Flug 327 - Kay Clasen - E-Book

Flug 327 E-Book

Kay Clasen

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Beschreibung

Ein Passagierflugzeug ist seit vielen Jahren spurlos verschwunden. Da erzählt jemand dem Journalisten Joachim Christiansen eine haarsträubende Geschichte über Profitgier und skrupelloser Machausübung. 164 Menschenleben zählen da nicht.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

1

„Ok, ein Bier noch, aber dann habe ich die Schnauze voll,“ sagte ich so mehr zu mir selbst.

Seit einer Stunde saß ich hier und wartete auf meinen Gesprächspartner. Ich hatte meine Geschichte sorgfältig recherchiert, die Fakten stimmten zwar, waren logisch, waren interessant, nur die letzte Bestätigung eines unmittelbar Beteiligten fehlte mir noch. Die sollte ich heute bekommen, aber der Typ war bisher nicht erschienen. Ohne diese Aussage war meine Geschichte relativ wertlos. Ich konnte sie nicht beweisen.

Die Tage auf dieser Insel waren ganz angenehm gewesen, keine Frage, aber ohne Bestätigung meiner Erkundigungen konnte ich diese Geschichte nicht veröffentlichen. Ich versuchte zum wiederholten Male den Mann telefonisch zu erreichen. Zwecklos. Er hatte wohl kalte Füße bekommen. Es war unwahrscheinlich, dass er noch kommen würde.

Ein paar Tische entfernt von mir saß ein Mann und beobachtete mich. Ich hatte ihn gestern schon bemerkt. Als ich meine Unterlagen frustriert zusammen packte und in die Tasche steckte, stand er auf, kam an meinem Tisch und fragt ob er sich zu mir setzen dürfe.

„Bitte“, sagte ich nur. Anscheinend etwas mürrisch. Klar, ich war auch schlecht gelaunt.

Er setzte sich mit den Worten:

„Ich möchte aber nicht stören“.

Ich nickte nur und wies auf einen Stuhl.

„Ich vermute Sie sind Journalist,“ begann er die Unterhaltung.

„Mein Name ist Christian Walker. Sie können mich Chris nennen. Sie haben sicher bemerkt, dass ich Sie beobachtet habe. Auch gestern schon. Ich suche einen Journalisten, dem ich eine Geschichte erzählen kann. Haben Sie Interesse an einer Geschichte?“

„Das ist eine ziemlich überflüssige Frage,“ antwortete ich.

„Schließlich leben wir Journalisten von Geschichten. Und am liebsten von spannenden Geschichten, die bisher noch keiner kennt.“

Auch ich stellte mich vor:

„Christiansen, Joachim Christiansen.“

Er setzte sich umständlich.

Chris war ein groß gewachsener Mann, ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig, mit lockigem grauen Haar. So ein Frauentyp, dachte ich spontan. Auffallend war allerdings seine fahle Gesichtsfarbe und seine eingefallenen Wangen, und das in diesem sonnenverwöhnten Land. So ganz gesund sah er nicht aus. Alkohol? Das war mein erster Gedanke. Er war leger aber durchaus elegant gekleidet. Eher Designerkleidung als aus dem Warenhaus.

Seine Aussage elektrisiert mich natürlich. Eine neue Geschichte? Wo ich doch meine letzte in den Müll werfen musste.

„Ich hätte eine für Sie,“ sagte er und schaute mir unverwandt ins Gesicht.

„Eine Geschichte, die noch niemand kennt, die Sie umgehend weltweit auf die erste Seite in allen Medien bringen würde. Allerdings stelle ich einige Bedingungen.“

Ich griff nach meinem Bier. Jetzt vorsichtig sein und nichts falsch machen.

„Welche Bedingungen meinen Sie?“

„Vorher ein paar Fragen an Sie,“ sagte er.

