Familien Fiasko - Laura B. Reich - E-Book

Familien Fiasko E-Book

Laura B. Reich

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Beschreibung

Die private Ermittlerin Elli Klinger übernimmt zwei an und für sich simple Observierungen, die sich deutlich schwieriger gestalten, als vermutet. Die Zielpersonen betreiben großen Aufwand, dass sie ihnen nicht so einfach folgen kann. Am Rande der Verzweiflung wählt sie schließlich Mittel, jenseits der Grenzen der Legalität. Auch in Ellis Privatleben herrscht Aufruhr. Frisch verliebt zurück aus dem Urlaub, ist sie genötigt für mindestens zwei Wochen auf ihren Freund Jörg verzichten. Er muss für eine wichtige Reportage verreisen. Unterdessen stellt sie mit Schrecken fest, dass sie während ihrer Abwesenheit lokale Berühmtheit erlangt hat. Details ihres letzten Falls standen in der Tageszeitung. Man spricht über sie, ein Umstand, mit dem sie sich erst anfreunden muss. Die größte Gefahr lauert jedoch von anderer Seite. Ohne es zu ahnen, steht Elli selbst unter Beobachtung. Der unfreiwillige Rollentausch, Jäger wird zur Gejagten, treibt sie unverhofft in einen besorgniserregenden Mahlstrom aus Lügen, Erpressung, Korruption und bizarren Morden, die sie selbst in Lebensgefahr bringen. Auftraggeber und Freunde sind verzweifelt und tun alles, sie noch zu warnen. Doch sie ist spurlos verschwunden. Die Situation eskaliert. Schüsse fallen. Es gibt Tote. Wo ist Elli?

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Laura B. Reich

 

 

Familien Fiasko

 

Elli Klinger ermittelt - ihr dritter Fall

 

 

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Sissi Posch,

die mein kreatives Potenzial entfesselte.

 

 

 

 

 

 

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede urheberrechtsrelevante Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors oder Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Nachahmungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Auflage: 2. überarbeitete Auflage 2021 1. Auflage 2018

Texte: © Laura B. Reich - Alle Rechte vorbehalten Umschlag: © Laura B. Reich, 2016 Model: Cathy Cort, 2016, Germany Verlag: Laura B. Reich c/o Poly4Media

Unterbüchlein 1

90547 [email protected] Elli: www.familien-fiasko.de Laura: www.elli-klinger-ermittelt.de

Inhalt

PrologVeränderungenNeue AufträgeRealitätenSchwer belastetRückfälligGroßstadtnachtFrustgeschäfteDesorientiertTurbulenzenNackte AngstNeue ErkenntnisseÜberreiztVerdächtigEnde und NeubeginnEpilog

 

Prolog

Der Wind peitscht die Zweige der großen Bäume. Ein Blitz erhellt den Raum und zaubert geisterhafte Figuren an die Wand des Wohnzimmers. Der Donner folgt nur kurz darauf und das kleine Häuschen mitten im Wald erbebt so heftig, dass sogar das Porzellangeschirr im Küchenschrank klirrt. Das Gewitter kommt immer näher. Einerseits etwas verwunderlich, dass angesichts der Jahreszeit ein Unwetter aufgezogen ist. Andererseits war es für Ende Oktober hier im schattigen Wald den ganzen Tag über unangenehm schwülwarm gewesen.

 

Eine starke Böe erfasst die große Buche neben dem Haus und lässt einen tief hängenden Ast gegen die Hauswand schlagen. Ruth schreckt aus dem Halbschlaf hoch, als der Ast den Fensterladen des Schlafzimmers trifft. Das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Sie reißt die Augen auf und hat das Gefühl, sie erst vor ein paar Sekunden geschlossen zu haben. Wach sein, dösen oder schlafen, es macht für sie kaum einen Unterschied. Tiefschlaf ist für sie längst ein Luxusgut geworden, das ihr nur noch selten und wenn, nur für wenige Stunden gewährt wird. Trotz der unzähligen Tabletten, die sie gegen ihren hohen Blutdruck, ihre Ängste und ihre Schlaflosigkeit schluckt. Oder vielleicht gerade deshalb.

Der Ast der Buche bereitet ihr bereits seit einiger Zeit immer größere Probleme. Eigentlich hatte sie längst vor, einen ihrer Söhne zu bitten, ihr dabei zu helfen. Sie kann sich gar nicht mehr erinnern, wann sie einer der drei hier besucht hatte. Sie geben sich verärgert, dass sie noch immer hier wohnt. Hier im Haus ihrer Schwester und nicht bei ihnen im Familienanwesen oder wenigstens in einer hellen und freundlichen Wohnung in der Stadt.

 

Nach dem Tod ihres Ehemanns hat sie es in dem großen Herrenhaus nicht mehr ausgehalten. Obwohl sie mehr als die Hälfte ihres Lebens dort verbracht hat, kam sie sich als Witwe lediglich wie ein geduldeter Fremdkörper vor.

Sie gewann irgendwann den Eindruck, dass drei Generationen schlichtweg zu viel für ein Haus seien. Der Tod von Herfried Lissarts veränderte so vieles in ihrem bis dahin ruhigen und beschaulichen Leben. Leider nicht zum Besseren. Seitdem ihr Mann den Söhnen die Firma zu gleichen Teilen überschrieben hatte, um dem kleinen, selbstgeschaffenen Imperium eine Zukunft zu sichern, sah sie kaum noch eines ihrer Kinder. Die früheren regelmäßigen Zusammenkünfte an den Sonntagen, wo sich alle abwechselnd bei einem der Söhne zum ausgiebigen Mittagessen trafen, waren schon lange passé.

Das Herrenhaus war einfach riesengroß und man konnte sich geschickt aus dem Weg gehen, wenn man es wollte. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die sich gerne aufdrängten, um jeden Abend bei einem ihrer Kinder auf dem Sofa zu verbringen.

Von all den Verwandten blieb ihr als Einzige ihre Schwester Elisabeth, mit der sie noch regen Kontakt pflegte. Nachdem sie die folgenschwere Entscheidung getroffen hatte, das große Anwesen zu verlassen, um fortan bei ihrer Schwester zu wohnen, rissen auch die letzten Höflichkeitsbesuche zu Feierlichkeiten abrupt ab. Und abgesehen von ihrer Enkelin Birgit, die sie weiterhin regelmäßig im Wald besuchte, ließ sich keiner der Angehörigen hier außen blicken.

Vor einem halben Jahr ist nun tragischerweise ihre Schwester verstorben. Sie stürzte auf dem Waldweg, der größtenteils nur aus zwei schmalen, schlammigen Fahrspuren bestand, vom Fahrrad, als sie bepackt mit Einkäufen aus der Stadt zurückkehrte. Dabei erlitt sie eine schwere Kopfverletzung, an der sie schließlich nach fünf Tagen verstarb. Die Polizei ging von einem gewöhnlichen Unfall aus, wie er im Wald auf unbefestigter Wegstrecke bei stürmischem Wind rasch passieren kann. Von einem dicken, schwingenden Ast am Kopf getroffen oder nicht schnell genug ausgewichen, galt als wahrscheinlichstes Szenario. Der Schock über den Tod der Schwester hat sie tief bestürzt, vielleicht sogar noch mehr berührt, als der Tod ihres Gatten, mit dem sie doch so viele Jahre verbracht hatte.

Seit diesem Zeitpunkt nagt zunehmend die Angst an ihr. Manchmal schnürt es ihr regelrecht die Kehle zu und sie hat Beklemmungen, Panik keine Luft mehr zu bekommen. Es sei kein gewöhnliches Asthma, sagen zumindest die Ärzte. Sie führen es auf die erlittene Trauer und den Verlust zweier geliebter Menschen in so kurzer Zeit zurück und vermuten das Problem im psychosomatischen Bereich. Seitdem nimmt sie noch mehr Medikamente nun auch gegen Depressionen. Doch es wird nicht besser. Im Gegenteil.

Und dann gibt es da eine andere Sache, die sie belastet. Nur ihre Enkelin und ihr Arzt wissen von den Geistern. Sie hat lange gebraucht, sie selbst zu akzeptieren. Es lässt sich jedoch nicht länger verleugnen. Nicht nur einmal hat sie sie gesehen, draußen im Wald, direkt vor dem Fenster. Wenn sie sich bewegten, als würden sie tanzen. Zuerst dachte sie an Schatten, abgebrochene Äste oder Wildtiere, wie Schleiereulen, die besonders nachts auf Beutefang gingen. Aber keines von diesen Geschöpfen würde grün oder rot leuchten und niemals so schauerliche Geräusche von sich geben.

Die Fensterläden vor dem Wohnzimmer lassen sich seit Monaten nicht mehr schließen. Eines Abends sind die Angeln gebrochen. Bisher hat sie es versäumt, einen Handwerker zu rufen. Die dünnen Vorhänge sind ebenfalls schon alt und verschlissen und eignen sich kaum noch dazu, das Fenster zu verhüllen. Sie hat es mit einer Decke probiert, sie über die Vorhangstange gehängt. Doch die Decke war zu schwer, sodass sie befürchtete, die Stange würde mit der Zeit brechen.

