Francis Bacon - Mechanismen des Erfolges und der Legendenbildung zu Lebzeiten und posthum - Katrin Hippel - E-Book

Francis Bacon - Mechanismen des Erfolges und der Legendenbildung zu Lebzeiten und posthum E-Book

Katrin Hippel

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Beschreibung

Francis Bacon gehört zu den prominentesten Malern des 20. Jahrhunderts. Sein Erfolg wuchs seit seiner ersten Retrospektive in der Londoner Tate Gallery im Jahr 1962 stetig an. Die Anerkennung der Malerei Bacons ist seither stets auch eine finanzielle gewesen. Im Mai 2008 ging etwa das Gemälde „Triptych, 1976“ für 86,3 Mio. US-Dollar bei einer New Yorker Auktion in den Besitz eines russischen Oligarchen über. Bei der Ausprägung eines Starkults spielen auch außerkünstlerische Faktoren eine Rolle und gewinnen an Eigendynamik. Medien, Fürsprache und Vernetzung entscheiden vorerst über Ruhm und Ablehnung, bis der zunehmende zeitliche Abstand ein Urteil über die künstlerische Bedeutung fällt. Genau hier setzen die Untersuchungen der Autorin an. In das Blickfeld rücken Bacons Erfolgsgrundlagen, seine Interviews, weitere Beeinflussungen der öffentlichen Wahrnehmung und posthume Entwicklungen.

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Katrin Hippel

Francis Bacon.

Mechanismen des Erfolges und der Legendenbildung zu Lebzeiten und posthum. Ein Exempel der modernen Kunst

D6 (Dissertation der Universität Münster)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2016 by Verlag Ludwig

Holtenauer Straße 141

24118 Kiel

Tel.: 0431–85464

Fax: 0431–8058305

[email protected]

www.verlag-ludwig.de

ISBN: 978-3-86935-314-2

ISBN der Printausgabe: 978-3-86935-268-8

Vorbemerkungen zu Thema und Zielsetzung

Der Künstler-Hype ist ein Phänomen, das auf Grundlage einer im 20. Jahrhundert erstarkten Medienlandschaft gedieh. Insbesondere seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahm die Anpreisung, demnach die Absatzförderung eines Künstlers, einen gewichtigen Einfluss auf die Kunstgeschichte, indem sie regelrechte Künstlerstars hervorbrachte. Die Absatzmärkte für Kunst hatten sich durch die Verbreitung von Reproduktionen, durch die Entwicklung des Transportwesens und durch Wanderausstellungen über einen regionalen Rahmen hinaus erweitert.1 Um als Künstler auf dem Kunstmarkt zu bestehen, also kommerziellen Erfolg zu haben, führte und führt der Weg nicht mehr an den Medien vorbei, die zumindest kurzfristig über Ruhm und Ablehnung entscheiden, bis ein zunehmender zeitlicher Abstand ein Urteil über die künstlerische Bedeutung fällt.

Wenigen, besonders prominenten Künstlern haftet ein zeitgenössischer Mythos im medialen Sprachgebrauch an und treibt die Vermarktung ihrer Kunstwerke voran. Es bildet sich ein Starkult, der zumeist in der öffentlichen Ausstrahlungskraft des Künstlers Begründung und Unterstützung findet, sodass nunmehr auch Alltägliches auratisch aufgeladen und geheimnisvoll verklärt wird. Der steigende Bekanntheitsgrad eines Künstlers schürt die Legenden, also die Geflechte von Sagen, die sich um diesen ranken. Legenden müssen ihrer Definition nach nicht den Tatsachen entsprechen, können jedoch einen wahren Kern enthalten, der allerdings nicht durch Quellen zu belegen ist. Die Umgangssprache weitet den Legenden-Begriff, sodass die Künstlerperson selbst zur Legende im Sinne einer Berühmtheit erklärt wird. Dieser Prozess der Bildung einer Künstlerlegende nach umgangssprachlichem Gebrauch bedarf eines Anstoßes. Er wurzelt in der jeweiligen Präsentationsart des Künstlers und seiner Kunst, also in einem Spiel mit der Öffentlichkeit. Das Schaffen und die Wahrung einer Markenidentität obliegt zu entscheidenden Teilen dem Kunstschaffenden selbst, muss jedoch extern Unterstützung und weitere Verbreitung finden. Ebenso müsste selbst ein von außen auferlegtes Persönlichkeitsbild für seine Medienwirksamkeit notwendigerweise vom Künstlerstar selbst getragen und übermittelt werden. Der Künstler und seine Vermittler fundieren den Aufbau eines Ansehens gleichermaßen. Das Image eines Künstlers ist eng mit dem Erfolg seiner Kunst verbunden. Piroschka Dossi schrieb 2007 generell über die Beteiligung des Künstler-Ansehens am Preisfindungsprozess in Bezug auf seine Werke:

»Die Regel ist: Der Künstlername ist Preistreiber Nummer eins. Ob als Mythos oder als Marke, ob im sakralen Heiligenschein des begnadeten Genies oder der profanen Inszenierung als erfolgreicher Star – die Figur des Künstlers steht im Zentrum der Preisspiralen des Kunstmarkts.«2

Dossis Aussage bezieht sich in erster Linie auf neuere Vorgänge auf dem Kunstmarkt, greift jedoch in ihrer Gültigkeit weiter zurück und schließt auch das in dieser Untersuchung gewählte Beispiel des Malers Francis Bacon (1909–1992) ein. Trotz divergierender Kritiken ist eine bis heute anhaltende öffentliche Wertschätzung Bacons unbestritten. Insbesondere seit seiner ersten Retrospektive in der Londoner Tate Gallery 1962 ist sein steigender Erfolg auf dem Kunstmarkt zu verzeichnen. Und nicht nur rezent ist die Anerkennung der Malerei Francis Bacons auch eine finanzielle. Im Mai 2008 ging etwa Bacons Gemälde »Triptych, 1976« (Triptychon, 1976) für 86,3 Millionen US-Dollar im Rahmen einer New Yorker Auktion des Kunsthauses Sotheby‘s in den Besitz des russischen Oligarchen Roman Arkadjewitsch Abramowitsch über.3 Der Londoner Kunsthändler Gérard Faggionato, der den Bacon-Nachlass in Europa vertritt, verzeichnete kurz darauf, Anfang des Jahres 2009, generell ein in den vier vorherigen Jahren deutlich gestiegenes Kaufinteresse an Werken Bacons auf Auktionen. Diese Tatsache erschien ihm angesichts der zu Lebzeiten recht isolierten künstlerischen Position des Malers bemerkenswert, wie ihn das Hamburger Nachrichten-Magazin »Der Spiegel« zitierte.4 Und es scheint sich bislang kein Ende der erzielten Rekordpreise abzuzeichnen. Matthias Thibaut schrieb im Februar 2013 für die deutsche Tageszeitung »Handelsblatt«, bei den wenigen Lieblingen des Kunstmarktes sei kein Rückgang des Interesses der Käuferschaft zu erwarten.5 »Die Begierde gilt vor allem einer Handvoll teuer bezahlter Künstler. Francis Bacon, Jean-Michel Basquiat und Gerhard Richter sind die Säulen des Marktes.« Nach einer »Konsolidierungspause« zögen die Preise für Kunstwerke Bacons seit zwei Jahren wieder an, so beobachtete Thibaut.6 Im November 2013 wechselte dieser Prognose des Autors entsprechend Bacons Triptychon »Three Studies of Lucian Freud« (Drei Studien von Lucian Freud) für 142,4 Millionen Dollar im Auktionshaus Christie‘s in New York den Besitzer.7 Es handelte sich zu diesem Zeitpunkt um das teuerste Gemälde, das jemals auf Auktionen verkauft wurde.