„Kennen Sie sich in der Luftfahrt aus? Können Sie schweigen? Sind Sie bereit, sich strikt an unsere Abmachungen zu halten?“

„Die Fliegerei interessiert mich sehr, ich hatte früher selbst mal ein kleines Flugzeug, insofern auch einen Pilotenschein und deshalb bin ich immer noch an Berichten über die Luftfahrt interessiert und verfolge sie. Zu Ihren anderen Fragen, wenn ich eine Abmachung treffe, selbstverständlich auch mündlich, da können Sie sich hundertprozentig auf mich verlassen. Das war und ist auch heute noch ein Grundsatz meiner Arbeit. Wenn sich einmal herumspricht, dass ich mich nicht an Abmachungen halte, dass man sich auf mich nicht verlassen kann, dann kann ich einpacken.“

„Ok“ sagte er

„Bedingung Nummer eins, Sie dürfen diese Geschichte vorläufig niemanden erzählen und Sie dürfen sie erst dann veröffentlichen wenn ich nicht mehr lebe. Warum werden sie verstehen, wenn Sie die Geschichte kennen. Ich werde Ihnen dafür alle Rechte übertragen. Und bevor Sie diese Frage stellen, sie liegt natürlich auf der Hand, ich verlange dafür kein Geld sondern nur, dass Sie die ganze Geschichte so veröffentlichen wie ich sie Ihnen erzähle.“

„Könnte schwierig sein,“ entgegnete ich.

„Ich denke ich bin gut 10-15 Jahre älter als Sie. Insofern sind meine Chancen die Sache zu publizieren, nicht sonderlich gut.“

„Richtig,“ sagte er,

„es gibt allerdings eine Sache, die Sie nicht wissen können. Mein Arzt hat mir vor Kurzem gesagt, ich hätte noch 4-5 Wochen zu leben. Das wäre es dann. Heilungschancen gibt es keine. Aber damit habe ich mich auch abgefunden.“

„Das heißt, ich schreibe Ihre Lebensbeichte auf?“

„Könnte man so sagen, allerdings nur die letzten sechs Jahre. Die andere Zeit ist ohnehin ziemlich uninteressant,“ setzte er hinzu.

„Einverstanden?“

„Einverstanden“, sagte ich und reichte ihm die Hand über den Tisch.

„Vorher würde ich Ihnen dort gerne noch einmal auf den Zahn fühlen und ihr Wissen testen. Was sagt Ihnen Flug 327?“fragte er.

Bei mir klingelten alle Alarmglocken. Flug 327, das war doch? Vor sechs Jahren? Ich hatte alle Bericht über das Verschwinden dieses Flugzeuges sorgfältig verfolgt, im Grunde bis heute. Die Öffentlichkeit hat das Thema längst abgehakt. Ich schaute von Zeit zu Zeit noch einmal im Internet nach, ob es neue Erkenntnisse gab, aber mir waren die bisherigen Untersuchungsergebnisse nicht einleuchtend. Ich hatte mir meine eigenen Lösungsversuche gemacht. Und jetzt hier plötzlich so eine Frage? Mein Gegenüber beobachtete mich aufmerksam ohne eine Miene zu verziehen.

„Natürlich sagt mir Flug 327 etwas. Ich hab mich damals sehr intensiv mit dem Thema befasst. Auch weil ich wahrscheinlich ein halbes Jahr vorher schon mal in dieser Maschine gesessen habe. Damals auf einem Flug von KL nach Bali. Ich war ursprünglich der Überzeugung, dass es sich hier um einen Unfall bei einem militärischen Manöver handelte, das man selbstverständlich mit allen verfügbaren Mitteln verschweigen wollte.

Dann habe ich mir das Buch eines ehemaligen Flugunfallermittlers besorgt, der die gefundenen Wrackteile sehr genau untersucht hat und habe es sehr aufmerksam studiert. Seine Überlegungen, dass das Flugzeug nicht abgestürzt, sondern bewusst auf dem Wasser gelandet wurde, hat mich überzeugt. Das war sehr sorgfältig recherchiert. Wobei natürlich dann sofort die Frage auftaucht, warum. Wer fliegt stundenlang über das Meer, wenn er sich umbringen will? Da ist doch die Sache mit dem Flug von Germanwings viel einleuchtender. Der Pilot steuerte gegen einen Berg und fertig. Und noch etwas fiel mir dabei auf, es wurde nie darüber gesprochen, dass der oder die Piloten überlebt haben könnten. Dass das möglich ist, hat ja die Landung von Pilot Sullenberger auf dem Hudson bewiesen. Soweit meine Überlegungen.“

Mein Gegenüber schwieg eine ganze Weile.