Es nützt nichts, die Augen zu schließen oder den Kopf unter dem Kissen zu verbergen. Sie sind dort draußen. Kommen meist gegen Mitternacht und bleiben fast immer bis in die frühen Morgenstunden. Manchmal sind es nur wenige Minuten, dass sie ihr Unwesen vor den Fenstern treiben und danach ist stundenlang nichts zu sehen oder zu hören. Doch dann sind sie plötzlich wieder da. Tauchen aus dem Nebel auf, der so häufig vor den Fenstern wabert, viel häufiger, als zuvor. Sie rufen in ihr Erinnerungen an die geisterhaften Gestalten aus dem Film ‹The Fog› hervor. Nur einmal hat sie diesen Film gesehen und kann seit damals kaum noch eine der gruseligen Szenen vergessen. Sie weiß nicht, was die Geister von ihr wollen. Bisweilen sind sie nur stumm, zeitweise hört sie undeutliche Geräusche, die sie an Flüstern und gelegentlich auch an Jammern erinnern. In letzter Zeit klopfen sie jedoch an Türen und Fenster. Keine Äste im Wind, es sind die Geister, dessen ist sie sich gewiss. Seitdem geht sie nur noch mit dem großen Küchenmesser bewaffnet ins Bett. Doch sie bezweifelt, dass es ihr viel nützen würde, wenn die Gestalten eines Tages ins Haus kämen.

Birgit hat angeboten, bei ihr zu schlafen, was sie zunächst kategorisch abgelehnt hatte. Sie wollte ihre Enkelin nicht unnötig in Gefahr bringen. Nachdem Birgit nicht locker ließ, stimmte sie schließlich zu. Zwei Nächte übers Wochenende und nicht länger.

Es trat ein, was sie befürchtet hatte. Genau in diesen beiden Nächten blieben sowohl der Nebel als auch die Geister aus. Lediglich ein leichter Wind bewegte die Blätter der Bäume und Büsche. Kein Nebel, keine Geister, keine Geräusche nur einige äsende Rehe nahe am Zaun und eine Eule. Birgit tröstete sie, bot an, noch länger zu bleiben, doch das wollte sie ihr nicht abverlangen. Auch wenn ihre Enkelin nicht den Eindruck erweckte, dass sie den Geschichten über Geister nun weniger Glauben schenkte, als vorher, wollte sie sie nicht in Verlegenheit bringen. Manchmal zweifelte sie sogar schon an sich selbst. Am Ende entsprangen diese Gestalten nur ihrer lebhaften Fantasie.

 

Nicht heute. Ein weiterer Donnerschlag lässt das Haus erzittern. Der Ast der Buche schrammt scheppernd über die Ziegel an der Dachkante entlang und trifft den Fensterladen. Sie hält es nicht länger im Bett. Mit einem Mal ist sie sich nicht mehr sicher, im Erdgeschoss alle Fenster und Türen fest verschlossen zu haben. Die ersten Tropfen fallen schwer und laut auf das Dach. Das Atmen fällt ihr schwer. Langsam hangelt sie sich die Treppe nach unten. In der rechten Hand hält sie das große Küchenmesser und mit der anderen umklammert sie den Handlauf, dass die Knöchel ihrer mageren Finger hervortreten. Der Himmel öffnet seine Schleusen. Es duscht sintflutartig, sodass sie kaum die Bäume vor dem Wohnzimmerfenster erkennen kann, als ein Blitz die Szene in gespenstisches Licht taucht. Der darauffolgende Donner hallt so ohrenbetäubend, dass er für einen Augenblick das Brausen des Regens und das Knarzen der alten Holzstufen überdeckt. Ohne die Lampen einzuschalten, kontrolliert sie alle Fenster und die beiden Türen des Erdgeschosses, als Blitze die Räume in immer rascherer Folge in gleißende Helligkeit tauchen. Sie kehrt ins Wohnzimmer zurück und starrt in die dunkle Nacht hinaus. Ihre Augen sind vor Schreck weit aufgerissen. Ein naher Blitz erhellt erneut das Zimmer für einen Bruchteil von Sekunden, bevor unmittelbar danach ein lauter Donner durch den Wald rollt. Zuerst denkt sie, sich getäuscht zu haben, doch dann sieht sie sie. Grün und rot. Gestalten, die im dichten Regen noch geisterhafter erscheinen. Sie blinzelt mehrmals und hält den Atem an. Nein, sie täuscht sich nicht. Die Geister sind wieder da, kommen näher. Nicht so nahe wie sonst. Nicht bis ans Fenster, sondern verharren am Gartenzaun.

Das Heulen des Sturms und die Donnerschläge des Gewitters überdecken inzwischen sämtliche andere Geräusche.

Noch einmal schließt sie kurz die Augen und hält das Messer erhoben vor dem Körper. Ein Blitz, ein lauter Donner, plötzlich sind die Geister verschwunden. Sie wartet minutenlang, wagt es kaum, zu atmen. Die Hand, die noch immer krampfhaft den Griff umklammert, schmerzt. Nichts. Die Gestalten scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Hat sie sich womöglich alles nur eingebildet? Es kostet ihr unendliche Mühe, den Blick vom Fenster abzuwenden und mit schweren Schritten in die Küche zu schlurfen. Sie hat heute bereits die Medikamente genommen. Glaubt sie. Doch sie will kein Risiko eingehen. Wenn es besonders schlimm ist und nur dann soll sie eine weitere Tablette nehmen. Der Arzt hatte sie gewarnt, eindringlich an die möglichen Nebenwirkungen erinnert. Die Hände zittern, als sie zwei weiße Pillen auf die Handfläche schüttet und sie mit einem Glas Wasser hinunter spült. Fast hätte sie sich verschluckt. Ihre Kehle scheint heute wie zugeschnürt.

Was soll sie tun? Jemanden anrufen? Die Polizei? Nein. Vielleicht ihre Enkelin Birgit? Aber wie soll sie ihr helfen? Bei diesem Unwetter kann sie es nicht verantworten, dass Birgit zu ihr kommt, selbst wenn sie das Auto nehmen würde. So oft hatte sie schon mit dem Gedanken gespielt, Hilfe zu holen. Aber wenn sie sich tatsächlich alles nur einbildet? Womöglich würde man sie für geisteskrank halten und in ein Heim einweisen. Das könnte sie nicht ertragen.

Ihr Puls rast, als sie mit den Händen an der Wand entlang tastend langsam ins Wohnzimmer zurück schleicht. Schritt für Schritt kommt sie dem großen Fenster näher. Der Regen hat geringfügig nachgelassen. Mit einem Mal bildet sich wieder dichter Nebel. Und mit dem Nebel kommen die Geister, das weiß sie inzwischen nur allzu gut. Ihrer Kehle entweicht ein röchelnder Schrei, noch bevor die grün schimmernde Gestalt vor dem Fenster erscheint. Diesmal hört sie das Wimmern von draußen ganz deutlich, trotz des Windes und Regens. Sie stöhnt, weicht zurück, bis sie mit den Kniekehlen an den Sessel stößt und fast hinein fällt. Zu dem grünen Geist gesellt sich rasch auch ein roter. Ganz nahe vor der Scheibe bewegen sie sich jetzt. Ruth wimmert und merkt nicht, wie ihr Tränen über die Wangen laufen. Als es nachdrücklich an der Tür klopft, schreit sie kurz auf.

Schmerzen, diese fürchterlichen Schmerzen. Sie lässt das Messer fallen, greift sich mit beiden Händen an die Brust und krümmt sich. Sie bekommt keine Luft mehr. Als würde sie jemand mit eisernem Griff umklammern. Sie reißt die Augen weit auf und breitet die Arme aus, so als wolle sie sich Luft zu fächern. Luft, die den Lungen fehlt. Ihr wird schwarz vor Augen. Die Kehle brennt. Sie röchelt. Immer mehr Luft entweicht den Lungen, doch sie ist unfähig einzuatmen. Noch einmal überfallen sie grässliche Schmerzen. Es brennt, als stünde der ganze Brustkorb lichterloh in Flammen. Sie versucht aufzustehen. Vielleicht würden ihr die Geister zu Hilfe eilen? Am Ende wollen sie sie nur beschützen und nicht erschrecken.

Es sind die letzten verzweifelten Gedanken, die sie noch klar fassen kann. Und plötzlich ist alles vorbei. Schwärze umfängt sie und lässt sie sachte zu Boden sinken. Zusammengekrümmt wie ein großes Bündel achtlos dahin geworfener Kleider, liegt sie vor dem alten Sessel. Die schreckgeweiteten Augen starren an die Zimmerdecke, während die rechte Hand langsam über die Klinge des Messers gleitet. Ein dünnes Rinnsal Blut benetzt den Teppich. Nicht viel, denn Ruths Herz hat schon vor einer halben Minute aufgehört zu schlagen. Die Geister klopfen erneut an die Haustür, doch die alte Frau kann sie nicht mehr hören. Und vielleicht ist es sogar besser so.

