Vom Verzehr wird abgeraten - Hans-Ulrich Grimm - E-Book

Vom Verzehr wird abgeraten E-Book

Hans-Ulrich Grimm

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Beschreibung

Wussten Sie, dass die Herzschutz-Margarine dem Herzen, und der ACE-Saft dem Embryo schaden kann? Wussten Sie, dass dem Essen zugesetztes Kalzium vielleicht einen Knochenbruch verhindert – aber ebenso vielleicht einen Herzinfarkt bewirkt? Wussten Sie, dass es in Deutschland pro Jahr mehr Vitamintote als Verkehrstote gibt? Hans-Ulrich Grimm deckt auf, was im Functional Food wirklich wirkt – und was den Konsumenten droht. Schon rechnen Versicherungen mit steigenden Krankheitskosten sowie Produkthaftungsfällen und stufen die angeblichen Gesund-Produkte aus dem Supermarkt als Risiko ein. Grimm zeigt, wie die Geschäftsstrategien der Industrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen. Er leuchtet die Wirklichkeit hinter der Werbefassade aus und untersucht die Methoden der Irreführung. Und Grimm recherchiert, wie Wissenschaftler aus staatlichen Instituten und den Labors der Konzerne sich verbrüdern – zum Schaden von ernährungsbewussten Verbrauchern.

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Hans-Ulrich Grimm

Vom Verzehr wird abgeraten

Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht

Knaur e-books

Über dieses Buch

Kurztext: Was ist »gesundes« Essen? Gurke, Salat, Tomate vom Marktstand – oder die angereicherten Nahrungsmittel aus dem Kühlregal, die reich an Vitaminen sind, cholesterinsenkend, probiotisch, proaktiv, jodiert, mit Bakterien angereichert und nicht nur gut schmecken, satt (ohne dick zu) machen und dabei so gesund sein sollen, dass sie das Leben verlängern? Hans-Ulrich Grimm geht den Versprechungen der Nahrungsmittelmultis auf den Grund. Er zeigt, dass die angeblich herzstärkende Margarine tatsächlich zu Herzkrankheiten führen kann, dass isolierte Vitamine nichts nutzen – und dass ökologisch angebautes Gemüse nachweislich die Gesundheit stärkt.

Inhaltsübersicht

1. Weißes Licht2. Auf die Zunge3. Schwebende Hecke4. Lustige Brotgesichter5. Kleistrige Struktur6. Joghurt gegen Joghurt7. Im Jubelpark8. Einfach toll9. Ins Auge10. Ein bisschen Spucke11. Der große Schnitt12. Reife Früchte13. LiteraturA. Monographien und SammelwerkeB. Artikel und AufsätzeC. Quellenhinweis
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1. Weißes Licht

Gesunde Ernährung kann Ihr Leben verkürzen

Im Supermarkt wird aufgerüstet / Cholesterin gesenkt, Herz kaputt: Essen Sie »Becel«? / Die elegante Dame lebt jetzt allein in ihrem großen Haus / Lieber Mr. Alford: Das Warnschreiben der Regierung an den Chef von Nestlé / Vom Verzehr wird abgeraten – doch die Werbung geht weiter / Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Kassiererin / Und was ist mit der Hühnersuppe?

Eigentlich hatten sie alles richtig gemacht. Sie lebten ein perfektes Leben nach den offiziellen Empfehlungen der Ernährungsexperten und hatten tiefes Vertrauen in die Versprechungen der Werbung. Vielleicht gibt es weltweit niemanden, der sich so punktgenau gesund ernährt hat. Er war auch immer gesund. Doch schon in jungen Jahren, so um die 30, hatte er Angst um sein Herz. Mit der Ernährung wollten sie eigentlich vorbeugen.

Jetzt lebt sie allein in dem großen Haus. Das Mercedes-Cabrio hat sie gerade verkauft, für sie allein ist der alte BMW gut genug. »Mein Mann ist ja von heute auf morgen gestorben. Aus dem vollen Leben ist er rausgegangen.« Christa Friedrich ist eine gepflegte Dame, schlank, blond, sie trägt eine schwarze Hose, eine schwarz-weiß gestreifte Bluse, Perlenkette, Ringe, Armreif. Sie lebt komfortabel in ihrem 360-Quadratmeter-Haus am Waldrand, mit einem kleinen Garten, begrenzt von einer weißen Mauer, davor rote Rosen, kleine Buchsbaumpflanzen, akkurat geschnitten.

Am Schluss war es sehr schnell gegangen. »Wir haben nicht damit gerechnet. Alles, was man tun konnte, um gesund zu leben, haben wir gemacht. Ab und zu einen Wein getrunken, aber in Maßen. Wir haben keinen Schweinebraten gegessen, nur einmal im Jahr, und dann mit schlechtem Gewissen. Wir haben fast immer Fisch gegessen. Weniger Fleisch. Margarine seit Jahren. Viel Quark und Käse. Aber immer den fettreduzierten Käse. Keine Innereien, keine Leber, war alles tabu wegen Cholesterin. Viel Obst. Viel Salat. Wenig Kuchen, wenig Süßes. Mein Mann hat normales Gewicht gehabt. Kein Übergewicht. Früher hatte er mal 100 Kilo gewogen. Hat er alles abgenommen. Er hat keine Krankheit gehabt. Er hat auch keinen hohen Blutdruck gehabt. Er ist zum Doktor gegangen, damit es ihm gutgeht. Cholesterin, Zucker, das mit dem Herzen.« Seine inneren Werte waren daher auch tadellos: »Ich hab Werte wie ein Neugeborenes«, hatte er noch wenige Monate vor seinem Tod gesagt: LDL, HDL: »Traumwerte«.

 

Viele Menschen versuchen wie Klaus Friedrich und seine Frau, gesund zu leben. Gesunde Ernährung ist ein Megathema. Schließlich sind die meisten Zivilisationserkrankungen ernährungsbedingt. Da ist es logisch und konsequent, diese Krankheiten nicht nur zu behandeln, sondern ihre Ursachen zu beseitigen. Schließlich steigen die Gesundheitsausgaben stetig, in manchen Ländern sind die Sozialversicherungssysteme vom Kollaps bedroht. Und für die gesunde Ernährung gibt es immer neue Angebote.

Früher waren für die Nahrungszubereitung die Köche zuständig, die Hausfrauen, Mütter und Großmütter, überall auf der Welt. Ihre Erfahrung, über Generationen hinweg, entschied, ob etwas als gesund galt oder nicht. Sie verwendeten traditionelle Rohstoffe aus der Natur. Artischocken, Knoblauch, Ingwer. Sie arbeiteten mit überlieferten Techniken. Sie bereiteten daraus ihre Gerichte. Bekömmlich und wohlschmeckend. Und die Ärzte waren für die Gesundheitsfragen zuständig.

Die Gesundheitsprodukte aus dem Supermarkt kommen aus einer anderen Welt. Die Nahrungsmittel werden in Fabriken hergestellt. Es agieren multinationale Konzerne und ihre Forschungsabteilungen. Ihre Rohstoffe sind isolierte Chemikalien, Wirkstoffe aus Labors, synthetisiert, in großtechnischem Stil hergestellt in glänzenden Produktionshallen, weltweit vermarktet.

