Fleisch essen? - Ulrike Weiler - E-Book

Fleisch essen? E-Book

Ulrike Weiler

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Beschreibung

Aufklärung über einen Irrtum Dr. Ulrike Weiler analysiert Fakten und Vorurteile zum Thema Fleisch, diskutiert Konflikte zwischen Tier-, Umwelt- und Genießerschutz und zeigt den Weg zu politisch korrektem Hedonismus. Fleisch ist in Verruf geraten. Verbraucher quälen Zweifel ob der Produktionsbedingungen, es herrschen Angst vor Gesundheitsrisiken und Bedenken, ob Fleischkonsum aus Gründen des Tier- und Umweltschutzes überhaupt vertretbar ist. Gleichzeitig formiert sich eine Gegenbewegung, die hedonistischen Fleischkonsum feiert, das Luxussegment mit Kobe und dry aged beef erzielt steigende Umsätze. Dieses Buch greift vielfältige Aspekte rund um das Thema Fleisch auf und zeigt aus wissenschaftlicher Sicht, was gutes Fleisch ist, wie man es findet und welche Zielkonflikte bestehen.

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Ebook Edition

Ulrike Weiler

Fleisch essen?

Eine Aufklärung

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-624-8

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2016

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Für all die Landwirte und Metzger, die trotz heftiger öffentlicher Anfeindungen, fehlender gesellschaftlicher Wertschätzung und völlig unzureichender Bezahlung ihrer Arbeit und Produkte immer noch weitermachen. Die trotz alledem den Anspruch nicht aufgeben, gut mit ihren Tieren umzugehen, ihre Produktionsweise auf die Umwelt abzustimmen und gute Qualität zu erzeugen. Eben so gut, wie es unter den undankbaren Bedingungen heute geht.

Stuttgart, im März 2016,

bei einem Schweinepreis von 1,24 Euro

pro Kilogramm Schlachtgewicht …

Inhaltsverzeichnis

Titel
Inhaltsverzeichnis
1 Warum dieses Projekt
2 Menschen essen Fleisch
2.1 Karnivore, Omnivore, Vegetarier: kein Neuzeitproblem
2.2 Produkte tierischen Ursprungs und Verbreitungsgebiet
2.3 Fleischverzehr und Fleischverbrauch: heute – hier und anderswo
2.4 Über den Tellerrand: Wie sieht es am internationalen Markt aus, und wie viel Fleisch essen wir denn überhaupt?
3 Parallelwelten: Wertschätzung, Entfremdung und das Idyll
3.1 Warum die Wertschätzung gesunken ist
3.2 Die Polarisierung des Angebots und die Idealisierung des Natürlichen
4 Fleischessen und Gesundheit
4.1 Was uns nicht guttut: Fehlernährungen mit und ohne Fleisch
4.2 Wertvolles Fleisch – was sonst noch für die Ernährung Wichtiges drin ist
4.3 Risiken des Fleischkonsums – Mythen und Fakten
5 Fleischerzeugung und Nachhaltigkeit – ein Widerspruch?
6 Tierschutz – ein (Ver-)Kaufs­argument?
7 Und wo bleibt der Genuss? Was darüber entscheidet, ob Fleisch schmeckt
8 Vom Muskel zum Fleisch
8.1 Was ein Muskel zum Funktionieren braucht
8.2 Muskelfasern sind nicht alle gleich
8.3 Was Fasertypen mit dem Genusswert zu tun haben
8.4 Das harmonische Ganze: Wie Knochen und Fett mit dem Muskel zusammenspielen
8.5 Veränderungen des Muskels durch das Schlachten
8.6 Natürliche Fleischreifung: Die Zartmacher und warum sie auch beim lebenden Tier wichtig sind
8.7 Natürliche Fleischreifung und Fehlreifungen nach dem Schlachten
8.8 Wie Geschmack im Fleisch entsteht
8.9 Wenn es komisch schmeckt
8.10 Wie das Wachstum gesteuert wird, wo wachstumssteigernde Hormone ansetzen und was das für die Qualität bedeutet
8.11 Was die Züchtung kann
9 Vom Schlachten
9.1 Transport und Behandlung vor dem Schlachten
9.2 Schlachten und rituelle Varianten
9.3 Kritische Punkte in der Schlachtkette
9.4 Tierschutz am Schlachthof – profitabel für alle
9.5 Kontrollen und Klassifizierung
9.6 Die Vollzerlegung: Traditionelle und exotische Produktlinien
9.7 Vom Reifen
9.8 Vom Kochen und Braten: Garmethoden wissenschaftlich gesehen
10 Was die Landwirtschaft kann: Beispiel Schweinefleisch
10.1 Wie funktioniert die Schweinefleischerzeugung?
10.2 Schweinefleisch: Was kann die Fütterung?
10.3 Fütterung gegen Fehlaromen
10.4 Was ist bei High-End-Schweinen anders: das Iberico-Konzept und der Mythos vom Eichelmastschwein
10.5 Welche Qualitätsprobleme Schweinefleisch hat
10.6 Tierschutz contra Verbraucherschutz: die Ebermast
10.7 Schmecken glückliche Schweine besser?
11 Was die Landwirtschaft kann: Beispiel Rindfleisch
11.1 Zusammensetzung des Rindfleischmarkts – Fleischrinder versus Milcherzeugung
11.2 Rassen und ihre besten Seiten
11.3 Was zu Kalbfleisch zu sagen wäre
11.4 Ochse, Bulle, Färse, Kuh: Geschlechtsunterschiede und Produktivität
11.5 Das Märchen vom Kobe-Rind und was daran wirklich stimmt
11.6 Fütterung und Rindfleischqualität
11.7 Warum amerikanisches und argentinisches Fleisch besser ist
12 Wie man gutes Fleisch findet
Anmerkungen
Literatur

1Warum dieses Projekt

Bei wohl wenigen Lebensmitteln scheiden sich die Geister so sehr wie beim Thema Fleisch. Die Zeit des hochgeschätzten Veredelungsprodukts – so hat man Fleisch früher mal genannt – ist vorbei. Heute polarisiert das Thema Fleisch die Diskussionen, da viele Verbraucherinnen und Verbraucher darüber nachdenken, ob man Fleisch denn überhaupt essen darf, denn dafür stirbt ja ein Tier. Zudem haben Berichte über Missstände in der Tierhaltung und über negative Umweltfolgen und fehlende Nachhaltigkeit der Fleisch­erzeugung zum negativen Imagewandel beigetragen. Auch die beteiligte Fleischindustrie trägt aufgrund von Fleischskandalen und den Arbeitsbedingungen der dort beschäftigten Menschen zum negativen Bild bei. In puncto Glaubwürdigkeit und Ansehen bei der Bevölkerung haben sie inzwischen einen schlechteren Ruf als Politiker. Mit gutem Gefühl Fleisch essen können nur noch diejenigen, die diese Diskussionen ausblenden und bewusst ignorieren, oder die Menschen, die wissen, was in der Produktion wirklich passiert, die nicht der medialen Schwarz-Weiß-Malerei verfallen sind und die guten und die schlechten Seiten der Erzeugung kennen.

Zusätzlich zu diesen ethischen Aspekten werden mit Vehemenz die Fragen des ernährungsphysiologischen Werts und möglicher gesundheitlicher Folgen des Fleischkonsums diskutiert, ob man denn nicht ohne gesünder lebt oder ob dadurch eine Mangelernährung vorprogrammiert ist. Die Agitation für einen vegetarischen oder gar veganen Lebensstil hat inzwischen eine Professionalität erreicht, die hinter der Werbung der Fleischwirtschaft in keiner Weise zurückbleibt. Zum Teil angetrieben durch hochprofessionelle Kampagnen der Tierschutzorganisationen, die vom Infostand für Festivalbesucher bis hin zu Schulkampagnen alles bedienen, verweigern zunehmend jüngere Menschen den Fleischkonsum. Neben den fast 10 Prozent Verbrauchern, die behaupten, sich ohne Fleisch zu ernähren, wächst die Gruppe der sogenannten Flexitarier rasant an. Flexitarier ernähren sich überwiegend vegetarisch, Fleisch wird qualitätsbewusst und in kleinen Mengen in den Speiseplan integriert.