Veränderungen

Sanfte Klavierklänge beenden den Schlaf und holen mich allmählich in die Wirklichkeit zurück. Ich lächle, als Cat Stevens ‹Morning has broken› singt, denn was wäre passender für ein angenehmes Erwachen. Ich blinzle und spüre warme Sonnenstrahlen auf dem Gesicht. Dieses Jahr lässt der ansonsten übliche, hässlich graue November noch auf sich warten. Ich bin froh über jeden weiteren Sonnentag, obwohl ich mich nicht beschweren darf. Noch vor wenigen Tagen lag ich am Strand unter der tropischen Sonne Thailands und verbrachte den schönsten Urlaub meines Lebens. Dies lag allerdings nicht nur an der exotischen Umgebung, sondern vor allem an meiner Begleitung. Jörg Wegmann, ein Schulfreund aus längst vergangenen Zeiten hat mich zufällig nach dem Abschluss des letzten Falls getroffen und mir ohne zu zögern seine Liebe gestanden. Eine Liebe, die er bereits seit mehr als 25 Jahren für mich hegte. Er war jahrelang beruflich unterwegs und kam erst vor Kurzem wieder in seine Heimatstadt zurück. Vielleicht war es tatsächlich nur ein Zufall, dass er mich sah, vielleicht aber auch Schicksal. Jedenfalls trat Jörg genau zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben und nur wenige Stunden später hatte auch ich mich heillos über beide Ohren in ihn verliebt. Bis heute bin ich über meine Reaktion erstaunt. Ärzte würden wohl von einem akuten posttraumatischen Stresssyndrom sprechen. Als Folge des vorher erlebten Gräuels. Doch war es so wichtig, Erklärungen zu finden? Bisher jedenfalls nicht.

Ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern und besonders an den überwältigenden Sex. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich aufgeben musste, so sehr hatte er mich über Stunden gefordert.

Nur die Freude über den glücklich beendeten Fall vermochte es, mich für zwei Tage abzulenken, an denen ich beruflich verreisen musste, ohne ihn. Was danach folgte, glich mehr einem Traum oder einem Märchen aus ‹Tausendundeine Nacht›. Wundervolle 15 Tage nur Sonnenschein, blaues Meer, leckeres Essen und Jörg. Viel Jörg. Den ganzen Tag und die halbe Nacht.

 

Ich strecke sehnsüchtig die Hand nach ihm aus, doch das Kissen neben mir ist leer. Einen Moment halte ich inne, bis ich mich erinnere, dass ich alleine bin, und das noch eine ganze Weile. Gleich nach unserer Rückkehr wartete eine Reportage auf ihn, die ihn für mindestens zwei Wochen nach Norddeutschland entführt. Wohlige Gefühle durchströmen mich, als ich an ihn denke. Doch sie erhalten sofort einen gehörigen Dämpfer, je mehr mir bewusst wird, dass ich für die nächsten Tage wohl wieder abstinent leben muss. Dass niemand neben mir im Bett schläft, den Arm über mich legt, mit mir kuschelt und mir das herrliche Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Mir ist klar, dass es an dem abrupten Wechsel liegt, denn es gab Zeiten, wo ich mich glücklich schätzen konnte, einmal alle zwei bis drei Monate meine Hormone in Wallung zu bringen. Allerdings war ich hinterher meist froh, wenn der One-Night-Stand möglichst rasch wieder aus meinem Leben verschwand.

Ich seufze, strecke die Hand zum Wecker aus und bringe ihn zum Verstummen. Der aktuelle Staubericht interessiert mich momentan herzlich wenig. Noch einmal rekle ich mich genüsslich und schäle mich schließlich aus dem Bett. Mit einem herzhaften Gähnen schlurfe ich ins Badezimmer. Ich brauche jetzt erst mal eine ausgiebige Dusche, um auf Touren zu kommen. Obwohl es gestern bei Gernot in der Kneipe, nicht sehr spät geworden war und das trotz eines Freitags, empfand ich es anstrengender als sonst.

Zerzauste schwarze Haare und dunkle Augenringe blicken mir im Spiegel entgegen, sodass ich dem Spiegelbild erst einmal die Zunge blecke und eine Grimasse schneide. Ich sehe schlimmer aus, als ich mich fühle. Erst auf den zweiten Blick wird mir klar, dass ich vergessen habe, mich gestern vor dem Schlafengehen abzuschminken. Das erklärt die besonders dunklen Schatten unter den Augen am heutigen Morgen.

Ich streife das T-Shirt ab und gähne nochmals herzhaft. Auf einen Slip habe ich verzichtet. Schon bald wird die Zeit kommen, wo es mir, so leicht bekleidet, zu kalt sein wird zum Schlafen. Aber vielleicht habe ich diesen Winter jemanden neben mir, der mich wärmt.

Irgendwie kann ich es noch immer nicht richtig fassen, einen Partner gefunden zu haben, bei dem ich mich wirklich wohl fühle. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob Jörg tatsächlich der Richtige sein könnte. Der Mann fürs Leben? Für mein Leben? Oder ob alles einfach zu schnell ging. Geduld war allerdings noch nie meine Stärke.

Ich drehe in der Dusche das Wasser auf und trete langsam unter den warmen Strahl. Genüsslich hebe ich den Kopf und lasse die Tropfen auf das Gesicht prasseln. Ich spüre, wie die Lebensgeister erwachen, wie eigentlich immer, wenn das Wasser meinen Körper umschmeichelt. Heute gönne ich mir sogar eine Spülung für die Haare, obwohl ich sie nur schulterlang trage. Vielleicht sollte ich sie mir wieder wachsen lassen? Ein Versuch könnte nichts schaden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, es meiner Nichte Lucy gleich zu tun, deren Haare ihr inzwischen fast bis zum Gürtel reichen. Aber dann würden wir uns nur noch ähnlicher sehen. Ich muss lächeln, als ich die Haare shampooniere. Jörg dachte doch tatsächlich, dass wir Mutter und Tochter wären, als er uns im Café sitzen sah, weil wir uns so ähneln. Er war nicht der Erste, der diesem Irrtum erlag.

Sogleich geht die Stimmung in den Keller, da ich an meine Schwester Rebecca denken muss. Ich werde wohl keine triftige Ausrede finden, die Einladung zu ihrem Geburtstag auszuschlagen. Wenigstens weiß ich, seit Lucys Geständnis, dass ich in meinem Schwager Holger einen unerwarteten Verbündeten habe, der mich vor ihr in Schutz nimmt, wenn sie wieder einmal Gift und Galle spuckt und kein gutes Haar an mir lässt. Ein bisschen ist mir bange, ihnen von Jörg zu erzählen. So sehr es mir gefallen würde, damit meiner Schwester eins auszuwischen und ihrem ständigen Nörgeln, wann ich mir denn endlich einen Mann suchen würde, ein Ende bereiten könnte, so ungewiss fühle ich mich Holger gegenüber. Sicherlich hat Lucy mit ihrer Mutmaßung übertrieben, er wäre in mich verliebt. Aber wenn doch? Wenn sie recht hat? Wie würde er reagieren, wenn er von meinem Verhältnis zu Jörg erführe? Wäre er eifersüchtig? Enttäuscht? Oder gar wütend? Aber kann und soll ich denn darauf Rücksicht nehmen?

Ich seufze leise, als ich das Wasser aufdrehe und den Schaum aus dem Haar spüle. Nein. Schulterlang genügt, nehme ich den Gedanken von vorhin wieder auf. So sind sie einfach viel praktischer und lassen mich etwas härter erscheinen, was meinem Job als Ermittlerin durchaus entgegenkommt. Eine Berufskollegin trägt sie rappelkurz, gerade einmal einen Zentimeter lang und wirkt tatsächlich deutlich maskuliner. Aber das ist nicht mein Ding. Ein wenig Frau darf schon sein.

Mein Blick fällt auf den Massagestab, der immer griffbereit auf der Seifenablage auf seinen Einsatz wartet. Vielleicht muss er mich in den nächsten Tagen etwas trösten und ablenken, zumindest so lange, bis Jörg den Auftrag beendet hat.

Ich drehe das Wasser aus und verharre noch einen Augenblick in der Dusche. Wassertropfen laufen mir über das Gesicht, tropfen vom Kinn auf den Busen und beschleunigen auf ihrem Weg über den Bauch zum Nabel. Ich spüre die ersten Stoppeln, als ich mit der Hand über die Scham fahre. Heute Abend werde ich mich wieder rasieren. Automatisch wandert meine Hand höher, ertastet die längliche Narbe unter der Brust. Dort wo mich damals die Kugel nur gestreift hatte. Wenige Zentimeter tiefer und es hätte vorbei sein können. Allmählich wird es besser, verblassen die Bilder an das schreckliche Erlebnis. Zum Glück. Nur ungern würde ich die Ängste noch einmal durchleben, die mich wochenlang hinterher gequält haben.

Ich verspüre Hunger und erinnere mich, dass ich unbedingt einkaufen gehen muss. Der Kühlschrank ist fast leer geplündert. Da ich die letzten Tage, nach unserer Rückkehr aus Thailand, bei Jörg in der Wohnung verbracht habe, ist mir der eigene Haushalt gänzlich aus dem Sinn gekommen. Ich muss mich mehr am Riemen reißen. Bei aller Liebe zu den herrlichen Schmetterlingen im Bauch, die mir Jörg bereitet, darf ich meine Selbstständigkeit nicht so sträflich vernachlässigen.

Ich stehe vor dem großen Spiegel und putze bedächtig die Zähne. Für einen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, das Büro sausen zu lassen. Schließlich ist heute Samstag. Allerdings habe ich das Büro inzwischen seit mehr als zwei Wochen vernachlässigt. Und wie mir die Erfahrung sehr oft gezeigt hat, kommen gute Aufträge stets dann, wenn man sie sich am wenigsten wünscht.