Seit sich die globalisierte Nahrungsindustrie des Themas angenommen hat und immer mehr Produkte mit angeblichem »Gesundheitsnutzen« anbietet, werden just diese zum Risiko. Die Versicherungen sehen es mit Sorge, denn wenn die Menschen wie Klaus Friedrich, die eigentlich nie Beschwerden hatten, sich sozusagen mit gesunden Produkten krankenhausreif essen, dann kann das teuer werden.

Gesunde Ernährung kann das Leben verkürzen. Die neue, angeblich gesunde Nahrung hat Risiken und Nebenwirkungen. Und es sind viele betroffen. Denn viele Menschen folgen den Versprechungen.

Es ist ein global aktiver Wirtschaftszweig, der sich der »gesunden Ernährung« verschrieben hat, nicht nur die Nahrungsindustrie, auch die Pharmaindustrie, die Agroindustrie, die die Rohstoffe jetzt chemisch umrüsten lässt. Ganz neue Berufsgruppen bestimmen, was gesund ist, Anwälte beispielsweise und Unternehmensberater, und Lobbyisten sorgen im Hintergrund dafür, dass die Gesetze stimmen.

Der weltgrößte Food-Multi Nestlé hat schon seinen ganzen Konzern auf die neuen Ziele ausgerichtet. Die Lenker des Konzerns melden sich in der Wirtschaftspresse mit verheißungsvollen Ankündigungen.

Nestlé-Verwaltungsratschef Peter Brabeck will den Konzern zu einer »Health, Nutrition und Well-Being Company« machen. Nestlé soll zum Pionier »einer ganz neuen Industrie zwischen Nahrung und Pharma« werden. »Diese Produkte«, sagt Nestlé-Vorstandschef Paul Bulcke, »sind ein ungeheurer Wachstumsmarkt.« Auch der einstige Deutschland-Chef Patrice Bula kündigte schon vor Jahren an: »Wir wollen uns vom respektierten Lebensmittelunternehmen zu einem Anbieter von Ernährung, Gesundheit und Wohlbefinden entwickeln.«

»Die Chancen sind groß. Die Risiken sind groß. Und die Belohnung ist groß«, sagte der gebürtige Spanier Luis Cantarell, Chef der Nestlé Health Science S. A. Nestlé-Verwaltungsratschef Peter Brabeck sieht dringenden Bedarf: »Die hohen Staatsschulden machen die Finanzierung der Alters- und Gesundheitsvorsorge immer problematischer. Entsprechend wichtiger wird es daher, chronischen Erkrankungen mit Gesundheitsprodukten vorzubeugen.« Da will Nestlé natürlich gern helfen.

Konzernchef Paul Bulcke möchte mit der Gesundheitsnahrung Wege finden, um »akuten und chronischen Krankheiten des 21. Jahrhunderts vorzubeugen und sie zu behandeln«. Es geht um Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden, Alzheimer und vor allem um Übergewicht.

Die Geschäfte sind schon heute voll mit den neuen Produkten. Im Supermarkt wird aufgerüstet, mit zusätzlichen Vitaminen, extra Bakterien, mit weniger Fett, mit modernen Hightech-Zusätzen.

Gleich beim Frühstück geht’s los. Vitamine am Morgen, schon in den Cornflakes wie »Kellogg’s müslix vital«, »Nestlé Fitness Knusprige Flakes mit Vollkornweizen« oder »Dr. Oetkers Vitalis Früchte Müsli mit Vitamin C«. Fast droht schon beim Frühstück der Overkill, wenn dann noch »Nesquik plus Vitamine und Traubenzucker« dazukommen oder Multivitaminsaft von Hohes C oder von Rewe, aus der Großmolkerei die »Müller Frucht Buttermilch Multivitamin plus 10 Vitamine«.

Dazu ein paar Bakterien, wahlweise von Nestlé, im Joghurt »LC1« (»Befreit in den Tag starten«), von Yakult oder von Danone, ein Becher »Activia« oder »Actimel« (»Actimel activiert Abwehrkräfte«). Dazu ein Brötchen mit verstärkter Margarine, »Becel« oder »Becel pro.activ«. Am besten alles halbfett oder noch besser: mit 0,1 Prozent Fett. Mittags dann eine Vitaminsuppe, etwa »Knorrs Grüne Nudel Suppe mit Käse und drei Vitaminen«. Wenn der kleine Hunger kommt, ein Vitaminbonbon oder gleich zwei: »Nimm 2« »mit wertvollen Vitaminen«.

Für die Kleinen ist alles durchvitaminisiert, der »Alete Getreidebrei mit Vollkorn und Jod« oder das ultramoderne »Hipp Bio Combiotik«, das aussieht wie Astronautennahrung für den Säugling. Auch die ganzen Milchgetränke sind vitaminisiert, »Nestlé Beba Kleinkind-Milch für die Wachstumsphase«, »Milupino Kindermilch«, auch »Kaba«, »Nesquik«. Im Drogeriemarkt gibt’s noch die »Vitamin Sticks mit 13 Vitaminen sowie Lecithin für Kinder und Erwachsene«. »Mit prickelndem Kirschgeschmack«. Oder an der Kasse: »Das Gesunde Plus Multi-Vitamine für Kinder – 20 leckere Bärchen zum Lutschen oder Kauen«.

Der Mensch lebt aber nicht vom Vitamin allein, es gibt auch Fischöl, Fettkapseln, Coenzym Q10, Magnesium und vieles andere mehr. Sie sollen das Herz schützen, das Immunsystem stärken, Kinder klüger machen, beim Abnehmen helfen und gegen Verstopfung, für verbesserte Sehkraft sorgen. Manches soll Blähungen vermeiden.

Und alles natürlich weltweit: Das Milchpulver »Heinz Golden Sleep« soll in China Babys besser schlafen lassen. Falls ein Sack Reis umfällt. Am perfektesten sind natürlich amerikanische Kinder versorgt. Dort gibt es »komplette ausgewogene Ernährung« in einer einzigen Plastikdrinkserie namens »Pedia Sure« in diversen Geschmacksrichtungen. Alles drin: 23 Vitamine und Mineralstoffe! Proteine und Ballaststoffe! Exzellente Quelle von DHA Omega-3! Prebiotika und Antioxidantien! Hilft beim Wachsen! Verspricht der US-Pharmakonzern Abbott.

Das Ziel ist klar: »Höhere Profitmargen«, so das Kunstnahrungsfachblatt »International Food Ingredients« (IFI). Fragt sich nur, ob es wirklich nützt. Ob es gesünder ist. Oder womöglich sogar schadet, den Großen und den Kleinen.

Mehrere internationale Studien kamen zu dem Schluss, dass weder Betacarotin-Pillen noch die Vitamine A, C und E, als Pulver oder Pillen genommen, vor Krebs und Herzinfarkt schützen. Eine Studie mit 15000 Ärzten hat gezeigt, dass die Doktoren, die zehn Jahre lang Vitamine E und C genommen hatten, weder weniger Herzkrankheiten hatten noch seltener Krebs als die Kollegen, die wirkstofflose Tabletten genommen hatten.

