Federleicht - Die kreative Schreibwerkstatt - Barbara Pachl-Eberhart - E-Book

Federleicht - Die kreative Schreibwerkstatt E-Book

Barbara Pachl-Eberhart

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  • Herausgeber: Integral
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

So wird der Traum vom Schreiben Wirklichkeit
Losschreiben, wenn die Seele drückt. Schreiben, wenn die Stimme gerade nichts sagen kann. Schreiben, wenn die eigene Meinung einen Platz haben will. Schreiben, um kostbare Momente festzuhalten und Erinnerungen wachzuküssen ...

Schreiben kann ganz einfach sein – und das Leben auf ungeahnte Weise bereichern. Barbara Pachl-Eberhart führt ihre Leserinnen und Leser vom ersten, federleichten Schreibschritt bis hin zur Veröffentlichung eigener Texte. Die kostbare Nebenwirkung: Jede Art zu schreiben stärkt eine neue Facette an Lebenskraft. So ist nicht nur der fertige Text das Ziel – sondern auch ein Leben, das von der eigenen Stimme getragen ist. Ein freudvolles, sinnerfülltes, kreatives Leben: Das ist es, was das Schreiben uns schenken kann. Federleicht – Die kreative Schreibwerkstatt zeigt, wie es geht.

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Seitenzahl: 393

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Barbara Pachl-Eberhart

Federleicht

Die kreative Schreibwerkstatt

Wie die Kraft Ihrer Worte zur Lebenskraft wird

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Copyright © 2017 by Integral Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Dr. Diane Zilliges

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

unter Verwendung eines Motivs von © paladin13 / iStock

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-21522-4V002

www.integral-verlag.de

www.facebook.com/Integral.Lotos.Ansata

Inhalt

Gute Nachrichten

Was dieses Buch zu bieten hat

Teil 1: Das Schreiben beginnt

1. Krimskramslade, ausgekippt

Die Fülle der Gedanken sichten

2. Sprachmelodie

Von der Musik, die in einzelnen Sätzen wohnt

3. Liebes Ich

Das Blatt Papier als Zuhörer nutzen

4. Rotz und Wasser

Schmieren, fetzen, brüllen, kotzen – und es genießen

5. Seelenspiegel

Das Innehalten nach dem Schreiben

Teil 2: Schreiben trifft Leben

6. Die Hochzeit zwischen Wort und Welt

Wie das Schreiben zum Leseabenteuer wird

7. Du darfst

Sprachliche Freiheit, gepflückt vom dichterischen Erlaubnisbaum

8. Badeschaumbartblasenburg

Blödeln, probieren und Unsinn erfinden: die Logik der Fantasie

9. Antwort inklusive

Wie Sie schreibend Gespräche führen, ohne sich zu verzetteln

Teil 3: Lesen und lesen lassen

10. Im Verwandlungslabor

Freude am Verändern, Freiheit im Stil

11. Alles wird gut

Wie Sie sich selbst ermutigen, während Sie Ihre Texte korrigieren

12. Die Techniken der Profis

Fünf Luxus-Werkzeuge, die inspirieren und Erdung schenken

13. Ein guter Platz für meine Worte

Welche Fragen Sie sich stellen sollten, ehe Sie Texte veröffentlichen

14. Ermutigung

Vier Mythen rund ums Schreiben, denen Sie keinen Glauben schenken müssen

Teil 4 – Schreibprojekt und Serviceteil

15. Sonntags am Kamin

Einen Schreibtag genießen, ein ganzes Buch füllen

Verzeichnis der Übungen

Serviceteil

Dank

Für meine Tochter Erika

Gute Nachrichten

Schreiben. Ein Lebenselixier, das kein Ablaufdatum kennt. Ein Freizeitvergnügen, für das man sich nicht erst Kondition antrainieren muss. Ein Goldbarren ohne Kursverfall, ein Wohnwagen ohne TÜV-Termin, ein Nahversorger ohne Sonn- und Feiertag.

Schreiben, das ist die Freundin, die jederzeit den Hörer abhebt, zuhört und mit uns lacht, auch wenn wir uns jahrelang nicht mehr gemeldet haben. Es ist der Sommer, mit dessen Zeit wir nicht geizen müssen, weil die Großwetterlage hält. Es ist die vertraute Quelle, der lang bekannte Wald, es ist das Urlaubsquartier, das wir einmal liebten und das uns immer noch offen steht. Das Schreiben ist immer für uns da, in jedem Moment.

Es ist nie zu spät, um mit dem Schreiben zu beginnen. Man hat nie zu lange Pause gemacht. Und man ist auch nie zu jung oder zu alt. Nicht mit zwanzig, nicht mit vierzig, nicht mit achtzig. Der Zeitpunkt ist immer der richtige. Vielleicht schon übermorgen. Warum nicht gleich heute?

Fangen Sie gerade mit dem Schreiben an? Oder wollen Sie wieder neu beginnen? Egal, ob Sie schon wissen, was Sie schreiben wollen, oder ob Sie einfach nur von der Idee bezaubert sind, dass die Spitze Ihres Stiftes wieder einmal ein leeres Blatt Papier berühren könnte. Egal, ob Sie früher mit Leichtigkeit ganze Bücher gefüllt haben oder ob Sie schon immer um jedes Wort gerungen haben. Egal, ob Ihre Sehnsucht zaghaft flüstert oder schon ungeduldig ist und schreit. Der Anfang des Schreibens, er könnte diesmal wirklich neu sein. Ein Anfang ohne Zaudern, ohne das Echo alter Zweifel und Ängste.

Weg mit dem staubigen Glauben, dass andere viel talentierter sind. Dass man studiert haben muss, um wirklich schreiben zu dürfen. Weg auch mit dem Gedanken, dass man nichts zu sagen hätte, dass man ja doch keine guten Ideen hat. Weg mit alledem! Und her: her mit dem erstbesten Blatt Papier, das zur Hand ist. Her mit dem Stift und her mit den Worten. Ihren Worten, die darauf warten, geschrieben zu werden.

Dieses Buch schenkt Ihnen den Freibrief für einen Neubeginn. Und dazu ein paar Versprechen: Schreiben muss nicht schwierig sein. Gute Ideen entstehen, während man schreibt. Stil entwickelt sich schnell, sobald man zu spielen beginnt, sobald man Worte verkostet und schreibend das Leben genießt.

Schreiben, das darf eine sehr egoistische Tätigkeit sein. Etwas, das wir nur für uns tun, ohne den Anspruch, anderen zu gefallen. Und doch könnte es, beinahe aus Versehen, passieren, dass anderen gefällt, was wir schreiben. Es kann, es könnte aber auch noch etwas ganz anderes passieren. Und zwar: dass man uns fragt, was denn mit uns geschehen ist. Warum wir plötzlich so viel fröhlicher, ausgelassener, ruhiger oder selbstbewusster wirken. »Ach, das kommt wohl daher, dass ich neuerdings schreibe.« Das könnte unsere Antwort sein. Denn die Entfaltung des Lebens, hin zur Vollständigkeit, hin zu größerem Selbstbewusstsein, zu Mut und Kraft ist eine der häufigsten Nebenwirkungen des Schreibens. Sie werden es bald bemerken.

Es macht mich glücklich, dass diese Versprechen nicht nur leere Behauptungen sind. Ich kann sie aufgrund meiner persönlichen Erfahrung geben. Darf ich Ihnen ein wenig von diesen Erfahrungen erzählen? Ich bin heute eine Autorin, die ehrlich sagen kann, dass sie lebt, um zu schreiben, und schreibt, um zu leben. Und ich bin ein Mensch, dessen Leben durch das Schreiben beglückt und bereichert wird.