Doch was ist dann wirklich Qualität? Produktqualität mit hohem Genusswert? Oder die Art der Erzeugung: tiergerecht und um­weltfreundlich, aber mit Abstrichen hinsichtlich des Ge­nuss­werts?

Doch auch die Menschen, die Fleisch weiterhin fast täglich essen, haben keine wirkliche Wertschätzung für dieses Lebensmittel. Häufig ist es ein zweifelhafter Proteinträger mit geringem Genusswert, nur für wenige bedeutet Fleisch noch eine hochgeschätzte Quelle der Gaumenfreude.

Der Markt trägt diesen Entwicklungen Rechnung, treibt sie voran. Vegetarischer Wurstersatz erobert die Theken, während in normalen Läden zunehmend auch der Wunsch nach High-End-Fleisch erfüllt werden kann. Biofleisch hat eine hohe Reputation und wird als Alternative heftig diskutiert, aber der Anteil am Verbrauch dümpelt zum Beispiel bei Schweinefleisch bei weniger als 1 Prozent. Viele Verbraucher sehen die regionale Erzeugung in kleinbäuerlichen Betrieben als Alternative zu den Produkten, die unter den zweifelhaften Bedingungen der Massentierhaltung erzeugt werden und für die Tiere leiden und sterben müssen.

Aber stimmen diese Bilder? Ist das wirklich eine Alternative? Ist denn Fleisch aus landwirtschaftlichen Großbetrieben wirklich schlechter als das aus kleinen Betrieben? Und geht es Tieren im Kleinbetrieb besser, sind Tiere dort wirklich glücklicher?

Diese extremen Bilder und Vorstellungen basieren zum erheblichen Teil darauf, dass Menschen heute wenig Ahnung davon haben, wie das Lebensmittel Fleisch erzeugt wird, was gutes Fleisch ausmacht, welche Beziehungen zwischen tiergerechter Produktion, Produktqualität und Genusswert wirklich bestehen. Das Buch möchte hier wesentliche Grundlagen der Fleischerzeugung und der Produktqualität erläuterten und mit gängigen Vor- und Fehlurteilen aufräumen. Ich diskutiere seit vielen Jahren diese Themen mit Studierenden im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen an einer Universität und habe dabei festgestellt, wie viel Interesse und Wissensbedarf selbst bei landwirtschaftlich orientierten Studierenden zu diesem Thema besteht. Der größte Bedarf zeigte sich dabei für mich bei den Themen aus den Grenzbereichen zu anderen Diszi­plinen, ein Grund, warum ich für meine Lehrveranstaltungen auch den Kontakt zur Ernährungswissenschaft, der Fleischbranche und der Spitzengastronomie gesucht habe, um auch diese Sichtweisen und spezifischen Anforderungen in meine Lehre zu integrieren. Dieser interdisziplinäre Ansatz ermöglicht dann nicht nur Studierenden Erkenntnisse, die über die Enge der Disziplinen hinausgehen. Aus dieser lebendigen Lehrkooperation hat sich auch für dieses Buch die fruchtbare Zusammenarbeit mit einem Spitzenkoch eines benachbarten Sternelokals ergeben. Markus Eberhardinger ergänzt aus seiner Sicht die Themen des Buches mit kulinarisch-hedonistischen Aspekten sowie wissenschaftlicher Küchenkunst.

2Menschen essen Fleisch

2.1 Karnivore, Omnivore, Vegetarier: kein Neuzeitproblem

Fleisch zu essen ist Teil der evolutionären Entwicklung unserer Spezies. Fast alle Primaten sind strikt auf pflanzliche Nahrung programmiert, nur für Schimpansen und Paviane wird gelegentlicher Verzehr von Fleisch berichtet. Menschen sind im Gegensatz dazu Omnivoren, das heißt, unser Gebiss, unser Verdauungssystem sind darauf ausgelegt, dass wir sowohl pflanzliche als auch tierische Nahrung zu uns zu nehmen. Damit sind wir eine höchst anpassungsfähige Spezies, die mit unterschiedlichen Ernährungsgrundlagen überleben kann. Das heißt aber auch, dass eine prinzipielle Negierung von Produkten tierischen Ursprungs nicht den physiologischen Bedürfnissen unserer Spezies entspricht.

Wie die wenigen detaillierten ethnographischen Daten von Menschen, die aktuell noch als Jäger und Sammler leben, zeigen, variiert auch hier die Zusammensetzung der Kost bei den einzelnen Gruppen erheblich. Sie reicht von einer Ernährung, die fast nur auf tierischen Produkten basiert, bis hin zu einer vorwiegend aus pflanzlichen Ressourcen bestehenden Nahrung.1

Im Verlauf der Evolution war das Ernährungsverhalten der prähistorischen Menschen – wie das seiner pleistozänen Vorfahren – sehr flexibel. Unsere Vorfahren waren auf eine energetisch hochwertige, nährstoffreiche Kost ausgerichtet; eine weitergehende Spezialisierung auf bestimmte Lebensmittel, ein charakteristisches Pflanzen-Tier-Verhältnis oder eine definierte Makronährstoffverteilung sind nicht zu erkennen.

Fleisch hat einen hohen Gehalt an hochwertigem Protein und Fett, zudem zum Teil andere Vitamine und Mineralstoffe als Pflanzen. Nach einer Übersichtsarbeit von Ströhle und Kollegen (2009) zeigen neuere Isotopen-Auswertungen, dass die Australopithecinen vor 4,5 bis 2,5 Millionen Jahren bereits geringe Mengen tierischer Nahrung aufgenommen haben, ansonsten jedoch überwiegend harte, abrasive pflanzliche Kost konsumierten, die der Nahrung der heutigen Schimpansen ähnelte. Die ersten Vertreter der Gattung Homo wie Homo erectus und Homo habilis (vor 2,5 bis 1,5 Millionen Jahren) hingegen hätten bereits eine energetisch gehaltvollere, nährstoffreichere Kost verzehrt, was auch die typischen Veränderung des Gebisses in Richtung Omnivore, der Grazilisierung, erkläre. Wie der Homo sapiens sollen diese Vorläufer unserer Spezies eine omnivore Ernährungsstrategie verfolgt haben.2

Die Entwicklung und die Nutzung unserer großen Gehirnmasse sind energetisch höchst aufwendige Prozesse, daher verwenden Menschen im Vergleich zu Primaten und anderen Säugern einen wesentlich höheren Anteil des Grundumsatzes – das heißt des Energieverbrauchs in Ruhe – für den Energiebedarf des Gehirns. Eine speziesübergreifende Analyse der Nahrungszusammensetzung bei Primaten zeigt, dass paradoxerweise mit steigender Nahrungsqualität der relative Anteil der Nahrungsenergie ansteigt, der für das Gehirn benötigt wird. Diese Beobachtung stützt die Hypothese, dass die enorme Gehirnentwicklung im Laufe der Evolution erst durch die Verfügbarkeit von nährstoffreicher Nahrung und damit mehr Energie möglich wurde, das heißt, die starke Gehirnentwicklung wurde mit der Wandlung vom Pflanzenfresser zum Omnivoren möglich.

