Food War - Hans-Ulrich Grimm - E-Book

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Hans-Ulrich Grimm

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Beschreibung

Nahrungsmittel-Konzerne und Pharma-Industrie Hand in Hand – eine brisantes Sachbuch über das Milliardenspiel mit unserer Gesundheit. Der Befund ist erschreckend: Wir ernähren uns billig, aber ungesund – und bezahlen das alles teuer mit ihren Krankenkassen-Beiträgen. Allein die Bekämpfung von Diabetes kostet in Deutschland jährlich mehr als 48 Milliarden Euro! Eine der wesentlichen Ursachen der explodierenden Gesundheits-Kosten: industriell ungesunde Ernährung, die zu Diabetes, Herz-Kreiskauf-Erkrankungen und Übergewicht führt. Warum also ernähren wir uns nicht gesund und senken damit die Kosten für die Bekämpfung der Zivilisations-Krankheiten, fragt Hans-Ulrich Grimm. Weil die Nahrungsmittel-Konzerne und die Gesundheits-Industrie gut an diesem haltlosen Zustand verdienen! Diese ernüchternde Antwort ist das Ergebnis seiner weltweiten Recherchen. Erstmals beschreibt Deutschlands Nahrungskritiker Nr. 1, wie in den Zentren der Macht über die Qualität und Beschaffenheit der industriell hergestellten Nahrungsmittel entschieden wird – in einem Milliardenspiel zwischen Nahrungsmittel-Konzernen und Gesundheits-Industrie, bei dem die Politik auf der Seite des Ungesunden kräftig mitmischt. Dr. Hans-Ulrich Grimm ist Journalist und Autor. Seine jahrelangen Recherchen in der Welt der industrialisierten Nahrungsmittel ließen eine einfache Erkenntnis in ihm reifen: Eine gesunde Ernährung hat ihren Preis. Grimms Bücher sind Bestseller. Allein "Die Suppe lügt" ist in einer Gesamtauflage von über 250.000 Exemplaren erschienen und ist ein Klassiker der modernen Nahrungskritik. Zuletzt sind von ihm "Echtes Essen – der Anti-Aging-Kompass" und "Gesundes Essen für unsere Kinder" erschienen.

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Hans-Ulrich Grimm

FOOD WAR

Wie Nahrungsmittelkonzerne und Pharmariesen unsere Gesundheit für ihre Profite aufs Spiel setzen

Knaur e-books

Über dieses Buch

Gesundheit wird immer teurer. Eine der wesentlichen Ursachen sind industriell hergestellte, billige und ungesunde Nahrungsmittel, die zu Diabetes, Herz-Kreiskauf-Erkrankungen und Übergewicht führen.

Warum also ernähren wir uns nicht mit gesunden Lebensmitteln von hoher Qualität und senken damit die Ausgaben für die Bekämpfung der Zivilisationskrankheiten, fragt Hans-Ulrich Grimm. Weil die Nahrungsmittelkonzerne und die Gesundheitsindustrie gut an diesem haltlosen Zustand verdienen! Diese ernüchternde Antwort ist das Ergebnis seiner weltweiten Recherchen. Erstmals beschreibt Deutschlands Nahrungskritiker Nr. 1, wie über die Qualität und Beschaffenheit der industriell hergestellten Nahrungsmittel entschieden wird – ein Milliardenspiel zwischen Big Food und Big Pharma. Und die Politik spielt mit – auf der Seite des Ungesunden.

Inhaltsübersicht

Einleitung1. Ungleicher KampfKrieg ums Essen: Die Nahrung der Konzerne und ihre katastrophalen Folgen2. Roter KnopfWider die Evolution: Warum das moderne Ernährungssystem krank macht3. Süße DrogeStaatlich gefördert: Die sozioökonomische Schadensbilanz des Zuckers4. Kranke GesellschaftBoom als Bumerang: Fragwürdiger Jubel über die Gesundheitsindustrie5. Toxische UmgebungRiskante Versorgung: Die Tücken der industriellen Nahrungskette6. Trickreiche WissenschaftKäufliche Experten: Professoren als gefährliche Trolle der Industriegiganten7. Entmündigte VerbraucherUngesunde Geschäfte: Milliardenstrafen als Moralnachhilfe für Konzerne8. Generation UltraSchöne Aussichten: Die Kinder von heute sind die Kranken von morgen9. Ungeheure VerbrechenLebensmittelrecht: Wenn es ums Essen geht, hat die Demokratie Pause10. Höchst ungerechtArme Kranke: Die Mittelschicht zahlt die teuren Folgen des billigen Essens11. Globale VerfettungCoca-Kolonisierung: Das herrschende System als Gefahr für den Planeten12. Kulinarische RevolutionMehr Natur wagen: Für mehr Souveränität, Gesundheit und GenussLiteraturBücher und MonografienAufsätze
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Einleitung

Kürzlich rief mich ein Redakteur der New York Times an, der sich für die Macht der globalen Food-Konzerne interessierte. Ich berichtete ihm von meinen Recherchen, den neuen Formen von Lobbyismus im 21. Jahrhundert, vom Einfluss der Konzerne auf die Politik und sogar auf die globalen Entscheidungsgremien und erwähnte beiläufig das Erdbeeraroma aus Sägespänen, für mich der Klassiker, seit ich diesen Skandal enthüllt hatte, ganz zu Beginn meiner Recherchen in der Parallelwelt der industriellen Nahrungsproduktion, die mittlerweile die globale Versorgungskette weithin dominiert.

 

Er aber erwiderte völlig entgeistert: »Aus Sägespänen?«

Eigentlich ist das Betrug, wenn Erdbeergeschmack aus Sägespänen hergestellt wird, fürs Erdbeereis oder für den »Frucht«-Joghurt. In früheren Zeiten wäre so etwas verfolgt und streng bestraft worden. Heute ist es völlig legal und weit verbreitet, wie ein Mitarbeiter eines großen Aromakonzerns im Gespräch mit mir freimütig und sogar stolz eingeräumt hatte. Damals war ich erst einmal empört.