Eine Studie mit 35000 Männern hatte die Illusion zerstört, dass Vitamin E und Selen das Risiko für Prostatakrebs senken könnten. Und Knochenbrüche gab es unter den 72000 älteren Krankenschwestern, die US-Forscher befragt hatten, genauso oft bei jenen, die viel Sport trieben, weniger rauchten, mehr Kalzium und Vitamin A einnahmen, wie bei den anderen mit weniger gesundem Lebensstil.

Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat sich auch schon mit diesen Extras beschäftigt und meint: »Der behauptete gesundheitsförderliche Nutzen von zusätzlichen Betacarotingaben hat sich in kontrollierten Studien als nicht haltbar herausgestellt.«

Die US-Lebensmittelbehörde FDA verschickte in einer Abmahnaktion schon 17 Warnbriefe an Nahrungshersteller. Sie warf den Herstellern vor, ihre Gesundheitsbehauptungen »aufzublasen« oder ungesunde Inhaltsstoffe wie etwa bestimmte Fette zu »maskieren«.

Ein solches Schreiben war gerichtet an den US-Chef des weltgrößten Nahrungskonzerns Nestlé:

Brad Alford, Chairman and CEO

Nestlé U.S.A.

800 North Brand Boulevard

Glendale, CA 91203

 

und überschrieben mit

 

WARNBRIEF

 

»Lieber Mr. Alford,

 

die Food and Drug Administration (FDA) hat die Kennzeichnung für verschiedene Nestlé-Produkte überprüft: Juicy Juice Brain Development Fruit Juice Beverage (Apple), Juicy Juice All-Natural 100% Juice Orange Tangerine und Juicy Juice All-Natural 100% Juice Grape. Auf der Basis unserer Untersuchungen haben wir festgestellt, dass diese Produkte vorschriftswidrig gekennzeichnet sind.«

Insbesondere enthielten sie unzulässige Angaben zum Zuckergehalt. Außerdem seien Behauptungen wie »Hilft, die Gehirnentwicklung zu unterstützen« bei Kindern unter zwei Jahren verboten.

 

Auch Danone wurde gerügt wegen irreführender Aussagen. In den USA musste der Konzern eine Strafe von 21 Millionen Dollar (15 Millionen Euro) bezahlen wegen irreführender Werbung, etwa für den angeblich besonders gesundheitsfördernden Joghurt »Activia«. Und in Österreich ging es um die süßen »Fruchtzwerge«, deren Süße jetzt viel gesünder sei, wie die Firma in ihrer Werbung behauptete: »›Fruchtzwerge‹ sind das einzige Kindermilchprodukt, das Zucker durch die Süße aus Früchten ersetzt.« Das Oberlandesgericht Wien verurteilte Danone aufgrund dieser Behauptung wegen Verbrauchertäuschung. Die Firma soll es »unterlassen«, in ihrer Werbung für Kindermilchprodukte, insbesondere »Fruchtzwerge«, den unrichtigen Eindruck zu erwecken, die beworbenen Kindermilchprodukte seien ernährungsphysiologisch besonders wertvoll, weil sie nicht mit Kristallzucker gesüßt seien.

Die britische Werbe-Aufsichtsbehörde Advertising Standards Authority (ASA) beanstandete ein Kellogg-Reklameposter für »Coco Pops«. Sie enthielten 34 Gramm Zucker pro 100 Gramm – und die Kellogg-Werbung hatte die Kinder auch noch dazu aufgerufen, diese »Coco-Pops« als Mittagessen einzunehmen: »Schon mal dran gedacht, ›Coco Pops‹ nach der Schule zu essen?«

Die ASA hatte auch schon einen »Actimel«-Fernsehspot von Danone in Großbritannien beanstandet. Die Behauptungen des Konzerns, Actimel habe positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern, seien nicht bewiesen. In den Spots kamen spielende Kinder vor, eine Stimme aus dem Off behauptete, dass Kinder »Actimel« »lieben« und das Getränk gut für sie sei. Und es sei wissenschaftlich belegt, dass »Actimel« die natürlichen Abwehrkräfte von Kindern stärke. Die Wörter »wissenschaftlich belegt« waren auf dem Bildschirm eingeblendet. Die »wissenschaftlichen Belege«, monierte die ASA, waren offenbar sehr kühn ausgewählt: So seien in einer Studie schwer durchfallkranke Kinder in indischen Krankenhäusern untersucht worden – nicht zu vergleichen mit den Verhältnissen in Großbritannien, so die Werbekontrolleure.

Als die Europäische Lebensmittelbehörde Efsa die Werbesprüche (Health Claims) überprüfte, hat sie gleich mal 75 Prozent jener abgelehnt, die sich mit der Verbesserung von Intelligenz und Geistesleistung beschäftigten. Grund: »Ungenügende Nachweise« für die behaupteten Effekte.

Die Europäische Union hatte festgelegt, dass die Werbesprüche erst einmal überprüft werden, von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa (European Food Safety Authority) in der italienischen 190000-Einwohner-Stadt Parma, eineinhalb Autostunden südöstlich von Mailand. Eine Flut von Anträgen schwappte daraufhin über die Behörde herein, darunter auch für Produkte, die seit Jahren in gigantischen Werbekampagnen mit großartigen Versprechungen angepriesen worden sind, wie etwa »Actimel« von Danone (»Actimel activiert Abwehrkräfte«). Es ging um 4637 Behauptungen über gesundheitliche Wirkungen, und weil sie in verschiedenen Sprachen vorlagen, waren es insgesamt 44000 Werbesprüche.

Zur großen Überraschung aller Beteiligten lehnte die Behörde unter anderem einen Danone-Claim ab, es ging um Babynahrung. Das Produkt »Immunofortis« sollte angeblich gegen Hauterkrankungen und Allergien helfen. Danone reagierte wie unter Schock. Die Firma zog die Anträge für ihre anderen Blockbuster gleich freiwillig zurück, »Activia« und »Actimel« – um weiteren Ablehnungen zuvorzukommen. Auch Kellogg zog daraufhin einen Antrag zurück, für Frühstücksflocken mit angeblichem Abspeck-Effekt, von dem sie behaupteten: »Kann helfen, das Gewicht zu reduzieren, kann helfen, das Körperfett zu reduzieren, kann helfen, den Bauchumfang zu reduzieren.«

Dabei gilt die Einrichtung in Parma eigentlich als industrienah. Im Verwaltungsrat sitzt sogar der Chef-Lobbyist der deutschen Food-Industrie, Matthias Horst, Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) und der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Zahlreiche Efsa-Wissenschaftler sind schon als Berater von Food-Firmen hervorgetreten. Und sogar die Prüfungsprozeduren waren von einer Lobbytruppe der Industrie ausgearbeitet worden, dem International Life Sciences Institut mit europäischem Sitz in Brüssel (Ilsi).