Im Vergleich zu anderen Primaten haben Menschen einen relativ kleineren Verdauungstrakt, insbesondere einen kleineren Dickdarm. Diese anatomischen Unterschiede belegen, dass der Verdauungstrakt an energetisch hochwertige, leichtverdauliche Nahrung angepasst ist. Menschen sind zudem weniger bemuskelt und fetter als andere Primaten ähnlicher Größe. Der außergewöhnlich hohe Fettanteil ist insbesondere in der Kindheit feststellbar. Der Körperfettgehalt von neugeborenen Menschen ist mit 16 Prozent weitaus höher als bei anderen Spezies, bei denen der Fettanteil im Schnitt nur 2 bis 3 Prozent des Geburtsgewichts beträgt, so auch bei Schimpansen.3 Der Fettgehalt erreicht mit 15 Monaten vorübergehend ein Maximum von 25 Prozent. Normalgewichtige habe einen so hohen Körperfettanteil erst wieder im fortgeschrittenen Erwachsenenalter. Dieser höhere Fettanteil und die geringere Muskelmasse erlauben in der Kindheit die rasche Gehirnentwicklung, quasi eine Schwerpunktsetzung bei der Gehirnentwicklung zu Lasten des Restkörpers. Bei Neugeborenen verbraucht das Gehirn fast 90 Prozent der Energie, die der Körper im Ruhezustand benötigt, mit 18 Monaten sind es immerhin noch über 50 Prozent, bei Erwachsenen etwa 25 Prozent.4

Die erste Errungenschaft: mehr Fleisch

Die Entwicklung der Jagd und der hierdurch steigende Fleischverzehr gelten als Schlüsselereignisse in der menschlichen Evolution. Der höhere Fleischanteil in der Nahrung lieferte mehr Energie und ermöglichte die Entwicklung eines größeren Gehirns, welches wiederum für die Kommunikation, Planung und die Verwendung von Werkzeugen bei der Jagd essentiell ist.

Dabei waren die tierischen Nahrungsmittel zudem eine reiche Quelle für die wichtigen mehrfach ungesättigten langkettigen Fettsäuren (PUFA), die insbesondere für die Gehirnentwicklung essentiell sind.5 Mit der Entwicklung zum Omnivoren mit natürlichem hohem Anteil tierischer Nahrung haben Menschen die Fähigkeit verloren, diese speziellen Fettsäuren selbst zu bilden. Sie wurden dann durch den steigenden Anteil tierischer Nahrung zugeführt.

Die verbesserte Nahrungsqualität hatte wohl auch Konsequenzen für die Fruchtbarkeit und damit die Verbreitung der menschlichen Vorfahren: Der steigende Fleischanteil in der Ernährung ermöglichte es, die Dauer des Stillens zu verkürzen und Kinder früher auf andere Kost umzustellen, da durch Fleisch hochwertigere, leichter verdauliche Proteine als in rein pflanzlicher Kost verfügbar waren. Eine kürzere Stilldauer führt dazu, dass eine erneute Schwangerschaft früher möglich wird.

Der Zusammenhang zwischen Nahrungszusammensetzung und Still- beziehungsweise Säugedauer wurde erst vor wenigen Jahren von einer schwedischen Forschergruppe durch den Vergleich von siebzig Säugetierspezies hergeleitet.6 Fleischfressende Arten haben eine kürzere Laktationsdauer als reine Pflanzenfresser. In ursprünglich lebenden Jäger- und Sammlergemeinschaften beträgt die durchschnittliche Stilldauer zwei Jahre und vier Monate. Bei den stärker auf pflanzliche Nahrung ausgerichteten Schimpansen beträgt die Säugedauer hingegen vier bis fünf Jahre. Daher wird die durch den Fleischanteil hochwertigere Nahrung als der zentrale Einflussfaktor gesehen, der es Menschen ermöglichte, sich zahlreicher fortzupflanzen, so dass sie zu einer unglaublich erfolgreichen Spezies wurden.

Die zweite Errungenschaft: das Kochen

Der zweite wesentliche Entwicklungsschritt in der menschlichen Esskultur war die Entdeckung, dass pflanzliche und tierische Produkte durch das Erhitzen im Feuer nicht nur geschmacklich interessanter wurden, sondern vielfältige ernährungsphysiologische Vorteile brachten. Neben einer Verbesserung der hygienischen Qualität (Abtötung von schädlichen Mikroorganismen und Parasiten) wurde durch das Erhitzen oder Kochen eine bessere Nährstoffverfügbarkeit erreicht. Reine Rohkost (auch mit tierischen Anteilen) führt zu massivem Energiemangel. Die gleiche Menge an zubereiteten Lebensmitteln ist hingegen energetisch wesentlich hochwertiger, da sie besser verdaut werden kann. Unter den pflanzlichen Inhaltsstoffen betrifft dies vor allem die Stärke, aber auch bei Fleisch werden das schwer verdauliche Kollagen und andere große Struktureiweiße durch das Erhitzen besser verdaulich und energetisch hochwertiger.

Auch wenn Rohkost den Ruf hat, gesünder zu sein als gekochte Lebensmittel, trifft dies per se nicht zu. Rohkost enthält neben Vitaminen auch viele Inhaltsstoffe, die für den Menschen nicht günstig sind, da sie die normale Aufnahme von Nährstoffen beeinträchtigen. Oft sind es Abwehrstoffe, mit denen die Pflanzen sich vor Fraß durch Tiere schützen, indem sie sich unbekömmlich machen. Solche Inhaltstoffe werden als antinutritive Inhaltsstoffe bezeichnet. Eine erhöhte Aufnahme von antinutritiven Substanzen kann die Nahrungsaufnahme vermindern, die Verdaulichkeit der Rohnährstoffe verschlechtern, und es können Stoffwechselstörungen bis hin zu toxischen Reaktionen auftreten. Antinutritive Inhaltsstoffe können zu ganz unterschiedlichen chemischen Stoffgruppen gehören wie Kohlenhydrate, Proteine, Phenole und Glykoside. In Sojabohnen kommen so Trypsininhibitoren vor, die das körpereigene Verdauungsenzym Trypsin hemmen. Trypsin ist wichtig für die Eiweißverdauung, denn es spaltet Proteine in Aminosäuren und macht sie damit für den Körper erst verwertbar. Andere antinutritive Stoffe gehören zu den Lectinen, komplexen Eiweißen, die in der Lage sind, sich an Zellmembranen zu binden und von dort aus biochemische Reaktionen auszulösen. Mit der Nahrung aufgenommene Lectine heften sich an die Darmzotten und können hierdurch zur Schädigung der Darmschleimhaut führen, was eine verminderte Nährstoffverdauung und -absorption zur Folge hat. Auch die Verfügbarkeit von Phosphor und Mineralstoffen wird durch antinutritive Pflanzeninhaltsstoffe wie zum Beispiel Phytinsäure reduziert. Phytinsäure dient den Pflanzen als wichtigster Phosphorspeicher und kann mit verschiedenen Mineralstoffen schwerlösliche Verbindungen bilden. In Folge kann die Verfügbarkeit von Phosphor, Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen beeinträchtigt werden, weil bei Spezies mit einhöhligem Magen wie Mensch und Schwein die Verbindungen nicht gespalten werden können.

Viele der antinutritiven Inhaltsstoffe wie Trypsininhibitoren und Lectine sind wärmeempfindlich und werden durch Erhitzen zerstört beziehungsweise in der Wirkung vermindert. Daher werden in den meisten Kulturen Getreidearten vor dem Verzehr ähnlich bearbeitet, fermentiert und erhitzt, zum Beispiel bei der Herstellung von Sauerteig- oder Hefebrot. Auch die in der vegetarischen Ernährung bedeutsamen Sojabohnen müssen vor dem Verzehr zuerst getoastet oder anderweitig erhitzt oder fermentiert werden, um den antinu­tritiven Trypsininhibitor zu inaktivieren. Dieser Vorgehensweise liegen jahrtausendealte Erfahrungen der Menschen zugrunde, da erst durch diese Formen der Verarbeitung viele Samen und Körner für den Menschen genießbar und verwertbar werden.