Vor dem Kleiderschrank bin ich unentschlossen. Der strahlende Sonnenschein verleitet mich fast dazu, einen kurzen Rock oder eine der Hotpants anzuziehen, doch der Kalender mahnt zur Umsicht. Immerhin ist es Anfang November. Eine lange Jeans und eine warme Bluse erscheinen mir deshalb eindeutig angebrachter. Vielleicht ein bisschen Schmuck? Das wäre doch hübsch, auch wenn ich heute einen Arbeitstag vor mir habe. In der Schmuckschatulle liegt die silberne Kette mit dem vierblättrigen Kleeblatt mit hellblauen Swarovski-Kristallen oben auf. Noch die passenden Ohrringe dazu, und fertig. Zumindest können die Glückskleeblätter nicht schaden.

Der Magen knurrt laut und verlangt nachdrücklich, dass ich mich um ihn kümmere. Ein kurzer Blick in den Kühlschrank gibt den Ausschlag. Eier oder ein magerer Rest Milch für Cornflakes, können mich nicht wirklich überzeugen.

Ich werde wohl meinem Lieblingscafé ‹Veneziana› einen Besuch abstatten und dort frühstücken. Der Magen ist scheinbar der gleichen Ansicht und quittiert die Gedanken mit lautem Getöse. Erst dann fällt mir ein, dass ich heute auf Bettina treffe. Mit etwas mulmigem Gefühl wird mir bewusst, dass ich seit der Rückkehr aus dem Urlaub noch nicht mit ihr gesprochen habe. Wie wird sie wohl reagieren? Wie werde ich reagieren? Auch zukünftig? Bis jetzt habe ich mir nicht einmal die Zeit genommen, über unsere Beziehung nachzudenken. Ich brauche eine Lösung und bin mir nicht im Klaren, wie sie aussehen soll. Wie auch, schließlich weiß ich selbst nicht, was ich eigentlich will. Vielleicht hilft reden? Ich muss einfach wissen, was Bettina über mich und Jörg denkt. Ich stehe schon an der Wohnungstür, als ich kurz entschlossen noch einmal ins Badezimmer husche und mich schminke. Nicht auffällig, aber dezent. Wimperntusche, Kajal und der Lippenstift, der Bettina so gut gefällt, genügt. Ich will mich ein bisschen hübscher fühlen, wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte, mit ihr zu sprechen.

 

Als ich auf dem Fahrrad das übliche Tempo anschlage und dabei gehörig in die Pedale trete, bin ich froh, unter der Jeansjacke auch ein Sweatshirt zu tragen. Es ist eben fast Winter, trotz des trügerischen Sonnenscheins. Wenigstens haben die Tage in Thailand, mir eine gewisse Zeit lang, den Sommer zurückgebracht.

Obwohl es bereits kurz vor 10:00 Uhr ist, herrscht für einen Samstag erstaunlich wenig Verkehr auf den Straßen. Schon nach wenigen Minuten erreiche ich das Café und kette das Fahrrad an einen Lichtmast. Für einen kurzen Moment zögere ich, den Griff der Eingangstür herunter zu drücken, weil ich Bettina hinter der Theke entdecke. Sie sieht mich sofort, winkt freudestrahlend und nimmt mir jede weitere Entscheidung ab, als sie auf mich zueilt. Wir fallen uns in die Arme und sie lenkt ihre Lippen gerade noch von meinem Mund auf die Wange.

«Hallo Elli. Ich freue mich so sehr, dich wieder zu sehen.»

Ich komme nicht einmal dazu, ihr zu antworten, als sie sich zu ihrer Kollegin umdreht und ihr zu verstehen gibt, dass sie eine Pause einlegt. Bettina nimmt mich an der Hand und zieht mich zu einem freien Tisch im hinteren Bereich des Cafés.

«Hier sind wir etwas ungestörter», meint sie und mustert mich mit einem kritischen Blick. «Du siehst gut aus. Etwas magerer, aber schön gebräunt. Du weißt schon, dass ich unbedingt wissen will, wie es war. Magst du das Übliche?»

Kaum dass ich nicken kann und sie anlächele, ist sie wieder verschwunden. Ich schlüpfe aus der Jeansjacke und fühle mich etwas erleichtert. Sie scheint sich wirklich zu freuen, mich wiederzusehen. Vielleicht sollte ich ihr die Initiative überlassen und abwarten, wie sich unser Gespräch entwickelt. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, ist es nicht meine Art, die Kontrolle abzugeben. Ich agiere lieber und bin gerne direkt, auch wenn es manchen stören mag. Diplomatische Konversation gehört nicht gerade zu meinen angeborenen Stärken.

Bettina reißt mich aus den Gedanken, als sie mit einem voll beladenen Tablett an den Tisch kommt.

«Gab es denn wenigstens einen guten Cappuccino in Thailand?», will sie wissen und reicht mir einen großen Becher.

«Das weniger», schmunzle ich und nehme ihr den Teller mit Schokoladen-Croissants ab.

«Das habe ich schon befürchtet», seufzt sie und stellt einen weiteren Teller mit Plätzchen und einigen Marzipan-Trüffeln zwischen uns. «Dann bist du vermutlich auf Koffein-Entzug», scherzt sie.

«Na ja, so schlimm ist es noch nicht. Dafür war ich zu sehr abgelenkt, weißt du?»

Am liebsten hätte ich mich auf die Zunge gebissen. Ich senke den Blick und traue mich nicht, sie anzusehen, als mir klar wird, was ich soeben von mir gegeben habe. Bettina spürt mein Unbehagen und sucht meine Hand. Sie streichelt zärtlich über die Fingerknöchel, bis ich schließlich wieder den Kopf hebe und sie ansehe. Keine Spur von Enttäuschung oder gar Verärgerung, sondern schelmisches Grinsen empfängt mich.

«Ich hoffe, mein kleines Geschenk hat dir gefallen. Oder hast du jetzt den Erdbeergeschmack über?»

Röte schießt mir ins Gesicht. Warum muss sie auch jetzt die Kondome zur Sprache bringen?

«Doch, doch», versichere ich ihr rasch. «War perfekt. Vielen Dank.»

Bettina neigt den Kopf zur Seite, als würde sie noch auf etwas warten. Und ich weiß genau auf was.

«Ja, sie haben auch gereicht», grinse ich und sehe ihren süffisanten Blick. «Aber es wurde verdammt knapp», setze ich hinzu.

Wir brechen beide gleichzeitig in schallendes Gelächter aus, dass sich die Leute zu uns umdrehen.

«So, so, knapp wurde es. Einhundert Stück für zwei Wochen.»

Bettina japst und schüttelt den Kopf.

«Du bist ja noch wilder, als ich dachte. Seid ihr denn überhaupt aus dem Bett gekommen?»

«Ja natürlich, was denkst du denn von uns?», mime ich die Empörte und muss wieder lachen.

«Ich habe nur gerade mal schnell etwas Kopfrechnen betrieben und muss mich schon ein bisschen wundern», grinst sie verschmitzt.

«Das Erste haben wir bereits für den Flieger gebraucht.»

«Für den Flieger? Das ist jetzt aber nicht dein Ernst?»

Ich nicke nachdrücklich und grinse.

«Jörg wollte es unbedingt einmal probieren und als nachts alle schliefen ….»

Ich beende den Satz nicht und amüsiere mich über Bettinas fassungsloses Staunen.

«So billig kommst du mir nicht davon mein Schatz. Jetzt will ich aber auch alle Details wissen.»

Bettina lässt mich fast eine Viertelstunde ohne Unterlass berichten, unterbricht mich zu Anfang nur, wenn sie das Gefühl hat, dass ich ihr etwas verschweige, bis ich es aufgebe und ihr genau das erzähle, was sie wissen möchte. Sie bringt mir noch einen Cappuccino und teilt mit mir eine Butterbreze, bis ich laut seufzend ende und mich zurücklehne.

«So, jetzt weißt du alles, an was ich mich momentan erinnern kann.»

Bettina nickt bedächtig und für einen Augenblick herrscht Schweigen. Sie dreht den Kopf zur Seite und ich weiß genau, was sie beschäftigt. Aber im Moment fehlt mir einfach der richtige Einstieg. Wenn ich ehrlich bin, dann ist mir selbst nicht klar, was ich will. Jetzt sogar noch weniger als noch heute Morgen. Als sie es ausspricht, treffen mich ihre Worte bis ins Mark.

«Dann war es das also mit uns beiden.»

Diesmal bin ich es, die ihre Hand sucht und sie festdrückt. Eine Träne rinnt über meine Wange. Ich spüre es nicht einmal. Als sie endlich den Kopf dreht und mich ansieht, sehe ich den gequälten Ausdruck im Gesicht, den ich das letzte Mal an ihr sah, als sie mitten in der Nacht vor meiner Wohnungstür stand, halb nackt und vergewaltigt von ihrem Partner und dessen Freund. Ich hasse diesen Blick, weil er all die schlimmen Erinnerungen in mir weckt, und ich will ihn auch nicht sehen. Ich weiß selbst nicht, was mich reitet, dass ich sie am Kinn fasse und zwinge mich anzusehen.

«Nichts ist vorbei, Bettina. Du weißt, wie viel du mir bedeutest, und Jörg wird daran nichts ändern. Warum auch? Schau mich nicht so ungläubig an. Ich verspreche dir, mit ihm zu reden, ihm das mit uns zu erklären - irgendwie, wenn ich im Moment auch noch nicht weiß, wann und wie.»

