Feuermeer - Clive Cussler - E-Book

Feuermeer E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Ein Verbrechersyndikat droht, Millionen von Menschen zu ermorden – das 16. Action-Abenteuer von Juan Cabrillo und seinem Team.

Während eines Einsatzes gegen Mexikos gefährlichstes Drogenkartell versagen Juan Cabrillo und sein Team nicht nur dabei, den Kopf des Kartells zu fassen. Sie verlieren auch ein Teammitglied. Cabrillo sinnt auf Rache und ahnt dabei noch nicht, dass er diese Niederlage einer geheimen Verbrecherorganisation verdankt. Doch dann gerät er auch auf die Spur des Syndikats. Deren Wissenschaftler haben eine neuartige Waffe entwickelt, die ganze Städte auslöschen kann. Eine Jagd um die ganze Welt beginnt, damit das Leben von Milliionen gerettet werden kann. Juan Cabrillo muss die Bedrohung ausschalten, ehe die erste Metropole in einem Meer aus Feuer versinkt.


Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Romane über Juan Cabrillo nicht entgehen, zum Beispiel die packenden Action-Abenteuer »Der Colossus-Code«, »Das Portland-Projekt« oder »Operation Seewespe«!

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Seitenzahl: 621

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Buch

Während eines Einsatzes gegen Mexikos gefährlichstes Drogenkartell versagen Juan Cabrillo und sein Team nicht nur dabei, den Kopf des Kartells zu fassen. Sie verlieren auch ein Teammitglied. Cabrillo sinnt auf Rache und ahnt dabei noch nicht, dass er diese Niederlage einer geheimen Verbrecherorganisation verdankt. Doch dann gerät er auch auf die Spur des Syndikats. Deren Wissenschaftler haben eine neuartige Waffe entwickelt, die ganze Städte auslöschen kann. Eine Jagd um die ganze Welt beginnt, damit das Leben von Millionen gerettet werden kann. Juan Cabrillo muss die Bedrohung ausschalten, ehe die erste Metropole in einem Meer aus Feuer versinkt.

Autoren

Clive Cussler konnte bereits dreißig aufeinanderfolgende »New-York-Times«-Bestseller landen, seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, und ist auch auf der deutschen Spiegel-Bestsellerliste ein Dauergast. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Mike Maden ist unter anderem der Autor zweier Romane aus Tom Clancys »New York Times«-Bestsellerserie Jack Ryan Jr. Er hat sowohl einen Master als auch einen Doktortitel in Politikwissenschaften von der University of California in Davis, wo er sich auf internationale Beziehungen und vergleichende Politik spezialisiert hat. Er hält Vorträge und ist als Berater tätig, u. a. zu den Themen Krieg und Naher Osten. Außerdem moderierte er ein Jahr lang seine eigene wöchentliche Radiosendung.

Die Juan-Cabrillo-Romane:

1. Der goldene Buddha · 2. Todesschrein · 3. Todesfracht · 4. Schlangenjagd · 5. Seuchenschiff · 6. Kaperfahrt · 7. Teuflischer Sog · 8. Killerwelle · 9. Tarnfahrt · 10. Piranha · 11. Schattenfracht · 12. Im Auge des Taifuns · 13. Der Colossus-Code · 14. Das Portland-Projekt

15. Operation Seewespe · 16. Feuermeer

Weitere Bände in Vorbereitung

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Clive Cussler

& Mike Maden

Feuermeer

Ein Juan-Cabrillo-Roman

Deutsch von Michael Kubiak

Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Clive Cussler’s Hellburner (Juan Cabrillo 16)« bei G. P. Putnam’s Sons, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2022 by Sandecker, RLLLP

By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc., 551 Fifth Avenue, Suite 1613, New York, NY 10176-0187 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkterstr. 28, 81673 München

Redaktion: Jörn Rauser

Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com (vasilygureev, alexlmx, Mike Mareen, .shock, SpicyTruffel) und shutterstock.com (Physicx, Makhnach_S)

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-30190-3V001

www.blanvalet.de

HANDELNDE PERSONEN

THECORPORATION

Juan Cabrillo – Chairman der Corporation und Kapitän der Oregon.

Max Hanley – Präsident der Corporation, Juans Stellvertreter und Chefingenieur der Oregon. Während des Vietnamkriegs Kapitän eines Patrouillenboots.

Linda Ross – Vizepräsidentin der operativen Abteilung der Corporation und ehemaliges Mitglied des Geheimdienstes der U. S. Navy.

Eddie Seng – Direktor der Abteilung für landgestützte Operationen der Corporation und ehemaliger CIA-Agent.

Franklin »Linc« Lincoln – Agent der Corporation und davor Scharfschütze der U. S. Navy SEAL.

Marion MacDougal »MacD« Lawless – Agent der Corporation und ehemaliger U. S. Army Ranger.

Raven Malloy – Agentin der Corporation und ehemalige Ermittlerin der U. S. Army Military Police.

Tom Reyes – Operative Abteilung. Diente früher in der 82nd Airborne Division der US Army.

Eric Stone – Leitender Steuermann der Oregon und Veteran der U. S. Navy. Spezialist für Waffentechnik.

Dr. Mark »Murph« Murphy – Leitender Waffensystemoffizier der Oregon und davor in der Privatwirtschaft als Waffenkonstrukteur tätig.

Dr. Eric Littleton – Chef des biophysikalischen Labors der Oregon.

Mike Lavin – Leitender Waffenmeister der Oregon. Während seiner Dienstzeit bei der US Army Spezialist für die technische Wartung und Instandhaltung von Waffen und Feuerleitsystemen.

Bill McDonald – Waffenmeister auf der Oregon. Leitete als ehemaliger Agent paramilitärische Einsätze der CIA.

George »Gomez« Adams – Hubschrauber- und Drohnenpilot der Oregon. Veteran der U. S. Army.

Hali Kasim – Leitender Funk- und Kommunikationsoffizier der Oregon.

Dr. Julia Huxley – Chefärztin und Leiterin der Sanitätsabteilung an Bord der Oregon. Veteranin der U. S. Navy.

Kevin Nixon – Chef des Magic Shop (»Zauberladens«) an Bord der Oregon.

Maurice – Chefsteward der Oregon. Veteran der British Royal Navy.

THEPIPELINE

GRIECHENLAND

Sokratis Katrakis – Gründer von Katrakis Maritime und Mitbegründer der Pipeline.

Alexandros Katrakis – Sohn von Sokratis und CEO von Katrakis Maritime.

Archytas Katrakis – Sohn von Sokratis und Kapitän der Mountain Star.

Stephanos Katrakis – Sohn von Sokratis und Geschäftsführer der Schiffswerft von Katrakis Maritime.

MEXIKO

Victor Herrera – Chef des Herrera-Kartells, Sohn von Hugo Herrera, Mexikos »King of Meth«.

Lado Zazueta – Auftragsmörder des Kartells.

REPUBLIKARMENIEN

David Hakobyan – Mitbegründer der Pipeline. Naturalisierter Amerikaner.

REPUBLIKTÜRKEI

Cedvet Bayur – Regionaler Söldnerkommandant in Libyen. Ehemaliger Geheimdienstoffizier der türkischen Armee. Mitglied der Grauen Wölfe.

Yusuf Toprak – Präsident der Republik Türkei.

Meliha Öztürk – Freie Journalistin und Menschenrechtsaktivistin. Tochter von Dr. Kemal Öztürk.

REGIERUNGDERVEREINIGTENSTAATENVONAMERIKA

Alyssa Grainger – Präsidentin der Vereinigten Staaten (POTUS)

Langston Overholt IV – Verbindungsoffizier zwischen der CIA und der Corporation.

1

Nordatlantik,180 Meilen vor der Küste von Surinam

»Das ist jetzt seine dritte Kursänderung, Sir«, sagte Santos. »Kein Zweifel, er verfolgt uns.«

Kapitän Calvera hörte die Anspannung in der Stimme seines Ersten Offiziers. Beide Männer beugten sich über eine militärtaugliche elektronische Instrumententafel – über die sein Fischtrawler El Valiente eigentlich nicht hätte verfügen dürfen.

Calvera richtete sich auf und kratzte sein bärtiges Kinn, eine reflexartige Geste, die seine Nervosität verriet. Was er sah, ergab keinen Sinn. Laut dem automatischen ID-Signal wurden sie von der Sungu Barat, einem unter indonesischer Flagge fahrenden, zweihundert Meter langen Stückgutfrachter verfolgt, der planmäßig in zwei Tagen in Caracas einlaufen sollte. Santos hatte seine Meldedaten aufgerufen. Das unauffällige Frachtschiff war 1971 in Dienst gestellt worden und hatte während der Jahrzehnte seitdem mindestens dreizehn Mal den Eigner gewechselt, zum letzten Mal erst vor einem Monat. Dem Foto des Vesseltrackers nach zu urteilen handelte es sich um ein schwimmendes Wrack. Sein Rumpf, die Kommandobrücke und die Bordkräne starrten vor Schmutz und Rost. Sein Zustand erlaubte ihm äußerstenfalls eine letzte Fahrt zum nächsten Schiffsfriedhof, gewiss aber keinen regulären Frachtdienst auf dem offenen Ozean.

Das nur mäßige Fahrt machende Schiff hatte während der letzten Tage keinerlei Aufmerksamkeit erregt, aber Santos hatte ihren Suchradar darauf programmiert, alle ungewöhnlichen Schiffsmanöver und sonstige Auffälligkeiten aufzuzeichnen. Vor drei Stunden hatte die Sungu Barat einen Alarm ausgelöst, woraufhin Calvera eine Kurskorrektur hatte vornehmen lassen, um zu überprüfen, ob sich die Warnsoftware möglicherweise geirrt hatte.

Doch ihr war kein Irrtum unterlaufen.

Noch seltsamer schien, dass das ramponierte Frachtschiff, obwohl zweimal so lang und doppelt so schwer wie die El Valiente, nicht nur mit ihnen Schritt hielt, sondern sogar zu ihnen aufholte. Momentan befand es sich nur noch gut zwei Meilen hinter ihnen und kam stetig näher.

»Was meinen Sie, wer das ist?«, fragte Santos.

