Familie mit Herz 127 - Silvia Milius - E-Book

Familie mit Herz 127 E-Book

Silvia Milius

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Beschreibung

Nachts allein durch den Wald laufen, von einer hohen Mauer springen, eine Schulstunde schwänzen - Mutproben gibt es viele.
Doch was Oskar und Luca von Jan verlangen, damit er »dazugehört«, stürzt den Jungen in größte Konflikte. Denn wenn er die gemeinen Lügen wirklich verbreitet, wird sein Vater bald heftige Schwierigkeiten bekommen. Aber wenn er sich drückt, gilt er als Feigling und wird aus der Dreierclique ausgestoßen ...


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Inhalt

Cover

Mutproben

Vorschau

Impressum

Mutproben

Das ganze Drama um den kleinen Jan B.

Von Silvia Milius

Nachts allein durch den Wald laufen, von einer hohen Mauer springen, eine Schulstunde schwänzen – Mutproben gibt es viele.

Doch was Oskar und Luca von Jan verlangen, damit er »dazugehört«, stürzt den Jungen in größte Konflikte. Denn wenn er die gemeinen Lügen wirklich verbreitet, wird sein Vater bald heftige Schwierigkeiten bekommen. Aber wenn er sich drückt, gilt er als Feigling und wird aus der Dreierclique ausgestoßen ...

Kim Schneider legte den Haartrockner aus der Hand und griff zur Bürste.

»Verschwinde endlich!«, sagte sie gleichzeitig zu dem Mann, den sie im Spiegel ihres Badezimmers beobachtete.

»Warum?« Mit einem unverschämten Lächeln schob er die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich noch lässiger gegen den Türrahmen. »Da ich der einzige Mann in deinem Leben bin, kannst du mich ruhig freundlicher behandeln.«

»Aber nicht morgens«, widersprach Kim und zog die Bürste durch ihr nackenlanges dunkles Haar. »Und schon gar nicht, wenn du einen Kaffee haben willst, während ich zur Arbeit muss.«

»Arbeit nennst du das?«, spottete er. »Du sitzt doch nur herum und hörst dir anderer Leute Probleme an. In deinem Alter solltest du eigene Probleme haben.«

»In meinem Alter sollte ich vor allem die Tür nicht öffnen, wenn es morgens klingelt.« Kim legte die Bürste weg und griff nach der Wimperntusche. »Paul, zisch ab! Es gibt keinen Kaffee bei mir.«

»Mir wirst du immer die Tür öffnen, oder willst du deinen Nachbarn und Bruder aussperren?«, scherzte Paul.

»Halbbruder«, verbesserte sie ihn, trug etwas Rouge auf und sah auf die Uhr. »Höchste Zeit! Ich muss los, sonst verpasse ich den Bus!«

Paul gab die Badezimmertür nicht frei.

»Trink mit mir einen Kaffee, und ich fahre dich mit meinem Auto zur Beratungsstelle«, bot er an.

Bevor Kim sich entscheiden konnte, zog er sie an der Hand in die Küche. Auf dem Tisch standen zwei Tassen und eine Thermoskanne, die er aus seiner Wohnung mitgebracht hatte.

»Du bist ja doch ein Schatz«, stellte Kim fest und bedankte sich mit einem Wangenkuss. »Wie bist du auf die Idee gekommen?«, fragte sie, während Paul den Kaffee einschenkte, in den er bereits Milch und Zucker getan hatte.

»Ich habe mich gestern als dein Ehemann so gut amüsiert, dass ich mich bei dir bedanken wollte.« Er schüttelte lachend den Kopf. »Mann, ist der Kerl vielleicht gerannt!«

»Und er kommt hoffentlich nie wieder.« Kim trank den heißen Kaffee in kleinen Schlucken und seufzte behaglich. »Du spielst den Ehemann aber auch wirklich überzeugend. Sogar ich würde darauf reinfallen, wüsste ich nicht, dass du mein Halbbruder bist.«

Paul schenkte den Rest aus der Thermoskanne nach.