Es dauert einige Sekunden, bis Bettina die Worte verinnerlicht. Ihr glückliches Lächeln kehrt zurück und rührt mich fast erneut zu Tränen. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und es wäre um mich geschehen.

«Dir ist es wirklich ernst?», meint sie überrascht und hängt an meinen Lippen.

«Selbstverständlich ist es mir ernst. So gut müsstest du mich mittlerweile kennen, dass ich halbe Sachen nicht leiden kann.»

«Aber ich will auf keinem Fall eurem Glück im Weg stehen. Du weißt, keine Verpflichtungen. Das ist mir in den vergangenen zwei Wochen klar geworden. So haben wir es uns geschworen.»

«Ich weiß, Bettina.»

Meine Hände umschließen fest ihre Finger. Ich spüre das leichte Zittern. Nach unserer letzten gemeinsamen Nacht ist mir schmerzlich klar geworden, dass sich Bettina in mich verliebt hat. Dass es für sie persönlich weit mehr bedeutet, als eine lose Zusammenkunft. Auch wenn es womöglich nicht in ihrer Absicht lag. Doch es ist passiert. Solche Gefühle kann ich leider nicht völlig erwidern, was ich ihr auch gesagt habe. Trotzdem bedeutet mir unser besonderes Verhältnis sehr viel.

Ich seufze innerlich, als ich ihren hoffnungsvollen Blick sehe, weil mir nun eine schwere Aufgabe bevorsteht: Wie sage ich es Jörg? Nun gut, Bettina kenne ich schon seit Jahren und ihn erst seit wenigen Wochen, wenn man von den 25 Jahren Pause absieht, in denen wir uns, seit der Schulzeit nicht gesehen haben. Im Urlaub haben wir die große Lücke mit unzähligen Geschichten gefüllt, die uns gerade in den Sinn kamen. Dabei habe ich in Jörg vieles gefunden, was mir in den letzten Jahren gefehlt hat. Er ergänzt mich in vielerlei Hinsicht. Wir können uns stundenlang unterhalten, tiefgründig diskutieren, gemeinsam lachen und miteinander schlafen bis zur Erschöpfung. Natürlich liebäugle ich mit der Vorstellung, endlich den Mann fürs Leben gefunden zu haben.

Da ich die 40 überschritten habe, bilde ich mir zumindest ein, dass sich meine Chancen mit jedem weiteren Jahr als Single nicht unbedingt verbessern werden.

Und ich kann mir zumindest in einer Hinsicht sicher sein, dass er mich wirklich liebt, auch wenn ich noch nicht genau weiß, wie das nach dieser langen Zeit dazwischen überhaupt möglich ist. Aber genügen die wenigen Wochen unserer Zweisamkeit schon, um ernsthafte Pläne für eine gemeinsame Zukunft zu schmieden? Ich muss der Beziehung einfach mehr Zeit geben. Ich muss es langsamer angehen lassen. Geduld. Ich seufze leise. Geduld ist wirklich mein Problem. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass wir uns nun für zwei Wochen nicht sehen werden. Ich muss meine Gefühle ordnen und entscheiden, von welchen Leichen im Keller ich ihm zuerst erzähle.

Bettina hat sich wieder etwas beruhigt und as Zittern aufgehört. Sie hat meinen inneren Monolog aufmerksam schweigend verfolgt, dessen bin ich mir gewiss. Dazu kennt sie mich einfach viel zu gut und weiß genau, was in mir vorgeht. Ein Umstand, den ich zeitweise auch sehr genieße.

«Ich habe mich noch gar nicht dafür bedankt, dass du beim Kofferpacken geholfen hast», grinse ich und zwinkere ihr zu.

«Sei mir bitte nicht böse.»

Bettina senkt betreten den Blick.

«Lucy hat mich einfach überrumpelt, als sie mir von ihrer Idee erzählt hat. Na ja, eigentlich war es die Idee von Jörg. Und als sie mir auch noch erzählte, dass sie über uns Bescheid weiß, hat sie mich gänzlich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich wusste nicht, dass du ihr das mit uns ….»

Ihre Stimme stockt.

«Keine Angst», flüstere ich leise. «Außer Lucy weiß bisher niemand etwas über unser Verhältnis. Und sie wird mit Sicherheit schweigen.»

Bettina lächelt erleichtert. Im Stillen verpasse ich mir eine Ohrfeige, dass ich ihr nur die halbe Wahrheit gesagt habe. Gernot weiß es ebenso. Aber das geht niemanden etwas an. Auch sie nicht.

«Zuerst dachte ich, ich sehe Gespenster und du würdest vor mir stehen, als sie an meiner Tür läutete. Ich habe sie schon so lange nicht mehr gesehen. Ihr seid euch inzwischen so ähnlich, die breiten Wangenknochen, die Augen und sogar die sinnlichen Lippen. Sie ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Von der traumhaften Figur ganz zu schweigen.»

Bettina verdreht schwärmerisch die Augen.

«Ich bin aber fünf Zentimeter größer als sie», lache ich und bringe auch Bettina zum Lachen. «Außerdem ist sie genauso eifersüchtig wie ich», füge ich rasch hinzu.

«Schon klar, ich hab verstanden», schmollt sie spielerisch. «Ich werde mich zurückhalten, versprochen.»

«Braves Kind.» Ich tätschle ihr die Hand und greife in meinen kleinen Rucksack. «Was bin ich dir schuldig?»

«Nichts. Das ist mein kleines Willkommensgeschenk.»

«Bettina, das will ich nicht. Du kannst mir doch nicht ständig alles schenken.»

Es herrscht für einen Moment Schweigen.

«Schon gut», seufze ich resigniert, als ich das enttäuschte Gesicht sehe. «Dann geht das nächste Essen aber auf mich. Und keine Widerrede, okay?»

Bettina nickt, grinst und erhebt sich vom Stuhl. Ich sehe, dass ihr etwas auf der Zunge liegt, und ich kann mir ziemlich genau ausmalen, was es ist.

Als ich mich ebenfalls erhebe, kneife ich ihr unauffällig in den Po und raune ihr leise zu: «Dabei können wir uns dann gerne wieder ausführlich unterhalten, von Frau zu Frau.»

Sie vergewissert sich, dass uns niemand beobachtet, dreht blitzschnell den Kopf, drückt mir verstohlen einen Kuss auf den Mund und stöhnt: «Ich kann es kaum erwarten.»

«Das weiß ich. Ich auch.»

«Rufst du mich die nächsten Tage an?»

«Ja, aber es könnte wieder spät werden, wie beim letzten Mal. Ich habe keine Ahnung, welche Aufträge mich im Büro erwarten und wie mich Gernot in Beschlag nehmen wird.»

«Bei ihm hat eine Bedienung gekündigt, habe ich gehört. Und es soll nicht ganz freiwillig geschehen sein?»

«Stimmt», grinse ich. «Dazu kann ich dir sogar eine kleine, feine Geschichte verraten. Aber er hat auch schon adäquaten Ersatz gefunden. Die Story dazu kann ich dir ebenfalls bei Gelegenheit erzählen.»

«So viele Geschichten willst du mir erzählen?», seufzt Bettina bühnenmäßig. «Bleibt da überhaupt noch Zeit für andere Dinge?»

Ich lache und schüttle den Kopf. «Ich fasse mich kurz, versprochen. Aber wenn du die Gründe erfährst, wirst du vielleicht sogar Gefallen daran finden.»

«So heiß?», grinst sie.

«Noch viel heißer», entgegne ich und winke ihr zum Abschied kurz zu.

«Ich kann es kaum erwarten, Tschüss.»

«Tschüss, Bettina. Bis bald.»

 

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Herbert greift nach ihren schlanken Beinen und legt sie über die Schultern. Seine Stöße sind diesmal länger und sanfter. Er knetet ihre Brüste und genießt den verzückten Gesichtsausdruck, als sie mit geschlossenen Augen den Kopf auf dem Kissen hin und her wirft. Sie kann heute nicht genug bekommen. Hat sich an ihn geklammert, wie eine Ertrinkende. Sie drückt den Rücken durch, stöhnt laut auf und steht, kurz davor zu kommen. Er intensiviert die Bemühungen, pumpt härter und schneller, treibt sie unweigerlich an die Klippe. Mit einem lauten Schrei bäumt sie sich ein letztes Mal auf. Rasch kneift er fest ihre steifen Nippel, was ihr genau in diesen Augenblicken besonders gut gefällt. Ihre Muschi umklammert den Penis. Er spürt ihr heftiges Zucken, bevor auch er den Höhepunkt erreicht und sich mit lautem Aufstöhnen tief in ihr ergießt.

Nach Luft ringend, verharren sie einige Augenblicke, bis Karin die Augen wieder öffnet und ihn mit verklärtem Ausdruck anlächelt. Er lächelt zurück und nimmt ihre Beine von den Schultern. Mit leisem Ächzen legt er sich neben sie auf das große Bett und genießt die wohlige Mattheit danach. Karin streichelt zärtlich seine Brust, spielt mit den Haaren an seiner Brustwarze. Er fühlt sich ausgelaugt und erschöpft. Gleich dreimal, in nur zwei Stunden, hat ihn an die persönlichen Grenzen getrieben. Nur die Woche Abstinenz hat ihm geholfen, durchzustehen und Karins Hunger zu stillen. Heute gebärdete sie sich noch unersättlicher als sonst.

