Feuerlilien - Clarissa Sander - E-Book

Feuerlilien E-Book

Clarissa Sander

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Beschreibung

Die Fotografin Anna Magnus fährt ins Tessin, um dort nach neuen Motiven zu suchen. Sie trifft dort nicht nur auf die üppigen Farben und Düfte des Frühlings, die kargen Felsen, wilden Wasserfälle und blühenden Bäume der Gegend, sondern auch auf den charmanten Galeriebesitzer Alexander Rostov. Die beiden sind wie Feuer und Wasser, und zwischen Anna und Alexander entfachen sich fast schrankenlose Leidenschaften...

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Seitenzahl: 205

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Clarissa Sander
Feuerlilien
Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg
Copyright der Originalausgabe © 1996 by Clarissa Sander
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Jouve
Inhaltsverzeichnis
Titel - Untertitel (/Genre)ImpressumIRRLICHTAUGERUHELOSE DUNKELHEITENMITTERNACHTSSONNE
The glory of love might see you through.
IRRLICHTAUGE
Die Steine schimmerten silbrig in der Sonne. Das eisgrüne Wasser, das neben ihnen herabrauschte und kleine Teiche bildete, war klar und wirkte so frisch, daß Anna meinte, den Duft des Tals auf der Zunge zu spüren.
Es war kein besonders gutes Foto; einfach ein Bild in einer Zeitschrift. Anna kniff die Augen zusammen, nahm jedes Detail in sich auf. Sie hatte eine Ahnung davon, wie sie selbst diese Felsen und das Wasser fotografieren würde. Auf ihren Fotos geschahen Dinge, die man sonst nur im Traum erlebte. Räume wurden riesig oder winzig, schemenhafte Wesen rührten sich, selbst das helle Licht wurde zweideutig.
Wie Haut muß sie wirken, die Oberfläche der Felsen, dachte sie. Sie stand auf, ging im Atelier umher. Das Klacken ihrer Absätze auf dem Boden störte sie. Die Leere in ihr war quälend. Zu viele Auftragsarbeiten, läppische Jobs, des Geldes wegen. Sie hatte einen Namen als Fotografin, doch von ihren eigenen Arbeiten konnte sie noch nicht leben.
Sie trat ans Fenster, sah auf die Straße hinunter. Das Licht war flau, kraftlos. Der Winter wollte nicht weichen, nicht einmal Ende März. Die »Seidenquellen« finden, dachte sie. Ihre Ausstellung mit diesem Titel sollte in einem Monat eröffnet werden, doch das Material war noch nicht aufregend genug. Keine Sensationen. Nichts, was beunruhigte. Kein Bild dabei, das neue Pforten öffnete.
Die Leute, die auf dem Gehsteig dahinhasteten, froren, äußerlich und innerlich. Sie hatten den Kopf eingezogen und die Hände in den Manteltaschen vergraben. Anna wandte sich ab. Sie mußte noch einmal auf Motivsuche gehen. Licht finden. Eintauchen in Gefühle, die sie erschütterten. Sich lösen aus der Winterstarre.
Die Männer hatte sie in den letzten Monaten noch schneller als sonst fortgeschickt. Länger als ein paar Stunden ertrug sie keinen.
Männer waren wie Nahrung für Anna. Sie verleibte sie sich ein. Kostete ihre Haut. Trank ihre Wärme. Dann waren sie aufgezehrt. Die Erinnerungen waren flüchtig. Wie sich ihr Haar anfühlte, eine Stimme, ein Duft.
Sie dachte an Robert, den Kritiker, der über ihre Bilder geschrieben hatte, sie seien »wie Schatten in der Nacht«. Seine wissenden Augen, sein ernstes Lächeln hatten sie berührt, und sein sehniger, fester Körper, seine schnörkellosen Berührungen hatten sie erregt. Eine Weile hatte sie glauben wollen, daß Leidenschaft wiederholbar sei, doch sie war geflohen, bevor er sie vom Gegenteil überzeugen konnte. Sie brauchte die Fremdheit. Vertrautheit langweilte sie.
