Familien, Systeme und andere Unwägbarkeiten - Beyer Gabriele - E-Book

Familien, Systeme und andere Unwägbarkeiten E-Book

Beyer Gabriele

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Beschreibung

Über 20 Jahre Erfahrung hat Gabriele Beyer in ihrem Buch über das Familienstellen gebündelt. Erfahrungen, Know-how und Konzepte für Lernende, die professionell mit dem Familienstellen arbeiten. Ein Sachbuch für Fortgeschrittene ist damit ihr neues Buch zu Familien, Systemen und anderen Unwägbarkeiten. Ein Buch voller wertvoller Hintergrundinformationen und praktischen Impulsen für die Arbeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 184

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte.

Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.

Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.

Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.

Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.

TALMUD

DANKE

Ich bedanke mich bei meiner Herkunftsfamilie, meinen Eltern und Geschwistern und meinen Ahnen ohne die ich nicht die Person werden konnte die ich heute bin.

Ich bedanke mich bei meiner Wahlfamilie, den Menschen die mir das ein oder andere Mal Vater, Bruder, Schwester, Zwilling oder andere Verwandtschaft sind und mich sehen und annehmen ohne emotionale Vorbelastung. Ich möchte mich auch bei meinen Kindern bedanken, die mich Erfahrungen haben machen lassen, und immer noch machen, die so glaube ich nur im Eltern Sein erfahrbar sind.

Ich möchte mich bei meinen Lehrern bedanken, den Menschen denen ich begegnen durfte und über mich hinaus wachsen durfte. Ob es Begegnungen über längere Zeiträume oder Begegnungen ganz kurzer Natur waren oder auch sind, all das hat mich geprägt und mir Wachstum erlaubt.

Ich möchte mich bei allen schmerzhaften Erfahrungen bedanken, denn sie haben mir erlaubt, mich zu erfahren.

Ich möchte mich für die Liebe bedanken, die in Form von tiefgreifenden Begegnungen, und schlussendlich in der Begegnung mit meinem Mann bis heute mein Leben bereichert.

WAS DICH ERWARTET

VORWORT

EINLEITUNG

Über mich – Gabriele Beyer

1.

FAMILIENSTELLEN

Meine Idee vom Familienstellen

Das Vorgespräch

Das Genogramm

Was ist ein Genogramm?

Wofür brauche ich ein Genogramm?

Herkunftsgenogramm

Zielsatz

Und Action – Das Stellen auf der Fläche

Beispiel Ein Klient möchte Erfolg

2.

PRAXIS

Aus der Ausbildungspraxis

Visualisierung eines gruppendynamischen Prozesses in 9 Tagen

Der erste Tag

Der zweite Tag

Der dritte Tag

Der vierte Tag

Der fünfte Tag

Der sechste Tag

Der siebte Tag

Der achte Tag

Der neunte Tag

Vorwort

Aus der Ausbildungspraxis

Gut und Böse

Von den Erwartungen im Außen

Keine Ressourcen

Versteckte Zielsätze

Die Illusion, nicht gesehen zu werden

Zu viel Schmerz

Loslassen und Festhalten

Über den Reichtum

Prüfungsangst

Was nicht zu ändern ist

Krankheit und Schmerz

Wut ablehnen

Kein Vertrauen

3.

ORDNUNGEN VON SYSTEMEN

Wie ich mir die Welt erkläre

Entwicklungsjahre des Menschen

Orale Phase 0–1 Jahre

Anale Phase 1–3 Jahre

Wiederholung der Phase 13–15 Jahre

Ödipale Phase 3–6 Jahre

Latenzzeit 6–12 Jahre

Erwachsen werden ab ca. 52 Jahren

Die orale Phase oder das System des Vertrauens

Die anale Phase oder das System des Festhaltens und Loslassens

Die ödipale Phase oder das System der geschlechtlichen Identität

Die Latenzzeit oder das System des Außen

Erwachsen werden

4.

WISSENSWERTES BEIM FAMILIENSTELLEN....