Warum hat er sich damals nur anders entschieden? Eine Frage, die er sich immer wieder stellt und auf die er in all den vergangenen Jahren einfach keine befriedigende Antworten gefunden hat. Er weiß, Karin geht es nicht anders. Sie hat damals seinen Bruder Hans geheiratet, während er den Reizen von Doris Beck erlag, einem Dessous-Modell, das er zufällig auf einem Bankett kennengelernt hatte. Ironischerweise war es genau diese Veranstaltung, wo auch Hans auf Karin traf und sich spontan in sie verliebte. Sie arbeitete als Kellnerin beim Catering-Service, der die Veranstaltung betreute. Hans erzählte ihm später, dass es die Augen und ihr Lächeln gewesen wären, als sie ihm ein Glas Sekt gereicht hatte. Genau dabei hat es bei ihm gefunkt. Als er nach einer Woche noch immer an die unbekannte Kellnerin denken musste, von der er nur ihren Vornamen kannte, war es er selbst gewesen, der Hans den Ratschlag gegeben hatte, bei der Catering-Firma anzurufen und sich nach ihr zu erkundigen. So viele Karins würden sie sicherlich nicht beschäftigt haben.

Sein Bruder überlegte nicht lange, ersann eine kleine Notlüge und erfuhr schließlich die Telefonnummer einer Frau Neukarn. Er ließ sich ganze drei Tage Zeit, grübelte Tag und Nacht, wie er mit ihr ins Gespräch kommen könnte. Absichtlich wollte er nichts von seinen familiären und vor allem finanziellen Verhältnissen verraten. Zumindest nicht gleich beim ersten Treffen.

Dabei befürchtete er weniger, dass sie es womöglich nur auf sein Geld abgesehen haben könnte. Vielmehr empfand er es peinlich und prahlerisch, denn schließlich sollte ihn nicht das Vermögen repräsentieren, sondern er selbst. Vielleicht empfand sie sogar etwas für ihn? Welche Gefühle er tatsächlich für sie hegte, war ihm noch nicht klar. Sympathie und Schmetterlinge im Bauch alleine waren recht dürftig, auch wenn er sich erhoffte, in den wenigen Augenblicken ihres Zusammentreffens noch mehr erkannt zu haben. Karin entpuppte sich als schwer zu knackende Nuss, die ihn ganze vier Monate in Atem hielt, bis sie sich endlich bereit erklärte, es mit einer Beziehung zu versuchen. Danach vergingen noch einmal zwei Wochen bis zu ihrem ersten Mal. Ein Jahr später führte Hans Karin Neukarn zum Traualtar, was nun fast 23 Jahre zurücklag. Niemand hätte ahnen können, was in der Zeit danach folgte und letztendlich dazu führte, dass Karin nun das Bett mit ihm teilte, auch wenn sie weiterhin mit Hans verheiratet war - so der offizielle Tenor.

 

Karin schält sich aus dem Bett und hat es sehr eilig, ins Badezimmer zu entschwinden. Sie nimmt seit der Geburt ihres Sohnes die Pille, sodass Herbert auf ein Kondom verzichten kann.

Ihr Blick ist ernst, als sie aus dem Badezimmer zurückkehrt und er ahnt schon, was sie gleich sagen wird. Was sie seit geraumer Zeit immer wieder anmerkt. Es schmerzt ihn, sie ständig zu vertrösten, doch im Moment mangelt es ihm einfach an Ideen, ihr ganz persönliches Problem zu lösen. Er wird ihr heute erneut nur ausweichende Antworten geben. Wieder einmal. Letztendlich wird sie es akzeptieren, denn auch ihr fehlen vernünftige Alternativen. Und wenn sie beide ehrlich sind, dann hat ihr bisheriges Arrangement sehr gut funktioniert, abgesehen von der lästigen Unannehmlichkeit, keinen Sex zu Hause haben zu können.

 

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Heute ist er sich endlich sicher, sämtliche Abläufe genau zu kennen. Der Chef hat ihm einen Auftrag gegeben. Nicht den Kniffligsten, seitdem er für ihn arbeitet. Da gab es schon andere Aufgaben, bei denen es mehr zur Sache ging. Dafür benötigte er noch nie ganze drei Wochen zur Vorbereitung. Er spürt mittlerweile jeden einzelnen Knochen im Körper. Bewegungsmangel und das viele Sitzen, teils auch in unbequemen Positionen, haben Schuld daran. Außerdem ist er nicht mehr der Jüngste und hat allmählich die Nase voll, von all den speziellen Jobs. Er hat sich in den vergangenen Jahren etwas zur Seite gelegt. Und mit dem Angebot eines Bekannten sollte es genügen, wenn er es nicht übertreibt. Obwohl die beabsichtigte Veränderung noch auf wackeligen Füßen steht und ihm sicherlich unzählige schlaflose Nächte bescheren wird, so weiß er zumindest eines gewiss. Wenn alles erledigt ist, braucht er unbedingt eine längere Erholung. Er hat schon vor einiger Zeit ein Auge auf Anita geworfen. Vielleicht gewährt ihm der Chef einen kleinen Bonus, quasi als Vorschuss. Ihm ist vollkommen klar, dass es schnell unangenehm werden kann, wenn er diesen Wunsch äußert. Immerhin hat Anita weit mehr Qualitäten aufzuweisen, als herrliche Ganzkörper-Massagen. Sie besitzt einen gewissen Ruf in der Szene. Und einige haben ihm bestätigt, dass sie dem Ruf auch mehr als gerecht wird.

Er seufzt versonnen und schließt für einen Augenblick die Augen, bevor er den Zündschlüssel umdreht und den Wagen startet. Es wird ernst. Er muss noch einiges besorgen und zu Hause in der Garage vorbereiten, bevor es heute Nacht spannend wird. Dann wird sich zeigen, ob sich die langwierige Observierung auch ausgezahlt hat. Er braucht eine halbe Stunde, um es durchzuziehen, mindestens. Und er muss leise sein. Die Pferde bereiten ihm wenig Kopfzerbrechen. Mit Pferden konnte er schon immer gut. Er hat an alles gedacht und wird dafür sorgen, dass sie rechtzeitig fliehen können. Mit etwas Glück wird kein Lebewesen zu Schaden kommen.

 

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Die Sonnenstrahlen heute Morgen waren trügerisch. Während des Frühstücks im Café sind dicke, bleigraue Wolken aufgezogen. Ein kühler Wind signalisiert deutlich die tatsächliche Jahreszeit. Für einen Moment spiele ich sogar mit dem Gedanken, noch einmal kurz nach Hause zu fahren, um mich wärmer anzuziehen. Aber wenn ich mich recht erinnere, müsste ich auch im Büro eine gefütterte Regenjacke für Notfälle im Schrank hängen haben. Ich trete etwas mehr in die Pedale und komme auf dem letzten Anstieg gehörig ins Schnaufen. Zwei Wochen Strandurlaub haben mich scheinbar die Kondition gekostet, auf die ich immer so stolz bin. Ich genieße die knappen 100 Meter bergab und lasse das Fahrrad rollen. Siedend heiß fällt mir ein, dass ich meinem Ex-Freund Walter für seine gelungene Reparatur noch ein ausgiebiges Abendessen schulde. In Gedanken setze ich ihn auf die To-do-Liste, bevor ich absteige und das Fahrrad durch die Tordurchfahrt in den Hinterhof schiebe. Mein Fahrrad ist nicht alleine. Ich stelle es neben Frederics und lege das schwere Kettenschloss an. Selbst hier im Hinterhof will ich auf Nummer sichergehen. Zu viele dreiste Diebstähle in den letzten Jahren, selbst in der belebten Innenstadt, sollten jedem Radfahrer eine deutliche Warnung sein. Ich schmunzle, als mein Blick auf Frederics massives Bügelschloss fällt. Noch gut erinnere ich mich an seine Antwort, als ich ihn darauf angesprochen habe.

«Das Schloss liegt wirklich gut in der Hand und ich habe gleich eine Waffe zur Verteidigung», lachte er damals. «Mit einer Kette würde ich mich nur selbst verletzen. Sogar mit meinem Foto kann ich schärfer schießen.»

Und ich lachte mit ihm, denn seine simple Erklärung hätte nicht zutreffender sein können. Ich kenne Frederic seit dem Tag, als er hier eingezogen ist, und verdanke ihm einen Computer mit der neuesten Grafik-Software für Bildverarbeitung. Er hatte mir sogar angeboten, dass ich mir für besonders heikle Observierungen sein hochwertiges Fotoequipment borgen könnte. Bis jetzt habe ich sein Angebot ausgeschlagen und mich mit meiner eigenen Ausrüstung begnügt. Weiß ich doch, wie besorgt er sein würde und ich noch viel mehr.

Im Vorzimmer und im Büro ist die Luft noch immer stickig, obwohl ich vorgestern ausgiebig gelüftet habe. Noch einmal öffne ich sämtliche Fenster und muss einen Papierstapel in Sicherheit bringen, als eine kühle Böe durch die Räume jagt. Mein Blick streift den großen Schrank in der Ecke. Dort schlummert die Walther PPK im Tresor. ‹Waffe für Schießstand prüfen und reinigen›. Ein weiterer Punkt auf meiner Liste.

