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Hans-Ulrich Grimm

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Beschreibung

Deutschlands Nahrungsmittelkritiker Nr. 1, Hans-Ulrich Grimm, hat mit »Katzen würden Mäuse kaufen« einen schockierenden Bericht über die Skrupellosikgeit der Tierfutterindustrie verfasst. Denn glaubt man der Werbung, ist das Beste für unser Haustier gerade gut genug. Aber statt ausgewogener Nahrung bekommen unsere vierbeinigen Lieblinge eine ungesunde Mischung aus Schlachtabfällen, Streckmitteln und Stabilisatoren. Darunter auch immer wieder Skandalöses: Klärschlamm etwa. Oder neuartige Ingredienzen aus Erdgas, gewonnen mit Hilfe von Bakterien. Natürlich ganz ohne Kennzeichnung. Damit die Tiere das überhaupt zu sich nehmen, werden Geschmacksstoffe beigemischt. In »Katzen würden Mäuse kaufen« deckt sie Hans-Ulrich Grimm auf, die unappetitliche Wahrheit über kommerzielles Tierfutter.

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Seitenzahl: 368

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Hans-Ulrich Grimm

Katzen würden Mäuse kaufen

Wie die Futterindustrie unsere Tiere krank macht

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

1. Falsche TüteÜber Werbung und Wahrheit bei der Tierfutterproduktion2. Dicker HundIndustrielles Tierfutter als Gefahr für die Gesundheit3. Gefährliche AnnäherungDas Tier im Haus: Chronik einer problematischen Beziehung4. Der Pfui-Teufel-FaktorDie Tierfutterindustrie und ihre anrüchigen Erfolgsrezepte5. Geld stinkt nichtDas weltweite Geschäft mit der Liebe zum Tier6. Eine WildwestbrancheDie Skandale ums Tierfutter und ihre Ursachen7. Zweiseitiges SchwertDie neuen Gefahren durch Hormon-Chemikalien in der Nahrung8. Papageien und KnechteDie Tierernährungs-Experten und ihre Sponsoren9. Blaue LippenChemie im Futter bedroht die Gesundheit unserer Tiere10. Tödliche KeimeWie falsches Tierfutter die Menschen krank machen kann11. Schwere AtmungHightech im Tierfutter. Die neue Dimension der Müllverwertung12. Leuchtende AugenEigentlich ganz einfach: Die Suche nach dem besseren FutterLiteraturQuellenhinweis
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1. Falsche Tüte

Über Werbung und Wahrheit bei der Tierfutterproduktion

Dank Whiskas wahre Wonneproppen / Das Wort »Abfall« hören sie hier gar nicht gern / Ein Shitstorm gegen die Katzenfutterfirma / Völlig legal: Frostschutzmittel im Futter – doch drei Wochen später war der arme Hund tot / Mysteriöse Leckerlis – der Konzern zahlt, völlig freiwillig

Es ist ein schönes Land, das Land, aus dem Whiskas kommt. Es gibt dort Bäche und Wiesen und Bäume und ganz kleine Häuschen. Alles aber wird weit überragt von einem Turm. Es ist kein Kirchturm, sondern eher ein Fabrikturm, auf ihm sind, ganz oben, eine Katze abgebildet und ein Hund, früher stand Whiskas darauf und Pedigree, jetzt steht da: Mars. So heißt die Firma, sie stellt nicht nur Schokoriegel und andere Süßigkeiten her, sondern auch Futter für Hunde und Katzen. Und das produzieren sie hier.

Sie sind sehr tierfreundlich, klar, es gibt sogar eine kleine Pension für Hunde und Katzen, mit strahlend weißen Wänden, einem leuchtend roten Dach und einem Zaun drumherum. Schon von weitem ist zu sehen, wie die Tiere fröhlich herumtollen. Das sind die »Testesser« der Firma. Man ist auch zu Menschen sehr gastfreundlich hier. Seit Jahren schon, manchmal sogar ganz besonders, wenn die Kritik anschwillt, zum Beispiel ein Shitstorm durchs Internet tobt, wegen der Tierversuche der Firma. Besonders freundlich sind sie auch, wenn die Zweifel überhandnehmen, ob das, was sie hier produzieren, wirklich so gesund ist für die Tiere, unsere Lieblinge.

Die Besucher sind willkommen, sie dürfen durch eine gläserne Tür gehen und werden an einer Rezeption begrüßt. Im Empfangsraum prangt auch ein großes Plakat mit Whiskas-Werbung, daneben ein Poster, das stolz darauf hinweist, dass sie die Sendung »Hundkatzemaus« im Fernsehen sponsern.

In einer Vitrine sind all die tollen Produkte der Firma aufgestellt: Whiskas, Kitekat, Trill, Pedigree. Eigentlich alles, was Rang und Namen hat in der Welt von Bello, Mieze und Hansi. Auch das berühmte Chappi kommt von hier, deswegen nennen sie die Firma hier im Ort immer noch die »Chappi-Fabrik«.

Die Firma hat ihren Namen schon ein paarmal gewechselt, sie hieß mal Effem oder Masterfoods und dann schließlich Mars, wie der Schokoriegel, den Firmengründer Forrest Mars senior schon im Jahr 1932 erfunden hat. Schon drei Jahre später stieß die britische Hundefutterfirma Chappi zur Firmenfamilie, die sich damals noch Chappie nannte. Heute ist Mars die größte Tiernahrungsfirma der Welt, noch vor dem Food-Multi Nestlé und seiner Tierfuttertochter Purina.

Die Tierliebe der Leute ist ein gutes Geschäft. Und weil die Menschen kaum etwas so sehr lieben wie ihre Hunde, Katzen und Kanarienvögel, ist ihre Bereitschaft, für ihre Lieblinge Geld auszugeben, auch nahezu unbegrenzt. Das Tierfutter-Business blüht, und der Trend geht zu luxuriöseren Produkten. Mit immer neuen Kreationen sollen Herrchen und Frauchen verführt werden. Besonders erfolgreich ist das »Hochpreissegment«, sagt eine Branchenkennerin. Die Devise laute: »Luxus pur«.

Für die Tiere ist nichts zu teuer. Vom Tier lebt eine ganze Branche, und sie lebt gut. Spezialgeschäfte breiten sich aus, Hundehotels kümmern sich um die vierbeinigen Freunde, Psychologen pflegen ihre zarten Seelen. Das Tier ist für viele Menschen zum Partner geworden, sie behandeln es wie einen Freund – oder wie einen Lebensgefährten. Die Menschen wollen, dass es dem Tier gutgeht. Sie geben für einen Sack Trockenfutter gern mehr aus als für ein Kilo Rinderbraten.

Es ist auch ein Geschäft mit dem Vertrauen. Wer sein Tier liebt und viel Geld ausgibt, will natürlich auch wissen, ob alles wahr ist, was die Werbung verspricht: dass in Dosen und Säcke nur das Allerbeste kommt. Dass es nichts Gesünderes, dass es überhaupt nichts Besseres gibt für Bello und Mieze als Chappi und Whiskas.

Doch mittlerweile wachsen die Zweifel. Ob das wirklich alles so gut ist, was da mit Millionenaufwand beworben wird. Denn viele Haustiere nehmen zu, und etliche werden krank. Schon gibt es Spezialdiäten für dicke Hunde oder für allergische Katzen. Wie Herrchen und Frauchen leiden auch immer mehr Haustiere an Diabetes, haben Probleme mit Herz und Nieren. Oder erkranken sogar an Krebs. Und das Futter aus den Fabriken, das zeigt sich immer deutlicher, spielt dabei eine zentrale Rolle: Krank macht das Futter in Dosen und Säcken, Schälchen und Beuteln. Denn es ist voll mit Inhaltsstoffen und Zusätzen, die mit Natur nicht viel zu tun haben – und den armen Tieren schwer zu schaffen machen.

