Flucht in der Literatur – Flucht in die Literatur - Luigi Reitani - E-Book

Flucht in der Literatur – Flucht in die Literatur E-Book

Luigi Reitani

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Beschreibung

Sowohl die antike als auch die moderne Literatur kennen das Thema Flucht in den Variationen des Exils, der Massenvertreibung und des Versuchs, aus einer psychischen oder materiellen Notsituation zu entkommen. Demgegenüber steht die Idealisierung einer Welt, in der Zuflucht gefunden werden kann und die dem Bereich der Kunst angehört. In einem weit gespannten Bogen von Vergil über Hölderlin bis hin zu Paul Celan zeigt Luigi Reitani eine kulturelle Dialektik auf, die für das Verständnis unserer Gegenwart von wesentlicher Bedeutung ist.

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Luigi ReitaniFlucht in der Literatur –Flucht in die Literatur

Copyright © 2016 Picus Verlag Ges.m.b.H., WienAlle Rechte vorbehaltenGrafische Gestaltung: Dorothea Löcker, WienISBN 978-3-7117-3004-6eISBN 978-3-7117-5335-9

Informationen zu den Wiener Vorlesungen unterwww.vorlesungen.wien.at

Informationen über das aktuelle Programmdes Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

Der Autor

Luigi Reitani, geboren 1959 in Foggia (Apulien). Studium der italienischen und der deutschen Literatur in Bari und Wien. Seit 2005 ordentlicher Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Udine. Gastdozent an den Universitäten Klagenfurt und Basel. Seit Oktober 2015 Leiter des italienischen Kulturinstituts in Berlin.

Zahlreiche Publikationen zur Goethezeit und zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Übersetzungen und kommentierte italienische Editionen von Werken deutschsprachiger Autoren (u.a. Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Friedrich Schiller, Arthur Schnitzler, Josef Winkler). Herausgeber und Übersetzer einer kommentierten zweisprachigen Ausgabe der gesamten Lyrik Friedrich Hölderlins (Milano: Mondadori 2001; Internationaler Mondello-Preis für literarische Übersetzung 2002).

Kulturbeiträge für verschiedene italienische Tageszeitungen und für den italienischen Rundfunk. Mitherausgeber der literarischen Reihe »Anemoni« beim Verlag Marsilio.

Ausgezeichnet mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Zuletzt erschienen: Germania europea Europa tedesca, Roma: Edizioni Salerno 2014; Il racconto della Germania. Cronache di letteratura tedesca contemporanea, Udine: Forum 2015.

Wiener Vorlesungen im Rathaus

Band 184Herausgegeben für die Kulturabteilung der Stadt Wienvon Hubert Christian Ehalt

Vortrag im Wiener Rathausam 15. März 2016

Erste Wendelin-Schmidt-Dengler-Vorlesung

Luigi Reitani

Flucht in der Literatur – Flucht in die Literatur

Inhalt

Die Wiener Vorlesungen im Rathaus

Für intellektuelle statt kriegerische AuseinandersetzungenVorwort

Flucht in der Literatur – Flucht in die Literatur

Namensverzeichnis

Der Autor

Die Wiener Vorlesungen im Rathaus

Am 2. April 1987 hielt der bedeutende polyglotte deutsche Soziologe Prof. Dr. René König im Rahmen der Tagung »Wien – die Stadt und die Wissenschaft« einen Vortrag im Wiener Rathaus zum Verhältnis von Stadt und Universität. In seinem Referat gab René König den Akteurinnen und Akteuren der Wiener Stadtpolitik und -verwaltung den Rat, Wien möge seine Universitäten als Impulsgeber intellektueller Kultur in die Stadt »einnisten«. Die Stadt Wien folgte diesem Ratschlag durch die Initiierung zahlreicher Förderungsinitiativen, durch die Gründung von sechs Wissenschaftsförderungsfonds, durch die Wissenschaftsfundierung ihrer Verwaltungsarbeit und last but not least durch eine Vortragsreihe, die »Wiener Vorlesungen«, das Dialogforum der Stadt Wien an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Die Wiener Vorlesungen beschäftigen sich mit den großen wissenschaftlichen und intellektuellen Fragen der Zeit. Die Wissenschaften kommen in immer kürzeren Zeiträumen zu eindrucksvollen Ergebnissen, die sehr oft in für Bürgerinnen und Bürger interessante Anwendungen münden. Die Wirksamkeit der Wissenschaften bietet aber auch Probleme, die jedenfalls in immer stärkerem Maß eine Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit Voraussetzungen und Folgen von Forschung notwendig machen.