Umso überraschter waren Kritiker wie auch Industrie über die Ablehnungsserie. Die Gesundheitsversprechen der Konzerne wurden zurückgewiesen, weil es nach Efsa-Expertenmeinung keine überzeugenden wissenschaftlichen Beweise für die Reklamesprüche gibt.

Die Branche schäumte, organisierte ihre Lobbygruppen, formierte sich zum Kampf gegen die ungeliebten Werbeaufseher in Parma. Die Europäische Lebensmittelbehörde wurde so etwas wie das Hassobjekt der Nahrungsindustrie und zur primären Zielscheibe hochdotierter Anwälte und Lobbyisten.

Plötzlich standen Milliardeninvestitionen auf dem Spiel. Nur weil Wissenschaftler finden, dass die Werbesprüche nicht stimmen. Dabei ist genau auf diese Phrasen das ganze Geschäft aufgebaut. Genau wegen dieser Versprechungen sollen die Leute ja im Supermarkt die teuren Produkte kaufen. Und genau deswegen wurden die Sprüche ja so vollmundig formuliert und mit riesigen Werbeetats unters Volk gebracht.

Und sie wirken ja auch, wie das Beispiel Klaus Friedrich zeigt.

Klaus Friedrich hatte immer Angst um sein Herz. Er hatte viel Stress in jungen Jahren, als er seine Firma aufbaute. Er sei wahnsinnig fleißig gewesen, sagt seine Frau. An der Kasse im Kaufhof, Frankfurt Hauptwache, hatten sie sich kennengelernt. Sechs Wochen später waren sie verheiratet, hatten gleich ein Haus gekauft in St. Ingbert, im Saarland, wegen der Nähe zu Antwerpen, dem Diamantenzentrum Europas. Friedrich war Schmuckhändler, hat ein erfolgreiches Geschäft betrieben, jahrelang, dann irgendwann aufgehört, nachdem er überfallen worden war.

Klaus Friedrich hatte sich regelmäßig untersuchen lassen, rein zur Vorsorge, obwohl er immer gesund war. »Da war immer nichts. Alles dem Alter entsprechend okay.« Vor allem ums Herz machte er sich Sorgen. Zweimal im Jahr ging er zur kardiologischen Prophylaxe und Kneippkur nach Bad Wörishofen. Und die Ernährung war natürlich auch darauf ausgerichtet, streng nach den Empfehlungen zur Vorbeugung. Zusätzlich hat er noch cholesterinsenkende Mittel genommen.

Und dann kam dieser erste Vorfall, schon vor ein paar Jahren. Als er noch lebte, hat Klaus Friedrich davon erzählt. Es war das Herz, ausgerechnet. »Wenn ich einen kleinen Berg hoch ging, ging mir die Puste aus. Luftnot. Atemnot. Ich ging dann zum Arzt, der schickte mich ins Krankenhaus. Dort sagte der Professor: Moment, Moment. Sie sind wahrscheinlich lebensbedrohlich erkrankt. Sie müssen am nächsten Morgen kommen. Zwei Herzkranzgefäße sind total verkalkt. Sie müssen operiert werden. Wenn die Verkalkung fortschreitet, sind Sie tot. Mir ist das Herz in die Hose gefallen. Aber der Professor hat gesagt: Herr Friedrich, Sie dürfen keine Angst haben, ich bin der Beste. Wenn ich Sie operiere, dann werden Sie überleben. Dann kam die Operation. Ich hab mich liegend gesehen auf einer Marmorplatte. Mein Leib war geöffnet, mein Brustkorb. Ein gleißendes weißes Licht. Ich war über mir. Da war ich auf dem Weg in eine vermeintlich bessere Welt. Dann rief Dr. Weingärtner an: Ob wir Margarine gegen das Cholesterin essen? ›Becel pro.activ‹ haben wir gegessen. Da haben wir die pro.activ in den Mülleimer geschmissen. Ob ich an einer Studie teilnehmen wolle, hat er noch gefragt.«

Dr. Oliver Weingärtner ist Kardiologe, ein junger Herzspezialist. Er hat schon zahlreiche Aufsätze in wichtigen internationalen Fachzeitschriften publiziert. Er forscht in jener Einrichtung, an der Klaus Friedrich operiert wurde, dem Universitätsklinikum oberhalb des saarländischen Städtchens Homburg, eine halbe Autostunde nordöstlich von Saarbrücken. Es ist ein riesiger medizinischer Komplex, eine eigene kleine Stadt im Wald mit etwa hundert Gebäuden, 5500 Beschäftigten, Kliniken und Forschungszentren, diversen Schulen, unter anderem für Krankenpflege und Geburtshilfe, einem weitläufigen Park, dazu Wohngebäude, Post, Bank, Gaststätte, sogar eine Kirche. Eine Buslinie führt durch das ganze Quartier.

Gebäude 56, erstes Obergeschoss: die Herzstation. Herzchirurgie, rechts die Intensivstation, gleich im ersten Zimmer daneben lag Klaus Friedrich. Weingärtner forscht ein paar Häuser weiter, in Gebäude 40, Zimmer U 28. »Kardiologische Forschung« steht auf dem Türschild. Er beschäftigte sich damals mit bestimmten Nahrungszusätzen und ihrer Wirkung auf das Herz. Auf dem Flur eine ganze Reihe von Labors mit Computern, komplizierten chemischen Apparaturen, einem Gerät mit vier Glaskolben. Damit hatte Weingärtner seine ersten Versuche gemacht.

Schon länger bestand der Verdacht, dass die Zusätze in der Margarine, die Millionen von Menschen auf der Welt nehmen, um ihr Herz zu schützen, womöglich genau das Gegenteil bewirken – und dem Herz schaden. Der junge Kardiologe Weingärtner erhielt von seinem Chef, dem Herzspezialisten Professor Michael Böhm, den Auftrag, diesem Verdacht nachzugehen.

Weingärtner macht sich an die Arbeit. Er entwirft die Studiendesigns und macht sich auf die Suche nach Mitstreitern innerhalb und außerhalb der Klinik. Er setzt sich mit Ulrich Laufs zusammen, dem Professor für Klinisch-Experimentelle Medizin, der für das Labor zuständig ist, um mit ihm die Abläufe zu klären. Er fragt beim Herzchirurgen Professor Hans-Joachim Schäfers an, ob er bei Patienten, die wegen lebensbedrohlicher Herzschwäche operiert werden müssen, die Herzklappe untersuchen dürfe. »Ich wollte wissen, ob der ›Becel‹-Wirkstoff im Herzen ist«, sagt Weingärtner.

Dann ruft er noch die Fachleute für Schlaganfälle in der Charité in Berlin an und den Biochemiker und Pharmakologen Professor Dieter Lütjohann von der Universität Bonn, ein ausgewiesener Experte für die sogenannten Sterole, zu denen der ›Becel‹-Wirkstoff gehört. Zugleich macht sich Weingärtner auf die Suche nach Geldgebern. Die Universität des Saarlandes schließlich finanziert das Projekt. Es dauert zwei Jahre.