»Ich habe genauso wenig Ahnung wie Sie. Womöglich haben wir es mit Piraten zu tun.« Aber noch während er seine Vermutung aussprach, schüttelte Calvera ungläubig den Kopf. »Bei einem alten Rosteimer wie diesem? Das wage ich zu bezweifeln.«

»Was wollen Sie tun, Sir?«

Calvera runzelte die Stirn und dachte nach. Für einen Kapitän in seiner Position gab es nur drei Möglichkeiten: flüchten, verstecken oder kämpfen. Die El Valiente war tatsächlich ein kommerzielles Fischerboot, aber sie war nicht auf Anhieb erkennbar in ein Schmuggelschiff umgewandelt worden. Er und seine Mannschaft hatten Jahre darauf verwendet, die Kunst zu perfektionieren, sich vor aller Augen bis zur Unsichtbarkeit zu tarnen, während sie ein halbes Jahrzehnt lang die Fischgründe und Häfen des Atlantiks und des Mittelmeers durchkreuzten. Keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, war ihr vordringliches Bestreben und ihre beste Verteidigungstaktik.

Offensichtlich hatte die Sungu Barat diese Strategie durchschaut. Nun standen nur noch die Optionen offen – zu flüchten oder zu kämpfen. Seine Blicke glitten über den Radarschirm. Nur zwei Schiffe befanden sich im Umkreis von dreihundert Meilen was bedeutete, dass sie in diesem Teil des Ozeans allein waren. Ein Feuergefecht bliebe unbemerkt.

Calvera hätte am liebsten angegriffen, aber sein Großvater hatte ihn gelehrt, dass es immer besser war, einen Gegner zu besiegen, ohne den Kampf aktiv aufzunehmen. Es war eine Lektion, die der alte Mann als junger Guerilla an der Seite von Che Guevara und Fidel Castro in den Bergen der Sierra Maestra vor sechzig Jahren verinnerlicht hatte. Sie mochten sich zwar weit draußen auf See befinden, doch es bestand immer die Gefahr, dass die Polizeiorgane alarmiert würden, wenn Calvera zu hoch pokerte. Er sollte lieber auf Nummer sicher gehen.

Er gab dem Steuermann ein Zeichen. »Rico, volle Kraft voraus.«

»A la orden, mi capitán.«

Der Rudergänger öffnete die Drosselklappe. Der mächtige Dieselmotor des Schiffes erwachte brüllend zum Leben. Während der Trawler gewöhnlich mit elf Knoten unterwegs war, war seine Höchstgeschwindigkeit auf siebzehn Knoten gesteigert worden. Aber mit einer Maschine, die für Gelegenheiten wie diese aufgerüstet worden war, beschleunigte die El Valiente auf unglaubliche dreißig Knoten. Die rasenden Kolben, die nun tief unter Deck loshämmerten, brachten das gesamte Schiff zum Vibrieren.

Die abrupte Temposteigerung zauberte ein Lächeln auf das Gesicht eines jeden, der sich auf der Kommandobrücke aufhielt, inklusive Santos, der sich auch weiterhin über den Radarschirm beugte. Calvera wusste, dass seine Entscheidung, eine solche Geschwindigkeit zu entwickeln, die Illusion zerbrach, dass die El Valiente nicht mehr war als nur ein Fischerboot, aber diese lästige Zecke im Nacken abzuschütteln, war es allemal wert.

»Käpt’n, wir haben sie gründlich überrumpelt«, sagte Santos. »Wir entfernen uns von ihnen.«

»Hervorragend.«

Calvera ging zu Rico hinüber und klopfte ihm auf die Schulter. Der junge Steuermann grinste von Ohr zu Ohr voller Stolz auf sein Schiff und seinen Kapitän. Schon in wenigen Minuten würde der Abstand zwischen ihnen und dem alten Seelenverkäufer um einiges anwachsen.

»Käpt’n, jetzt kommt sie wieder näher – und zwar schnell.«

Calvera kehrte fast im Laufschritt zur Radarstation zurück. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Die Sungu Barat machte mehr als sechzig Knoten.

Sechzig Knoten!

»Überprüfen Sie das Radar, Santos. Irgendetwas ist damit nicht in Ordnung.«

»Ich habe vorhin schon mal ein Diagnoseprogramm laufen lassen. Die Anlage funktioniert ordnungsgemäß.«

»Das ist nicht möglich.« Calveras Gesicht verdunkelte sich vor Wut. »Aber offensichtlich doch.«

Die beiden Männer wechselten besorgte Blicke.

»Sie wissen, was auf dem Spiel steht.«

Santos nickte.

Eine pulsierende Ader trat auf Calveras Stirn hervor. Er hatte eine junge Frau und sieben Kinder. Auch Santos und die anderen Schiffsoffiziere hatten Kinder. Das war auch einer der Gründe gewesen, weshalb sie in die Organisation aufgenommen worden waren. Falls das Schiff geentert und seine Ladung beschlagnahmt werden sollte, würden sie nicht nur getötet, sondern ihre gesamten Familien würden ausgelöscht werden.

Ein Misserfolg war also keine Option.

Santos sah, wie die Kontrolllampe des Funkgeräts blinkte. Er setzte seine Kopfhörer auf und drückte auf die Antworttaste. Sekunden später schaute er zu Calvera hoch.

»Käpt’n, die Sungu Barat sendet eine Nachricht. Ihr Kapitän möchte mit Ihnen sprechen.«

Calvera nickte. »Legen Sie ihn auf den Lautsprecher.«

Santos betätigte einen Schalter.

»Hier spricht Kapitän Calvera von der El Valiente. Wir fahren unter der Flagge der souveränen Nation Argentinien und bewegen uns vollkommen gesetzeskonform in internationalen Gewässern. Wer sind Sie – und weshalb verfolgen Sie uns mit offensichtlich feindseligen Absichten?«

»Hier spricht Kapitän Jorge Soto von der Sungu Barat. Wir haben keinerlei Absicht, Sie in irgendeiner Form zu behindern oder Ihnen Schaden zuzufügen. Sie haben jedoch den Befehl, Ihre Maschinen auszuschalten und den Zugang an Bord zu gestatten, um das Schiff nach Schmuggelgut zu durchsuchen.«

»Mit welcher Befugnis?«

»Wir berufen uns auf das internationale Schifffahrtsrecht.«

»Mit anderen Worten, Käpt’n Soto, Sie haben keine gesetzliche Befugnis. Daraus folgt, dass Sie Piraten sind, und Piraterie ist nach internationalem Recht ein Gesetzesverstoß. Wir werden Ihnen das Betreten unseres Schiffes nicht gestatten.«

»Wenn Sie uns unterstellen, dass wir Piraten sind, sollten Sie sich an die Küstenwache von Surinam wenden und uns melden, Kapitän Calvera. Nur zu. Ich warte.«

Dieser pendejo Kapitän hatte seinen Bluff durchschaut, dachte Calvera. Sie wussten beide, dass er die Küstenwache nicht benachrichtigen konnte. Das wäre noch schlimmer, als diesen Piraten Soto an Bord kommen zu lassen. Er gab Santos mit einem Finger, den er quer über seinen Hals führte, das Zeichen, das Gespräch abzubrechen.

Was nun?

»Fluchtmanöver, Käpt’n?«

Calvera zupfte nachdenklich an seinem Bart. »Nein. Halten Sie weiterhin Kurs.«

»Sir?«

»Tun Sie, was ich sage.«

»Bei diesem Tempo überholen sie uns in weniger als zwei Minuten.«

Calveras Augen verengten sich und konzentrierten sich auf einen Schweißtropfen, der auf der Stirn seines Ersten Offiziers glänzte. »Meine rechnerischen Fähigkeiten sind mindestens so gut wie Ihre, Santos.«

»Mis disculpas, mi capitán.«

Calvera sah auf seine Uhr, eine altmodische Rolex Submariner, die er von seinem Vater geerbt hatte. An seinen Waffenoffizier gerichtet, rief er über die Schulter: »Valentin, Nummer eins feuerbereit machen.«

Valentin nickte mit grimmig entschlossener Miene. »A la orden, mi capitán.«

Der Zeiger von Calveras Uhr nährte sich der Dreißig-Sekunden-Marke. »Entfernung und Position?«

»Fünfhundert Meter, direkt voraus.«

Calveras Augen blieben auf seine Armbanduhr gerichtet. Er führte die notwendigen Berechnungen im Kopf durch, der in diesem Moment ein weitaus zuverlässigeres Instrument war als jeder Computer.

»Valentin … fertig – jetzt!«

Der Waffenoffizier schlug mit der flachen Hand auf einen Knopf. Drei Minen wurden unter dem Rumpf der El Valiente genau im weiteren Kursverlauf der Sungu Barat ausgeklinkt.

Calvera trat auf die Brückennock hinaus, hob ein Fernglas an die Augen und blickte hindurch. Die schäumende weiße Kielwelle des Propellers, der zu seinem Schiff gehörte, verlief als schnurgerade Linie bis zum Bug des verfolgenden Frachters wie der Suchstrahl einer Visierelektronik zu dem angepeilten Zielobjekt.

Santos zählte mit lauter Stimme die Sekunden bis zum Kontakt mit der ersten Mine.

»Fünf … vier … drei …«

Calvera grinste.

Jeden Moment war es so weit.

»Käpt’n!«, rief Santos.

Er brauchte kein weiteres Wort auszusprechen. Was Santos auf seinem Radarschirm beobachtete, konnte Calvera mit seinen eigenen hervorquellenden Augen beobachten. Sein Unterkiefer klappte herunter.

Die Sungu Barat schwenkte abrupt in einem Winkel von neunzig Grad nach Backbord.

Unmöglich.

Calveras Herz schlug wie ein Dampfhammer. In all den Jahren, die er zur See fuhr, hatte er etwas Derartiges noch nie gesehen.

»Die Minen zünden!«

Valentin betätigte den Fernauslöser. Drei Wassersäulen schossen auf der Steuerbordseite der Sungu Barat, ohne irgendeinen Schaden anzurichten, senkrecht in die Luft, während sie abdrehte.