„Gut überlegt,“ sagte er.

Dann setzte er sich aufrecht hin und sagte:

„Mein richtiger Name ist Malcolm Stanley Mortimer. Ich war der Pilot des Fluges 327 auf dem Weg von Singapur nach Peking, genau heute vor vor sechs Jahren.“

Schweigen.

2

Obwohl es schon sehr spät war, brannte in der Forschungsabteilung der Global-Scientific-Enterprise noch Licht. Man war auf ein Problem gestoßen und konnte sich davon nicht lösen, konnte nicht so einfach Feierabend machen. Dann würde es die ganze Nacht über nicht aus dem Kopf verschwinden. Das wusste man aus langer Erfahrung. Zumindest ein Lösungsansatz musste her. Letztlich schlugen sie doch die Tür hinter sich zu und machten sich auf den Heimweg.

„Hast Du einen Augenblick Zeit?“ fragte Wilson Parker seinen Kollegen Mitchel Chang, als sie nebeneinander her gingen.

„Ich wollte mal was mit Dir bereden. Komm lass uns dort auf die Bank setzen und eine rauchen.“

„Was gibt’s denn Wichtiges?“

„Chester hat mir gesagt, dass wir mit unserer neuen Entwicklung kurz vor dem Durchbruch stehen.“

„Ja, hab ich auch gehört. Prima, wenn es tatsächlich klappt.“

„Finde ich auch, wäre toll. Weißt Du, mir geht schon länger der Gedanke im Kopf herum, dass unser Boss, beziehungsweise die Firma GSE und letzten Endes ganz besonders unser Geldgeber, der Konzern van Holberg, damit die ganz große Kohle macht. Wir bekommen dann einen feuchten Händedruck und wenn wir Glück haben eine Prämie. Mir ist das einfach nicht genug. Wir Sechs haben die Sache entwickelt. Wir sind auf diesem Gebiet weltweit die Besten. Selbst unser Boss Boris hat von der Technik wenig Ahnung. Finanztechnisch ist er sicherlich ganz gut. Ich meine wir sollten uns mal zusammensetzen und überlegen, wie wir an diesem Milliardengeschäft, wenn es denn zustande kommt, mit teilhaben. Ohne uns geht es nicht, das weiß auch unser Boss. Was hältst Du davon?“

„Recht hast Du. Und wie wollen wir das anfangen?“

„Ich hab da so eine Idee. Wir sollten uns alle sechs mal zusammensetzen und darüber beraten.“

„Am Freitag ist der Boss nicht da, da können wir uns am Nachmittag treffen und darüber reden. Ich will den Anderen mal Bescheid sagen“.

So traf man sich am Freitag kurz vor Feierabend und Wilson erläuterte seine Idee. Gute Idee hörte er allenthalben, nur wie ausführen.

„Es ist ja nicht nur Boss Boris,“ warf Bred ein,

„der ist hier auch nur General Manager oder Generaldirektor, hört sich besser an. Aber er hat auch einen Boss, auf den er hören muss. Und von dem kommt das Geld. Unsere Forschungen haben bisher ein Schweinegeld gekostet, mehr als dieser Laden jemals erwirtschaftet hat. Insofern ist der Boss der Bosse der entscheidende Punkt.“

„Klar, auch dem müssen wir unsere Idee schmackhaft machen. Ich stelle mir das so vor: Wir sind zwar noch nicht ganz so weit, aber wir bereiten schon die Patentschrift vor. Und in dieser Patentschrift sind wir sechs die Urheber. Das reichen wir so einfach ein.“

