gesagt. „Vielleicht können sie mir etwas von Mrs. Jackson mitbringen – etwas, das sie getragen hat, damit ich daraus lesen kann.“

Rani hatte die Stirn gerunzelt und das Telefon fester umklammert. „Warum haben Sie mich angerufen und nicht die Polizei oder Lisas Mann?“

„Ich habe versucht, ihren Mann anzurufen“, antwortete er. „Aber ich habe immer nur seine Mailbox erreicht, und ich weiß nicht, wie ich mich sonst mit ihm in Verbindung setzen kann. Und der Polizei habe ich immer geholfen, bis Cade Polizeichef wurde. Sagen wir einfach, er hat meine Dienste nicht gebraucht, und ich glaube nicht, dass er für meine Mitarbeit in diesem Fall offen wäre. Aber andererseits weiß ich, dass ich zumindest ein paar Hinweise geben könnte.“

Das gefiel Rani. Ein guter Hinweis und sie würden Lisa finden. Da war sie sich ganz sicher. „Was brauchen Sie genau? Ich bringe es Ihnen.“

„Einfach irgendetwas von ihr, etwas Persönliches. Etwas, das sie angehabt oder oft benutzt hat. Was immer sie kriegen können.“

„Ich habe einen Pullover“, sagte sie. „Sie hat ihn einen Tag vorher, als wir zusammen Grundstücke angeschaut haben, in meinem Auto liegen gelassen.“

„Das wäre perfekt.“

„Wo kann ich Sie treffen?“

„Wie wäre es, wenn Sie mich im Restaurant Winston’s treffen würden? Sie geben mir das Essen aus, dafür stelle ich Ihnen meine Dienste nicht in Rechnung.“

Sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, was so etwas kosten würde, aber sie nahm an, dass es die Sache wert war. Sie hätte jeden Preis bezahlt, um herauszufinden, wo Lisa war. „In Ordnung. In zwanzig Minuten bin ich da.“

„Fragen Sie einfach die Bedienung nach mir“, sagte er. „Sie wird Sie zu meinem Tisch bringen.“

* * *

Kurz darauf betrat Rani, Lisas zusammengelegten Pullover über dem Arm, das Restaurant.

Die Bedienung führte sie zu Carson Graham. Er sah aus, als wäre er einem Werbevideo für Ronco5-Produkte entsprungen. Sein Kinnbart hätte mal wieder gestutzt werden müssen, während seine Haare ruhig ein wenig länger hätten sein dürfen. Sie nahm an, dass er sich den Kopf rasierte, damit seine Glatze nicht so auffiel.

Sie begrüßte ihn und reichte ihm den Pullover.

„Ich war so frei und habe Ihnen schon mal einen Kaffee bestellt“, sagte er. „Leider wusste ich nicht, wie Sie ihn trinken.“

„Ich mag ihn schwarz.“

„Wie sieht es mit dem Essen aus? Wollen Sie bestellen, bevor wir anfangen?“

Im Moment wollte sie sich wirklich nicht mit Essen beschäftigen. „Bestellen Sie sich etwas. Ich habe keinen Hunger.“

„So wie Sie aussehen, könnten Sie ein gutes Essen vertragen.“ Sein Lachen war unpassend und ein bisschen zu laut.

Schon als Kind war Rani immer spindeldürr gewesen. Als sie dann in New York gearbeitet hatte, hatte sie sich angewöhnt, proteinreiche und kohlenhydratarme Kost zu essen, um schlank zu bleiben. Und das hatte sie beibehalten. Sie zog fettarme Fleischsorten und Salate den Broten und Nudelgerichten, die alle anderen Leute als die wichtigsten Lebensmittel ansahen, vor. „Ich verzichte lieber, danke.“

„Sie können mich doch nicht allein essen lassen?“

Ihr mangelnder Appetit schien ihn von dem Wichtigen abzulenken. Sie würde etwas bestellen müssen. „Okay, ich esse auch etwas.“

Er rief die Bedienung herbei und bestellte eine Mahlzeit, die für ein Baseball-Team ausgereicht hätte. Sie bestellte einen Salat.

Als die Bedienung davoneilte, wandte Rani sich wieder dem Mann zu. „Sagen Sie, können Sie schon etwas sehen, wenn Sie den Pullover nur in der Hand halten?“

Er lächelte, hielt ihn an sein Gesicht und atmete tief ein. „Ich glaube, ich muss allein sein, damit ich mich konzentrieren kann.“

Sie wünschte, er hätte sich Essen zum Mitnehmen bestellt, damit er gleich anfangen könnte. „Wie lange brauchen Sie, bis Sie etwas wissen?“

„Ich denke heute im Verlauf des Tages. Ich merke, dass ich ausreichend Zeit brauche.“

„Können Sie noch nichts spüren? Gar nichts?“

„Wie ich Ihnen gesagt habe, muss ich allein sein.“

Sie sank auf ihren Stuhl zurück. Was, wenn sie auf dem Holzweg war? Aber was konnte es schaden, auch einem Wahrsager eine Chance zu geben, Lisa zu finden? Es war genauso gut wie alle anderen Hinweise, die sie bisher hatten.

„Erzählen Sie mir von Ihrer Freundin.“ Schlürfend trank er einen großen Schluck und schlabberte dabei etwas Kaffee auf sein Kinn. „Jede Information, die Sie mir geben, könnte mir dabei helfen zu erkennen, was mit ihr ist.“

Sie griff in ihre Tasche. „Ich habe ein Bild von ihr mitgebracht. Aber wahrscheinlich haben Sie es schon in den Nachrichten gesehen.“

„Ja. Sie ist sehr hübsch.“