In der Werbung sieht es natürlich ganz anders aus. Die Reklame spiegelt eine Welt vor, in der die Katze glücklich ist und der Mensch sich freut. In Wahrheit sorgt sich der Mensch, weil die Katze krank ist. Es bekümmert ihn, denn er liebt sie ja sehr, die Katze, den Hund, den Wellensittich, den Hamster und das Meerschweinchen. Die anderen Tiere liebt er nicht so sehr. Schweine, Kühe, Hühner und die anderen – die »nutzt« er bloß.

Der Mensch hat die Tiere in Klassen eingeteilt: Da ist auf der einen Seite das Haustier, ein Freund und Mitbewohner. Und auf der anderen Seite gibt es das sogenannte Nutztier. Hineingequetscht in Massenställe, ist es ein Lieferant für billige Schnitzel, Hamburger, Eier.

Um das Tier geht es nicht, es geht um den Menschen.

Aus Sicht der Industrie ist das Tier nichts weiter als ein Objekt menschlicher Bedürfnisse. Die Wertschätzung dieser Wesen zeigt sich an einem ganz elementaren Punkt: bei der Ernährung. Für die Nutztiere in den Ställen muss es billig sein, sie sollen ja Profit abwerfen. Bei den Haustieren, den Lieblingen, sieht es anders aus: Da ist das Beste gerade gut genug. Da geben die Leute gern Geld aus. Für Gourmet-Menüs, die anmuten wie vom Lieferservice des Sternerestaurants. Mmmh… Da freut sich der Mensch und kauft gern ein.

Aber was würde die Katze kaufen? Und was der Hund? Tiere haben eigene Bedürfnisse. Sie wollen eigentlich ganz andere Sachen fressen. Jeder weiß das: Katzen würden Mäuse kaufen. Und Hunde Knochen. Das macht bloß niemanden reich. Damit kann man auch keine Werbespots im Fernsehen füllen. Und keine Anzeigen in den Magazinen der Tierfreunde. Die Futterindustrie muss ignorieren, was die Tiere eigentlich wollen. Schließlich kaufen nicht die Tiere das Futter, sondern die Menschen. Die Tierfutterindustrie füttert die Haustiere also mit vermenschlichten Menüs. Und sie mästet die Nutztiere mit Rationen, die nur einem einzigen Ziel dienen, größten Profit in kürzester Zeit zu gewinnen.

Artgerecht ist das nicht. Es ist wider die Natur. Aber die Natur lässt sich nicht betrügen. Und jetzt rächt sie sich. Beispielsweise mit Krankheiten, die direkt oder indirekt Folge der Fütterung sind. So weit ist es schon gekommen, dass die Haustiere die Zivilisationskrankheiten ihrer Herrchen und Frauchen übernehmen. In Wahrheit ist natürlich nicht die »Zivilisation« schuld, sondern die Fabriken, aus denen das Futter kommt. Kurzum: Krank werden die Tiere aufgrund der Industrialisierung der Nahrungsproduktion. Sie wird zum Gesundheitsrisiko für die Tiere – und auch für die Menschen.

So stecken Mensch und Tier sozusagen gemeinsam in der Industrialisierungsfalle. Und gerade die Haustiere, die der Mensch so liebt, fallen dem Geschäft mit dem Tierfutter zum Opfer. Obwohl der Mensch sein Tier mit den besten Absichten umsorgt und das teure Futter kauft, als ob Geld keine Rolle spiele.

Dabei hatten die Tierfutter-Hersteller bisher eigentlich einen guten Ruf. Namhafte Verbände sind ihre Partner. Auch die Tierärzte stehen auf ihrer Seite, und zwar so gut wie vollzählig. Die Konzerne haben natürlich viel dafür getan, dass ihnen alle gewogen sind. Sie haben die Tierärzte schon im Studium umgarnt, ihnen sogar die Lehrbücher geschrieben; sie haben die Professoren unterstützt, die Fachpresse großzügig mit Werbung bedacht. Und mit Spenden die Vereine und Fachorganisationen günstig gestimmt.

 

So hatte die Tierfutterindustrie lange die Deutungshoheit. Sie bestimmte in Fachkreisen und unter Tierhaltern, was gut fürs Tier ist. Neben dem industriellen Futter gab es – gar nichts. Allein die Kommerzkost galt als die angemessene Nahrung fürs Haustier, nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammengestellt. Doch mittlerweile lassen sich die Kollateralschäden nicht mehr ignorieren. Die Unterstützung für die Futterkonzerne, bisher von einer breiten Front getragen, wird brüchiger. Und die Kritik am Industriefutter nimmt zu.

Die Menschen haben ein neues Verhältnis zu den Tieren entwickelt, vor allem zu ihren Hausgenossen, aber auch zu den Tieren in den Ställen, zu denen, die der Nahrungsproduktion dienen. Mit wachsendem Ernährungsbewusstein stiegen die Erwartungen, die Anforderungen wurden konkreter, die Standards strenger. Die Kritik nimmt zu, an Fast Food und Fertignahrung generell und schließlich auch an industriell produziertem Futter für die Tiere.

Zahlreiche Skandale haben das Vertrauen der Verbraucher erschüttert. Immer wieder zeigte sich, dass die Rohstoffe fürs Tierfutter in den Schälchen, Säcken und Paketen aus dubiosen Quellen stammen. Zweifelhafte Abfälle und unappetitliche Zutaten finden Verwendung bei der Futterproduktion. Mitunter waren es illegale Machenschaften, doch auch die legalen Praktiken bei der Futterherstellung überschreiten häufig das, was Tierfreunde noch tolerieren.

Schon häufen sich in den USA die Klagen gegen die Tierfutterkonzerne. Grund dafür waren ungesunde Zutaten und sogar Vergiftungsfälle. Durch Futter von renommierten Herstellern seien Tausende von Tieren zu Tode gekommen, so die Vorwürfe. Die Hersteller dementieren natürlich. So finden sich die Konzerne, die sich früher großer Sympathie erfreuten, unversehens im Kreuzfeuer. Sie sehen sich ungewohnter Kritik gegenüber. Dabei sind sie sich keiner Schuld bewusst. Sie haben ja sogar ihre Türen geöffnet für Besuchergruppen, und das nicht nur, wenn ein Shitstorm durchs Internet tobt.

Die deutsche Whiskas-Fabrik zum Beispiel. Sie liegt in Verden an der Aller, einer Kleinstadt mit 27000 Einwohnern, 43 Kilometer südöstlich von Bremen.

Auch Barbara Grewe war mit so einer Besuchergruppe gekommen. Sie wollte mal sehen, wie das Futter für ihre Lieblinge produziert wird. Ihre Katzen Kitty und Felix bekamen Whiskas praktisch von Geburt an, und es ist ihnen gut bekommen. Wahre Wonneproppen seien sie geworden. »Was will man mehr«, sagt Frau Grewe. Sie ist aus Twistringen angereist, einer 13000-Einwohner-Gemeinde 70 Kilometer westlich von Verden.

Für die Besucher ist im Werk Herr Meier zuständig. Friedrich Meier. Er wirkt sehr vertrauenerweckend: weißer Kittel. Weißer Helm. Er ist Sicherheitsingenieur. Auch die Besucher müssen sich weiße Kittel überziehen und einen Helm aufsetzen. Wegen der Hygiene und der Sicherheit. Herr Meier führt durch den Betrieb. Erst durch das Büro, es ist ein Großraumbüro, in dem auch die Chefs sitzen und jederzeit ansprechbar sind. Das ist so ein amerikanisches Prinzip. Die Whiskas-Fabrik gehört ja einem amerikanischen Konzern.