Doch ich bin zugleich eine Frau, die Ihnen erzählen kann, dass das nicht immer so war. In der Schule, da hatte ich panische Angst vor dem Schreiben. Vor den Klassenarbeiten in Deutsch, ja sogar vor jedem Aufsatz, den ich abgeben musste. »Ich kann nicht schreiben«, das hielt ich leider für wahr. Ich wurde damals von einer Lehrerin geplagt, die meinen Stil nicht leiden konnte. Ihr Rotstift traf mich stets an den überraschendsten Stellen. »Ausdrucksmangel!!« Das war, wenn es um meine Texte ging, ihr Lieblingswort. Ein schlimmes Wort. Unberechenbar, ein Wort ohne verstehbare Regeln. Ein willkürliches Urteil, das in der Lage war, mich in tiefe Unsicherheit zu stürzen und mir die Lust, mich schreibend auszudrücken, völlig zu vergällen.

Ich hatte damals eine beste Freundin. Sie hieß Christina, ging in meine Klasse, sie hatte am selben Tag Geburtstag wie ich – und sie träumte davon, einmal Schriftstellerin zu werden. Im Gegensatz zu mir wurde sie immer gelobt. Sie bekam die Einsen. Da war kein Hauch von Rot in den Korrekturen ihrer Arbeiten zu sehen. Christina half mir oft bei den Hausaufgaben, sie besserte aus, was unsere Lehrerin stören könnte. Doch das half leider gar nichts. Ausdrucksmängel findet man immer, wenn man sie finden will.

Ein schreibendes Leben

Niemals hätte ich es gewagt, gemeinsam mit meiner Freundin vom Schreiben, von einem schreibenden Leben zu träumen. Nun ja: Geflüstert haben sie schon, die Stimmen der Sehnsucht, des großen Traums vom Schreiben. Aber ich versuchte gewissenhaft, sie nicht mehr zu hören. Ich brachte meine Matura hinter mich, begann, Musik zu studieren – und schrieb fortan lieber nichts mehr. Fast gar nichts. Bis zu dem Jahr, in dem ich vierunddreißig wurde.

Es war das Jahr, in dem ich erstens: wieder zu schreiben begann, weil das immer noch besser war, als verrückt zu werden, und in dem ich zweitens wie durch ein Wunder einen Verleger fand, der an mich glaubte und mich zum Weiterschreiben, zum Überarbeiten und zum hingebungsvollen Feilen an meinen Texten ermutigte. Dieser Verleger brachte mir bei, was guter Ausdruck wirklich ist. Er zeigte mir, wie eng authentische, lebendige Sprache, wie eng die Freude am Schreiben mit der Freude am Fühlen, am Denken und am Erleben zusammenhängt – und wie sich das alles fast wie von selbst entwickelt, sobald man lernt, sich selbst ernst zu nehmen, während man zu Papier bringt, was man sagen will.

Was folgte, war ein Buch, das zum Bestseller wurde: Vier minus drei. Dann eine Ausbildung in Poesie- und Bibliotherapie. Ein zweites Buch, das ebenfalls auf der Spiegel-Bestsellerliste landete: Warum gerade du? Der Beginn meiner Tätigkeit als Schreibpädagogin. Und, inzwischen, ein Leben, aus dem das Schreiben nicht mehr wegzudenken ist.

Seltsam genug: Es war die Sprachlosigkeit, die am Neuanfang meines Schreibens stand. Warum? Weil das Leben meines Mannes und meiner beiden kleinen Kinder zu Ostern 2008 ein allzu frühes Ende genommen hatte. Das Auto, in dem die drei gerade einen Ausflug machen wollten, war an einem unbeschrankten Bahnübergang mit einem Zug kollidiert. Mein Mann war sofort tot, meine Kinder starben ein paar Tage später im Krankenhaus.

Inzwischen weiß ich, dass der Verlust der Worte für viele Menschen ein wichtiger Schlüssel zum Schreiben ist. Wenn das Leben bricht, wenn die Stimme versagt, wenn ein schlimmes Erlebnis uns zum Verstummen bringt, steigt der innere Druck der Gedanken und Gefühle. Oft führt das zu einer Entladung auf Papier. Für manche Menschen ist das der Beginn einer regelmäßigen Schreibpraxis. Aus Not begonnen, wird das Schreiben schließlich zum Lebensquell.

Zur Sprache kommen

Bei mir sah das so aus: Am Wendepunkt meines Lebens, an diesem Ende, das ungeplant und ungewollt zu einem neuen Anfang werden musste, schrieb ich, in einer Art Marathon, eine acht Seiten lange E-Mail.

Ich schrieb an meine Freunde, weil ich ihnen sagen wollte, dass sie sich nicht davor fürchten sollten, mich zu besuchen, weil ich nämlich nicht sabberte, nicht mit Dingen um mich warf und kein wirres Zeug von mir gab, sondern einfach nur schweigen wollte, jedoch zu voll mit verwirrten Gefühlen war, um das ganz allein durchzustehen. Ich erzählte außerdem davon, was ich auf der Intensivstation im Krankenhaus erlebt hatte. Und ich bat um Geschenke für das Begräbnis: keine Kränze, sondern Geschichten über Erlebnisse mit meiner Familie, an die sie sich erinnerten, bitte auf buntem Papier notiert.

Diese Mail war wohl der erste Text meines Lebens, den ich vollkommen anspruchslos, zweckfrei und ohne jegliche Selbstzensur schrieb. Ein Text, der zwar an Freunde gerichtet, aber vor allem eines war: eine offene, unverhohlene Aussprache zwischen mir und mir. Er war: ich – in sehr einfache Worte gefasst.

Ich breitete meine Worte langsam und sorgfältig aus. Ich wurde zu einer Art Buchstabennudelhaufen in einem Word-Dokument, das einem weißen Teller glich. Ich ordnete mich, intuitiv, nach Kriterien, die sich während des Ordnens ergaben. Ich setzte Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort, ich folgte Regeln, die ich nicht wirklich verstand. Doch es schrieb sich, scheinbar wie von selbst. Und ich schaute zu.

Die Mail ging an meine Freunde, dann bald weiter an die Freunde meiner Freunde, sie landete im Internet, fiel Redakteuren von Zeitungen auf. Bald war der Text in mehreren Blättern abgedruckt und erregte Aufsehen. Warum? Bestimmt nicht, weil er besonders gut geschrieben war. Sondern eher: weil er überhaupt geschrieben worden war, von einer Frau, die etwas Existenzielles erlebt hatte und irgendwie in der Lage gewesen war, es so auszudrücken, dass man ihr folgen konnte und das Erlebte verstand.

Seit jener Mail im Jahr 2008 hat sich an der Art, wie ich schreibe, nur wenig geändert. Ich habe zwar Übung im Überarbeiten bekommen, habe gelernt, dass Texte ruhen müssen, um reifen zu können, und ich weiß heute, dass ein Text nach ein paar Tagen in der Schublade meistens selbst sagt, was er braucht, um noch besser zu strahlen. Aber jedes Mal, wenn ich wieder vor einer leeren Seite sitze, um etwas Neues zu beginnen, erfasst mich dieses ruhige Vertrauen: dass es genügt, mir selbst zuzuhören und einfach mit dem Schreiben zu beginnen. Dass die Worte sich schon fügen werden. Und dass es besser ist, überhaupt zu schreiben, als gut schreiben zu wollen.