Sie dachte an Eidechsen. Ihr Blut war kalt, nur in der Wärme bewegten sie sich. Im Tessin lagen sie jetzt auf den Mauern und sonnten sich. Sie wollte es ihnen gleichtun.
Das Licht war so hell, daß es keine Luft mehr zu geben schien, als der Zug in der italienischen Schweiz aus dem Gotthardtunnel herausfuhr. Sie hatte sich in der Sonne aufgelöst. Gleißende weiβe Schneeflächen, braune Felsen, über die gischtendes Wasser zu Tal stürzte. Dürre, winterfahle Grasmatten, die sich in der Wärme zu räkeln schienen.
Der Zug wand sich durch Tunnel und Kurven talwärts. Als er sich der Ebene näherte, tauchten leuchtend gelbe Bäume auf, strotzend vor Blüten: Mimosen. Das Gras schimmerte saftig grün. Der Winter war vorüber.
Anna seufzte und schloß einen Moment die Augen. Die intensiven Farben strengten sie an.
Sie hatte eine Nachtfahrt hinter sich und fühlte sich staubig und müde. Doch sie spürte ihre Fototasche mit der Kamera neben sich und merkte, wie sich in ihr die Spannung auf die neuen Motive aufbaute. Sie empfand immer eine Art Jagdfieber, bevor sie mit einer neuen Arbeit anfing.
Es tat gut, die Stadt zu verlassen. Bewegung. Der Zug hatte sie durch die Nacht gefahren, dem Neuen entgegen.
Die kleinen Ortschaften an der Bahnstrecke wirkten beiläufig, als hätten sie sich daran gewöhnt, nur Durchgangsstationen zu sein, auf dem Weg zu glanzvolleren Zielen. Dem legendären Künstler-und-Millionärs-Dorf Ascona am Lago Maggiore. Locarno, der Filmstadt am Fuß der Berge.
In Bellinzona stieg Anna aus, machte sich auf die Suche nach der Autovermietung. Ein paar alte Stadthäuser im Palazzo-Stil. Ein heruntergekommenes Hotel mit staubigen Jalousien, das aussah, als hätte seit Jahrzehnten keiner mehr dort übernachtet. Bars mit schmuddeligen Markisen. Auch diese Stadt strahlte etwas Vergessenes aus. Schläfrig brütete sie in der strahlenden Frühlingssonne, am Fuße von drei kargen grauen Trutzburgen.
Anna mietete sich einen dunkelblauen Fiat Uno. Das kleine Auto schaltete sich ruppig und flink, ideal für ihre Fahrten in die Täler.
Am Straßenrand immer wieder prachtvolle lachsrosa und purpurrote Kamelienbäume in voller Blüte. Linker Hand kam der See in Sicht, glatt und azurblau. Die schneebedeckten Gipfel der Berge schimmerten im Mittagslicht.
Anna machte nicht in Locarno halt, sondern fuhr weiter nach Ascona, wo sie ein Hotelzimmer reserviert hatte. Sie sehnte sich nach einer Dusche und gutem Kaffee.
Die Pension lag in einem der Gäßchen im alten Stadtzentrum. Annas Zimmer war klein, aber gemütlich wie in einer Bauernkate und ging auf einen Innenhof hinaus. Um eine Pergola wanden sich knorrige Weinranken, an denen sich die ersten hellgrünen Blättchen zeigten. Eine lachsrosa Kamelie und ein Zitronenbaum in Holztöpfen. Granitbänke und -tische.