Der Erfolg Bacons manifestiert sich nicht nur in den Rekordsummen, die seine Werke bis heute auf dem Kunstmarkt erzielen. Er äußert sich ebenso in einer medialen Anerkennung, die immer wieder in eine Verklärung der Künstlerpersönlichkeit mündet. Ein zeitgenössischer Mythos nach medialem Sprachgebrauch, eine Legendenbildung, umgab und umgibt mit zunehmender Bekanntheit auch Francis Bacon. So geht sein Name noch immer einher mit des Künstlers Homosexualität, seinem Alkoholkonsum, seiner Leidenschaft für das Glücksspiel und seinem Hang zur Darstellung von Gewalt und Grausamkeit. Auch wenn in der Bacon-Forschung derlei Verkrustungen tendenziell zugunsten einer sachlicheren Herangehensweise aufgebrochen werden, erschweren diese noch immer wie bei so vielen Künstlern mit Starruhm die unvoreingenommene Beschäftigung mit der Kunst. Bacons Zeitgenosse Daniel Farson, der 1993 eine der posthum erschienenen Biografien über den Maler veröffentlichte, schrieb im Vorjahr einen Nachruf auf Bacon für die Zeitung »The Sunday Times«, in dem die Überhöhung der Künstlerpersönlichkeit in offensichtlicher, jedoch keineswegs unüblicher Weise zum Ausdruck kommt. Farson formulierte, Bacon sei im Leben wie in seiner Kunst mit niemandem zu vergleichen. Der Maler sei ein Original gewesen, das einer fremden Ära entsprungen zu sein schien. Alles, was Bacon getan habe, sei anders gewesen. Dies habe seinen Gang, seinen Redegestus und seine sprachliche Betonung betroffen. Dies wiederum habe Gespräche mit ihm unwiderstehlich gemacht. Wenn Bacon den Raum betreten habe, sei dies ein Ereignis gewesen. Farson selbst werde, so schloss der Autor, seinen Humor und sein entwaffnendes Lachen vermissen.8 Der Künstler Bacon erschien im Nachruf Daniel Farsons als Mensch abseits jeglicher Normalität, als seiner Zeit enthoben und über seine Mitmenschen erhaben. Derartige Romantisierungen drohen nahezu unbemerkt in die Betrachtung des Künstlers und seiner Kunst einzufließen. Michael Peppiatt, ebenfalls Zeitgenosse und Biograf Bacons, äußerte sich 2006 zur posthumen Mythosbildung am Beispiel Francis Bacons, indem er konstatierte, seit dessen Tod im April 1992 sei der Künstler kaum aus der Berichterstattung verschwunden. Im Gegenteil scheine er häufig lebendiger denn je, mit einer ihn umgebenden Mythologie, die im Laufe der Jahre immer extravaganter geworden sei. Es scheine, so schrieb Peppiatt ferner, als habe Bacons Existenz sich wie bei einem Pharao in eine gewaltige archäologische Ausgrabung verwandelt, im Zuge derer regelmäßig Funde getätigt würden, die sodann einer begierigen Öffentlichkeit berichtet würden.9

Doch auf welche Weise kamen Bacons außerordentlicher Erfolg auf dem Kunstmarkt sowie seine mediale Wertschätzung und Verklärung zustande? Die westlich geprägte Kunst nach 1945 baut einerseits auf den Prinzipien der gegenstandslosen Kunst aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts auf und andererseits auf Überwindungen und Übernahmen von den großen -Ismen der Klassischen Moderne. Auf diesem Fundament stand die gestärkte Ab­strakte Kunst der Fünfziger- und Sechzigerjahre. In den Sechzigerjahren hatte sich die gegenstandslose Kunst nicht nur eta­bliert, sondern hatte spätestens mit dem Aufkommen des Ab­strakten Expressionismus in den USA den Geschmack der Kunstkritiker sowie -laien weltweit stark geprägt. Dass Bacon sich zeitlebens abseits der Abstraktion und somit abseits einer bis in die Sechzigerjahre an Popularität gewinnenden Tendenz bewegte, trug dazu bei, dass seine Kunst nicht im Fahrwasser dieser derzeit modernen Strömung schwimmen konnte. Nicht nur Bacons Hinwendung zur figürlichen Malerei, sondern auch seine generelle Positionierung abseits populärer Künstlergruppen und -Ismen begünstigte insbesondere zu Beginn der Karriere Bacons den durch ihn selbst mündlich forcierten Status als Außenseiterkünstler. Der Maler manövrierte sich durch seine singuläre Positionierung nicht etwa ins künstlerische Abseits. Das Fehlen einer Zugehörigkeit zu einer Künstlergruppe schmälerte den späteren Erfolg auf dem Kunstmarkt ebenso keineswegs. Vielmehr schien vom propagierten Einzelgängertum Bacons eine gewisse Anziehungskraft auszugehen, die sich rezent in einer generellen Neubewertung der künstlerischen Außenseiterposition fortsetzt.

Das Anliegen dieses Dissertationsprojektes ist es, in Bezug auf Bacon beispielhaft für die Kunst der Moderne eine Untersuchung der Mechanismen des Erfolges und der Legendenbildung anzustellen. In dieser Arbeit wurden die hierfür meines Erachtens nutzbringendsten Fragestellungen zusammengetragen und bearbeitet. Im Umgang mit einem derart prominenten Künstler des 20. Jahrhunderts ist eine Auswahl ebenso unumgänglich wie mühsam, und es mag sicherlich weitere, zielführende Ansatzpunkte geben. Zunächst sollen Grundlagen des Bekanntwerdens Bacons aufgezeigt werden, wobei seine öffentliche Aufnahme bis 1962, eine Vernetzung in der Londoner Kunstszene durch arrivierte Künstlerkollegen und eine Vertretung durch Galerien Erwähnung finden sollen. Diese drei Gesichtspunkte sollen die hier nachfolgenden Untersuchungen unterfüttern. Auf Bacons Wechsel von der Hanover Gallery zur renommierten Galerie Marlborough Fine Art Ltd. im Jahre 1958 wird besonderes Augenmerk gelegt werden, erwies sich der Vertragsschluss mit der Marlborough Gallery doch als außerordentlich folgenreicher Wendepunkt für eine professionelle Vermarktung der Kunst Bacons.

In seinen zahlreichen Interviews lieferte Bacon selektive und mitunter verklärende Informationen. Insbesondere die kon­struierten und intensiv überarbeiteten Interviews zwischen dem britischen Kunstkritiker David Sylvester (1924–2001) und Francis Bacon aus den Jahren 1962 bis 1986 haben bis heute nicht an Geltung eingebüßt und werden als verbindliche Grundlage in nahezu jedweder Veröffentlichung über den Künstler rezitiert. Dabei werden sie noch immer allzu oft als unverfälschte Primärquelle behandelt. Rahmenbedingungen, Intentionen und Schwerpunkte der mit Sylvester geführten Interviews werden in dieser Arbeit abgesteckt, bevor Nachweise für eine Kon­struiertheit des natürlich anmutenden Gesprächsverlaufs erbracht werden. Die herausgestellten Absichten bei der Vermittlung des Künstler- und Persönlichkeitsbildes sollen den nachfolgenden Ausführungen als Bezugspunkt dienen.

Die Untersuchung weiterer Beeinflussungen der öffentlichen Wahrnehmung im Hinblick auf das vermittelte Künstler- und Persönlichkeitsbild schließt sich an. Im Zusammenhang mit Redigierungen und Verhinderungen von Publikationen über Bacon soll thematisiert werden, inwiefern insbesondere Veröffentlichungen über noch lebende Künstler der starken Formung durch diesen und seine Fürsprecher unterliegen. Eine Einflussnahme des Künstlers auf vermittelte Inhalte ist selbstverständlich auch für den Fall der Kooperation mit Museen und ausstellenden Galerien zu erwarten, sodass dieser Aspekt im Anschluss Beleuchtung finden wird. Ausstellungen in anerkannten Museen bedeuten stets eine kunsthistorische Legitimation, und durch Restriktionen bei der Werkauswahl und -präsentation bestimmte Bacon massiv die öffentliche Wahrnehmung seiner Arbeit. Es ist anzunehmen, dass des Malers deutlichste Sprache im Hinblick auf sein vermitteltes Persönlichkeits- und Künstlerbild seine Selbstporträts sind, sodass es angezeigt schien, auch diese im Lichte der übergeordneten Fragestellung zu untersuchen.

Mancherlei Debatten und Vermarktungsstrategien sorgten letztlich dafür, dass der Name Bacons auch posthum nicht aus der Berichterstattung verschwand. Man denke in diesem Zusammenhang etwa an den Streit um die Authentizität der Werke und Arbeitsmaterialien aus dem Besitz von Bacons Freund Barry Joule, in dem sich der britische Kunstkritiker David Sylvester federführend gegen die Echtheit der zutage getretenen Stücke aussprach. Der britische Spielfilm John Mayburys »Love is the Devil. Study for a Portrait of Francis Bacon« des Jahres 1998 lenkte den Restriktionen der Nachlassverwalter geschuldet die Aufmerksamkeit weg von den geschaffenen Gemälden und zeichnete posthum ein Künstlerbild abseits der Normen eines bürgerlichen Wertehorizonts. Im Zusammenhang mit posthumen Debatten und Vermarktungsstrategien sei zuletzt die minutiöse und im Mai 2001 öffentlich zugänglich gemachte Rekon­struktion der chaotischen Ateliersituation in der Dubliner City Gallery The Hugh Lane thematisiert. Der wie eine Reliquie verehrte Raum entzieht sich hinter Glas präsentiert dem haptischen Zugriff der Betrachter und Forscher und lenkt auratisch aufgeladen das Augenmerk auf die außergewöhnlichen Arbeitsumstände Bacons. Erkenntnisträchtig erscheint ein Aufzeigen der Mechanismen kommerziellen und medialen Erfolges nicht nur in Bezug auf Francis Bacon, sondern ebenso für das Verständnis der Kunst ab 1945, die in enger Umklammerung mit (Massenverbreitungs-) Medien und in Abstimmung mit dem Kunstmarkt funktioniert. Der im Titel dieser Arbeit gewählte Zusatz »Ein Exempel der modernen Kunst« soll nicht vorgeben, dass die gewonnenen Einsichten einer Verallgemeinerung standhalten sollen. Doch kann eine Geläufigkeit der aufgezeigten Mechanismen wohl immerhin angenommen werden, so dass ein Seitenblick auf andere moderne Künstler in der Schlussbetrachtung erfolgt.