»Man möchte nicht glauben, dass ungefähr viermal im Jahr bei dir jemand in der Beratungsstelle auftaucht, der dich unbedingt kennenlernen will und keine Ruhe mehr gibt.«

»Ja, manche Männer sind schon sehr unangenehm und lästig«, meinte Kim seufzend, griff nach ihrer Handtasche und ging zur Wohnungstür.

»Ja, und dann auch noch bei deinem Aussehen ...«, bemerkte Paul hinter ihr. »Einfach unverständlich!«

Kim riss die Wohnungstür auf.

»Raus!«, herrschte sie lachend ihren Halbbruder, Nachbarn und besten Freund an.

Ohne in den Spiegel neben der Tür blicken zu müssen, wusste sie, dass Paul sie nur aufzog.

Mit ihren weichen dunklen Haaren, den großen sanften Augen und dem schmal geschnittenen, zarten Gesicht wirkte sie hübsch, apart und sehr verletzlich. Ihre zierliche Gestalt und ihr guter Geschmack bei der Auswahl ihrer Kleidung weckten ebenfalls männliches Interesse.

Dass sie mit achtundzwanzig noch solo war und im Moment nicht einmal einen Freund hatte, war zwar schon der Grund für zahllose Sticheleien Pauls gewesen, hatte aber nichts mit ihrem Aussehen zu tun. Es kam eher daher, dass sie zu hohe Anforderungen an einen Mann stellte. Sie war weder auf gutes Aussehen noch auf das Geld eines Partners aus. Vielmehr suchte sie Liebe, Freundschaft und Vertrauen, und damit hatte sie bisher nicht allzu viel Glück gehabt.

»So schweigsam heute?«, fragte Paul, nachdem er eine Weile durch den dichten morgendlichen Verkehr gefahren war.

»Was soll ich schon sagen, wenn du mir doch bereits alle intelligenten Bemerkungen des Tages vorweggenommen hast?«, konterte sie humorvoll, weil sie ihre wahren Gedanken nicht aussprechen wollte.

»So ist es richtig«, meinte Paul übertrieben selbstzufrieden. »Ein demütiges kleines Mäuschen, das bewundernd zu dem Mann an ihrer Seite aufblickt.«

Kim schüttelte lächelnd den Kopf.

»Von Ehemännern kann man sich scheiden lassen, von Brüdern leider nicht.«

»Ja, ich bleibe dir für immer und ewig erhalten.« Paul fuhr vor der städtischen Beratungsstelle an den Bürgersteig, beugte sich zu Kim und verabschiedete sich mit einem Wangenkuss. »Dann gib schön allen Leuten einen falschen Rat, arbeite nicht zu viel, und koch mir heute Abend ein schönes Essen.«

»Seit wann bist du bei mir zum Abendessen eingeladen?«, fragte sie, während sie den Sicherheitsgurt löste und ausstieg.

»Seit eben.« Er sah sie flehend an. »Ich habe heute nichts vor, und wenn du mich nicht fütterst, hörst du den ganzen Abend mein Magenknurren durch die dünnen Trennwände. Das willst du doch nicht, oder?«

»Ich stelle einfach den Fernseher lauter«, entgegnete Kim, schlug die Wagentür zu und dachte, dass ein Abendessen mit ihrem Halbbruder nicht gerade ihre Vorstellung von einem gelungenen Abend war, mochten sie und Paul sich auch noch so gut verstehen.

Noch ein Blick zur anderen Straßenseite. Dort standen einige Jungen zusammen, offenbar Schulkinder, und tuschelten. Kim achtete nicht weiter auf sie, betrat die Beratungsstelle und begrüßte ihren Kollegen Simon Roger.

Kaum saß sie an ihrem Schreibtisch, bekam sie auch schon den ersten Anruf des Tages und musste sich voll auf die Arbeit konzentrieren.

♥♥♥

Die Jungen auf der anderen Straßenseite hatten unterdessen ihren Plan ausgeheckt. Es ging um eine Mutprobe, die sie reihum ablegen mussten. Heute war Jan an der Reihe.