Sie duschte, zog sich um. Einen schmalen schwarzen Rock und ein enges Top, Pumps, malvenroter Lippenstift. Anna konnte enge Sachen tragen, ohne vulgär zu wirken, weil ihr Körper fast knabenhaft und ihr Gesicht mit den großen dunklen Augen so verschlossen war, daß sie immer rätselhaft und unergründlich sanft wirkte, niemals aufreizend. Manche Männer verloren sich an ihren Zauber. Wenn sie fort war, geisterte sie im Hintergrund ihrer Blicke herum, sobald sie eine andere Frau ansahen. Und keine war wie Anna.
Als sie aus ihrer Pension trat, ließ sie sich vom Wassergeruch durch die Gassen zum See führen, saß in einem Café an der Uferstraße, blickte über den Lago Maggiore. Dunstige Blautöne, das Wasser mattsilbrig, in der Biegung nach Italien hin verschwammen die Linien der Berge. Im Vordergrund streckten die eselsgrauen Platanen am Ufer gichtig ihre Äste zum Himmel, grotesken Skulpturen gleich.
Gegensätze, dachte Anna, Gegensätze werden ein Thema sein. Diese Landschaft hat zwei Gesichter. Angesichts der Lieblichkeit hier war die Rauheit der Täler kaum vorstellbar.
Die Menschen nahm sie kaum wahr. Touristen, eine gesichtslose Masse, die auf ihren Bildern nie vorkam. Anna fotografierte keine Menschen. Porträts fand sie uninteressant. Wenn es auf ihren Fotos Personen gab, waren sie verschwommen, wendeten sich ab oder wirkten wie Requisiten in einer künstlichen Landschaft.
Sie schlenderte durch die Gassen, nahm Licht und Schatten wahr, Winkel, die schartige Struktur des grauen Granitsteins, aus dem hier fast alles gebaut wurde. Der Eingang zu einem Innenhof fiel ihr auf. Die dunklen Ecken in dem Hof waren intensiv, kühl, als wären sie nie von der Sonne berührt worden. In einer Ecke stand ein großes altes Keramikgefäß, unbepflanzt. Als Anna den Hof betrat, legte sich Stille um sie wie ein schweres seidenes Gewand.
Linker Hand befand sich eine kleine Galerie. Strahler beleuchteten Gemälde, doch Anna sah die Bilder nur als wirr farbigen Hintergrund. Ihr Blick verharrte auf einem großen schlanken Mann in einem dunklen Anzug, der vor einem der Bilder stand, in die Betrachtung versunken. Er wandte ihr den Rücken zu.
Sie bewegten sich beide nicht. Dann drehte sich der Mann ruckartig um und sah Anna an.
Furcht und Zorn in den Augen und etwas Unbestimmbares, das darunter aufflackerte. Das Gesicht, gezeichnet von scharfen Linien, blieb beherrscht, fast starr. Nur der Mund bewegte sich. Ein halbes Lächeln, leicht verwundert. Der Mann kam zu der offenstehenden Glastür. Seine Bewegungen hatten etwas Hastiges, Unkontrolliertes. »Treten Sie doch ein«, sagte er. Die Stimme kehlig, verwehend. Anna spürte ein winziges beunruhigtes Zittern in sich; etwas hob den Kopf und gab einen seltsamen Ton von sich. Dann schwieg es wieder.
Sie trat an ihm vorbei in den hell erleuchteten Raum, der ihr eng vorkam, den Atem nahm. Hier waren alle Schatten verbannt, ein Zustand, den sie schlecht ertrug.
Sie fühlte, wie groß der Mann war, als sie an ihm vorbeiging. Und ein Schrecken durchfuhr sie, als habe sie plötzlich bemerkt, daß sie nackt war: Sie hatte ihre Kamera nicht dabei. Manchmal zwang sie sich dazu, nur mit den Augen zu fotografieren, um präziser zu sehen, Spannung aufzubauen, die Veränderung zu ertragen, die ein Motiv durchmachte, bis sie wiederkam und es festhalten konnte. Es war eine Art Übung für sie. Sie fühlte sich dann immer, als fehle ihr ein Körperteil, doch in diesem Moment kam sie sich völlig entblößt und schutzlos vor. Wie in einem schlechten Traum, in dem ihr nur das Weglaufen blieb, weil sie nichts hatte, um sich zu wehren.