Der Betrug am Geschmack ist die Basis einer ganz neuen Nahrungskette, die im 21. Jahrhundert die weltweite Versorgung dominiert – mit Produkten, die den Organismus austricksen. Und an der Spitze steht ausgerechnet jenes Element, das als das Ungesündeste gilt: der Zucker. Ein neues Grundnahrungsmittel, das zumeist nicht pur verabreicht wird, sondern versteckt in Supermarktprodukten, die mit echten Lebensmitteln, von denen der Mensch sich seit Jahrhunderten ernährt, kaum mehr etwas zu tun haben. Das sind nicht nur Softdrinks, Fertigprodukte, Fast Food, Hamburger und Fritten. Dazu gehört auch das Müsli aus dem Pappkarton, die Tiefkühlpizza: ein Ernährungssystem, das mittlerweile Medizinern in aller Welt und auch Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als größtes Krankheitsrisiko für die Menschheit gilt, wesentlich beteiligt an den großen Zivilisationskrankheiten wie Alzheimer, Herzleiden und Schlaganfall, Krebs und der Zuckerkrankheit Diabetes. Eine weltweite Katastrophe, vergleichbar mit dem Klimawandel und der sozialen Ungleichheit.

Eine kranke Gesellschaft hat aber keine Zukunft. Schon warnen sogar Wirtschaftsexperten vor den Folgen für die Welt insgesamt und für die globale Ökonomie bis hin zu zunehmender Migration. Sogar das Weltwirtschaftsforum in Davos schlug Alarm: Bis zum Jahr 2030 seien weltweit Kosten von 47 Billionen Dollar zu erwarten. Selbst starke Industrienationen wie Deutschland könnten durch die massiven Krankheitsbelastungen in die Rezession getrieben werden.

Doch diese Krankheiten sind keine Schicksalsschläge. Sie sind vermeidbar. Und mittlerweile wissen die Forscher auch, wie wir uns davor schützen können. Zum Beispiel durch echtes Essen, die traditionelle Ernährung. Die sogenannte mediterrane Ernährung gilt Medizinern heute als »Goldstandard«, doch als ebenbürtig gelten auch andere regionale Ernährungsweisen auf natürlicher Basis: die »nordische Ernährung« etwa in Skandinavien oder, allen voran, die chinesische.

Die unter Beschuss geratenen Food-Konzerne räumen ihr Terrain jedoch nicht freiwillig. Schon ist, so stand es in der New York Times, ein »Krieg« ausgebrochen zwischen den beiden Ernährungssystemen – ein Krieg, der mit ungleichen Waffen geführt wird. Auf der einen Seite kämpfen die großen Konzerne wie Nestlé, Coca-Cola, Kellogg’s, Danone und Unilever mit ihren milliardenschweren Marketingetats, mit ihren einflussreichen, global operierenden Lobbyinstitutionen, hilfswilligen Ernährungswissenschaftlern und Politikern. In der Defensive auf der anderen Seite: die Hersteller der traditionellen Nahrung, die kleinen Bauern und Gärtner, die Bäcker und Metzger, die Köche.

Bisher haben die Konzerne die Schlachten gewonnen; sie konnten sich auch dank ihrer scheinbar niedrigen Preise durchsetzen. Mit der Folge, dass in Deutschland wie auch anderswo die Menschen mehr für Krankheiten ausgeben als für Lebensmittel. Denn das gehört nach Meinung unabhängiger Wissenschaftler zusammen: das billige Essen und die teuren Folgen. Big Food und Big Pharma. Unter den Lasten ächzen die Beitragszahler der Krankenversicherungen, also vor allem die Mittelschicht. Die Lasten werden weiter zunehmen – und die Politik jubelt sogar angesichts der Wachstumsraten in der Krankheitsindustrie.

Dabei gehört der Schutz der Bevölkerung vor Lebensmitteln, die krank machen, eigentlich zum Kernbereich der Politik. Doch im 21. Jahrhundert hat sie sich aus der Verantwortung verabschiedet; sie kollaboriert sogar hinter den Kulissen mit den Konzernen, legalisiert deren Problemprodukte – und schiebt den Konsumenten die Schuld zu, wenn sie davon krank werden.

Gemeinsam sitzen Vertreter von Staat und Konzernen in den globalen Entscheidungsgremien, schaffen zusammen die gesetzlichen Grundlagen für betrügerische Manipulationen am Geschmack, den Einsatz von chemischen Zusatzstoffen und beschönigende Bezeichnungen auf den Etiketten.

Wenn es um Lebensmittel geht, hat die Demokratie Pause.

Die Politik fördert seit Jahrhunderten nicht nur das ungesündeste Element der Nahrungskette, den Zucker, sondern auch einen skandalösen Kuschelkurs der staatlich finanzierten Forscher – den Professoren an den staatlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen – mit den Konzernen, den Lieferanten des Ungesunden. Zu meiner großen Überraschung habe ich sogar den obersten staatlichen Ernährungsforscher Deutschlands bei einem Treffen der weltweit einflussreichsten Lobbyinstitution der Konzerne getroffen – er war dort zugleich hochrangiger Funktionär.

Doch jetzt zeigen sich Absetzbewegungen. Schon rufen seriöse Forscher von Eliteuniversitäten zur Food-Revolution auf. Schon stellen die ersten ihre Zusammenarbeit mit den Konzernen ein, weil sie nicht weiter das Ungesunde unterstützen, nicht länger auf der »falschen Seite der Geschichte« stehen wollen.

Ein Umbruch zeichnet sich ab, auch ein Paradigmenwechsel bei der Bewertung von Nahrung und ihrer gesundheitlichen Bedeutung. Da geht es nicht mehr um Kalorien, um Nährwert, Kohlenhydrate und Fett oder die Kontamination mit Schadstoffen, Bakterien und Viren, wie es bisher bei der Beurteilung von »Nahrungssicherheit« der Fall war. Ein neues Kriterium muss hinzukommen: der Grad der industriellen Verarbeitung. Der sollte auch bei der Kennzeichnung der Nahrungsprodukte im Vordergrund stehen, fordern Ernährungswissenschaftler und schlagen ein innovatives Informationslabel vor.