Statisten

Aufstellungsvarianten

Körpersprache

Übertragung und Gegenübertragung

Positionen

Abwehrmechanismen

Welche Hinweise geben mir Abwehrmechanismen?

Glaubenssätze

Sekundärgewinne

5.

RESSOURCEN

Historisches über Meta–Programme

Metaprogramme

Kommunikation

Kritik im Feedback

„Saubere" Arbeit

Ahnen und Helfer

Archetypen

Annehmen, was ist

Selbst verzeihen

Demut

Lösungs– und Zielsätze

HILFREICHE BUCHER

VORWORT

Mir fallen in letzter Zeit zu passenden und unpassenden Gelegenheiten Sprüche, Zitate und Lieder ein. Bei dem Gedanken daran dieses Vorwort zu schreiben, kam mir der Satz: „Das kann ich nicht erklären, dass ist so ein Gefühl." in den Sinn. Für den Fall, dass Sie sich bereits vor dem Kauf dieses Buches mit dem STELLEN beschäftigt haben, wissen Sie was ich meine. Ich verwende STELLEN hier synonym für alle Varianten des Familienstellens, Systemstellens und der Strukturaufstellungen.

Falls dieses Buch Sie gefunden hat, werden Sie nach der Lektüre einen Eindruck haben, was ich meine. Wobei, dass mit diesem Fühlen ja so eine Sache ist, gerade für mich als Mann. Im Allgemeinen werden Männern ja eher die Gefühle Hunger, Durst und Lust zu geschrieben. Ich behaupte Mal, dass die Bandbreite meiner Gefühle etwas größer war und doch hat mir Gabriele (heute Beyer, denn wir sind verheiratet) bei meinem ersten Familienstellen mit Ihrer persönlichen Art des STELLEN eine neue und sehr andere Perspektive auf das Thema Gefühle und fühlen ermöglicht.

Nachdem Sie das erste Mal mit Ihrer Angst Seite an Seite den nächsten Schritt in Richtung Ihrer Ziele und Träume gemacht haben, um sich anschließend mit Ihren Zielen und Träumen in den Armen zu legen, können Sie mein Erstaunen nachempfinden. Die Profis unter Ihnen erinnern sich an dieser Stelle vielleicht an Ihren ersten glücklichen Klienten. Dabei bin ich die ersten 33 Jahren gut mit dem zu Recht gekommen, was meine Frau als reinen Kopfmenschen bezeichnet. Typische Fragen: „Wo steht das?" „Wer sagt das?" und später „Welche Studien gibt es dazu?" Und dann kam, dieses STELLEN.

Menschen versammeln sich an einem Ort, um gemeinsam zu wachsen. „Einer für Alle, Alle für Einen." Der Leiter einer Aufstellung bietet in der Regel Termin, Raum und seine Zeit. Die Aufsteller und Statisten stellen sich zur Verfügung und am Ende ist jeder der Anwesenden ein Stück gewachsen. Gabriele schafft es mit Ihrer unbeirrbaren Intuition den Klienten bei seiner Veränderung zu begleiten. Dabei setzt Sie stets zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Impuls und sorgt für die notwendige Dynamik hin zur Veränderung. Das Ganze wirkt fast wir Zauberei und vielleicht die treffendste Beschreibung für einen Kopf-Menschen, wobei es frei von Taschenspieler-Tricks ist. Die Veränderung vieler Klienten lässt sich gut mit „Wunder gibt es immer wieder..." beschreiben.

Gabrieles persönlicher Stil und Ihre Idee vom Familienstellen hat sich in vielen Jahren und der Praxis von mehr als 100 Aufstellungen pro Jahr entwickelt. Ihren zahlreichen Klienten hilft dieser Stil eine neue Perspektive zu erhalten und für viele ist dies der Wendepunkt für mehr Lebensqualität. Voraussetzung die Klienten entscheiden sich anders, handeln anders und leben anders. Denn dies kann Ihnen kein STELLEN abnehmen. Es bleibt ein erster Schritt.

Alles was wichtig ist für Ihre nächsten Schritte im Bereich des STELLEN finden Sie in diesem Buch.