Er machte eine ausladende Armbewegung. »Willkommen im Reich des Alexander Rostov«, sagte er. Er beobachtete sie genau.
Anna war über ihre eigene Reaktion überrascht. Es war, als hätte sie einige Schritte ausgelassen:
Sie seufzte. Ergeben, weil der Mann ihr unheimlich war, sie aber faszinierte. Zärtlich, weil sie etwas an ihm zu verstehen glaubte und gerne tröstend seine Hand genommen hätte. Müde, weil sie wußte, daß Nähe zu ihm sie erschöpfen würde. Mit all diesen Gefühlen wollte sie nichts zu tun haben.
»Hallo, Alexander«, sagte sie.
»Das sind schreckliche Bilder.« Sie sah nur abgetrennte Körperteile, in einer Farbigkeit, die sie an Innereien erinnerte. Die senfgelben, rostroten, olivgrünen Linien und Kleckse ähnelten verschlungenen Gedärmen.
Alexander lachte. Das Lachen klang gespalten; ironisch und dabei dünn und abstoßend, aber auch amüsiert, auf gewisse Art geschmeichelt. Hier bekam seine Stimme Tiefe, eine dunkle Färbung, die Anna auf der Haut spürte. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, dann ging er zu einem Metallschrank neben dem Empfangstisch und nahm zwei Gläser und eine Flasche Campari heraus. »Möchten Sie einen Drink?« fragte er. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Eine alte flache Uhr, elegant, wie es sie nur in den Zwanzigern gab. Ein Erbstück, dachte Anna. »Noch anderthalb Stunden bis zur Apéro-Stunde«, sagte er. »Aber wir dürfen schon, oder?«
»Ich trinke nicht nach der Uhr«, sagte Anna.
Er warf ihr ein halbes Lächeln zu. Ein Grübchen bildete sich im rechten Mundwinkel. »So hatte ich Sie auch nicht eingeschätzt.«
Er ging in einen Nebenraum, kam mit Eiswürfeln und Wasser zurück und mixte ihnen einen Drink mit der hibiskusroten Flüssigkeit. »Zum Wohl«, sagte er, als er ihr das Glas reichte, und sein Blick, den sie nicht abfangen, nicht mildern, nicht verhindern konnte, fühlte sich an wie eine Verletzung. Sie hatte sich einmal mit dem Schraubenzieher am Finger verletzt, als sie eine Schraube festziehen wollte und abgerutscht war. Eine schmerzhafte abrupte Hitze, quellende rote Flüssigkeit. Der Blick wollte Machtspiele, und er war bedürftig. Ihr Drink schmeckte bitter und kühl, und sie war froh darum.
»Der Künstler kommt aus Finnland«, sagte Alexander. »Er hat einen großen Namen dort, und wie ich finde, zu Recht.«
»Ich sehe das Leben anders«, sagte Anna. Sie wandte sich ab, entfernte sich, ging die Reihe der Bilder entlang.
»Wie denn?« fragte Alexander hinter ihr. Sie hörte das Lächeln. Ihr Ausweichen amüsierte ihn. Sie ging weiter, bis sie zu dem Empfangstisch kam; dann stellte sie ihr Glas ab und drehte sich um. »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie.
Er sah überrascht aus, doch er nickte. »Ich finde, Sie sollten wiederkommen und mit mir zu Abend essen«, sagte er. Er ging zu dem Tisch, nahm aus einer Schublade eine hellgraue Visitenkarte, reichte sie ihr. »Ich würde wirklich gerne wissen, wie Sie das Leben sehen«, sagte er, mit einem fast bittenden Unterton, der Anna konfus machte und ihren Fluchtdrang verstärkte.