„Geht nicht, wäre unfair. Wir müssen auf jeden Fall Boris mit ins Boot nehmen. Er hat zwar von der Technik keine Ahnung, aber er hat uns die Kohle besorgt. Also sind wir sieben Teilhaber, zu gleichen Teilen. Und damit die Herrschaften beruhigt sind, dass wir keinen Scheiß anstellen, machen wir noch einen Vertrag in dem steht, dass man seine Anteile nur mit Zustimmung aller anderen verkaufen darf. Nur falls einer von Euch auf die Idee kommen sollte seinen Anteil an die Russen zu verkaufen oder so.“

„Das reicht denen noch nicht. Schließlich könnten wir ja alle sieben zu den Russen gehen oder zu den Chinesen oder den Taliban oder weiß der Himmel.“

„ Die Chinesen lass mal weg,“ sagte Lie,

„die forschen vermutlich selbst an solchen Sachen, die werden gar nicht interessiert sein. Aber wir können natürlich durchaus damit einverstanden sein, dass die Vermarktung durch die Firma GSE erfolgt. Ist für uns sicher kein Nachteil, denn auch die will möglichst viel Kohle verdienen.“

„Tom, Du bist hier unser Paragrafenreiter. Entwirft doch mal einen Vertrag und bereite die Unterlagen für eine Patentschrift vor.“

„Kann ich tun,“ nickte dieser.

„Habt ihr Euch mal überlegt, was so eine Aktion für uns an Risiko bedeutet? Ich meine so ganz locker wird das unsere Firma nicht schlucken. Wir sind schließlich Angestellte und was wir schaffen gehört dem Laden. Gut, rausschmeißen können sie uns nicht, da es keine Leute gibt die unser Wissen haben und es weiterführen könnten. Zumindest würden sie sehr viel Zeit verlieren und Zeit kostet Geld. Und besonders viel bei unserem Projekt. Aber wir sollten es versuchen. Wir gelten hier in der Firma doch ohnehin als die Exoten, die, die sich alles erlauben dürfen. Wir sollten es machen. Im Vergleich zum möglichen Gewinn ist das Risiko tolerierbar. Apropos unser Projekt, wir müssen uns endlich mal einen Namen ausdenken dafür. Hat jemand einen Vorschlag?“

Alle redeten durcheinander. Letztlich übertönte Chester sie alle und sagte:

„Dongcha li, >Projekt Dongcha li< wäre mein Vorschlag.“

„Protest,“ rief Lie zwischen,

„wir haben gerade gesagt, wir wollen nichts chinesisches in unserem Projekt.“

„Was heißt denn das?“ wollte Tom wissen.

„Das heißt so viel wie Durchblick haben.“

„Hmm, an sich nicht schlecht, die Radarstrahlen haben den Durchblick, sie reflektieren nicht, sondern schauen hindurch und sehen nichts.“

„Ich hab's“, warf Bred ein,

„erinnert ihr Euch noch an die Zeit, als die Sowjetunion aufgelöst wurde? Da gab es einen Ministerpräsidenten Gorbatschow der auch den Durchblick schaffen wollte, den Durchblick in Politik und Verwaltung. Sein Stichwort war – Glasnost.“

„Prima, das ist es,“ sagte Wilson.

„Ein russisches Kennwort für unser Projekt und es dann an die Amerikaner verkaufen. Klasse. Gut, machen wir jetzt Feierabend und gehen nach Hause zum Nachdenken.“

Am Montag hatte Tom seine ihm aufgetragene Arbeit gemacht und zeigte sie seinen Kollegen. Man beschloss möglichst bald mit dem Boss zu reden. Die Gelegenheit ergab sich schon am nächsten Tag als er die sechs Ingenieure zur Besprechung in sein Büro rief.