Ein Buch ist kein Ersatz für das eigene Erleben und gleichzeitig hoffe ich, dass das Buch Ihr Interesse weckt, Ihnen neue Impulse bietet und Sie vielleicht dazu verleitet einmal bei den Terminen zum offenen Familienstellen in Berlin oder Zürich vorbei zu fühlen.

Bleiben Sie die Beste Version von Sich, die sie seien können und viel Freude beim schmöckern.

Zum Ende starke Worte eines starken Mannes:

„Sie können zugeben, dass Sie es nicht allein schaffen. Ich schaffe es nicht allein. Niemand schafft das."

ARNOLD SCHWARZENEGGER IM VORWORT ZU TIM FERRIS TOOLS OF THE TITANS.

Tim Beyer

EINLEITUNG

In den ersten vierzig Jahren meines Lebens habe ich rückblickend versucht, das Familiensystem meiner Eltern nachzuleben. Ich übernahm die meisten Werte, Vorstellungen und Glaubensätze, mit denen ich in meiner Familie (Herkunftssystem) geprägt wurde.

Und obwohl es für meine Eltern ein für sie funktionierendes Familiensystem war, war es kein passendes System für mich. Ich habe etwas gelebt, was nicht meins war, und das machte mich krank. Ich wurde immer unglücklicher, immer kränklicher und mein alltägliches Leben ergab für mich keinen Sinn mehr. Ich habe gelitten.

Weil ich litt, begab ich mich auf die Suche, ich wollte etwas verändern, auch wenn Veränderungen mir unglaublich viel Angst machten. Genau in dieser Zeit begegnete ich Familienstellen zum ersten Mal.

Meine eigene Geschichte ist inzwischen mit dem Thema Familienstellen und dem Stellen von anderen Systemen so sehr mit meinem Leben verwoben wie kaum etwas anderes. Ich bin dem Familienstellen zu einem Zeitpunkt in meinem Leben begegnet, als das alte Verhalten nicht mehr passte und ich noch keine Ahnung davon hatte, wohin mich der Weg führen würde.

Heute glaube ich Familienstellen war meine Initialzündung, meinen eigenen Weg zu finden. Ich konnte durch das Familienstellen lernen, warum und weshalb meine Eltern und Vorfahren so handelten, wie sie handelten. Für mich fand ich die Ressourcen, es anders, sinnbringender zu gestalten. Heute gestalte ich mein Leben selbst und bin nicht mehr den Prägungen und Glaubenssystemen meiner Herkunft ausgeliefert.

Bei allen Erkenntnissen bleibt mir bis heute die emotionale Vorbelastung. Das sind immer noch und bleiben meine Eltern, meine Herkunft. Diese Herkunft gilt es anzuerkennen. Mein gelebter Unterschied zu damals ist lediglich, heute kann ich mein Herkunftssystem, meine Wurzeln achten, und meinen Weg davon weitgehend unabhängig selbstgestalterisch gehen.

Mir hat das Familienstellen geholfen, mein Familiensystem besser zu verstehen. Vorgänge in meiner Familie sind für mich durch das Familienstellen erkennbar geworden.

Vielleicht hilft dieses Buch auch Ihnen dabei, ihr Familiensystem besser nachzuvollziehen.

Ich möchte den Leser einladen von meinen Erfahrungen zu profitieren und den einen oder anderen Ansatz zu testen.

Ich nutze dieses Buch dazu, um die Entstehung von Ideen anzuregen und Gedankenspiele zu konstruieren. Ich erzähle von meinen Erfahrungen und verzichte daher in weiten Teilen des Buches auf detaillierte Quellen, Untersuchungen, Statistiken, Studiennachweise oder ähnliche wissenschaftliche Dokumentationen.

Ich distanziere mich von jedem Dogma. Dogma bedeutet für mich: Es geht nur so, es geht nicht anders.

Ich bin der Meinung, dass wir Individuen sind, die alle ihre eigene für sich klare oder unklare Wahrheit leben. Dieses Buch ist ein Teil meiner Wahrheit. Deshalb fehlt es in den Kapiteln mit meinen Erfahrungen auch an Quellennachweisen.