Zu viele widersprüchliche Impulse, zu heftige Gefühle. Sie wußte nicht, wie sie sich verabschieden sollte. »Danke für den Drink«, sagte sie und ging hinaus. Sie fühlte sich wie ferngesteuert, ihre Glieder mechanisch. Erst als sie den Innenhof verlassen hatte, erst als sie wußte, daß er sie nicht mehr sehen konnte, spürte sie ihren Atem wieder.
Sie ging lange durch die Gassen, aber sie sah nicht viel, ein fremder Zustand. Ihr Blick blieb irgendwo in ihrem Inneren haften, wo er Alexanders Gesicht und seine Bewegungen abtastete, zu deuten versuchte, was seine Augen gesagt hatten. Als sie zu ihrem Hotel zurückkam, fühlte sie sich, als habe sie einen langen Marsch durch eine fremde, unwegsame Landschaft hinter sich. Sie legte sich, angezogen, mit Schuhen, auf die Überdecke ihres Betts und schlief ein.
Sie spürte im ersten Moment, als sie auf die Bühne trat, daß etwas nicht stimmte. Ihr schwarzes Kleid glitt seidig über ihre Haut, wehte bei jedem Schritt schwer um ihre Beine, wie jeden Abend. Ihre Füße in den hohen schwarzen Pumps fühlten sich entblößt und aufreizend an, der Spann bog sich lasziv den Männern entgegen, die im Publikum saßen. Es waren auch Frauen da, doch deren Energie spürte sie nicht. Sie wurde erhitzt vom Begehren der Männer. Sie versprach viel, doch keiner würde sie je besitzen. Sie sang ihre Lieder mit ihrer nachtblauen Stimme, ihr Kleid fiel auf, zeigte ihr schlankes Bein, ihre Brüste hoben und senkten sich unter dem glänzenden Stoff, ihr Mund war verletzlich und lüstern - doch keiner von denen würde sie je berühren. Sie hatte Macht über sie. Eine Göttin der Nacht, die flüsterte, lachte, lockte und verschwand, wenn man die Hand nach ihr ausstreckte.
Doch an diesem Abend war etwas anders. Sie spürte das beunruhigende Vibrieren aus dem Publikum. Dort saß jemand, der ihr ebenbürtig war. Dort saß ein Mann, der ihre Macht in Frage stellte. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie etwas wie Angst. Ein Schatten hatte sie gestreift. Ihre Haut fühlte sich heißer an als sonst. Das Blut zwischen ihren Beinen pochte, und glitzernde Spuren von Nässe hafteten an den Innenseiten ihrer Schenkel. Wie immer trug sie keine Wäsche. Das verlieh dem heiseren Hauchen ihrer Lieder den unwiderstehlichen Zauber.
Sie trat in das grelle heiße Licht, empfing ihr Publikum mit offenen Armen, wie man es von ihr gewohnt war, doch nicht einmal der Applaus, in dem sie sonst badete wie in Champagner, beruhigte sie heute. Sie hob das Mikrophon, führte es an ihren Mund, wollte den ersten Ton singen, doch es schien in ihrer Hand zu pulsieren, warm, samtig, geädert. Wie das Glied eines Mannes.
Panik erfaßte sie. Sie wußte jetzt, daß sie unter einem Bann stand. Ein Hexer blickte zu ihr herauf und setzte seine Kräfte ein. Er wollte sie gefügig machen.
Sie atmete tief durch. Er sollte kein leichtes Spiel haben. Ihr Lächeln war lockend und schneidend zugleich, als sie sang »Your eyes, your eyes, scorching, loving, mysterious«.
War der Text von ihr? Er kam ihr so fremd vor ... Ein seltsam sanftes Seufzen drang aus ihrer Kehle. Das Pulsieren wurde stärker. Sie empfand fast den Zwang, sich zwischen die Beine zu greifen und die Lust zu stillen, die so überraschend von ihr Besitz ergriffen hatte. Die Säfte, die an ihren Beinen entlangrannen, schienen ihre Haut zu versengen. Ihre Nippel verlangten nach Berührung, diamantenhart. Ihr blieb keine Wahl: Sie mußte ihn mit den Augen suchen und sehen, ob sie sich mit ihm messen konnte.