Die Zukunft der Welternährung liegt im echten Essen. Der Trend geht zur Natürlichkeit. Doch die Politik setzt weiter auf die Nahrungsindustrie als Partner.

Und ausgerechnet die Kinder, die die Gesellschaft von morgen bilden werden, sind heute von der industriellen Problemnahrung betroffen wie noch keine Generation zuvor. Die Milch aus dem Fläschchen, der Brei aus dem Gläschen, das Mittagessen in der Kita – in diesem Bereich dominieren die Konzerne die Nahrungsversorgung komplett. Statt natürlicher Früchte kriegen viele Kids bloß die berühmten Fruchtzwerge und ähnliche Kinderprodukte, jene ultraverarbeiteten Nahrungsmittel, die nach neuen medizinischen Erkenntnissen in vielfacher Weise die Gesundheit bedrohen. Die Kinder von heute sind die Kranken von morgen – und müssen später, wenn sie groß sind, selbst für die horrenden Kosten aufkommen: Folgen einer verhängnisvollen Fehlernährung, an der sie unschuldig sind; Folgen auch von völlig legalen Betrügereien, denen sie schon am Anfang ihres Lebens zum Opfer fallen. Zum Beispiel mit dem Erdbeeraroma aus Sägespänen.

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1. Ungleicher Kampf

Krieg ums Essen: Die Nahrung der Konzerne und ihre katastrophalen Folgen

Die Sache mit dem Erdbeeraroma aus Sägespänen. Das war für mich, ganz zu Beginn meiner Recherchen im Kosmos der Food-Konzerne, der erste Schritt in diese Parallelwelt der industriellen Nahrungsproduktion, die mittlerweile die weltweite Versorgung dominiert.

Am Anfang hatte ich die Tragweite dieser Entwicklung für die Zukunft der Ernährung auf unserem Planeten und die Gesundheit seiner Bewohner noch nicht erfasst. Ich war einfach empört über solche Tricksereien, die auch noch völlig legal sind.

Es war bei einer jener Messen, auf denen die Zulieferer der Food-Industrie ihre Produkte präsentieren. Was es dort natürlich nicht gibt, ist echtes Essen: keine Paprika, keine Brokkoli, keine Äpfel und auch keine Erdbeeren. Null Natur. Dafür Flüssigkeiten in verschiedenen Farben, Pulver und Granulate, die aussehen wie Nescafé, abgefüllt in gläsernen Röhren mit der Aufschrift »Rind«, »Lamm« oder »Huhn«. So also sieht das »Trockenhuhn« aus, von dem sie mir bei der Firma Knorr erzählt hatten. Zwei Gramm davon in einer Suppentüte entsprächen sieben Gramm »Nasshuhn«, also dem wirklichen Geflügel. Das reicht niemals für eine Suppe, aber für eine »vergleichbare Lösung«, jedenfalls wenn noch ein Gramm »Aroma« dazukommt, von einem auf Geschmacksproduktion spezialisierten Konzern wie diesem hier, an dessen Messestand ich mich mit einem Mitarbeiter an einem Stehtisch unterhielt, auf den ich mit der Hand klopfte und fragte, ob sie aus diesem Tisch auch Erdbeergeschmack gewinnen könnten. Ich hatte gelesen, dass man dafür heute Holz verwende. Na, daraus vielleicht nicht gerade, meinte der Verkäufer. Woraus dann? Bretter? Balken? Dachlatten? Hier aus dem nächsten Wald? Nein, eher aus Australien, klärte er mich auf und fügte hinzu, es handle sich um eine Art Sägespäne. Die wird dann auf eine bestimmte Weise behandelt – geheim, geheim –, und anschließend hat man ein wunderbares Aroma von Erdbeeren, Himbeeren, Vanille. Das Schönste übrigens: Das gilt dann als »natürliches Aroma«. Ganz offiziell und völlig legal.

 

 

Im Krieg ums Essen markiert die Sache mit dem Aroma sozusagen den Frontverlauf. Auf der einen Seite stehen da die echten Erdbeeren, die ihren Geschmack der Sonne verdanken, den Nährstoffen im Boden, natürlich den Genen, der Sorte, dem Regen und dem Reifegrad. Kurz: der Kraft der Natur und der Kunst des Gärtners. Auf der anderen Seite steht der Geschmack, der aus dem Labor kommt und in großen Fabriken erzeugt wird – dank der Künste der Chemiker aus nahezu beliebigen Rohstoffen. Ein Konzernprodukt, das den menschlichen Körper betrügt, dick macht und so zu einem globalen Megaproblem beiträgt, dem Übergewicht. »Unsere Produkte erreichen jeden Tag mehr als vier Milliarden Menschen – und dies manchmal mehr als zehnmal täglich«, verkündet der Schweizer Aromakonzern Firmenich stolz – einer der vier größten der Welt. So klingt es wie eine bedrohliche Machtdeklaration.

Konzerne kontra Konsumenten: Der Krieg ist in vollem Gang, er wird mittlerweile auf allen Kontinenten ausgetragen, und sein Ausgang ist offen. Es ist kein Milliardenspiel, sondern ein weltweites Billionenspiel. Im Krieg ums Essen gibt es, wie in jedem Krieg, Gewinner und Verlierer.

Auf der Gewinnerseite stehen, bis jetzt jedenfalls, die Produzenten des Ungesunden. Big Food natürlich, die Konzerne mit den ultraungesunden Produkten. Big Sugar, die Zuckerbarone dieser Welt, auch die reichen Rübenbauern und die Aktionäre der Zuckerkonzerne. Natürlich auch Big Soda, wie die großen Softdrink-Giganten genannt werden. Und Big Pharma, die Pillenkonzerne mit ihren märchenhaften Renditen sowie die florierende Krankheitsindustrie mit den vielen Besserverdienern.

Zu den Gewinnern gehören scheinbar auch die Verbraucher, die ja nur wenig für ihre Nahrung bezahlen müssen – umso mehr aber für die Krankheiten, die durch die billige Nahrung ausgelöst werden. So sind sie also eher bei den Verlierern angesiedelt, wie die kleinen Bauern, die im Spiel der Konzerne auf der Strecke bleiben. Auf der Verliererseite stehen auch die Kranken, die hierzulande vornehmlich den unteren sozialen Schichten angehören. Und dann natürlich jene, die die Zeche bezahlen müssen, die teuren Folgen des billigen Essens: Das sind insbesondere die Beitragszahler der Krankenversicherungen – und unter ihnen vor allem jene, die überproportional viel beisteuern müssen, obwohl sie eigentlich gar nicht übermäßig viel verdienen: die Angehörigen der Mittelschicht.