Bis heute ist mein Schreiben eine ehrliche, ernst gemeinte Aussprache zwischen mir und dem Leben geblieben. Das Leben und ich, wir erschaffen immer wieder ein gemeinsames Werk. Wir suchen gemeinsam nach dem, was sagbar und wesentlich ist. Und wir freuen uns, wenn etwas, irgendetwas entsteht – vielleicht nur ein Wort oder ein einzelner Satz. Manchmal auch mehr.

Lebensquell und Lebenshaltung

Heute gebe ich dieses Vertrauen in das Finden der Worte an andere weiter. Ich ermutige Menschen in Workshops zum Schreiben. Dabei gebe ich ihnen Übungen, Werkzeuge und Inspirationen an die Hand. Doch wichtiger als jede Technik ist mir etwas anderes: das Vermitteln der inneren Haltung, die das Schreiben im Leben tragfähig macht. Für mich ruht diese Haltung, wie der stabile Schemel meiner Oma, der niemals wackelte, egal, was man mit ihm anstellte, auf drei einfachen Beinen.

Erstens: ehrlich und bescheiden zu sein. Und dem zu dienen, was durch uns gesagt sein will.Zweitens: nichts zu bezwecken. Weder bei sich noch beim Leser einen bestimmten Effekt erzielen zu wollen, sondern zu vertrauen – und sich überraschen zu lassen, vom entstehenden Text, der sich wie die Hand eines Kindes in die unsere legt, zu ziehen beginnt und uns bittet: »Komm mit mir.« Wohin? Das spielt keine Rolle. Wichtig ist die Hand, die Berührung, das Vertrauen, der gemeinsame Weg.Drittens: mit warmer Hand und warmen Augen zu schreiben statt mit spitzem Stift und kritischem Blick. Das gelingt, wenn man an einen Leser glaubt – und selbst zu solch einem Leser wird –, der nicht nach Mängeln und Fehlern sucht, sondern nach Botschaften gelebter Erfahrung und nach Bekräftigung dessen, was man immer schon sagen wollte.

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich meine, dass die Haltungen, die man beim Schreiben entwickeln kann, Haltungen für ein gutes Leben sind. Ehrlichkeit. Neugier. Liebe zu sich selbst. Man kann diese Haltungen üben, man kann sie pflegen. Zum Beispiel, indem man ab und zu ein wenig schreibt.

Ich kenne kaum einen Menschen, der hinter allem, was ihn verzagen lässt, hinter aller Entmutigung und Selbstzensur, nicht doch die leise Sehnsucht verspürt, irgendwann einmal etwas, irgendetwas zu schreiben. Die Sehnsucht, die da ruft, ist, so meine ich: die Sehnsucht danach, sich auszudrücken, gesehen zu werden, sich wahrhaftig zu zeigen. Und stolz sein zu dürfen auf das, was durch die eigene Hand entstanden ist. Es ist die Sehnsucht danach, ein Mensch zu sein, der dazugehört, weil er ist, was er ist – und sich zeigen darf, so, wie er ist.

Wenn Worte zu Gedanken werden

Ein Spruch aus dem Talmud beginnt so: »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu deinen Taten.« Ich mag diesen Spruch – vor allem an Tagen, an denen es in meinem Kopf gerade liebevoll und aufgeräumt zugeht und die Worte, die aus mir herauskommen, schöne Worte sind. Dann habe ich nichts dagegen, dass diesen Gedanken zwangsläufig Worte und Taten folgen.

Doch es gibt auch andere Tage. Da wünschte ich, dass es einen Stopp-Schalter für Gedanken gäbe, die wild oder selbstgerecht oder einfach nur verzweifelt sind. An solchen Tagen wirkt der Talmud-Spruch wie eine Drohung: Wenn du so weiterdenkst, wird es bald noch schlimmer kommen, nicht nur in deinem Kopf, sondern in deinem Leben!

Wie kann ich Gedanken verändern, die ich nicht mag? Wie kann ich ihnen Liebe einhauchen? Wie kann ich sie – und mich – aus dem Spinnennetz der Angst und der Trübsal befreien?

Ich habe den Schalter in meinem Kopf noch nicht gefunden. Aber was ich gefunden habe und immer wieder finde, ist: ein Stift. Und ein Stück Papier. Der Weg, den ich nutze, um meine Gedanken mit Licht zu fluten, kehrt den Spruch aus dem Talmud um: Ich achte erst einmal auf meine Worte. Und lasse zu, dass sie meine Gedanken verändern. Ich schreibe Dinge auf, die mir guttun. Wenn ich meine Worte forme, wenn ich ernsthaft mit ihnen spiele, wenn ich Sätze sanft zu Textgeweben verknüpfe, wenn ich beim Schreiben Mut fasse und die Freiheitsgrade meines Ausdrucks erprobe, dann geschieht es wie von selbst: Ich werde lustiger, lauter, zarter oder feiner. Ich werde, Schritt für Schritt, ehrlicher zu mir selbst. Nach und nach verändern, veredeln, verwandeln sich dabei die Gedanken in meinem Kopf. Und mit ihnen: mein Blick auf die Welt. Meine Art, in Beziehung zu treten. Mein Augenblick, mein Dasein, mein Leben.

Schreiben, das ist eine Lebenskunst. Eine Kunst, die stärkt und Gelassenheit schenkt. Eine Kunst, bei der man langsam sein darf und die doch schnell Wirkung zeigt. Eine Kunst, die Freude macht.

Wollen wir mit dem Schreiben beginnen?

Was dieses Buch zu bieten hat

Ich wüsste gern, wie viele Schreibratgeber Sie bisher schon gelesen haben. Waren es fünf? Zehn oder dreiundfünfzig? War es einer? Oder bisher noch keiner?

Ich selbst bin ganz versessen auf Schreibratgeber. Meine Bücherregale sind voll, sehr voll mit Büchern über das Schreiben. (Dreiundfünfzig? Das könnte hinkommen. Vermutlich sind es noch ein paar mehr.)

In einem Regal, das gleich rechts neben meinem Schreibtisch steht, da horte ich Bücher aus dem Bereich der Poesie- und Bibliotherapie, Schreibdenken, The New Diary, Der Weg des Künstlers, Poesie und Therapie, Writing to heal the soul … Diese Bücher bieten vielfältige Ansätze und Übungen, sie sind sich jedoch in einer Botschaft einig. Sie sagen: Schreibe regelmäßig, schreibe am besten jeden Tag. Egal was: Hauptsache, du schreibst.

Die Autoren dieser Bücher bieten Methoden an, um loszuschreiben, ohne lang zu grübeln. Das wirkt, das klappt, das hält einen am Ball. Doch es gibt ein paar Fragen, die in diesen Büchern offenbleiben. Zum Beispiel: Was kann man tun, wenn einem das, was man schreibt, nicht gefällt? Wie kann man sich helfen, wenn die eigenen Worte nicht zu funkeln beginnen, wenn sie nicht kribbeln, nicht zünden, wenn es einfach nicht »fetzt«? Muss man ein Jahr lang schreiben, zwei oder drei, bis endlich ein lustvoll lesbarer Text entsteht? Oder ist es keine Frage von Dauer, sondern eine der Technik oder gar, oh je … doch eine Frage des Talents?

»Schreib, was du willst, wie du willst, ganz egal, es ist gut«?

Diese Ermutigung ist wichtig und richtig – zu Beginn. Doch ich meine: Die Entwicklung muss hier nicht zu Ende sein.