Es soll nicht der Eindruck entstehen, Bacon habe seine Inszenierung und die Vermarktung seiner Gemälde in intensiverem Maße betrieben als der Durchschnitt seiner Künstler-Zeitgenossen. Strategien des Erfolges, die durch Bacon und sein Umfeld verfolgt wurden, stehen in Kombination mit unbewusst oder zufällig verlaufenden Prozessen des Legendenbildung und sind im Vergleich mit der Kunstszene der Zeit nicht übersteigert. Gerade die Alltäglichkeit, womöglich auch die Subtilität der Unternehmungen Bacons und seiner Vermittler und nicht ein extremes Verhalten ist hier Gegenstand des Interesses. Wollte man hingegen die Höchstmaße der Selbstvermarktung eines Künstler veranschaulichen, hätten sich sicher andere Namen, etwa der eines Andy Warhols, angeboten. Warhol suchte und propagierte schließlich Berührpunkte mit dem Kommerz, nicht nur als er 1981 für das Textilunternehmen von Laack auf Werbeplakaten posierte.10 Man hätte auch an Joseph Beuys denken können, der beispielshalber durch seine gleichbleibende Kleidung den Wiedererkennungswert der Marke »Beuys« sicherte.11 Diese Untersuchung der Mechanismen der Legendenbildung am Beispiel Bacons dient hingegen als charakteristisches Fallbeispiel, das keineswegs Einheitlichkeit vortäuschen soll und bewusst nicht Höchstmaße der Vermarktung abgreift. Eine Dekonstruktion des Künstlermythos wird auf ein nicht extremes Fallbeispiel übertragen, und dies kann nicht nur der Bacon-Forschung dienlich sein, sondern soll auch dazu anregen, derlei Überlegungen im Umgang mit modernen Künstlern selbstverständlicher zugrunde zu legen. Piroschka Dossi formulierte im Jahre 2007 wie folgt:

»Die Vorstellung, dass in der Kunst allein Kreativität und Luft zum Atmen zählt und nichts als Freiheit herrscht, ist eine Fiktion, die allen Angriffen der Wirklichkeit standgehalten hat. Zu diesem weich gezeichneten Bild hat die Kunstgeschichte durch die Ausblendung der harten Bedingungen, unter denen Kunst zu allen Zeiten entstanden ist, maßgeblich beigetragen. Inzwischen hat die Kunstsoziologie durch die Erforschung der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen von Kunst ein realistischeres Bild entworfen. Doch die Mythen der Kunst locken immer noch viele junge Menschen an, die an die Kunst als Paradies glauben, in dem es um Selbstverwirklichung, Authentizität und Wahrhaftigkeit geht.«12

Anliegen darf nicht ein allgemeines Dämonisieren der Vermarktung von Kunst sein, die immerhin im Vergleich zum jüngeren Autonomiegedanken weit in die Kunstgeschichte zurückreicht. Es soll also keineswegs eine kulturpessimistische Bestandsaufnahme vorgenommen werden. Selbst ein Alter Meister wie Rembrandt van Rijn (1606–1669) erscheint heute ungeachtet seiner Verarmung weniger als weltabgeschiedenes und nur zum Zwecke der Kunst arbeitendes Künstlergenie denn als überlegter Urheber eines Malstiles, dessen profitable Verbreitung vom Maler angestrebt wurde.13 Forderungen nach künstlerischer Unabhängigkeit, demnach einer Losgelöstheit vom Kunstmarkt oder von einer diktierten Zweckmäßigkeit, sind weitaus jünger als Auftragskunst, Zweckerfüllung oder das Streben nach Ertrag. Mechanismen des Erfolges und der Legendenbildung sollen am Beispiel Bacons nachgezeichnet werden, und dies soll geschehen, ohne dass derartige Analysen eine nachteilige Charakterzeichnung des Künstlers begründen oder unterfüttern sollen.

Eine umfassende Untersuchung der Legendenbildung und des Erfolges am Beispiel Francis Bacons existiert bislang nicht. Wohl aber wies Martin Harrison im Jahre 2005 in seiner Publikation »In Camera. Francis Bacon« eindrücklich auf die Tragweite des Eingreifens Bacons in seine öffentliche Wahrnehmung hin. Der Autor ging auf die Problematik legendenbildender Mechanismen im Fall Francis Bacons ein, indem er eine Beeinflussung des Künstler-Images durch Fotografie und Film zur Überlegung stellte. Harrison nannte in diesem Zusammenhang en passant eine Veränderung von Interview-Mitschriften, das Verhindern der Veröffentlichung von Katalogtexten, das umfangreiche Vernichten von Vorlagenmaterial sowie eine in der Literatur mittlerweile zur Sprache gebrachte Überbetonung des Zufalls durch Bacon. Die angeführten Gesichtspunkte vertiefte Harrison dem Schwerpunkt seiner Studie geschuldet nicht und stellte ihre Aufarbeitung der nachfolgenden Forschung zur Aufgabe.14 Die Anreize Harrisons dienen folgenden Ausführungen als Grundlage.

Diese Untersuchung stützt sich ferner auf Publikationen, die sich in allgemeiner Art und Weise mit dem Thema des erfolgreichen Starkünstlers beschäftigen. Die Autoren Ernst Kris und Otto Kurz legten bereits 1934 mit ihrer Veröffentlichung »Die Legende vom Künstler« einen wichtigen Grundstein für das Verständnis und die Beachtung einer auratischen Aufladung und einer zeitgenössischen Mythenbildung, die sich damals wie heute verklärend um populäre Künstler ranke. Sie gelangten zu der sich stetig bewahrheitenden Überzeugung, biografische Tatsachen würden von einer Stilisierung überlagert, wobei eine den Klischees entsprechende Legendenbildung den Erfolg eines Künstlers mitbegründe.15 Auch mangelt es nicht an anderweitigen Publikationen, die die Thematik breit gefasst aufgreifen und auf den rezenten Kunstmarkt übertragen. Der britische Kunsthistoriker und Museumsdirektor Alan Bowness etwa widersprach 1989 in seinem Essay »The Conditions of Success« der – wie er konstatierte – allgemeinen, sogar in der gebildeten Öffentlichkeit verbreiteten Mutmaßung, der Erfolg eines modernen Künstlers sei willkürlich und unterliege größtenteils dem Zufall.16 Bowness stellte die These auf, das Ansehen eines Künstlers sei prophezeibar und verlaufe nach einem vorhersagbaren Grundprinzip. Bowness bezog sich nicht auf die Mehrzahl der den Markt bedienenden Künstler, die er als Gesellen bezeichnete, sondern auf die wenigen Ausnahmekünstler, welche die Museen füllten und die in Bezug auf ihre Vorstellungskraft und Originalität außergewöhnlich seien.17 Dass der Prozess einer zunehmenden, scheinbar plötzlich auftretenden Anerkennung moderner und zeitgenössischer Künstler allein dem Zufall geschuldet ist, entspricht heute wohl ohnehin nicht mehr der allgemeinen Vorstellung. Ich selbst setze in meinen folgenden Überlegungen als zutreffend voraus, dass die Berühmtheit eines Künstlers nicht Produkt reiner Willkür ist. Wie Bowness auf wenigen Buchseiten ein festgelegtes Schema des Erfolges für den modernen Künstler festzuschreiben, soll hierbei nicht das Anliegen sein. Auch soll in dieser Arbeit nicht allgemein das Funktionieren des Kunstmarktes dargelegt werden. Vielmehr soll aufgezeigt werden, welche Vorgänge in Bezug auf ein Bekanntwerden Bacons auszumachen sind, wobei sich die Ausführungen zu seinem Erfolgsweg stets und zumeist allein auf dessen Person beziehen.

