Fische auf dem Trockenen - Amy Lane - E-Book

Fische auf dem Trockenen E-Book

Amy Lane

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Beschreibung

Fische auf dem Trockenen: Buch Eins Privatdetektiv Jackson Rivers wuchs auf den rauen Straßen von Del Paso Heights auf und traut Polizisten nicht – obwohl er einer war. Als der Mann, den er als seinen Bruder betrachtet, des Mordes an einem Polizisten beschuldigt wird, bei dem es eindeutig nicht mit rechten Dingen zuging, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um Kaden und seiner Familie zu helfen. Strafverteidiger Ellery Cramer stammt aus einer reichen Familie, was ihn nicht daran hindert, sich bereits seit sechs Jahren zum straßenerfahrenen, selbstbewussten Detektiv Jackson Rivers hingezogen zu fühlen. Doch als Jackson ihn um Hilfe bei der Verteidigung von Kaden Cameron bittet, ist er bald überfordert – und das nicht nur in Bezug auf den verschlossenen, unwirschen Detektiv. Kaden wurde nicht nur ein Mord angehängt, sondern er wurde ihm von korrupten Polizisten angehängt, wobei die Verschwörung weiter reicht, als Ellery sich vorwagt – und bis in Jacksons unschöne Vergangenheit. Bald sind beide Männer tief in das Rätsel um den in der Tankstelle ermordeten Polizisten verstrickt und befinden sich in einem Wettlauf gegen die Zeit, um Kadens Unschuld zu beweisen. Doch abseits der Ermittlungen und der fliegenden Kugeln müssen sie mit persönlichen Komplikationen umgehen … und einer gegenseitigen Anziehungskraft, die außer Kontrolle geraten ist.

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Zusammenfassung

Widmung

Danksagung

Prolog: Abschied im Rauch

Fische aus demselben Glas

Der neue Fisch widerspricht

Fische im Straßenkampf

Eine höchst ungewöhnliche Angewohnheit

Fische, die sich vor dem Springen fürchten

Fische im Bett

Schwimmen gegen den Strom

Fische in der Strömung

Fische in der Vergangenheit

Fische auf der Flucht

Fisch in seiner eigenen Haut

Fische unter Druck

Fische und Haie

Im heimischen Teich

Fische in einem neuen Teich

Fische mit neuer Mission

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Biographie

Von Amy Lane

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Copyright

Fische auf dem Trockenen

 

Von Amy Lane

Buch 1 in der Serie - Fische auf dem Trockenen

 

Privatdetektiv Jackson Rivers wuchs auf den rauen Straßen von Del Paso Heights auf und traut Polizisten nicht – obwohl er einer war. Als der Mann, den er als seinen Bruder betrachtet, des Mordes an einem Polizisten beschuldigt wird, bei dem es eindeutig nicht mit rechten Dingen zuging, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um Kaden und seiner Familie zu helfen.

Strafverteidiger Ellery Cramer stammt aus einer reichen Familie, was ihn nicht daran hindert, sich bereits seit sechs Jahren zum straßenerfahrenen, selbstbewussten Detektiv Jackson Rivers hingezogen zu fühlen. Doch als Jackson ihn um Hilfe bei der Verteidigung von Kaden Cameron bittet, ist er bald überfordert – und das nicht nur in Bezug auf den verschlossenen, unwirschen Detektiv. Kaden wurde nicht nur ein Mord angehängt, sondern er wurde ihm von korrupten Polizisten angehängt, wobei die Verschwörung weiter reicht, als Ellery sich vorwagt – und bis in Jacksons unschöne Vergangenheit.

Bald sind beide Männer tief in das Rätsel um den in der Tankstelle ermordeten Polizisten verstrickt und befinden sich in einem Wettlauf gegen die Zeit, um Kadens Unschuld zu beweisen. Doch abseits der Ermittlungen und der fliegenden Kugeln müssen sie mit persönlichen Komplikationen umgehen … und einer gegenseitigen Anziehungskraft, die außer Kontrolle geraten ist.

Für Mary. Man kann nicht genug stricken, um auszudrücken, wie glücklich du mich gemacht hast. Und für Mate, weil wir Lee Childs lesen und ich ihn vielleicht dazu bringen werde, Kathy Reichs zu versuchen. Außerdem für die Kinder, weil sie stolz auf mich sind, auch wenn ich nicht viel über meine Arbeit rede.

Danksagung

 

 

EIN RIESIGESDankeschön an Kim Fielding, die das hier gelesen hat, um mir dann zu sagen: „Ähm, dieses Gespräch würden sie in einer Gefängniszelle führen, nicht in einem Büro“ und „Weißt du, Anwälte verfassen bei Weitem nicht so viele Schriftsätze“. Sie hat mir das Gefühl gegeben, in den Untiefen von Thriller und Action einen Rettungsring zu besitzen, denn auch wenn ich mich damit auskenne, weder Fisch noch Fleisch zu sein, halte ich mich doch ganz gern über Wasser.

Prolog: Abschied im Rauch

 

 

„SIE HÄTTE das hier gehasst“, erklärte Jade, bevor sie kräftig an ihrer Zigarette zog.

Jackson Rivers warf einen finsteren Blick auf seine Ex-Freundin, die Schwester seines besten Freundes und einer der vier – nein, drei – Menschen auf der Welt, die ihm wichtig waren.

Jade hatte ihrer Mutter versprochen, dass sie aufhören würde, genau wie Jackson.

„Sie hätte gehasst, dass du rauchst“, brummte er.

„Tja, wenn sie Rauchen so sehr gehasst hätte, hätte sie aufgehört, bevor sie davon Krebs bekommen hat.“ Sie nahm einen weiteren verärgerten Zug und erwiderte den finsteren Blick. Normalerweise trug sie fein geflochtene Haarverlängerungen, doch ihre Mutter war lange Zeit krank gewesen, während ihre „Kinder“ das College – und in Jacksons Fall die Polizeiakademie – besucht hatten. Sie hatte keine verdammte Zeit gehabt, um sich mit ihren Haaren zu beschäftigen, und sie deshalb schlicht zu einem strengen Knoten am Hinterkopf zurückgebunden. Jackson hoffte, dass sie bald wieder Zeit haben würde. Damals in der Highschool hatte sie es geliebt, ihre Zöpfe zu schütteln und er hatte es jedes Mal sexy gefunden.

„He“, sagte Jackson, der entschlossen war, das zu tun, worum Toni Cameron ihn gebeten hatte. „Ich habe aufgehört.“

Jade rollte mit den Augen. „Aber du hast sowieso nur angefangen, um mit mir zusammenzukommen, also ist das nur angemessen.“

Da konnte er leider nicht widersprechen. Jackson hätte alles getan, um zu Jades und Kadens Familie zu passen. Rauchen war kein großes Opfer.

„Verdammt, Jackson, bring sie dazu, dass sie aufhört.“

Jackson wandte den Kopf, um über die Grabsteine des alten Friedhofs am Auburn Boulevard zu sehen.

Und lächelte. „Das habe ich schon nicht geschafft, als wir noch zusammen waren“, sagte er sanft, bevor er sich für eine Umarmung näherte.

Sein ältester und bester Freund, Kaden Cameron, und seine Frau Rhonda, die er ähnlich lange kannte, standen vor ihm und es tat so gut, sie zu sehen. Vor allem Kaden, der stets wie ein Fels in der Brandung wirkte. Ein Meter fünfundneunzig, zuverlässiger Familienvater und so klare und große braune Augen, dass Jackson einst geglaubt hatte, in ihnen die Zukunft sehen zu können.

Und das bereits bevor er begriffen hatte, dass er bisexuell war.

Allerdings hatte er niemals mehr als platonische Gefühle für ihn entwickelt. Für Jade schon, weil Jackson und Jade vom gleichen Schlag waren. Doch K repräsentierte für ihn etwas Größeres und Wichtigeres als einen möglichen Liebhaber.

In der sechsten Klasse hatte Jackson soeben die Unterschrift seiner Mutter auf dem Formular für kostenloses Mittagessen gefälscht, als Kaden ihn gebeten hatte, ihm seine Matheaufgaben zu geben. Stattdessen hatte Jackson ihm versehentlich das Formular zugeschoben.

Kein Drama – in ihrer Schule waren 98 Prozent der Schüler auf das Formular angewiesen und die restlichen 2 Prozent waren zu dumm, um die Unterschrift zu fälschen.

Doch Kaden hatte ihm das Blatt zurückgegeben und gesagt: „Deine Matheaufgaben, du Idiot. Und aufs Essen brauchst du dich nicht zu freuen – heute gibt es Enchiladas mit Überraschungsfüllung.“

Jackson schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. „Mann, davon hatte ich beim letzten Mal eine Woche lang Dünnschiss!“

„Das war echt scheiße.“ Etwas nervös hoben sie ihre Blicke zur Lehrerin, um zu überprüfen, ob sie ihre vulgäre Ausdrucksweise gehört hatte, doch sie war zu sehr mit dem Kind beschäftigt, das so oft ausflippte und mit Stühlen warf.

„Tja, danke für die Warnung. Dann bleibe ich bei Brot und Milch.“

Kaden brummte zustimmend. „Ja, ich auch. Aber he, meine Mutter macht heute Abend ein Hähnchen. Komm einfach um sechs vorbei und klopf an die Tür. Aber sie wird dich beten lassen. Du darfst nicht sauer sein.“

Jackson blinzelte. „Wer wird denn sauer, weil er vor dem Essen beten soll?“

„Keine Ahnung. Ist auch egal. Nur … du weißt schon. Sei nett zu meiner Mams.“

„Klar.“ Selbst Jackson wusste, dass man sich respektvoll verhielt, wenn einem jemandes Mams etwas Gutes tat.

