Femina - Janina Ramirez - E-Book
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Femina E-Book

Janina Ramirez

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Beschreibung

Ein großes Buch, das viel mittelalterlichen Staub aufwirbelt! 

Sie kämpften gegen Wikinger, vergifteten ihre Feinde und waren Spioninnen – die vergessenen Frauen des europäischen Mittelalters kümmerten sich beileibe nicht nur um Haus und Hof. Dennoch ist es genau dieses Bild einer patriarchalen Gesellschaft, die Frauen unterdrückte, das unsere Vorstellung vom Mittelalter prägt. Es waren Männer, die diese Geschichte schrieben und die Frauen des Mittelalters aus unserem kollektiven Gedächtnis verbannten. Janina Ramirez gibt den Frauen ihren Platz in der Geschichtsschreibung zurück: Sie erzählt von der mächtigen Königin Jadwiga von Polen, der wilden Kriegerin Æthelflæd und der außergewöhnlichen Heilerin Hildegard von Bingen und eröffnet uns so ein buntes Kaleidoskop an verschiedensten weiblichen Lebensrealitäten, die die ganze Vielfalt dieses »dunklen Zeitalters« abbilden. 

»Wunderbar frei und herrlich originell lässt uns ›Femina‹ auf aufregende und provokative Weise in die Nebel der Geschichte blicken.« Peter Frankopan.

»Leidenschaftlich, provokativ, brillant – dieses Buch ist ein Feuerwerk, das irgendwie zwischen zwei Buchdeckeln gefangen ist.« Lucy Worsley.

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Seitenzahl: 608

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Über das Buch

Das europäische Mittelalter gilt als blutrünstige Zeit der Ritter, Päpste und Könige: eine von Männern dominierte Gesellschaft, die Frauen unterdrückte und ausschloss. Aber wenn wir etwas tiefer in diese Welt eintauchen, sehen wir, dass Frauen sich durchaus eigene Räume schaffen konnten und es auch die diversen, emanzipierten, mutigen und klugen Frauengestalten sind, die uns in Bezug auf das Mittelalter im Gedächtnis bleiben sollten. Dass wir diese weibliche Perspektive und die vielen Protagonistinnen nicht kennen, liegt an den männlichen Torwächtern der Vergangenheit: Den Historikern der letzten Jahrhunderte, die, mal bewusst, mal unbewusst, ihre Geschichten aus der Historie tilgten. Das bedeutet aber nicht, dass die Quellen verloren sind: Sie müssen nur mit einem anderen Fokus ausgewertet werden. Und genau das tut die Oxford-Historikerin Janina Ramirez und erweckt die Lebensrealitäten mittelalterlicher Frauen und damit eine ganze Epoche zu neuem Leben.   

»Es ist an der Zeit, dass diese Geschichten ein größeres Publikum finden. Sie haben lange genug gewartet.« THE SPECTATOR 

»Ein einzigartiger Pageturner.« Olivette Otele

Über Janina Ramirez

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Janina Ramirez

Femina

Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen

Aus dem Englischen von Karin Schuler

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Für die an die Zeit verlorenen Frauen, für jene, die nach ihnen Ausschau halten, und für jene, die mir von ihnen erzählten.

Für D, K und K

»Ich, das feurige Leben der göttlichen Wesenheit, flamme über die Schönheit der Fluren, leuchte in den Wassern und brenne in der Sonne, dem Mond und den Sternen.«

Hildegard von Bingen1

Vorwort

Die Frauen des Mittelalters sind alles andere als »unauffindbar«.1 Entwicklungen in der Archäologie, technische Fortschritte und eine Offenheit für neue Blickwinkel ermöglichen uns heute ihre Wiederentdeckung, es gibt so viele andere, neue Wege, sich der Geschichte und den Frauen in ihr zu nähern.

Ich schreibe mit diesem Buch die Geschichte nicht um. Ich verwende dieselben Fakten, Gestalten, Ereignisse und Belege, die uns schon immer zur Verfügung standen, kombiniert mit neueren Erkenntnissen und Entdeckungen. Der Unterschied liegt darin, dass ich den Fokus verschiebe. Der Schwerpunkt liegt auf weiblichen statt auf männlichen Persönlichkeiten. Beide tauchen in den Erzählungen auf, und nur in Beziehung zu dem oder der jeweils anderen können wir sie wirklich verstehen. In diesem Buch geht es um einzelne Menschen, bereichernd in ihrer Komplexität und faszinierend in ihrer Vielfalt. Und es geht um Gesellschaften – Gruppen von Menschen, die vor einem Hintergrund sich wandelnder politischer und ökonomischer Gegebenheiten, Glaubensüberzeugungen und Machtkonstellationen zusammen und gegeneinander arbeiten. Der Blick auf das Leben und die Geschichten von Frauen eröffnet ein einzigartiges Prisma mit neuen und bisher übersehenen Perspektiven.