Auch die Stärke aus Speicherwurzeln oder Knollen ist in rohem Zustand für den Menschen wenig verdaulich, zum Beispiel kann Stärke aus rohen Kartoffeln von unseren Verdauungsenzymen kaum angegriffen werden und landet nahezu unverdaut im Dickdarm. Erst in den 1980er Jahren wurde nachgewiesen, dass ein Teil der verzehrten Stärke im Dünndarm nicht verdaut wird, obwohl alle dafür notwendigen Enzyme von der Bauchspeicheldrüse produziert werden. Diese schwer abbaubare Stärke wurde als resistente Stärke bezeichnet.

Sie ist entweder deshalb schwer abbaubar, weil sie wie bei Vollkornprodukten physikalisch unzugänglich innerhalb der Zellwände liegt und damit für Verdauungsenzyme nur schwer zu erreichen ist. Oder sie liegt – wie in rohen Kartoffeln – in Stärkekörnern (granuläre Stärke) vor, die in ihrer ursprünglichen (nativen) Form unverdaulich sind. Werden jedoch die Stärkekörner durch Erhitzen zum Quellen und Platzen gebracht, wird diese Stärke verdaulich.

Daher steigt durch das Kochen die Verdaulichkeit der Stärke von Kartoffeln im Dünndarm um das Mehrfache. Resistente Stärke hat einen nutzbaren Energiegehalt von 4 und 8 Kilojoule pro Gramm, verdauliche Stärke hingegen mehr als doppelt so viel (17 Kilojoule pro Gramm). Meistens ist den Verbrauchern nicht bewusst, dass auch viele Müslikomponenten vor dem Herstellen der Mischung mit Hitze und Druck behandelt wurden, um eine gute Verdaulichkeit zu erreichen.

2.2 Produkte tierischen Ursprungs und Verbreitungsgebiet

Es scheint logisch, dass bei ursprünglich lebenden Menschen die Region, in der sie leben, und die klimatischen Bedingungen entscheidenden Einfluss darauf haben, welche Bedeutung tierische Produkte in der Nahrung haben. Mit zunehmender Entfernung vom Äquator sind saisonale Perioden mit sehr geringer Verfügbarkeit pflanzlicher Nahrungsquellen ausgeprägter und nur tierische Produkte ermöglichen das Überleben. In den Tropen, wo hochverdauliche Nahrungsmittel aus Pflanzen kontinuierlich vorhanden sind, ist andererseits der Zwang geringer, tierische Produkte in den Speiseplan zu integrieren. Damit ist ein Vergleich der Ernährungsgewohnheiten in unterschiedlichen Regionen der Erde ein gutes Modell, um abzuschätzen, ob eine omnivore oder eher vegetarische Ernährung unserer Spezies entspricht.

Über die Nahrungszusammensetzung rezenter Jäger- und Sammlergesellschaften liegt eine erhebliche Zahl von Untersuchungen vor. Ein Teil der Untersuchungen beschäftigt sich auch genau damit, wie das Verbreitungsgebiet Einfluss auf die Nahrungszusammensetzung dieser Menschen nimmt. Generell gibt es kein festes Verhältnis zwischen tierischen und pflanzlichen Nahrungsbestandteilen. Im Mittel stammen 65 Prozent der aufgenommenen Energie aus tierischer Nahrung, aus pflanzlicher entsprechend 35 Prozent.7

Bei mehr als drei Viertel der weltweit untersuchten Populationen dominierten tierische Produkte in der Energieversorgung (mehr als 50 Prozent der Nahrungsenergie). Wenn die Jäger und Sammler ausgeschlossen werden, die aus klimatischen Gründen nahezu keinen Zugang zu pflanzlichen Produkten haben (zum Beispiel in Alaska, Grönland), liegt das Verhältnis tierische/pflanzliche Produkte etwa bei 60 zu 40. Der Breitengrad und damit die klimatischen Lebensbedingungen sind eine weitere Variable, die den Anteil der tierischen Nahrung beeinflusst. Unter tropischen Bedingungen (immerfeuchte Tropen, unter 10 Grad nördlicher und südlicher Breite) mit einer gleichmäßigen Verfügbarkeit von süßen Früchten und damit hochwertigen, leichtverdaulichen pflanzlichen Produkten liegt der Anteil tierischer Nahrungsmittel dennoch nie unter 40 Prozent.8

Tabelle 1: Anteil tierischer und pflanzlicher Nahrungsmittel in der Ernährung von rezenten Jäger- und Sammlergesellschaften in Abhängigkeit vom Breitengrad der Herkunft (Basis: Beitrag zur Energieaufnahme)9

Population

Herkunft

Breitengrad

Tierische Lebensmittel

Pflanzliche Lebensmittel

Efe

Afrika

2 N

44 %

56 %

Nukak

Kolumbien

2 N

41 %

59 %

Hadza

Afrika

3 S

48 %

52 %

Hiwi

Venezuela

6 N

75 %

25 %

Onge

Andaman Island

12 N

79 %

21 %

Aborigines

Australien

12 S

77 %

23 %

Anbarra

Australien

12 S

75 %

25 %

!Kung

Afrika

20 S

68 %

32 %

!Kung

Afrika

20 S

33 %

67 %

Gwi

Afrika

23 S

26 %

74 %

Ache

Paraguay

25 S

78 %

22 %

Nunamiut

Alaska

68 N

99 %

1 %

Eskimo

Grönland

69 N

96 %

4 %

Neben dem hochwertigen Protein ist auch das tierische Fett als Energielieferant wichtiger Nahrungsbestandteil rezenter Jäger- und Sammlergesellschaften. Der Proteingehalt von fettfreien Tierkörpern ist über alle Spezies relativ konstant, der Unterschied zwischen Tierarten liegt im Fettanteil. Dabei steigt der Anteil an Fett mit zunehmender Körpergröße der Art an.

Hintergrund ist einerseits die sogenannte Bergmannsche Regel, die besagt, dass aufgrund des ökonomischeren Wärmehaushalts (relativ kleinere Oberfläche bei zunehmenden Volumen) eher große Varianten einer Art in den äquatorfernen Regionen leben, während eine geringe Körpergröße mit relativ großer Körperoberfläche in den Tropen günstiger für das Überleben ist. Andererseits brauchen Tiere, die in einem gemäßigten Klima leben, jedoch auch zur Überbrückung der nahrungsarmen Zeit im Winter die Fähigkeit, größere Fettdepots aufzubauen. Fette Tiere werden bei Jäger- und Sammlergesellschaften weitaus mehr geschätzt als magere Tiere, sie meiden traditionell sehr proteinreiche (kleine oder abgemagerte) Tiere.

Ernährungsphysiologisch ist das sinnvoll, denn eine Vielzahl von Berichten belegt, dass eine extrem proteinreiche Ernährung ohne zusätzliche Energie aus Fett oder Kohlenhydraten massive Gesundheitsprobleme mit sich bringt. Das Krankheitsbild ist als »Kaninchenhunger« (rabbit starvation) bekannt und historisch bei den ersten Siedlern in Amerika beschrieben. Es kommt aber auch als saisonales Phänomen bei Jäger- und Sammlergesellschaften vor.10 Die Symptome umfassen anhaltendes Hungergefühl, Schwindel und Durchfälle und eine erhöhte Zahl von Todesfällen. Hintergrund ist wohl die begrenzte Fähigkeit der Leber, die limitierte Aktivität der Enzyme der Harnstoffsynthese zu steigern, so dass es zur Hyperammonämie und Hyperamino­acidämie kommt. Daher muss die Nahrung bei steigendem Anteil tierischer Produkte auch entsprechend mehr Fett oder Kohlen­hydrate enthalten.