An diesem Abend ließ Jackson seine Mutter in einer Rauchwolke – aus Tabak und etwas anderem, durch das er tränende Augen und Herzrasen bekam – zurück, um die wackligen Betonstufen vier Wohnungen weiter zu erklimmen. Er klopfte, während er sich wünschte, er hätte den Geruch aus seinen Haaren waschen können.

Die Frau, die ihn begrüßte, sah jung aus – jünger als seine Mutter, von der er wusste, dass sie viel zu jung war, um ihn zu haben. Ihre schwarzen, glänzenden Locken waren hochgesteckt, doch einige wanden sich hinab und umrahmten ihr Gesicht.

Sie trug einen selbst genähten Business-Rock und eine ärmellose Bluse, wie er sie von den Frauen in Gerichtsserien kannte.

Toni lächelte ihm zu wie eine Fernsehmutter. Und sie erlaubte ihm, mit ihnen zu essen. Und als er so viel aß, dass Kaden ihn als Schwein bezeichnete und darüber klagte, dass sie die Reste noch bräuchten, sagte sie ihm, er dürfe sich noch nachnehmen. Ausnahmsweise.

Das versuchte er nur dieses eine Mal, denn, lieber Gott, er war einfach so dankbar für das Essen.

Toni Cameron wurde seine Retterin. Er erwartete nicht, bemuttert zu werden, also hielt sie sich zurück. Für Feiertage kaufte sie ein zusätzliches Hemd und eine Jeans für ihn, damit er nicht immer zerlöchertes Zeug trug. Zwar handelte es sich um Kleidung vom Wühltisch, doch die trug auch Kaden. Es gefiel ihm, dass sie das Gleiche trugen.

Es gab ihm das Gefühl, einen Ort zu haben, an den er gehörte.

Als er alt genug war, um sich von seiner Mutter zu emanzipieren und zu den Camerons zu ziehen, hatte er bereits einen Job und bezahlte so häufig wie möglich die Miete, da er sie nicht ausnutzen wollte. Dass er am ersten Abend so viel gegessen hatte, bereitete ihm noch Jahre später Schuldgefühle.

Toni gab sich die größte Mühe, das zu ändern.

Als sie krank wurde, stand er kurz vor seinem Abschluss an der Akademie und sie war so stolz auf ihn. Bei der Abschlussfeier schoben Jade, Kaden und Rhonda ihren Rollstuhl in den vorderen Teil des Saals, damit sie zusehen konnte, wie Jackson die Bühne betrat. Sie alle studierten, würden jedoch noch etwa zwei Jahre bis zum Abschluss brauchen. Es war Tonis Gelegenheit, eines ihrer Kinder bei einer Abschlussfeier zu erleben.

Jackson war so froh, sie dort zu sehen, so froh, danach mit ihr und den anderen zum Essen auszugehen, dass er ihr nicht von seinen Bedenken erzählte. Nichts davon, dass der Mann, der ihm als sein Unterstützer durch die Akademie geholfen hatte, dafür Dinge zu erwarten schien, die Jackson ihm nicht geben konnte – die gegen jede einzelne seiner hart erkämpften Moralvorstellungen verstießen.

Er setzte eine fröhliche Miene für sie auf.

Er setzte für sie alle eine fröhliche Miene auf.

Und sie bat ihn ruhig darum, noch an diesem Abend mit dem Rauchen aufzuhören. Für sie. Er teilte ihr ruhig mit, dass er es tun würde – und verschwieg dabei, dass er bereits hatte aufhören müssen, um es ohne Erstickungsanfälle durch die Akademie zu schaffen, denn die Ausbildung war zu hart, um sie mit geschwächtem Körper zu meistern. Doch das an Toni gerichtete Versprechen würde dafür sorgen, dass er sauber blieb.

In vielerlei Hinsicht.

„Kaden“, sagte er nun mit vor Emotionen heiserer Stimme. „Gott, Mann, es tut mir so leid.“

Kadens Kinn zitterte. „Uns allen tut es leid, Jacky. Sie war auch deine Mutter.“

Er schloss die Augen. Ja, das war sie gewesen. Das war sie wirklich gewesen, bei allem, was zählte. Es konnte nicht leicht gewesen sein, ihn zu bemuttern – mit einer streunenden Katze zu kuscheln, ist schwierig –, aber sie hatte es verdammt noch mal versucht.

„Sie war die Beste“, sagte er knapp. „Deine Mutter war die Beste.“

„Ich weiß“, antwortete Kaden, während Rhonda ihn mit der Hüfte zur Seite schob, um sich ebenfalls eine Umarmung abzuholen.

„Du siehst dünn aus, Jacky“, sagte sie leise.

Kadens Frau war wundervoll. Ihr ovales Gesicht mit einem etwas weniger auffälligen Teint als Jades und Kadens, besaß einen kräftigen Kiefer, eine Adlernase und kecke Lippen, die weit häufiger lächelten als Jades. Rhonda Cameron hatte für jeden ein freundliches Wort und würde eine fantastische Lehrerin sein.

Nachdem sie eine fantastische Mutter geworden war.

„Ich hole mir das Gewicht zurück, nachdem du es wieder los bist“, sagte er, während er ihren Babybauch tätschelte, der sich im dritten Monat bereits etwas zeigte. Kaden sollte verdammt dafür sein, nicht an das Gummi gedacht zu haben! Von ihnen allen war Rhonda die Klügste – Jackson wusste, dass sie es schaffen würde –, aber sie hätten nicht noch eine zusätzliche Hürde einbauen müssen.

„Ich werde dich daran erinnern“, antwortete Rhonda leise und streichelte ihm über die Wange. „Aber du siehst trotzdem nicht gut aus. Dein Abschluss ist erst ein paar Monate her, Jacky. Ist die Arbeit so furchtbar?“

Am liebsten hätte Jackson sich in ihre Arme geworfen und losgeschluchzt.

Ja. Verdammt, ja. Die Arbeit war furchtbar. Woran er sich auf Patrick Hanovers Wunsch beteiligen sollte, war furchtbar. Was er tat, um Patrick Hanover aufzuhalten, war furchtbar.

Toni Cameron wurde heute der Erde übergeben und es schien, als wäre die ganze Welt grau und verdorben, denn dort draußen gab es lediglich eine begrenzte Menge an Güte und ein großes Stück goldenen Lichts war nun vom Lungenkrebs zu aschfahler Haut und Knochen gemacht worden.

„Ich komme schon zurecht“, sagte er, obwohl ihn der Kloß in seinem Hals beinahe am Sprechen hinderte. Dann ergriff Jade seine Hand und es war Zeit, dem Prediger zu lauschen, der Worte sagte, die Toni Cameron geliebt hätte.

Doch Jackson, obwohl er still und ruhig dastand, hörte kaum zu. Er war zu sehr mit dem Kampf in seinem Herzen beschäftigt, bei dem es darum ging, was er seiner Familie sagen wollte und was er ihr nicht sagen konnte.

Jade musste sich wieder um ihr Studium kümmern.

Kaden und Rhonda mussten es beenden und ein Zuhause für ihr Kind vorbereiten.

Diese Sache, die Jackson tat – diese sehr wichtige, beängstigende, gefährliche Sache –, tat er deshalb, weil er Menschen wie seine Familienmitglieder davor schützen wollte, von Personen verletzt zu werden, denen sie eigentlich vertrauen sollten.

Die Familie Cameron hatte Jackson gerettet, als er ein dünner Junge gewesen war, der nur hatte Hähnchen essen wollen. Toni Cameron hatte einen Teil ihres wenigen Geldes dafür verwendet, ihn durchzufüttern und ihm Kleidung zu kaufen. Selbst bevor er zu Hause ausgezogen war, hatte er auf ihrem Sofa übernachten dürfen, wenn seine eigene Wohnung einem kleinen Stück Hölle glich.

Jackson hatte ihnen viel zu verdanken. Vom reinen Überleben bis hin zum Highschoolabschluss und dem erfolgreichen Durchlaufen der Akademie. Er verdankte ihnen den Glauben daran, dass Menschen gut sein konnten und dass gute Menschen glücklich sein konnten.

Er verdankte ihnen alles.

Dafür würde Jackson alles tun, um die Camerons von der Korruption fernzuhalten, die ihn bei lebendigem Leibe auffraß.

Nach der Beerdigung fuhren sie gemeinsam zum Hometown Buffet, da sie hungrig waren und nicht genug Geld für etwas Besseres besaßen. Jackson verspeiste Toni zu Ehren zwei Portionen Hähnchen und versprach Rhonda, dass er daran denken würde, mehr zu essen.

 

 

AN DIESEM Abend nach Hause zurückzukehren, war so schwer gewesen.

Sobald ihm von der Polizei sein erstes Gehalt gezahlt worden war, hatte er ein von der Gewerkschaft angebotenes Programm wahrgenommen und es in die Anzahlung für ein Zweifamilienhaus investiert. An freien Tagen hatte er es gestrichen, das Dach und andere Dinge repariert und vor Kurzem hatte er begonnen, sich nach einem Mieter umzusehen.

An diesem Abend hatte er seine noch kahle kleine Hälfte des Hauses betreten und gelauscht, einfach auf einen Herzschlag irgendwo im Innern gelauscht.

Valerie hatte sich vor zwei Wochen von ihm getrennt, direkt vor Tonis Tod, was er ihr nicht vorwerfen konnte. Er hatte kein einziges Wort darüber gesagt, was vor sich ging, warum er zitternd nach Hause kam, warum er so launisch war.