Frauen haben immer etwa die Hälfte der Weltbevölkerung gestellt. Dennoch sind die Helden der Historiographie fast ausschließlich Männer. Wir wissen außerdem so viel über die wenigen Reichen und Mächtigen, aber was ist mit den vielen Armen und Bedürftigen? Auch die ganz Alten und ganz Jungen werden oft übersehen, ganz zu schweigen von Menschen mit Behinderungen, die auch kein modernes Phänomen sind, ebensowenig Menschen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen oder sich nicht in gängigen Geschlechterrollen wiederfinden. Und doch lesen wir über diese Themen wenig in den Geschichtsbüchern. In letzter Zeit haben wir zwar große Fortschritte dabei gemacht, die Themenfelder Ethnizität und Einwanderung historisch aufzuarbeiten, aber auch dort gibt es noch viel zu tun. Die mittelalterliche Welt war im Fluss, sie war kosmopolitisch, mobil und offen. Jede größere Stadt war voller Individuen, die sich in Hinblick auf ihre Hautfarbe, ihr Alter, ihren sozialen Hintergrund, ihre Religion und ihr Erbe unterschieden. Sorgen wir dafür, dass auch sie wieder in den Geschichtsbüchern auftauchen.

Es gibt so viele übersehene Zeiten, Gruppen und Einzelpersonen, die unsere Beziehung zur Vergangenheit bereichern können, und in diesem Geiste lege ich Ihnen dieses Werk vor. Es ist der Anfang eines Gesprächs, und ich ermutige alle, die es lesen, sich daran zu beteiligen. Es gibt zahllose noch nicht erkundete Straßen und verlockende, wenig begangene Wege. Die Geschichte ist organisch, und unser Zugang zu ihr verändert sich. Wie jedoch Einzelne Geschichte niedergeschrieben haben, spiegelt nicht nur die Zeit wider, über die sie schreiben, sondern auch die Zeit, in der sie schreiben. Eine neue Sicht auf die Vergangenheit kann die Gegenwart beeinflussen. In Zeiten kolonialer Expansion, in denen Sklavenhandel etwas Wünschenswertes darstellte, fütterten die Historiker ihre Leser:innen mit positiven Geschichten von »Entdeckern«2 und Eroberern. Als Soldaten gebraucht wurden, bereit, für König und Vaterland zu sterben, gaben die Historiker ihrer Leserschaft Helden und Krieger. In einer Gesellschaft, die männliche Dominanz und weibliche Unterordnung guthieß, lieferten die Historiker eine männlich orientierte Geschichte.

Und was ist mit der Geschichtsschreibung heute, zu einer Zeit, in der so viele eine Gleichheit der Geschlechter fordern und Gerechtigkeit anstreben? Kann der Blick in die Vergangenheit den Blick in die Zukunft beeinflussen? Das Narrativ dieses Buches stellt Frauen des Mittelalters in den Mittelpunkt, die über eigene Handlungsmacht verfügten. Das ist mein Weg, die Spur zu wechseln, neue Pfade zu begehen. Ich weiß, dass damit eine gewisse Voreingenommenheit verbunden ist, wie alle Geschichtsschreibung von ihrem ganzen Wesen her subjektiv ist, egal, wie sehr wir uns um Objektivität bemühen. Doch ich hoffe, durch die Geschichten einiger bemerkenswerter Frauen zeigen zu können, dass historische Quellen inklusiver erforscht werden und wir die Vergangenheit mit neuen Augen sehen können. Man kann nicht sein, was man nicht sehen kann. Also machen wir uns auf die Suche nach uns selbst in dem, was vorausging, und definieren neu, was uns wichtig ist, wenn wir als Gesellschaft auf unserem Weg weitergehen.