Der brutale Kurswechsel der Sungu Barat erzeugte eine Wasserwand, die sich wie ein Tsunami über ihr Oberdeck ergoss. Das Schiff geriet durch den Zusammenprall mit den Wassermassen ins Rollen, dann richtete es sich auf und nahm sofort wieder das Tempo seiner Vorausfahrt auf. Aber nun bewegte es sich um dreihundert Meter versetzt parallel zu Calveras Kurs, um weiteren Minenangriffen zu entgehen, und kam zügig näher.

Santos erschien in der Lukentür, das Gesicht aschfahl. »Ihre Befehle, Sir?«

Calvera hatte seinen Ersten Offizier noch nie derart erschüttert gesehen. Santos war so treu wie ein alter Jagdhund und auch genauso zuverlässig. Aber Santos hatte mehr zu verlieren. Mehrere verwöhnte junge Frauen und fünfzehn fettleibige Kinder erwarteten ihn in drei verschiedenen Ländern.

»Holen Sie diesen cabrón Soto ans Funkgerät.«

***

Calvera schaltete sein Funkmikrofon ein. »Soto, hier spricht Kapitän Calvera, over. Brauchen Sie unsere Hilfe? Wir haben drei Explosionen gesehen …«

»Lassen Sie den Scheiß, Calvera. Das waren Unterwasserminen. Ihre Minen. Schalten Sie die Maschinen aus. Sofort.«

»Sehen Sie, Soto. Wenn es Ihnen um Geld geht, bin ich berechtigt, Ihnen eine kleine Summe zu zahlen …«

»Es gibt keine Summe, die Sie zahlen können, Calvera. Kein Schmiergeld. Keine Verhandlungen. Legen Sie Ihre Maschinen still, sonst machen wir es – und vielleicht auch gleich Ihre gesamte Mannschaft.«

Calvera fluchte wütend. Er hatte schon wegen harmloserer Beleidigungen Männer getötet. Aber dann schluckte er seinen Stolz hinunter – in diesem Moment war das eine taktische Notwendigkeit.

»Ich befolge Ihre Aufforderung, allerdings unter Protest. Ihr Inspektionstrupp muss unbewaffnet sein.«

»Sie sind nicht in der Position, Bedingungen zu stellen, Calvera. Legen Sie die Maschinen still, stoppen Sie das Schiff und halten Sie sich bereit, geentert zu werden. ¿Entiendes?«

»Entiendo.« Calvera stieß das Wort wie einen Fluch aus und drückte Santos das Mikro mit einer heftigen Bewegung in die Hand. Er sah Rico an. »Maschinen ausschalten!«

Rico wiederholte den Befehl und nahm Gas weg. »Vollständiger Stopp, mi capitán.«

Calvera wandte sich zu Valentin an der Waffenstation um.

»Nummer zwei bereit machen. Warten Sie auf mein Zeichen.«

Valentin lächelte.

Calvera trat wieder auf die Brückennock hinaus, um seinen Verfolger besser im Blick zu haben. Er setzte das Fernglas an die Augen und betrachtete das schwimmende Wrack. Es war noch abstoßender und ramponierter, als die Fotos angedeutet hatten. Wie konnte es nur möglich sein, dass ein derart nachlässig gewartetes Schiff zu solchen unglaublichen Manövern fähig war?, fragte er sich.

Die Sungu Barat kam dreihundert Meter entfernt an Backbord zum Stehen. Calvera betätigte den Einstellring seines Fernglases und zoomte die Kommandobrücke heran. Seine Augen suchten die undurchsichtigen Fenster ab, die mit einer Schicht aus Salzkristallen und Schmutz bedeckt waren. Er konnte zwar nicht in die Kommandobrücke hineinblicken, aber er wusste, dass el bastardo Soto dahinterstand und auf ihn herabgrinste.

»Valentin – Feuer!«

Unten auf dem Deck der El Valiente sprang eine einläufige chinesische 20-mm-Gatling-Gun durch das Dach eines als Frachtcontainer getarnten Gehäuses und eröffnete das Feuer. Unter ohrenbetäubendem Kettensägengeheul entfesselte sie einen Strom Bleigeschosse und überschüttete das Deck ringsum mit einem dichten Regen Messingpatronenhülsen.

Calvera lachte, als die Brückenfenster der Sungu Barat zerschellten und Teile der Kommandobrücke von dem rasenden Feuersturm pulverisiert wurden.

Aber bevor das Lachen ganz über seine Lippen dringen konnte, reagierten die beiden – mit sechs Läufen bestückten – Rotationskanonen eines russischen Kashtan-Nahkampfsystems auf der Spitze des vorderen Mastes des Frachtschiffs. Die Kanonen verschossen zehntausend Projektile pro Minute, aber die Kashtan brauchte nur eine einzige ohrenbetäubende Sekunde, um mit genügend 30-mm-Sprengmunition – mit Wolframstahl verstärkt – Calveras kleinere Waffe vollständig zu zerstören.

Nach einem einzigen Pulsschlag Calveras war das Gefecht beendet.

Calvera rannte in die Kommandobrücke und gab seinem Steuermann mit überkippender Stimme den nächsten Befehl.

»Höchstgeschwindigkeit – jetzt!«

Rico rammte den Gashebel nach vorn. Die getunte Maschine sprang mit einem dumpfen Raubtiergrollen unter Deck an. Das Schiff bäumte sich auf wie ein Rennpferd, das aus der Startbox herausschießt.

Calvera blickte hoffnungsvoll zu Santos hinüber. Der große, mit Turbolader ausgestattete Dieselmotor hatte sie auch früher schon aus heiklen Situationen gerettet.

Aber die Hoffnung verflüchtigte sich mit dem dumpfen, metallischen Dröhnen, das unter ihren Füßen wie ein Hammerschlag erklang. Sie spürten, wie das gesamte Schiff ins Wasser zurücksackte.

»Capitán, wir verlieren Tempo!«, rief der Steuermann.

»Geben Sie mehr Gas!«

»Die Drosselklappe ist schon bis zum Anschlag geöffnet, Sir.«

»Rufen Sie Montoya über die Sprechanlage«, verlangte Santos.

Der Chefingenieur meldete sich aus dem Maschinenraum.

»Käpt’n. Wir haben einen Treffer abbekommen.«

Calvera angelte sich das Mikrofon der Sprechanlage. »Schadensbericht.«

»Wir haben den Propeller verloren. Die Antriebswelle ist beschädigt und läuft gefährlich unrund. Ich lege die Maschine still.«

Santos presste eine Hand gegen seinen drahtlosen Kopfhörer.

»Der Ausguck meldet ein schnelles Schlauchboot, mit bewaffneten Männern besetzt, das Kurs auf uns nimmt.«

»Wir können sie abwehren«, sagte Rico. Sein Gesicht war vor Eifer und Kampfbereitschaft gerötet.

Im Kopf führte Calvera eine schnelle Berechnung durch. Die Zahlen deuteten in eine einzige Richtung.

Er zog ein Satellitentelefon aus einer Halterung seiner Kommandostation, dann wandte er sich zu Santos um, während er seine Pistole aus dem Holster zog.

»Sie wissen, was zu tun ist.«

Santos richtete sich auf und brachte im Angesicht des bevorstehenden Schicksals tatsächlich ein Lächeln zustande.

»A la orden, mi capitán.« Er zog seine Pistole, straffte die Schultern und machte sich auf den Weg zu den unteren Decks.

2

Das Festrumpfschlauchboot rutschte über die mit Teflon beschichtete Rampe der in Höhe der Wasserlinie gelegenen Bootsgarage der Sungu Barat und schlug mit seinen laufenden synchronisierten Zwillingsaußenbordmotoren auf der Meeresoberfläche auf. Die Hochleistungspropeller katapultierten es sofort in Richtung der El Valiente.

Juan Cabrillo – blauäugig, rotblond und als Kapitän Soto auftretend – saß im Bug und sondierte so weit wie möglich die Lage auf dem Schiff, auf das sie zuhielten. Das RHIB hüpfte und bockte unter ihm, während es über das dunkelblaue Wasser flitzte. Die vier Männer seines Teams trugen Körperpanzer und waren mit Blendgranaten und schallgedämpften Heckler & Koch MP5 Maschinenpistolen ausgerüstet. Letztere hatten sie sich vor die Oberkörper geschnallt.

Ein feindliches Schiff zu entern, war immer riskant, und Calvera hatte seine Gefährlichkeit bereits mit zwei fehlgeschlagenen direkten Attacken auf die Oregon bewiesen, die momentan noch als Frachtschiff Sungu Barat getarnt war. Der knapp siebzig Meter lange, unter argentinischer Flagge fahrende Fischkutter hatte sämtliche roten Warnlampen angehen lassen, als Juan zum ersten Mal auf ihn aufmerksam wurde. Auffällig waren außerdem die ungewöhnlichen Hafenaufenthalte auf seinem Kurs. Kapitän Calveras Ausweichmanöver und aktive Abwehrmaßnahmen waren nur ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass er irgendwelches Schmuggelgut von enormem Wert und zweifellos illegaler Herkunft transportierte. Das Schmuggelgeschäft war fast genauso alt wie die Seefahrt, aber Juans Bauchgefühl sagte ihm, dass der Fischkutter in etwas weitaus Bedeutenderes verwickelt sein musste, als es eine simple betrügerische Profitmaximierung war.

Juan musste in Erfahrung bringen, was die El Valiente mit sich führte, und die einzige Möglichkeit, sich Klarheit zu verschaffen, bestand darin, die Füße auf ihr Deck zu setzen und einen Blick auf ihre Ladung zu werfen. Er führte die Entermission an und hatte für deren Dauer Linda Ross die Leitung des Schiffes übertragen und Mark Murphy zurückgelassen, damit dieser den Einsatz des umfangreichen Arsenals automatischer Waffen orchestrierte, das ihm zur Verfügung stand, falls die Ereignisse aus dem Ruder laufen sollten. Er schwor seine Leute darauf ein, erst dann zu schießen, wenn auf sie geschossen wurde, da sie, wie Linda mit Nachdruck erklärte, kein gesetzlich verankertes Recht hatten, den Kutter zu betreten.