Ich selbst hatte, bei der Arbeit an meinem ersten Buch vier minus drei, das Glück, mit einem Lektor arbeiten zu dürfen, der meinen ersten langen Textentwurf Seite für Seite, Satz für Satz, Wort für Wort mit dem Feinsinn eines Uhrmachers polierte. Er brachte mir bei, wie man Texte entschlackt und präzisiert, wie man sie literarisch überarbeitet, sodass sie zu schnurren beginnen.

Ich durfte dabei zum Beispiel lernen, wie viel es bewirken kann, die Zeitform zu tauschen, in der man erzählt. »Schreiben Sie diese Szene lieber in der Gegenwartsform.«: Im elften Kapitel dieses Buchs werde ich Ihnen erzählen, warum diese Anmerkung zu einer der wichtigsten in meiner Entwicklung zur professionellen Autorin wurde.

Von meinem Lektor lernte ich auch, dass der Schlüssel zur Selbsterkenntnis manchmal darin liegt, ein intuitiv geschriebenes Märchen in ein kurzes Gedicht zu verwandeln oder ein Gedicht in eine lebendige, realistische Szene. Ich weiß inzwischen auch, wie erlösend es sein kann, ganze Seiten zu streichen. (Natürlich immer die, an denen man tagelang saß. Natürlich die Stellen, die man für die allerbesten gehalten hat. Natürlich das Stück Text, um das man sehr verzweifelt kämpft, bevor man es loslassen kann.)

Ich lernte, literarisch zu denken, literarisch zu schreiben.

In diesem Buch möchte ich Sie teilhaben lassen an dem, was ich über das persönlich-therapeutische, aber auch über das literarische Schreiben, vor allem aber über die Begegnungszone dieser beiden Schreibarten gelernt habe. In meiner Arbeit schlage ich eine Brücke zwischen jenem Schreiben, das der Seelenhygiene dient, und dem literarischen Schreiben, bei dem man bewusst auf Stil und Formulierungen, auf Genauigkeit und Aussagekraft, auf Rhythmus, auf Vielfalt der Formen und Reichtum im Wortschatz achtet.

Ich selbst habe bei der Arbeit an meinem ersten Buch erlebt, wie aus einem intimen, privaten Text ein Werk werden kann, das nicht nur Lesern Kraft vermittelt, sondern auch mich, die Autorin, in ihrer Lebenskraft stärkt. Als Schreibpädagogin beschäftige ich mich seither mit der Frage: Wie kann man die Techniken des literarischen Schreibens, die Techniken der Profis, so einsetzen, dass sie das private Schreiben beleben? Wie kann es gelingen, das Schreiben mithilfe literarischer Werkzeuge tiefer, wahrhaftiger, interessanter zu machen? Darf man das eigene Tagebuch wie ein literarisches Werk behandeln? Und: Hat die literarische Arbeit an Selbstgeschriebenem therapeutischen Wert? Ich meine: ja. Nicht anstelle, nicht als Ersatz für eine Psychotherapie. Aber als lebensbegleitende, stärkende Maßnahme – wenn das Schreiben zum Freund wird, der bittet: »Sag es noch einmal klarer.« Zu einem Freund, der »Hast du Beispiele?« fragt. Oder: »He, wie meinst du das genau?« Zu einem Freund, der wie ein guter Lektor bemerkt: »Du redest um den heißen Brei herum. Wovor drückst du dich die ganze Zeit?«

Die literarische Arbeit an einem privaten Text kann auf das Selbstbewusstsein wirken wie ein Vitaminpräparat auf den Organismus: unterstützend, belebend. Man wächst, persönlich, indem man seinen eigenen Texten – und damit der eigenen Persönlichkeit – beim Reifen hilft.

Kommen Sie noch einmal mit mir in mein Büro. Ich will Ihnen auch noch mein zweites Bücherregal zeigen, das auf der anderen Seite des Schreibtisches. In diesem Regal sammle ich die Bücher aus dem Autorenhaus-Verlag und viele, viele aus Amerika, die es nur auf Englisch gibt. Das sind Bücher über das Schreiben von Literatur, also über das Schreiben von Geschichten und Romanen. The Art of Time in Fiction, Dialogue, Subtext, Writing for Emotional Impact, Ein Roman in einem Jahr, Kurzgeschichten schreiben und veröffentlichen und viele mehr.

Ich finde die Übungen in diesen Büchern spannender als jeden Krimi. Ich lese und genieße sie. Viele der Übungen sind ziemlich anspruchsvoll und aufwendig – ich zwinge mich nicht, sie alle zu probieren. Aber: Ich lasse mich von ihnen inspirieren. Ich erlaube ihnen, den Blick, mit dem ich durchs Leben gehe, zu schärfen.

Zwar schreibe ich keinen »Lebenslauf einer gescheiterten Ballerina«, der mir im Kurzgeschichten-Buch vorgeschlagen wird, aber ich lasse mich von den vorgeschlagenen Lebenslaufthemen inspirieren, frage Freunde nach dem Sport ihrer Kindheit, nach alten, verlorenen Träumen und danach, welches Ziel sie derzeit verfolgen.

Ich schreibe vielleicht keinen »Dialog, in dem ein Fleischer sich mit dem Liebhaber seiner Frau über das Wetter unterhält«. Aber: Ich spitze plötzlich meine Ohren, wenn ich beim Friseur auf den Haarschnitt warte und die Kundin mit Alufolie im Haar dem Lehrmädchen von ihrer neuen Wohnung erzählt. Was erzählt sie genau? Wie abstrakt, wie konkret sind die Worte? Wie schmückt sie ihre Geschichte aus? Wie antwortet sie auf Fragen? Antwortet sie überhaupt? Wie weicht sie aus?

Literarischer Alltag

Am meisten liebe ich es, Elemente des literarischen Schreibens in ganz normale Alltagstexte einfließen zu lassen. Da beschreibe ich vielleicht in einer Mail an meine Steuerberaterin den Spatz, der eben auf meinem Fensterbrett gelandet ist – natürlich nicht im ausführlichen Stil von Marcel Proust, aber in wenigen, lebendigen Worten, durch die ein freundliches Bild entsteht. Oder ich reime einen Abschiedsgruß, wenn ich an einen meiner Veranstalter schreibe. Fast immer bekomme ich eine lustige, kreative Antwort zurück.

Manchmal beginne ich den Eintrag in meinem Tagebuch, einfach so, mit einem Anführungszeichen, ohne zu wissen, was darauf folgt. Oft meldet sich eine Stimme zu Wort, die mich liebt und mir ein paar nette Dinge sagt. Oder es ruft mich der Tee im Schrank, der gekocht werden möchte. Anführungszeichen öffnen den Blick, reißen mich aus der Gewohnheit. Sie sind ein wirksames Zaubermittel gegen drohende Tagebuch-Lethargie.

Ich schreibe Urlaubserinnerungen, inspiriert von der Farbe Blau oder von der Frage, wie viele Kreise ich auf der Reise gesehen habe. Ich ersetze in meinem Lebenslauf gewohnte Worte durch knackige Synonyme. Ich schreibe gereimte Morgenbriefchen an meinen Mann – oder, sonntags, wenn ich ausgeschlafen und zum Blödeln aufgelegt bin: eine schwülstige Ode an das Frühstücksei, schnell, in vier Minuten, nur so lange, bis die Eieruhr läutet. Eine Ode mit einer Prise Herausforderungs-Salz, zum Beispiel eine … ohne den Buchstaben e. Oder eine mit möglichst viel »ei«. Dabei fühle ich mich, als würden meine Gedanken unter der Dusche stehen, als würden sie plätschern und trällern. Meistens bin ich stolz auf die Miniatur, die entsteht.