Niemand war hier. Kein geliebter Mensch, kein Freund, keine Familie. Und niemand konnte es sein. Nicht, bis die Sache vorbei war.

Er fühlte sich einsamer, als er es je in seiner schlimmen, von Vernachlässigung geprägten Kindheit getan hatte, als er nun an der Wand des Flurs hinabrutschte, bis er mit vor sich ausgestreckten Beinen auf dem Boden saß.

Dann vergrub er das Gesicht in den Händen und weinte.

Fische aus demselben Glas

 

 

„OH … OH Gott! Ja! Ja! Fick mich weiter, du Arschloch, hör verdammt noch mal nicht auf!“

Jackson mochte es immer noch sehr, Jade zu knallen wie eine Tür bei einem Orkan, aber die Frau war laut. Und herrisch. Aber wow, sie konnte ihn mit den Muskeln in ihrem Innern umklammern wie ein Profi.

Also lieber tun, was die Lady sagt!

Jackson bewegte die Hüften schneller, bis seine Bauchmuskeln schmerzten, und war erleichtert, als Jade schrie: „Verdammte Scheiße, ja!“ Feuchtigkeit umfing seinen Schwanz und gab ihm die Erlaubnis, ebenfalls zu kommen.

Gott. Sei. Dank.

Nun, zumindest hatte sie den Namen des Herrn oft genug gerufen, also war er vielleicht im Raum.

Jackson kam kontrolliert zum Orgasmus, als hätte er einen Schalter umgelegt, bevor er sich auf sie sinken ließ und gegen das Stück zwischen ihrem Ohr und ihrer Schulter keuchte.

„War’s gut für dich?“, fragte er.

„Und ob, Baby“, säuselte sie, während sie ihm mit ihrer französischen Maniküre durchs Haar strich.

Nachdem er einige Sekunden später wieder zu Atem gekommen war, stützte er sich auf die Ellbogen. „Versteh das nicht falsch, J, aber selbst wenn ich mit einem Typ im Bett bin, übernehme ich normalerweise den dominanten Part.“

„Beweg deinen verschwitzten Arsch von mir runter“, brummte Jade und presste eine Hand gegen seine Schulter, um ihn von sich zu schieben. „Und red nicht von deinen ekligen schwulen Angewohnheiten. Ich brauch ’ne Zigarette.“

Jackson drehte sich auf den Rücken und zog das Gummi von seinem Schwanz, um es in den Papierkorb neben dem Bett zu werfen. „Kein Rauchen im Haus – das weißt du doch.“

Sie bleckte die Zähne und rollte mit den Augen. „Du hast soeben einen kostenlosen Mitleidsfick bekommen und stellst dich jetzt wegen einer Kippe an?“

Jackson stieß ein heiseres Lachen aus und nahm ein Feuchttuch vom Nachttisch, um sich den Geruch von Sex vom Körper zu wischen. Jade hatte das Bettlaken durchnässt. Er würde es wechseln, nachdem sie aufgestanden war.

„Es war von beiden Seiten ein Mitleidsfick“, antwortete er dann kopfschüttelnd. Die gute alte Jade. An diesem Abend war sie diejenige gewesen, die ihn verführt hatte. Sie hatten zusammen im Büro herumgehangen und sich unterhalten, über die gute alte Zeit geredet. Er und Jade hatten miteinander ihre Jungfräulichkeit verloren und später hatte ihre Freundschaft Exfreundinnen und -freunde überstanden. Da Jackson niemals eine Langzeitbeziehung suchte, wurde es zu einer Angewohnheit, mit ihr zu schlafen, wenn sich die Gelegenheit bot. Dass Jade als Rechtsanwaltsgehilfin in der Kanzlei angestellt war, für die Jackson als Detektiv ermittelte, sorgte dafür, dass sie sich häufig zu günstigen Zeitpunkten in ihrem Libido- und Beziehungskreislauf über den Weg liefen.

Tatsächlich war Jacksons Libido an diesem Abend eigentlich noch auf jemand anderen scharf gewesen, nachdem er einige Stunden zuvor einem gewissen Anwalt – groß, hellhäutig, schlank und kaltblütig im Gerichtssaal – dabei zugesehen hatte, wie er einen bestochenen Zeugen auseinandernahm. Er hatte ihn aus der Ecke des Saals beobachtet und dabei gegen eine schmerzhaft heftige Erektion angekämpft. Nachdem er und Ellery Cramer sich bereits seit sechs Jahren böse Blicke zuwarfen, war Jackson mehr als bereit dazu, endlich vom Laufburschen, der ihm Dinge holte und besorgte, zu jemandem zu werden, der ihm den Schwanz lutschte und es ihm besorgte. Doch Jackson hatte noch eine Akte für einen der anderen Anwälte holen müssen und nach seiner Rückkehr war Cramer bereits verschwunden gewesen.

Mist.

Nun, es war nicht so, als hätte Jackson den Ruf eines treuen Liebhabers gehabt – oder auch nur den eines Mannes, der einer Schwärmerei treu blieb. Jade war dort, willig und bereit gewesen und das war besser als ein Orgasmus allein.

Außerdem war die Frau sexy und schamlos. Nun schwang sie brummend und seufzend ihre Beine über die Bettkante und nahm sich ein sauberes T-Shirt vom Stapel neben dem Bett. Es reichte ihr bis zu den Oberschenkeln und spannte sich straff über ihre üppigen Brüste, wodurch ihre Brustwarzen sich durch den Stoff drückten wie Radiergummis an einem Bleistift, was sie jedoch nicht interessierte. Mit nichts anderem bekleidet, trat sie mit schwingenden, pinkfarbenen Zöpfchen auf seine winzige Terrasse hinaus, nachdem sie auf dem Weg eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Ledertasche genommen hatte, die neben ihrem Kostüm auf dem Boden lag.

Jackson stand auf und begann das Bett abzuziehen. Im Gegensatz zu Jade verzichtete er darauf, sich zu bedecken. Jade kannte seine Narben und er hatte es bereits vor langer Zeit aufgegeben, sie zu verstecken.

Eine Zeit lang wurde die Stille lediglich vom Rascheln der Bettwäsche und Jades geräuschvollen Zügen an der Zigarette erfüllt, die durch den Spalt der gläsernen Schiebetür zu hören waren. Als Jackson die schmutzigen Laken in den Wäschekorb geworfen hatte und die Bettdecke auf der Matratze ausbreitete, drückte Jade ihre Zigarette aus, kam wieder ins Zimmer und schloss die Tür, um die kühle Luft auszusperren. Dabei tat sie, als hätte sie den struppigen Schatten, der neben ihren Knöcheln in den Raum gehuscht war, nicht bemerkt.

„Hast du deine innere Ruhe wiedergefunden?“, erkundigte sich Jackson trocken, während er sich nackt auf die Bettdecke warf.

„Das ist die hässlichste Katze, die ich je gesehen habe“, teilte sie ihm mit, während sich die vollen Lippen zu einem verächtlichen Ausdruck verzogen.

„Das sagst du jedes Mal, wenn du ihn siehst. Billy Bob bekommt noch Komplexe.“ In einem früheren Leben mochte Billy Bob eine gepflegte Siamkatze gewesen sein – in einem, das sich nicht darum gedreht hatte, die Gegend zu durchstreifen und jedes Tier im Radius von vier Häuserblöcken zu vertreiben oder es mit ihm zu treiben. Jackson hatte vor einem Jahr begonnen ihn zu füttern, als er ein schlaksiger, von seinen Abenteuern ausgelaugter junger Kater gewesen war. Ihm hatte ein Auge und ein halbes Ohr gefehlt und mitten auf seiner Nase befand sich eine tiefe Kerbe. Jackson hätte schwören können, dass er einmal gesehen hatte, wie der kleine Mistkerl den Schäferhund des Nachbarn besprang, aber falls das arme Tier anschließend bizarre kleine Katzenhunde geworfen haben sollte, hatte er es nie erfahren.

„Diese Katze …“ Jade schüttelte den Kopf und gab ein leises „Mm-mm“ von sich. „Diese Katze bedeutet nichts Gutes.“

Jackson kraulte Billy Bob unter dem Kinn, woraufhin der alte Billy zu seiner großen Freude für ihn schnurrte. „Für andere Katzen“, sagte er liebevoll, während Billy Bob hemmungslos sabberte.

„Jackson“, sagte Jade nachdenklich. „Kann ich dich etwas fragen?“

„Alles.“

„Auf wen hast du heute Abend gewartet?“

Gott. Wie peinlich. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie es bemerken würde. „Dich, Süße – das weißt du doch.“

Sie bedachte ihn mit einem Seitenblick aus verdrehten Augen, während sie noch an die Glastür gelehnt dastand und den klaren Himmel betrachtete, und er fühlte sich angemessen gerügt. „Ich weiß, dass du auf ihn stehst.“

Jackson brummte. „Unerreichbar für Leute wie uns“, antwortete er leise. „Du und ich, wir sind Hotdogs oder Hamburger von der Straßenecke. Er ist Filet mignon und Kaviar.“

Sie wandte kopfschüttelnd den Blick ab. „Ich bin Kaviar und Lachs, du anmaßendes Arschloch. Wenn du mich hin und wieder zu einem Date einladen würdest, wüsstest du das.“

Oh. Er hatte sie verletzt – das war keineswegs seine Absicht gewesen! „Klar, Jade. Sag mir nur, wohin. Dann bestellen wir einen guten Wein und …“

„Warum er?“ Sie drehte sich um und lehnte sich wieder an die Tür.