1

Macherinnen

2006 Loftus, Bezirk Redcar and Cleveland, England

Die Street House Farm liegt an einer Straßenkreuzung am nördlichsten Rand der North York Moors, in einer wilden, von Stürmen gepeitschten Landschaft. Weit draußen jenseits des letzten Feldes donnert das Meer gegen die nackten Felsen. Die Kleinstadt Loftus im Bezirk Redcar and Cleveland liegt gerade einmal anderthalb Kilometer südöstlich der Farm. Wir befinden uns im Land von Wordsworth, der Region, die Bram Stoker zu »Dracula« inspirierte und in der die meisten alten Bäume in Nordengland stehen.1 Wenn diese Bäume reden könnten, würden sie zahllose Geschichten über all das erzählen, was in dieser Landschaft passiert ist. In unserer Geschichte geht es um Steve Sherlock, einen archäologischen Detektiv (mit einem zufällig sehr treffenden Nachnamen). Seit vier Jahrzehnten erforscht Steve die Rätsel dieses Geländes, die mehrere Jahrtausende zurückreichen.2

Steve kennt diesen Flecken Erde wie seine Westentasche, er ist an der Küste in Redcar aufgewachsen und hat diese Felder sein ganzes Leben lang nach Schätzen und Antworten durchwühlt. Zwischen 1979 und 1981 gehörte er zu einem Team, das jungsteinzeitliche Steinhügel, so genannte Cairns, und eisenzeitliche Siedlungen auf diesem unscheinbaren Stück Land rund um die Street House Farm freilegte. Besonders eine Entdeckung macht die Grabungsstätte so besonders: ein einzigartiges Bauwerk, das man mit der Radiokarbonmethode auf die Zeit um 2200 v. Chr. datiert hat. Es ist nur als eine Reihe von Pfostenlöchern erhalten geblieben, war aber ursprünglich eine runde Einhegung mit einem Durchmesser von etwa acht Metern, die aus 56 aufrecht stehenden Holzbalken mit einer seltsamen Aufschüttung in der Mitte bestand.3 Lücken zwischen den Pfosten lassen vermuten, dass Menschen sich in einer Prozession oder Zeremonie zwischen ihnen hindurchbewegten. In Ermangelung anderer überzeugender Vorschläge wurde sie zu einer »Ritualstätte« erklärt, an der unbekannte, uralte Zeremonien stattgefunden haben, und »Wossit« (von what-is-it?) genannt.4 Sie erinnert uns daran, dass unsere Forschungen, wenn wir in die Zeit zurückschauen, nur vorläufig sein können und wir uns immer wieder die Frage stellen müssen, womit wir es eigentlich zu tun haben.

Abb 7 · Rekonstruktion des Street-House-»Wossit«, Loftus, Spätes Neolithikum, um 2200 v. Chr.

Ganz sicher war die jetzt so abgelegene und isolierte Farm auf dem Hügel einst ein Ort voller Menschen, Lärm, Bewegung und Leben. Überall auf den Äckern finden sich Überreste von Bauwerken, die Jahrtausende alt sind, darunter auch das offiziell »älteste Haus« von Teesside, das noch vor Stonehenge errichtet wurde. Jahrzehnte, nachdem er die Pfostenlöcher des Wossit aus dem Boden hatte auftauchen sehen, waren es die Umrisse einer rechteckigen Einfassung auf einer Luftaufnahme, die Steves Interesse weckten. Umgeben von einem eisenzeitlichen Graben waren dort Spuren von Gebäuden zu sehen, darunter mehrere Rundhäuser. Eigentlich war Steve hierhergekommen, um eine vorrömische Welt zu entdecken, doch ein bescheidener Erdhügel fast in der Mitte ließ ihn ahnen, dass es hier noch etwas anderes Spannendes zu erforschen gab.5

Auf dem Gebiet befanden sich 109 Gräber, die die Grundrisse älterer, eisenzeitlicher Rundhäuser durchschnitten, aber innerhalb des Rahmens der Einfassung systematisch angeordnet waren. Jedes einzelne war sorgfältig in den Boden eingetieft, so, dass es genug Raum für einen auf der Seite liegenden Leichnam in embryonaler Haltung bot. Knochen waren nicht mehr zu finden – der saure Boden hatte alles Organische aufgelöst –, doch allmählich tauchten gewisse Hinweise auf, während das Team die einzelnen Bodenschichten abtrug: Perlen, Metallstücke und Teile erodierter Waffen ließen vermuten, dass diese Bestattungen nicht eisenzeitlich, sondern frühmittelalterlich waren. Vor allem aber schienen sie aus einer Epoche zu stammen, in der sich in diesem Teil Nordenglands gerade eine ideologische Revolution vollzog. Man konnte sie auf die Zeit datieren, in der das Christentum entlang der northumbrischen Küste seine ersten Wurzeln schlug.