Fieberhaft glitt ihr Blick die Reihen entlang. Die Gesichtslosen sah sie nicht, doch sie spürte, als sie ihm näher kam. Da. Seine Augen waren kalt und zärtlich und verschlangen sie. Sie hatte es geahnt. Die gefährlichste Mischung. In dem Moment, als ihre Blicke sich verhakten, glitt ihr Kleid von ihrem Körper, fiel zu Boden, eine seidige Schlangenhaut, die sie im Stich ließ, wenn sie gebraucht wurde, nichtsnutzig. Sie schritt auf ihn zu, nackt, den Kopf hoch erhoben. Die Unnahbarkeit, ihr wertvollstes Gut, schmolz wie Eis auf ihrem erhitzten, willenlosen Körper. Die Bänder, an denen er sie zu sich zog, waren stark und schimmernd.
Er war ihr Ebenbild, männlich. Ein hageres Gesicht, tiefliegende Augen, ein breiter, ironisch lächelnder Mund mit vollen Lippen. Er war in schwarze Seidengewänder gehüllt. Purpurrot ragte sein Glied aus dem gleitenden Stoff auf. Das Glitzern in seinen Augen, der Triumph, als ihr heiseres Hauchen ihm galt, als sie sich mit einem kehligen Seufzen auf ihn stürzte, sich durchbohren ließ, als habe sie nie etwas anderes gewollt, sie, die kalte Göttin. Sie ritt auf ihm, besinnungslos, glühend, Wachs in seinen Händen, er führte sie, seine Zunge strich frostig über ihre Nippel, sie erschauerte, verlor sich in ohnmächtigen Explosionen, sie biß sich auf die Lippen, bis sie blutig waren und er ihren Saft aufleckte. Als ihre Kräfte schwanden, hob er die Hand. Zwei gesichtslose schwarze Gestalten, Schatten, Kräfte, huschten herbei, zogen sie von ihm herunter, betteten sie zu Boden. Verbanden ihr die Augen, hielten ihre Arme, während er sich in sie ergoß. Sie wußte, sie durfte seine Lust nicht sehen, es hätte ihm die Macht geraubt. Doch sie spürte sie, er war köstlich geschwollen und ließ sich Zeit, rieb sich an ihr, tauchte in sie, und sie zuckte für ihn, strömte ihm bereitwillig entgegen. Ihr pochendes Herz hatte seine Ruhe gefunden. Das Ebenbild, das Gegenstück.
Es war dunkel, als Anna erwachte. Ihr Körper war von einer ziehenden Sehnsucht erfüllt und zugleich von einem unbestimmbaren Entsetzen. Schauer liefen über ihre Haut. Sie tastete sich ab. Sie war angezogen. Ein Traum. Sie hatte geträumt.
Sie versuchte zu orten, wo sie war. Geschirrklappern, Lachen. Durch ein halb geöffnetes Fenster drang ein weicher, pudriger Duft herein, der sie an Kristallflakons und Rüschen erinnerte. Langsam entstand das Bild dazu vor ihren Augen. Gelbe plüschige Bällchen, ein Baum in voller Blüte. Mimosen. Ascona.
Alexander. Der Mann in ihrem Traum. Die Linien seines Mundes gefährlich und verletzlich. Er verfolgte sie schon in ihre Träume. Sein Blick hatte etwas in ihr aufgerissen.
Anna setzte sich auf. Etwas schien auf ihrer Brust zu liegen, ihr den Atem zu nehmen. Sie blickte an sich hinunter. Ihre Kleider waren zerknittert, ihre Füße, bloß in den Pumps, kalt. Mühsam rappelte sie sich hoch, ging ins Bad. Sie duschte, zog sich um. Als sie in den Spiegel schaute, sah sie den wachsamen, verstörten Ausdruck in ihren Augen.