Wie Oskar Bätschmann 1997 betonte, war den meisten amerikanischen und europäischen Künstlern das Spiel mit den Medien, das die Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrades bezwecken sollte, weithin geläufig. Dieses habe eine Interaktion mit dem Publikum bedeutet und Auskünfte gegenüber der Presse beinhaltet.18 Es fällt nicht schwer, eine solche, dem Wunsch nach öffentlicher Präsenz entspringende Anpassung an die veränderte Medienlandschaft nachzuvollziehen. Doch eine Entscheidung, ob Bacon in dieser Hinsicht bewusst handelte, ob er vielmehr unbewusst die Inszenierung seiner Kunst und die Verklärung seiner Person vorantrieb oder ob gewisse Entwicklungen schlichtweg dem Zufall geschuldet waren, wird dennoch zumeist nicht zu treffen sein. Sie ist jedoch im Hinblick auf die Auswirkungen der Handlungen nicht erkenntnisträchtig, steht doch hier die faktische Existenz der Konsequenzen im Mittelpunkt des Interesses und nicht etwa ein spekulatives Urteil über ein mögliches Bewusstsein des Künstlers. Oskar Bätschmann schrieb generell auf das moderne Kunstsystem bezogen:

»Die Unterscheidung zwischen Kunst und Nicht-Kunst ist das Ergebnis eines Prozesses mit vielen Beteiligten. Dazu gehören die Institutionen der Präsentation von Kunst, die Galerien, Kunsthallen und Museen, die Besucher oder das Publikum, die Kommentatoren und Theoretiker, die den notwendigen Sprachkontext liefern, die Medien, die Käufer und Sammler. Es ist nicht das Angebot oder die Deklaration des Produzenten, was ein Ding oder eine Tätigkeit zu Kunst macht. Diese Wandlung geschieht erst durch die Zustimmung der verschiedenen Institutionen und Beteiligten.«19

Mit Recht wies Bätschmann darauf hin, dass erst die Anerkennung eines Künstlers auf verschiedenen der genannten Ebenen den Nährboden liefert für einen Zustand, in dem sich personelle Mystifikation, die künstlerische Anerkennung der Werke sowie der Marktpreis gegenseitig vorantreiben.20 Finanzieller Erfolg und steigendes künstlerisches Renommee eines Künstlers vermögen sodann weiteren finanziellen Erfolg und weiterhin wachsendes künstlerisches Ansehen zu verursachen, und der Prozess gewinnt an Eigendynamik. Im Rahmen dieser Untersuchungen wird ersichtlich werden, inwiefern Bacon sowohl für sein Bestehen auf dem Kunstmarkt als auch in der Kunstkritik den Grundstein für eine nachfolgende Eigendynamik legte.

Auch wenn es mittlerweile so manche Veröffentlichung gibt, die sich generell mit Erfolgsstrategien moderner und zeitgenössischer Künstler befasst,21 und auch wenn ein Bewusstsein über eine Einflussnahme oder Vermarktung durch Künstlerbeispiele vertieft wurde,22 scheinen bei der Betrachtung zahlreicher Monografien und Ausstellungskataloge (nicht nur) moderner, namhafter Künstler derartige Überlegungen und Erkenntnisse verschüttet. Würden Kunstpublikationen allgemein vor der Folie einer Einflussnahme und Vermarktung durch Künstler und Fürsprecher verfasst und würde auch im Fall Bacons keine Verklärung betrieben, bliebe in dieser Hinsicht nicht mehr viel zu tun. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, ist ein offensichtliches Desiderat mit weitreichenden Konsequenzen. So wird bis heute immer wieder den entworfenen Lebenswegen, den irreführenden Informationen im Sinne einer stilisierenden Legendenbildung, der Selbstvermarktung von Künstlern und einer verklärenden Vermittlung durch ihre Fürsprecher aufgesessen.

Vorbemerkungen zur Person und zur Kunst Francis Bacons

Bevor einige grundlegende Aspekte der Malerei Francis Bacons benannt werden sollen, um nachfolgenden Untersuchungen einen Rahmen zu liefern, sei zunächst seine Hinwendung zur Kunst anhand der frühen Biografie vorangestellt. Der Maler Francis Bacon wurde am 28. Oktober 1909 als zweites von fünf Kindern in Dublin in der Baggot Street 62 geboren. Sein Vater Edward Anthony Mortimer Bacon (1870–1940) züchtete und trainierte Rennpferde und stammte ebenso wie seine Ehefrau Christina Winifred Loxley, geborene Firth (1884–1971), aus England.23 Francis Bacon verbrachte seine ersten fünf Lebensjahre in Kilcullen, einem kleinen Dorf in der Grafschaft Kildare, auf dem Landsitz Cannycourt House.24 Zu Beginn des Ersten Weltkrieges zog die Familie Bacon nach London, nach Westbourne Terrace in Paddington, da Edward im Kriegsministerium arbeitete. Doch hielt es die Bacons nicht an diesem Ort.25 Sein Asthma und häufige Umzüge zwischen London und Irland führten dazu, dass Francis Bacon keine regelmäßige Schulbildung erfuhr.26 Er erhielt Privatunterricht und besuchte lediglich ein Jahr lang die Dean Close School im britischen Cheltenham in Gloucestershire. Infolge von Streitigkeiten mit dem Vater verließ er das Haus der Eltern in der Nähe von Celbridge im Alter von 16 Jahren.27

Francis Bacon zog es dann in die Hauptstadt, und dort finanzierte er sein Leben mit Gelegenheitsarbeiten und den geringen Beträgen, die seine Mutter ihm zukommen ließ.28 Im Jahre 1927 unternahm Bacon in Begleitung eines Freundes des Vaters eine Erziehungsreise nach Berlin, doch verfiel er nach eigenen Angaben dem dortigen Nachtleben, und mit seinem Begleiter bestand nach Aussage Bacons sexueller Kontakt. Der vom Vater erhoffte erzieherische Effekt blieb anscheinend aus.29 Allein besuchte Bacon nach zwei Monaten Aufenthalt in Berlin dann für mehr als ein Jahr Paris. Dort beschloss er, nach eigenen Angaben angeregt durch Zeichnungen Picassos, die in der Galerie Paul Rosenberg gezeigt wurden, selbst Künstler zu werden.30 Ungefähr drei Monate lang lebte Bacon in einer Familie bei Chantilly und lernte dort die französische Sprache, entschied sich jedoch 1929, nach London zurückzukehren.31 Dort mietete er ein Atelier in South Kensington in 17 Queensberry Mews West, nur eine seiner zahlreichen folgenden Arbeitsstätten. Er arbeitete dort zunächst als Innenausstatter und gestaltete Teppiche und Möbel.32 Bacon stellte die Tätigkeit als Innenarchitekt im weiteren zeitlichen Verlauf zugunsten seiner Malerei zurück und fertigte erste Gemälde in Öl.33 Sich anschließende biografische Entwicklungen seien dem nachfolgenden Kapitel A. »Grundlagen des Bekanntwerdens Francis Bacons« entnommen.

An dieser Stelle seien nun bedeutsame Wesenszüge der Kunst Bacons benannt, die den nachfolgenden Untersuchungen als Grundlage dienen sollen. So soll im Folgenden beleuchtet werden, mit welcher Art von Malerei der Künstler derartige Berühmtheit erlangen konnte: Der Wert seiner Kunst liege, wie Bacon in verschiedenen Interviews erklärte, in dem außergewöhnlichen Empfindungsvermögen seiner Person,34 seinem kritisch-ästhetischen Gespür35 und einer daraus resultierenden eindrucksvollen Realitätswirkung. Demzufolge sei es nicht etwa eine neuartige Maltechnik, die seine Kunst maßgeblich charakterisiere. Bacon arbeitete in der Tat in Abgrenzung zu vielen westlich geprägten Avantgardisten in seinem zeitlichen Umfeld mit weitgehend herkömmlichen Malmethoden, und er unternahm nach eigener Aussage nie den Versuch, eine neue Technik zu finden.36 Der Künstler malte stets an der Staffelei, nutzte nach dem Jahr 1944 ausschließlich aufgespannte Leinwände als Bildträger und gebrauchte zumeist einen Pinsel für den Farbauftrag.37 Eine Palette wurde im letzten, seit 1962 genutzten Atelier Bacons im Londoner Stadtteil South Kensington zwar nicht gefunden, allerdings hatte der Maler etwa die Tür, die Zimmerwände sowie mitunter kleinere Leinwände zum Mischen und Erproben seiner Farben genutzt.38 Wie zerstörte Leinwände und nicht vollendete Gemälde belegen, die posthum in Bacons letzter Arbeitsstätte geborgen wurden, skizzierte der Künstler zumindest in späteren Jahren seiner Karriere zu Beginn seiner Arbeit das Motiv grob mit Farbe auf der Leinwand. Auch fertigte er rudimentäre Vorzeichnungen an. Der Hintergrund seiner Werke wurde nach Angaben Bacons in späteren Jahren zumeist flächig in Acryl gemalt,39 doch laut Margarita Cappock, Sammlungsleiterin der Dubliner City Gallery The Hugh Lane, wurde in Bacons Atelier entgegen seiner eigenen Aussage nur wenig Acrylfarbe gefunden. Stattdessen sei Wandfarbe vorhanden gewesen, bei der man die gewünschte Farbe direkt aus einer Palette auswählen konnte. Joanna Russell bestätigte dies 2010 in ihrer ausführlichen Untersuchung der Materialien und Techniken Bacons.40 Seine Hauptmotive fertigte der Maler vornehmlich in Öl mit viel Terpentin, wobei Glanzlichter oft in Pastell gesetzt wurden.41 Andrew Durham beobachtete 1985 eine Varianz des Farbauftrags, die von dicken, direkt aus der Tube gedrückten Klecksen über trockene Striche bis zu hauchdünner, flüssiger Farbe reiche.42 Die Arbeit mit Öl erweiterte für den Künstler durch die längere Trocknungszeit die Möglichkeiten, Änderungen an den dargestellten Figuren vorzunehmen. Ein Firnis wurde nicht aufgetragen.