Was Juan in diesem Augenblick Sorgen machte, war das Verschwinden der gesamten Kuttermannschaft, die zweifellos Vorbereitungen traf, die ungebetenen Besucher abzuwehren. Er hatte sich für ein kleines Angriffsteam entschieden, um die potenziellen Verluste so gering wie möglich zu halten, was jedoch seine Schlagkraft nicht im Geringsten minderte. Ganz gleich, was seine Leute auch erwarten mochte, sie würden damit fertigwerden.

Der blonde Ex-Ranger Marion MacDougal »MacD« Lawless saß hinten am Ruder und lenkte das RHIB.

Eddie Seng, ein schlanker und drahtiger Chinese, in Amerika geboren, nahm einen Platz in der Nähe des Bugs ein. Der ehemalige CIA-Agent hielt einen pneumatisch ausfahrbaren Teleskopstab. An seinem oberen Ende befanden sich ein Greifhaken sowie eine drahtlose Videokamera, damit er sehen konnte, was sie erwartete, ehe sie die Strickleiter hinaufkletterten. Außerdem trug er eine mit der Videokamera synchronisierte Augmented-Reality-Brille.

Hinter ihm auf der Sitzbank angeschnallt, kauerte Raven Malloy, eine in mehreren Kampfeinsätzen erprobte und mit entsprechenden Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnete gebürtige US-Amerikanerin, die Farsi und Arabisch fließend beherrschte und mehr Klimmzüge hintereinander schaffte, als die meisten Männer auf dem Schiff.

Juan konnte sich den Anflug eines zufriedenen Lächelns nicht verkneifen.

Seine Leute würden die Mission gewiss erfolgreich durchführen.

»Noch zehn Sekunden«, raunte MacD in sein Zahnmikrofon, während er die Leistung der Motoren drosselte. Seine Stimme hallte deutlich in ihren Schädeln wider und überdeckte das Röhren der Mercury-Zwillingsmotoren am Bootsheck.

»Bereit, Eddie?«, fragte Juan.

MacD lenkte den Gummirumpf des Boots gegen die stählerne Außenhaut der El Valiente, dann schaltete er die Motoren aus. Der Kutter schaukelte in der leichten Dünung, lag ansonsten jedoch reglos im Wasser – dank des von der Oregon mit geradezu chirurgischer Präzision dirigierten Minitorpedos, der den Propeller zerstört und die Schraubenwelle irreparabel beschädigt hatte.

Eddie sprang auf und feuerte den pneumatischen Teleskopstab ab. Der Greifhaken fand an der stählernen Reling hoch über dem RHIB sicheren Halt. Sein Kopf schwenkte hin und her, wobei die AR-Brille das Oberdeck abtastete und Eddie einen genauen Überblick lieferte. Juan stand dicht hinter ihm.

»Alles klar!«, rief Eddie.

»Dann los!«, rief Juan zurück, suchte als Erster mit den Händen Halt an der Leiter und begann mit dem Aufstieg.

Welche Überraschung sie an ihrem oberen Ende auch immer erwarten mochte, er wollte der Erste sein, der einen Blick auf sie warf.

***

MacD machte das RHIB an der Strickleiter fest und turnte sie als Letzter hinauf. Er schwang sich über die Reling, machte die MP5 schussbereit und suchte im Laufschritt die für ihn bestimmte Position auf, wobei er das Hauptdeck nach potenziellen Bedrohungen absuchte.

Laut den aus dem Internet heruntergeladenen Lageplänen führten zwei Leitern ins Schiff hinunter – eine im Vorderschiff, eine achtern – und es gab noch eine dritte nach oben zur Kommandobrücke. MacD drehte den Kopf hin und her. Er verfolgte am Rand seines Gesichtsfeldes, wie Eric und Raven zu den ihnen zugewiesenen Lukentüren rannten, durch die sie zu den unteren Decks gelangten.

MacD wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um Juan dabei beobachten zu können, wie er mit geschmeidig fließenden Bewegungen die Brückenleiter hinaufhuschte wie ein reißender Fluss, der bergauf strömt.

Aber MacD hatte seine eigene Aufgabe zu erfüllen. Er rannte nach vorn, den Kolben der MP5 an die Wange gepresst, das Primary Arms Mikroprisma-Visier mitten im Gesichtsfeld beider Augen. Er richtete den Lauf der Waffe zuerst in die leeren Laderäume, die von Fischen hätten überquellen müssen, dann blickte er hinter Fässer, Palettenstapel und Berge von Fischnetzen – praktisch in jeden Winkel und jede Nische, von der irgendeine Bedrohung hätte ausgehen können.

Nichts.

***

Juan stürmte die Brückenleiter hinauf, wobei ihm sein EOTech Holosight den Weg wies.

»Chairman, der Sniffer hat soeben den verschlüsselten Impuls eines Satellitentelefons aufgefangen«, meldete Hali Kasim über seine Funkverbindung.

»Verstanden«, war alles, was Juan erwiderte, als er die Lukentür der Kommandobrücke erreichte. Konzentriertes Adrenalin ließ sein Blut mit Hochdruck durch die Adern sprudeln.

Er legte die linke Hand um den Griff der Lukentür, behielt die Waffe in der rechten Hand jedoch im Anschlag und den Finger auf dem Abzugsbügel.

Er riss die Lukentür auf – gerade rechtzeitig, um verfolgen zu können, wie Calvera mit der Faust auf einen Knopf auf einer Instrumententafel schlug. In der Luft lag der beißende Gestank von Schießpulver. Zwei Tote lagen hinter ihm ausgestreckt auf dem Deck. Blut strömte aus Wunden in ihren Köpfen. Bruchstücke eines zertrümmerten Satellitentelefons waren vor seinen Füßen auf dem Deck verstreut.

»Waffe fallen lassen!«, brüllte Juan, als Calvera mit der Pistole in der Hand herumwirbelte.

Das nackte Grauen irrlichterte in den Augen des Kapitäns.

Calvera stieß den Lauf der Pistole unter sein Kinn und drückte ab. Sein Schädel explodierte. Blut und Gehirnfetzen spritzten bis zur Decke des Brückenraums

Ehe Juan reagieren konnte, hörte er dumpfe Explosionen, die in den unteren Decks ertönten, und spürte, wie die Vibrationen seinen Körper durchschüttelten, sodass seine Zähne heftig aufeinanderschlugen.

Der tote Kapitän hatte es im letzten Moment geschafft, den Untergang seines Schiffes einzuleiten.

Schlimmer war jedoch, dass er damit Juans Team in Lebensgefahr gebracht hatte.

Juan erreichte mit wenigen Schritten die Lukentür und brüllte Befehle, sofort das Schiff zu verlassen.

Er betete, dass es noch nicht zu spät war.

***

Juan und sein Team kehrten eilends auf das Hauptdeck zurück, während sich das Schiff zur Seite zu neigen begann.

Raven und Eddie hatten über ihre Mikrofone gemeldet, dass sie die Leichen von acht Mannschaftsmitgliedern gefunden hatten. Jeder der Männer war mit einer Kugel in den Kopf getötet worden.

Sonst aber hatten sie niemanden angetroffen.

Juan befahl den anderen, ins RHIB zu klettern, während er zur Tür auf dem Achterschiff, die unter Deck führte, zurückrannte.

»Ihr nehmt sehr schnell Wasser auf«, meldete sich Linda über Sprechfunk. »Ihr habt weniger als eine Minute Zeit, um diese Todesfalle zu verlassen.«

»Verstanden.«

Juan stand in der offenen Lukentür und blickte die Treppe hinunter, die in den Abgrund führte. Er hatte den nahezu unwiderstehlichen Wunsch, hinunterzusteigen und nachzusehen, was ein versenktes Schiff und eine niedergemetzelte Mannschaft wert war, aber er wusste, dass er längst den Tod gefunden hätte, bevor er irgendetwas fand.

Auf der Suche nach einem hoffentlich aufschlussreichen Hinweis ließ er den Blick über das Oberdeck schweifen. Dann lief ein Ruck durch das Schiff unter seinen Füßen, und sein siebter Sinn übernahm das Kommando. Es wurde Zeit, ins RHIB zurückzukehren, ehe sich sein Team auf die Suche nach ihm machte.

Juan sprintete zur Leiter zurück, während MacD ihn über sein Zahnmikrofon rief. Er schwang ein Bein über die Reling und kletterte abwärts. Die anderen saßen bereits im RHIB und schauten zu ihm herauf. Juan wusste, dass sich das Festrumpfboot von dem Kutter entfernen musste, ehe es unter den Wellen versank. Der Sog des Siebzehnhundert-Tonnen-Schiffes würde sie mit hinabziehen, wenn sie ihm noch zu nahe waren.

Juan hatte die Leiter zur Hälfte hinter sich gebracht, als er wieder nach unten schaute. MacD hatte bereits die Motoren gestartet, während ihn die anderen über sein Zahnmikrofon drängten, sich zu beeilen, als das Heck hochzusteigen begann und der Bug gleichzeitig absackte, um den langen Abstieg in die Tiefe einzuleiten.

Die Strickleiter spannte sich in Juans Hand, als sich das Schiff herumwälzte und ihn in die Höhe hob wie Ahabs Leichnam, der an Moby Dick gefesselt war. Er befand sich jetzt gut zwanzig Meter über der Wasseroberfläche, zu hoch, um noch abspringen zu können, ohne sich zu verletzen – und tödlich für seine Truppe im RHIB, falls er in dem Boot landete.

»Legt ab!«, rief Juan in sein Zahnmikrofon.

»Chairman …«, setzte MacD zu einem Einwand an.

»Das ist ein Befehl!«

MacD schob die Gashebel nach vorn. Das RHIB wendete auf der Stelle und entfernte sich in schneller Fahrt weit genug von dem Schiff, um nicht von seinem tödlichen Sog erfasst zu werden. Die Augen aller Insassen des Festrumpfboots waren auf Juan gerichtet.

Oder auf etwas anderes?

Juan schaute nach oben auf etwas, das wie eine Kreissäge klang, die über seinem Kopf eingeschaltet worden war. Es war die neue zwölfflügelige xFold Dragon-Frachtdrohne der Oregon – ausreichend leistungsfähig, um Lasten von bis zu eintausend Pfund durch die Luft zu transportieren. Ein mit dicken Knoten versehenes Seil baumelte dicht vor seiner Nase.