Weingärtner untersucht als Erstes die Blutadern von Mäusen, im Labor an dem Apparat mit den vier Glaskolben. Man kann die Ader einer Maus aufspannen, in verschiedene Flüssigkeiten eintauchen und so die »Endothel-Funktion bestimmen«, wie Weingärtner sagt. Endothel, das ist sozusagen die innere Beschichtung der Blutadern. Wenn diese Flächen zum Beispiel verkrustet sind, dann leidet natürlich die Funktion, das Blut kann nicht mehr richtig fließen. Nachdem sie die Mäuse mit Nahrungszusatz von »Becel pro.activ« gefüttert hatten, geschah Unerwartetes, sagt Weingärtner. »Die Arterien wurden steifer.« In den Adern der Tiere hatten sich starke Ablagerungen gebildet. Weingärtner ließ auch noch die Herzen der Mäuse im Labor untersuchen. »Wir wollten sehen, ob sich diese Phytosterine im Herzgewebe ablagern. Ob sie sich in den Herzkranzgefäßen ablagern.«

Und tatsächlich: Die Mäuse, die mit diesen Zusätzen gefüttert wurden, hatten die meisten Ablagerungen im Blut und an den Herzklappen. »Phytosterine« oder »Phytosterole« heißen diese Partikel, nach dem englischen »Phytosterols«, im Deutschen werden sie auch als »Pflanzensterine« bezeichnet. »Dass die Phytosterole in so hohem Maße im Gewebe eingelagert werden, hat uns überrascht«, sagt Weingärtner.

Die Entdeckung war eine beängstigende Sensation. Denn Millionen von Menschen essen genau diese Stoffe, um ihr Herz zu schützen. So wie Klaus Friedrich. Phytosterine sind in »Becel pro.activ« als Wirkstoff enthalten und in vielen anderen Produkten, die den Cholesterinspiegel senken sollen. Phytosterine sind der Hit im Vorbeugungsgeschäft. Weltweit. Auch die großen Pharmafirmen haben solche Stoffe im Angebot. Amerikanische Agrokonzerne produzieren sie, Chemiekonzerne wie BASF, und Firmen wie Unilever und Danone mischen sie in ihre Produkte und werben mit dem Versprechen, damit sei das Herz zu schützen.

Und womöglich gefährden es Millionen von Menschen auf der Welt gerade dadurch erst recht. Jedenfalls nach den Ergebnissen der Mäusestudie.

Noch aber war nicht nachgewiesen, dass der »Becel«-Wirkstoff sich auch im Herzen von Menschen ablagert. Dafür ließ Weingärtner bei 82 Patienten, die am Herzen operiert werden mussten, nach den Margarinezusätzen suchen. Und tatsächlich: Bei zehn von ihnen, die allesamt jahrelang »Becel pro.activ« gegessen hatten, hatten sich die angeblich gesunden Zusätze festgesetzt.

Der junge Kardiologe und seine Kollegen veröffentlichten ihre Erkenntnisse in bedeutenden internationalen wissenschaftlichen Journalen, dem »European Heart Journal«, dem »Journal of the American College of Cardiology«. »Wir waren die Ersten«, sagt Weingärtner.

Aber Weingärtner war nicht der Einzige, der sich mit dem Thema beschäftigte. Er wurde häufig zitiert, andere Wissenschaftler lieferten ähnliche Ergebnisse. Eine Studie von Professor Gerd Assmann an der Universität Münster ergab, dass durch diese Nahrungszusätze das Risiko für Herzinfarkt sich verdreifacht – jedenfalls bei infarktgefährdeten Männern, also genau jenen, bei denen eine solche Margarine eigentlich vorbeugend schützen sollte. So diese Untersuchung, die in der Fachwelt als »PROCAM-Studie« bekannt ist (Prospective Cardiovascular Münster). Auch in Finnland, Kanada und Polen wurden die Erkenntnisse bestätigt.

Der Leipziger Professor Daniel Teupser warnt sogar aufgrund eigener Forschungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen Margarine-Zusätzen und erhöhtem Risiko für Herzinfarkt: »Nach den Ergebnissen unserer Studie raten wir davon ab, vorbeugend ungezielt Lebensmittel zu konsumieren, die mit Zusatzstoffen wie pflanzlichen Sterolen angereichert sind.«

Sogar die oberste deutsche Behörde, die die Menschen vor Gesundheitsgefahren durch Nahrungsmittel schützen soll, warnt vor Produkten wie »Becel pro.activ«, die sogenannte Pflanzensterine enthalten. Das Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sagt: »Menschen mit normalen Cholesterinwerten sollten auf den Verzehr von Lebensmitteln mit zugesetzten Pflanzensterinen verzichten.« Sie könnten »möglicherweise negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben«. Den Namen »Becel pro.activ« nennt die Behörde nicht. Auch nicht die Namen anderer Produkte, die die Menschen kaufen, um ihr Herz zu schützen.

Auch die Europäische Union weiß, dass Produkte wie »Becel pro.activ« schaden können, und schrieb deshalb Warnhinweise vor. Die einschlägige EU-Verordnung (Nr. 608/2004) sagt: »In jedem Fall sollte die Zusammensetzung und die Kennzeichnung von Erzeugnissen den Verbrauchern ermöglichen, ihren Verzehr an Phytosterinen/Phytostanolen auf drei Gramm zu beschränken.« Und: »Es muss darauf hingewiesen werden, dass Patienten, die Arzneimittel zur Senkung des Cholesterinspiegels einnehmen, das Erzeugnis nur unter ärztlicher Aufsicht zu sich nehmen sollten.« Und schließlich: »Es muss gut sicht- und lesbar der Hinweis angebracht werden, dass das Erzeugnis möglicherweise für schwangere und stillende Frauen sowie Kinder unter fünf Jahren nicht geeignet ist.«

Die Warnungen wurden angebracht, aber: »Sie werden leider nicht gelesen«, sagt Birgit Niemann vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Das könnte damit zusammenhängen, dass sie auch kaum leserlich sind, sehr klein, oft am Packungsboden. Am »Becel«-Regal bei Edeka steht ja kein großer Warnhinweis. Und auch in den Anzeigen, etwa im »Stern«, steht nichts von irgendwelchen Warnungen oder Einschränkungen.

Für viele Käufer sind nach BfR-Erkenntnissen cholesterinsenkende Produkte wie »Becel pro.activ« deshalb ein Gesundheitsrisiko. Nur knapp die Hälfte der befragten Käufer hatte nach einer BfR-Studie erhöhte Cholesterinwerte. Bei 36 Prozent aß auch der Partner davon. Und in 29 Prozent der Haushalte durften sogar die Kinder davon essen. Nur 55 Prozent kauften das Produkt wegen des Cholesterins. Andere ganz allgemein, um ihren ungesunden Lebensstil auszugleichen. Wieder andere wegen des Geschmacks oder wegen der Werbung.

Eigentlich weiß das BfR also, dass auch Leute »Becel pro.activ« und ähnliche Erzeugnisse konsumieren, denen solche Produkte schaden können. Dass Millionen von Menschen weltweit gefährdet sind, jeden Tag. Durch Einkauf in Supermärkten wie Rewe, Edeka, Lidl. »Die Ergebnisse der Studie sind brisant«, sagt die oberste staatliche Risikobehörde der Bundesrepublik Deutschland.