Wie Francis Bacon zwischen 1971 und 1973 im Interview gegenüber dem britischen Kunstkritiker David Sylvester äußerte, habe der Versuch moderner Künstler, eine andere Methode des Malens zu finden, allzu oft zu einer Einengung ihrer Kunst geführt.43 Experimentelle oder neuartige Methoden wurden durch ihn lediglich im Detail oder in Addition angewandt. So begann er beispielshalber 1948, auf der nicht grundierten Rückseite der Leinwand zu malen, da er ihre stofflichen Qualitäten, genauer gesprochen ihre Saugfähigkeit, geschätzt habe. Er gebrauchte darüber hinaus Farbrollen für den großflächigen Farbauftrag, spritzte im Detail Farbe, verwischte diese gelegentlich mit den Fingern und nutzte öfters farbgetränkte, strukturierte Oberflächen wie Lappen, Schwämme oder Lumpen aus Cord nach der Art eines Stempels. Des Weiteren brachte er mitunter Staub aus seinem Atelier sowie Sand auf die Leinwand, nutzte ab den Siebzigerjahren Buchstabenpapier zur Übertragung von Lettern und gebrauchte ab den Achtzigerjahren Sprühdosen mit Autolack.44 Im Rahmen ihrer Untersuchung der Materialien und Techniken Francis Bacons kam Joanna Russell 2010 zu dem Schluss, dass für die Mehrheit der zahlreichen von der Autorin untersuchten Gemälde eine geringe Bandbreite an Materialien genutzt worden sei. Zwar hätte Bacon aufgrund ihrer Verfügbarkeit oder aus dem Wunsch heraus, neue Effekte zu schaffen, wohl auch mit außergewöhnlichen Arbeitsstoffen experimentiert, doch handle es sich größtenteils um gebräuchliche und gemeinhin beziehbare Künstlermaterialien, wie Russell schrieb.45 Auch wenn etwa Andrew Durham im Jahre 1985 in seinem Aufsatz über die Technik Francis Bacons zu einem anderen Schluss gekommen war,46 kann doch Folgendes festgehalten werden: Obwohl Bacon im Detail experimentelle Technik nutzte, ist seine Arbeitsweise im Ganzen als traditionell zu bezeichnen. Dies ist schon allein deshalb der Fall, da Bacon an der Staffelei greifbare Kunstwerke schuf, nämlich Gemälde figurativer Art auf der Leinwand als Träger.

Durch seine Hinwendung zur Figuration griff Bacon einer rezenten neuerlichen Wertschätzung dieser voraus. Er hegte eine offenkundige Aversion gegenüber der Abstraktion, und im Gegensatz zu den durch ihn scharf kritisierten Ab­strakten Expressionisten gebrauchte Bacon den äußerlichen Bezug, um ein Bild zu erstellen. Ähnlichkeit mit der dargestellten Wirklichkeit im Sinne einer wahrheitsgemäßen Darstellung avancierte für ihn trotz vorgenommener Deformationen der Bildgegenstände wieder zum Qualitätskriterium in der Kunst.47 Doch nicht nur die Abstraktion, auch eine illustrative Malweise widerstrebte dem Künstler. Ein »wörtliches« Porträt zu schaffen, sei nach Aussage Bacons nie das Anliegen seiner Kunst gewesen, da er eine buchstäbliche Übertragung als uninteressant und unzeitgemäß empfinde.48 Bacon insistierte insbesondere Anfang der Achtzigerjahre auf eine stetige Neuerfindung des Realismus, der – mit Bezug auf sein bewundertes Vorbild Vincent Van Gogh – Veränderungen an der Wirklichkeit vornehmen müsse, um Lügen zu schaffen, die wahrer seien als die Wirklichkeit. Nur so könnten die durch die Entwicklung von Film und Fotografie überflüssig gewordene reine Illustration und der natürliche Realismus überwunden werden, der seinen Sättigungspunkt längst erreicht habe.49 Obwohl Bacon die zumindest rudimentäre Kenntnis der Kunstgeschichte als unumgänglich anerkannte,50 ging ein neuer Realismus für ihn über die Kopie des Althergebrachten hinaus. Reine Reproduktion sei seiner Auffassung nach ein Zustand, der das Ende einer Epoche markiere. Er forderte vielmehr einen Realismus, der in einer neuen Art und Weise aus einer Erfindung entstünde und im Zuge dessen die Wirklichkeit an etwas Willkürliches (Artifizielles) gebunden werde.51 In Illustration und Erzählung sah Bacon keine solchen Neuerungen, sodass er beides in seiner Kunst stets und ausdrücklich zu vermeiden vorgab.52 Bacons Anspruch bestand darin, durch Verzerrung und artifizielle Veränderung einen größeren Wahrheitsgehalt zu erreichen als durch eine rein abbildhafte Visualisierung. So beanspruchte Bacon eine Position für seine Kunst, die einerseits abseits der Abstraktion und neuartiger Maltechnik sowie andererseits abseits rein abbildender Funktionen lokalisiert werden sollte.53

Häufigstes Motiv Francis Bacons war der menschliche, meist männliche Körper, wobei der Künstler oft unbekleidete Einzelpersonen und Paare zeigte.54 Obwohl die Figuren hierbei zumeist in Innenräumen agieren, gibt es auch solche Motive, bei denen der Ort unbestimmt bleibt, durch Bilddetails lediglich angedeutet oder ausdrücklich ins Freie verlegt wird. Die in den Werken Bacons inszenierten Situationen sind von solcher Natur, dass sie von Betrachtern überwiegend als Darstellungen des Gewaltsamen und des Unbehagens gedeutet werden, obwohl Bacon eine solche Fixierung und den Wunsch zu schockieren in seinen Interviews wiederholt negierte.55 Faktisch wird der menschliche Körper jedoch immer wieder in bühnenartiger Inszenierung mit spärlicher Kulisse der Deformation, dem Eingeschlossen-Sein, einer unnatürlichen Positionierung, der Behinderung sowie immer wieder auch der Verletzung, der Kreuzigung und dem blutigen Gewaltverbrechen ausgesetzt. Menschliche Züge vermischen sich vor allem in den Vierziger- und Fünfzigerjahren mit animalischen. Das Zurschaustellen seiner Figuren in karger, ab Ende der Fünfzigerjahre hell erleuchteter Kulisse unter Verwendung weniger Requisiten unterstützt die Fokussierung auf das Gewalttätige. Denn der Blick des Betrachters findet kaum Zerstreuung und wird zu dem eines Voyeurs, der die Privat- und Intimsphäre der Dargestellten zu missachten scheint.56 Obwohl der durch Bacon angelegte Ort dem einer Bühne gleicht, verweisen Bilddetails wie Lichtschalter, Glühbirnen an der Decke oder sanitäre Anlagen eher auf einen privaten Innenraum. Der Betrachter wird zum Teilhaber an intimen Schreckensszenarien im bühnenmäßigen Arrangement, wobei schon allein der Blick des Betrachters das Unbehagen einer dargestellten, schutzlosen Figur plausibel macht. Bacons Gemälde wurden immer wieder – sein gesamtes Œuvre betreffend – als Studien über menschliches Verhalten, über den menschlichen Körper, über dessen Verletzlichkeit, über Leid, über das Leben und den Tod angesehen sowie als Zeugnisse einer »Brüchigkeit der menschlichen Identität«.57 Seine Bilder gelten als Arbeiten über grundsätzliche Gesichtspunkte der menschlichen Existenz.