„Wie ihr wisst, brauchten wir mal wieder Geld in der Kasse. Deshalb war ich gestern beim großen Boss, um etwas locker zu machen. Es war eine etwas zähflüssige Unterhaltung. Er will endlich Fakten sehen. Verständlich, denn auch er muss seinem Vorstand Rechenschaft ablegen. Deshalb habe ich ihm gesagt, dass wir kurz vor dem Durchbruch stehen. Die letzten Versuche wären sehr vielversprechend gewesen. Ich verstehe, wenn ihr jetzt sauer seid, immerhin hatten wir es anders besprochen. Aber dieses war die einzige Chance, ohne Abstriche weitermachen zu können. Ich hoffe, ihr versteht mich, das Projekt ist schließlich überwiegend Euer Projekt.“

Die sechs hatten schweigend zugehört. Schließlich sagte Tom: „Verstehe, war wohl richtig so.“

Boris McDouglas räusperte sich.

„Das ist aber noch nicht alles, was ich zu sagen habe. Ich habe den Auftrag, unser Projekt und unsere bisherigen Ergebnisse in der nächsten Woche der amerikanischen Air-Force in Washington vorzustellen. Man möchte sie schon mal dafür interessieren. Ich soll denen keine Fakten mitteilen, sondern nur das Projekt erläutern und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.“

Tom ergriff die Chance.

„Wir haben uns in den letzten Tagen auch Gedanken über das Projekt gemacht und sind zu der Meinung gekommen, wir sieben sollten daran auch finanziell den gebührenden Anteil bekommen.“

Dann erläuterte er was die sechs Ingenieure in der letzten Woche besprochen hatten. Boris hörte aufmerksam zu. Es schmeichelte ihm sichtlich, dass er zu dem Entwicklerteam dazu gezählt worden war.

„Ich nehme es erst mal zur Kenntnis, darüber muss natürlich noch gesprochen werden. Insbesondere mit denen da oben. Aber jetzt mal zu den Tatsachen. Wenn ich den Militärs das Projekt erläutern soll, muss sich etwas mehr wissen. Bisher habe ich mich vor der Technik sehr zurückgehalten. Wer klärt mich mal auf, und zwar so, dass ein Kaufmann es verstehen kann.“

„Wir wollen heute Nachmittag einen neuen Testlauf machen,“ sagte Chester.

„Wie wäre es wenn Du dazu stößt? So gegen 14:00 Uhr in Halle drei.“

„In Ordnung, ich bin da.“

Als Boris McDouglas pünktlich in die Halle traf, war der Versuch schon vorbereitet. In der Mitte stand auf einem Podest das Modell eines Flugzeugs. Es war knallrot angestrichen. Chester nahm seinen Boss gleich an die Hand:

„Ich erkläre das mal ganz einfach.“

„So für Blöde?“

„Nein, nur für technisch weniger Versierte. Das Modell dort ist aus Aluminium, zumindest der Rumpf. Die Flügel sind aus Karbon und die Triebwerksgondeln aus Stahlblech. So haben wir die drei wesentlichen Baustoffe eines Flugzeugs zusammen. Unser Konverter, das eigentliche Geheimnis dieses Projekts, ist durch ein Kabel mit dem Modell verbunden. Es ist zu groß, um es drinnen unterzubringen. Das sieht natürlich später in der Realität anders aus als am Modell. Der Konverter wird etwa so groß, wie ein Reisekoffer sein. Als Radarsender nehmen wir für die Versuche hier ein Sekundärradar. Das gleiche Gerät, das man auf Flugplätzen bei der Anflugkontrolle auf dem Gleitpfad verwendet. Ein großes Rundsichtradar ist für die Versuche nicht geeignet. Die Strahlenbelastung wäre hier in der Halle zu groß. Die Kiste dort hinten ist unserer Konverter. Wir haben ihm den Namen REX gegeben. Kommt von Radar-ex. So, jetzt komm mit in unser Kontrollzentrum.“

Sie traten in eine Kabine, in der die anderen schon dabei waren, ihre Messgeräte und Computer zu kalibrieren. In der Mitte des Kontrollpultes stand ein Radarschirm. Chester schaltete das Radar ein und auf dem Bildschirm begann ein leuchtender Zeiger hin und her zu wischen, ähnlich dem Scheibenwischer beim Auto. Jedes Mal, wenn er einen bestimmten Punkt erreicht hatte, leuchtete dort ein heller Fleck auf.