Aus den Wiener Vorlesungen ist ein intellektuelles Netz aus Veranstaltungen, Publikationen und TV-Sendungen geworden. Die Vorlesungen waren als Projekt der Wissenschaftsvermittlung, der Aufklärung, aber auch der Kritik geplant, und sie arbeiten an diesen Zielsetzungen durch ständige Selbstreflexion, Methoden- und Formatwechsel, vor allem aber durch die Einladung von Vortragenden, die eine interessante Botschaft haben. Somit ist das Konzept der Wiener Vorlesungen von Beginn der Initiative an klar und prägnant: Prominente Denkerinnen und Denker stellen ihre Analysen und Einschätzungen zur Entstehung und zur Bewältigung der brisanten Probleme der Gegenwart zur Diskussion. Die Wiener Vorlesungen skizzieren nun seit Anfang 1987 vor einem immer noch wachsenden Publikum in dichter Folge ein facettenreiches Bild der gesellschaftlichen und geistigen Situation der Zeit. Das Faszinierende an diesem Projekt ist, dass es immer wieder gelingt, für Vorlesungen, die anspruchsvolle Analysen liefern, ein sehr großes Publikum zu gewinnen, das nicht nur zuhört, sondern auch mitdiskutiert.

Das Wiener Rathaus, Ort der kommunalpolitischen Willensbildung und der Stadtverwaltung, verwandelt bei den Wiener Vorlesungen seine Identität von einem Haus der Politik und Verwaltung zu einer Stadtuniversität. Das Publikum kommt aus allen Segmenten der Bevölkerung; sehr viele Zuhörerinnen und Zuhörer sind in den akademischen Feldern der Universitäten beheimatet; das Wichtige an diesem Projekt ist jedoch, dass auch sehr viele Menschen zu den Vorträgen kommen, die sonst an wissenschaftlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen. Das Rathaus ist ein guter Vortragsort, viele Besucherinnen und Besucher der Wiener Vorlesungen identifizieren es als einen »Ort ihrer Angelegenheiten« und sie verstärken durch ihre Anwesenheit den demokratischen Charakter des Hauses.

Die Referentinnen und Referenten der Wiener Vorlesungen sind Persönlichkeiten, die ihre Wissenschaft und ihr Metier durch die Fähigkeit bereichert haben, Klischees zu kritisieren und zu zerschlagen und weit über die Grenzen ihres Faches hinauszusehen. Das Besondere an den Wiener Vorlesungen liegt auch in dem dichten Netz an kollegialen und oft freundschaftlichen Banden, die die Stadt zu einem wachsenden Kreis von Forscherinnen und Forschern und Intellektuellen in aller Welt knüpft.

In den fast dreißig Jahren des Bestehens der Wiener Vorlesungen ist das Interesse an Wissenschaft ständig gewachsen. Die Wiener Vorlesungen haben dieses Interesse aufgegriffen und verstehen sich zunehmend als Schnittstelle zwischen der Forschung und einer an Wissenschaft interessierten Öffentlichkeit.

Die Vortragenden – bisher etwa sechstausend – kommen aus allen Kontinenten, Ländern und Regionen der Welt, und die Stadt Wien schafft mit der Einladung prominenter Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine kontinuierliche Einbindung in die weltweite »scientific community«. Für die Planung und Koordination der Wiener Vorlesungen war es mir stets ein besonderes Anliegen, diese freundschaftlichen Kontakte zu knüpfen, zu entwickeln und zu pflegen.

Das Anliegen der Wiener Vorlesungen ist eine Schärfung des Blicks auf die Differenziertheit und Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit. Sie vertreten die Auffassung, dass Kritik ein integraler Bestandteil der Aufgabe der Wissenschaft ist. Eine genaue Sicht auf Probleme im Medium fundierter und innovativer wissenschaftlicher Analysen dämpft die Emotionen, zeigt neue Wege auf und bildet somit eine wichtige Grundlage für eine humane Welt heute und morgen. Das Publikum macht das Wiener Rathaus durch seine Teilnahme an den Wiener Vorlesungen und den anschließenden Diskussionen zum Ort einer kompetenten Auseinandersetzung mit den brennenden Fragen der Gegenwart, und es trägt zur Verbreitung jenes Virus bei, das für ein gutes politisches Klima verantwortlich ist.