Bacons eigene Homosexualität fand Eingang in sein Werk – sei sie nun explizit als Geschlechtsverkehr dargestellt oder durch die Präsentation des nackten wie auch bekleideten männlichen Körpers thematisiert. Bacons sexuelle Gesinnung drückte sich also nicht nur in expliziter Darstellung von Geschlechtsakten aus, sondern allgemeiner in seinem lebenslangen Interesse an dem Bildgegenstand des Männlichen. Bis Ende der Sechzigerjahre konnte die Darstellung homosexueller Praktiken für Bacon hierbei folgenreich sein, denn noch in den Fünfzigerjahren wurden homosexuelle Handlungen in Großbritannien gemeinhin als Sittlichkeitsvergehen geahndet.58 Homosexualität wurde bis zum entkriminalisierenden Sexual Offence Act des Jahres 1967 aus der Öffentlichkeit verbannt und fand im Verborgenen statt. Auch im Zusammenhang mit der dargestellten Homosexualität findet sich der Betrachter immer wieder in der Rolle eines Voyeurs wieder, der in die Intimsphäre der Männer einzudringen scheint. Betten werden in Gemälden mit Darstellungen des homosexuellen Geschlechtsverkehrs durch Bacon bühnenhaft inszeniert. Das Absichtsvolle der Begutachtung durch den Betrachter findet so Betonung, und nichts lässt seinen Blick abschweifen vom exponierten Paar. Eine Identifikation der Figuren als männlich kann manches Mal nicht erfolgen, und Verwischungen und Deformationen erschweren teilweise die Identifikation des Vorgangs. Die Mehrdeutigkeit seiner Darstellung wurde bei Bacon immer wieder zum gewünschten Effekt. Zwar spürt der Betrachter die emotionale Aufgeladenheit der Gemälde, da eine Anteilnahme am Schicksal seiner präsentierten Figuren provoziert wird, jedoch bleibt dieser Eindruck zumeist ambivalent.59 Welches Schicksal den Figuren widerfährt und in welcher Situation sie sich präzise befinden, ist selten festzulegen. Eine unumstößliche Aussage ist kaum zu treffen, und Bacon selbst vertrat die Auffassung, dass sein Werk nicht moralisierend zu verstehen sei. Bacon wies die ihm gegenüber dargebrachten Versuche einer Interpretation meist zurück.60

Vorlagen für seine Gemälde gab Francis Bacon bei befreundeten Fotografen in Auftrag, oder er fand sie in Magazinen oder Büchern. Gerade in seiner frühen Schaffensphase kombinierte der Maler Anregungen aus unterschiedlichen fotografischen Quellen in seinen Gemälden und emanzipierte sich auf diese Weise von der Vorlage.61 Bacon nutzte etwa Bewegungsstudien des britischen Fotografen Eadweard Muybridge als Vorlagen für seine Bilder. Muybridge, geboren 1830 in Kingston upon Thames und ebenda 1904 gestorben, fertigte serielle Fotografien, die die Phasen von menschlichen und tierischen Bewegungsabläufen festhielten. Auf diese Weise konnte der Fotograf teilweise irrige Vorstellungen von Bewegungsabläufen in Wissenschaft, aber auch in der Bildenden Kunst korrigieren. Ein Herausgreifen einzelner Sequenzen Muybridges, wie Bacon es tat, gestaltete eine klare Benennung der ausgeführten Bewegungen und Situationen manches Mal schwierig, da sich durchaus mehrere Interpretationen einer Haltung anbieten können. Wie bei den durch Bacon genutzten Vorlagen macht nicht jede herausgegriffene Pose die Gesamtbewegung plausibel. Auch Zeitungsfotos, die Bacon nach dem Durchbruch der Pressefotografie in den Dreißigerjahren als Grundlagenmaterial dienten, provozierten in seine Gemälde übertragen einen Schnappschusscharakter. So wählte Bacon oftmals flüchtige, manchmal zufällige Momente, Bewegungen, und Gesichtsausdrücke, während in der Tradition zumeist nur auf eine kleine Auswahl darstellungswürdiger Momente zurückgegriffen worden war.62 Es kam es mitunter zur Erweiterung der traditionellen Darstellungsweisen, indem die repräsentative Pose, der gewählte Augenblick einer Bewegung, einer breiteren Masse an Darstellungsmomenten wich.

Auch wenn Bacon seinen Themen und seiner Bildsprache zeitlebens treu blieb, wurde ab den Siebzigerjahren wiederholt eine Reduktion der Mittel und eine inhaltliche Milderung beobachtet. Im Hinblick auf Motive der Anstößigkeit und Grausamkeit wurde etwa durch Werner Spies 1971 eine zahmere Motivwahl Bacons, eine Zurückdrängung gewaltsamer Darstellungen, im Fortschritt seiner Karriere beobachtet.63 Spies sah hierin eine Reaktion der Abschwächung aufgrund negativer Stimmen der Kunstkritik, die sich insbesondere zu Beginn der Künstlerkarriere Bacons an der dargestellten Grausamkeit der Gemälde gestört habe.64 Bacon selbst betonte gegenüber John Russell 1971, er habe in jüngeren Jahren extreme Bildthemen benötigt, doch sei dies nun vorbei, und er sei auf diese inhaltlich auf die Spitze getriebenen Darstellungen nicht länger angewiesen.65 Auf diese Weise begründete Bacon selbst den späteren gemäßigteren Tenor seiner Kunst mit seiner Verbesserung als Maler.

Francis Bacon wurde immer wieder als prominentester Vertreter des Kreises der Londoner Künstlerschule, der »School of London«, bezeichnet. Allgemein gelten ebenso die Maler Michael Andrews, Frank Auerbach, Lucian Freud, Leon Kossoff, R. B. Kitaj, Howard Hodgkin und David Hockney als der Gruppe zugehörig. R. B. Kitaj nutzte den Begriff 1976 im Rahmen einer durch ihn organisierten Ausstellung »The Human Clay« in der Hayward Gallery in London, in der die genannten Künstler präsentiert wurden.66 Der Begriff stand in Gegenüberstellung zur »New York School«, die einen losen Zusammenschluss der New Yorker Ab­strakten Expressionisten darstellt, sowie demnach weiter gegriffen in Gegenüberstellung zur »École de Paris«, die nach dem Ersten Weltkrieg die Errungenschaften der Klassischen Moderne verfocht.67 Die vermeintliche Gruppenidentität, die sich in der Benennung als Londoner Schule manifestierte, darf wie auch im Fall der New Yorker Schule tatsächlich nicht zur Annahme einer Homogenität im Stil verleiten. Gemein war dem lose verbundenen Künstlerkreis jedoch bei allen offensichtlichen Unterschieden ein stetes Festhalten an der figürlichen Malerei, die Ablehnung des Ab­strakten Expressionismus sowie einer überkommenen Narration, ihr Arbeitsort und ferner ihr nächtlicher Lebensmittelpunkt in der Kneipenszene Sohos.68 Die vorgenommene Kategorisierung kann nur vor dem Hintergrund der tatsächlich individuellen Arbeitsweise der Protagonisten der »School of London« gelesen werden, auch wenn ein absolutes Verschweigen eines wechselseitigen Einflusses, wie durch Bacon geschehen, sicherlich ebenfalls ein falsches Bild der Verhältnisse liefert.69

1 Walter Grasskamp, Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öffentlichkeit, München 1989, 29; 37; 38; 40. – Im Folgenden bei Erstnennung stets Langtitel und danach Kurztitel.

2 Piroschka Dossi, Hype! Kunst und Geld, München 2007, 15.

3 Öl auf Leinwand, 3 Tafeln je 198 × 147,5 cm, Privatbesitz.

4 Nora Reinhardt, Genialer Müll, in: Der Spiegel, 1. März 2010, 134–135.

5 Matthias Thibaut, Die Monopolisten, in: Handelsblatt, 16. Febr. 2013, zitiert nach http://www.handelsblatt.com/panorama/kunstmarkt/zeitgenoessische-kunst-die-monopolisten/7789164.html (Zugriff 14. Nov. 2015).

6 Ebd.

7 1969, Öl auf Leinwand, 3 Tafeln je 198 × 147,5 cm, Privatbesitz.