Vielleicht kann ich das längst überfällige Schießtraining bei Walter im Schützenheim gleich mit dem Abendessen verbinden und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Genug der Frischluft. Ich schließe die Fenster und setze mich, bewaffnet mit Papier und Kugelschreiber, an den Schreibtisch. Die Lampe des Anrufbeantworters blinkt. Ich seufze und ärgere mich, den AB nicht schon vorgestern abgehört zu haben, als ich die Wiedergabe drücke. Doch irgendwie fühlte ich mich vor zwei Tagen einfach noch nicht in der Lage, wieder in die Rolle als Ermittlerin zu schlüpfen.

«Sie haben neun neue Nachrichten, drei entgangene Anrufe», meldet die Automatenstimme blechern und lässt mich aufstöhnen.

 

Ich verdrehe die Augen, notiere automatisch Datum und Zeit des ersten Anrufs, bevor ich den Stift wieder sinken lasse. Die Stimme der ersten Anruferin kenne ich nur zu gut. Es ist meine Schwester Rebecca und ich hätte ihr schon nach dem zweiten Wort den Hals umdrehen können, als sie mich einmal mehr mit Absicht mit meinem verhassten, vollen Vornamen anspricht.

«Hallo Eleonore. Hier ist deine Schwester Becca. Sag mal, wo steckst du denn? Du bist nicht zu Hause und gehst nicht an dein Handy. Ich wollte mit dir noch über die Geburtstagsfeier sprechen. Ich hoffe nur, du hast es nicht wieder vergessen. Mutter kommt schließlich auch. Also ruf mich zurück. Tschüss.» Klack.

«Du hast das Zauberwort vergessen», knurre ich verärgert und runzle die Stirn. Was ist so schwer daran, ‹Bitte› zu seiner Schwester zu sagen? Das fängt ja schon gut an. Immerhin amüsiert es mich, dass Lucy, ihre eigene Tochter, ihr nicht verraten hat, dass ich mich im Urlaub befand.

Ich mache eine kurze Notiz und wähle die nächste Nachricht.

 

«Hallo Elli, hier ist Gernot. Ich wollte dir nur einen wunderschönen Urlaub wünschen, auch wenn ich vermutlich etwas zu spät mit den Wünschen komme. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich habe über die Studentenvermittlung für die zwei Wochen eine Aushilfe gefunden, die bereits gekellnert hat. Lucy hat mir dabei geholfen. Bin schon gespannt, was du zu erzählen hast. Also bis bald.»

Ich lächle, als ich die Stopp-Taste drücke und mir groß das Wort ‹Geschenk› mit einen dicken Ausrufezeichen hinter seinem Namen notiere. Gernot hat es zumindest geschafft, den Missmut über meine Schwester zu vertreiben.

 

«Hallo Elli, hier spricht Serena Döbling. Ich hätte wieder einmal einen kleinen Auftrag für dich. Wäre nett, wenn du dich bei Gelegenheit melden würdest. Ich habe den Mandanten bereits vorgewarnt, dass er sich etwas gedulden muss, wenn er die Beste haben möchte. Tschüss dann, meine Hübsche.»

Ich schmunzle, als ich mir Serenas Namen notiere und ihre Nummer im Display ablese.

Typisch Serena. Es ist mir manchmal fast peinlich, wenn sie mich bei anderen in den höchsten Tönen anpreist, als wäre ich die Reinkarnation eines Sherlock Holmes oder gar Philip Marlowe. Zumindest verbindet mich mit Letzterem die Eigenheit, mir gerne meine eigenen moralischen Grundsätze zu stricken, wenn ich sie bei einem Fall gänzlich vermisse.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als mich Serena zum ersten Mal kontaktierte. Ich war erst seit einem halben Jahr selbstständig und bekam kaum Aufträge. Unzählige Tage überlegte ich hin und her und schaltete schließlich, für viel Geld, für eine ganze Woche, von Montag bis Samstag, eine Kleinanzeige in der Tageszeitung. Serena rief mich schon am Dienstag an und erwähnte die Anzeige, die sie gelesen hätte. Ich konnte mein Glück kaum fassen, zumindest einen potenziellen Klienten gefunden zu haben.

Sie kontaktierte mich damals in eigener Sache. Sie hätte seit Längerem den Verdacht, ihr Mann würde sie betrügen und sie bräuchte handfeste Beweise für ihre geplante Scheidung. Bei aller Freude über den Auftrag überraschte mich ihr sehr nüchtern und sachlich klingender Ton am Telefon. Wir vereinbarten noch für den gleichen Tag einen Termin am späten Nachmittag, um die Details näher zu besprechen.

Sie war mir von Anfang an sympathisch, als ich ihr kurz nach 17:00 Uhr die Tür öffnete und sie in ihrem Business-Outfit vor mir stand. Der Rock ihres Glencheck-Kostüms reichte bis übers Knie und der Blazer über ihrer weißen Bluse betonte perfekt die schlanke Taille. Das fein geschnittene Gesicht und die etwas weit auseinanderstehenden Augen verliehen ihr einen geheimnisvollen Ausdruck. Mit Lidschatten, Mascara Wimperntusche und einem Hauch von Rouge, passend zum Kostüm, hatte sie den Lippen nur etwas Lipgloss spendiert, was sehr seriös wirkte. Die langen, dunkelbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, der ihr fast bis zur Taille reichte. Es waren jedoch die grün funkelnden Augen, die mich sofort in den Bann zogen, als wir einen überraschend festen Händedruck austauschten und ihre Stimme sogar noch etwas sonorer und tiefer klang, als am Telefon. Bereits nach wenigen Sekunden war mir klar, die Frau wusste, was sie wollte und das war mir nur recht. Ich führte sie ins Büro und bat sie, auf dem großen Sessel vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen.

«Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Frau Döbling. Vielleicht etwas Wasser, Orangensaft, Limonade oder Bier?»

Letzteres sagte ich mehr beiläufig in scherzhaftem Ton. Umso mehr erstaunte mich ihre Antwort.

«Ich glaube, angesichts meines Problems wäre mir ausnahmsweise ein Bier am liebsten, wenn es Ihnen keine Umstände bereitet», setzte sie noch schnell hinzu und lächelte verlegen.

«Nein, keineswegs», antwortete ich verdutzt und versuchte, mir die Verwunderung nicht anmerken zu lassen.

Bier, der einzige Luxus, den ich mir gelegentlich gönnte, hatte ich glücklicherweise meist im Kühlschrank vorrätig. Ich kehrte mit zwei Flaschen und zwei Gläsern zurück.

«Pils oder ein Dunkles?», fragte ich sie und amüsierte mich diesmal über ihren verblüfften Gesichtsausdruck.

«Ein Pils bitte», antwortete sie zögerlich und lächelte.

Ich reichte ihr das Pils und das Glas.

Für einen Moment hörte man nur das leise Gluckern, als wir das Bier einschenkten. Frau Döbling hob ihr Glas und prostete mir zu.

«Wenn wir schon gemeinsam ein Bier trinken, dürfen Sie mich gerne duzen.» Sie lächelte erwartungsvoll. «Ich bin Serena.»

«Und ich heiße Elli», lächelte ich zurück und stieß mit ihr an.

«Aha, ich dachte, du heißt Eleonore.»

Ich verzog angewidert das Gesicht und brachte Serena zum Lachen.

«Ist es so schlimm?»

Ich nickte und musste grinsen. «So nennt mich ausschließlich meine große Schwester.»

«Die dir nicht so sehr am Herzen liegt, wie ich vermute.»

Ich hob überrascht die Augenbrauen. «Das hast du gut erkannt?», entgegnete ich erstaunt.

«Das ist nicht weiter schwer. Ich bin Anwältin und habe ein Gespür entwickelt, wie Menschen ticken. Meistens kann ich Gefühlsregungen, Wahrheit und Lüge ganz gut erkennen und auch unterscheiden, was oftmals recht hilfreich ist. Manchmal ist es auch ein Fluch, wenn die Mandanten tatsächlich annehmen, dass ich ihren plumpen Lügen glauben schenke.»

Ich nickte langsam.

«Ich weiß genau, was du meinst. Mir werden auch sehr oft Unwahrheiten aufgetischt oder zumindest sehr einseitig geprägte Ansichten der Dinge erzählt.»

«Tja, und deswegen bin ich nun bei dir. Mein Mann Ralph tischt mir seit geraumer Zeit Lügen auf. Wenigstens bin ich fest davon überzeugt. Hätte ich momentan in der Kanzlei nicht so viel um die Ohren, wäre ich ihm vielleicht selbst auf die Schliche gekommen. Aber wenn ich es mir genau überlege, ist es sinnvoller, die Sache lieber einer Spezialistin zu überlassen. Besser für die Gesundheit.»

Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.

«Für seine Gesundheit, meine ich natürlich», grinste sie. «Wenn ich in Fahrt komme, ist mit mir, nicht gut Kirschen essen, weißt du. Da garantiere ich für nichts. So behält der Mistkerl wenigstens Skrotum und Testes, die ich ihm ansonsten vermutlich gnadenlos abschneiden würde.»

Sie machte eine Scheren-Geste mit Zeige- und Mittelfinger, sodass wir herzhaft lachten.

«An was hast du gedacht? Observierung und Fotos?»

Serena nickte.