Dann geht es durch eine Tür hinaus aufs eigentliche Werksgelände. Bei einer Anlieferungsrampe hält Herr Meier inne. Hier rollen die Lastwagen mit ihren riesigen Anhängern an. Heute ist offenbar Fleisch angekommen. »Badenhop-Fleisch« steht auf den Trailern. Das sei ein Händler aus der Nähe, sagt Herr Meier. Laut Eigenwerbung ist Badenhop »größter Lieferant der Petfood-Industrie«. »Petfood«, so heißt das Futter für unsere Lieblinge in der internationalen Business-Sprache. »Pet« ist das englische Wort für »Haustier«, bedeutet aber auch streicheln, liebkosen, verhätscheln, also das, was wir mit unseren Lieblingen gern machen.

Davon ist in der »Petfood«-Fabrik mit ihren Fließbändern, Abfüllanlagen und Packstationen nichts zu spüren. Dosen sausen. Dampf zischt. Fließbänder rollen. Fleisch kommt aus Düsen, rötlich, cremig, oder fällt aus durchsichtigen Röhren, wie die Kugeln bei der Ziehung der Lottozahlen, in Dosen und Schalen. Ein Spritzer mit »Sauce« obendrauf. Mal farbig, mal durchsichtig. Es sind die Abfüllanlagen für Whiskas, Cesar und Sheba.

Es herrscht ein ziemlicher Lärm. Die Leute in ihren Overalls müssen Gehörschutz tragen. Es riecht auch nicht sehr angenehm. Überall weisen Schilder auf die Geschäftsziele hin, erinnern an die Hygienebestimmungen und weisen auf Bakterien hin, die jederzeit eindringen können. Ein Poster beispielsweise warnt vor Clostridium botulinum. Das ist eine Horror-Bazille. Sie produziert ein Nervengift, ein sogenanntes Neurotoxin, das schlimmste Bakteriengift, das die Menschheit kennt. Es kommt vor allem in Dosen und Büchsen vor, weil es sich unter Luftabschluss gut vermehrt. Wenn so etwas in einer Fabrik auftaucht, ist das der Super-GAU, das größte anzunehmende Unglück. Für eine Firma kann das ziemlich teuer werden.

Daher gilt: dem Keim keine Chance. Dafür sorgen riesige Tanks, in denen sterilisiert wird. Bei exakt 127,8 Grad Celsius. Die Hundenahrung soll absolut clean sein.

Dabei ist es dem Hund gar nicht so wichtig, dass die Sachen keimfrei und hygienisch sind. Der Hund mag es ganz gern ein bisschen eklig. Der Hund, meint Herr Meier, hätte es am liebsten gar nicht gekocht. Der würde sein Fleisch verbuddeln und nach einem halben Jahr wieder rausholen. So etwas geht natürlich nicht. Klar, dass der Hund mit so etwas keine Chance hat. Der »Aasfresser«, sagt Herr Meier, der sonst sehr freundlich und aufmerksam ist, fast ein bisschen verächtlich.

Auf so einen Hund kann eine Firma natürlich keine Rücksicht nehmen. Schließlich kaufen nicht die Hunde das Futter, sondern die Menschen. Und die wollen für ihren Liebling nun mal lieber Gourmet-Häppchen mit Reis und Garnelen als Gammelfleisch aus dem Garten.

Zwei große Behälter stehen dekorativ herum. Der eine ist gefüllt mit kleinen orangefarbenen Stückchen: Karotten, ein, zwei Zentner. Die sind irgendwo in einer gemüseverarbeitenden Fabrik ausgesondert worden, waren nicht fein genug für die Menschen.

Der andere Container enthält hellrosa glänzende Stückchen. Lunge, erklärt Herr Meier. Am Behälter hängt ein Schild: »Category 3 Animal By-Products. Nicht für den menschlichen Verzehr geeignet«. Abfälle aus der Lebensmittelproduktion, ganz offenkundig.

Halt! Das Wort Abfall, das hören sie hier gar nicht gern.

»Reden Sie nicht über Abfall«, sagt Herr Meier. »Das tut uns weh.«

Schön klingt das auch nicht. Vor allem, wenn man die Werbung im Kopf hat für all die teuren, goldenen Schälchen. Dabei ist der Fall völlig klar: Natürlich kriegen die Haustiere Müll. Oder etwas vornehmer ausgedrückt: Die Tiere erhalten »Schlachtnebenprodukte«. Das sind zum Beispiel die Rohstoffe für den Petfood-Zulieferer Badenhop, dessen Truck in der Whiskas-Fabrik auf dem Hof stand.

Schlachtnebenprodukte? Was ist das denn? »Schlachtnebenprodukte«, das sind alle »nicht zum menschlichen Verzehr geeigneten tierischen Abfälle, welche beim Schlachten anfallen«. Also zum Beispiel »Federn, Borsten, Felle, Häute, Hörner, Klauen« und so weiter.

So erklärt es der Landesverband für Tierkörperbeseitigung und Schlachtnebenproduktverwertung Bayern (LTS). »Abfälle« nennt das der zuständige Fachverband. Auch wenn Herr Meier aus der Whiskas-Fabrik es gar nicht gern hört.

Aber so ist das leider. Der Abfall ist die Basis. Darauf beruht mithin das Geschäftsmodell der Petfood-Industrie. Damit hat sie eine weltweite Erfolgsgeschichte geschrieben. Ein Multimilliarden-Business ist entstanden, das auf einer simplen Idee beruht: aus Müll Geld zu machen.

Es gibt dabei allerdings ein Problem. Für schlichten Müll würden die Tierfreude womöglich kein Geld bezahlen. Er muss daher ein bisschen veredelt werden, durch goldene Schälchen und vor allem durch edle Worte in der Werbung. Das Wort »Müll« ist hier tabu.

Die Tierfutterbranche achtet deshalb sehr sorgsam darauf, dass die Produkte für unsere Haustiere, die im Fernsehen teuer beworben werden, nicht mit Müll in Zusammenhang gebracht werden. Millionen werden für Reklame ausgegeben, damit die Leute bereitwillig in die Tasche greifen fürs wertvolle Tierfutter. Und wenn sie wüssten, dass Müll in der Dose ist, dann würde womöglich die Kaufbereitschaft schwinden.

Dabei ist es eigentlich nicht weiter schlimm, wenn die Tiere das bekommen, was die Menschen nicht mehr wollen. Schon seit je hat der Mensch die Tiere mit dem gefüttert, was übrig geblieben ist. Hund und Katz bekamen die Reste vom Mittagstisch, und auch das Schwein fraß das, was übrig blieb. Aber heute ist es nicht mehr so, dass der Knochen einfach so vom Tisch fällt und der Hund danach schnappt. Heute hat sich ein ganzer industrieller Komplex etabliert, der international vernetzt ist und sich aus undurchsichtigen Geschäftsverbindungen und Akteuren von mitunter zweifelhaftem Ruf zusammensetzt.

 

Das zeigt sich bei den Nahrungsmittelskandalen, die immer wieder die Öffentlichkeit erschüttern. Und bei denen es häufig ums Tierfutter geht. Wie damals beim BSE-Skandal. BSE, das steht für bovine spongiforme Enzephalopathie und bezeichnet »die schwammartige Gehirnkrankheit der Rinder«. Die Medien sagten auch Rinderwahn.

Seither ist das Publikum sensibel für das Thema Tierfutter. Als monatelang wacklige Kühe durch die Hauptnachrichtensendungen stolperten und erstmals Licht ins Dunkel der Ställe fiel, da mischten sich plötzlich Vokabeln wie »Tiermehl« und »Blutmehl« in die Alltagssprache. Es ging auch, alle paar Jahre wieder, um Dioxin, das Supergift, um illegale Hormone, um die »Fleischmafia«.