»Mitflug gefällig?«, fragte Gomez Adams, der Drohnen-Chefpilot der Oregon. »Oder wollen Sie lieber aufs nächste freie Taxi warten?«

Juan griff in dem Moment nach dem Seil, als das Schiff sich vollends herumwälzte, unter ihm wegsackte und in einer tödlichen Spirale dem Grund des Ozeans entgegensank. Der Abwind des starken Drohnenrotors drei Meter über ihm beutelte ihn und warf ihn hin und her, als befände er sich in einem Windkanal.

Während die Drohne in die Höhe stieg, begann Juan zu rotieren wie ein Kreisel.

»Tut mir leid wegen der Zwangspirouette, Boss«, sagte Gomez. »Aber es blieb keine Zeit mehr, um eine Leiter aufzunehmen.«

»Nicht so schlimm. Erinnert mich an die Einweihungsrituale im Studentenheim während meiner ersten Woche an der Caltech«, sagte Juan.

Er blickte nach unten. Immer noch in rasendem Tempo rotierend, konnte er immerhin die weiße Kiellinie des Festrumpfboots unter seinen Füßen ausmachen, das in schneller Fahrt auf die Oregon zuhielt. Es war in der gleichen Richtung unterwegs wie er selbst.

Nach Hause.

3

Bergkarabach, Südkaukasus

Der getarnte T-72-Kampfpanzer stand mit laufendem Motor auf der Fahrbahn der engen Passstraße. Er führte einen Verband von zehn Panzern an, die unter dem Kommando eines jungen Hauptmanns der armenischen Armee standen, der den Namen seines Onkels trug. Der ölige Gestank der Dieselabgase und der beißende Rauch der Zigarette seines Fahrers verdrängten die kalte, süße Bergluft, die ihm während der letzten Wochen lieb geworden war. Die am Himmel dahinziehende Wolkendecke war schließlich aufgerissen, und die Vormittagssonne wärmte sein Gesicht, während er auf dem harten stählernen Geschützturm saß.

Der Aggressor, die aserbaidschanische Armee, stand kampfbereit auf der anderen Seite der Bergkette und traf Vorbereitungen, weit auf armenisches Gebiet innerhalb der gebirgigen Enklave vorzudringen. Aber der junge Hauptmann war unbesorgt. Mit ihrer reaktiven Panzerung und den schweren Kanonen stellten die in Russland gebauten Kampfpanzer auf jedem modernen Schlachtfeld, vor allem in diesem Teil der Welt, eine Respekt einflößende Waffe dar. Die Aseris hatten schon früher versucht, armenisches Gebiet einzunehmen. Schlecht geführt und ausgebildet, waren sie stets von der schweren Bewaffnung, der technischen Überlegenheit und dem niemals nachlassenden Heldenmut der armenischen Armee zurückgedrängt worden. Seine Kommandeure versicherten ihm, dass der Sieg eine sichere Sache sei. Was auch zutraf.

Bis zu diesem Tag.

***

Die Bayraktar TB2-Drohne zog in elftausend Fuß Höhe über der Position des Hauptmanns ihre Bahn. Der langsam kreisende Flugkörper hatte ein umfangreiches Paket modernster Luftfahrtelektronik an Bord, war jedoch mit nicht mehr als einem besseren Rasenmähermotor ausgestattet, der mit bleifreiem Benzin betrieben wurde. Ihre ungewöhnlich geformte dreieckige Heckpartie verlieh ihr eine außerordentliche Stabilität und Lenkbarkeit.

Zehn Meilen entfernt saßen ein türkischer Drohnenpilot und sein für die Bedienung der Sensoren zuständiger Kopilot in einem engen Kommandofahrzeug, das auf einem aserbaidschanischen Flugfeld parkte. Unter Präsident Toprak hatte sich die Türkei zum neuen Führer der islamischen Welt aufgeschwungen und verteidigte muslimische Nationen wie Aserbaidschan gegen die Übergriffe ungläubiger Länder wie die des christlichen Armenien.

Die gesamte türkische Drohnenschwadron und ihr Bedienungspersonal waren erfahrene Kämpfer. Sie alle hatten während der vergangenen Jahre Dutzende von erfolgreichen Kampfeinsätzen auf russischem Boden und gegen Flugabwehreinheiten in Libyen und Syrien absolviert. Angesichts der Abhängigkeit Armeniens von russischen Waffensystemen erschien dem Piloten der Einsatz ihrer Drohnenschwadron in diesem Konflikt unumgänglich.

Die Zielautomatik der Drohne brachte das Fadenkreuz mit dem führenden armenischen Kampfpanzer zur Deckung. Dann programmierte der Sensorspezialist die nächsten drei Panzer auf gleiche Art und Weise. Nachdem allen vier nach dem Fire-and-Forget-Prinzip lasergelenkten Raketen ihre jeweiligen Zielobjekte zugewiesen worden waren, wartete der Pilot auf den Feuerbefehl des Schwadronkommandeurs.

Dreißig Sekunden später war es so weit. Der Pilot drückte auf den Startknopf – und entfesselte die Hölle.

Die lasergelenkte Rakete der TB2-Drohne durchschlug die dünne Dachpanzerung des ersten Panzers. Der Gefechtskopf zerfetzte den armenischen Hauptmann und tötete ihn auf der Stelle. Sie zündete außerdem die zwei Dutzend im Autoloader bereitgehaltenen 125-mm-Sprenggranaten und verwandelte den T-72 in einen Feuerball. Nur Sekundenbruchteile später loderte der armenische Kampfverband wie ein außer Kontrolle geratener Fackelzug, nachdem jedes Fahrzeug und jedes Mitglied seiner jeweiligen Besatzung in einem Inferno glühenden Stahls ausgelöscht worden war.

Insgesamt hielten sich vier langsam fliegende türkische Drohnen unentdeckt im Luftraum auf. Armenische Flugabwehreinrichtungen waren schon vorher von anderen türkischen Drohnen, die mit Tarnsystem und lasergelenkter Munition ausgestattet waren, zerstört worden. Hunderte weiterer armenischer Artillerieeinrichtungen und Flugabwehreinheiten wurden in den folgenden Tagen im Zuge ähnlicher Angriffe ausgeschaltet.

Wie Militärexperten verlauten ließen, machte dies Aserbaidschan historisch zur ersten Nation, die einen Krieg mithilfe von Drohnen gewann.

Es machte Armenien allerdings auch zur ersten Nation, die in einem solchen Krieg unterlag.

4

Eriwan, Armenien

David Hakobyan stand am Grab seines Neffen. Die Strahlen der Sonne an dem azurblauen wolkenlosen Himmel wurden von den Schneefeldern des Berges Ararat in der Ferne funkelnd reflektiert.

Der mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Sarg blieb während der Totenwache und des Trauergottesdienstes geschlossen. Er enthielt die verkohlten Überreste des Leichnams des jungen Mannes, die geborgen worden waren, nachdem türkische Bomben seinen Panzer getroffen hatten.

Hakobyan wischte sich die Erdkrümel von den weichen Händen, während er sich aufrichtete. »Staub zu Staub«, flüsterte er vor sich hin.

Der Tod seines Neffen war beklagenswert. Aber es war das Hinscheiden seiner geliebten Ehefrau, Edit, dreizehn Monate zuvor, das ihm sämtliche Lebensfreude geraubt hatte. Regelmäßig hatte sie Hakobyans wildeste Instinkte bändigen können. Ihr Tod hatte ihm jeden festen Halt entzogen.

Nun, zweiundsiebzig Jahre alt, war Hakobyan der letzte Überlebende seines Clans. Sein jüngerer Bruder, schon lange verstorben, hatte nur ein einziges Kind, das jetzt unter der kalten Erde des Familiengrabes lag. David war der letzte Hakobyan.

Was würde aus dem Namen werden?

Die Beerdigung war eine Verpflichtung, der der alte Mann auch von seinem Zuhause in Kalifornien aus hätte nachkommen können. Er pflegte kaum zu reisen. Aber die Beerdigung in Armenien bot Hakobyan eine Gelegenheit dazu.

Und mit dieser Gelegenheit war eine neue Verpflichtung verbunden.

***

Bescheiden bekleidet – mit einem schwarzen Anzug von der Stange, Filzhut und Handschuhen – blickte Hakobyan mit starren Augen durch seine großen Brillengläser, die ihm ein eulenhaftes Aussehen verliehen, auf das frisch aufgeworfene Erdreich zu seinen Füßen.

Seit er vor Jahrzehnten mit seiner Braut nach Glendale, Kalifornien, umgezogen war, war er Amerikaner. Nur ganz selten hatte er den armenischen Familiensitz oder die ausgedehnten Aprikosenfarmen besucht, die sie seit Generationen betrieben hatten. Aber der Name Hakobyan war in der alten Heimat noch immer von erheblicher Bedeutung, und ebenso Hakobyans Geld.

Der morgendliche Gottesdienst hatte einige der mächtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten in Armenien zusammenkommen lassen. Fast alle von ihnen standen auf die eine oder andere Weise in der Schuld der Hakobyan-Familie, und das betraf einerseits die Gegenwart, aber auch die Vergangenheit. Einige erschienen aus ehrlichem Respekt, die meisten aber kamen aus Furcht vor Repressalien auf die Kränkung, die es bedeutet hätte, dem Toten nicht die letzte Ehre zu erweisen.

Auch ein ausländischer Gast hatte sich auf Hakobyans ausdrückliche persönliche Einladung eingefunden. Dr. Artem Petrosian war nicht nur russischer Nationalität, sondern auch geborener Armenier. Weder Respekt noch Furcht hatten ihn veranlasst, die weite Strecke, die er unter aufwendiger Geheimhaltung zurückgelegt hatte, hierherzukommen. Das waren allein seine Habgier und ein Jet der Lufthansa.

Der örtliche Bischof persönlich hielt die Grabrede und pries den Neffen als tapferen Kämpfer für die heilige Sache Armeniens und der Kirche gegen die Mächte Satans und des Islam.

Der Bürgermeister hatte die Straßen sperren lassen, sodass die Schar der Trauernden dem Leichenwagen des Soldaten ungehindert von der Kirche zum Friedhof folgen konnte, der sich mittlerweile vollständig geleert hatte.