«Ja genau. Und wenn du sie beide in flagranti ertappst, dann bekommst du einen Bonus.»

«Ich versuche mein bestes», grinste ich. «Aber garantieren kann ich es dir nicht.»

«Du schaffst das. Davon bin ich überzeugt. Du musst das auch nicht an einem Tag bewältigen. Mir sind Ergebnisse wichtiger als Geld. Ich habe sowieso mehr davon, als ich ausgeben kann. Wenn er mich tatsächlich betrügt und wir uns scheiden lassen, dann ist Geld meine geringste Sorge. Da ich die Vermögende von uns beiden bin, soll er keinen Cent bekommen.»

«Aber ich dachte, die Schuldfrage ist heutzutage nicht mehr entscheidend?», wandte ich ein.

Serena nickte: «Das ist prinzipiell richtig. Aber wenn es um die Vermögensaufteilung oder den Unterhalt für Kinder geht, dann spielt es sehr wohl eine entscheidende Rolle.»

 

Wir unterhielten uns noch eine Weile über einige rechtliche Belange. Dabei stellte sich heraus, dass Serenas Spezialgebiet makabererweise das Scheidungsrecht war. In der Regel suchten andere Rat bei ihr. Doch nun war sie selbst auf Hilfe angewiesen. Sie nannte mir die üblichen Zeitfenster seiner angeblichen, berufsbedingten Abwesenheit, seine Handynummer, seinen Fahrzeugtyp und das Kennzeichen. Dann zog sie aus der Handtasche ein Foto und reichte es mir. Es zeigte einen gut aussehenden, athletisch gebauten Mann mit kurzen blonden Haaren, der auf den ersten Blick sehr sympathisch wirkte. Er wies große Ähnlichkeit mit den typischen Sonnyboys aus amerikanischen Highschool-Filmen auf.

«Der optische Eindruck täuscht leider, denn er ist ausgesprochen narzisstisch veranlagt, was ich bedauerlicherweise viel zu spät bemerkt habe. Wenn er nur ein Zehntel der Zeit, die er für sich selbst, für mich verwenden würde, wäre ich vermutlich rundum zufrieden. Bevor ich es vergesse, er heißt Mertens, Ralph Mertens. Ich habe wegen der Kanzlei meinen Namen behalten. Und wenn ich dir noch erzähle, dass ich schon seit einem halben Jahr keinen Sex mehr mit ihm hatte und das letzte Mal ein mehr oder weniger erzwungener Quickie in der Dusche war, dann kannst du dir auch diesen Teil meiner Frustration denken.»

Ich fühlte mich etwas unwohl, so intime Details von ihr zu erfahren, und starrte auf mein Bierglas.

«Bist du noch Single?»

Ihre Frage ließ mich erröten, bevor ich zaghaft nickte. «Ja, momentan bin ich es wieder.»

«Aber hoffentlich nicht geschieden.»

«Nein. Das nicht. Wir haben uns nur getrennt.»

«Hat er dich wohl auch betrogen?»

Ich schüttelte den Kopf und überlegte krampfhaft, wie viel ich erzählen sollte, von Walter und mir. Sie hatte immerhin schon vorgelegt und ich konnte mir gut vorstellen, wie sie vor Gericht agierte, wenn sie sich in ihrem Element befand.

«Wir hatten einfach zu unterschiedliche Interessen», begann ich etwas stockend. «Das Einzige, was wirklich zwischen uns funktionierte, war der Sex.»

Sie hob amüsiert die Augenbrauen. Ich bemerkte ihr Grinsen und fügte rasch hinzu: «Aber wir sind noch Freunde, helfen uns manchmal bei der Arbeit und er trainiert mich noch.»

«So, so trainieren nennt ihr das also?», lachte sie süffisant. «Darf ich mich da anschließen? Ich könnte etwas Training vertragen.»

Ich verzog gequält das Gesicht und lehnte mich in den Schreibtischsessel zurück.

«Na wenn du so auf Zirkeltraining und Selbstverteidigung stehst, dann kannst du mich gerne beim nächsten Mal begleiten.»

Ihr Blick wirkte etwas enttäuscht, bevor sich ihr Mund wieder zu einem Grinsen verzog.

«Ich bin eher der intellektuelle Typ, wenn du verstehst, was ich meine. Außerdem wäre es keine gute Idee, wenn ich wüsste, wie man jemanden aufs Kreuz legt. Vor Gericht muss ich mich schon allzu oft beherrschen.»

Wir scherzten und unterhielten uns noch über alles Mögliche. Die dritte Flasche Bier, meine letzte, teilten wir uns. Gegen 19:00 Uhr brach sie auf. Wir umarmten uns kurz zum Abschied, wie es eigentlich nur Freundinnen tun. Sie duftete so frisch, als käme sie gerade aus der Dusche, obwohl ein ganzer Arbeitstag hinter ihr lag.

Ich versprach ihr, mich regelmäßig zu melden, um ihr den Stand der Observierung mitzuteilen. Noch einmal beteuerte sie, dass es ihr nicht auf das Geld ankäme, wenn nur das Ergebnis stimmte.

 

Nachdem sie das Büro verlassen hatte, blieb ich einen Augenblick ruhig im Schreibtischstuhl sitzen, legte die Fingerspitzen ans Kinn und ließ die vergangenen zwei Stunden Revue passieren. Was wäre wohl geschehen, wenn ich ihr im Scherz kein Bier angeboten hätte? Wären wir dann ebenfalls per Du? Hätte sie mir auch so viele kleine Details aus ihrer Beziehung und ihrem Leben erzählt? Ich hatte das Gefühl, dass uns bereits nach dieser kurzen Zeit so etwas wie eine kleine Freundschaft verband. Ein Grund mehr, dass ich mich bemühen musste, ein zufriedenstellendes Ergebnis für sie zu erzielen, wie sie es so schön formulierte. Ich konnte mir ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen, als ich nach vorne an den Tisch rollte und den Computer startete, um ihre Daten ins System einzugeben.

 

Bereits am nächsten Tag legte ich mich vor seiner Firma auf die Lauer. Ich wartete gerade eine halbe Stunde in meinem betagten Mini Cooper gegenüber der Ausfahrt der Tiefgarage, als das Handy Deep Purples ‹Smoke on the Water› zum Besten gab. Serena teilte mir mit, dass Ralph sie soeben angerufen hätte, dass es heute wieder einmal später werden würde. Angeblich handelte es sich diesmal um ein Geschäftsessen mit Kunden.

Ich hatte kaum das Handy in die Handtasche zurückgelegt, als ein weißer Audi A6 die Tiefgarage verließ. Die Scheiben spiegelten zu sehr, dass ich nicht erkannte, wer am Steuer saß. Mir gelang gerade noch, das Kennzeichen zu lesen, bevor er sich in den laufenden Verkehr einfädelte und sich rasch von mir entfernte. Obwohl es nur wenige Sekunden dauerte, den Motor zu starten und eine Lücke abzupassen, um zu wenden, stand mir bereits der Schweiß auf der Stirn. Mehr als ein Dutzend Autos fuhren zwischen mir und dem Audi. Glücklicherweise bog er an der nächsten Ampelkreuzung links ab. Ihm folgte auf der Abbiegespur nur noch ein weiteres Fahrzeug. Eine willkommene Gelegenheit für mich, aufzuholen. Doch meine Freude währte nur kurz, als die Frau vor mir ihren alten VW Käfer beim Losfahren abwürgte und ich am liebsten ins Lenkrad gebissen hätte. Eine graue Rauchwolke nahm mir fast die Sicht, als der Motor nach mehreren Anläufen endlich startete und es mir gerade noch gelang, bei Dunkelgelb über die Ampel zu huschen. Mit einem raschen Rundumblick versicherte ich mich, dass mich nicht zufällig irgend eine Polizeistreife bei der Aktion beobachtet hatte. Zum Glück konnte ich niemanden entdecken. Der Audi war inzwischen kaum noch zu sehen. Im letzten Augenblick sah ich ihn rechts blinken. Kein Gegenverkehr. Ich wagte, den Käfer vor mir zu überholen und das mit dem Mini Cooper. Wie wertvoll die spontane Entscheidung gewesen war, zeigte sich, als ich dem Audi nach rechts folgte und ihn in das Parkhaus eines Einkaufszentrums einbiegen sah. Hätte ich brav abgewartet, wäre er mir höchstwahrscheinlich entkommen. Nur einen kurzen Moment später stand ich ebenfalls an der Schranke und zog einen Parkschein.

Das Parkhaus war überraschend leer, sodass ich ihm einen großzügigen Abstand einräumte. Er fuhr vier Decks nach oben, bis er scheinbar einen geeigneten Platz gefunden hatte und endlich stehen blieb. Ihr wählte eine Lücke zwischen einem SUV und einer großen Limousine und war mit dem kleinen Mini dazwischen nahezu unsichtbar.

Für einen Moment überlegte ich, ob ich die Fotoausrüstung im Auto belassen oder lieber mitnehmen sollte. Eigentlich eine Überlegung, die ich mir hätte sparen können. Selbstverständlich brauchte ich einen Fotoapparat für den Fall der Fälle. Die überschaubare Anzahl an Aufträgen, die ich bisher bearbeiten durfte, haben mich zumindest eines gelehrt. Immer mit dem Unerwarteten rechnen, welches stets im ungünstigsten Moment zuschlägt.