Er seufzte. „Weil er gut ist. Er kämpft wirklich. Es ist nicht nur Show.“

„Und du bist sicher, dass es nicht nur an dieser widerlichen Schwulensache liegt?“

Jackson streckte sich lachend. „Hab ich bei dir etwa schon mal keinen hochgekriegt?“, fragte er spöttisch. Denn daran lag es wirklich nicht. Er schwamm mit großer Begeisterung an beide Ufer.

Sie schüttelte seufzend den Kopf, näherte sich dem Bett und streckte sich neben ihm aus. Der Zigarettengeruch, der von ihr ausging, erinnerte ihn daran, wie sie als Jugendliche heimlich geraucht hatten. „Denkst du jemals darüber nach, ob wir allmählich zu alt hierfür sind?“

Jackson brummte. Dreißig – er war es bereits und bei Jade dauerte es nicht mehr lange. „Für Mitleidssex?“, fragte er trocken und grinste. „Dafür ist niemand zu alt.“

Sie verzog das Gesicht. „Nein“, sagte sie dann mit gesenkter Stimme. „Ich meine diese Sache, bei der wir wissen, dass der andere da sein wird, wenn wir gerade keinen besonderen Fickfreund haben.“

Oh, verdammt. „Willst du etwa mit mir Schluss machen, J?“

Sie stützte sich auf einen Ellbogen und legte den Kopf in die Hand. „Mein Bruder hat schon zwei Kinder“, sagte sie in nüchternem Tonfall.

„Dein Bruder hat als Student Rhonda geschwängert“, erwiderte Jackson lächelnd. Doch Rhonda war die perfekte Mutter – und Kaden ein Vater, wie ihn niemand von ihnen gehabt hatte. Die Leichtigkeit, mit der er Verantwortung trug, machte es manchmal schwer vorstellbar, dass sie zusammen aufgewachsen waren.

Ein Haus, Erfolg im Beruf, wunderschöne Kinder – für K und Rhonda hatte sich alles zum Guten gewendet. Sie machten ihren Weg. Auch wenn K zwei Jobs hatte, damit er seine Familie versorgen konnte, wurde er dafür von ihr geliebt. Nach einer Doppelschicht begrüßte ihn Rhonda stets mit Abendessen und einem Bier, und wenn Rhonda bis spät in die Nacht Arbeiten korrigieren musste, machte K die Kinder am nächsten Morgen für die Schule fertig.

Unglaublich häuslich. Bei ihrem Anblick wünschte Jackson sich stets, Glück könne in diesem Leben für immer anhalten.

„Ja“, sagte Jade. Ihre vollen Lippen spannten sich an den Mundwinkeln ein wenig. „Sie haben mir ja immer leidgetan, weil du und ich rausgehen und tolle Sachen unternehmen konnten.“ Sie seufzte. „Aber weißt du, Jacky, jetzt bin ich einsam.“

Oh, Mann. „J …“

„Ja“, sagte sie, während sich ihr Gesicht zu einem enttäuschten Ausdruck entspannte. „Es liegt nicht an mir. Das verstehe ich. Du hast dein großes, aufregendes Leben, in dem du alles ficken kannst, was sich bewegt …“

„He.“ Er berührte sanft ihre Wange. „Du und ich … Ich finde es toll, dass wir das hier tun können.“

Sie seufzte. „Es … es ist zu leicht. Letztens hatte ich die Gelegenheit zum Ausgehen und habe gedacht: ‚Ich sollte einfach Jacky anrufen. Ich weiß, dass bei ihm gerade nichts läuft.‘ Dabei hat der Typ nicht mal einen schlechten Eindruck gemacht. Bei dir weiß ich nur einfach, was ich bekomme.“

Oh.

„Keine Verpflichtungen“, sagte er leise.

„Ja“, antwortete sie. „Ich glaube, wir müssen das beenden.“

Er seufzte. „Ja, na gut. Aber …“ Er hasste es, sie darum zu bitten. Aber J wusste es. Sie wusste, warum er in manchen Nächten irgendjemanden bei sich haben wollte, selbst wenn es ein schlechtes Date war.

„Ich übernachte hier“, sagte sie leise. „Und auch in Zukunft, wenn du mich brauchst. Aber von jetzt an …“

„Schläfst du auf dem Sofa“, vervollständigte er den Satz. Oder im Gästezimmer. Das Bett dort war gemütlich. Das ganze kleine Häuschen war gemütlich. Kein Paradies, aber er hielt es sauber, sorgte für Möbel, die keine Rückenschmerzen verursachten, und wechselte regelmäßig die Bettwäsche. Auch wenn er nicht viel Zeit dort verbrachte, war es nicht übel.

„Genau.“

Sie wirkte so traurig. Er nahm seine Boxershorts vom Kleiderhaufen auf dem Boden und schlüpfte rasch hinein. Da es trotz der kleinen Klimaanlage heiß war, legte er sich wieder auf die Decke, nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte. Dann lagen sie einander zugewandt da und redeten flüsternd, wie damals als Teenager, über ihre Kindheit in Del Paso Heights, über ihre Zeit an der MLK Junior Highschool, wo sich Prostitution und Drogenhandel ganz öffentlich vor der Schule abgespielt hatten.

Seitdem war die Gegend etwas aufgeräumt worden. Zwar handelte es sich noch immer nicht um einen schönen Stadtteil, aber die Kinder mussten sich auf dem Weg zum Klassenzimmer zumindest nicht mehr durch Drogengeschäfte winden. Jackson und K hatten sich damals durch die Schule kämpfen müssen, manchmal Rücken an Rücken, um sich und die Mädchen zu schützen.

Jackson und Jade hatten viele Geschichten. Es tat gut, sie in der Dunkelheit der Nacht loszuwerden, um sich verabschieden zu können.

 

 

UM SECHS Uhr morgens klingelte Jacksons Handy und Kaden riss ihre kleine Welt unbarmherzig auseinander.

Der neue Fisch widerspricht

 

 

ELLERY CRAMER wusste, dass seine Krawatte perfekt saß. Dennoch überprüfte er sie, als er in der dritten Etage aus dem Aufzug stieg. Bei Pfeist, Langdon, Harrelson & Cooper handelte es sich um eine der erfolgreichsten Anwaltskanzleien in Sacramento, und dazu war sie nicht geworden, weil ihre Mitarbeiter Details vernachlässigten.

Außerdem brannte er darauf, seinen Namen auf der Liste der Teilhaber zu sehen.

Nach seinem Abschluss hatte Ellery davon geträumt, seine eigene Kanzlei zu eröffnen, doch dazu war es nicht gekommen. Seine Schwester hatte sich mit den Zahlen beschäftigt – sie war Wirtschaftsmathematikerin – und war zu dem Schluss gekommen, dass die größte Chance auf finanziellen Erfolg darin bestand, als Juniorpartner einer Kanzlei zu beginnen und sich zum Teilhaber hochzuarbeiten.

In seinen sechs Jahren bei Pfeist, Langdon, Harrelson & Cooper war er zu einem ihrer geschätztesten Strafverteidiger geworden und war sich dieser Ehre bewusst.

Auch seines Anzugs war er sich bewusst.

An diesem Tag trug er den silbernen mit Nadelstreifen, der ihn, auch wenn er ganz und gar nicht zu seinen dunklen Haaren und Augen passte, doch strikt und imponierend wirken ließ, was ihm nur recht war. Er hatte heute zwei Stunden mit einem Kreuzverhör verbracht und es genossen, wie der Mann – auch noch ein Polizist – vor ihm wie ein Keks zerbröselt war.

Ellery mochte diese kleinen Quälereien.

Doch so sehr es ihm auch gefiel, Polizisten im Zeugenstand auseinanderzunehmen, so wenig hatte er vor, es sich mit Leonard Pfeists Gehilfin zu verscherzen. Ellery wusste sehr genau, bei welchen Personen man sich einschmeicheln musste, und bei ihr handelte es sich um die Seele der Kanzlei.

„Hallo, Jade“, sagte er freundlich, worauf sie mit einem müden, finsteren Blick antwortete. Ellery starrte sie überrascht an und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Zugegeben, er stand der Rechtsanwaltsgehilfin der Kanzlei nicht unbedingt nahe. Jade besaß für ihn einige Ecken und Kanten zu viel, um sich in ihrer Gegenwart wirklich wohlzufühlen. Er begriff, warum Leonard Pfeist, der jüngste der Teilhaber, der für die Personalentscheidungen zuständig war, ihre straßenerprobte und scharfzüngig direkte Art zu schätzen wusste, doch Ellery war konservativ erzogen worden. Ihr kompromisslos lebhaftes Auftreten in Kombination mit der weiblichen Sexualität, die sie wie Parfum einzuhüllen schien, verunsicherte ihn sehr.

Jedoch hatte sie ihn bisher niemals angesehen, als wäre sie bereit, jemandem mit bloßen Händen den Kopf abzureißen, wie sie es in diesem Augenblick tat.

„Wurde auch Zeit“, fauchte sie. „Oder steht in Ihrem Terminplan etwa nicht, dass Sie seit einer Stunde wieder im Büro sein sollten?“

„Ich war bei einer Gerichtsverhandlung!“, wehrte sich Ellery. „Die war …“

„Ich weiß, wann die vorbei war“, unterbrach sie ihn. „Und ich weiß, dass Sie danach noch eine Pause für einen Kaffee und wahrscheinlich auch ein Schwätzchen mit diesem Richter gemacht haben, mit dem Sie immer zu flirten versuchen. Dabei hätten Sie schon lange hier sein sollen, weil hier jemand ist, der Ihre verdammte Hilfe braucht!“

Ellery starrte sie verblüfft an, öffnete und schloss wortlos den Mund. Sie war manchmal scharfzüngig, ja, aber niemals unverschämt oder derart unhöflich. „Ähm …“

„Sei nicht so zu ihm, J – er weiß es doch nicht.“

Oh, großartig. Er.