„Das ist unser Objekt, unser Flugzeug dort auf dem Gestell. Die Radarstrahlen haben ihn erfasst, reflektieren das Ergebnis und zeigen es auf dem Bildschirm an. Jetzt pass mal auf.“

Er kippte einen Hebel runter und beim nächsten Durchgang des Zeigers war der helle Fleck auf dem Bildschirm verschwunden.

„Du siehst, das Radar sieht nichts. Unser Objekt ist durch den Konverteranschluss nun für die Radarstrahlen nicht mehr zu orten. Den Konverter kann die Flugzeugbesatzung später nach Belieben ein und ausschalten. Sie können sich also unsichtbar machen, zumindest für das Radar, wenn sie es für erforderlich halten. Wir denken sogar, dass es einmal möglich sein wird, das Objekt sogar visuell unsichtbar zu machen. Aber das ist Zukunftsmusik. Wir werden jetzt einige Versuchsreihen fahren. Aber ich denke, das ist für Dich nicht so interessant. Was möchtest Du noch wissen?“

„Ich sehe, dass es geht, aber weshalb geht es? Was bewirkt dieses Ergebnis?“ fragte Boris

„Im Prinzip modifizieren wir Wellen. Zu diesem Zweck muss die Konstruktion des Flugzeugs mit dem Konverter verbunden sein. Sagen wir , sie muss geerdet sein. Nun gibt es da oben natürlich keine Erde, sondern unser Konverter wird zur Erdung. Mehr brauchst Du nicht zu wissen und die Yankees schon gar nicht.“

„Ich brauche für die Leute dort noch irgend etwas Konkretes. Wenn ich nur erzähle, wird es ihnen nicht reichen. Habt ihr vielleicht ein paar unverfängliche Konstruktionszeichnungen oder Berechnungen, können ja gerne uralte sein. Ich werde sie auch nicht aushändigen sondern nur damit wedeln.“

Er schaute Chester fragend an.

„Was hältst Du davon wenn wir von dem was Du eben gesehen hast, einen kurzen Videoclip machen? Das kriegen wir sicherlich so hin, dass da keine Geheimnisse zu sehen sind.“

„Ja prima, wird Eindruck machen. Was kann ich denn sagen, wann das Gerät einsatzbereit ist? Ich meine in richtigen Flugzeugen mit Besatzung?“

„Also etwas Zeit brauchen wir dafür schon noch, aber wenn es im Modell geht, geht es auch in der Realität, davon sind wir jedenfalls überzeugt. Nun, einige Monate wird es sicher dauern.

Du kannst die Herrschaften ja mal fragen, was sie davon halten, wenn die bösen Russen dieses Patent hätten. Dann könnten Bombenflugzeuge über Manhattan stundenlang kreisen und keiner würde etwas davon merken. Wird sie bestimmt begeistern. Umgekehrt ginge es natürlich auch, kreisen über Moskau. Je nachdem wer schneller ist, oder auch wer besser bezahlt.“

Boris ging nachdenklich aus der Werkstatt. So richtig begriffen hatte er nicht, was da vor sich ging, aber für seine Unterredung im Pentagon würde es reichen. Er konnte sich jetzt schon die gierigen Augen der Militärs vorstellen.

Bei der nächsten Teambesprechung war man von den Ergebnissen der Tests ganz begeistert.

„Läuft ja wie geschmiert,“ sagte Tom.