Sie aβ im Innenhof zu Abend, neben der lachsrosa Kamelie. Sie betrachtete die sanft geformten Blüten. Die frische Nachtluft klärte den Blick. Sie aβ Steinpilzrisotto, eine Spezialität der Region. Die Pilze schmeckten nach Waldboden, und sie fühlte sich erdenschwer danach, weniger durchsichtig als zuvor. Nach einem weiteren Glas Rotwein, einem herben Merlot mit einem leichten Eisenaroma, beschloß sie, den Nachmittag zu vergessen. Niemand zwang sie, von ihrer Bahn abzuweichen. Morgen würde sie in eines der Täler fahren.
Als sie zahlte, merkte sie, daß sie nicht allein sein wollte. Die Vorstellung des leeren Hotelzimmers deprimierte sie. Sie würde noch eine Weile spazierengehen.
Doch hier in Ascona hatten die Gassen jetzt eine Geschichte, die sie mit diesem Mann in Verbindung brachte. Sie wußte, wo sie an der Uferstraße abbiegen mußte, um zu der Galerie zu kommen. Deshalb ging sie kurz entschlossen zu ihrem Wagen und fuhr nach Locarno. Öffnete das Fenster während der Fahrt, ließ den Wind ihr kurzes Haar zerzausen.
Sie parkte in der Nähe der Schiffsanlegestelle und schlenderte am Ufer des Sees entlang. Er glitzerte wie mit Brillanten bestickt, schwarzblauer Samt. Auf der anderen Seeseite schwebten einzelne Lichter in der Luft, Häuser an den Berghängen. Wenige Leute waren an der Uferpromenade unterwegs, meist Paare, eng umschlungen, oder alte Männer, die ihren Hund ausführten. Niemand, der die Einsamkeit vertreiben konnte.
Unter den Arkaden im Zentrum trafen sich die Jugendlichen in den Cafés, schwatzten, flirteten. Neckende Blicke, frisch gewaschene, glänzende Haare, knappe Tops über jungen, runden Brüsten. Anna saß eine Weile dort, trank einen Espresso, genoß die Lebhaftigkeit um sie her. Lachen, heftiges Gestikulieren. Die Häuser an der Piazza, dem Hauptplatz, wirkten wie Theaterkulissen, angestrahlt, blaßrot.
Gefährten für die Nacht, ein schnelles Abenteuer, sah sie nicht, und sie fieberte jetzt danach, wollte feste Arme, die sich um sie schlossen, starke Hüften, die den ihren entgegenkamen. Einen fremden Körper und doch eine vertraute Situation, in der sie die Erinnerung an Augen vergessen konnte, die sich unter ihre Haut gruben.
Sie entfernte sich von der Hauptstraße, streifte durch stille Gassen, wo Fernsehgeräusche, Gesprächsfetzen, Gläserklirren aus den Fenstern drang. Es roch nach Spaghetti und heißem Olivenöl. Eine Kirche, hell beleuchtet inmitten der dunklen Winkel und schummrigen Sträßchen. Sie wirkte verlassen, zuviel Raum um sie in dieser Stadt, in der alles dicht beisammen stand.
Anna begann ihre Füße zu spüren, die Anstrengung des Tages. Sie wurde müde. Vor ihr ging eine Tür auf. Aus dem Hintereingang eines Restaurants trat ein Mann. Er hatte es nicht eilig, zündete sich eine Zigarette an. Die Glut glomm auf im Halbdunkel. Er war groß und kräftig gebaut, trug ein T-Shirt und enge Jeans, keine Jacke. Sah Anna zu, wie sie näher kam. Schien die Situation abzuschätzen, wie sie auch. Sie wurde schlagartig wieder wach, ging langsamer. »Buona sera«, sagte der Mann, als sie direkt vor ihm war. Sie erwiderte den Gruß; ein paar Fetzen Italienisch sprach sie, das Nötigste. Seine Stimme klang jung, glatt. Anna blieb stehen. Aus dem Fenster des Restaurants sickerte gelbes Licht, das sein Gesicht beleuchtete. Schlicht, aber offen, dachte Anna. Ein Koch wahrscheinlich, der sich nach Feierabend noch ein bißchen amüsieren will. Genau richtig.