Ellery betrachtete Jackson Rivers mit einer Abneigung, die nichts mit seinem Äußeren zu tun hatte. Dunkelblondes Haar, grüne Augen und ein kantiger Kiefer – hätte die Akne seiner Jugend nicht leicht unebene Haut hinterlassen, hätte er wie ein Filmstar ausgesehen. So wirkte er wettergegerbt und tüchtig, mit zähen Muskeln, mit denen sicher nicht zu spaßen war, und kompromisslosem, eindringlichem Blick. Jackson war der leitende Detektiv der Kanzlei und obwohl die Tätigkeit nicht so glamourös sein sollte, wie sie im Fernsehen dargestellt wurde, fragte sich Ellery häufig, ob Jackson Rivers nicht hin und wieder die Vorschriften umging, um so verdammt gut in seinem Beruf zu sein.

Man brauchte Informationen zu einem Zeugen? Schon war er zur Stelle. Aber er war mit den schmutzigen Details zur Stelle – den Dingen, mit denen man den Zeugen als unzuverlässig darstellen konnte, den Dingen, mit denen Ellery einen Klienten vor dem Gefängnis bewahren konnte.

Doch es war einfach nicht fair, dass er so verdammt schön war. Das verstieß gegen ein oder zwei Regeln, was Ellery wirklich hasste. Jackson war gut aussehend und sympathisch. Er und Jade waren durch Vergangenheit und Familie verbunden. Manchmal schienen sie eine eigene Sprache zu sprechen. Jackson kam stets ins Büro spaziert, schüttelte Leonard Pfeist die Hand, flirtete mit den anderen Gehilfen und wandte sich selbstbewusst und furchtlos an die Klienten …

Es sorgte dafür, dass Ellery sich fühlte wie damals in der Schule. Außergewöhnlich hervorragend, gewöhnlich einsam.

„Er weiß es nicht und es wär ihm auch egal, wenn das Problem nicht auf seinem Schreibtisch landen würde“, fuhr sie ihn an. Ellery verzog das Gesicht. Tja, er hatte immer vermutet, dass sie eine gewisse Abneigung gegen ihn verbarg. Im Augenblick verbarg sie diese kein bisschen. „Bist du wirklich sicher, dass der Typ der richtige ist?“

Jacksons Blick musterte Ellery prüfend und Ellery musste sich ins Bewusstsein rufen, dass Jackson nur ein Detektiv war – er hatte keinerlei Einfluss darauf, wie die Kanzlei geführt wurde oder wer welche Fälle bekam. Auch wenn Leonard Pfeist ihn für unverzichtbar hielt, gab es noch drei andere Teilhaber, bei denen Ellery ebenfalls in hohem Ansehen stand.

„Er fürchtet sich nicht vor Polizisten“, sagte Jackson schließlich, ohne den stechenden Blick seiner grünen Augen von ihm abzuwenden. „Alle anderen haben ein paar Jahre als Bezirksstaatsanwalt gearbeitet und haben da Verbindungen. Aber ihn hier interessiert nichts anderes, als den Fall zu gewinnen.“

„Ja, für sich selbst.“

Jacksons Schulterzucken wurmte ihn etwas. Offenbar hatte er gegen die Einschätzung keine Einwände.

„J, ist es denn wichtig, warum er gewinnen will, solange er für K gewinnt?“

„Nein“, brummte sie. „Solange er nicht hinwirft. Er soll es nicht wagen, meinen Bruder aufzugeben – er braucht uns, Jacky!“

Jacksons Kiefermuskeln spannten sich und sein Blick wurde noch stechender. Auf Ellerys Handflächen bildete sich Schweiß und er hasste sich sehr dafür, dass er sich die Anerkennung dieses Mannes wünschte. Er richtete sich zu seiner vollen Größe von einem Meter achtundachtzig auf und verzog geringschätzig den Mund. „Worum es bei der kleinen Familienangelegenheit auch geht“, sagte er höhnisch, „die lässt sich wahrscheinlich besser ohne mich klären. Warum sollte ich den Fall überhaupt annehmen wollen?“

Jackson schnaubte und verdrehte die Augen. „Nur die Ruhe, Herr Anzugträger. Wenn du den Mumm dafür hast, wirst du ihn wollen. Keiner von euch Haien, der etwas auf sich hält, würde den ablehnen.“

„Das lässt du mich lieber selbst beurteilen. Bekomme ich wenigstens eine Erklärung?“

„Die bekommst du von mir auf dem Weg zum Gefängnis, Cramer.“

 

 

ELLERYS FAMILIENMITGLIEDER betrachteten sich als tolerant, was jedoch nicht bedeutete, dass sie nicht vorsichtshalber die Türen verriegelt hätten, wenn sich ein wie Kaden Cameron aussehender Mann ihrem Auto genähert hätte.

Mindestens einen Meter fünfundneunzig groß mit dunkelbrauner Haut und kahl geschorenem Kopf beherrschte Kaden mit seiner Gegenwart den kleinen, schlichten Besprechungsraum des Bezirksgefängnisses. Auch das hinter seinem Ohr festgeklebte Stück Mull ließ ihn nicht im Geringsten verletzlich wirken. Das raue, alterslose Gesicht war zu einem finsteren Ausdruck verzogen, vor dem Berge erzittert wären und die breiten Schultern wirkten, als würden sie nicht durch eine Tür passen. Alles an ihm schrie knallharter Typ, was sein Lakers-Sweatshirt und die schwarzen Chucks noch unterstrichen. Doch seine Akte erzählte eine andere Geschichte.

Das änderte allerdings nichts daran, dass Ellerys Hand ein wenig zitterte, als er einen kleinen Schluck Wasser trank, bevor er seinen Becher wieder auf den schmucklosen Metalltisch stellte.

„Also, Sie können Ihr Haus als Sicherheit einsetzen“, begann er, denn der erste Punkt der Tagesordnung war immer der Versuch, die Freilassung gegen Kaution zu erwirken.

„Mein Haus“, warf Jackson schnell ein. „Nicht seins. Es ist ein Zweifamilienhaus. In der einen Hälfte wohnt ein Mieter …“

„Dieses Rassistenarschloch wohnt da immer noch?“, unterbrach ihn Kaden, doch der Blick, den Jackson ihm zuwarf, wirkte nicht verärgert.

„Er ist kein Rassist, K. Nur alt.“

„Nein, er ist ein alter Rassist“, brummte Kaden. „Ernsthaft, Jacky, hast du nicht gehört, wie er bestritten hat, dass Kobe Bryant einer der Größten aller Zeiten ist?“

„Das war zu Thanksgiving in meinem Haus, Dummkopf“, antwortete Jackson und verdrehte die Augen. „Am Ende musstet ihr mit einer Spielzeugpistole bedroht werden – von deiner eigenen Frau. Schon vergessen?“

Kaden lächelte wehmütig. „Haha, ja. Rhonda war sauer.“

„Zu Recht. Du bist auf ihn losgegangen, obwohl er sich bemüht hat, sich mit dir anzufreunden. Er hat mit deinen Kindern gespielt – er redet nicht mal mit seinen eigenen Kindern. Dass er deine Lieblingsbasketballer nicht mag, macht ihn nicht gleich zum Rassisten. Außerdem hast du eine Tochter, K – willst du da wirklich Kobe Bryant als Vorbild darstellen? Mike ist ein netter Kerl.“

„Er wird nicht mehr so nett sein, wenn man ihn auf die Straße setzt, weil du wegen mir sein Zuhause riskiert hast“, antwortete Kaden, was Ellery zu einer Neubewertung des Gesprächs bewegte.

Er hatte angenommen, Kaden hätte vom Thema abgelenkt, weil er sich – wie viele von Ellerys Klienten – nicht eingestehen wollte, wie schlimm die Schwierigkeiten waren, in denen er steckte. Offenbar war das ganz und gar nicht der Fall.

„Kein Risiko, K, weil du nicht flüchtest. Und weißt du was? Selbst wenn du es tätest, würde ich mir lieber eine Wohnung suchen, als zusehen zu müssen, wie Rhonda und die Kinder auf der Straße landen.“

Der Mann, der Jackson Rivers in die Augen sah, war eindeutig in der Lage, sich der Realität zu stellen. „Da werden sie sowieso landen“, antwortete er. „Wenn ich während diesem Mist nicht arbeiten kann, können wir die Rechnungen nicht bezahlen.“

Ellery stieß nicht hastig ein „Ich mach es umsonst“ hervor, obwohl er den Drang verspürte. Irgendeinen Laut musste er jedoch von sich gegeben haben, denn Jackson warf ihm einen bösen Blick zu, der vermutlich Ellerys Männlichkeit vor Schreck zusammenschrumpfen lassen sollte. Ha! Der Mann wusste wohl nicht, dass er morgens vor der Arbeit seine kugelsichere Unterwäsche anzog.

Natürlich nur im übertragenen Sinne.

„Deine Schwester zieht ein“, riss Jackson Ellery aus der Stärkung seines Selbstwertgefühls. „Sie hilft Rhonda bei den Rechnungen, bis du es wieder kannst. Keine Sorge, K. Deine Leute stehen hinter dir.“ Dann wandte er sich an Ellery. „Hast du noch was zu sagen?“, verlangte er zu wissen.