In solchen Fällen kommt Bewegung auf. Die Medienmaschine rollt, Ställe werden geschlossen, Politiker treten mit markigen Worten vor die Kameras. Gesetze werden verschärft. Agro-Lobbyisten geloben in TV-Talkshows Besserung.

Bei diesen Medienskandalen geht es meist um die Tiere, aus denen die Menschen Schnitzel machen und Roastbeef und Grillhähnchen. Was die Heimtiere bekommen, das blieb dabei weithin im Dunkeln. Die Haustierfutterproduzenten blieben von Skandalen lange verschont.

Das hat sich geändert. Mittlerweile gibt es auch hier Empörung. Die Kritik zielt auf Gifte und Fremdkörper im Futter, aber auch Erkrankungen und Todesfälle, die durch Tierfutter verursacht werden. Empörung gilt auch den Tierversuchen in Firmen, die das Futter für unsere vierbeinigen Freunde produzieren. Besonders aufwühlend ist für viele der Verdacht, dass sogar Kadaver von Hunden und Katzen ins Futter wandern. Kein Wunder, dass vielen die industrielle Tierfutterproduktion selbst wie ein Skandal erscheint. Die Offenheitsoffensive der Konzerne besänftigt die Gemüter nicht. Sie eignet sich kaum dafür, die Stimmung gegen die Tierfutterhersteller wieder zu drehen. Auch die Einladungen zu Betriebsbesuchen, etwa in Verden an der Aller, in der Whiskas-Fabrik, eignen sich dafür nicht.

Zwar zeigen solche Touren gewisse Wirkungen an der Sympathiefront. So gab sich einer, der nach einem Shitstorm die Einladung von Whiskas angenommen hatte, begeistert. Schließlich gebe es ja »sehr, sehr viele Vorurteile in Bezug auf Whiskas« und sogar »sehr viele böse Gerüchte in Bezug auf Tierversuche«. Er habe hingegen »nur tolle Katzen gesehen, aufgeschlossene, verspielte Katzen – Katzen ohne Scheu, Katzen, die wirklich Spaß daran hatten, dort rumzutoben, zu spielen oder einfach nur den Kratzbaum zu malträtieren«.

Ob er auch alles gesehen hat? Schließlich bleibt bei solchen Besichtigungstouren vieles im Dunkeln. So stand das jedenfalls im Lokalblatt Verdener Nachrichten. Das war dabei, als im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Verden aufgeschlossen« immerhin »15 eingeladene Gäste« auf Fabrikbesichtigung gingen. Die Aufgeschlossenheit hatte dabei natürlich ihre Grenzen, stellten die Mars-Firmenvertreter laut Verdener Nachrichten klar: »Auch heute würden nicht alle Geheimnisse der Produktion aufgedeckt« und die Zuschauer »nur an ausgewählte Plätze der Fabrik geführt werden«.

Das ist das Auffallende bei solchen Besichtigungen: Es gibt viel zu sehen, und es wird vieles vorgeführt. Das Wesentliche aber bleibt unerwähnt: die Lieferbeziehungen im Hintergrund. Die Quellen für die Rohstoffe. Folgt man den Beteuerungen der Beschäftigten, dann ist das nur das Allerbeste, was hier verarbeitet wird. Schon im Pförtnerhäuschen der Chappi-Fabrik sitzt ein Mann, der solchen Glauben sehr unterstützt. Auf die Qualität der Rohstoffe lässt er gar nichts kommen: »Das ist besseres Fleisch, als Sie sich jemals gönnen.«

»Wir verwenden Zutaten, die Sie in einem feinen Restaurant finden könnten«, sagt Ken Wilks, stellvertretender Verkaufsdirektor der US-Marke Merrick Pet Care in Amarillo, Texas, gegenüber einem Reporter der Nachrichtenagentur Associated Press.

Eine Broschüre für Tierfreunde verkündet: »Das Fleisch stammt ausschließlich von Tieren, die auch wir Menschen verzehren könnten.« Und empfiehlt daher Fertigfutter sehr (»Deshalb greift, wer seine Katze liebt, zu Fertigfutter«).

Die Wahrheit sieht ein bisschen anders aus.

 

Solche Sprüche sind nichts weiter als Werbegeschrei und Marketing. Das bekennt die Industrie auch ganz offen, jedenfalls branchenintern.

Was die Menschen mögen, das müssen die Tiere nicht unbedingt lieben. Das weiß Herr Meier von Masterfoods, und das wissen auch die anderen Fachleute der Branche. Für Tiere gelten andere Geschmacksgesetze: »Tiere fressen auch Dinge, die für den Menschen unappetitlich sind (zum Beispiel Tierfutter, Gras, Erbrochenes, Abfall und sogar Kot und Kadaver). Die Annahme, dass Nahrungsmittel Tierfuttermitteln überlegen sind, ist relativ.« So steht es in einem dicken, zweibändigen Wälzer, den der Fertigfutterhersteller Hill’s von namhaften Fachleuten schreiben ließ und der als Standardwerk der Tierernährung gilt. Titel: »Klinische Diätetik für Kleintiere«.

Im Kapitel »Kommerzielle Herstellung von Haustierfutter« geht es um die wahre Herkunft der Inhaltsstoffe der Büchsen und Beutel. Und es wird schnell aufgeräumt mit einigen Marketing-Märchen. Zum Beispiel bekennt das Handbuch: »Bei der Vermarktung von Tierfutter werden manchmal auch Geschichten über die Einzelkomponenten aufgebaut, die den Kunden ansprechen. Diese Geschichten sind einfach und glaubwürdig, können den Kunden aber manchmal in die Irre führen.«

Bei der Erfindung solcher Geschichten ist es hilfreich, dass der Gesetzgeber den Dichtern aus der Futterbranche große Freiheit gelassen hat, was zum Beispiel den Umgang mit Wörtern und ihrer Bedeutung angeht.

Zum Beispiel das Wort »natürlich«, das bei den Leuten heute ja sehr beliebt ist. Hier gilt: »Der Begriff ›natürlich‹ ist gesetzlich nicht definiert und kann daher nach Belieben verwendet werden«, so das Standardwerk aus dem Hause Hill’s.

Auch bei den Inhaltsstoffen wird manchmal geflunkert. So zum Beispiel mit der Behauptung, die Futterbrocken könnten die Leute auch selbst essen. Das ist verständlich, meint wiederum das Handbuch aus dem Futterkonzern, denn schließlich sollen ja die Menschen die Sachen kaufen: »Das Konzept, das hinter der Vermarktung eines Futtermittels steht, das auch als Nahrungsmittel für den Menschen geeignet wäre, beruht auf der Annahme vieler Tierhalter, dass Tiere dieselben Nahrungsmittel wie der Mensch bevorzugen und brauchen.«

Das ist natürlich Unsinn. Und so wäre es auch nicht ratsam, die Dosen in der Not sonntags auf den Tisch zu stellen. Denn, so wiederum das Handbuch von Hill’s: »Die Einzelbestandteile, die der Tierfutterindustrie für die Herstellung von Mischfutter für Haustiere zur Verfügung stehen, reichen von für den Menschen ungenießbaren, aber für Tierfutter noch geeigneten Nebenprodukten bis hin zu den für Menschen geeigneten Nahrungsmitteln, wie es sie auch in den Lebensmittelgeschäften zu kaufen gibt.«

Im Klartext: Fürs Futter unserer Haustiere werden, das wissen auch die Experten der Stiftung Warentest, »die normalen Schlachtabfälle verwendet«.

Und das können, so wissen die Warentester, auch »für den Menschen als genussuntauglich eingestufte Teile gesunder Tiere« sein, wie »etwa Horn, Borsten, Haare und Federn«. Aber, und das vielleicht als Trost für sensible Tierhalter: »Magen-Darm-Inhalt jedoch nicht.«

Immerhin.