Gerade gesundheitsbewusste Menschen setzen sich also nach Erkenntnissen der obersten staatlichen Risikoschutzbehörde der Gefahr aus, durch Verzehr vermeintlich herzschützender Margarine und ähnlicher Produkte lebensbedrohlich zu erkranken – am Herz. Leider stand auch in dieser Studie nicht drin, dass sie von »Becel pro.activ« und vergleichbaren Erzeugnissen handelt. Es wurden auch keine anderen Markennamen genannt. So wussten die Menschen in Deutschland gar nicht, wovor ihre oberste Risikobehörde warnte. Und setzten sich weiter dem Risiko durch Produkte wie die Herzschutzmargarine aus.

Das scheint also ein eigenständiges Gesundheitsrisiko zu sein: die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Risikowächter. Die Behörden beschäftigen sich sorgfältig mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über Risiken und Nebenwirkungen der Produkte. Doch ihre Erkenntnisse können sie nur mit sehr eingeschränkten Mitteln unters Volk bringen. Selbst wenn es um lebensbedrohliche Risiken durch angeblich gesunde Produkte geht, dürfen sie die Namen der Produkte nicht nennen.

So herrscht ein gewisses Ungleichgewicht.

Denn die Hersteller nennen natürlich die Namen ihrer Produkte, wenn sie die angeblich herzschützenden Wirkungen etwa von »Becel« hinausposaunen in die Welt. Und sie haben auch die nötigen Mittel.

Die großen Food-Konzerne haben Werbeetats in Millionenhöhe. Allein die Werbeausgaben von Unilever in Deutschland sind mehr als doppelt so hoch wie der Gesamtetat des obersten deutschen Instituts für Risikobewertung mit seinen 750 Mitarbeitern. Speziell für die Zielgruppen beschäftigt Unilever mehrere PR-Agenturen, die die Redaktionen der »Freundin«, der »Brigitte« und des »Ärzteblatts« mit Firmeninformationen füttern.

Das Risikoinstitut der Regierung ist da vergleichsweise schwach ausgestattet. »Wir haben keine PR-Agentur. Wir dürfen auch keine Werbung machen«, sagt Pressechefin Suzan Fiack: Neun Leute arbeiten in der Pressestelle, davon vier Teilzeitkräfte. Für Publikationen stehen jährlich 200000 Euro zur Verfügung. So ist es den Leuten, die am Regal im Supermarkt stehen, leider nicht bewusst, dass die oberste staatliche Risikobehörde von den Produkten eigentlich abrät, zu denen sie gerade greifen. Eigentlich findet das BfR, es sollten keine weiteren cholesterinsenkenden Nahrungsmittel mit diesen riskanten Zusätzen auf den Markt kommen. Doch die Lawine ist schon im Rollen, und es scheint schwer für eine deutsche Risikobehörde, gegen das globale Geschäftsmodell anzukommen.

Schon gibt es eine Fülle von angereicherten Streichfetten, Salatdressings, Milch- und Sojagetränken, Käsen, Saucen, Broten und Joghurts. Bei der europäischen Lebensmittelbehörde Efsa wurden 70 Anträge auf Zulassung gestellt, darunter ein Sterin-Fruchtsaft von Coca-Cola.

Es steht zu befürchten, dass es bald mehr Menschen ergeht wie Klaus Friedrich. Damals, nach der Herz-OP, war ihr Mann ganz schnell wieder zu Hause, sagt seine Witwe. »Keine Kur und nichts. Er hat sich sehr gut gefühlt. Keine Schmerzen hat er mehr gehabt beim Laufen. Die ganzen letzten Jahre.« Doch der Körper war zu schwer geschädigt. Das wusste er auch selbst. Noch wenige Monate vor seinem Tod hatte Klaus Friedrich gesagt: »Ich hab immer noch Angst. Die Gefahr, dass ich wieder verkalke, ist da.«

Am Schluss ging es dann sehr schnell. Es war ein Sonntagabend. Sie haben noch ferngesehen. Doch dann merkte Frau Friedrich, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmt. »Abends, wir gingen zusammen aus dem Bad, da merke ich, dass mein Mann nicht mehr richtig sprechen kann. Nur noch lallt. Hab sofort den Hausarzt angerufen. Zehn Minuten später war der da. Hat gleich erkannt, dass mein Mann einen Schlaganfall hatte. Er kam sofort ins Krankenhaus. Ganz schwerer Schlaganfall. Wenn er überlebt hätte, wäre er pflegebedürftig gewesen. Am Montagabend um 23 Uhr ist mein Mann gestorben.«

Die genaue Todesursache war unklar. »Man weiß nicht, wieso und weshalb, es besteht die Möglichkeit, dass es mit der Herzklappe etwas zu tun hatte, sagte der Hausarzt.« Wenn jemand so eine künstliche Herzklappe erhält, dann steigt in den Folgejahren die Wahrscheinlichkeit für einen Schlaganfall. Die Herzklappe musste ersetzt werden, weil sich Ablagerungen an ihr festgesetzt hatten – und zwar von Zusätzen wie jenen aus »Becel pro.activ«. Es steht also der Verdacht im Raum, dass der Schlaganfall, dass der Tod von Klaus Friedrich eine Spätfolge seines Konsums von »Becel pro.activ« gewesen sind.

Es ist allerdings nur ein Verdacht. »Es gibt dafür keinen Beweis«, sagt Dr. Weingärtner. Logisch, denn der Schlaganfall, Jahre später, kann auch ganz andere Gründe gehabt haben. Und der Zusammenhang mit der Herzklappe und damit den Inhaltsstoffen von »Becel pro.activ« ist nur ein statistischer. »Eine Kausalität ist nicht nachgewiesen«, sagt Dr. Weingärtner.

Es wird sich nie klären lassen, ob Klaus Friedrich ein Opfer des »Becel«-Konsums geworden ist. Es ist aber sicher, dass sich »Becel pro.activ«-Zusätze am Herz ablagern können.

Hersteller Unilever vertritt trotz der zunehmenden Erkenntnisse über Gesundheitsschäden die etwas eigenwillige Auffassung, es gebe »aus wissenschaftlicher Sicht keine Hinweise« auf Nebenwirkungen – obwohl die entsprechenden Folgen der Firma durchaus bekannt sind. Sie werden allerdings nicht als gesundheitsrelevant bewertet, wie ein Firmensprecher sagte.

Der Tod von Klaus Friedrich zeigt, dass sich in jüngster Zeit offenbar ein neues Risiko-Ensemble aufbaut, dem gesunde Menschen zum Opfer fallen können. Es muss dabei nicht in jedem Fall zum Äußersten kommen. Doch viele der neuen, angeblich besonders gesunden Nahrungsmittel, die Pillen, Pulver, Kapseln, können dazu führen, dass völlig gesunde Menschen krank werden. Nur weil sie sich gesund ernähren wollten.