Ellery warf ihm einen bösen Blick zu. „Ja, und das weißt du auch. Der Prüfungstermin für die Kaution ist gleich morgen früh. Ich muss dem Richter etwas mehr bieten, als ihm zu sagen, wer bei den Rechnungen hilft.“

„Ich werde nicht flüchten“, sagte Kaden. „Ich habe eine Frau, zwei Kinder und einen verdammten Hund, der denkt, ich hätte den Morgenspaziergang erfunden. Ich besitze ein Haus und einen Teil eines Geschäfts. Ich habe mein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht. Bei mir besteht keine Fluchtgefahr und ich habe verdammt noch mal keinen Bullen umgebracht!“

Ellery saugte zwischen den Zähnen Luft ein, während er den Blick zu der schwach ausfallenden Akte senkte, in der sich lediglich ein einziges Foto vom Tatort befand. Das war bereits merkwürdig, denn normalerweise dürfte es zu diesem Zeitpunkt kein Foto in der Akte gegeben haben. Doch selbst wenn es zu diesem Zeitpunkt üblich gewesen wäre, störte es Ellery immer noch gewaltig, dass es sich nur um eines handelte. Ernsthaft, hundert Mitarbeiter des CSI in Sacramento, und die brachten ein lausiges Foto und einige noch unschärfere Aufnahmen von Fingerabdrücken zustande? Irgendetwas ging hier absolut nicht mit rechten Dingen zu.

Doch was das Foto zeigte, beunruhigte ihn noch mehr als der Mangel an Beweisen. Darauf war Kaden zu sehen, der über dem Ladentisch der Tankstelle zusammengesunken war, die ihm zum Teil gehörte. Seine Augen waren geschlossen und Blut rann unter der Wollmütze auf seinem Kopf hervor.

Neben seiner ausgestreckten Hand befand sich eine SIG Sauer P229, deren Lauf auf einen Polizisten gerichtet war, der mit einem etwa texasgroßen Loch in der Brust tot dalag. Auf dem Boden hatte sich eine grelle Blutlache ausgebreitet.

„Nun, sehen Sie“, sagte Ellery behutsam, „es wird uns vielleicht möglich sein, Sie gegen Kaution freizubekommen, aber ich denke, dass uns dieser letzte Teil noch Probleme bereiten wird.“

Als er von der Akte aufsah, war es nicht Kadens ernster, von Resignation erfüllter Blick, der ihn am heftigsten traf. Nein, es war Jackson Rivers‘ von vorwurfsvoller Wut erfüllte Miene, die ihn befürchten ließ, dass kugelsichere Unterwäsche möglicherweise nicht ausreichen würde.

„Ich glaube, Sie sollten mir vielleicht erzählen, was passiert ist“, sagte er mit Nachdruck. „Und lassen Sie nichts aus.“

Kaden Cameron sah ihn direkt an und Ellery wusste, dass er sich die Feindseligkeit in seinem Blick nicht einbildete. „Ich kann nicht viel auslassen“, erwiderte er tonlos. „Weil ich mich an nichts von dem Mist erinnere.“

Ja. Und wenn das stimmte, würde es alles wesentlich schwerer machen.

„Tja.“ Ellery widerstand dem Drang, vom Tisch wegzurücken und nervös mit dem Fuß zu wippen. „Dann wird das eine sehr kurze Besprechung.“

Den identischen Blicken voller Abscheu nach zu urteilen, die sich daraufhin auf ihn richteten, hatte er offenbar das Falsche gesagt.

 

 

ZWEI STUNDEN später wünschte er sich, es zurücknehmen zu können. Es wurde keine kurze Besprechung, doch was sie an Knappheit vermissen ließ, glich sie durch zutiefst schmerzhafte Frustration aus.

Noch in der ersten Stunde hatte er seiner Unruhe nachgegeben und begonnen, im Raum auf und ab zu gehen. Nach der Hälfte der zweiten hatte er sich seines Jacketts entledigt und seine Krawatte gelockert. Jackson, der üblicherweise Jeans und ein Sakko trug, hatte Letzteres ausgezogen und zusätzlich – beschämenderweise – seine Business-Schuhe abgestreift.

Selbst Kaden hatte ihm dazu seine Meinung gesagt – die erste unprofessionelle Bemerkung seit er mit der lückenhaften, spärlichen Geschichte begonnen hatte, die Ellery dazu brachte, mit den Zähnen zu knirschen.

„Ich vertraue dir mit meinem Leben, Söhnchen, und du besitzt nicht einmal den Anstand, für mich deine Schuhe anzubehalten?“

„Weder für dich noch für deine Schwester …“

„Für Rhonda würdest du es tun“, scherzte Kaden schwach.

Jackson rieb ihm mit einer Hand über den kahlen Kopf. „Ich respektiere Rhonda. Dir habe ich schon in der fünften Klasse beim Kotzen zugesehen. Da war die Magie verflogen.“

Kaden gähnte und streckte sich, hätte sich vermutlich erhoben, wenn seine Knöchel nicht an einem Ring im Boden festgekettet gewesen wären. „Tja, na ja, das würde mich wohl eher stören, wenn ich es auf einen Blowjob abgesehen hätte. Aber da ich hetero bin, werde ich es überleben.“

„Das ist doch nur Gerede. In Wirklichkeit hast du dich nur nie an mich rangemacht, weil ich mit deiner Schwester zusammen war und das komisch gewesen wäre und so.“

„Klar, Jacky. Genau das ist der Grund. Nur deshalb habe ich nie für das andere Team gespielt.“

Jackson lächelte ihm liebevoll zu, bevor er sich an Ellery wandte. „Können wir irgendwie erreichen, dass er aufstehen darf? Seine Knie bringen ihn mittlerweile bestimmt um.“

Kadens Brummen bestätigte das.

„Ja, sicher“, hörte Ellery sich sagen. Normalerweise nicht, nein. Nicht in Anbetracht der Gewalt, die er zu Beginn auf dem Foto gesehen hatte. Doch mittlerweile hatte er Kaden Cameron zwei Stunden lang in die Mangel genommen, um den Geschehnissen vom 12. August auf den Grund zu gehen und bisher hatte Kaden lediglich zugegeben, ein Red Bull aus seinem eigenen Laden gestohlen zu haben.

Ja, er war während der Befragung gereizt gewesen. Doch das konnte Ellery ihm nicht vorwerfen.

„Ich bin gleich zurück“, sagte er und ging hinaus, um physische Beschwerden anzuführen, damit der vor der Tür wartende Gefängniswärter hereinkam und Kadens Fesseln löste. Als der Mann gegangen war – nachdem er Kaden von dem Ring befreit, jedoch die Kette zwischen seinen Knöcheln, die seine Bewegungen stark einschränkte, an ihrem Platz gelassen hatte –, setzte sich Ellery wieder und nickte Kaden zu. „Also gut, Mr Cameron. Sie gehen ein paar Schritte und strecken sich, ich bleibe sitzen und rede. Ich werde zusammenfassen, wie ich das Ganze sehe, und wenn Sie der Meinung sind, ich hätte etwas falsch verstanden, müssen Sie mich gleich unterbrechen. Denn diese Geschichte wird meine Grundlage für Ihre Verteidigung sein. Verstanden?“

„Kapiert“, antwortete Kaden, während er sich vom Tisch abstieß, um mühsam aufzustehen.

„Also, Sie haben um dreiundzwanzig Uhr hinter der Theke Ihrer Tankstelle gestanden – ist es üblich, dass Sie um diese Zeit dort arbeiten?“

„Nein“, sagte Kaden und hielt kurz inne, um seine Hände vor sich zu verschränken und mit rasselnden Ketten bis zu den Schultern die Arme zu strecken. „Normalerweise bin ich da um neun raus, aber unser Mann für die Nachtschicht …“

„Das ist Connie Coulson, richtig?“

„Abkürzung für Conrad, ja. Jedenfalls ruft Connie mich in den letzten fünf Minuten meiner Schicht an und sagt, er schafft’s nicht. Sagt nicht warum, und ich dann so …“

Ellery senkte den Blick zu seinen Notizen und seine Lippen formten das Wort, das Kaden als Nächstes sagen würde.

„Scheeeiße.“ Dabei warfen sich Kaden und Jackson einen vielsagenden Blick zu, vermutlich beim Gedanken an Rhonda. Sie wirkte nicht wie der Typ Frau, die begeistert davon war, wenn ihr Mann wegen Überstunden Zeit mit der Familie versäumte.

„Okay, so weit wären wir also“, fuhr Ellery fort. „Er hat Sie angerufen und Sie sind geblieben.“ Er runzelte die Stirn. „Hatten Sie vor, die ganze Nacht zu bleiben?“

Kaden schüttelte den Kopf. „Nee. Ich meine, wir hätten ein paar Einnahmen verloren, aber kein Gesetz zwingt Tankstellen dazu, die ganze Nacht geöffnet zu sein. Ich hätte bald das Geschlossen-Schild aufgehängt und Denny …“

„Das ist Ihr Geschäftspartner?“

„Genau. Er hätte morgens wieder geöffnet.“

„Okay. Sie standen also um dreiundzwanzig Uhr hinter der Theke der Tankstelle, als zwei Polizisten hereinkamen.“

Kaden nickte. „Ja.“

„Officer C. Miles und Officer S. Bridger, richtig?“

Kadens Schulterzucken wirkte auf gewisse Weise fürchterlich, wenn man an den toten jungen Polizisten und sein eigenes ungewisses Schicksal dachte. „Ich weiß ihre Namen nicht. Sie kamen rein, als ich mein Red Bull getrunken hab, okay? Weil ich die Wand erreicht hatte, wenn Sie wissen, was ich meine.“

„Das weiß ich“, antwortete Ellery mit widerwilligem Mitgefühl. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er neben der Arbeit für die Anwaltsprüfung hatte lernen müssen. „Sie mussten wach bleiben.“

„Ganz genau. Und einer der Bullen, der junge, ist an die Theke gekommen. Ich habe mich zu ihm umgedreht und er hat angefangen, was von einem Anruf zu erzählen.“

„Die zwei haben davon gesprochen, dass Sie einen Raubüberfall gemeldet hätten.“ Das hatte Kaden ihm bereits erzählt, doch er wollte überprüfen, ob dessen Geschichte widerspruchsfrei blieb.