Ja, auch zu solchem Unsinn wird Sie dieses Buch verführen. Doch die Hauptsache ist: Wir werden die lustigen und ernsten, leichten und tiefen, schwungvollen und feinen Begegnungszonen zwischen Leben und Schreiben, zwischen Selbsterkundung und literarischer Arbeit erkunden. Ich werde Ihnen zeigen, wie die Arbeit mit Stift und Papier, die Arbeit mit Worten Ihr Denken und Ihr Leben bereichern kann. Und wie der geschärfte Blick auf das Leben die Art, wie Sie schreiben, erfrischt. Das Ziel: das pulsierende Leben, die Freude am Menschsein zu feiern – egal, ob Sie gerade schreiben oder nicht.

Das dürfen Sie erwarten

Die Inspirationen und Übungen in diesem Buch sind in vier Abschnitte geteilt. Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit den grundlegenden Bausteinen des kreativen und therapeutischen Schreibens: Wir üben zuerst, auf frische Gedanken zu kommen, statt uns mit den erstbesten Denkklischees zufriedenzugeben. Wir verwandeln Stichwörter in ganze Sätze, spielen mit Grammatik und Sprachstil. Dann erlauben wir uns, Worte und Sätze fließen, ausfließen, anschwellen und wieder verebben zu lassen. Ich zeige Ihnen Methoden, die stumme Worte aus ihren Höhlen locken. Sie üben, frei und ohne Anspruch zu schreiben und dann mit dem, was intuitiv aus Ihnen gesprochen hat, in produktive Resonanz zu treten. Dabei widmen wir uns auch der Frage, wie man das Denken entschleunigen kann: wie man ihm Richtung gibt, wie man so schreibt, dass Fokus statt Wirrnis entsteht.

Gleich danach kümmern wir uns um laute Gefühle: um das, was man Katharsis, Entladung, nennt. Wir nutzen Papier und Stift, um Gefühle anzuerkennen, die kaum je zu Wort kommen dürfen – und wir lassen uns vom kreativen Potenzial überraschen, das freigesetzt wird, wenn wir uns nichts mehr verbieten.

Das letzte Kapitel des ersten Teils ist dem »Schreiben nach dem Schreiben« gewidmet. Es erinnert uns daran, nicht nur zu produzieren, nicht nur voranzugehen, sondern innezuhalten und auszukosten, was wir uns selbst durch unser Schreiben geschenkt haben.

Im zweiten Teil dieses Buchs geht es darum, dem wirklichen Leben schreibend die Hand zu reichen. Wir schreiben konkret, über das, was unsere Sinne wahrnehmen. Dann machen wir einen Ausflug ins Land der Poesie, schreiben Gedichte und erfahren dabei, dass es jenseits des Rationalen auch noch eine andere Logik mit ganz anderen Gesetzen gibt.

Wir widmen uns auch dem Blödeln. Dabei stellen wir unsere Sprache, unser Denken und unsere Schreibgewohnheiten auf den Kopf und erobern uns neue Freiheitsgrade. Schließlich üben wir das Schreiben von Dialogen. Das hilft uns, die Perspektive zu wechseln. Unser Denken darf noch wendiger werden, unser Herz darf sich noch weiter dehnen.

Im dritten Teil beginnen wir damit, uns mit unserem Schreiben auch nach außen, an mögliche Leser zu wenden. Wir widmen uns der Frage, womit wir unsere Texte ausstatten – beziehungsweise: wovon wir sie befreien müssen, damit sie auch von anderen gern gelesen und gut verstanden werden. Dafür üben wir zuerst das Verwandeln: Wir kleiden vorhandene Texte spielerisch in neue Gewänder, erheben uns gestaltend über den automatischen Fluss unseres Schreibens und dürfen erkennen, was abseits der gewohnten Schreibautobahn noch alles möglich ist.

Auf der Grundlage dieser Freiheit beginnen wir damit, unsere Texte liebevoll zu schärfen und zu korrigieren. Wir lernen nicht nur, was einen guten Text ausmacht, sondern auch, wie wir uns selbst ein guter Leser sein können.

Am Ende des dritten Teils lernen Sie die wichtigsten Profiwerkzeuge aus der Werkstatt der großen Literatur kennen. Sie bekommen Ideen, wie Sie diese Werkzeuge für Ihr Schreiben nutzen können, als Inspirationsquelle und als Sicherheitsnetz.

Zuletzt beschäftigen wir uns mit der Frage, wie und wo man Texte veröffentlichen kann. Der »Traum vom Buch«, er hat viele kleine Geschwister. Gerade heute, im digitalen Zeitalter, ist es sehr einfach, Texte mit anderen Menschen zu teilen. Welche der Möglichkeiten sinnvoll sind und welche nicht, welche Art der Veröffentlichung Ihren Texten und Ihren Wünschen dient, das werden wir gemeinsam erkunden.

Im vierten Teil erwartet Sie ein Schreibprojekt. Sie schreiben tatsächlich ein Buch. Ein Glücksbuch mit fünfundzwanzig Seiten – und zwar innerhalb eines Tages. Ganz zuletzt habe ich einen Serviceteil zusammengestellt, mit vielen Tipps und weiterführenden Ideen rund um Ihr Schreiben.

Noch eine Gebrauchsanweisung

Dieses Buch besteht aus Philosophie und Praxis. Ich habe die Übungen möglichst kurz und knapp formuliert. Nehmen Sie meine Anleitungen als Grundlage für Ihr eigenes Schreib-Spiel, für den freien, lustvollen Fluss Ihrer eigenen Ideen. Halten Sie sich dabei an folgende »Regeln«:

Nehmen Sie meine Anleitungen wörtlich. Halten Sie sich streng an sie – außer es meldet sich ein innerer Schreibimpuls, der wichtiger, dringlicher ist. Dieser »wichtigere Impuls« könnte, zum Beispiel, ein anderes Thema sein, das Sie plötzlich mehr interessiert. Oder: eine andere Form (Gedicht statt Geschichte, Brief statt Gedicht …) oder auch der Impuls, eine Collage zu machen, etwas zu malen oder spazieren zu gehen, statt zu schreiben. Versuchen Sie zu spüren, ob der Impuls, etwas anderes zu machen, nur eine Flucht in etwas Einfacheres ist oder tatsächlich ein Hinweis auf etwas, das aus Ihnen hervordrängt. Fliehen Sie nicht vor dem, was ich vorgebe. Aber nehmen Sie alles ernst, was in Ihnen nach Ausdruck ruft. Überprüfen Sie meine Impulssätze/Textanfänge. Lassen Sie sich die einzelnen Worte auf der Zunge zergehen – und verändern Sie Details, wenn es eine Variante gibt, die Ihnen besser gefällt. Jeder Mensch hat seine eigene Lieblingssprache, vor allem, wenn es um das Locken von Ideen und Gefühlen geht. Kleine Veränderungen, sei es das Austauschen eines Wortes oder eine andere Wortstellung im Satz, bewirken oft einen großen Unterschied. Schreiben Sie im Zweifelsfall nie, um irgendjemandem zu gefallen. Bewegen Sie sich beim Schreiben immer dorthin, wo das größte Fragezeichen, die größte Ungewissheit, vielleicht sogar die Angst zu versagen auf Sie wartet. Sobald sich Ihre Nackenhaare aufstellen, sobald Sie ein wenig zu schwitzen beginnen oder heftig am Bleistift kauen, wissen Sie: Sie sind auf dem richtigen Weg.