Hakobyan nickte dem Friedhofsgärtner, der neben dem Grab niederkniete, auffordernd zu. Der Mann drehte an dem Knauf, der ein Ewiges Licht vor dem riesigen Grabstein anzündete. In die Granitpatte war das Bild von Captain Davit Hakobyan in einem Kampfanzug in Lebensgröße eingraviert. In einem Jahrhundert würden Besucher des Friedhofs annehmen, dass unter dem Monument ein berühmter Kriegsheld seine ewige Ruhe gefunden hatte, wovon David Hakobyan bis zu dem frühen Tod seines Neffen immer geträumt hatte.

Er entließ den Friedhofsgärtner mit einem weiteren Kopfnicken, und der Mann entfernte sich eilig mit unterwürfig niedergeschlagenen Augen.

Hakobyan blickte in die von einem leichten Windhauch flackernde Flamme. Also gut, das war’s dann wohl, ging es ihm durch den Kopf.

Jetzt war es an der Zeit, sich dem wahren Grund zuzuwenden, aus dem er hierhergekommen war.

***

Hakobyan wandte sich um und fasste die Mercedes Limousine ins Auge, die auf der anderen Seite der von Bäumen gesäumten Schotterstraße parkte.

Ein baumlanger uniformierter Chauffeur öffnete die hintere Tür. Der Mann, der hinten ausstieg, war mittleren Alters. Sein dunkles Haar war graumeliert. Sein in London maßgeschneiderter Anzug hatte die lange Reise ohne eine Knitterfalte überstanden. Er kam zu Hakobyan herüber, wobei seine handgefertigten italienischen Lederschuhe bei jedem Schritt auf dem Schotterbelag der Straße ein lautes Knirschen erzeugten.

»Es war eine besonders freundliche Geste von Ihnen, diesen weiten Weg zurückzulegen, Alexandros«, sagte Hakobyan, während er dem jüngeren Mann, einem Griechen namens Alexandros Katrakis, die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte. In den grünen, harten Augen des Griechen funkelte eine wache Intelligenz über einer scharf und ebenmäßig geschnittenen Nase, auf die angesichts ihrer ausgewogenen Proportionen keine besser passende Bezeichnung als »klassisch« passte.

»Der Tod Ihres Neffen hat meine ganze Familie in tiefe Trauer versetzt. Was für ein schreckliches Ende eines vielversprechenden jungen Lebens.« Das Englisch des Griechen, vervollkommnet während seines Studiums in Übersee, war makellos.

»Meine Nachricht hat Sie offensichtlich erreicht.« Hakobyan blickte über die Schulter des Griechen. Katrakis’ Chauffeur hatte die Umgebung genau im Auge. Wie eine Radarschüssel drehte sich sein Kopf langsam hin und her.

»Offensichtlich.«

»Und haben Sie gute Nachrichten für mich?«

Alexandros Katrakis beugte sich zu ihm vor, senkte die Stimme und flüsterte: »Macht es Ihnen etwas aus, in meinen Mercedes einzusteigen?«

Hakobyan seufzte und atmete durch die Nase aus. Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt, um dieses Treffen zu ermöglichen.

»Wenn Sie darauf bestehen.«

***

Hakobyan und Katrakis saßen einander gegenüber, tief eingesunken in die weichen Ledersitze des geräumigen Mercedes. Die automatischen Türschlösser versperrten sich mit einem Laut, der an die Türriegel in einem Gefängnis erinnerte. Die hintere Fahrgastkabine war schalldicht und vor den modernsten optischen und elektronischen Beobachtungs- und Überwachungstechniken abgeschirmt.

Der Chauffeur, ein Deutscher und ehemaliger Angehöriger des KSK – das war die Abkürzung für Kommando Spezialkräfte –, stand wie eine Säule nicht allzu weit hinter der Heckstoßstange. Unbemerkt von Hakobyan hatte ein geheimer Metalldetektor im Türrahmen ihn von oben bis unten abgetastet, während er sich in den Fahrgastraum schob. Danach wurde sein Bild zu einem deutschen Smartphone übertragen. Das einzige Metall, das der Armenier bei sich trug, war ein Schlüsselbund.

Katrakis deutete auf die Flaschen und Trinkgläser der Minibar. »Whiskey? Ouzo?«

Hakobyan schüttelte den Kopf. Die Luft in der Kabine war mit dem Aroma des teuren Eau de Cologne des Griechen erfüllt, eine stark duftende Kombination aus Zimt und Tabak.

»Ich hatte um ein persönliches Vier-Augen-Gespräch mit Ihrem Vater gebeten. Ist das ein Problem?«

Katrakis rutschte mit deutlichem Unbehagen in seinem Sitz hin und her und zupfte an seiner Krawatte. Er musste vorsichtig auftreten. Den alten Armenier sollte man lieber nicht provozieren.

»Es liegt schon über ein Jahr zurück, dass Sie das letzte Mal direkt mit ihm gesprochen haben.«

»So wie unser vor Jahrzehnten getroffenes Arrangement es vorgesehen hat.« Hakobyan deutete mit einer ausholenden Geste auf das Innere der schalldichten Fahrgastkabine. »Wie sicherlich auch Ihnen bekannt sein wird, kann das, was nicht mitgehört werden kann, auch nicht gegen uns verwendet werden.«

»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal persönlich gesehen?«

»Als Sie noch ein Baby waren und auf dem Fußboden herumkrabbelten und in einer mit skatá gefüllten Windel steckten.«

Die Miene des Griechen verdüsterte sich bei dieser verletzenden Anspielung. Er suchte im Gesicht des Armeniers nach Anzeichen von Hinterlist und Täuschung.

Hakobyan deutete den Blick instinktiv richtig.

»Machen Sie sich Sorgen, dass ich ihm eine Falle stellen will?«

»Der Gedanke ging mir durch den Kopf.«

»Er und ich, wir sind doch alte Freunde. Er hat nichts zu befürchten.«

»Brutus und Caesar waren ebenfalls alte Freunde«, erwiderte Katrakis.

»Brutus und Caesar waren Römer. Unsere Familien stammen aus einem weitaus höher zivilisierten Teil der Welt, oder etwa nicht?« Hakobyan lächelte versöhnlich.

Der jüngere Mann entspannte sich ein wenig. »Ich nehme an, darin sind wir uns einig.«

»Was ich ihm jetzt anzubieten habe, ist das grandioseste Geschäft, das ihm je zu Ohren gekommen sein dürfte. Aber die Zeit drängt.«

»Können Sie das näher erläutern?«

»Nein.«

»Ich habe einzig und allein das Wohl meines Vaters im Sinn. Ich möchte nicht respektlos erscheinen.«

»Mein lieber Junge, Sie müssen eine Entscheidung treffen. Entweder Sie ermöglichen ein solches Treffen, oder Sie berichten Ihrem Vater, ich hätte nichts anzubieten gehabt. Das Ganze sei reine Zeitvergeudung gewesen.«

Hakobyan lehnte sich vor und blickte dem Griechen in die Augen. »Aber Sie wissen, dass er geradezu riechen kann, wenn er angelogen wird, so wie ein Hund eine in der Erde vergrabene Leiche wittert.«

Katrakis konnte den Blick nicht abwenden oder verhindern, dass ihm das Blut ins Gesicht schoss. Der Armenier hatte recht. Sein Vater war ein lebender Lügendetektor. Er hasste alle Lügner und bestrafte sie schwer.

Schlimmer war allerdings, dass er Geld noch mehr liebte, als er Lügner verabscheute.

Hakobyan hatte ihn in der Zange.

»Mein Vater hat für sich neue Lebensumstände geschaffen, von denen Sie noch nichts wissen. Er lässt niemanden außer mir an sich heran.«

Katrakis warf einen Blick auf seine Uhr.

Er musste eine Entscheidung treffen.

»Wir sollten sofort aufbrechen. Es gibt gewisse Sicherheitsprotokolle, die eingehalten werden müssen.«

»Hervorragend.« Hakobyan tätschelte Katrakis’ Knie – eine unverhohlen herablassende Geste. »Ein guter Sohn ist für seinen Vater stets eine große Freude.«

Katrakis ließ das Seitenfenster herunterfahren und rief den Chauffeur.

»Wolfie, es wird Zeit aufzubrechen.«

***

Die knirschenden Reifen der schwarzen Mercedes Limousine rollten aus dem Friedhof auf die asphaltierte Straße und schlugen die Richtung zu einem Privatflugplatz ein. Hakobyan und Katrakis stießen im Gedenken an Davit mit einem Glas feurigen griechischen Ouzo an und ahnten nichts von den digitalen Telekameras, die sie aus großer Entfernung im Fokus hatten.

5

Zurück an Bord der Oregon begaben sich Juan und sein Rollkommando unter die Dusche und gönnten sich ein paar Minuten Auszeit, um jeder für sich zu verarbeiten, was auf der El Valiente geschehen war.

Gott sei Dank, dachte Juan, waren Eddie und Raven noch nicht bis zu den untersten Decks vorgedrungen. Anderenfalls wären sie bei der Explosion, die den Kutter versenkt hatte, ums Leben gekommen. Sie waren schon wieder auf der Leiter gewesen und zum Oberdeck hinaufgestiegen, als er ihnen befohlen hatte, das Schiff schnellstens zu verlassen.

Nun hatten sich alle im Konferenzsaal versammelt, dessen Inneneinrichtung dem Situation Room im Weißen Haus nachempfunden war. Hochlehnige Ledersessel säumten einen langen, auf Hochglanz polierten Mahagonitisch, und an den Wänden hingen große Digitalmonitore, um Informationen in den Saal zu übertragen oder Videokonferenzen abzuhalten.

Cabrillos äußere Erscheinung, ebenso wie das Äußere der Oregon, war irreführend. Er war der hochgewachsene, blauäugige, breitschultrige Inbegriff des klassischen südkalifornischen Surfers und damit eine augenfällige Reminiszenz an seine abenteuerliche Jugend. Sogar sein kurzgeschorenes Haar hatte die Farbe von sonnengebleichtem Sand. Allerdings war in seinem Auftreten und scharfen Intellekt nichts von dem lässigen, sorglosen Strandläufer von damals übrig geblieben.