2.3 Fleischverzehr und Fleischverbrauch: heute – hier und anderswo

Wir essen es wohl in Massen, und wir schätzen es immer weniger. Im Jahr 2009 berichtete die Zeitung Die Welt über eine wissenschaftliche Studie unter Federführung von Göttinger Wissenschaftlern zum Image von Fleisch und der Fleischwirtschaft bei der Bevölkerung.11 Danach vollziehen sich derzeit historische Umwälzungen: Die Essgewohnheiten der Oberschicht würden sich gerade von Grund auf verändern. Früher sei der Fleischverzehr Statussymbol gewesen, die Menschen hätten umso mehr Fleisch gegessen, je höher ihr gesellschaftlicher Status war. Nun habe sich der Trend umgekehrt. Nach den Ergebnissen der Nationalen Verzehrsstudie sinke der Fleischkonsum mit steigendem Bildungsniveau und Einkommen. Die Wohlhabenden und die Gebildeten würden am wenigsten Fleisch essen. Ein Grund dafür sei das sinkende Image des Lebensmittels Fleisch, zum Teil bedingt durch die Vielzahl der Skandale. Auch der Ruf der Fleischbranche bei deutschen Verbrauchern sei schlecht, und Landwirte, die eigentlich positiv wahrgenommen würden, hätten dann ein Imageproblem, wenn sie mit Tieren arbeiten.

In den unteren Schichten würden dagegen die größten Mengen an Fleisch und Fleischwaren verspeist. »Fleisch droht zum Unterschichtsprodukt zu werden«, sagt Achim Spiller, Professor für Lebensmittelmarketing an der Universität Göttingen. Spillers Ergebnisse seien für die Branche ernüchternd gewesen. »Ihr Ruf ist schlechter als der von Süßwarenindustrie und Banken und sogar weniger gut als der des notorisch ungeliebten Chemiesektors.«12

Imageprobleme sind nicht neu. Seit der BSE-Krise der 1990er Jahre kämpfen die Anbieter von Fleisch- und Wurstwaren mit dem schlechten Image. Zwar stand damals primär die Landwirtschaft wegen der Verfütterung von Tiermehl in der Kritik. Heute hingegen ist es die Fleischwirtschaft und dabei insbesondere die industriellen Großbetriebe, zu denen die Verbraucher wenig Vertrauen haben.

Zu dem Misstrauen tragen nach Auffassung von Achim Spiller nicht nur zahlreiche Gammelfleischskandale bei, sondern wohl auch der Umgang der Behörden und der Zunft mit solchem Fehlverhalten. Auch die Metzgerverbände und Fleischproduzenten beteuern nur, dass so etwas bei ihnen nicht vorkomme; die Hintergründe für solche Skandale werden nicht diskutiert. Beim Verbraucher entsteht das Bild einer verschworenen Gemeinschaft, die am Rande und jenseits der Legalität agiert, um schnödes Gewinnstreben auszuleben. Es ist klar, dass unter diesen Umständen dem Produkt, dem Fleisch, dann wenig Hochachtung entgegengebracht wird, sondern Unbehagen und Misstrauen.

Neben der Skandalberichterstattung sind zunehmend auch Aspekte der Nachhaltigkeit und Umweltfolgen ein Grund für den Abschied vom Fleisch, wie weiter unten ausführlich diskutiert wird.

Wer Fleisch mag und dazu steht

Verbraucher sind ein heterogenes Klientel. Wenn es darum geht, die Fleischkäufer zu charakterisieren, findet man Erstaunliches. Neben den Schwarz-Weiß-Einstufungen, die die Verbraucher in Veganer, Vegetarier oder Omnivoren einteilen, gibt es Untersuchungen, in denen die Verbraucher differenzierter klassifiziert werden. In einer Studie aus dem Jahr 2003 teilte zum Beispiel die Arbeitsgruppe um Achim Spiller die Verbraucher in sechs unterschiedliche Ernährungstypen ein. Diese sind mit ihren wesentlichen Eigenschaften in Tabelle 2 zusammengefasst. Neben den Schnäppchenjägern, die 2003 mit 28 Prozent die größte Gruppe ausmachten, gab es »Fleischfans« (22 Prozent), Kochfans (20 Prozent), Marken- und Industrial-Food-Orientierte (9 Prozent) und mit 8 Prozent die kleinste Gruppe der bewussten und kritischen Verbraucher.

Tabelle 2: Überblick über die verschiedenen Ernährungstypen in Deutschland 200313

Schnäppchenjäger

Fleischfan

ca. 28 %

ca. 22 %

sehr discountorientiert

kaum markenbewusst

wenig Kochinteresse

figur- und gesundheitsbewusst

geringes Gesundheits- und Fitnessinteresse

kein Konsum von Bio- und Trans-fair-Produkten

geringes Risikobewusstsein

Präferenz für Fast Food

Gleichgültige

Kochfan

ca. 13 %

ca. 20 %

geringes Koch- und Ernährungsinteresse

wenig regionale Lebensmittel oder Familienrezepte

eher discountorientiert

wenig markenbewusst

Präferenz für Fast Food

traditionsorientiert

gesundheitsbewusst

liest Kochbücher

besucht gute Restaurants

wenig discountorientiert

kauft regionale Lebensmittel

reagiert auf Krisen wie BSE

Bewusst und kritisch

Marken- und Industrial Food

ca. 8 %

ca. 9 %

Gesundheits- und Fitnessinteresse

starker Konsum von regionalen Lebensmitteln sowie Trans-fair- und Bio-Produkten

isst gerne in guten Restaurants

Ablehnung von Fast Food

geringes Kochinteresse

markenbewusst

isst angereicherte Lebensmittel

Fitness- und Schlankheitsinteresse

kauft regionale Lebensmittel, nutzt Familienrezepte

In dieser Studie werden gut 40 Prozent der deutschen Bevölkerung aufgrund ihres Ernährungsverhaltens als grundsätzlich für Qualitätsprodukte aufgeschlossen eingestuft. Diesen Verbrauchern sei gemeinsam, dass sie über ein höheres Einkommen und eine bessere Bildung verfügen und der Frauenanteil deutlich höher sei als in den übrigen Konsumentengruppen. Da gehört man doch gerne dazu.

Ganz anders sieht es bei der überraschend kleinen Gruppe der Fleischfans aus, die als Anhänger deftigen Essens charakterisiert werden, die gerne Fast Food konsumieren, bei denen Gesundheit und Fitness in der täglichen Ernährung eine untergeordnete Rolle spielen und die ein geringes Risikobewusstsein haben. Mit dieser Gruppe möchte man sich eher nicht identifizieren. Die Klassifizierung entwickelt so ihre Eigendynamik und beeinflusst die Einstellung zu dem Lebensmittel Fleisch durch Verknüpfung mit einem uncoolen Lebensstil. Die bereits zitierte Studie von 2009 setzt diesen Trend nur fort und macht per Schlagzeile Fleisch zum Lebensmittel der Unterschicht.

Auch wenn – wie unten ausgeführt – der Fleischverzehr nach der zitierten Nationalen Verzehrsstudie sich eben nicht zwischen den Schichten unterscheidet, nur im Wurstverbrauch besteht der Trend, werden diese plakativen Aussagen formuliert. Fleisch essen darf wohl nicht mehr schick sein.

Die Studien der Universität Göttingen waren nur der Auftakt, neuere Studien schreiben den Trend fort, den Fleischkonsum nicht gerade positiv darzustellen: Göttinger und Hohenheimer Wissenschaftler publizieren 2013, dass nach ihrer aktuellen Untersuchung 60 Prozent der Deutschen zu einer Einschränkung ihres Fleischkonsums bereit wären. Die Motivationsfaktoren seien hauptsächlich Überlegungen zur eigenen Gesundheit und zum Tierschutz. Tatsächlich wäre nach Einschätzung der Wissenschaftler der reduzierte Fleischkonsum in Industrieländern auch für Ressourcenschutz, Klimawandel und die Sicherung der Welternährung vorteilhaft. »Bereits 20 Prozent weniger Fleischkonsum in den Industrieländern hätte spürbare Auswirkungen auf Agrarpreise und die Ernährungssicherung armer Menschen in Entwicklungsländern«, so die Autoren der Studie, die im Auftrag der Edmund Rehwinkel-Stiftung durchgeführt wurde. Na, ist Ihnen jetzt endlich der Appetit auf Fleisch vergangen? Wer will das schon sein, ein prolliger Umweltschädling, der die Welternährung gefährdet? Kein Wunder, der Anteil der Menschen, die bewusst den Fleischkonsum reduzieren, nimmt laut Presse und Marktumfragen zu.