»Also«, fasste sein Freund Oskar, wie er und Luca ganze acht Jahre alt, noch einmal zusammen, »heute Mittag nach der Schule gehst du da rein.« Er zeigte auf die Beratungsstelle gegenüber. »Und du erzählst denen da drinnen eine schockierende Geschichte darüber, wie schlecht es dir geht und wie sehr du vernachlässigt wirst.«

»Das glauben die mir doch nie«, wandte Jan ein, dem allein schon bei der Vorstellung mulmig wurde. »Was soll ich denn erzählen?«

»Ich hab was im Fernsehen gesehen«, berichtete Luca sofort. »Die Mutter war nie da, der Vater hat sich nicht um die Kinder gekümmert. Zu essen hatten sie auch nicht genug, und manchmal mussten sie auf dem Teppich schlafen, weil die Eltern bei einem Streit alle Betten verwüstet hatten.«

Jan fand das zwar alles andere als lustig, aber eine Mutprobe war eine Mutprobe, der er sich nicht entziehen konnte. Er wäre sonst ein Feigling gewesen und hätte die Anerkennung seiner Freunde verloren.

Oskar versetzte ihm einen Klaps auf die Schulter.

»Du kannst es dir aussuchen, ob du zu dem Typen oder zu der Frau gehst«, bot er großzügig an.

Jan hatte beide gesehen, als sie die Beratungsstelle betreten hatten. Der Mann wirkte abweisend, aber die Frau hatte ihm gefallen. Sie hatte so nett gelächelt, als sie sich von dem Autofahrer verabschiedet hatte.

»Ich gehe zu der Frau«, entschied er. »Wenn es sein muss ...«, fügte er kleinlaut hinzu.

»Es muss sein«, versicherte Luca. »Heute Mittag nach der Schule, und wer sich drückt, ist ein Feigling!«

»Ich drücke mich nie«, versicherte Jan im Brustton der Überzeugung und war nur froh, dass sein Vater nichts davon erfahren würde.

Es hätte zwar keine Strafe gegeben, weil sein Vater ihn nie bestrafte, sondern nur ermahnte. Aber er wollte nicht, dass sein Papa eine schlechte Meinung von ihm hatte. Und was seine Mutter anging ...

Jan seufzte tief auf.

An seine Mutter wollte er gar nicht denken ...

♥♥♥

»Halb eins«, stellte Simon Roger nach einem Blick auf die Uhr fest.

Er hatte soeben ein junges Paar beraten, das Beziehungsprobleme hatte und gleichzeitig mit der zweijährigen Tochter nicht klarkam.

»Gehen Sie ruhig schon in die Mittagspause«, bot Kim an. »Ich bleibe bis eins und schließe ab.«

Mittags kamen erfahrungsgemäß die wenigsten Leute zu ihnen, sodass sie mühelos allein zurechtkam.

Der Vormittag war anstrengend gewesen. Da sie eine Anlaufstelle für alle Kummerbeladenen waren, kamen Leute mit allen möglichen Problemen zu ihnen. Den meisten mussten sie nur geduldig zuhören und sie dann an die entsprechenden zuständigen Stellen weiter verweisen. Einigen wiederum konnten sie direkt mit Rat und sogar Tat helfen.

Der Kollege Roger war gerade erst fünf Minuten weg, als sich die Tür langsam öffnete. Kim blickte von ihrem Schreibtisch hoch.

»Willst du zu mir?«, fragte sie den ungefähr achtjährigen Jungen freundlich. »Komm rein!«

Er drückte die Tür hinter sich zu. Die blonden Haare waren von einem guten Friseur geschnitten, wie Kim mit Kennerblick feststellte. Die grünen Augen verrieten, wie unbehaglich sich der Junge fühlte. Er starrte auf seine Schuhspitzen und trat von einem Bein auf das andere.

»Wenn du ein Problem hast, bist du an der richtigen Stelle.« Kim schlug den freundlich-sanften Ton an, der bei allen Schüchternen gut ankam und ihr Vertrauen weckte. »Setz dich.«

Der Junge stellte den Schulranzen neben den Besucherstuhl, setzte sich und schielte zum Fenster. Auf der anderen Straßenseite standen seine Freunde.

»Willst du mir deinen Namen verraten?«, fragte Kim. »Ich heiße Kim Schneider.« Sie deutete auf das Namensschild auf ihrem Schreibtisch. »Siehst du, hier steht es.«

»Jan«, murmelte er, und Kim wartete vergeblich auf seinen Familiennamen.