Auch die Umwelt gehört dazu, die Tiere in den Massenställen, und schließlich das Klima. Es ist ein Krieg, in dem es um das Schicksal des Planeten geht, im 21. Jahrhundert und darüber hinaus.

Im Krieg ums Essen stehen sich zwei völlig konträre Systeme gegenüber: das traditionelle System und das industrielle. Eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Untersuchungen zeigt, dass der gesundheitliche Wert von Nahrungsmitteln von ihrer Position auf dieser Skala abhängt.

Bisher behaupteten Politiker und die Produzenten von Problemprodukten, es gebe nicht gesunde oder ungesunde Nahrungsmittel, sondern nur gesunde oder ungesunde Ernährung, richtige oder falsche Auswahl. Was nicht nur ein logischer Unsinn ist, sondern auch eine Beleidigung der Konsumentenintelligenz. Denn wenn es keine ungesunden Nahrungsmittel gibt, dann kann es auch keine falsche Wahl geben.

Schluss mit dem Unsinn. Das neue Paradigma bei der Beurteilung der Nahrung ist die industrielle Verarbeitung.

Und so werden plötzlich die ganz alltäglichen Produkte aus dem Supermarkt, die massenhaft im Einkaufswagen landen, die großen Marken, auf die viele Familien in aller Welt seit Generationen vertrauen, plötzlich zu fragwürdigen Objekten.

Dazu gehört Dr. Oetkers Pizza aus der Tiefkühltruhe, auch die 5 Minuten Terrine von Maggi (in der Schweiz Quick Lunch genannt). Der sogenannte Fruchtjoghurt von Landliebe, das fertige Frühstücksmüsli aus dem Pappkarton von Kellogg’s. Die Softdrinks wie Coca-Cola oder Red Bull). Und ganz besonders die Produkte aus der Kinderecke im Drogeriemarkt, das Pulver fürs Fläschchen von Nestlé und Milupa, das teure Aptamil. Der Brei aus dem Gläschen von Hipp und Alete.

Im Krieg ums Essen beherrschen zehn Konzerne weltweit das Schlachtfeld. Dazu gehören Nestlé, Unilever, Coca-Cola, Mars, Danone und Kellogg’s.

Sie füllen weltweit die Regale in den Supermärkten.

Dieses Essen ist zwar billig, aber es hat nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen teure Konsequenzen, an die merkwürdigerweise kaum jemand denkt. Alle freuen sich über die niedrigen Preise im Supermarkt oder beim Discounter. Und merken gar nicht, dass ihnen ein Vielfaches davon jeden Monat zwangsweise abgezogen wird vom Lohn oder Gehalt. Tatsächlich geben die Deutschen pro Kopf mehr als doppelt so viel für Krankheiten aus wie fürs Essen (siehe Kapitel 4).

Wir bezahlen also Billionensummen für die Folgen des billigen Essens – und häufig sogar mit dem Leben. Mehr als elf Millionen Menschen sterben gemäß einer im medizinischen Fachmagazin Lancet veröffentlichten Studie jährlich an den Folgen der sogenannten Western Diet, der westlichen Ernährungsweise, mit viel Fleisch und Fast Food, Fertiggerichten, viel Zucker und Chemikalien. Einer Studie der amerikanischen Universität Harvard zufolge sollen 180000 Todesfälle jährlich allein auf das Konto der Softdrinks gehen.

Die fehlgesteuerte Nahrungsversorgung schadet nicht nur den Menschen, die zu Patienten gemacht werden, sondern der globalen Ökonomie. Die steigenden Behandlungskosten, die zunehmenden Arbeitsausfälle, die immer häufiger nötige Frühverrentung können sogar zu Wachstumsverlusten führen, rechnen Wirtschaftsexperten vor.

Sie schadet der Umwelt, dem Klima, dem ganzen Planeten: »Die globale Nahrungsmittelproduktion«, schrieb eine Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang 2019 im British Medical Journal, sei »für bis zu einem Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich«, für »mehr als 70 Prozent der Süßwassernutzung und 40 Prozent der Landnutzung«, außerdem sei sie »eine wichtige Quelle für Boden-, Luft- und Wasserverschmutzung« und würde den »Verlust der biologischen Vielfalt« vorantreiben. Diese Effekte könnten bis 2050 um 50 bis 90 Prozent zunehmen, »wenn die Nahrungsmittelsysteme nicht umgestellt werden«.

Ein Paradigmenwechsel ist also überfällig.

Eine kranke Gesellschaft hat keine Zukunft. Morbus Alzheimer, Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, die Zuckerkrankheit Diabetes: Sie rauben Milliarden von Menschen gesunde Jahre, kosten die Sozialsysteme Billionen und fordern mehr Opfer als alle bisherigen Katastrophen, Seuchen, ja sogar Kriege. Ungeachtet der signifikanten Faktoren Luftverschmutzung und Tabakkonsum glauben die WHO-Experten, dass die Nahrung für die meisten Todesopfer weltweit verantwortlich ist. »Der größte Risikofaktor«, so schrieben sie im British Medical Journal, sei »ungesunde Ernährung«.

Im 21. Jahrhundert ist mithin eine völlig neue Bedrohungslage entstanden. Schon auf der Seite der klassischen Krankheitserreger wie den Viren und Bakterien hat sich durch die Globalisierung und Industrialisierung der Produktion und des Handels das Gefährdungsszenario erweitert. Wo bisher die Risiken lokal beschränkt waren, sind nun die Grenzen aufgehoben – auch für Mikroben –, konstatierte etwa das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG): »Infolge des globalisierten Warenverkehrs steigt auch das Risiko internationaler Ausbrüche.«

Im Schadensfall aber ist die Suche nach den Ursachen erschwert, ja oft unmöglich. Die arbeitsteilige Produktion mit ihren selbst für die global operierenden Food-Konzerne kaum durchschaubaren Lieferketten macht die Suche nach der Quelle der Verseuchung mit Erregern zu einer nahezu unlösbaren Fahndungsaufgabe.