Die meisten Übungen in diesem Buch machen praktisch erfahrbar, was ich zuvor theoretisch erklärt habe oder nach der Übung erkläre. Es macht Sinn, immer wieder innezuhalten und die Übungen sofort zu probieren, da sie einen bestimmten, eben besprochenen Aspekt des Schreibens antippen und durch Erfahrung vertiefen. Falls Sie allerdings (wie ich) zu den Menschen gehören, die sich zuerst einen theoretischen Überblick verschaffen wollen, ehe sie sich selbst praktisch betätigen, ist das auch kein Problem. Lesen Sie einzelne Kapitel (oder, von mir aus, das ganze Buch), und machen Sie die praktischen Übungen danach. Oder: Markieren Sie sich jene Übungen, die Sie beim Durchlesen besonders ansprechen, mit einem Stern – und machen Sie dann, nach dem Lesen, zuerst eine Übung, die keinen Stern bekommen hat. Und erst dann diejenigen, die Sie besonders reizten.

Üben heißt, über den eigenen Schatten zu springen. Aus der Bequemlichkeitszone zu treten. Nur so findet Entwicklung statt, Erweiterung und Dehnung. Um diese Dehnung, hinein in ein Leben, das durch das Schreiben bereichert wurde, soll es gehen. Ich behaupte: Die Übungen, die Ihnen besonders schwierig, unbequem oder gar langweilig erscheinen, führen Sie am effizientesten in dieses Leben hinein. Glauben Sie mir. Oder, noch besser: Glauben Sie mir nicht, sondern probieren Sie es selbst aus.

Hier noch eine Möglichkeit, wie Sie mit den vielen Übungen in diesem Buch umgehen können: Nehmen Sie sich vor, wie oft und wann Sie gern schreiben möchten. Sie können sich diese Schreibzeiten in Ihrem Kalender notieren. Noch praktikabler finde ich es, das Schreiben mit Ereignissen zu verknüpfen, die in Ihrem Leben schon einen fixen Platz haben. »Ich werde immer schreiben, während mein Sohn in der Musikstunde ist.« »Ich werde schreiben, während mein Mann die Nachrichten anschaut.« »Ich werde schreiben, während der Sonntagsbraten im Ofen schmort.«

Arbeiten Sie in Ihren Schreibzeiten die Übungen der Reihe nach ab – oder pflücken Sie sich eine Übung aus einem Kapitel, das Ihren aktuellen Bedürfnissen, Ihrer aktueller Schreiblust entspricht. Im hinteren Buchteil finden Sie eine Liste, die alle Übungen im Überblick zeigt, da ist jede zur Erinnerung mit ein paar Worten beschrieben. Anhand dieser Liste können Sie auch den Zufall entscheiden lassen. Denken Sie sich dazu eine Zahl zwischen 1 und 111, und schlagen Sie die passende Übung nach.

Schreiben oder tippen?

Wenn nicht anders erwähnt, ist es Ihnen überlassen, ob Sie mit der Hand oder am Computer schreiben. Zwar gilt gerade im Feld des therapeutischen Schreibens das Dogma, dass das Schreiben mit der Hand wertvoller ist. Auch ich schreibe oft und gern mit der Hand, erkenne aber auch viele Vorteile im Schreiben am PC. Einer davon ist ganz banal: Tippen ist weniger anstrengend, vor allem für Menschen, die nicht mehr oft mit der Hand schreiben.

Das bedeutet: Getippte Texte entstehen müheloser. Wir sind eher bereit, solche Texte zu korrigieren, zu überarbeiten, vielleicht sogar zu verwerfen. Wir sind eher dazu zu verführen, nach einem ersten getippten Text einen zweiten zu schreiben. Da, wo es um Fülle geht, um längere Texte, empfehle ich das Schreiben am Computer – ebenso bei jenen Übungen, bei denen es ums Überarbeiten und ums spielerische Verbessern geht. Korrekturen in handgeschriebenen Texten wirken schnell unordentlich und unübersichtlich. Am Computer bleiben Texte, trotz Korrekturen, sauber und adrett.

Natürlich: Literaturwissenschaftler stöhnen, weil es heutzutage keine handgeschriebenen Manuskripte mehr gibt, in denen man die Korrekturen – und damit den Denk- und Korrekturprozess – des jeweiligen Autors nachvollziehen kann. Wenn Sie Ihr Prozess, Ihre Entwicklung interessiert und Sie die einzelnen Textstadien archivieren möchten, kopieren Sie Ihren Ursprungstext am besten auf eine neue Seite, und bearbeiten Sie diese Kopie. Und die Kopie der Kopie. So lange, bis Sie zufrieden sind.

Ein letzter Hinweis darf nicht fehlen, bevor ich damit fortfahre, mich an Sie zu wenden: Sind Sie Autor? Autorin? Sind Sie Mann oder Frau, Menschin oder Mensch? Wie alle modernen Autoren habe auch ich mir Gedanken zur Geschlechterform in diesem Buch gemacht – und bin zu einer Entscheidung gelangt, die mir gefällt: Ich möchte auf komplizierte Genderformen verzichten. Zugleich will ich der Tatsache Rechnung tragen, dass meine Schreibseminare vor allem von Frauen besucht werden. Die reine Verwendung der männlichen Form, die immer noch oft aus Gründen der Einfachheit bevorzugt wird, scheint mir daher unangebracht.

So habe ich mich entschieden: Ich verwende manchmal die männliche und manchmal die weibliche Form, nicht systematisch, sondern nach dem Zufallsprinzip. Wenn ich auf der Straße gehe, begegnen mir Männer und Frauen auch durcheinander. Ich freue mich dabei über jeden Kontakt und lächle den Passanten zu, wann immer es geht. Fühlen auch Sie sich gesehen und freundlich begrüßt. Egal, ob ich gerade die weibliche oder die männliche Form verwende. Sie, ja: Sie sind immer gemeint.

Teil 1

Das Schreiben beginnt

1. Krimskramslade, ausgekippt

Die Fülle der Gedanken sichten

Es kann losgehen. Schnappen Sie sich das, was Sie zum Schreiben brauchen: ein leeres Blatt Papier und einen Stift. Oder öffnen Sie eine Datei im PC.

Und schreiben Sie. Jetzt.

Ach so … Womit Sie beginnen sollen? Das ist es ja, was wir in diesem Kapitel herausfinden werden! Wir wollen mal sehen, welche Ideen in Ihnen stecken – und welche dieser Ideen Sie am meisten zum Schreiben reizen.

Die erste Idee: die beste Idee?

Bevor wir also wirklich mit dem Schreiben beginnen, möchte ich Sie zu einem kurzen Experiment einladen. Machen Sie mit? Ich stelle Ihnen eine Frage, und Sie geben mir die erste Antwort, die Ihnen in den Sinn kommt. Fertig? Gut.

Hier die Frage: Was ist Ihre Lieblingsspeise?

Antworten Sie jetzt.

Wie haben Sie auf meine Frage reagiert? Was ist Ihnen eingefallen? Darf ich raten? Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit stammt Ihre Antwort aus einer der folgenden drei Kategorien.

Möglichkeit eins: Sie können sofort eine Auskunft geben. Sie wissen, was Ihre Lieblingsspeise ist, weil Sie sich irgendwann entschieden haben und Ihre Wahl seither nicht mehr hinterfragen. »Mein Lieblingsessen? Pizza, natürlich.« Oder Käsefondue. Oder Steak.

Möglichkeit zwei: Sie nehmen die Frage nicht ernst. Lieblingsspeise hin oder her – Sie nennen einfach das erstbeste Gericht, das Ihnen einfällt. Basilikum. Blaubeeren. Quark mit Honig. Schmeckt doch alles gut, ist ja alles nicht wichtig.