Durchaus vergleichbar erschien die knapp zweihundert Meter lange Oregon wie ein von Rost zerfressener Trampdampfer. Dies war jedoch lediglich eine Tarnung. In Wahrheit stellte sie eins der höchstentwickelten Kampf- und Spionageschiffe der Welt dar – und galt als die operative Basis der Corporation, Cabrillos privater Sicherheitsfirma. Da Juan sein Schiff und seine Mannschaft wie ein Wirtschaftsunternehmen lenkte, nannte er sich »Chairman« und wurde von den meisten seiner Leute auch so angesprochen. Die Angehörigen seines engen Führungsstabes trugen ähnliche Titel, die die hierarchische Struktur der Corporation widerspiegelten.

Zu der obligatorischen Abschlussbesprechung hatte Juan auch seinen leitenden Waffenoffizier Mark »Murph« Murphy hinzugezogen. Dessen schütterer Kinnbart und der Wust störrischer, ungekämmter Haare auf seinem Kopf sowie sein von ihm bevorzugtes schwarzes Skater-Punk-Outfit verliehen ihm anarchistischen Flair.

Juan beorderte auch den Steuermann der Oregon, Eric Stone, zu der Versammlung. In krassem Kontrast zu seinem besten Freund Murph trug der Annapolis-Absolvent sein Haar akkurat frisiert und adrett wie die messerscharfen Bügelfalten seiner sportlichen Baumwollhose und das sorgfältig gebügelte weiße Buttondown-Hemd.

Juan wünschte sich, dass auch Max Hanley an der Besprechung teilnahm. Er stand in der Befehlshierarchie der Oregon an zweiter Stelle und war gleichzeitig Präsident der Corporation. Während des Vietnamkriegs Kommandant eines Patrouillenboots hatte der kampferprobte Veteran eine untersetzte Figur, auffällig muskulöse Unterarme und einen Kranz graumelierten roten Haars auf seinem nahezu kahlen Schädel – den Tonsuren der Kriegermönche ähnlich, wie sie auf zahlreichen alten japanischen Gemälden dargestellt worden waren.

Linda Ross war ebenfalls zugegen. Trotz ihrer elfenhaften Erscheinung mit einer hellen, beinahe piepsigen Stimme, ihrer hochgewachsenen, schlanken Gestalt und ihren grünen, fast mandelförmigen Augen war Linda Ross die Vizepräsidentin der operativen Abteilung und nach Juan und Max die unbestrittene Nummer drei in der Rangfolge der Oregon-Crew.

Der Kommunikationschef der Oregon, der im Libanon geborene US-Amerikaner Hali Kasim, saß rechts neben Linda.

»Sie alle konnten die Kommunikation des Enter-Teams verfolgen, daher sind Sie über die wesentlichen Punkte der Mission ausreichend informiert«, begann Juan. »Es gibt nur drei Gründe, weshalb der Kapitän sein Schiff versenkte und seine Mannschaft tötete oder zuließ, dass die Männer Selbstmord begingen. Entweder war irgendetwas an Bord zu wichtig, um gefunden zu werden, oder die Mannschaft hatte unbeschreibliche Angst, festgesetzt zu werden. Oder beides trifft zu, was dann die dritte Option wäre.«

»Einverstanden«, sagte Hanley. »Das Schiff zu versenken, löst das erste Problem. Aber Mord oder Selbstmord erscheinen wie eine groteske Überreaktion angesichts einer möglichen Verhaftung, deren Folge doch nur eine eher minimale Gefängnisstrafe gewesen wäre.«

»Es sei denn, sie befürchteten gar nicht, verhaftet zu werden«, sagte Linda. »Möglicherweise empfanden sie einen Selbstmord als bessere Alternative im Vergleich zu dem, was ihre Bosse mit ihnen zu tun gedachten, um sie dafür zu bestrafen, dass sie sich hatten erwischen lassen.«

»Die Personalabteilung dieses Vereins muss die reinste Hölle gewesen sein«, sagte Hanley. »Es könnte eine Terrororganisation oder ein Verbrechersyndikat – vielleicht sogar irgendeine regierungsnahe Operationseinheit sein, die dahintersteckt.«

»Um dieses Rätsel zu lösen, müsste man in Erfahrung bringen, was sie an Bord mit sich geführt haben«, bemerkte Juan und deutete auf den Kommunikationschef. »Hali, könnte dieser verschlüsselte Satellitenfunkimpuls, den der Sniffer aufgefangen hat, uns auch nur einen Deut weiterbringen?«

Die Oregon war mit einer breiten Palette elektronischer Spionage- und sonstiger Aufzeichnungsinstrumente ausgerüstet, die von der Mannschaft unter der treffenden Bezeichnung Sniffer zusammengefasst wurden. Er war in der Lage, sämtliche elektronischen Daten über und unter der Meeresoberfläche im Umkreis von mehreren Meilen abzuschöpfen, aufzuzeichnen und zu entschlüsseln.

»Der Cray-Supercomputer hat den Impuls vor wenigen Minuten dekodiert. Es war nicht mehr als eine Zahlenfolge. Zuerst kam dreimal die Eins. Darauf folgten die GPS-Koordinaten der Position, an der die El Valiente sank.«

»Die Koordinaten leuchten mir ein. Die ersten drei Zahlen dürften eine Art Notruf gewesen sein«, sagte Murph.

»Aber warum um Hilfe rufen, wenn man nur Nanosekunden später sein Gehirn auf der Kabinendecke verteilt?«, fragte Juan.

»Ich vermute, dass es ein Bergungsruf war«, sagte Max.

»Kein Bergungsruf«, widersprach Juan. »Sonst hätten sie das Schiff doch nicht mitsamt seiner Fracht versenkt – oder mit seinen potenziellen Zeugen.«

»Zu schade. Wir hätten an Ort und Stelle bleiben und abwarten können, wer sich dort eingefunden hätte«, sagte Linda und wandte sich an Hali. »Lässt sich feststellen, wer den Impuls empfangen hat?«

»Er wurde zwischen drei verschiedenen Satelliten herumgeschickt. Wer immer den Ruf auffing, will um jeden Preis unentdeckt bleiben.«

»Was bedeutet das für uns? Was können wir tun?«, fragte Stone.

»Das Wrack liegt jetzt in gut fünfhundert Metern Tiefe«, erklärte Max. Die maximale Operationstiefe der Nomad – des Tieftauchboots der Oregon – betrug aber nur gut dreihundert Meter. »Ich fürchte, damit befindet es sich außerhalb unserer Reichweite.«

»Gibt es einen Sensorhinweis, dass von der Ladung eine besondere Gefahr ausging?«

»Wir haben jedenfalls nichts dergleichen aufgefangen. Falls es irgendwelche Kontaminate waren, könnten sie da unten sicher eingeschlossen sein oder sich im Wasser verteilt haben, ohne einen wahrnehmbaren Schaden angerichtet zu haben. Dies zweifelsfrei festzustellen, ist allerdings unmöglich«, sagte Murph.

»Linda, markieren Sie die Position auf unserer permanenten Karte für den Fall, dass wir diesen Ort noch einmal aufsuchen müssen.«

»Aye, Chairman.«

»Soll ich die Behörden in Surinam telefonisch anonym über den Kutter informieren? Natürlich so, dass der Anruf nicht zu uns zurückverfolgt werden kann«, fügte Hali hinzu.

Juan schüttelte den Kopf. »In dieser Tiefe stellt das Wrack keine Gefahr für die Schifffahrt dar. Warten wir mit einem solchen Schritt, bis wir mehr wissen.«

»Okay.«

Cabrillo ließ den Blick um den Tisch herum wandern. Er hätte in diesem Moment nicht stolzer auf sein Team sein können – und auf die restliche Crew der Oregon. Sie waren ausnahmslos Vollprofis und folgten ihm, wohin er sie führte. Dies empfand er als hohe Ehre und als Verpflichtung, die ihm wichtig war und der er sich niemals entziehen würde.

»Soll ich unseren ursprünglichen Kurs nach New Orleans wieder festsetzen lassen?«, fragte Linda.

»Aye«, antwortete Juan.

Anders als die fiktionale Sungu Barat hatte die Oregon geplant, in großem Umfang Proviant aufzunehmen. Aber nicht irgendwelchen Allerweltsproviant. Die Köche der Oregon – durch die Bank einiger Michelin-Sterne würdig – gaben sich nur mit den besten und edelsten Grundstoffen und Zutaten zufrieden. Die unglaublichen Menüs, die sie zubereiteten, waren lediglich einige unter zahlreichen Annehmlichkeiten, die es mit sich brachte, wenn man auf der Oregon Dienst tat und manchmal monatelang fern von zu Hause war.

Er sah auf die Uhr. »In ein paar Minuten erwarte ich einen Anruf. Sie sind entlassen.«

Ohne übertriebene Eile verließen alle den Konferenzraum, während Juan zurückblieb und Mühe hatte, seine Ungeduld nicht offen zu zeigen. Er konnte es kaum erwarten zu erfahren, was als Nächstes auf sie zukäme.

***

Fünf Minuten später drang Halis Stimme aus dem Lautsprecher der Intercom-Anlage.

»Langston Overholt ist in der Leitung.«

»Stellen Sie ihn durch.«

Juan wusste, dass sein alter Freund und CIA-Mentor Videokonferenzen hasste, daher nahm er den Anruf auf dem Telefon an, machte es sich in einem Sessel bequem, indem er seine Leinenbootsschuhe Größe 14 mit dem Vereinssymbol der LA Dodgers auf dem Mahagonitisch platzierte.

»Mein lieber Junge, wie geht es Ihnen?«, erkundigte sich Overholt. Seine Stimme klang kräftiger und jugendlicher, als sein vorgerücktes Alter hätte vermuten lassen. Langston Overholt IV hatte Juan direkt vom College zur CIA geholt und ihn nach der Ausbildung in die operative Abteilung versetzt. Als Juan den Dienst in der CIA quittiert hatte, war Overholt derjenige gewesen, der ihm empfohlen hatte, seine eigene private Sicherheitsfirma zu gründen. Während die Corporation jeden Auftrag annehmen konnte, der ihr lohnend erschien, lehnte Juan jeden Job ab, der den Vereinigten Staaten in irgendeiner Weise hätte schaden können.