Eine beliebte Neuentdeckung der Medien sind dabei die Flexitarier, die zwar Fleisch essen, aber dies nur selten tun. Nach einer neuen belgischen Studie ist der Hauptunterschied zu den Verbrauchern mit bewusstem Fleischkonsum die Einstellung zum Tierschutz.14 Sie machen sich über Tierschutz und Tierhaltung mehr Gedanken als sonstige Omnivoren, sind aber weniger besorgt als Vegetarier. In ihren Wertvorstellungen – so die Wissenschaftlerinnen – haben sie höhere Werte in den Kriterien Fürsorge und Empathie und niedrigere in ihrer Wertschätzung von gesellschaftlichem Status und Autoritäten. Trotzdem unterscheiden sie sich in ihrem Sozialverhalten und dem gesellschaftlich orientierten Verhalten (zum Beispiel Spendenaktivität) nicht von den Omnivoren. Die Wissenschaftlerinnen empfehlen daher, die Flexitarier in Werbung und Marketing als eigenständige Verbrauchergruppe anzusprechen.

Ähnliche Ergebnisse wurden auch für deutsche Verbraucher erhoben.15 In dieser Onlinestudie mit circa 1 200 Befragten gaben circa 12 Prozent an, zwar nicht vollständig auf Fleisch zu verzichten, dieses aber bewusst und maßvoll zu konsumieren, und wurden damit als Flexitarier eingestuft. 3,5 Prozent waren Vegetarier, und etwa 10 Prozent gaben an, in der Zukunft den Fleischkonsum reduzieren zu wollen. Die eher fleischkritische Gruppe war nach dieser Studie besser informiert und sozial besser gestellt, und der Gesundheitsaspekt des Fleischkonsums hatte für sie einen hohen Stellenwert.

Unabhängig davon versuchen manche Gruppen, die Flexitarier für sich zu beanspruchen. Laut einer aktuellen FORSA-Umfrage zählen nach Aussage des Vegetarierbunds Deutschland rund 42 Millionen zu den Flexitariern.16 Damit gäbe es in Deutschland natürlich viel mehr Flexitarier als Vegetarier. Definiert wurden Flexitarier bei dieser Umfrage als Personen, die mindestens dreimal pro Woche auf Fleisch verzichten. Völliger Quatsch, da nicht die Verzehrshäufigkeit per se, sondern die Motivation hierzu im Vordergrund stehen müsste.

Wie viele echte Vegetarier gibt es?

Sucht man Zahlen zum Vegetarieranteil in den europäischen Ländern, so tut man sich schwer. Für 2012 werden 9 Prozent angegeben.17 In Allensbach-Untersuchungen von 2012 bis 2015 wird die Zahl mit 7,1 Millionen für 2012, 7,5 Millionen für 2013 und 5,3 Millionen beziehungsweise 5,4 Millionen für die Jahre 2014 und 2015 angegeben.18 Bezugsbasis der Untersuchungen war dabei die deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren. Augenfällig ist die krasse Abnahme der Vegetarierzahlen von 2013 auf 2014.

Nein, sie wurden nicht von Mangelerkrankungen dahingerafft, sondern die unerwartete massive Abnahme erklärt sich ausschließlich durch den Wechsel der Formulierung in der Befragung. Bis 2013 wurde gefragt, ob sich die Befragten zur Gruppe »Vegetarier oder Leute, die öfters mal auf Fleisch verzichten« zählen. Ab 2014 lautete die Frage, ob sie sich als »Vegetarier oder Leute, die weitgehend auf Fleisch verzichten« bezeichneten. Obwohl diese Formulierungen für mich per se überraschend sind, erklären sie hier zumindest die divergierenden Zahlen. Allensbach beziffert für 2014 den Anteil der Veganer auf 1,2 Prozent (Zuordnung zur »Personengruppe: Veganer oder Leute, die weitgehend auf tierische Produkte verzichten« durch den/die Befragte/n).

In einer Untersuchung der Verbraucherzentralen von 2013 bezeichnen sich etwa 1 Prozent der Verbraucher als vegan sowie 4 Prozent als vegetarisch. Bei Frauen liegt der Anteil in solchen Umfragen mit 7 Prozent (1 Prozent vegan und 6 Prozent vegetarisch) eindeutig höher als bei Männern (zusammen 2 Prozent). Auch bei jüngeren Leuten ist der Trend zur fleischfreien Ernährung stärker als bei der Gesamtbevölkerung. 16- bis 29-Jährige beiderlei Geschlechts bezeichnen sich zu 12 Prozent als Vegetarier (10 Prozent) oder Veganer (2 Prozent), bei den 30- bis 49-Jährigen sind es zusammen nur 4 Prozent (1 Prozent und 3 Prozent) und 2 Prozent insgesamt bei den Älteren. In dieser Erhebung wurde gefragt, welche Aussagen am besten auf ihre Ernährung zutreffen (mit den Antworten »Ich ernähre mich überwiegend vegan beziehungsweise überwiegend vegetarisch«). Der Anteil der Befragten, die fast täglich Fleisch oder Wurst essen, betrug 21 Prozent insgesamt, 34 Prozent bei Männern und 9 Prozent bei Frauen. Viele Verbraucher gaben an, »mittlerweile weniger Fleisch als vor ein bis zwei Jahren zu essen« (33 Prozent der unter 45-Jährigen, 47 Prozent der 46- bis 55-Jährigen und 59 Prozent der über 56-Jährigen).19

Allerdings sprechen die Statistiken eine andere Sprache: Von 2012 bis 2014 hat der Fleischverbrauch in Deutschland statistisch um nur 0,45 Prozent abgenommen, die von den Befragten angegebene Abnahme des Konsums ist wohl mehr gefühlt als real messbar.

In älteren englischen Studien zeigen sich die Schwierigkeiten der Erhebung deutlich: Hier wurde untersucht, was Befragte als »Fleisch einstufen« – nicht unerheblich, wenn es um die Diskussion geht, ob man Fleisch isst oder nicht. Wurst oder Hamburger wurden in dieser Untersuchung von knapp 60 Prozent als Fleisch eingestuft, Hähnchen von 83 Prozent, während die klassischen roten Fleischsorten von mehr als 95 Prozent so eingestuft wurden.

Aufschlussreicher sind die Gründe, die genannt werden, warum die Befragten (nur Vegetarier und Veganer) keine tierischen Produkte / kein Fleisch essen beziehungsweise nur selten Fleisch essen. In einer FORSA-Untersuchung im Auftrag der Verbraucherzentrale aus dem Jahr 2013, die in Abbildung 1 dargestellt ist, sind die beiden gleich oft genannten Gründe, dass die Produkte nicht gut schmecken (34 Prozent) und dass das Fleisch aus Massentierhaltung beziehungsweise nicht artgerechter Tierhaltung stamme. Dass (zu viel) Fleisch ungesund wäre, war für 31 Prozent der Befragten wichtig.