Die dritte Variante: Sie haben einfach weitergelesen und gar nicht geantwortet. Ihr Hirn streikt bei solchen Fragen prinzipiell, weil es sich nicht schnell entscheiden will. Nichts als Chaos oder Leere im Kopf, vielleicht auch Protest. »Was für eine blöde Frage! Wie soll ich die beantworten? Es gibt vieles, was mir schmeckt. Was ich essen mag, das hängt immer auch davon ab, wer mit mir isst, wer kochen soll, was im Kühlschrank liegt, wie viel Zeit zur Verfügung steht.«

Das ist es also, was ein schneller, erstbester Einfall zu bieten hat: Antworten von der Stange, Stereotypien. Flache, pummelwitzige Ideen. Oder Schweigen, Stress, Blockaden und Widerstand.

Wenn es um die Frage nach unserer Lieblingsspeise geht, scheint das nicht schlimm. Doch wie oft kommt es vor, dass wir auch in Situationen, die uns wichtig sind, unter Zeitdruck geraten? Wie oft spulen wir dann vorgefertigte Stehsätze ab? Wie oft verweigern wir unseren Beitrag, weil uns alles zu schnell geht? Und wie oft sagen wir aus Notwehr irgendwas, nur um kurz danach zu bereuen, dass wir wieder einmal die Chance verpasst haben, etwas zu äußern, das richtig, wichtig und wertvoll gewesen wäre?

Denken Sie an die letzte Situation, in der Sie etwas gefragt wurden. Konnten Sie sich Zeit für Ihre Antwort nehmen? Höchstwahrscheinlich nicht. Stimmt’s?

Man könnte verzweifeln, wenn man erkennt, dass kaum jemals genug Zeit vorhanden ist, um nach den Worten jenseits der Stille zu graben. Man könnte verzweifeln – oder, lieber: ein dankbares Stoßgebet an den Himmel schicken. Weil es, immerhin, Papier und Stift gibt, die beide Zeit für uns haben.

Erstbeste Ideen sind meistens gar nicht so frisch, wie man meinen könnte, sondern vielmehr alt, abgelegen und schal. Sie sind wie Obst, das zu lange im Kühlschrank war: geschmacklos, kalt, ohne Nährstoffrest. Oder wie Kleider aus dem Massenladen: unauffällig, irgendwie ganz okay, aber nichts Besonderes. Nichts, wonach man sich ein zweites Mal umdrehen will.

Erstbeste Ideen werden leider viel zu häufig verfolgt. »Hauptsache spontan, spontan ist gut.« Das hat jeder schon irgendwo gehört. Dem ist jeder, lachend oder achselzuckend, schon einmal gefolgt – ehe die Enttäuschung Einzug hielt, weil nach der ersten Idee meist keine Zeit, kein Platz oder kein Mut mehr für die zweite war.

Das hastige Schnappen nach schnellen Ideen, oh, es passt gut in unsere Zeit, in der sich die Spanne unserer Aufmerksamkeit immer mehr reduziert – und sich anpasst an Mausklicks, an Funkbeats im Radio, an die Frequenz der »Plings« im Maileingang, an Terminkalender mit 15-Minuten-Slots. Da scheint es praktisch, wenn man sich sagen darf, dass die schnellen Ideen die besten sind.

Es darf langsamer gehen

Mich macht es froh, dass ich kein Leben führen muss, in dem der erstbeste Einfall der einzige ist, der zählt. Es macht mich froh, dass ich schreiben kann. So kann ich auch meine stillen Gedanken hören – die schüchternen, die langsamen, diejenigen aus der zweiten und dritten Reihe. Wann immer ich mir Zeit nehme, meine Gedanken auszubreiten, tanke ich Lebenskraft. Ich brauche diese Kraft, um zu bestehen: vor dem Impuls, immer schnell, instinktiv, auf Zuruf zu reagieren.

Der Ruf nach Schnelligkeit ist laut. Stürmisch. Er drängt scheinbar immer von außen auf mich zu. In Wirklichkeit, das sagt mir mein Spiegelbild, kommt die Hetze aber noch viel öfter aus mir selbst. Ich fürchte, dass die Schnelligkeit auch etwas Verführerisches an sich hat. Denn wer schnell etwas sagt oder schreibt, hat immer die Ausrede: Es musste ja schnell gehen, da konnte ich nicht … Was schnell aus mir herauspurzelt, das muss, wenigstens, nicht großartig sein.

Wer sich Zeit nimmt, spürt erst einmal, dass der Druck sich erhöht. Was lange währt, das sollte doch gut, sollte besser werden als die schnelle, erstbeste Idee. Und schon melden sie sich: die Stimme der Vorsicht, die Stimme der Angst. Was, wenn nichts Besseres kommt? Wenn mir nichts Gutes einfällt? Wenn ich nachdenke und schließlich einsehen muss, dass ich doch vollkommen nichtssagend bin?

Angst ist scheußlich. Noch scheußlicher ist es, sich zu schämen. Kann es sein, dass wir uns das Gesetz der Schnelligkeit ausgedacht haben, nur um uns niemals, niemals für einen schlechten Einfall schämen zu müssen?

Ein schamfreier Raum

Wie wäre es, wenn wir uns ein Blatt Papier holten und es zum schamfreien Raum erklärten? Wäre es nicht schön, wenn es einen Trick gäbe, mit dem wir den Anspruch, gut sein zu müssen, verscheuchen könnten – und mit ihm auch gleich all die Gedanken an alle Rotstifte der Welt? Ich kenne einen solchen Trick. Er ist simpel, wie (fast) alles, das wirkt: Nehmen Sie ein Blatt Papier, und drehen Sie es um neunzig Grad, sodass es quer vor Ihnen liegt.

Und schon ist es geschehen. Schon ist es weg, das Aufsatzgefühl. Schon ist Platz für freie Gedanken. Platz, um zu träumen, zu probieren, genüsslich zu duseln. (Ist Ihr Blatt liniert? Sie können sich schnell ein anderes holen. Oder, noch besser: Sie können sich vorstellen, dass Sie auf dem Fell eines weißen Blaustreifen-Tigers schreiben.)

Jetzt geht es aber wirklich los. Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit, um Ihre Schreibideen zu sichten.

Träumerei

Schreiben Sie folgende Worte in die Mitte Ihres Blattes:

Was und worüber ich schreiben könnte, wenn es ganz einfach ginge.

Zeichnen Sie einen Kreis um diesen Satz. Und dann: Schreiben Sie alles auf, was Ihnen in den Sinn kommt. Verteilen Sie die Gedanken lose, ungeordnet auf dem Papier.

Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, warten Sie ein bisschen. Geben Sie Ihrem Denken Zeit. Fürchten Sie sich nicht vor der Stille, nehmen Sie sie als Einladung, weiter zu lauschen. Fragen Sie sich immer wieder, als wäre es zum ersten Mal: Was und worüber ich schreiben könnte, wenn es ganz einfach ginge.

Schreiben Sie langsam, lassen Sie die Gedanken zu Papier tropfen wie Farbkleckse von einem Pinsel. Hören Sie auf, sobald Sie zufrieden sind.

Wie ist es Ihnen mit dieser ersten Übung gegangen? Wie fühlen Sie sich jetzt? Denken Sie zurück an den Moment, bevor Sie zu schreiben begonnen haben. Seit diesem Augenblick hat sich einiges verändert. Zum Beispiel: Sie selbst. Sie haben sich verändert: von einem Menschen mit (mehr oder weniger vielen) Ideen im Kopf in einen Menschen mit Ideen, die auf Papier ihren Platz gefunden haben und nicht mehr verfliegen.