»Also, Jan, du hast vermutlich ein Problem, sonst wärst du nicht zu mir gekommen, richtig?«, forschte sie behutsam. »Hat es mit der Schule zu tun? Oder mit deinen Eltern? Du kannst mit mir über alles sprechen. Es bleibt absolut unter uns.«

Mit gesenktem Kopf spähte er noch einmal zu den Freunden auf der anderen Straßenseite.

»Ja, also, ich habe Probleme«, begann er. »Meine Eltern kümmern sich nicht um mich. Mein Vater ist ständig unterwegs, und meine Mutter ist nie da.«

Es klang wie auswendig gelernt und weckte Kims Misstrauen. Schließlich hatte sie mit Rat suchenden Kindern große Erfahrung. Doch etwas im Blick des Jungen hielt ihren Widerspruch zurück.

»Mein Vater ist wirklich nett«, versicherte er hastig. »Er ist nur zu wenig zu Hause. Wenn ich in der Schule ein Problem habe, bin ich ganz auf mich gestellt, und ich kann niemanden fragen, wenn ich bei einer Hausaufgabe nicht weiterweiß, und nachts ist keiner im Haus, wenn ich Angst habe.« Er runzelte die Stirn, als habe er etwas Falsches gesagt. »Ich habe natürlich keine Angst, aber es ist keiner da. Und mit dem Essen sieht es auch schlecht aus, und überhaupt ...«

Jan hatte sich in Aufregung geredet und gestikulierte wild, während er sich verschluckte und hustend abbrach.

»Hmm!« Kim gefiel das alles nicht. Wenn das keine Mischung aus freier Erfindung und tatsächlichen Problemen war, wollte sie keine hauptberufliche Beraterin mehr sein. »Das sind so viele Probleme, dass wir sie einzeln angehen sollten, meinst du nicht?«

Jan schüttelte heftig den Kopf.

»Nein?«, fragte sie erstaunt. »Ich sollte vielleicht mit deinen Lehrern sprechen und danach mit deinen Eltern.«

»Nein!«, rief der Junge erschrocken und sprang auf. »Sie haben versprochen, dass es unter uns bleibt.«

»Aber sicher«, beteuerte sie. »Wenn ich dir helfen soll, muss ich allerdings etwas unternehmen.«

»Ich komme morgen oder übermorgen wieder.«

Jan bückte sich hastig und riss seinen Schulranzen vom Boden hoch.

»Willst du dir denn nicht anhören, was ich für dich tun kann, Jan?«

Kim hätte gern gewusst, wieso er auf einmal vor ihr floh.

»Ein andermal!«, rief er und rannte, als wäre sie ihm dicht auf den Fersen.

Kopfschüttelnd blickte Kim ihm nach.

Dieser Jan war ein merkwürdiger Junge. Seine Kleidung war sicher teuer gewesen, auch wenn sie sich nicht von den Sachen anderer Kinder in seinem Alter unterschied. Es lag einfach an der Qualität der Stoffe und der guten Verarbeitungstechniken. Und der Schulranzen hatte eine Menge Geld gekostet. Er kam mit Sicherheit aus keiner armen Familie.

Die vorgetragenen Probleme klangen zu verworren, um echt zu sein, aber Probleme hatte der Junge. Warum war er bloß zu ihr gekommen?

♥♥♥

Es ging auf ein Uhr zu, und Kim konnte abschließen und essen gehen. Doch als sie um ihren Schreibtisch herumkam, stockte sie. Ein Kinderportemonnaie lag auf dem Boden neben dem Besucherstuhl, außen mit bunten Comicfiguren bedruckt. Offenbar war es Jan aus dem Schulranzen gefallen, als er fluchtartig das Büro verlassen hatte.

Sie hob es auf. Vielleicht stand drinnen die Adresse, sodass sie nachhaken und sich die nähere Umgebung des Jungen ansehen konnte.

Tatsächlich, hinter einem Klarsichtfenster steckte ein Kärtchen, auf das mit Kinderschrift gemalt war: Jan Birker. Es folgten die Adresse und eine Telefonnummer.