Der wichtigste Fund verbarg sich allerdings in dem Erdhügel in der Mitte des Friedhofs. Die anderen Gräber orientierten sich in ihrer Ausrichtung an der Einfassung und rahmten so diesen Bereich aufgeschütteter Erde ein. Als er das zentrale Grab öffnete, stieß Steve im wörtlichen wie im übertragenen Sinn auf Gold; er fand unter anderem schönen, symbolträchtigen frühmittelalterlichen Schmuck allerbester Qualität. Das Individuum in diesem alle anderen Gräber überragenden Hügelgrab war denjenigen, die ihre Lieben sorgfältig rundherum bestattet hatten, ganz offenbar wichtig gewesen. Und es war auch dem archäologischen Team wichtig, das hier 1400 Jahre später arbeitete. Dies war das Grab einer Führungsfigur, einer Person, die die Gemeinschaft geschätzt hatte, die Macht, Reichtum und Einfluss besessen hatte. Es gibt nur wenige Hinweise darauf, wer hier warum bestattet wurde. Um das zu verstehen, müssen wir uns unter die Menschen mischen, die im 7. Jahrhundert in Loftus lebten, und uns die Gegenstände, die sie im Boden ablegten, genauer ansehen. Vor uns erscheint so das Bild einer nordenglischen Gesellschaft, die vom Wandel erschüttert wird, aber noch an der Vergangenheit festhält.

Willkommen im Loftus des 7. Jahrhunderts

Die salzige Luft brennt auf der Haut, während man auf die aufgewühlte Nordsee hinausblickt. Deren Wellen verbinden eher, als dass sie trennen: diesen Vorsprung der nordenglischen Felsküste mit Skandinavien, Deutschland und weiter mit fernen Ländern im Süden und Osten. Die Schiffe, die am Strand liegen, sind die Pferde des Meeres, sie erlauben internationales Reisen und verheißen unbekannte Reichtümer. Landeinwärts erstreckt sich ein seltsames Terrain. Der Boden weist alle möglichen Erhebungen auf, das Echo großer, jahrhundertealter Bauten. Steine von römischen Gebäuden liegen herum, und ein paar neue Holzhäuser erheben sich zwischen Grabhügeln und aufgeschütteten Gräben.

Abb 8 · Rekonstruktion der archäologischen Stätte des 7. Jahrhunderts nahe Street House, Loftus, von Andrew Hutchinson © Andrew Hutchinson und Stephen Sherlock.

Gerade findet eine Zeremonie statt. Eine Menschenschlange zieht in einer Prozession durch eine Abfolge weiter Öffnungen in den uralten, eisenzeitlichen Umfassungsmauern, dann auf eine quadratische Fläche, etwa halb so groß wie ein Fußballfeld. Die Menge sammelt sich und bewegt sich auf eines der neuen Holzhäuser zu. Es ist ein schlichter Bau mit nur einem Eingang in einen dunklen Raum. Drinnen liegt jemand bewegungslos und friedlich auf dem Rücken, gekleidet in eine kostbare Robe mit glitzerndem Gold auf der Brust – und ganz eindeutig tot. Links von diesem kleinen Gebäude sieht man einen großen Haufen frisch aufgeworfener Erde neben einem Loch. Wenn man in das Loch hinunterschaut, entdeckt man dort etwas Überraschendes – ein wunderbar geschnitztes und aufwändig geschmücktes Bett. Es ist mit Pelzen und kostbaren Stoffen bedeckt, ein weiches Kissen liegt vor einem stabilen Betthaupt aus Esche.

Hinter dem Erdhügel erhebt sich ein weiterer Holzbau. Die Türen stehen offen, und im Inneren erhellt der Glanz von Kerzen die schummrige Luft.

Auf einer erhöhten runden Plattform neben dem Erdloch stehen die Anführer:innen der Gemeinschaft in ihrer besten Kleidung – rot, grün und gelb gefärbte Wolle, gesäumt mit exotischen Stoffen wie Seide von jenseits der Meere. Goldknöpfe und verzierte Spangen glitzern zwischen den Stofffalten, die Frauen tragen mehrere Perlenketten auf der Brust. Feierlich beobachten sie, wie die Menschen sich auf sie zubewegen und allmählich die Anlage füllen. Die Erhabenen und die Arbeitenden, die Großen und die Vielen – sie alle sind hier, um einer Person ihren Respekt zu erweisen. Bald wird sie auf ihr Bett gelegt werden, um dort für alle Ewigkeit zu ruhen, umgeben von jahrtausendealten Vorfahren. Sie wird eins mit der Landschaft werden. Diese Menschen sind hier, um ihrer zu gedenken, aber die Bestattungsriten sind auch eine deutliche Erinnerung daran, wie sie alle eines Tages mit einem Platz verschmelzen werden, dessen Geschichte bis in die mythische Vorzeit zurückreicht.