Er und Overholt waren aus dem gleichen Holz geschnitzt: Beide durften als amerikanische Patrioten der alten Schule gelten.

Und sehr oft war es Overholt, der ihn engagierte – und das stets zu einem ansehnlichen Honorar.

»Bestens, Lang. Und selbst?«

»Racquetball und Gin Rickeys halten mich jung. Was gibt’s Neues?«

»Gute Frage.« Juan lieferte ihm eine gedrängte Schilderung der Begegnung mit dem Fischkutter und seinem Untergang.

»Fällt Ihnen dazu etwas ein?«, fragte Juan.

»Auf Anhieb kommt mir nichts in den Sinn. Schmuggler, ohne Zweifel. Das Ganze ist ziemlich seltsam. Besteht denn eine Chance, die Ladung zu bergen?«

»Absolut außer Reichweite und höchstwahrscheinlich vernichtet. Keinerlei Hinweise auf irgendwelches Gefahrengut im Wasser. Aber das will nichts heißen.«

»Seien Sie doch so nett und schicken mir einen Bericht mit allen Details. Ich lasse meine Leute einen Blick darauf werfen und warte ab, was sie herausbekommen.«

»Natürlich.«

»Wollen Sie noch immer nach New Orleans, um Proviant zu laden?«

»Nur ein kurzer Abstecher, es sei denn, Sie haben andere Pläne.«

»Füllen Sie Ihre Vorratskammern, und dann machen Sie sich auf den Weg zu einer kleinen Mission, die Sie für mich erledigen sollen.«

»Wo?«

»In Mexiko.«

»Und wie klein?«

Am anderen Ende der Leitung entstand eine längere Pause.

»Vielleicht war klein eine schlechte Wortwahl. Kleinräumig trifft es wahrscheinlich genauer.«

Overholt erläuterte, was es mit der Mission auf sich hatte. Als er geendet hatte, stieß Juan einen langen Pfiff aus.

Es war ein Hammer.

6

Eine Insel vor der Griechischen Küste,Ägäisches Meer

David Hakobyan kauerte in seinem Sitz, das Gesicht aschfahl, die Hände um die Sicherheitsgurte, die seine Schultern fixierten, gekrampft, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Seine Blicke sprangen zwischen dem Piloten neben ihm, dessen Gesicht nass vor Schweiß war, und dem hoch aufragenden Berg, der, von dichtem Nebel umhüllt, die Windschutzscheibe des Eurokopters ausfüllte, hin und her.

»Wie können Sie da bloß etwas erkennen?«, fragte Hakobyan und atmete keuchend in sein Mikrofon.

»Ich lasse mich von meinen Instrumenten leiten.«

»Warum warten wir nicht, bis sich der Nebel aufgelöst hat?«

»Dieser Berg ist die meiste Zeit des Jahres von Nebel umhüllt. Wir haben gar keine Wahl.«

Hakobyan wollte dem Piloten zurufen, er solle abdrehen und ihn zurückbringen, aber er hatte schon einen zu weiten Weg zurückgelegt und zu viele Strapazen auf sich genommen. Schlimmer noch, seine Uhr tickte. Er würde sich eher in sein Schicksal ergeben, am Berghang zerschellen und ins Meer stürzen, als jetzt noch aufgeben.

Minuten später setzten die Kufen des Helikopters auf der Bergkuppe auf, und die Turbinen wurden ausgeschaltet.

Ein Mönch von hoher, kräftiger Statur, den Kopf mit einer Kapuze bedeckt, näherte sich dem Hubschrauber mit einem Regenschirm in einer muskulösen Hand. Er öffnete die Kabinentür. Als Hakobyan aus dem Hubschrauber kletterte, hielt der Mönch den Schirm über seinen Kopf, obwohl es nicht regnete.

Hakobyan bezweifelte, dass die pistolenförmige Ausbuchtung unter der Kutte des Mannes ein besonders voluminöses Gebetbuch war.

»Der ist nicht nötig«, sagte er und deutete auf den Regenschirm.

Der Mönch ignorierte ihn.

Er geleitete Hakobyan zu einem alten Kloster, das von bloßer Hand Stück für Stück aus dem Berg herausgemeißelt worden war.

Der Mönch steuerte auf eine massive Holztür zu und klopfte dreimal mit einem dicken Fingerknöchel dagegen. Hakobyan registrierte den goldenen Ring mit einem großen Brillanten an einem seiner Finger.

Dank sorgfältig geschmierter Angeln schwang die Tür lautlos auf. Der Mann ging hindurch, und Hakobyan folgte ihm. Sie gingen an einem weiteren Mönch von ähnlicher Statur wie Hakobyans Führer – und dazu noch so stumm und hart wie der Berg selbst – vorbei.

Die kleine, schlichte Kapelle war mit einigen handgefertigten Stühlen und anderen handgefertigten Kirchenmöbeln ausgestattet. Ikonen hingen an den Wänden, und der süßliche Duft von Weihrauch schwängerte die Luft in dem feuchten, modrigen Raum. Durch Fenster hoch oben – dicht unterhalb der gewölbten Decke – drang zusätzliches Licht in den von Kerzen erzeugten Halbdämmer. Am anderen Ende der Kapelle befand sich eine Tür, die zu den restlichen Räumen des Klosters führte. Sie öffnete sich.

Im Durchgang erschien ein freundlich lächelnder toter Mann.

***

»David«, sagte der Mann. Die tiefen Runzeln in den Winkeln seiner hellen und wach blickenden Augen glichen den Furchen einer viel befahrenen Landstraße. Er war zehn Jahre älter als Hakobyan, hielt sich aber noch immer kerzengerade. Seine Füße steckten in einfachen Sandalen, und er trug eine Mönchskutte wie die anderen, lediglich mit dem Unterschied, dass er die Kapuze nach hinten geschoben hatte und sein Gesicht zeigte.

Eine Mähne raureifweißen Haars und ein dichter Vollbart konnten die grünen Augen, dunkel wie die aufgewühlte See, nicht verbergen. Seine wie Leder gegerbte Haut war zäh und braun wie die Holzplanken eines Schiffsdecks, das jahrzehntelang den glühenden Sonnenstrahlen auf dem Wasser ausgesetzt gewesen war.

Schon vor Jahren hatte der alte Grieche sein Ableben vorgetäuscht, indem er frisierte Autopsieberichte und Fotografien von der Beerdigung bei Polizeiorganen und Nachrichtenagenturen, die er kontrollierte, in Umlauf brachte. Soweit den Behörden bekannt war, hatte Sokratis Katrakis diese Welt verlassen.

»Sokratis«, sagte Hakobyan.

Die beiden Männer gingen aufeinander zu und umarmten sich. Der Grieche trat einen Schritt zurück, legte Hakobyan die Hände auf die Schultern und betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen. »Gut siehst du aus, alter Freund.«

»Mir ist aber todschlecht. Ich könnte kotzen.«

Katrakis richtete einen langen Finger auf den Mönch, der Hakobyan vom Hubschrauber abgeholt hatte. »Zwei Tassen Tee. Keinen Zucker.«

»Sofort, Sir«, sagte der Mann. Er trat durch die Tür, durch die Katrakis hereingekommen war, und entfernte sich mit schnellen Schritten.

»Das sollte deinen luftkranken Magen beruhigen«, sagte Katrakis. Er nickte dem anderen Mönch, der die Tür bewachte, zu. »Wir kommen schon zurecht. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche.«

Der Mönch nickte. Er verließ die Kapelle und schloss die massive Holztür hinter sich.

Katrakis dirigierte Hakobyan zu einem Paar Sessel, das in Handarbeit aus Olivenholz gefertigt worden war. Die Männer setzten sich.

»Du hast einen weiten Weg zurückgelegt«, stellte Katrakis fest. »Ich weiß, dass es für dich eine mühsame Reise gewesen sein muss.«

Hakobyan hatte sich dazu dreier Automobile, eines Privatjets und zuletzt des Hubschraubers bedient, die er alle jeweils im Schutz einer Garage oder eines Hangars bestiegen hatte. Gleichzeitig ging ein Bodydouble mit falschen Papieren in Eriwan an Bord einer Linienmaschine nach Frankfurt am Main, um von dort direkt zum LAX weiterzufliegen.

Hakobyan fixierte eins der Fenster hoch über seinem Kopf. »Wo sind wir hier?«

»Du befindest dich in der Klosterrepublik der Heiligen Insel, vergleichbar mit Metéora, nur um einiges kleiner.« Katrakis verwies auf die andere autonome, sich selbst verwaltende Mönchsrepublik in Griechenland. Metéora war für Dutzende von Klöstern berühmt und ein beliebtes Ziel für Touristen auf Pilgerfahrt. Auf der Heiligen Insel waren noch zahlreiche Felshütten und Einsiedlerhöhlen erhalten, aber nur zwei Klöster. Es war das ältere und kleinere Kloster, in dem die beiden sich momentan aufhielten. Touristen war der Zutritt verboten.

»Wie lange bist du schon hier?«, fragte Hakobyan.

»Mittlerweile sind es fast zwei Jahre.«

Hakobyan betrachtete seinen Freund prüfend. Seine Mönchskutte war fadenscheinig und an den Säumen ausgefranst. »Du hattest früher einen besseren Schneider.«

Katrakis lachte. »Als ich noch in Rom lebte …«

Der erste der beiden Kapuzenträger kehrte mit zwei dampfenden Teetassen zurück und empfahl sich gleich wieder, um die Senioren nicht zu stören.

Hakobyan blies auf den siedendheißen Tee, um ihn abzukühlen, dann trank er einen nachdenklichen Schluck.

»Bewaffnete, als Mönche verkleidete Wächter täuschen jede Kamera, und ein abgelegener Ort bewahrt vor Entführung oder Ausweisung. Dicke Steinmauern und ein von Nebel und Wolken verhüllter Berg schützen vor unerwünschter Neugier.« Hakobyan lachte glucksend. »Es hat sogar einen Regen gegeben, um zu verhindern, dass ein Spionagesatellit mich entdeckte, als ich aus dem Hubschrauber ausstieg. Kein Wunder, dass du dich so lange tot stellen konntest. Wer weiß sonst noch, dass du hier bist?«