Die Wiener Vorlesungen analysieren mit dem Wissen um die unterschiedlichen zeitlichen Bedingungshorizonte der Gegenwart (Naturgeschichte, Sozialgeschichte, Ereignisgeschichte) die wichtigen Probleme, die wir heute für morgen bewältigen müssen. Wir sind uns bewusst, dass die Wirklichkeit der Menschen aus materiellen und diskursiven Elementen besteht, die durch Wechselwirkungsverhältnisse miteinander verbunden sind. Die Wiener Vorlesungen thematisieren die gegenwärtigen Verhältnisse als Fakten und als Diskurse. Sie analysieren, bewerten und bilanzieren, befähigen zur Stellungnahme und geben Impulse für weiterführende Diskussionen.

Hubert Christian Ehalt

Für intellektuelle statt kriegerische AuseinandersetzungenVorwort

Flucht ist ein zentrales Thema der menschlichen Geschichte. Soziale Einheiten, Stämme, Clans, Völker, Nationen, Staaten bekrieg(t)en sich aus unterschiedlichen Gründen, vertrieben und vertreiben andere, die stigmatisiert werden, denen die Existenzberechtigung abgesprochen wird, denen Lebensgrundlagen entzogen werden. Vielen blieb und bleibt nur die Flucht.

Im Sommer und im Herbst 2015 erreichte Europa eine große Flüchtlingsbewegung aus dem Kriegsgebiet in Syrien, aus dem Irak, aus Afghanistan und aus Afrika. Das Problem weltweiter Flüchtlings- und Migrationsbewegungen hatte mit allen Ursachen und Folgen, allen kurz- und langfristigen Konsequenzen auch Europa erreicht.

Die Auseinandersetzung mit der »Flüchtlingswelle« polarisiert die Politik, die Parteien, die Religionen, ihre »Soziotope« und die Menschen mit ihren Meinungen, Haltungen, Vorurteilen, Aversionen und Hoffnungen.

Flüchtlinge, Asylwerber und Migrantinnen und Migranten repräsentieren kein Thema, das kurzfristig erfolgreich bearbeitet, gelöst und abgehakt werden kann. Es ist merk-, spür- und fühlbar, dass »uns« Ungerechtigkeitsprobleme der Welt, die in den Flüchtlings- und Migrationsströmen zum Ausdruck kommen, länger beschäftigen und begleiten werden. Und es ist aus meiner Sicht auch nicht legitim, zwischen »uns«, den Repräsentantinnen und Repräsentanten einer grosso modo reichen Welt, und »den anderen«, die mit ihrer Flucht nach Europa den Wohlstand des Kontinents gefährden, zu unterscheiden. Vielleicht resultieren daraus längerfristig Perspektiven für eine weltbürgerliche Gesellschaft.

Die Grenzen zwischen Geschichte und Geschichten, zwischen Ereignissen und den Berichten und Erzählungen verschwimmen. Überliefert aus der Geschichte durch Traditionen und Geschichtsforschung sind unterschiedliche Textsorten. Zugespitzt formulieren manche Historikerinnen und Historiker, dass Geschichte Text ist. Aus der Interpretation und Zusammenfassung unterschiedlicher Quellen und deren Analyse auf der Grundlage exakter Quellenkritik schaffen Historikerinnen und Historiker ihr Material für konsistente »Erzählungen«. Die Welt wird reflektiert in wissenschaftlichen und literarischen Erzählungen. Der Übergang zwischen diesen beiden Gattungen ist fließend, kein prinzipieller, sondern bestenfalls ein gradueller.

Luigi Reitanis Buch thematisiert literarische Erzählungen der Flucht, aber auch die Literatur selbst als Fluchthandlung; die künstlerisch-literarischen Anstrengungen als Metaebene der Dichtung, die in der gesamten Literaturgeschichte intellektueller Zufluchtsort und Fluchtpunkt war.

In der Erzählung »Der fantastische Planet« von Roland Topor koexistiert ein Volk blauer, vergeistigter Riesen, die sich nur mit Kunst und Literatur beschäftigen, mit wilden, ungebärdigen, unzivilisierten, kriegerischen kleinen Menschen, die letztendlich über die intellektuelle Reflexionswelt der friedlichen Riesen obsiegen und wieder der kriegerischen Barbarei, die die Menschenwelt immer gekennzeichnet hat, Geltung verschaffen.