Beispielsweise als in Dänemark Patienten behandelt werden mussten, die sich mit einem bis dahin dort unbekannten Problemkeim angesteckt hatten. Sein Name: Salmonella Schwarzengrund.

Natürlich hatte das Land Erfahrungen mit Salmonellen. Dänemark ist ja selbst ein großer Agrarexporteur, ein Paradies sozusagen für Schweinefabriken. Nur: So etwas wie Salmonella Schwarzengrund war dort bisher noch nicht aufgefallen. Die Spur führte auch bald weit über die Grenzen des Landes, ja des Kontinents hinaus.

Frank Aarestrup vom dänischen Lebensmittelinstitut in Kopenhagen fahndete mit einem internationalen Forscherteam nach der Ansteckungsquelle – und zwar weltweit. Schließlich fanden sie heraus, dass Salmonella Schwarzengrund im fernen Thailand weit verbreitet ist. Dort sind gemäß der Neue Zürcher Zeitung mittlerweile 89 Prozent der Hühnerfleischproben und 91 Prozent der Salmonellose-Patienten mit dem »Problemkeim« infiziert.

Und tatsächlich war die Erregerin aus dem Fernen Osten nach Skandinavien gereist – und sogar noch darüber hinaus.

Um ihre Reisewege nachzuvollziehen, untersuchten die Dänen mit thailändischen und US-amerikanischen Kollegen Proben von Hühnerfleisch und Patienten in Thailand, entnahmen Material von Schweinen, Puten, lokalem und importiertem Hühnerfleisch in Dänemark und sogar den USA, und sie fahndeten nach Patienten, die sich zuvor in Thailand aufgehalten hatten.

Und tatsächlich: Heimische Produkte, von Huhn und auch Schwein, waren sauber. Bei allen importierten Hühnchenteilen aus Thailand aber war Salmonella Schwarzengrund mit eingereist. Zwei der 14 dänischen Schwarzengrund-Patienten hatten sich in Thailand mit der gefährlichen Bazille angesteckt und waren kurz nach ihrer Rückkehr erkrankt.

So kann die Mobilität von Erregern und Konsumenten ein weltweites »Infektionskarussell« in Gang setzen. Ein amerikanischer Thailand-Rückkehrer hatte in einer Klinik im US-Bundesstaat Oregon sogar eine Schwarzengrund-Epidemie ausgelöst.

Das war im Jahr 2007. Mittlerweile ist Salmonella Schwarzengrund offenbar auch in den USA heimisch geworden: 2019 mussten 35 Tonnen Putenprodukte der Marke Butterball zurückgerufen werden, weil sie möglicherweise von dem Erreger befallen waren.

So stehen die Verbraucher im 21. Jahrhundert vor einem völlig neuen Gefahrenszenario, bei dem die globalisierte Nahrungsindustrie zu einem eigenen Risikofaktor geworden ist. Da spielt die Massentierhaltung eine Rolle – und ebenso der dort nötige Kampf gegen die ständig lauernden Erreger, die sich in Massenställen natürlich leicht verbreiten können, denn offenbar ist der Erreger im Zuge seiner Bekämpfung noch gekräftigt worden. »Vermutlich hat der massenhafte Einsatz von Antibiotika bei der Aufzucht der Tiere jene Varianten selektioniert, die gegen die Medikamente resistent sind«, schrieb dazu die Neue Zürcher Zeitung.

Doch im 21. Jahrhundert kommt die Bedrohung nicht mehr bloß von Erregern wie Salmonella Schwarzengrund und ähnlichen Bösewichtern, die Krankheiten übertragen. Hinzu kommen heute noch ganz neue Pandemien, wie es die globalen Gesundheitswächter nennen, globale Epidemien, die weit mehr Opfer fordern als die klassischen Krankheitsausbrüche – und auch ganz andere Strategien zur Bekämpfung und Vorbeugung. Denn es geht um Seuchen ganz anderer Art und Dimension.

Schon veranstalten die Vereinten Nationen Gipfeltreffen in New York zu diesen neuen Geißeln der Menschheit, die in der internationalen Sprache der Experten als »nicht übertragbare Krankheiten« bezeichnet werden (non-communicable diseases, kurz NCD), darunter Alzheimer, Herzinfarkt, Krebs und Diabetes. Die Weltgemeinschaft hat sogar eine Task Force zu ihrer Bekämpfung eingesetzt, die UNIATF (United Nations Interagency Task Force on the Prevention and Control of Non-communicable Diseases).

Auch in Europa häufen sich die Konferenzen; die Europäische Union ruft Experten aus der ganzen Welt zusammen. Es gibt Arbeitsgruppen, etwa vom Europäischen Parlament (EUDWG) sowie von Forschern und Firmen (EURADIA), und die Europäische Koalition für Diabetes (ECD) mit diversen Organisationen. Und es gibt natürlich viele Millionen an Steuergeldern für die Bekämpfung der Pandemie.

Doch die großen Epidemien kommen nicht schicksalshaft über die Menschheit. Auch nicht als Naturkatastrophe. Oder durch bösartige Erreger. Es ist eine menschengemachte Katastrophe. An diesen großen »Zivilisationskrankheiten« ist nicht die Zivilisation schuld, sondern die Nahrung aus den Fabriken der Konzerne: Die neuen globalen Massenleiden sind vielmehr die »logischen Konsequenzen« der »heutigen Lebensmittelsysteme, die sich in den letzten 50 Jahren dramatisch verändert haben«, betont die Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang 2019 in ihrem Aufsatz im British Medical Journal.