In meinen Aufstellungen kommen in der Regel mehr Frauen als Männer vor, daher habe ich mich entschlossen, in weiten Teilen meines Buches von der Klientin zu reden.

ÜBER MICH – GABRIELE BEYER

Ich bin beim Schreiben dieses Buches 53 Jahre alt und Mutter von inzwischen vier erwachsenen Kindern.

Geboren wurde ich in einer Familie mit – „so ein Zufall" – ebenfalls vier Kindern.

Ich bekleide die Position als „Mittlere", ich bin das dritte Kind, das zweite Mädchen von zwei Jungen und zwei Mädchen.

Meine Herkunftsfamilie war ein konservatives Familiensystem, mein Vater machte zwei Ausbildungen, um sich dann bis ins höhere Management hochzuarbeiten.

In den Erfahrungen, die ich mit Systemen und deren ganz eigenen Gesetzen gemacht habe, bedeutete dieser Ausstieg meines Vaters aus der einfachen Struktur seines Elternhauses eine enorme Kraftanstrengung. In vielen Fällen bildete sich daraus beim systemischen Stellen der Herkunftsfamilie gegenüber das Gefühl des Verrats oder der Minderwertigkeit. Oft auch der permanente Versuch, jemandem etwas beweisen zu wollen.

Ich durfte die Erfahrung, allen etwas beweisen zu müssen, in späteren Jahren selbst auch machen, es war zeitweise sehr anstrengend und hat mich viel Kraft gekostet, da es, wie ich es als Kind wahrgenommen habe, bei meinem Vater eher ein „Ich zeig oder beweise es euch!", also nach außen gewandt als eine gewollte Entscheidung für mich war.

Aus meiner Kindersicht war mein Vater nie da. Er hatte immer, auch durch meine Mutter verstärkt, eine besondere Position. Mit ihm wurde zum Beispiel durch meine Mutter gedroht: „Warte, wenn der Papa nachher nach Hause kommt!" Wir hörten am Sonntag am Tisch hin, wenn er sprach. Ich blickte auf zu meinem Vater und wollte von ihm gesehen werden. Ich hatte schon sehr früh dieses Gefühl, gesehen werden zu wollen und dass es irgendwie nie ganz ausreicht, egal was ich anstellte, mich ohne Leistung gesehen und gewollt zu fühlen.

Meinen Vater erlebte ich als jemanden, der den Wunsch hatte auszubrechen. Ich glaube, er mochte nie einengende Strukturen. Zumindestens keine im beruflichen Umfeld.

Meine Mutter hat eine Ausbildung im Einzelhandel gemacht, um sich dann dem Leben als Mutter, Hausfrau und Ehefrau zu widmen.

Die Erlebnisse der Nachkriegszeit und die Flucht aus ihrem Heimatort prägten meine Mutter stark. Nur die Dinge zu besitzen, die sie am Leib trug, die ständige Verfolgung und die Angst vor dem nächsten Angriff müssen sich furchterregend angefühlt haben. In späteren Jahren hat meine Mutter immer noch Seifenreste gesammelt, um für die Not gewappnet zu sein. Essen gab es nur rationiert. In späteren Jahren, als ich jung war, hat sie den erarbeiteten Wohlstand wirklich genießen können.

Diesen Genuss der Dinge habe ich sehr unkontrolliert übernommen, denn ich selbst habe ja in jungen Jahren nie Not erlebt.

Mir war es mit dem Hintergrund, dass es mir nie an wesentlichen Dingen gemangelt hat, die meiste Zeit eher peinlich und es fehlte mir jegliches Verständnis als Kind für das Verhalten meiner Mutter. Ich wollte keine altbackene funktionale Kleidung tragen, die 20 Jahre halten würde. Ich wollte „in" sein, ich wollte dazugehören. T-Shirts zerschneiden und ein Peace daraufmalen. Das auf Werte Schaffen ausgerichtete Verhalten und die Sparsamkeit habe ich abgelehnt. Ich wollte großzügig leben und so war ein Teil meiner Auflehnung wohl auch, in vielen Jahren meines Lebens eher verschwenderisch zu agieren. Ich fühlte mich eingeengt in der für mich kleinkarierten Welt meiner Eltern.