Natürlich muss man differenzieren. Es gibt große Unterschiede zwischen einzelnen Futterproduzenten und einzelnen Produkten. Leider kann es der Käufer nicht unbedingt erkennen. Schließlich steht auf den Dosen nicht »Mit Müll hergestellt« oder »Ohne Müll hergestellt«. Dabei werden selbst Produkte wie Whiskas, Chappi, Sheba, Cesar und dergleichen aus solchen Schlachtabfällen hergestellt. So teilte die Herstellerfirma auf Anfrage mit, sie verwende auch »Fleischmehle«, Innereien und andere »Nebenerzeugnisse, die bei der Schlachtung anfallen, aber nicht für den menschlichen Verzehr genutzt werden«.

Eigentlich ist es nicht schlimm, wenn die Tiere Abfall fressen. Das war auch schon früher so. Doch früher war es eine Abfallverwertung der kurzen Wege. Es ging um die Küchenabfälle zu Hause oder die Speisereste aus der Gastwirtschaft. Heute ist alles Big Business. Es sind Big Players, die die Nahrung für Mensch und Tier produzieren. Außerdem gibt es völlig neue Abfälle, Produktionsrückstände aus ganz anderen Branchen. Diese Rückstände werden oft illegal verwertet oder zumindest in moralisch äußerst zweifelhafter Manier – und dank unübersichtlicher Lieferketten teilweise unter berühmten Markennamen verkauft. Und dazu neue, mit Hightech-Methoden aufbereitete Reste aus Quellen, von denen der Tierfreund keine Vorstellung hat – und von denen er niemals erfahren soll.

Das könnte ja die Entsorgungsnöte noch vergrößern.

Die großen Tierfutterkonzerne sind Ableger der großen Konzerne wie Nestlé oder Mars, die auch Nahrung für Menschen herstellen. Big Food. Hier wird alles in gigantischen Mengen produziert. Auch Fleisch. Und dabei fällt viel Abfall an: In Deutschland werden jährlich rund 8 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt, 2,6 Millionen Tonnen davon sind Nebenprodukte, die die Menschen nicht essen mögen oder können. In ganz Europa sind es gar 16 Millionen Tonnen solcher Abfälle. Das bedeutet: Es gibt da ein Entsorgungsproblem.

Auf der anderen Seite gibt es ein Nachschubproblem. Allein die deutschen Mars-Fabriken produzieren pro Jahr 300000 Tonnen Heimtiernahrung: Whiskas, Pedigree, Chappi, Frolic und so weiter. Damit ist die Tierfutterherstellung eine elegante und vor allem eine einträgliche Lösung zur Verwertung der Abfälle.

Schon suchen die Beteiligten nach Wegen zur Perfektionierung. In Wien haben sie ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das sich mit der Umwandlung von Abfällen in »gesunde« Inhaltsstoffe fürs Tierfutter beschäftigt. Die Veterinärmedizinische Universität dort ist eine Hochschule, die sehr eng und freundschaftlich mit Tierfutterfabriken und Pharmakonzernen zusammenarbeitet. Natürlich waren auch bei diesem Projekt interessierte Firmen beteiligt, die unter anderem Futterzusätze herstellen. Dazu arbeiteten mehrere andere europäische Universitäten mit, etwa aus Hohenheim, Mailand und dem griechischen Thessaloniki. Ihr internationales Müll-Recycling-Projekt hieß »Safewastes« und wurde von der Europäischen Union gefördert. Der Abfall könnte, verwandelt in Zusätze für Lebensmittel und Tierfutter, »signifikante Gesundheitsvorteile« bieten, nebenbei natürlich auch »Entsorgungs- und Umweltprobleme lösen« und zudem für »ökonomischen Gewinn« bei den beteiligten Unternehmen sorgen.

Das klingt vielversprechend. Und eigentlich auch vernünftig. Müll sparen, die Verschwendung stoppen, Abfälle wiederverwenden, Recycling: alles super Ideen. Deswegen: unbedingt förderungswürdig. Wenn es nur nicht die industrielle Parallelwelt wäre, in der sich die Abfälle in Tierfutter verwandeln.

Denn sobald die Produktion industriell organisiert wird, wird die Versorgungskette unübersichtlich. Da fällt nicht mehr einfach der Knochen vom Tisch. Wo welcher Abfall, verwandelt oder direkt, in welches Produkt gemischt wird, das ist schwer zu erkennen – sogar für die Hersteller. Und schwer zu kontrollieren – zum Beispiel für die Behörden.

Was einer mit eigenen Augen sehen kann, im Werbefernsehen oder bei einer Werksbesichtigung, ist längst nicht das Ganze. Und es sind nicht nur Karottenschnitzchen und Lungenfitzelchen, die im Tierfutter landen. Auf krummen Wegen kommen auch andere Rohstoffe zum Einsatz, die nicht immer appetitlich sind. Für die Tierfutterherstellung gilt, wie bei aller industriellen Nahrungsproduktion, das Gesetz der beschränkten Wahrnehmbarkeit: Was zu sehen ist, ist nicht die ganze Wahrheit.

So gibt es hier in Verden an der Aller, dem Heimtierfutterparadies, keinen Schlachthof. Es gibt hier keine Gemüsebeete. Es gibt kein Sojafeld und keine Zuckerrüben. Alles wird angeliefert. Das Fleisch, die Ingredienzen, sie kommen nicht aus Verden an der Aller und auch zumeist nicht aus dem Land mit den saftigen Wiesen und Bächen und Bäumen und den kleinen Häuschen.

Wie die Warenströme fließen, ist schwer nachzuvollziehen in einer Zeit, in der die Welt zusammengewachsen ist, in der Futter für Hunde und Katzen und Schweine, Hühner, Rinder hunderttausendtonnenfach durch die Lande gekarrt wird. Die andere Seite dieser Lieferkette gleicht der bunten Werbewelt mitnichten.

Dort riecht es unangenehm. Dort sind Leute tätig, die nicht immer den besten Ruf haben. Dort gibt es Lieferbeziehungen, die mitunter etwas unübersichtlich sind. Dort gibt es auch Rohstoffe, die unappetitlich sind, die in der Werbung für Whiskas und Sheba und Pedigree und Nestlé-Purina-Tierfutter nicht vorkommen. In der Dose aber schon.

Fleischpulver, beispielsweise. Oder andere Zutaten fürs Tierfutter. Die werden gerne aus Abfällen gewonnen, zum Beispiel aus den Resten, die die Schlachthöfe übrig lassen. Das kommt dann in die sogenannten Tierkörperbeseitigungsanstalten. Dort werden auch kranke, tote, überfahrene oder auf andere Weise verendete Tiere verarbeitet oder entsorgt. Auch Haustiere, Hunde, Katzen, Kanarienvögel.

Eigentlich müsste dort alles nach Regeln und Vorschriften ablaufen. Schließlich gelten Tierkörperbeseitigungsanlagen als Keimzelle für Seuchen und Krankheiten. Doch mitunter gerät da einiges durcheinander. Es kann hier passieren, dass tote Haustiere wieder zu Tierfutter verarbeitet werden. Oder sogar Klärschlamm.

Das kommt natürlich nur selten vor.

Aber auch in den besten Kreisen.

Jene Firma beispielsweise, die jahrelang Tausende Tonnen Klärschlamm zu Tierfutter verarbeitet hatte, beliefert alle Großen der Branche. Klärschlamm zu Tierfutter: Das war auch keine kleine Klitsche, bei der das passierte. Es ist eine Firma, die sich auf das Einsammeln von Resten aus der Nahrungskette spezialisiert hat. Sie heißt Rendac und gehörte ursprünglich zu einem der größten Fleischkonzerne Europas: Vion. Ein Unternehmen, das deutsche Supermärkte mit Schnitzeln und Burger King mit Fleisch für die Bulettenproduktion versorgte.