8 Daniel Farson, The Gilded Gutter Life of Francis Bacon, (London 1993) London 1994, 1: »He was unlike anyone else in life, as in his art. He was a true original, as if he had descended from another era. Everything he did was different: the deliberate way he walked, the particular way he talked, his particular emphasis on words, which made his conversation irresistible. When he entered the room it was an occasion. What I shall miss is his sense of fun and that disarming laughter«.

9 Michael Peppiatt, Francis Bacon in the 1950s, Ausst.kat. Sainsbury Center for the Visual Arts Norwich, New Haven/London 2006, 9: »Since his death in April 1992, Bacon has rarely been out of the press. Indeed, he often seems to be more alive than ever, with the mythology surrounding him growing more extravagant by the years, as if his existence had been transformed, like that of a Pharaoh, into a vast archaeological dig, with ›finds‹ being made regulary and reported to an eager public.«

10 Hans-Werner Schmidt, Andy Warhol »Mao« – Joseph Beuys »Ausfegen«, in: Michael Groblewski und Oskar Bätschmann (Hg.), Kultfigur und Mythenbildung. Das Bild vom Künstler und sein Werk in der zeitgenössischen Kunst, Berlin 1993, 111. – Siehe auch etwa Antje von Graevenitz, Warhols Tausch der Identitäten, in: Groblewski/Bätschmann (Hg.), 1993, 69–91.

11 Michael Groblewski, »...eine Art Ikonographie im Bilde.« Joseph Beuys – Von der Kunstfigur zur Kultfigur, in: Ders./Bätschmann (Hg.), 1993, 39–48.

12 Dossi, 2007, 174.

13 Svetlana Alpers, Rembrandt als Unternehmer. Sein Atelier und der Markt, Köln 1989, 129.

14 Martin Harrison, In Camera. Francis Bacon. Photography, Film, and the Practice of Painting, London 2005a, 230. In Vorbereitung ist derzeit ein neuer Catalogue Raisonné Martin Harrisons zu den Werken Bacons.

15 Ernst Kris und Otto Kurz, Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch, (Wien 1934) Frankfurt a. M. 1995.

16 Alan Bowness, The Conditions of Success. How the Modern Artist Rises to Fame, London 1989, 7.

17 Ebd., 9.

18 Oskar Bätschmann, Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997, 193.

19 Ebd., 226.

20 Ebd.

21 Siehe etwa: Kris und Kurz, 1995. – Bowness, 1989. – Groblewski/Bätschmann (Hg.), 1993. – Bätschmann, 1997. – Bernd Kreutz, Die Kunst der Marke, Ostfildern-Ruit 2003. – Dossi, 2007. – Isabelle Graw, Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur, Freiburg 2008.

22 Siehe etwa: Alpers, 1989. – Stefan Koldehoff, Van Gogh. Mythos und Wirklichkeit, Köln 2003.

23 Michael Peppiatt, Francis Bacon. Anatomy of an Enigma, (London 1996, überarb. und erw. Ausg. London 2008) New York 2009, 4.

24 Francis Bacon, Ausst.kat. Haus der Kunst München, Ostfildern-Ruit 1996, 283.

25 Ebd., 284.

26 Andrew Sinclair, Francis Bacon. His Life and Violent Times, (London 1993) New York 1993, 25–26.

27 David Sylvester, Interviews with Francis Bacon, (London 1975, 1980 und 1987) London 2007, 186: »I went a short time to a place called Dean Close, in Cheltenham. It was a kind of minor public school and I didn't like it. I was continually running away, so in the end they took me away. I was there only about a year. So I had a very limited education.« – Peppiatt, 2006, 163.

28 Michel Archimbaud, Francis Bacon. In Conversation with Michel Archimbaud, (Paris 1992/London 1993) London 2000, 22. – Peppiatt, 2006, 164.

29 Ebd.

30 Frances Giacobetti, Francis Bacon. I Painted to Be Loved, in: The Art Newspaper 137, Juni 2003, 28: »Picasso is the reason why I paint. He is the father figure who gave me the wish to paint. In 1929 I saw some completely revolutionary pieces ›Le baiser‹ and ›Les baigneuses‹«. – Sinclair, 1993, 53.

31 Peppiatt, 2009a, 40–42.

32 Ders., 2006, 164.

33 Haus der Kunst, 1996, 286.

34 Sylvester, 2007, 107; 141: »I think my sensibility is radically different and, if I work as closely as I can to my own sensibility, there is a possibility that the image will have a greater reality.« »I think that I have this peculiar kind of sensibility as a painter, where things are handed to me and I just use them.«

35 Bacon erhob das Empfindungsvermögen 1979 auch ganz allgemein zum Merkmal erfolgreicher Kunst, als er äußerte: »...and I very often think probably what makes one artist seem better than another is that his critical sense is more acute. It may not be that he is more gifted in any way but just that he has a better critcal sense.« Ebd., 149.

36 Ebd., 107: »I'm not attempting to use what's called avant-garde techniques. Most people this century who have had anything to do with the avant garde have wanted to create a new technique, and I never have myself. Perhaps I have nothing to do with the avant garde.«

37 Das Gemälde »Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion« (Drei Studien für Figuren am Fuße einer Kreuzigung) des Jahres 1944 wurde noch auf Sundela-Platten ausgeführt, wie sie auch Bacons Künstlerfreunde Roy de Maistre und Graham Sutherland derzeit nutzten. Andrew Durham, Note on Technique, in: Dawn Ades und Andrew Forge (Hg.) Francis Bacon, Ausst.kat. Tate Gallery London, London/New York 1985, 231; 233. – Deutsche Übersetzung Andrew Durham, Anmerkungen über die Technik, in: Dawn Ades und Andrew Forge (Hg.) Francis Bacon, Ausst.kat. Staatsgalerie Stuttgart/Nationalgalerie Berlin, Stuttgart/Berlin 1985, 231; 233.

38 Margarita Cappock, Francis Bacon's Studio, London/NewYork 2005, 206; 217.

39 Sylvester, 2007, 93; 195.

40 Cappock, 2005, 211. – Joanna Elizabeth Russell, A Study of the Materials and Techniques of Francis Bacon (1909–1992), Dissertation Universität von North­umbria, Newcastle 2010, 194; 198; 221.

41 Durham, 1985a, 232.

42 Ebd.

43 Sylvester, 2007, 107: »I think the only man who didn't limit himself tremendously by trying to change the technique was Duchamp, who did it enormously successfully.«

44 Cappock, 2005, 206; 212.

45 Russell, Joanna Elizabeth, 2010, 199; 221.

46 Durham, 1985a, 231.

47 Andrew Forge, Über Francis Bacon, in: Ades/Ders. (Hg.), 1985b, 27.

48 Sylvester, 2007, 146; 172: »Because I'm always hoping to deform people into appearance; I can't paint them literally.« »Otherwise it will be just an illustration of something – which will be very second-hand.«

49 Ebd., 172; 176: »I believe that realism has to be re-invented. It has to be continuously re-invented. In one of his letters van Gogh speaks of the need to make changes in reality, which become lies that are truer than the literal truth. This is the only possible way the painter can bring back the intensity of the reality which he is trying to capture. I believe that reality in art is something profoundly artificial and that it has to be recreated. Otherwise it will be just an illustration of something – which will be very second-hand.« Und weiter: »As the techniques of the cinema and all forms of recording become better and better, so the painter has to be more and more inventive. He has to re-invent realism. He has to wash the realism back onto the nervous system by his invention, because there isn't such a thing in painting any longer as natural realism.«

50 Ebd., 199: »I think that you have to know, even if only in a rudimentary way, the history of art from pre-historic times right up to today.«

51 Ebd., 179: »I mean, it was the end of Greek art, it was the end of Egyptian art, because they went on and on and on reproducing themselves. We can't go on and on reproducing the Renaissance or nineteenth-century art or anything else. You want something new. Not an illustrative realism but a realism that comes about through a real invention of a new way to lock reality into something completely arbitrary. … Well, I said arbitrary, but I think artificial would have been better.«

52 Ebd., 22; 172: »And the moment the story is elaborated, the boredom sets in; the story talks louder than the paint. This is because we are actually in very primitive times once again, and we haven't been able to cancel out the story-telling between one image and another.«

53 Dawn Ades, Web of Images, in: Dies./Forge (Hg.), 1985a, 8–9. – Dies., Bacons Bilderwelt, in: Dies./Forge (Hg.), 1985b, 8–9.

54 Wieland Schmied, Francis Bacon. Commitment and Conflict, München/London/New York 2006, 98. – Darstellungen weiblicher Personen bilden jedoch keineswegs die Ausnahme. Für eine Besprechung der Frauenporträts siehe etwa Harrison, 2005a, 223–230.