Die Liste der Nebenwirkungen durch »die« angeblich gesunden Produkte ist lang und eindrucksvoll, darunter Herzinfarkte und Schlaganfälle, Übergewicht und die damit einhergehenden Folgeerkrankungen, Knochenbrüche, Einschränkungen der Sexualfunktionen bis hin zu Impotenz und Unfruchtbarkeit, Entwicklungsstörungen bei Kindern, Depressionen, auch Aggressionen gegen sich und andere.

Der Kardiologe Weingärtner kritisiert die unzureichende Gesetzeslage, die die Kunden nicht angemessen schützt. »Die Nebenwirkungen werden nicht dokumentiert. Es gibt kein System, riskante Nahrungsmittel vom Markt zu nehmen. Die Wirkungen werden auch nicht am Menschen überprüft. Ich finde es nicht in Ordnung, dass für die Nahrungsindustrie ein anderes Recht gilt als für die Pharmaindustrie. Klarheit könnten hier nur Wirksamkeitsstudien bringen, Endpunktstudien am Menschen, wie bei Arzneimitteln.«

Problematisch sind dabei nicht nur die neuartigen Zusätze, mit denen die Menschheit kaum Erfahrungen hat, sondern auch die Gefahr, dass bewährte Rezepte, die in der Menschheitsgeschichte lange erprobt sind und den Körper tatsächlich stärken können, in Vergessenheit geraten. Denn der Markt für die neuen Produkte weitet sich aus, die Werbung wird lauter und lauter. So wächst die Gefahr, dass Menschen ihre Gesundheit auch noch dadurch aufs Spiel setzen, indem sie die bewährten Potenziale zur Vorbeugung nicht nutzen.

 

Eines der wenigen weltweit erprobten klassischen Gesundheitsgerichte ist die Hühnersuppe. Die Rezepte sind natürlich in allen Weltgegenden verschieden. Ganz einfach geht es so:

Man nehme ein Suppenhuhn, ganz oder zerteilt, brate es in wenig Öl an, gieße es mit Wasser auf, bis es gut bedeckt ist. Dann aufkochen, den sich bildenden Schmodder mit einem Schaumlöffel entfernen. Eine halbe Handvoll Ingwer und Knoblauch grob zerhackt zufügen und zwei, drei Stunden leicht köcheln. Eine halbe Stunde vor Schluss noch ein paar Frühlingszwiebeln hinzufügen. Durch ein Sieb gießen. Fertig.

So eine Hühnersuppe hat natürlich im globalen Business mit der Gesundheitsnahrung ganz schlechte Karten. Wenn sich Wissenschaftler einmal so eine Suppe vornehmen, dann stellen sie tatsächlich positive Effekte fest. Zum Beispiel, wie schon die Großmutter, bei Erkältungen. Die Wissenschaftler suchen dann nach den Wirkstoffen in der Suppe. Japanische Forscher haben jüngst zwei Peptide (sie heißen, kein Witz, MNVKHWPWMK und VTVNPYKWLP) dingfest gemacht, die für die Gesundheitswirkungen verantwortlich sein sollen. Und chinesische Wissenschaftler haben sogar Nanoteilchen ausgespäht.

Und dann besteht natürlich die Gefahr, dass sie diese isolieren, künstlich herstellen, einem Konzern zur Vermarktung überlassen, und das Huhn wird transformiert.

Diese Verschiebung von den bewährten und an die genetische Ausstattung der Menschen angepassten Gesundheitsrezepten zu neuartigen Konzernprodukten wird zu einer Bedrohung für die Volksgesundheit. Das Ausmaß der Bedrohung steigt auch, weil die ganze Macht der Werbung und der PR den neuen Produkten gilt und Menschen massenhaft den Verheißungen glauben.

Eine ganz besonders verführerische Macht entfalten jene Spezialisten, die ein langes Leben in ewiger Schönheit versprechen.

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2. Auf die Zunge

Die Propheten des schöneren Lebens und ihre teuren Rezepte

Die Schönheitsärzte treffen sich zum Lunch am Pool / Gesundheit ist Kult: Der Mensch will jetzt Schöpfer sein / Der Traum vom Leben in immerwährender Jugend / Elf Freunde: Die besten Gemüse der Welt / Herzschutz in Geschmacksrichtung Mandarine / Schluck und schlank: ein Wohlfühlfaktor aus der Ampulle / Achtung Gesundheits-polizei: Lebst du so, dass du gesund bleibst? / Auch der Anti-Aging-Papst hat seine Sorgen

Es ist ein angenehmer Ort, um sich fortzubilden, ein Luxushotel direkt am Strand: das Hotel Relais Sant’ Emiliano in der 4300-Einwohner-Gemeinde Padenghe am Gardasee, eineinhalb Autostunden östlich von Mailand. Vier Sterne, eine kleine Anlage mit niedrigen Häuschen, ziegelgedeckt, alles sehr geschmackvoll. Das Frühstück gibt es auf der Terrasse, mit Blick auf Pool und See. Jetzt, früh am Morgen, hängen Wolken über dem See, es nieselt.

Sie sind aus allen Teilen Deutschlands angereist. Auf dem Parkplatz vor dem Hotel stehen diverse Porsche, ein Jaguar Cabrio, ein Mercedes SLS Coupé. Die Damen sind schlank, eine vielleicht sogar noch ein bisschen schlanker, eine sieht fast aus wie Victoria Beckham. Alle sind im Freizeitlook da, mit Bermudas, Chinos, Röcken, Polohemden. Einer der jungen Doktoren trägt eine coole Cargohose, ein T-Shirt in Leinenoptik, lässig einen Schal um den Hals gelegt. Die Kollegin in Blau stellt ihr Louis-Vuitton-Täschchen vor sich hin. Erst auf den Frühstückstisch, später auf den Workshoptisch im Untergeschoss.

Sie sind Mediziner, doch ihre Patienten sind gesund. Vielleicht ein bisschen unzufrieden mit sich und ihrem Leben und den weiteren Aussichten. Und da wollen die Doktoren gern behilflich sein.

Sie wollen hier über Schönheit und ein langes Leben reden und was man dafür tun kann. Sie sind alle Spezialisten in diesen Dingen. Es ist ein Workshop der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin (GSAAM), und sie sind gekommen, um das Neueste in Sachen Schönheitsmedizin zu erfahren. Die Schönheitsmediziner sind vielleicht die Pioniere einer neuen Medizin, von der später ER sprechen wird und die in der Zukunft an Bedeutung und Einfluss gewinnen wird. Zunächst spricht der Präsident. Groß, graue Haare, die wohl einmal blond waren. Auch er trägt ein Freizeithemd, eine lässige Hose: Professor Dr. Bernd Kleine-Gunk redet über Falten. Kaum zu glauben, wie viele Sorten es gibt. Die Nasolabialfalten rechts und links zwischen Nase und Mund. Die Glabellafalte, auch Zornesfalte genannt, Wangenfalten, Marionettenfalten und viele andere mehr. Und das Gute ist: Man kann was dagegen tun.