Heute gehört Rendac zu einer milliardenschweren Firma mit dem schönen Namen Darling Ingredients. Deren Hauptquartier liegt in einer Stadt namens Irving im US-Bundesstaat Texas. Das Geschäft von Darling Ingredients besteht nach eigenen Angaben in »globaler Tierkörperbeseitigung«. Die Firma ist nach eigenen Angaben »global führend in der Umwandlung genießbarer und nicht genießbarer Bio-Nährstoffe in eine breite Palette von Zutaten und Spezialprodukten für Kunden in den Branchen Pharmazie, Lebensmittel, Tiernahrung, Futter, Technik, Kraftstoffe, Bioenergie und Dünger«. Der Firmenname Darling (»Liebling«) ist gut gewählt für ein Unternehmen, das sich in einem Milieu bewegt, welches nicht den allerbesten Ruf hatte. Tierkörperbeseitigung, dafür waren einst ja die sogenannten Abdeckereien zuständig, die lagen im sozialen Ranking ganz unten.

Früher, im Mittelalter, lagen die Abdeckereien vor den Stadttoren, weil sie eine potenzielle Brutstätte für Krankheitserreger waren. Die Leute, die dieses Geschäft betrieben, galten als unehrbar. Sie rangierten auf der sozialen Skala weit unten, zusammen mit dem Henker, dessen Aufgaben sie oft gleich übernahmen.

Die Separierung der Abdeckereien hatte einen Grund: Gesundheitsvorbeugung. Den mittelalterlichen Menschen war klar, dass die Bereiche getrennt sein müssen, damit sich Krankheitserreger nicht ausbreiten können. Abdeckereien gibt es auch heute noch, überall im Land. Die Produktion dort ist nichts für schwache Nerven. Ein Mann vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat einmal zugesehen und es dann beschrieben: »Es knackt und kracht in der Knochenmühle, wenn ein ausgedienter Zuchtstier durch das Mahlwerk gedreht wird. Mit einem gewaltigen Blubb platzen die gegorenen Gedärme einer Kuh. Die aufgedunsenen Leiber von Ziegen und Schafen werden in einem Riesentrichter zerschreddert.«

Klingt nicht sehr ansprechend. Und dann kommen auch noch die kleinen Hühnchen:

»In die Fleischmühle kommen auch Küken aus dem sogenannten Muser. Die Maschine diente eigentlich der Obstverarbeitung, wird aber auch zum Zerquetschen der frisch geschlüpften männlichen Küken verwendet, die sich naturgemäß nicht zum Eierlegen eignen, mithin keinen Gewinn abwerfen.«

Tierkörperbeseitigungsanlage, so nannte man bisher solche Einrichtungen, in denen Tierkadaver, Schlachtabfälle wie Knochengerippe, aber auch kranke oder giftbelastete Tiere aus dem Verkehr gezogen wurden.

Wobei das eigentlich ein falscher Begriff ist: Es wird keineswegs alles beseitigt. Und es wird auch nicht alles aus dem Verkehr gezogen. Manches wird auch wieder in die Nahrungskette eingespeist. Und zu Tierfutter verarbeitet.

Empfindsamen Tierfreunden sträuben sich die Nackenhaare bei dem Gedanken, dass ihre vierbeinigen Gefährten Nahrung aus solchen Quellen bekommen. Es ist ja auch keine schöne Vorstellung, dass das geliebte Haustier sozusagen zur lebenden Mülldeponie wird. Und gesund ist dieser Zustand erst recht nicht, wie immer mehr Veterinäre erkennen.

Die industrielle Abfallverwertung für Tierfutter schadet dem Tier, meint jedenfalls der Hamburger Tierarzt Dirk Schrader: »Die Müllkippe Hund explodiert«, sagt der Veterinär, der in einer kleinen Villa im Ortsteil Rahlstedt Haustiere behandelt. Es sind nicht mehr die großen Seuchen oder die Infektionskrankheiten, die sich ausbreiten. Es sind die chronischen Krankheiten, die heute zu Epidemien geworden sind. Vierbeiner zum Beispiel wurden in den Vereinigten Staaten so dick, dass die US-Regierung sogar eine Schlankheitspille für Hunde zugelassen hat. Die Tiere werden krank, die Haustiere übernehmen die Zivilisationskrankheiten ihrer Herren. Am Ende werden auch die Menschen krank, lassen sich zum Beispiel von Erregern anstecken, die sie in den Mägen ihrer Nutztiere herangezüchtet haben.

Die moderne Art der Tierfütterung ist ungesund. Sie hat das Fleisch, die Nahrung zwar unglaublich billig gemacht, doch sie hat die traditionellen Bindungen zwischen Mensch und Tier gekappt und an ihre Stelle die Logik der Industrie gesetzt. Heute wird alles in Massen produziert – und dadurch zum Gesundheitsrisiko auch für den Menschen: Fleisch ist nicht mehr »ein Stück Lebenskraft«, wie es früher in der Werbung hieß, sondern in Massen verfügbar. Fleisch ist zum Gefahrgut geworden (siehe Hans-Ulrich Grimm: »Die Fleischlüge«). Das, was übrig bleibt, bekommen die Haustiere. Doch auch hier hat sich die globalisierte Industrie dazwischengeschoben.

Mit undurchsichtigen Lieferketten, mancherlei Fremdstoffen, obskuren Zutaten. Zu diesen gehören sogar völlig neue Hightech-Zutaten, etwa eine Art Erdgas-Gulasch. Dieser innovative Futterstoff ist ein Granulat, das mit Hilfe von Bakterien aus Erdgas hergestellt wird. Das Gas wiederum wurde bisher völlig ungenutzt auf den Ölfeldern abgefackelt. Die Europäische Union hat das, trotz Gesundheitsbedenken der zuständigen Behörden, zugelassen (siehe Kapitel 11).

 

Mit der Globalisierung steigt auch die Gefahr einer klassischen Kontamination des Tierfutters. Schimmelpilze zum Beispiel. Klingt banal. Schimmelpilze können aber dank globalisierter Massenproduktion zum Riesenproblem werden. Zur Gesundheitsgefahr bei Haustieren zum Beispiel. »Im Scheinwerferlicht: Die Lieferkette der Haustiernahrungs-Industrie«, titelte der Branchendienst »Petfood Industry« dazu.

Am 5. Februar 2015 erhob der Amerikaner Frank Lucido aus Discovery Bay in Kalifornien, eineinhalb Autostunden östlich von San Francisco, vor dem zuständigen Bezirksgericht (District Court) von Nordkalifornien Klage gegen Nestlé Purina: Seine Englische Bulldogge namens Dozer (was so viel bedeutet wie: Bulldozer) sei an einer Vergiftung gestorben, hervorgerufen durch Nestlé-Purina-Trockenfutter.

In einer Sammelklage werfen Lucido und 3000 weitere Hundebesitzer der Firma vor, das in »Beneful« gefundene Schimmelpilzgift und das mysteriöserweise ebenfalls eingesetzte Frostschutzmittel Glykol seien für die Krankheitsfälle der Tiere verantwortlich.

Es war um die Weihnachtszeit, als ihn seine Frau anrief: Das Hundefutter sei aus. Frank kaufte einen Sack Purina-Beneful-Trockenfutter.

Drei Wochen später war ihr Hund Dozer tot. Am 23. Januar lag er tot im Garten. Seine anderen Hunde, der elfjährige Labrador Remo und Nella, ein vierjähriger Deutscher Schäferhund, litten unter Nierenversagen und Durchfall.