Die Menschen der Moderne glauben ja gemeinhin, sie würden selbstbestimmt und seinsmächtig leben. Doch ausgerechnet bei der Nahrung, dem Elementarsten des menschlichen Daseins, hat in beispiellosem Ausmaß eine Entfremdung stattgefunden. Ohne dass die Menschen es so recht realisiert haben, ist ein völlig neues Versorgungssystem entstanden. Im 21. Jahrhundert wird die Ernährung der Menschen durch ein System dominiert, das selbst zur Gesundheitsgefahr geworden ist, ein System, das weltweit organisiert ist – und auf das sie bislang keinerlei Einfluss haben, trotz demokratischer Verfasstheit der Gesellschaft. Doch dies wäre gar nicht möglich ohne die aktive Mitwirkung der Politik – hinter dem Rücken der Subjekte und stets in enger Verbindung mit den global operierenden Konzernen.

Es ist wohl die folgenschwerste Umwälzung in der Nahrungsversorgung, mit der die Menschheit jemals konfrontiert war.

Die Autoren einer österreichischen Regierungsstudie sehen sogar eine »neue Stufe der Nahrungsversorgung« nach den »Jagd- und Sammlerkulturen und den Ackerbau- und Viehzüchterkulturen«. Es ist sozusagen die Epoche der Konzernkulturen, die im 19. Jahrhundert ihren Ausgang nahm, im 20. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte und im 21. Jahrhundert zur großen globalen Katastrophe wurde – neben dem Klimawandel und der sozialen Ungleichheit.

Forscher sehen in dieser Art von Nahrung die wesentliche Ursache für die weltweite Ausbreitung von Übergewicht und den modernen Massenkrankheiten. Im 21. Jahrhundert ist der industrielle Produktionsprozess zum Hauptrisiko geworden für die menschliche Gesundheit. Und die Gefährdung hängt vom Grad der Verarbeitung ab.

Dabei ist gerade die Differenzierung wichtig: Nicht die industrielle Verarbeitung als solche ist das Problem, schließlich wird auch Olivenöl oder Senf oder sogar Mehl industriell hergestellt, ist aber für die Gesundheit völlig unproblematisch oder sogar förderlich.

Erst die Ultraverarbeitung mit Hightech-Mitteln und viel Chemie schafft die massiven Gesundheitsrisiken.

Mittlerweile wächst die Kritik an dieser Parallelwelt aus Softdrinks, Snacks und Süßigkeiten, den Tütensuppen, Fruchtjoghurts, Frühstückszerealien, Hamburgern und Fertigpizzen. Denn sie wird zu einem wachsenden Gesundheitsrisiko für immer größere Teile der Weltbevölkerung, je weiter sie sich verbreitet, je mehr sie die globale Nahrungskette dominiert – und die traditionellen Lebensmittel und ihre Erzeuger verdrängt.

Wir sind mittendrin in diesem »Krieg« um die Vorherrschaft bei der Lebensmittelversorgung der Menschen auf diesem Planeten im 21. Jahrhundert. Es ist ein »Krieg zwischen zwei Ernährungssystemen«, sagt Carlos A. Monteiro, Arzt und Professor für Ernährung und öffentliche Gesundheit an der Universität von São Paulo. Er ist mit seinen Mitarbeitern weltweit führend bei der Erforschung der unterschiedlichen Typen von Nahrung, ihrer Verbreitung und ihrer Folgen.

In diesem Krieg ums Essen steht auf der einen Seite die »traditionelle Ernährung mit echten Lebensmitteln, die einst von den Bauern um Sie herum hergestellt wurde«, führt Monteiro aus. Da gibt es also Äpfel, Himbeeren, Mangos und Papayas, natürlich Weizen, Hafer, Reis, auch Schweine, Hühner, Ziegen, oder Kühe. Da gibt es Metzgereien, die Fleisch, Wurst, Schinken herstellen, und Molkereien für Milch, Butter, Joghurt, Käse. Da gibt es die Köche in den Gaststätten und Kantinen und die Familien zu Hause, wo früher die Frau am Herd stand, heute in vielen Fällen auch der Mann, und das Essen auf den Tisch bringt.

Sie liefern die Lebensmittel für die sogenannte traditionelle Ernährung, die Mediziner heute als Basis eines gesunden Lebens betrachten, etwa die »mediterrane Ernährung«, die mittlerweile als »Goldstandard« gilt, mit wenig Fleisch, viel Frischem – Obst und Gemüse – ohne Chemie und kaum Zucker. Doch auch andere regionale Ernährungsweisen in den verschiedenen Weltregionen haben ihre Vorzüge für die Gesundheit der Menschen in der jeweiligen Gegend; einschlägige wissenschaftliche Studien gibt es über die nordische, die chinesische, die indische, die brasilianische, die mexikanische Art der Ernährung.

Auf der anderen Seite der Front gibt es die Welt-Einheitsnahrung der Konzerne, die sogenannte westliche Ernährung mit Fast Food, Fertignahrung, Softdrinks, viel Zucker und Chemie. Die zugehörigen ultraverarbeiteten Nahrungsmittel dominieren in vielen Ländern schon das Angebot, bereitgestellt durch ein industrielles System mit weltweit verbreiteten riesigen Farmen und Plantagen, mit Massenställen, die die Rohstoffe liefern für die Fabriken, die die Produkte für die Supermärkte herstellen – auch das Mittagessen für die Kita und die Kantine, sogar für die Krankenhäuser überall auf der Welt. Auch Chemiefirmen und Pharmakonzerne liefern Zutaten, die für Geschmack, Haltbarkeit und ein gesundes Image sorgen sollen. Es sind Produkte, die nicht in erster Linie für Gesundheit und Wohlbefinden sorgen sollen, sondern für Profite, die »dazu bestimmt sind, übermäßig konsumiert zu werden«, und manchmal sogar »süchtig machen«, wie Professor Monteiro sagt.

Das ist die Frontstellung im Krieg ums Essen, und die Frage lautet, welche Seite sich auf lange Sicht durchsetzen wird. Denn es herrscht eine ungleiche Schlachtordnung. »Es ist ein Krieg«, sagte der Professor, »aber ein Ernährungssystem hat unverhältnismäßig mehr Macht als das andere.«

Zum Beispiel beim Kampf um die Herrschaft in der Zukunft, für die die Krieger aus den Konzernen sich schon heute in die Schlacht werfen und auf die Kinder zielen sowie auf ihre Eltern, die nur das Beste wollen für die Kleinen; da operieren sie mit maximalem Einsatz, milliardenschwerem Werbedruck und sogar mit massiver Desinformation.