„Langsam, langsam,“ entgegnete Bred,

„zur Serienfertigung langt es noch immer nicht. Aber ohne Chesters genialen Einfall wären wir sicher noch nicht so weit, das müssen wir ihm ohne Neid zugestehen. Wie bist Du eigentlich auf diese doch sehr sehr ungewöhnliche Idee gekommen?“

Chester kratzte sich am Kopf.:

„Schwer zu sagen, plötzlich wusste ich, das ist es. Ich denke es ist die Mischung aus westlichem Know-how und alter chinesischer Denkweise gewesen. Ich habe in Shanghai studiert, Elektronik und Maschinenbau. Das sind zwar alles sachliche und technische Wissenschaften, aber die Chinesen denken halt mitunter etwas anders als ihr hier im Westen. Das ist jetzt keine Wertung, es ist nur häufig die andere Sicht der Dinge. So war es wohl auch hier. Ich kenne aus meiner Familie noch die alten Sitten und Gebräuche. Ihr würdet mit dem Kopf schütteln wenn ihr sie alle kennen würdet. Aber es hat alles seinen tieferen Sinn und steckt zu einem gewissen Teil noch in mir drin. Hier hatte ich eben plötzlich den Gedanken: Probiere mal was Neues. Und das hat hin gehauen.“

Tom war etwas nachdenklich geworden.

„Unsere ganze Entwicklung funktioniert doch nur mit Chesters Programm. Ohne das ist es nahezu wertlos. Wenn nun jemand unsere gesamten Daten klaut, kann er ohne dieses Programm nichts damit anfangen. Ich denke wir sollten deshalb sein Programm besonders schützen. Es zum Beispiel nicht zu den übrigen Daten in unseren Firmentresor legen. Stellt Euch vor, man schmeißt uns morgen raus, in Anbetracht unserer Forderungen ist das ja gar nicht so unwahrscheinlich. Dann machen andere Ingenieure einfach weiter. Wir gehen statt dessen zum Arbeitsamt und suchen nach einem neuen Job. Das müssen wir verhindern. Mein Vorschlag, Chesters Datei müssen wir gesondert aufbewahren. Wie, sollten wir noch überlegen. Und, so ganz unter uns, Boris muss das nicht unbedingt wissen.“

„Du hältst ihn nicht für vertrauenswürdig?“

„Das will ich damit nicht sagen, aber er steht ziemlich unter Druck,“sagte Tom. Man will Erfolge sehen. Und da kann man schon mal etwas Unbedachtes machen. Wir sechs können uns aufeinander verlassen, da bin ich sicher. Und wenn einer aus der Reihe tanzt schneide ich ihm eigenhändig den Hals durch.“

Man nickte zustimmend.

Nach einer Woche war Boris McDonald von seiner Reise wieder zurück in seiner Firma. Die Entwicklungscrew schaute ihn fragend an.

„Tja, was soll ich sagen? Die Generäle machten natürlich große Augen, wollten wissen, wann wir denn liefern könnten oder wann wir Ihnen unsere Konstruktionsunterlagen geben würden. Sie reden viel von nationaler Sicherheit, von unserer Bündnistreue, von Verantwortung im Rahmen der NATO. Und so weiter. Als ich die Sprache auf eine finanzielle Beteiligung an unseren doch sehr aufwendigen Forschung brachte, wollte man davon allerdings nichts wissen. Kurz gesagt, man ist sehr gierig darauf, möchte es aber alles umsonst.

Dann stellten sie mir einen Major Donald F. Parker vor. Er wäre jetzt Verbindungsmann zwischen dem Pentagon und der Firma GSE. Mit ihm sollen wir in Zukunft Details besprechen. Also, im Vertrauen, ein unangenehmer Typ, so ein Karrieremensch. Er sagte mir später so zwischendurch, Karriere machen könnte man als Offizier nur im Krieg. Leider gäbe es im Augenblick keinen. Deshalb hatte er sich Chancen im Geheimdienst versprochen. Ich konnte ihn nur mit Mühe abwimmeln. Am liebsten wäre er gleich mit zu uns gekommen..

Also Jungs, Ihr wisst Bescheid. Leider befürchte ich, dass sich die Air-Force an unsere Muttergesellschaft wendet und dort Druck macht. Meine Reise war somit für uns ein absolutes Fiasko.“

„Scheiße,“ murmelte Tom und alle anderen nickten.

„Ich habe morgen einen Termin bei van Holberg. Da werde ich dann auch euren Vertragsvorschlag besprechen. Ich bin selbst gespannt auf seine Reaktion.