Abbildung 1: Gründe, warum die befragten Vegetarier und Veganer keine tierischen Produkte / kein Fleisch beziehungsweise nur selten Fleisch essen20

Auch wenn die Zahl der Vegetarier damit nur grob geschätzt werden kann und der Fleischverbrauch marginal zurückgeht, gibt es doch harte Zahlen, die zeigen, dass der Verbraucher Alternativen testet. Der Anteil der Konsumenten, die mindestens einmal pro Woche vegetarische Fleischersatzprodukte wie zum Beispiel Tofu zu sich nehmen, ist von circa 1,41 Millionen 2010 auf 2,15 Millionen 2015 gestiegen.21 Der Anteil der Menschen, die noch nie Fleisch­ersatz konsumiert haben, ist in diesem Zeitraum von 60,4 auf 58,2 Millionen gesunken. Hört sich nicht so bewegend an, doch die Wachstumsrate dieses Sektors betrug jährlich immerhin 18 Prozent.22 Erste Großfabrikanten der Wurstbranche machen bereits mit. Sie fürchten, dass Wurst und Fleischprodukte bald eine ähnliche gesellschaftliche Ächtung erfahren werden wie Zigaretten. Und das bedeutet sinkenden Umsatz. Dabei hat sich auch die Orientierung auf den Bioladen abgeschwächt, Vegetarier/Veganer kaufen am liebsten bei den Großen der Branche (Rewe und Edeka) sowie den Discountern Aldi und Lidl, Bioläden landen auf Platz 5.23

Immerhin, jeweils fast 60 Prozent der Gesamtbevölkerung und speziell die Untergruppe der Flexitarier können sich nicht vorstellen, vegetarische Wurstersatzprodukte zu kaufen. Ich verstehe auch immer nicht so ganz, warum Vegetarier, wenn ihnen Fleisch nicht schmeckt und sie auch wegen der Produktionsbedingungen Fleisch und Wurst nicht essen möchten, nicht gänzlich auf Wurst­artiges verzichten wollen. Umso unverständlicher, wenn man weiß, dass ein Hauptbestandteil vieler vegetarischer Wurstprodukte Hühnereiweiß ist.

2.4 Über den Tellerrand: Wie sieht es am internationalen Markt aus, und wie viel Fleisch essen wir denn überhaupt?

International stellt sich das Verhältnis zu dem Produkt Fleisch äußerst divers und zum Teil völlig anders als in Deutschland dar. In einer internationalen Studie von Gé Backus und anderen wurden jeweils die drei wichtigsten Gründe beim Kauf von Fleisch in verschiedenen Ländern ermittelt.24 In Deutschland war die Kaufentscheidung extrem durch die »Qualität« bestimmt (für über 70 Prozent der Verbraucher eines der Top-3-Motive), was auch immer die Befragten darunter verstanden haben mögen. In China war dieses Motiv im Vergleich zu anderen Nationen von geringster Bedeutung, wenn auch immerhin noch bei etwas mehr als 50 Prozent der Verbraucher unter den Top-3-Motiven. In China zählte der Preis am wenigsten, dagegen wurden Gesundheitswert und Sicherheit des Produkts am höchsten bewertet. Tierschutzaspekte waren bei etwa 30 Prozent der deutschen Befragten unter den Top-3-Motiven – im internationalen Vergleich der höchste Wert.25

Anhand der Kaufmotive wurden auch hier die Verbraucher in Kategorien eingeteilt. Die umwelt- und tierwohlorientierten Verbraucher waren nach dieser Untersuchung mit 36 Prozent in Deutschland die größte Gruppe, der Anteil der »Schnäppchenjäger« nur etwa ein Drittel so groß wie in der oben vorgestellten Untersuchung von Maren Lüth und Kollegen.26 Interessanterweise waren in verschiedenen Ländern Verbraucher explizit »Anti-Öko« beim Fleischkauf eingestellt, insbesondere in Russland (33 Prozent), Polen (14 Prozent), China (16 Prozent) und Spanien (26 Prozent).

Die Zahlen bezüglich unseres Fleischverbrauchs sind beeindruckend. Jährlich verbraucht der Durchschnittsdeutsche etwa 13 Kilogramm Rind, 54 Kilogramm Schwein und 19 Kilogramm Geflügel, hinzu kommen circa 3 Kilogramm Lamm, Wild und Innereien, alles in allem fast 89 Kilogramm. Trotz des eindeutig belegten Imageverlusts hält sich seit fast 15 Jahren der Verbrauch auf diesem Niveau. Im Jahr vor der Wende erreichte der Fleischverbrauch in Deutschland sein historisches Hoch mit etwa 105 Kilogramm, davon fast 24 Kilogramm Rind, 62 Kilogramm Schwein, aber nur 11 Kilogramm Geflügel. Innereien waren mit fast 5 Kilogramm beliebt, aber Rind und Innereien wurden dann zu den größten Verlierern der BSE-Welle, Geflügel der Gewinner, und sein Siegeszug hält bis heute an. Ein Grund dafür ist der niedrige Fettgehalt und die weiche Konsistenz, die bei Kindern und Frauen das Produkt besonders beliebt macht.

Abbildung 2: Fleischverbrauch (Kilogramm/Person) in den vergangenen drei Jahrzehnten nach Fleischarten27

* Sonstiges: 50 Prozent Wildbret

Ein Fleischverbrauch von über 240 Gramm pro Person und Tag im Jahr 2014 – eindrucksvolle Zahlen, die in ihrer Dimension in jeder Antifleisch-Diskussionsrunde überzeugen. Allerdings ist den Diskutanten meist weniger bewusst, dass der Verbrauch nicht das ist, was auf unserem Teller landet, sondern nur das, was für unseren Inlandsmarkt an Schlachtkörpern verbraucht wird. Diese Zahlen sind valide und durch wenig Einflussgrößen verfälscht. Allerdings sagen sie nur begrenzt etwas über unseren Fleischverzehr aus, also über das, was wir wirklich essen. Die Zahlen enthalten die nicht unerheblichen Mengen an Fleisch für unser Haustierfutter, das inzwischen zu höheren Preisen vermarktet wird als Wurstwaren beim Discounter. 2014 wurden für Katzenfutter (Fertignahrung) 1 569 Millionen Euro in Deutschland ausgegeben, der Fleischanteil summiert sich dabei auf circa 44 Kilogramm pro Katze und Jahr und damit auf circa 370 000 Tonnen jährlich bei der niedrig geschätzten Zahl von 8,4 Millionen Katzen (andere Statistiken gehen von 12 Millionen Katzen aus, das wären dann 530 000 Tonnen jährlich). Hundefutter (Fertigfutter) hatte 2014 einen Umsatz von 1 265 Millionen Euro. Bei circa 131 Kilogramm Fleisch pro Hund und Jahr sind dies bei 6,9 Millionen Hunden circa 900 000 Tonnen.28 Das entspricht zusammen mengenmäßig etwa der gesamten Rindfleischerzeugung in Deutschland (2014: 1 125 000 Tonnen).

Der Verbrauch enthält zudem auch die Teile, die vom Schlachtkörper nicht gegessen werden, zum Beispiel Knochen, sowie das, was vom Teller direkt in den Abfall wandert. Traditionell rechnet man den Verzehr mit circa zwei Drittel des Verbrauchs, wobei große Unterschiede zwischen den Fleischarten bestehen. Geflügel hat einen Anteil von weniger als 60 Prozent wegen des hohen Knochenanteils der Karkasse, Innereien nur circa 20 Prozent, da der Hauptteil der Innereien in das Tierfutter wandert, bei Rind und Schwein ist der Anteil des Verzehrs mit etwa 70 Prozent am höchsten.

Bessere Zahlen über die Mengen, die wir dann wirklich an Fleisch essen, kann man nur mit einer aufwendigen Befragungstechnik wie zum Beispiel Diet-History-Interviews (Ernährungsverhalten in den letzten vier Wochen) oder der 24-Stunden-Recall-Methode erfassen. Hierbei werden mit mehreren tausend zufällig ausgewählten Verbrauchern unterschiedlicher Altersgruppen Interviews über ihr Essverhalten geführt. Die Teilnehmer werden zweimal telefonisch darüber befragt, was sie am Vortag der Befragung gegessen und getrunken hatten. Jeweils zwei Befragungen werden mit einem zeitlichen Abstand von einer bis sechs Wochen durchgeführt. Mit beiden Techniken wurden die Daten für die Nationale Verzehrsstudie II erhoben.29

In der aktuellen Studie wurden so für Männer 1 092 Gramm Fleisch, Fleischerzeugnisse und Wurstwaren pro Woche ermittelt (das ist zwar das Doppelte der empfohlenen Menge, auf das Jahr gerechnet jedoch mit 57 Kilogramm in der Größenordnung des errechneten Verzehrs).