»Der Arzt hatte gesagt, die Tiere wurden vergiftet«, berichtete Frank: »Ich habe den Eindruck, dass es definitiv mit diesem Hundefutter zu tun hat.«

Die Kläger fordern Schadenersatz in unbestimmter Höhe. Die acht Beneful-Futtersorten sollten unter anderem innere Blutungen hervorrufen, die Leber schädigen, zu Anfällen und Nierenversagen führen. Die Herstellerfirma wies die Vorwürfe als »unbegründet« zurück. »Es gibt kein Qualitätsproblem. Die verwendeten Inhaltsstoffe sind von den Gesundheitsbehörden zugelassen.«

Nestlé-Purina-PR-Chef Bill Salzman verwies auf zwei ähnlich gelagerte Klagen in den Jahren zuvor, die vor Gericht gescheitert waren: »Beneful ist, wie andere Haustiernahrungsmittel, immer wieder Gegenstand von Falschinformationen aus den sozialen Medien. Die Postings enthalten oft falsche, haltlose und irreführende Angriffe, die zu ungerechtfertigten Bedenken und Verwirrung unter unseren Konsumenten führen.«

In einem weiteren Verfahren hatte sich Nestlé Purina im Mai 2014 bereit erklärt, 6,5 Millionen US-Dollar in einen Ausgleichsfonds für Tierbesitzer zu bezahlen, deren Tiere krank wurden durch Leckerlis der Marke »Waggin’ Train«, die in China hergestellt worden waren.

Die US-Lebensmittelbehörde hatte bekanntgegeben, dass in diesem Zusammenhang mehr als 1000 Todesfälle bei Tieren zu beklagen seien und mehr als 4800 Erkrankungen. Sogar drei Menschen waren gestorben, nachdem sie die Leckerlis gegessen hatten.

Nestlé Purina war allerdings trotzdem der Überzeugung, dass die Produkte sicher waren: »Es gibt keine Anzeichen, dass die Leckerlis die Gesundheit von Hunden negativ beeinflusst hatten«, sagte ein Konzernsprecher. Bezahlt habe die Firma nur, »damit wir in dieser Sache vorankommen«.

Solche Beschwerden gibt es immer wieder.

So musste die US-Firma Diamond Pet Foods beispielsweise kurz vor Weihnachten 2005 große Mengen Hundefutter zurückrufen, weil das Futter mit Aflatoxin, einem Gift, das vom Schimmelpilz Aspergillus flavus produziert wird, befallen war. Die Firma war gezwungen, vor ihrem eigenen Futter zu warnen. »Wenn Ihr Haustier Symptome wie Müdigkeit zeigt, Faulheit oder Lethargie, kombiniert mit Fressverweigerung, gelblicher Färbung von Augen und Zahnfleisch, starkem oder blutigem Durchfall, dann suchen Sie bitte unverzüglich Ihren Tierarzt auf«, so die Pressemitteilung, die über die amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde U.S. Food and Drug Administration (FDA) verbreitet wurde.

Da waren in Amerika schon 75 Hunde gestorben. Anfang 2006 starben im gleichen Zusammenhang in Israel weitere 23 Hunde.

Todesursache: Leberversagen, nachdem sie »Nutra Nuggets Performance« von Diamond gegessen hatten. 19 verschiedene Diamond-Artikel aus der Fabrik in Gaston im US-Bundesstaat South Carolina mussten zurückgerufen werden.

Die Europäische Union hat über das Schnellwarnsystem 2006 vor den Schimmelpilzen aus den USA gewarnt. Bei einer Untersuchung der Stiftung Warentest im Frühjahr 2006 enthielt eine Probe »Nestlé Purina Beneful« als einzige von 30 getesteten Produkten erhöhte Werte von Deoxynivalenol (DON) und Zearalenon (ZEA). Nestlés »Beneful« gilt als Premium-Futter, wie auch Diamond.

Doch Schimmelgift unterscheidet nicht zwischen Billigfutter und Edelware. 1999 starben 25 Hunde an so einem Gift, das hauptsächlich in der Wal-Mart-Hausmarke Ol’Roy und 53 anderen Produkten enthalten war. 2004 waren in Asien Whiskas, Pedigree und Kitekat betroffen. Ursache war verpilzter Mais.

1995 hatte die Firma Nature’s Recipe einen Rückruf starten müssen wegen des Schimmelgifts Vomitoxin. Der Rückruf hatte die Firma 20 Millionen Dollar gekostet.

Die Zeitschrift Öko-Test fand 2004 in allen 20 untersuchten Hundetrockenfuttern das Schimmelpilzgift Deoxynivalenol (DON) – bei vier Produkten mehr als 1000 Mikrogramm pro Kilo, ein Wert, der bei Schweinen als Richtwert für die Maximalbelastung gilt. Erhöhte DON-Werte wurden gemessen in »Animonda Fit & Cross Dinner mit Geflügel und Rind«, in Eukanuba »Adult All Breeds Performance High Activity«, in »TIP Knackige Brocken mit Geflügel und Rind« sowie in »Artus Dog Vollnahrung für Hunde – Ringe mit Fleisch«. Ochratoxin A, ebenfalls ein Schimmelpilzgift, war nachweisbar in »Orlando Vollnahrungsmix«, in »Benutra High Premium« von Aldi und wieder in »Animonda Fit & Cross Dinner«.

Die Untersuchung der Stiftung Warentest 2006 fand bei Nestlé Purina neben den Schimmelpilzgiften auch Gen-Soja, das nicht deklariert war.

Vor allem Trockenprodukte sind offenbar anfällig für Schimmel. Denn trocken ist trendig. »Der globale Trend geht zum Trockenfutter«, sagt das Hill’s-Standardwerk »Klinische Diätetik für Kleintiere«.

Doch das Trockenfutter ist bei Experten höchst umstritten. So enthalte es nach Branchenangaben viermal so viele Kalorien wie Nassfutter, erhöht mithin das Risiko für Übergewicht. Die Trockenpellets enthalten auch viele Kohlenhydrate – damit sie nicht zerbröseln. »Aus Verarbeitungsgründen wird Trockenfutter auf Getreidebasis hergestellt«, weiß das Hill’s-Handbuch: »Die Stärke fungiert als eine Art Zement.« 40 Prozent Kohlenhydratanteil seien aus technischen Gründen der Standard – »da dieser Anteil den Minimalanforderungen für das Extrusionsverfahren entspricht«. Der Extruder, das ist die Lieblingsmaschine der Food-Fabriken, kann beinahe beliebige Produkte herauspressen – Chips, Spaghetti, aber auch Katzenflocken und Hundepellets.

Damit es unterwegs nicht verdirbt, kommen Konservierungsstoffe rein. Damit es appetitlich aussieht, kommen Farben zum Einsatz. Vitaminverluste können durch künstliche Nährstoffe ausgeglichen werden – was allerdings offenbar Glückssache ist. Denn es ist schwierig, den Bedarf der Tiere zu treffen. Manchmal ist zu wenig drin, häufig aber zu viel. Das kann sogar auf die Gesundheit gehen: Die Stiftung Warentest machte darauf aufmerksam, dass »der Griff zur falschen Tüte« unter Umständen »fatale Folgen haben« könne.