Der Kampf um die Köpfe: Das ist sozusagen der psychologische Teil der Kriegführung, der mit den Waffen der Werbung und des Marketings betrieben wird, aber auch mit den Hilfstruppen aus willfährigen Wissenschaftlern an den Universitäten und Forschungseinrichtungen. Sie sollen sozusagen die Lufthoheit sichern über den Esstischen und werden dabei ihrerseits oft zum Gesundheitsrisiko, wie sich etwa beim Kampf gegen das Fett gezeigt hat, gegen das Cholesterin im Ei – was sich mittlerweile als der größte Betrug in der Wissenschaftsgeschichte entpuppt hat, gefördert von Big Food und Big Pharma, zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der Gesundheit von Milliarden Menschen weltweit.

Die Konzerne kämpfen auch mit Bodentruppen, oftmals Frauen in Entwicklungsländern, die gewissermaßen als Söldnerinnen an die Verkaufsfront geschickt werden und oft genug als Erste zu Opfern werden, gemeinsam mit ihren Kindern, die dick und krank einem vorzeitigen Tod ausgesetzt sind. Gerade in den armen Ländern hat der Krieg ums Essen katastrophale Kollateralschäden zur Folge.

Dabei hatten die Innovationen der Konzerne ursprünglich sogar einem gesellschaftlichen Bedürfnis entsprochen. Das ist allerdings eine Weile her: Es war im 19. Jahrhundert, als etwa ein junger Mann namens Julius Maggi, ein junger Schweizer, Sohn eines eingewanderten Italieners und einer Zürcher Lehrerstochter, mit seinen Experimenten begann. Ab 1882 hatte er mit Trockensuppe experimentiert. 1886 erfand er seine erste Fertigsuppe und schließlich seine Maggi-Würze, die zum Inbegriff eines Geschmacks wurde, den es in der Natur nicht gegeben hatte.

Oder jener andere Firmengründer namens Heinrich »Henri« Nestlé. Er war im Herbst 1867 der Erste, der ein Kunstgetränk als Muttermilchersatz auf den Markt gebracht hatte, sein »Kindermehl« aus Milch, Mehl und Zucker, woraus er einen Zwieback backte, diesen pulverisierte und in eingekochte Milch rührte. Dann wurde das Gemisch getrocknet, ein bisschen Kaliumbicarbonat (E501) hinzugegeben – und fertig war der Welterfolg.

Die Zeit war damals günstig für derlei Innovationen, denn die Ernährungslage der ärmeren Schichten war katastrophal, Geld hatten sie nicht viel und Zeit zum Kochen auch kaum, andererseits aber einen immensen Nährstoffbedarf, um die tägliche Plackerei bewältigen zu können.

Auf diese völlig neue Bedürfnislage reagierten jene neuen Nahrungsmittel, die in jener Zeit erfunden worden sind und die es zuvor in der Natur, und damit auch in der menschlichen Entwicklungsgeschichte, nie gegeben hatte.

Ab 1862 versorgte der deutsche Chemiker und Farbenhändlersohn Justus von Liebig, der die Welt auch mit chemischem Dünger beglückte, die Hungrigen mit Fleischextrakt. 1871 erfand der Franzose Hippolyte Mège-Mouriès die Margarine, eine künstliche Billigversion der Butter. 1886 brachte Carl Knorr in Heilbronn seine Trockensuppe auf den Markt und 1893 Dr. August Oetker in Bielefeld das Backpulver, das er »Backin« nannte.

In jener Zeit wurde auch schon die Basis gelegt für Geschmackstricksereien in ganz neuem Stil. Pionierprodukt damals war der Vanillegeschmack aus den Rinden der Bäume in den Wäldern rund um einen Ort namens Holzminden. Das industriell hergestellte »Aroma«, der Geschmack aus der Fabrik, aus völlig verrückten Rohstoffen – nicht nur Sägespäne, selbst Abwasser von Papierfabriken wurde verwendet –, ist seither zur Leitsubstanz jener Art von Nahrung geworden, die im 21. Jahrhundert dominiert und eine globale Gesundheitsgefahr darstellt.

Dass sie den Erdbeergeschmack aus Sägespänen gewinnen, hatten die Hersteller seinerzeit natürlich öffentlich dementiert. Doch sogar die deutsche Bundesregierung hatte bestätigt, dass auch »Mikroben« das »natürliche Aroma« produzieren: »So wird Erdbeeraroma mithilfe von Pilzen hergestellt, die auf Sägespänen wachsen.«

Eigentlich wäre das eine alarmierende Nachricht: Deutsche Bundesregierung bestätigt massenhaften Betrug in der Nahrungsindustrie. Doch es ist gar kein Betrug, wird nicht einmal als Fälschung bestraft. Interessanterweise stört sich die Politik gar nicht an dieser Form von Verbrauchertäuschung. Was kein Wunder ist: Sie hat sie ja selbst ermöglicht.

Die Politik fährt im Krieg ums Essen eine höchst problematische Doppelstrategie. Einerseits positioniert sie sich auf der Seite der Konzerne, unterstützt sie, schafft gemeinsam mit ihnen die nötigen Rechtsräume und macht ihnen so den Weg frei bei ihren globalen Eroberungszügen; sie betreibt also aktive Lebensmittelpolitik und fördert die Verbreitung der ultraungesunden Nahrung. Andererseits erklärt sie die Gesundheit zur Privatsache und schiebt den Konsumenten die Schuld zu, wenn sie davon krank werden; sie beschränkt sich also beim Gesundheitsschutz auf eine Schrumpfform des politischen Handelns, die Ernährungspolitik.

Auf die völlig neue Bedrohungslage im 21. Jahrhundert hat die Politik nicht nur keine Antwort. Sie wird damit selbst noch zum Problem.