„Aber das hatte ich nicht“, beharrte Kaden. „Mann, ich hätte wahrscheinlich selbst dann keinen Überfall gemeldet, wenn es einen gegeben hätte. Jeder weiß, dass die Bullen da draußen Dreck am Stecken haben.“

Ellery hatte Worte auf seinem Notizblock eingekreist. Jackson war dabei gewesen, mit mitfühlender, nervöser Energie neben Kaden auf und ab zu gehen.

Bei Kadens leichthin geäußerten Worten kam plötzlich jede Bewegung im Raum zum Stillstand.

„K?“, fragte Jackson zögernd.

„Entschuldigung“, sagte Ellery mit plötzlich trockener Kehle. „Könnten Sie das wiederholen?“

Kaden sah mit gequältem Gesichtsausdruck zu Jackson hinüber. „Sie sind korrupt, Jacky – das ist schon so, seit sie dich losgeworden sind.“

Jackson schluckte. „Aber … du … du bist seit sechs Jahren jede Woche fünf Tage in dieser Tankstelle. Haben sie dich etwa die ganze Zeit ausgenommen? Und das hättest du mir nicht …“

Kaden unterbrach ihn kopfschüttelnd. „Jacky … Ich wollte nicht … Mann.“ Kadens Stimme wurde ein wenig heiser. „Ich und J und Rhonda … wir haben dich sterben sehen. Zwei Mal. Fast hätte man dich nicht zurückholen können. Der Raum hat wie ein Schlachthof ausgesehen. Und die Narben hast du immer noch. Du wirst sie für immer haben. Und wir wussten … selbst wenn sie dir nichts getan hätten, Jacky, hätten sie mich umgebracht – oder Rhonda. Also habe ich jedenfalls keine Polizisten gerufen. Ich würde sie nicht rufen. Ich habe da gestanden und dem blonden zugehört – dem jungen, der wie du früher aussah, nur mit helleren Haaren und weicherem Kinn. Er hat so verdammt aufrichtig geklungen, als er nach dem Überfall gefragt hat und warum sie angerufen wurden, wenn ich nichts gemeldet hätte – als würde man einem korrupten Welpen zuhören. Und mein Mund war trocken – ehrlich, mein Mund war trocken –, weil … korrupte Bullen. In meiner Tankstelle, und das um elf Uhr abends. Also habe ich noch einen Schluck getrunken und …“

Kadens Schritte durch den kleinen Raum hatten ihn wieder zum Tisch geführt. Die gesamte Wut, die nervöse Energie, die ihn bisher angetrieben hatte, schien wie Rauch zu verfliegen. Er sank schwer auf den mit einem Quietschen protestierenden Stuhl.

„Dann ist alles verschwommen“, murmelte er. „Mein Kopf tat weh und alles wurde schwarz. Als ich zu mir gekommen bin, war ich mit Handschellen an eine Trage gekettet und jemand hat mir meine verdammten Rechte vorgelesen.“

Plötzlich war es still im Raum. Ellery wandte den Blick nicht von Kaden Camerons Gesicht ab. Teilweise, weil er überprüfen wollte, ob sein Klient die Wahrheit sagte, aber auch …

Weil Jackson Rivers Gesicht kalkweiß war, als stünde er unter Schock, und sich auf dieser hohen, hellen Stirn Schweißtropfen gebildet hatten. Er hatte Kadens Geschichte zweifellos gehört, doch Ellery war sicher, dass er bereits beim ersten Mal alles verinnerlicht hatte, noch bevor Ellery überhaupt einbezogen worden war.

Es waren die neuen Details über die korrupten Polizisten, die ihn aus der Bahn geworfen hatten, und zwar heftig. Plötzlich hätte Ellery zu gern mehr erfahren.

Zunächst musste er jedoch noch einiges klären.

„Einen Moment“, sagte er, während er erneut das Foto betrachtete. „Warten Sie – hatten Sie nicht gesagt, die Überwachungskamera hätte nicht funktioniert?“

„Ja“, brummte Kaden. „Und das hätte nicht sein dürfen. Denny und ich, wir achten immer darauf, das Ding in gutem Zustand zu halten.“

Ellery betrachtete wieder das Foto. „Ich wusste es. Das Bild ist zu scharf, um von einem Video zu stammen. Wirkt eher wie mit dem Handy aufgenommen. Aber … aber Officer Bridger – der ältere Polizist, der mit der Waffe – war derjenige, der es gemeldet hat, oder? Und derjenige, der sich an Sie herangeschlichen hat und …“

„Er konnte sich an mich ranschleichen, weil man mir irgendwas verabreicht hat!“, knurrte Kaden.

„Das weiß ich!“, erwiderte Ellery gereizt. „Aber darum geht es jetzt nicht. Ich habe keine offiziellen Fotos vom Tatort. Dafür sollte es auch zu früh sein. Aber stattdessen … habe ich das hier, das irgendwie versucht offiziell auszusehen. Wenn Bridger es doch so extrem eilig hatte, einen Krankenwagen für seinen Kollegen und Verstärkung Ihretwegen zu rufen, wer hat dann dieses verdammte Foto gemacht?“

Kaden stutzte und sah wie automatisch zu Jackson hinüber. Jackson atmete ein letztes Mal geräuschvoll durch … und trat näher. Ellery war nicht sicher, was den Mann quälte, aber einer Sache war er sich sehr sicher.

Jackson war auch nicht dumm.

„Zeig mir das Foto“, verlangte er.

Ellery reichte es ihm, ohne darüber nachzudenken. Eigentlich hätte er es ihm ein wenig schwerer machen sollen, nur um Jackson zu zeigen, mit wem er sich lieber nicht anlegte, aber verdammt, der Typ hatte einfach etwas. Ellery war ziemlich sicher, dass seine Mutter jeder Bitte von Jackson Rivers nachgegeben hätte, obwohl diese Frau eigentlich niemals nachgab.

Jackson schluckte so laut, dass er es hören konnte. Ellerys Neugier darüber, was den Mann so sehr aus der Fassung bringen konnte, brannte ihm allmählich ein Loch in den Magen. Er besaß alle Anzeichen eines ehemaligen Gesetzeshüters, mochte jedoch offensichtlich keine Polizisten. Und was Kaden beschrieben hatte, war …

Entsetzlich. Er hatte etwas Entsetzliches erlebt. Etwas so Schlimmes, dass sein Freund ihn vor einem hässlichen – und offenbar akzeptierten – Aspekt seines Alltags geschützt hatte.

„Du hattest Glück, K.“ Jacksons schroffe Stimme erschütterte die Stille, die sich über den Raum gesenkt hatte. „Ich weiß nicht, warum er dich nicht umgebracht hat.“

„Ein verdammtes Wunder“, stimmte Kaden zu.

Plötzlich sah sich Jackson über seine Schulter hinweg zu ihm um. „He, habt ihr überhaupt eine Pistole im Laden?“

Kaden nickte verwirrt. „Die haben wir, aber sie liegt in einem Safe, weil wir sie hassen. Und es ist eine .22, weil, wer braucht schon so eine Kanone? Was ist das eigentlich für ein Ding?“

„SIG Sauer P229“, antwortete Jackson leicht abwesend. „Sie ist nicht die Standardwaffe der Polizei, aber eine der beliebtesten Pistolen der Welt. Und ich wette, dass sie eine abgefeilte Seriennummer hat – oder eine verdächtige Vergangenheit.“ Er hob den Blick von dem Foto, das er betrachtete, um Ellery anzusehen. „Wir brauchen ein unabhängiges ballistisches Gutachten – kannst du das veranlassen?“

Ellery nickte und griff nach seinem Kugelschreiber, um seinen Stichworten zu Kadens Geschichte eine Notiz hinzuzufügen.

„Warte.“ Jackson rief Ellery mit einem Ruck seines Kinns zu sich. „Sieh dir das an – den Rand des Fotos. Was siehst du da?“

Ellery verließ den Tisch, um über seine Schulter zu spähen. Er stellte fest, dass Jackson kleiner war als er selbst, auch wenn seine selbstbewusste Haltung die eines größeren Mannes war. Und er roch nach … tja, nach Sex. Nach Sex, ein wenig nach Rauch und leicht verschwitzt. Vielleicht wie ein Mann, der früh aus dem Bett gerufen worden war? Unmöglich zu wissen, wessen Bett. Soweit Ellery sehen konnte, war sein Ruf jedenfalls wohlbegründet.

Ein ungeduldiges Knistern vor ihm lenkte Ellerys Aufmerksamkeit wieder auf das Foto und er richtete den Blick auf den Rand, über den Jackson mit einem kräftigen Finger fuhr. „Ich weiß es nicht. Es ist rot und ziemlich verschwommen …“

„K, komm mal rüber. Woran erinnert dich das?“

„Ich hab Kopfschmerzen, Jacky – wie wär’s, wenn du zu dem Mann mit der Gehirnerschütterung kommst?“

Jackson entschuldigte sich mit einem Brummen. „Ja, tut mir leid.“ Er näherte sich ihm von hinten und streckte das Foto vor sich, damit sie es beide betrachten konnten.