Beide sind geprägt durch die sogenannte Nachkriegsgeneration, die es schaffte, in Disziplin und Engagement aus dem Nichts etwas in viel Fleiß und Eigenleistung zu erschaffen. Auch hat das Schätzen von kleinen Dingen dazu beigetragen, die Dinge beieinander zu halten.

Für mich folgten daraus Glaubenssätze wie: „Hast du nichts, bist du nichts" oder „Ohne Fleiß keinen Preis". Noch Jahre später hatte ich sehr große Schwierigkeiten, irgendetwas loszulassen. Mein Keller stand über Jahre bis an die Decke gestapelt voll mit Gegenständen, die mit „Erinnerungen" längst vergangener Zeiten belegt waren, und machte mich zeitweise völlig unbeweglich.

Das Loslassen habe ich glaube ich erst richtig in meiner zweiten Ehe gelernt.

Meine Mutter und mein Vater haben sich so in vielen Themen gut ergänzen können, meine Mutter hielt alles soweit sie konnte zusammen, mein Vater sprengte die Grenzen und ermöglichte damit zumindestens in beruflicher und finanzieller Hinsicht die Beweglichkeit.

Meine Kindheit hat meine Vorstellungen, ich nenne es mal „Waltonssyndrom" (das war eine amerikanische Familienserie, die von 1972 bis 1981 ausgestrahlt wurde, in der die Welt einfach in Ordnung war), geprägt.

Das sah bei uns dann so aus, dass es keine lauten Auseinandersetzungen gab, alles wurde ausdiskutiert. In jungen Jahren bekam mein Vater das größte Stück Fleisch, da er der Versorger der Familie war. Die Mädchen mussten im Haushalt helfen, die Jungen wurden zur Bildung und Abitur gedrängt.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass mich das furchtbar aufregte. Mit neun Jahren packte ich nach einem Wutanfall mein Körbchen und bin davongelaufen. Es war für mich damals der einzige Ausweg, bei so viel Hilflosigkeit gegenüber einem so ungerechten System. Wie weit ich gekommen bin? Gerade mal um den Block. Ich musste dann resigniert feststellen, dass ich nicht wusste, wohin. Also gab ich auf. Und trat den Weg zurück an, um mich wieder einzufügen. Auch später versuchte ich auszubrechen. Doch die Erfahrung der Neunjährigen wiederholte sich und es blieben genau das, Versuche.

Ich war anders als meine Eltern, ein offenes und mitteilsames Kind.

Meine Eltern misstrauten ihrer Umwelt und einer der Lieblingssätze meiner Mutter aus dieser Zeit war: „Das geht keinen was an, darüber redet man nicht."

Eine nach außen hin heile Welt, in welcher der Vater die Nr. 1 war. Ein Mann, der durch Fleiß und Neugier immerzu neuen Welten die Tür öffnete, auch wenn er sich für uns Kinder wenig interessierte. Ich hatte das Gefühl, mit offenen Armen dazustehen und nicht beachtet zu werden.

Meine Mutter stand immer hinter meinem Vater und achtete auf die Sicherheit.

Spannenderweise habe ich meinen ersten Mann später glorifiziert vor meinen Kindern. Ich wollte nicht, da er eh nie zu Hause war (wie mein Vater auch), dass die Kinder schlecht von ihm denken oder Angst vor ihm haben. So übernahm ich immer den „strafenden Part" und ließ ihn als Retter dastehen. Später habe ich das mehr als einmal bereut. Es ist doch immer wieder spannend, dass wir glauben, wenn wir das Gegenteil von unseren Eltern machen, wird alles besser. Manchmal ist es eben nur das Gegenteil. Und manchmal ist es genau das Gleiche.

Meine Eltern haben das große Glück, dass sie sich heute noch lieben. So war eine meiner größten Herausforderungen, dieser „heilen" Welt zu entfliehen.