Viele Menschen werden ruhiger, wenn sie die Gedanken, die eben noch im Kopf herumschwirrten, geschrieben vor sich sehen. Andere werden unternehmungslustig und fühlen sich angeregt. Schreiben, aufschreiben und vor allem: aufgeschrieben haben, das zeigt Wirkung – im Kopf und oft auch im Körper, im Atem, im Bauch, im Gefühl und in der Empfindung.

Da liegt es. Dieses Blatt Papier, das eben noch leer war. Jetzt stehen da Worte. Das klingt wie eine Kleinigkeit. Aber es ist eine große Sache: Sie haben geschrieben. Etwas Eigenes, etwas Neues. Etwas ganz anderes als den täglichen Kram. Etwas, das von Ihnen kommt und mehr als reine Pflichterfüllung war. Etwas, das möglicherweise weitere Gedanken lockt.

Wichtiger als gut und schlecht

Können Sie das, was da steht, würdigen? Gelingt es Ihnen, dabei auf Bewertungen, auf die Worte »gut« oder »schlecht« zu verzichten? Das ist keine moralische, auch keine rhetorische Frage. Sondern … am besten gleich die nächste Übung.

Es kann nicht schaden, Strategien gegen die Selbstzensur zu kennen. Wie entkommt man der Bewertungsfalle, die so gern zuschnappen will? Mir gelingt das am besten, wenn ich mir bewusst mache, dass »gut« und »schlecht« zwei Adjektive sind. Nur zwei. Zwei von sehr vielen, die uns unsere Sprache zur Verfügung stellt. Groß, klein, albern, klug, einfach, lustig, verwegen … Ideen können so viel mehr sein als nur gut oder schlecht.

ABC-Darium

Schritt 1

Schreiben Sie die Buchstaben des Alphabets untereinander, jeden Buchstaben in eine Zeile. Verwenden Sie Kleinbuchstaben.

Schritt 2

Die Buchstaben von a bis z werden nun zu Anfangsbuchstaben von Adjektiven. Zum Beispiel: a wie auffällig, b wie bescheiden. Schreiben Sie 26 Adjektive auf. Wenn Sie bei einem Buchstaben stecken bleiben (zum Beispiel beim c), lassen Sie ihn erst einmal aus und gehen weiter. (Wenn Sie beim z angelangt sind, können Sie einen zweiten Durchgang machen und die Lücken befüllen. Kein Stress, wenn trotzdem etwas offen bleibt).

Schritt 3

Wählen Sie jene fünf Adjektive aus, die Ihnen am besten gefallen. Schreiben Sie diese noch einmal auf ein neues Blatt, lassen Sie dabei nach jedem Adjektiv eine Zeile frei.

Schritt 4

Legen Sie die Liste der fünf Lieblingsadjektive und die Ideensammlung aus der Übung »Träumerei« nebeneinander. Gehen Sie die Adjektive durch, die Sie ausgesucht haben, und sehen Sie nach, ob Ihre Eigenschaftswörter zu einzelnen Schreibideen passen. Gibt es in Ihrer Sammlung Ideen, die auffällig sind? Gibt es eine bescheidene Idee? Oder eine, die Ihnen besonders charmant vorkommt?

Schritt 5

Schreiben Sie einzelne Schreibideen (das müssen nicht alle sein, die in Ihrer Sammlung waren) zu den Adjektiven, die zu ihnen passen.

Sie sehen: Jede Idee, egal, wie gut oder schlecht sie uns zunächst auch vorkommt, ist ein Persönchen für sich – ein Persönchen mit Charakter, mit Eigenschaften, mit Potenzial. Nicht jede Idee reizt uns an jedem Tag. Doch was uns heute langweilig, zu trocken oder zu unrund erscheint, kann an Tagen, an denen wir selbst unrund, trocken und langweilig sind, der perfekte Schreibanlass sein. Und wofür wir uns heute nicht waghalsig genug fühlen, das lockt uns an anderen Tagen – gerade wegen seiner Verwegenheit.

Behaupten und vertrauen

Was Sie bei diesem »ABC-Darium« geübt haben, ist eine der wichtigsten Grundfähigkeiten des kreativen Schreibens: Sie haben mit Ihrem ABC eine Behauptung aufgestellt (zum Beispiel: Es gibt ein Eigenschaftswort mit f und auch eines mit x) und diese Behauptung dann selbst bewiesen, vielleicht ganz gewissenhaft, vielleicht auch schummelnd, indem Sie im Wörterbuch nachgeschaut oder absichtlich Rechtschreibfehler (»xund«) gemacht haben.

Dann haben Sie eine zweite Behauptung aufgestellt: Ich glaube, dass eine meiner Schreibideen zu diesem oder jenem Eigenschaftswort passt. Sie haben gesucht … und vermutlich etwas gefunden.

Im Grunde ist jeder Schreibvorgang eine Behauptung – oder, anders gesagt: ein Akt des Vertrauens. Ich schreibe ein erstes Wort und behaupte/vertraue darauf, dass weitere folgen werden. Ich suche mir ein Thema und behaupte/vertraue darauf, dass ich es in Worte fassen kann. Ich schreibe, schreibe weiter und behaupte/vertraue darauf, dass mein Text irgendwann ein Ende finden wird. Je öfter wir im Kleinen das Behaupten üben und dabei Vertrauen tanken – in unsere Fähigkeiten, in überraschende Lösungen, in Hilfe von außen, in den Zufall, der uns in die Hände spielt –, umso leichter fällt es uns auch bei größeren Projekten, vertrauensvoll bei der Sache zu bleiben.

Noch mehr Schreibschwung

Kehren wir zurück zu Ihrer Sammlung. Wie sieht es aus? Gibt es da eine Idee, die Sie jetzt schon zum Losschreiben reizt? Falls ja: nur zu. Ein Buch wie dieses eignet sich wunderbar, um es zur Seite zu legen und später wieder aufzuschlagen. Ihr eigenes Schreiben, falls es gerade lossprudeln will, ist immer – immer! – wichtiger als alles, was es hier weiter zu lesen und zu üben gibt.

Falls da noch keine Idee steht, die Sie zum Schreiben lockt, möchte ich Ihnen eine dritte Übung anbieten. Eine, die für Leichtigkeit sorgt. Eine, die Sie zum Schmunzeln bringen könnte, zum Lachen, ja, und vielleicht auch zum Schreiben.

Diese Übung hat eine Vorgeschichte: In meiner Ausbildung zum Clown hatten wir einmal einen Lehrer, der seinen Workshop mit einer etwas ungewöhnlichen Vorstellungsrunde begann. Zuerst sollte jeder, ganz einfach, seinen Namen aussprechen. In einer zweiten Runde sagten wir nicht unseren Namen, sondern den unseres linken Nachbarn. Beim dritten Mal nannten wir dann den Namen einer Figur, die wir aus dem Kinderfernsehen kannten.

»Habt ihr gehört, wie sich die Stimme verändert hat?«, fragte der Lehrer nach der dritten Runde. »Wenn wir über uns selbst sprechen, sind wir ganz leise und gehemmt. Wenn wir von anderen sprechen, am besten von Unbekannten, fällt es uns viel leichter, laut zu werden.«

Eine eigene Idee ernst zu nehmen und in weitere Worte zu fassen, das kann sich mulmig anfühlen. Es scheint leichter zu sein, wenn ein anderer sagt, was man tun, was man schreiben soll. Wenn dann nichts herauskommt, was uns gefällt, kann man immer noch sagen: Das war eben eine doofe Idee.