Kleine-Gunk spricht über die Methoden der Faltenbehandlung. Über Botox, das Gift, das die entsprechenden Stellen zuverlässig glättet. Über Filler, das sind Füllungen, die eingespritzt werden. Und über die Antifaltencremes. Er spricht über Hormone, für die nur ein echter Arzt ein Rezept ausstellen kann und nicht jede Kosmetikerin: »Wir dürfen die rezeptieren. Damit ist es was, wo wir einen exklusiven Markt haben.« Und er spricht natürlich über die geschäftlichen Aussichten: »Der Markt ist groß.« Allein bei den Hautcremes liege er bei zwölf Milliarden Euro. Kleine-Gunk spricht über die neuen Möglichkeiten, die riesig seien. Er hat ein gemeinsames Geschäft aufgezogen mit IHM, der später noch kommen wird und der offenbar ein Pionier dieses Geschäftszweiges ist: »Am Anfang dieses Weges steht Professor Huber«, sagt Kleine-Gunk. Und: »Was ich sehr schön finde: Der Professor Huber kommt.«

Sie teilen schon mal Broschüren aus. Kleine-Gunk räumt auch ein, dass es da wohl auch Risiken gibt: »Wir haben auch Anwälte dabei, die sagen: Bloß nicht.« Die Hormone sind ja auch heikel. Östrogene, Testosteron: Da kann ganz schnell mal »die Potenz downreguliert« werden, wie der Präsident sagt. Die Anwälte sind ganz wichtig in diesem Geschäft, in dem die Ärzte sehr wirksame Substanzen einsetzen, bei Menschen, die eigentlich gesund sind.

Die Doktoren im Freizeitdress sind so etwas wie die Schokoladenseite der Medizin. Wenn man aus ihren Praxen tritt, ist man schöner als beim Hineingehen. So jedenfalls klingen die Versprechungen. Sie bilden die Wünsch-dir-was-Ecke, wer zu ihnen kommt, kommt nicht gezwungenermaßen. Sondern, weil das Leben noch schöner sein könnte. Und länger dauern möge. Sie flüstern den Leuten Bedürfnisse ein, die sie sonst nie gehabt hätten. Sie sind die Pioniere der Prävention, der Vorbeugung gegen Krankheiten. Die Anti-Aging-Ärzte liefern auch die Vorlagen für die Versprechungen der neuen Gesundheitsnahrung.

Sie sind sozusagen die Akquisiteure neuer Wirtschaftssektoren. Sie erschließen der Nahrungsindustrie, den Pharmafirmen, der ganze Branche, die sich der Verschönerung und Lebensverlängerung und der Optimierung des Daseins verschrieben hat, neue Ertragsquellen.

Die Anti-Aging-Ärzte bereiten den Boden, sie bahnen den Weg für neue Versprechungen, und sie verbreiten auch ein bisschen die Illusion der Risikolosigkeit, wodurch sich dann Millionen von Menschen sorglos auf die neuen Verheißungen einlassen. Es ist ja auch zu verführerisch: für immer jung, ein Leben in immerwährender Schönheit.

Schönheit, das klingt zwar etwas nach Äußerlichkeit, aber die Schönheitsärzte verweisen gern darauf, dass Schönheit und Gesundheit natürlich eng zusammenhingen und dass die wahre Schönheit bekanntlich von innen komme. Schon der Kirchenvater Augustinus (354–430 n.Chr.) sah das so: Gesundheit sei »die geschickteste Schönheitskünstlerin«. Die Gesundheit verschönere den Körper sozusagen von innen. Und schon Augustinus sah die Bedeutung der Ernährung: »Besonders förderlich für eine natürliche Schönheit ist das richtige Maß von Trank und Speise. Denn dies bewirkt nicht nur Gesundheit des Leibes, sondern lässt auch seine Schönheit hervorleuchten.« Natürlich nur in den Grenzen »der von Gott gegebenen Gestalt«.

Das wollen die Kämpfer von der Anti-Aging-Front freilich nicht akzeptieren. Wer will sich heute schon noch abfinden mit der »von Gott gegebenen Gestalt«? Die Anti-Aging-Kunden hätten, sagt Kleine-Gunk, die Chance, einzugreifen ins Schicksal. Sie könnten sich sagen: »Ich bin nicht nur Geschöpf, ich bin auch Schöpfer.« Mithin Teil einer höheren Ordnung.

Früher war Gesundheit Schicksal, eingebettet in einen Kosmos unbeeinflussbarer Gegebenheiten. Je nach spiritueller Orientierung, Epoche oder Weltgegend regelten übergeordnete Mächte die Dinge auf Erden, schickten Heil oder Unheil über die Menschen. Früher waren es die Götter, die ihr Spiel mit den Menschen trieben, bei den Griechen angeführt von Göttervater Zeus. Auch im alten Ägypten galt Gesundheit als Gottesgeschenk, Krankheiten kamen von außen, als Strafen der Götter, von bösen Geistern, magischen Handlungen oder Würmern. Bei Christen und Juden ist es Gott, bei den Moslems Allah, bei Hindus das Karma. Früher waren die Götter zu schelten, Gott zu klagen, wenn eine Krankheit kam. Schließlich blieben die Gene, die über Gesundheit und Lebensdauer entschieden. Wie das Leben verläuft, ob einer krank wird, Gebrechen kommen, wie lange das Leben währt, das wissen die Götter. Sagte man bisher. Oder: Mein Leben liegt in Gottes Hand. Gott war die Hauptsache, Gesundheit von ihm abhängig.

Heute ist die Gesundheit zur Ersatzreligion geworden. Es ist ein neuer Kult: Schönheit, Wellness, Forever Young. Es klingt ein bisschen nach Weihrauch, Kerzen und Ewigem Leben, zumindest ein bisschen längerem Leben, und schöner, bitte. Die Anti-Aging-Ärzte sind die Hohepriester eines neuen Kultes, bei dem es um den eigenen Körper als höchstes Heiligtum geht. Sie selbst reden, im Untergeschoss des Luxushotels am Gardasee, von Bischöfen und Kardinälen des Anti-Aging, und ER ist, das sagen sie selbst, ihr »Papst«.

Sie selbst wählen das Bild des antiken Tempels, um ihre Disziplin, die Anti-Aging-Medizin, zu beschreiben. Ein Tempel, der auf sieben Säulen ruht. Dazu zählen Lebensstil, ausgewogene Ernährung, Bewegung und »mentale Balance«, wohl so etwas wie Ausgeglichenheit. Und dann natürlich die härteren Waffen: »Supplementierung«, also Vitamine und dergleichen, »Hormonersatztherapie« und schließlich das Messer und die Spritze, als »Ästhetisches Anti-Aging«.

Es gebe so etwas wie das Recht auf Schönheit. Es sei ein »moralisches Gut«, eine »handlungsfähige Person« zu sein, sagt Marcus Düwell, Direktor des Ethik-Instituts der holländischen Universität Utrecht. Wenn also ein Mensch sein Erscheinungsbild als sozial stigmatisierend erlebe, soll sein Begehren auf Veränderung nicht abgewiesen werden.