Und weil es nicht so stinken soll, gibt es Aromastoffe, Zucker und Süßstoffe, damit es besser schmeckt – und das Tier mehr verzehrt. Eine besondere Herausforderung ist es offenbar, das Trockenfutter mit Geschmack zu versehen. Dafür gibt es ein ganzes Arsenal von Möglichkeiten, so das Handbuch von Hill’s: »Die Pellets der meisten Trockenfutter sind mit Geschmacksverstärkern beschichtet, wie beispielsweise mit tierischem Gewebe, das zuvor durch proteolytische Enzyme verdaut worden ist. Auch Salze, auf der Oberfläche oder im Innern der Pellets enthaltene Fette, L-Lysin, L-Cystein, Mononatriumglutamat, Zucker und Sojasoße wirken geschmacksverstärkend.« Außerdem verwenden die Futtermittelhersteller Blut und Mehl aus Vogelfedern, Nukleotide, Hefeextrakt, Käsetrockenpulver, fermentiertes Fleisch und Molke, fleischhaltige Lösungen, die bei der Extrusion injiziert werden, hydrolysiertes pflanzliches Protein, Eier sowie Zwiebel- und Knoblauchpulver. »Immer häufiger«, so das Handbuch, werden auch industrielle »Aromastoffe eingesetzt, erkennbar am Aroma von Speck und Käse und dem Räucheraroma mancher Haustierfuttermittel und Leckerbissen«.

Das alles aber war bei der Führung im Whiskas-Werk in Verden nicht zu sehen. Was zu sehen war, war eigentlich in Ordnung, sehr sogar, fand Katzenfreundin Grewe aus Twistringen. »Toll. Sauber. Sehr gut«, lobte sie nach dem Rundgang. Sauberer sei das als manche kleine Metzgerei. »Toll.«

Die Menschen vergleichen die Nahrung für die Tiere gern mit ihrer eigenen. Sie suchen auch Sachen aus, die Namen tragen wie die eigenen Lieblingsspeisen. »Festtagsmenü mit Gans nach traditioneller Art« von Cesar beispielsweise. Das ist für den Hund.

Die Leute unterscheiden nicht mehr so sehr zwischen dem, was gut für sie ist, und dem, was gut ist fürs Tier. Viele sehen das Tier sogar als Partner. Das ist sehr gut für die Menschen. Für die Tiere nicht in jedem Fall. Die werden jetzt immer häufiger krank, haben sogar ganz ähnliche Leiden wie die Menschen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sie das fressen, was der Mensch ihnen vorsetzt. Das ist zwar gut gemeint, aber nicht unbedingt gut fürs Tier.

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2. Dicker Hund

Industrielles Tierfutter als Gefahr für die Gesundheit

Der Kampfhund wurde schwach und schwächer / Tierärzte warnen: Fertigfutter macht süchtig / Allergien, Bluthochdruck, Krebs: Die Tiere leiden menschlicher / Neuer Trend: Fettabsaugen für Hunde / Wenn der Massenstall auf den Magen schlägt / Krank durch Chemie im Futter?

Einst war er ein Kraftpaket. Jetzt ist Victor ein Pflegefall. Der Hund ist schwächer und schwächer geworden, magerte immer mehr ab. Einst wog er 68 Kilo, jetzt sind es gerade noch dreißig. Der Besitzer war ziemlich verzweifelt, als er in die Praxis von Tierarzt Dirk Schrader in Hamburg-Rahlstedt kam: »Mein Hund wird immer dünner, er erbricht sich, frisst nicht mehr richtig.«

Tierarzt Schrader sah ein Tier in einem erbarmungswürdigen Zustand, dünn, abgemagert, die Rückenwirbel traten schon hervor. »Das ist ein alarmierendes Zeichen«, sagt Doktor Schrader, »das deutet auf zehrende Zustände hin.« Zehrende Zustände. Anders ausgedrückt: Irgendwo im Körper gibt es sozusagen ein Entkräftungszentrum, das dem Hund alle Energie raubt.

Dabei ist Victor eigentlich ein Kraftpaket. Er gehört zur Gattung der Molosser. Das sind große, schwere Hunde. Sie gelten als ruhig, aber unerschrocken. Schon im alten Rom wurden sie als Kampfhunde eingesetzt.

Jetzt ist der Hund ein Schatten seiner selbst. Ein elender Vertreter seiner Gattung. Eine erste Untersuchung mit dem Röntgengerät konnte den Fall nur bedingt klären: Schrader gab dem Hund ein Kontrastmittel und wunderte sich, dass dieses im Magen verharrte. Irgendetwas versperrte den Durchgang zum Darm. Der Doktor schlug eine Operation vor, um den Fall zu klären. Der Besitzer aus der nahen Köpenicker Straße erbat Bedenkzeit – und kam noch am selben Tage wieder.

Schrader schritt gleich zur Operation. Er ist darauf eingerichtet, und er hat Erfahrung. Er hat, wie auch seine Kollegen, immer häufiger mit solchen kranken Tieren zu tun. Manche sind, wie das einstige Kraftpaket Victor, ausgezehrt und geschwächt. Oft macht das Immunsystem schlapp. Manche Tiere haben auch Probleme mit den Knochen oder den Gelenken.

Viele Krankheiten breiten sich aus, weil etwas mit der Nahrung nicht stimmt, die die Tiere heute bekommen. Mittlerweile sind die Folgen nicht mehr zu übersehen. Zu den Krankheitsbildern der Tiere gehören inzwischen schon Verhaltensauffälligkeiten und Wesensveränderungen. Viele sind, auch wenn man es bei Tieren nicht so nennt, psychisch krank. Manche Katzen zum Beispiel werden lethargisch, antriebsschwach oder sind irgendwie unausgeglichen. Manche Hunde werden immer aggressiver, angriffslustig, weit mehr, als es ihrem Naturell entspricht.

Blasenkrankheiten, Probleme mit der Bauchspeicheldrüse, sogar Fettlebern und Nierenleiden – die Liste der Diagnosen wird immer länger. Die Tiere werden immer dicker, ein Problem, das auch Herrchen und Frauchen ja oft kennen. Auch hier spielt die Nahrung die zentrale Rolle. Mithin folgen die Tiere den Menschen auch bei den einschlägigen Gebrechen: Herzleiden, Diabetes. Oder sogar Krebs. Tierarzt Schrader hatte auch bei Victor einen Verdacht, der in diese Richtung ging. Seine Tierklinik betreibt er, zusammen mit seinen Söhnen, in einer hübschen kleinen Villa direkt an der Rahlstedter Straße.

Im Erdgeschoss gibt es zwei Behandlungsräume, gekachelt, mit den tierärztlichen Utensilien: Tupfer, Desinfektionsmittel, Pflaster, Edelstahltische, die höhenverstellbar sind. Es geht drei Treppenstufen hinunter, dann sind Schilder zu sehen:

»OP-Bereich« steht da. »Ruhe bitte«. Und »Achtung, Laser«.

Der kleine Operationsraum ist vielleicht zehn Quadratmeter groß, aber mit modernstem Gerät ausgestattet. Das Lasergerät (»MLT classic«) ist ein matt-silberner Hightech-Apparat mit einem dünnen, geschwungenen, meterlangen Kabel, an dessen Ende ein blaues, kugelschreiberartiges Gerät sitzt. Damit brennt Schrader kleine Tumoren weg. Ein »SurgiVet«-Kontrollgerät überwacht den Puls und die Vitalfunktionen. Dazu kommen drei Sterilisatoren, um die Instrumente keimfrei zu machen.

Sogar einen Narkoseraum gibt es, mit einer Sauerstoffflasche. Für Notfälle. Im großen OP-Saal steht ein imposantes Röntgengerät, eigentlich viel zu groß für kleine Tiere, mit einem halbkreisförmigen Ausleger, damit die animalischen Patienten rundum durchleuchtet und zielgenau behandelt werden können. Schraders Praxis ist technisch auf dem neuesten Stand, viele Apparate und auch manche seiner Methoden stammen aus der Humanmedizin.

Der Arzt ging mit dem schwächelnden Molosser Victor samt Herrchen nach unten in einen Nebenraum des kleinen Operationssaals, bat den Besitzer, mit anzupacken, und legte den Hund auf einen Behandlungswagen. Dann schickte er den Mann weg. Gab dem Hund ein Schlafmittel. Schob den Wagen in den kleinen Operationsraum. Zog den Hund hinüber auf den OP-Tisch.