Im Gegensatz dazu liegt für Frauen die per Befragung ermittelte Verzehrsmenge im aktuellen Bericht mit durchschnittlich 595 Gramm pro Woche etwa im Empfehlungsbereich der Ernährungswissenschaftler und erreichte im Jahr etwa 31 Kilogramm.

Abbildung 3: Verzehrsmenge (g/Tag) an Fleisch (helle Säulen) und Fleischerzeugnissen (dunkle Säulen) in Bayern nach Alter und Geschlecht (Ergebnisse der Bayerischen Verzehrsstudie 2002/2003)

Neben dem Geschlechtsunterschied gibt es auch interessante Alterseinflüsse und bemerkenswerte regionale Besonderheiten. In der Nationalen Verzehrsstudie wurde das nahezu höchste Niveau des Verzehrs an Fleisch und Fleischwaren in der Altersgruppe der 35- bis 50-Jährigen gefunden (Männer: 166 Gramm pro Tag Frauen: 93 Gramm pro Tag). Nur junge Männer der Altersgruppe 19 bis 24 Jahre übertreffen den Konsum der 35- bis 50-Jährigen noch leicht (169 Gramm pro Tag). Ein leicht anderes Bild ergibt sich in einer statistischen Erhebung aus Bayern, wie in Abbildung 3 dargestellt. Hier sind die Verzehrszahlen zwar im Durchschnitt ähnlich wie im Rest der Republik, allerdings scheint die Aufzucht männlicher Jungbajuwaren temporär absolut proteinlastig und ist damit nicht ohne weiteres auf den Rest der Republik übertragbar.

All diese Einflussgrößen können nur zum Teil die interessante Diskrepanz zwischen dem relativ konstanten Verbrauch der letzten Jahre und dem tendenziell sinkenden Verzehr erklären. Eine Ursache ist der steigende Geflügelverbrauch, da beim Geflügel der Fleisch­anteil aufgrund des hohen Knochenanteils relativ geringer ist als bei Rind und Schwein. Andererseits ist der steigende Anteil an Tierfutter und Abfällen eine Erklärung für die abnehmende Menge, die wirklich verzehrt wird. Unsicherheiten bleiben, wie immer, wenn harte Umsatzzahlen mit Verbraucheraussagen verglichen werden.

Neben diesen Einflussgrößen wird zunehmend auch ein schichtenspezifisches Ernährungsverhalten thematisiert, wie oben bereits dargestellt. Die Aussage von Achim Spiller und Kollegen, dass Fleisch dabei sei, das Lebensmittel der Unterschicht zu werden, stimmt dabei nicht ganz. Die Nationale Verzehrsstudie II zeigt, dass Menschen der unteren Schicht weniger Lebensmittel mit günstiger Nährstoffzusammensetzung wie Gemüse, Pilze und Hülsenfrüchte, Obst und -erzeugnisse sowie Fisch oder -erzeugnisse und Krustentiere verzehren als Frauen und Männer der Oberschicht. Stattdessen essen Personen der unteren Schicht mehr fett- und zuckerreiche Lebensmittel wie Fleisch, insbesondere Wurstwaren und Fleischerzeugnisse, Fette (Streichfette) sowie Süßwaren. So zumindest steht es wörtlich in der Nationalen Verzehrsstudie II. Betrachtet man die Zahlen aber genauer, so ist offensichtlich, dass der Unterschied nicht in der Fleischmenge liegt, sondern sich auf die Fleischerzeugnisse, also Wurst etc., beschränkt.30

Damit stellt sich die Frage nach der Ursache dieser Trends und wie man Verbraucher und ihre Wünsche differenzierter beschreiben kann.

3Parallelwelten: Wertschätzung, Entfremdung und das Idyll

3.1 Warum die Wertschätzung gesunken ist

Gründe für den Imageverlust von Fleisch sind vielfältig. Die Gammelfleischskandale habe ich beispielsweise genannt. Ein weiterer wichtiger Grund ist jedoch ein Phänomen, das als »Überschreitung der optimalen Reizintensität« oder »Sättigungsphänomen« beschrieben wird. Fleisch ist billig und immer verfügbar, es ist vom begehrten Festtagsbraten zum wenig geschätzten Kantinenessen abgestiegen. Dass es so häufig konsumiert werden kann, liegt daran, dass es billig geworden ist, mehr als alle anderen Lebensmittel.

Die Landwirtschaft hat diese Entwicklung einerseits durch ihre erhebliche Produktivitätssteigerung ermöglicht und wird andererseits zu deren Opfer. Die Vorteile der Produktivitätssteigerung in den letzten Jahrzehnten werden gerne genutzt, etwa in Form von günstigen Preisen, doch das Image der Landwirtschaft ist gleichzeitig gesunken: Konnte in Deutschland ein Landwirt 1950 mit seiner Produktion nur zehn Menschen ernähren, sind es im Jahr 2008 bereits 148 Menschen. Diese Produktivitätssteigerung ist in der Öffentlichkeit jedoch negativ besetzt, ebenso wie Natürlichkeit beim Verbraucher durchweg positiv besetzt ist: Massentierhaltung auf der einen Seite, idyllische Szenen mit Tieren auf der Wiese auf der anderen Seite.

Was wenig kostet, ist wenig wert, und durch die zunehmende Entfremdung ist man schnell bereit, die Horrorgeschichten einschlägiger Veröffentlichungen zu glauben. Dass Fleisch Rückstände von Antibiotika und Hormonen enthält, wird gerne geglaubt und taucht in fast jeder Verbraucherdiskussion auf.

Wie es wirklich aussieht, dass diese Horrorgeschichten so nicht stimmen, ist dabei für jeden Verbraucher frei verfügbar. Die Infor-

Tabelle 3: Relative Entwicklung von Löhnen und Lebensmittelpreisen in den letzten vier Jahrzehnten: Erforderliche Arbeitszeit eines Industriearbeiters (Minuten) um 1 Kilogramm der unterschiedlichen Lebensmittel zu kaufen1

1970

1980

1990

2000

2010

2011

2013

2013/1970

Netto-Stundenverdienst (Industriearbeiter) €

2,68

5,51

8,12

11,36

13,13

13,43

13,99

522 %

aufzuwendende Arbeitszeit in Minuten je kg

Dunkles Mischbrot

15,5

14,5

12,8

11,2

11,1

11,5

11,3

72,9 %

Kartoffeln Hdkl. I

5,9

4,2

4,5

3,4

3,2

3,1

3,4

57,6 %

Tafeläpfel, Hdkl. I

12,4

14,2

13,0

8,7

6,7

7,0

8,1

65,3 %

Rindfleisch, zum Braten

115,0

87,2

69,1

51,3

35,2

37,0

40,0

34,8 %

Schweinefleisch, Kotelett

96,2

62,4

45,7

33,3

21,8

22,4

23,3

24,2 %

Brathähnchen, bratf. TK

45,8

27,7

18,9

12,0

8,6

9,2

10,1

22,1 %

frischer Fisch (Kabeljau)

52,6

52,4

66,2

66,3

k.A.

k.A.

k.A.

-

k.A.: keine Angabe

mationen kommen nur nicht in den Köpfen an, da in allen Bereichen der Gesellschaft das Vertrauen in Experten oder staatliche Berichte zunehmend verloren gegangen ist. Die Ergebnisse der aktuellen staatlichen Rückstandskontrollen stehen im Internet, darunter die Ergebnisse von fast 15 000 Rinder- und 30 000 Schweineproben, die pro Jahr analysiert werden.2