»Ich wollte gerade was trinken gehen«, sagte der Mann auf italienisch. »Ich heiße Gianni. Möchten Sie vielleicht mitkommen?«
»Gerne«, antwortete Anna. Sie erwog einen Moment, ob sie ihn mit nach Ascona nehmen wollte, entschied sich dann dagegen. Ein bißchen Abenteuer kam ihr gerade recht. Und wenn sie dabei in einer Absteige landen würden. Sie war danach aufgelegt.
Sie gingen nebeneinander her, hielten stockend eine höfliche Konversation aufrecht. Er roch angenehm, fand Anna, nach Gewürzen, einem Hauch Limone von einem Aftershave, leicht nach frischem Schweiß. Er war tatsächlich Koch.
Er schien zu spüren, daß Anna keinen Umweg brauchte. »Wo gehen wir hin?« fragte sie. Er zuckte spielerisch die Achseln. »In eine Bar oder zu mir«, sagte er und grinste sie an. Seine schwarzen Haare waren dicht und seidig, und Anna wollte sie berühren. »Zu dir«, sagte Anna. Sie gingen über einen kaum beleuchteten Platz, in dessen Mitte ein Brunnen stand. »Küß mich«, sagte Anna unvermittelt. Gianni zog überrascht die Augenbrauen hoch, doch sein Blick war neugierig. Er zog sie zu dem Brunnen und küßte sie ungestüm, als sei ihre Aufforderung das Zeichen für ihn, sich nicht zurückzuhalten. Anna hielt seinen Kopf, verkrallte sich in seinem Haar und spürte die Erleichterung, die über sie kam, als sie ihrer Energie freien Lauf lassen konnte. Sie küßten sich, bis sie keine Luft mehr bekamen. Keuchend lösten sie sich voneinander. »Wie weit ist es noch? fragte Anna. Gianni zeigte auf die Gasse, die von dem Platz abging. »Dort hinten«, sagte er.
Ein graues halbhohes Betonhaus aus den Sechzigern. »Ich hab nur ein kleines Zimmer hier«, sagte Gianni entschuldigend, als er die Metalltür aufschloß. »Eigentlich wohne ich in Lugano. Ich bin nur während der Woche hier.«
Als sie die Treppe hinaufstiegen, spürte Anna, wie ihre Erregung schwand. Vielleicht hätte sie ihn doch mit ins Hotel nehmen sollen. Die Umgebung konnte hinderlich sein. Doch dann richtete sie den Blick auf seinen wohlgeformten Hintern in den Jeans und lockerte sich wieder. Sie würde das Ambiente ignorieren.
Sie sah sich kurz um in dem Zimmer. Eine funktionale Unterkunft, sauber. Kochnische mit Duschkabine, ein weiß bezogenes Bett, ein häßlicher hellbrauner Kleiderschrank. Die einzigen persönlichen Dinge waren ein Poster vom AC Mailand über dem Bett und ein Bild von einer schwarzlockigen Schönheit auf dem Nachttisch. »Meine Schwester«, sagte Gianni, und es klang, als könne es die Wahrheit sein. Er förderte aus einem Schrank in der Kochnische zwei Gläser und eine Flasche Cynar zutage, wirkte plötzlich verlegen. Anna trank einen Schluck von dem bitteren Aperitif, dann stellte sie ihr Glas ab und sagte: »Komm.« Er nahm sie wieder in die Arme, und die Befangenheit verflog. Anna tastete mit beiden Händen über seinen muskulösen Rücken,