Ich lehnte vor allem früh das patriarchische System ab. Ich glaubte, als Mädchen auch alles sein und werden zu können. Ich glaube, ich habe alles einmal ausprobiert, vom Hippie bis zur Punkerin, und mein Umgang durfte meinen Eltern so manche schlaflose Nacht beschert haben.

Meine ältere Schwester war vernünftiger als ich, also hatte ich keine Chance, als Vernünftige Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese Rolle war erfolgreich besetzt. Als Kind habe ich sie für diese Vernunft so manches Mal gehasst. Die Vernünftige wurde in dieser Zeit von meinen Eltern bevorzugt. Ausbrüche meinerseits in andere Rollen wie Punker oder Popper, oder andere Gruppierungen meiner Kindheit, sorgten zwar für Aufmerksamkeit. Anerkennung konnte ich so nicht gewinnen.

Mein älterer Bruder war als Junge in den meisten Bereichen von den Eltern bevorzugt. Trotzdem fühlte ich mich wohl bei ihm, da er vieles ausprobierte und mit seiner ruhigen Art konnte ich mir von ihm viele Antworten holen. Ich fühlte mich weniger allein und manchmal auch von ihm gesehen. Ich hatte also einige Mühe, eine Position in der Familie zu finden. Systemisch betrachtet keine Überraschung bei Drittgeborenen. Auch war ich nicht die Jüngste, so musste ich mir etwas für meine Aufmerksamkeit einfallen lassen. Ich glaube, ich war so ziemlich alles mal, habe alles mal ausprobiert und auch nichts wirklich zu Ende gemacht. Es hatte allerdings den Effekt, meine Kreativität sehr zu fördern, von dem Ideenreichtum profitiere ich noch heute. Auch hat es mich in unterschiedliche Glaubenssysteme schauen lassen, und auch davon profitiere ich noch heute.

Ich war eine gute Schülerin, ich hatte gute Noten, da ich im Unterricht gut aufpasste. Ich versuchte mein Abitur zu machen, besser mich dafür anzumelden, was aber von meinem Vater vereitelt wurde. In seinem Glaubenssystem war es nicht notwendig für eine Frau, Abitur zu machen. Eine gescheite Ausbildung vor der Eheschließung und dann Kinder bekommen, so sollten Frauen in seinem Weltbild sein.

Viele Jahre hatte ich danach immer das Gefühl, irgendwie ausgeliefert zu sein, ob es meinen Eltern gegenüber oder später meinem ersten Mann gegenüber war.

Mit 15 begann ich also mehr oder weniger gezwungenermaßen meine Lehre. Die meisten meiner Freunde gingen weiter zur Schule, machten Abitur und studierten später. Mich dagegen hatte der Arbeitsalltag schnell jeglicher Illusion beraubt, ohne eine Heirat aus dieser Welt ausbrechen zu können. Hinzu kam meine Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, und die langen körperlich anstrengenden Arbeitstage.

Es kam, wie es kommen musste, denn es war für mich der einzig ersichtliche Weg in ein anderes Leben. Ich heiratete ziemlich jung meinen besten Freund. Er liebte mich, das wusste ich, und genau wie ich wollte er raus aus dem System seiner Eltern. Ich merkte gar nicht, dass ich mich absolut genauso wie meine Eltern verhielt. So war ich sicheren Fußes in die Fußstapfen des ungeliebten vermeintlich sicheren Systems meiner Eltern getreten. Dabei wollte ich „eigentlich" genau da raus.

Meine Mutter-Ehefrau-Rolle unterschied sich nur durch die Übernahme von Zusatz-Aufgaben (Belastung) von meiner Mutter. Firmengründung, Hausrenovierung, Werbung, Meditationskurse besuchen und später leiten – kein Problem für mich, denn „ohne Fleiß kein Preis". Habe ich ja gelernt.

Die Neugier und Suche nach beruflicher Erfüllung, die sich darin spiegelt, war ein Teil, den ich von meinem Vater übernommen habe.