Die zweifelhafte Haltung der Herrschenden brachte schon Margaret Chan auf die Palme, die frühere Chefin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), beispielsweise beim Thema Übergewicht. »Nicht ein einziges Land hat es geschafft, seine Adipositasepidemie in allen Altersgruppen zu stoppen«, klagte sie – und sah die Ursache nicht im Persönlichen, sondern bei der Politik: »Dies ist kein Versagen der individuellen Willenskraft. Dies ist ein Misserfolg des politischen Willens.«

Wer sich um die »öffentliche Gesundheit« sorge, führt Margaret Chan aus, müsse auch die großen Nahrungskonzerne ins Visier nehmen, die Softdrink-Giganten und natürlich ihre »Frontgruppen«, ihre »Lobbys«, die »industriefinanzierte Forschung, die Beweise manipuliert und die Öffentlichkeit in die Irre führt«. So wird ihr zufolge ein »gewaltiger Widerstand« aufgebaut gegen Maßnahmen für die Gesundheit der Menschen auf diesem Planeten. Und Geld wird zur neuen Gewalt im Staat: »Die Marktmacht verwandelt sich schnell in politische Macht.« Leider aber würden »nur wenige Regierungen« den »Schwerpunkt auf die Gesundheit gegenüber dem Großkapital« setzen.

Die Politik könnte im Sinne der Konsumenten regulierend eingreifen, doch sie weigert sich, kooperiert weiter mit den Konzernen und schiebt die Verantwortung für ihre Gesundheit den Verbrauchern selbst zu.

Die »Lebensmittel« seien heute »sicherer und qualitativ deutlich besser« als früher, behauptete zum Beispiel Gaby-Fleur Böl vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), der obersten staatlichen Behörde in Deutschland zur Überwachung der Nahrung, in einem Artikel mit dem Titel Lebensmittel als Sicherheitsrisiko? Von gefühlten und tatsächlichen Risiken und schlussfolgert:

Wenn Menschen »Lebensmittel als potenzielle Bedrohung ihrer Gesundheit« betrachteten, dann sei das »grundfalsch«.

Aber was ist dann mit Produkten wie den Softdrinks? Wie können solche vollkommen »sicheren« Produkte wie Coca-Cola jährlich zu 180000 Todesfällen führen, wie die Universität Harvard ermittelt hatte? Das liegt, so die originelle Deutung der staatlichen Risikowächterin, nicht an Coca-Cola, sondern an den Menschen, die so etwas trinken.

»Man kann auch an einem sicheren Nahrungsmittel erkranken oder sterben«, sagte Risikowächterin Böl. »Zucker«, zum Beispiel, »kann schädlich sein«, räumt sie ein, sieht da aber nicht Staat oder Politik in der Pflicht, die Produktion und Verzehr seit Jahrhunderten fördern, sondern die Verbraucher selbst: »Menschen können durch ihr Ernährungsverhalten selbst steuern, wie viel sie von einem Lebensmittel aufnehmen.«

Sie stützt sich dabei auf den völlig veralteten Begriff von Lebensmittelsicherheit, der für Politik und Behörden nach wie vor gilt. Bei der »Lebensmittelsicherheit« geht es demnach lediglich um Kontaminanten, Viren, Bakterien, Schadstoffe: »Sicher« im Sinne der Vorschriften bedeutet demzufolge lediglich, dass Nahrungsmittel »frei sind von krank machenden Erregern, Bakterien oder Viren« oder auch von »chemischen Verunreinigungen«. Dafür sind, wie betont wird, die Hersteller verantwortlich. Nicht aber für die Folgen der modernen, oft zuckerhaltigen Problemprodukte.

Dieser antiquierte Begriff von »sicheren« Lebensmitteln ist die Basis für die verhängnisvolle Doppelstrategie der Politik, einerseits die Konzerne zu schützen und deren Problemprodukte zu fördern – und andererseits die Konsumenten zu schelten, wenn sie davon krank werden.

Möglich ist diese gesundheitsgefährdende Form von Politik, weil auch für die Medien und die Öffentlichkeit die private Seite im Zentrum steht. Wenn da vom Krieg ums Essen die Rede ist, geht es eher um diätetische Scharmützel: Veganer gegen Fleischfresser, Low Carb gegen Low Fat. Selbst Wissenschaftler fabulieren über derartige »Religionskriege«. Eine etwas einfältige Sicht der Dinge.

Die Wahrheit ist leider: Das Individuum ist da längst kein Machtfaktor mehr, kein relevanter Player. Die Medien verbreiten ein Zerrbild, in dem das Individuum umso größer erscheint, je kleiner seine Autonomie wird. Der Konsument als Scheinriese.

Für die Konsumenten ist jedoch im Krieg ums Essen die Selbstverteidigung immer schwerer geworden. Denn die industriellen Problemprodukte sind höchst komplex, von Laien schwer zu durchschauen. Es hat eine Form von Entfremdung stattgefunden zwischen Menschen und Lebensmitteln, die selbstverantwortliches Handeln erschwert oder gar unmöglich macht. Das Recht auf »kulinarische Selbstbestimmung« ist demzufolge erheblich eingeschränkt angesichts der Komplexität moderner Nahrungsmittel, etwa einer Tiefkühlpizza, und der weitgehend undurchschaubaren Lieferkette.

Die »Herrschaft über Speise und Trank« hat das Individuum verloren, seine Autonomie und Selbstbestimmung ist in Zeiten industrieller Nahrungsproduktion in vordem nicht gekanntem Maße eingeschränkt, sagte der Frankfurter Rechtslehrer Professor Wolf Paul, der den Verlust der »kulinarischen Selbstbestimmung« beklagt: »Gefährdet sind die Freiheit des Geschmacks und der Lebensmittelwahl nach eigener Lust und eigenem Urteil.«

Bei einem Prozess vor dem Landgericht in München zum Beispiel, als es um die »Aromen« in Schokolade von Ritter Sport ging, musste das Publikum regelmäßig den Saal verlassen, wenn es um die Produktionsdetails der verwendeten Geschmacksstoffe ging. Ausschluss der Öffentlichkeit, wie sonst bei Vergewaltigungsprozessen, wenn die Opfer geschützt werden sollen. Hier sind es die Täter und ihre Geschäftsgeheimnisse. Sie werden geschützt. Niemand soll erfahren, was er eigentlich schluckt, nach dem Biss in die Ritter Sport Voll-Nuss.