Die Geheimnisse von Grab 42

Das frühmittelalterliche Gräberfeld in Loftus ist ungewöhnlich. Mehr als 100 Gräber sind in einem Rechteck mit sehr klaren Umrissen angeordnet. Sie alle wurden, wie bei christlichen Bestattungen üblich, in Ost-West-Richtung angelegt, mit dem Kopf zur aufgehenden Sonne hin.6 Drei Gräber liegen im Zentrum des Friedhofs, denen Steve Sherlock die Nummern 41, 42 und 43 gegeben hat. Von diesen wurde einem eine viel aufwändigere Behandlung zuteil als den anderen. Grab 42 hatte einen Grabhügel über der eigentlichen Grablege, so dass man es schon aus der Ferne erkennen konnte. Knochen, Holz und Stoff sind verschwunden, doch die verbliebenen Metallgegenstände liefern deutliche Hinweise darauf, wie die Beisetzung ursprünglich aussah. Erodierte Eisenklammern und mit Schnörkeln verzierte Beschläge des Kopfstücks sind alles, was von einem sehr aufwändig gearbeiteten Holzbett noch übrig ist. Es ist beileibe nicht die einzige Bettbestattung, die man in England gefunden hat, aber es ist die einzige so weit im Norden.7

Auf dem Bett, etwa dort, wo sich wohl einst der Brustkorb des Leichnams befand, gab die Erde einige kostbare Funde frei. Da waren zunächst zwei Anhänger mit auf Hochglanz polierten roten Cabochons – glatt geschliffenen Schmucksteinen, groß und mit exotischer Anmutung. Drei Perlen – zwei von ihnen blau, die dritte aus Golddraht –, die ursprünglich auf ein Halsband gezogen waren, lagen direkt daneben. Doch der außergewöhnlichste Fund war das Schmuckstück in der Mitte, ein goldener Anhänger in Schildform mit Reihen von Cloisonné-Emaille rund um einen fast zwei Zentimeter großen Granat in Form einer Jakobsmuschel. Es war der erste Fund dieser Art, und er ließ vermuten, dass die in Grab 42 geehrte Person überaus wichtig war – höchstwahrscheinlich ein Mitglied des Königshauses oder des Adels. Außerdem legte er nahe, dass es sich um eine Frau handelte.8

Abb 9 · Anhänger aus Granat und Gold aus Grab 42, Street House, Loftus. © Stephen Sherlock.

Da es keine Knochen gab, die man analysieren konnte, basierte die Geschlechtszuweisung aller Bestatteten von Street House auf den Funden. Waffen und Klingenpaare galten als männliche Objekte, Perlen, Schlüssel und Schmuck dagegen waren weiblich konnotiert. Diese Unterscheidung ist natürlich nicht genau, wie sich an anderen archäologischen Stätten mit Skelettresten gezeigt hat. So wurde auf dem nahe gelegenen Friedhof von Norton, Cleveland, ein Mann gefunden, der nicht nur mit Waffen, sondern auch mit einer Perle beigesetzt worden war, und auch Frauen bekamen Messer oder Schwerter ins Grab gelegt.9 Auf der anderen Seite der Nordsee gibt es sogar Beisetzungen, bei denen die Funde eindeutig männlich konnotiert sind, während die Knochen von Frauen stammen. Man geht allerdings ganz allgemein davon aus, dass Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit mit Schmuck bestattet wurden.

Der Granatanhänger liefert faszinierende Informationen über seine Trägerin und die Welt, in der sie lebte. Nur jemand Wichtiges wurde mit solchen Ehren und so kostbaren Schätzen begraben wie die »Loftus Princess«. Cloisonné-Schmuck kam in den Eliten-Gräbern der Zeit immer wieder vor, ähnliche Stücke finden sich in der Schiffsbestattung von Sutton Hoo, der Beisetzung mit den üppigsten Grabbeigaben, die je in England entdeckt wurden. Und in demselben Jahr, in dem die Loftus-Prinzessin ausgegraben wurde, fand der Sondengänger Terry Herbert nahe Lichfield mit seinem Metalldetektor atemberaubende 3500 Cloisonné-Stücke. Dieser »Schatz von Staffordshire« ist die bisher größte Sammlung angelsächsischer Gold- und Silberarbeiten, die je gefunden wurde.10