Nach 15 Jahren folgte der Systembruch, denn die „heile Welt" war keine. Das System meines Mannes, wo die Frau ein anderes Rollenbild einnahm, nämlich Hausfrau, Mutter, immer Funktionierend und vorzugsweise nicht gesehen zu werden, kollabierte mit meinem. Das System meiner Mutter mit der dazugehörigen Rollenbegrenzung von zusammenhaltender, liebender Mutter und Hausfrau erschien mir auch nicht mehr als das meine.

Der Tag allein mit vier Kindern war eine Katastrophe. Dabei den Kindern, meinem Mann, den Erwartungen und mir selbst gerecht zu werden – hoffnungslos. Ich fühlte mich unzulänglich, nicht mehr begehrenswert, körperlich am Ende, völlig überfordert mit der Anzahl der Aufgaben und gleichzeitig geistig völlig unterfordert.

Getreu dem deutschen Motto „Warten bis zur Rente" wurden Urlaub und Reisen auf später verschoben. Wann auch immer dieses „Später" sein mag. Im Mittelpunkt stand, Eigentum anzuhäufen in Form von Immobilien. Natürlich auf Kredit ohne irgendwelche Vorteile, außer den Schulden. Die Vorteile kommen dann später mit der Rente. Ich stand mehr meinen Mann, als dass ich irgendwie in der Lage gewesen wäre, mich als Frau anzulehnen.

Wobei mein damaliger Mann und ich uns auch da wunderbar ergänzten. Denn er hätte damit, dass ich mich hätte anlehnen wollen, zu diesem Zeitpunkt seines Lebens gar nicht umgehen können.

Es folgten Jahre der Kompromisse, mein Körper spiegelte mir auf allen Ebenen ein großes STOP, und doch brauchte ich noch eine Weile, bis ich Verantwortung für mein Leben übernahm.

Ich nahm an, dass ich über den Verstand so manches geregelt bekomme. Dabei entstanden so schöne Sätze wie zum Beispiel: „... das wird schon irgendwie" oder „später wird alles besser", in meinem Fall funktionierte das nur eine Zeitlang.

In dieser Zeit habe ich so manche Selbstfindungskurse im wahrsten Sinne des Wortes hinter mich gebracht – mich in eine Spiritualität geflüchtet, die mich etwas Besonderes sein ließ. Nur morgens musste ich wieder aufstehen, in den Spiegel schauen, durfte meine Schatten erkennen und in meinem Alltag klappte irgendwie nichts mehr so richtig. In der Zeit des Seminars fühlte ich mich super, danach musste ich nur wieder zurück in meinen Alltag. Ich konnte das gute Gefühl nicht mitnehmen.

Ich glaube, ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, mich auf die spirituelle Suche zu begeben, weil ich mich dort gut fühlte, gesehen, als etwas Besonderes wahrnehmen konnte.

Ich hatte eine wunderbare Huna–Lehrerin, die, als sie mir begegnet ist, noch Versicherungen verkauft hat. Bei ihrer ersten Meditation sollten wir den Schmuck ausziehen und die Augen schließen. Ich glaube, am Anfang habe ich nur ein Auge geschlossen und mit dem zweiten geschaut, ob sie den Schmuck klaut. Vertrauen hatte ich zu der Zeit eher in materielle Dinge.

Doch ich lernte schnell eine neue Welt kennen, als müsste ich mich nur erinnern.

Und ich erinnerte mich, erinnerte mich an frühere Leben, an viele Energien, die mich mich selbst spüren ließen und eine Ahnung davon entstehen ließen, wie sich Eins–Sein anfühlt. Es war eine sehr experimentelle Zeit, eine Zeit der Rückführungen, der spirituellen Experimente. Und irgendwie auch eine Zeit der „Zufälle". Denn passend zu den Rückführungen und meditativen Erfahrungen begegneten mir Menschen, die ich wiedererkannte und die mich wieder ein Stück mehr mit mir selbst verbunden haben. Ich glaube, ich habe in den Jahren fast meine ganze, ich würde es heute Wahlfamilie nennen, wiedergefunden.

Zeitweise gelang es mir, ganz im Jetzt zu sein, und doch war es ein Zu-Sein, denn ein Teil von mir, der Mensch in mir blieb verschlossen.