„Oh … Gott. Sieht aus wie eins von Rhondas Fotos. Ihre verdammte …“ Jackson sah ihn an und nickte. „Ihre verdammte Handyhülle ist immer mit dem Rand vor der Kamera.“

Jackson richtete einen Blick, mit dem er hätte Stahl durchbohren können, auf Ellery. „Wir müssen rausfinden, wo das herkommt. Siehst du das hier?“ Ellery hatte keine andere Wahl, als sich wieder über seine Schulter zu beugen, um das Foto anzusehen. „Die Spiegelung hier? Das sind Jeans. Es wurde nicht von einem Polizisten aufgenommen und ganz sicher nicht von forensischen Experten. Jemand anders hat es gemacht. Warum haben wir keine normalen Fotos vom Tatort?“

Ellery runzelte die Stirn und blätterte durch die Akte, als könnte dadurch plötzlich neue Seriosität aus ihr erwachsen. „Ich weiß es nicht. Ich meine, wir dürften noch gar nichts haben.“

„Nein? Wer war für die Fotos zuständig?“ Jackson stieß mit der Hand vor die Akte und begann wieder auf und ab zu gehen. Nervöse Energie schien seinen Körper zu durchströmen wie die elektrische Ladung eines Blitzes.

„Das steht hier nicht“, brummte Ellery. „Ich habe nach einer Unterschrift gesucht, einer Beweiskette, aber da ist nichts. Ich meine, es geht um einen Polizisten, aber ich habe nicht einmal ein vorläufiges forensisches Gutachten.“

Kaden musterte ihn eindringlich. „Heißt das nicht, es gibt keinen Fall?“

Ellery verzog das Gesicht. „Das sollte es heißen, Kaden, aber wir haben hier zwei Dinge, die das verhindern könnten.“

Jackson und Kaden seufzten kopfschüttelnd.

„Einen Polizisten und einen schwarzen Mann“, murmelte Kaden.

„Einen Polizisten und einen schwarzen Mann“, bestätigte Ellery.

Jacksons Kiefermuskeln spannten sich. Ellery sprach eilig, um ihn davon abzuhalten, mit den Zähnen zu knirschen.

„Okay, aber wir haben einige Ansatzpunkte. Da wäre Connie – denn es ist ein ausgesprochen praktischer Zufall, dass er sich an dem Abend krankmeldete, an dem zwei Polizisten kamen, um Geld einzutreiben.“

„Aber sie waren nicht da, um Geld einzutreiben!“, widersprach Kaden. „Ich bin nicht dumm. Wenn ein Bulle Geld verlangt, gibt man ihm das Geld!“

„Eigentlich sollte ein Polizist kein Geld verlangen“, sagte Ellery, obwohl er sich dabei dumm vorkam. Er kam sich noch dümmer vor, als die beiden Männer schnaubten und mit den Augen rollten. „Ich weiß natürlich, dass es korrupte gibt“, verteidigte er sich. „Aber in diesem Stadtteil gab es nie auch nur Nachforschungen in die Richtung. Es besteht Konsens darüber, dass Korruption hier kein Problem darstellt. Vielleicht befolgt nicht jeder von den Jungs immer genau die Vorschriften, aber was hier angedeutet wird, wäre offensichtlich – und weitverbreitet. Wie könnten sie damit durchkommen?“ Oh, Gott. Könnte er noch mehr wie ein idealistischer Fünftklässler klingen?

Kaden begann zu lachen und es war kein angenehmes Geräusch. „He, Jacky, glaubst du, man kann die Wohngegend des Typen aus dem Weltraum sehen?“

„Ganz bestimmt, K – sie muss so was von weiß sein.“ Sie schlugen ein, als wäre es ein alter Scherz zwischen ihnen und Ellery dürfte nicht länger mitspielen.

„Ich meine es ernst“, sagte er mit steinerner Miene. „Ich weiß nicht, was hier vorgefallen ist, aber wir dürfen es nicht mit der Ansicht angehen, dass es jeder Polizist auf uns abgesehen hat – sonst werden wir das Problem nicht lösen können.“

Kaden wirkte gelangweilt, aber Jackson nicht. Jackson wirkte wütend. Mit entschlossenen Schritten kam er auf Ellery zu, kam ihm zu nahe, bis Ellery zurückwich und gegen hartes Metall stieß.

„Jetzt hör mir mal zu“, zischte er, während Ellerys Hinterkopf schmerzhaft die Tür traf. „Dieser Mann gehört zu meiner Familie und wenn du ihn nicht gegen Kaution freibekommst, landet er auf einem Schlachtfeld, verstehst du? Kaden kann nicht ins Gefängnis – unsere halbe Nachbarschaft ist dort und die wissen alle, dass er der Freund eines ehemaligen Polizisten ist, und hassen ihn dafür. Und wenn du ihn freibekommst …“ Jackson schaute über seine Schulter, um durch einen wortlosen Blick mit Kaden zu kommunizieren. Dann schüttelte er den Kopf und richtete diesen beunruhigenden kristallgrünen Blick wieder auf Ellery. „Dann wird er trotzdem in größerer Gefahr sein als je zuvor. Die Kautionsanhörung ist morgen und dann dauert es wie lange bis zur Voranhörung? Drei Monate? Vier?“

Mord? An einem Polizisten? „Es könnte ein Jahr oder länger dauern“, gab Ellery zu.

„Wenn man sich also für ein Kapitalverbrechen entscheidet und keine Kaution erlaubt, dann muss er ein Jahr oder mehr in einer Zelle verbringen, während seine Familie um ihre Existenz kämpft. Wenn er doch vorläufig freikommt, hat stattdessen jeder korrupte Bulle in Nordkalifornien Monate Zeit, einen Grund zu finden, ihn anzuhalten und auf ihn einzuprügeln …“

„Jetzt übertreibst du aber“, sagte Ellery mit rauer Stimme. In Sacramento passierte so etwas nicht. Die Bevölkerung der Stadt gehörte zu den vielschichtigsten im ganzen Land und die Menschen dort hatten lernen müssen, miteinander auszukommen. Sonst hätte es wie in einem Kriegsgebiet ausgesehen.

„Dass es hier noch nicht passiert ist, gibt uns keine Garantie, dass es das nicht wird“, knurrte Jackson. „Und wenn es passiert und ein Video davon zum YouTube-Hit wird, wäre es nicht praktisch, wenn der Bulle, der darin meinen Bruder zu Tode prügelt, ein korrupter Polizist wäre, der einen Mord vertuschen will?“

Oh, Gott. Ja. Es war zweifellos möglich. Die Strafen für Polizisten, die rassistischer Vorurteile beschuldigt wurden, fielen notorisch niedrig aus. Aber …

„Nicht hier“, sagte Ellery und betete, dass er recht hatte. „Wir haben einen schwarzen Bürgermeister …“

„Wir haben einen schwarzen Präsidenten“, erwiderte Jackson. „Die letzten zwei Jahre nach den Unruhen in Ferguson sollten bewiesen haben, dass Vorurteile nicht einfach verschwinden, nur weil Liberale es gern hoffen. Kaden darf nicht ins Gefängnis kommen – das überlebt er nicht. Aber er kann auch nicht freikommen, bevor wir …“

„Bevor wir herausgefunden haben, warum das Ganze passiert ist, und die Verursacher hinter Gitter gebracht haben“, vervollständigte Ellery den Satz mit einem unguten Gefühl im Magen. Du liebe Güte. Jackson hatte recht gehabt: Das hier war der Fall, der einen Anwalt berühmt machen konnte.

Oder seine Karriere in tausend winzige Stücke zerschmettern.

In der Stille, die folgte, konnte Ellery nur ihre Atemzüge hören. Dann stieß Kaden ein leises, schmerzvolles Stöhnen aus.

Jackson entfernte sich augenblicklich ein Stück von Ellery und er konnte endlich durchatmen.

„K“, sagte Jackson leise. „Wir können dich jetzt zur Aufnahme weitergehen lassen oder …“

„Ich sorge dafür, dass er auf die Krankenstation kommt“, sagte Ellery, womit er sich selbst überraschte. „Durfte seine Familie ihn schon sehen?“

„Im Krankenhaus“, antwortete Jackson. „Bevor er hergebracht wurde und ich erreichen konnte, dass er in den Verhörraum durfte.“

Als Ellery ihm einen scharfen Blick zuwarf, zuckte er mit den Schultern. „Du hattest recht: Nicht alle Polizisten sind korrupt und ich habe einige Kontakte. Er durfte seine Frau und seine Kinder sehen – und wenn es dir gelingt, ihn gegen Kaution rauszuholen, kann er sie wiedersehen.“

Ellery nickte. „Ich werde versuchen, für einen Aufenthalt über Nacht auf der Krankenstation zu sorgen – um ihn von anderen Häftlingen fernzuhalten. Dort kann ich einige Stunden bei ihm bleiben.“ Ellery warf einen automatischen Blick in Richtung Tür, vor welcher der Wärter geduldig darauf wartete, Kaden nach der gestatteten Zeit mit seinem Anwalt wieder in seine Zelle zu bringen.

Jackson machte einen weiteren Schritt zurück, der Ellery mehr Raum zum Atmen verschaffte und bizarrerweise dafür sorgte, dass er diesen Körper, der so viel Wärme ausstrahlte, gleich vermisste.

„Also“, sagte Jackson nach einem Moment, in dem Ellery seinen Anzug zurechtgerückt und einen unauffälligen Blick in Kadens Richtung geworfen hatte, um festzustellen, ob er irgendwelche … Spannungen … zwischen Jackson und Ellery bemerkt hatte.

Vermutlich entsprang das Ganze sowieso nur Ellerys reger Fantasie.