55 Siehe etwa Sylvester, 2007, 47; 48: »Well, they certainly have always emphasized the horror side of it. But I don't feel this particularly in my work. I have never tried to be horrific.« »I've always hoped to put over things as directly and rawly as I possibly can, and perhaps, if a thing comes across directly, people feel that is horrific. Because, if you say something very directly to somebody, they're sometimes offended, although it is a fact. Because people tend to be offended by facts, or what used to be called truth.« »You could say that a scream is a horrific image; in fact, I wanted to paint the scream more than the horror.«

56 Christoph Heinrich, Francis Bacon. Die Portraits, in: Ders. (Hg.), Francis Bacon. Die Portraits, Ausst.kat. Hamburger Kunsthalle, Ostfildern-Ruit 2005, 88. – Invar-Torre Hollaus, Zwischen Inszenierung und Intimität. Kompositionsstrategien in Francis Bacons Selbstbildnissen und Portraits, in: Heinrich (Hg.), 2005, 110. – Arnold Gehlen, Der Maler Francis Bacon, (Merkur 176 (10), Okt. 1962, 927–933) in: Dino Heicker (Hg.), Francis Bacon. Ein Malerleben in Texten und Interviews, Berlin 2009, 66.

57 Siehe etwa Armin Zweite, Vorwort, in: Ders. (Hg.), Francis Bacon. Die Gewalt des Faktischen, Ausst.kat. K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, München 2006, 9; 11; 14.

58 Im Januar des Jahres 1954 wurden in London etwa der anglo-kanadische Journalist Michael Wildeblood, der konservative Politiker Lord Edward Montagu und dessen Cousin (der Landbesitzer Michael Ritt-Rivers) aufgrund homosexuellen Kontakts mit zwei Soldaten der Royal Air Force zu zwölf- und 18-monatigen Gefängnisstrafen verurteilt – David Sylvester erwähnte im Jahre 2001 Ermahnungen Bacons damaliger Galeristin Erica Brausen, die auf den erschwerten Verkauf homosexueller Bildthemen hingewiesen habe. David Sylvester, Vortrag über die Akte Francis Bacons, gehalten 2001, nicht publiziert, zitiert nach http://francis-bacon.com/bacons-world/scholarship-education/symposia/david-sylvester (Zugriff 21. Dez. 2015).

59 Armin Zweite, Bacons Schrei. Beobachtungen zu einigen Gemälden des Künstlers, in: Ders. (Hg.), 2006, 88.

60 Siehe hierfür Kapitel B. II. 2. »Die Zurückweisung einer narrativen Komponente«. – Sylvester, 2007, 23. Bezüglich der rahmenden Strukturen, die als Gefängnis, isolierende Kammer o. ä. gedeutet wurden, steht zu lesen: »DS: And it never ever had any sort of illustrative intention, not even in that painting of 1949 of a head with microphones? FB: No, it was just to be able to see the face and the microphones more clearly. I don't think it's a satisfactory device especially; I try to use it as little as possible. But sometimes it seems necessary.« Bezüglich der Kreuzigungsdarstellungen steht zu lesen: »I know for religious people, for Christians, the Crucifixion has a totally different significance. But as a non-believer, it was just an act of man's behaviour, a way of behaviour to another.«

61 Siehe hierfür Kapitel B. II. 4. »Die Relativierung der Bedeutung der Fotografie«. – Zweite, 2006b, 75.

62 John Russell, Francis Bacon, (London 1971) München 1998, 114–116.

63 Werner Spies, Inflation der Fratzen, (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Nov. 1971) in: Haus der Kunst, 1996, 271.

64 Ebd.

65 Russell, 1998, 135: »When I was younger I needed extreme subject matter. Now I don’t.«

66 In Kitajs Vorwort zur Ausstellung heißt es: »The bottom line is that there are artistic personalities in this small island more unique and strong and I think numerous than anywhere else in the world outside America's jolting vigour. There are ten or more people in this town, or not far away, of word class, including my friends of the abstract persuasion. In fact, I think there is a substantial School of London … If some of the strange and fascinating personalities you may encounter here where given a fraction of the internationalist attention and encouragement reserved in this barren time for provincial and orthodox vanguardism, a School of London might become even more real than the one I have construed in my head. A School of London in England, in Europe … with potent art lessons for foreigners emerging from this odd, old, put upon, very singular place.« Zitiert nach Michael Peppiatt, Francis Bacon. Studies for a Portrait. Essays and Interviews, New Haven/London 2008, 124.

67 Patrick Werkner, Kunst seit 1940. Von Jackson Pollock bis Joseph Beuys, Wien/Köln/Weimar 2007, 24.

68 Es wurde darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung »School of London« auch geografisch nicht zutreffe, da die betroffenen Künstler ihre Wurzeln zumeist im Ausland hätten. Frank Auerbach stammt wie auch Lucian Freud aus Berlin, Leon Kossoff ist der Sohn eines russischen Emigranten, Francis Bacon wuchs in Irland auf, R. B. Kitaj kam aus Amerika und der Brite Michael Andrews gab immerhin an, keine Wurzeln zu haben. Peppiatt, 2008, 126–127. Der Aufsatz Peppiatts war 1987 Einleitung der Ausstellung »A School of London. Six Figurative Painters« im Kustnernes Hus Oslo. Er wurde im selben Jahr überarbeitet und erschien dann in »Art International«. Nach erneuter Überarbeitung und Erweiterung erschien er 1999 im Ausst.kat. »School of London« des Musée Maillol Paris. – Christophe Domino, Francis Bacon. Taking reality by surprise, (Paris 1996/London 1997) London 2002, 44.

69 Siehe Kapitel B. II. 3. »Die Nutzbarmachung eta­blierter Namen der Kunstgeschichte«.

Grundlagen des Bekanntwerdens Francis Bacons

Der Erfolg eines Künstlers liegt nicht allein in der Hand des Kreativen, sondern wird ebenso durch seine Kooperationspartner bedingt. Seine Bewerbung fällt in den Zuständigkeitsbereich der Galeristen, seine öffentliche Beurteilung in die Hand der Kunstkritiker. Ein Netzwerk an Fürsprechern arbeitet dem Künstler zu und ist für die erfolgreiche Vermarktung dessen Kunst unabdingbar. Der Prozess seiner gewinnbringenden, mit mehreren Partnern vernetzten Kooperation wird in der professionellen Werbung heutzutage als »networking« bezeichnet. Die Verfahrensweise ist jedoch natürlich länger allgemein bekannt und nicht erst seit Kurzem eng mit dem Erfolg von Kunst verbunden. Sie trifft in stärkerer oder schwächerer Form für nahezu jeden erfolgreichen Künstler zu, insbesondere aber für solche, die mit ihrer Kunst auf eine breite öffentliche Rezeption hinsteuern. Die Legende vom einsamen, weltabgeschiedenen Künstlergenie entstammt dem 18. Jahrhundert, hat jedoch mit der Realität der modernen und zeitgenössischen Kunstwelt wenig gemein.

Im Folgenden seien Entwicklungen beschrieben, die als Grundlagen des Bekanntwerdens Francis Bacons in der Londoner Kunstszene zu betrachten sind. Zunächst sei hierbei das Augenmerk auf eine frühe öffentliche Aufnahme Bacons gelegt. Die Besprechungen, etwa in Fach- oder Wochenzeitschriften wie auch in der Tagespresse, sind hierbei zunächst als spärlich zu bezeichnen und zeugen dann von einem wachsenden Disput um die qualitative Beurteilung der Gemälde Bacons. Vor diesem Hintergrund der öffentlichen Aufnahme Bacons zwischen 1933 und 1962 wird danach eine erste Vernetzung durch die Kollegenschaft thematisiert. In diesem Zusammenhang wird aufgezeigt, inwiefern Bacon, der selbst in Interviews stets einen Akzent auf seine künstlerische Unabhängigkeit legte, tatsächlich von seinen Brückenschlägen, insbesondere zu dem arrivierteren Künstlerkollegen Graham Sutherland, profitierten konnte. Zuletzt wird in diesem Grundlagenkapitel die Vertretung des Künstlers durch seine Galerien zur Sprache gebracht. Vor allem Bacons Wechsel von der Hanover Gallery zur prestigeträchtigen Galerie Marlborough Fine Art Ltd. im Jahre 1958 markiert schließlich einen bedeutsamen Wendepunkt in der Vermarktung seiner Kunst. Nunmehr wurde auf professionellerem und zunehmend internationalem Niveau agiert.

Die öffentliche Wahrnehmung in Besprechungen

Francis Bacon pflegte insbesondere mit steigender Bekanntheit vielfältige Kontakte zu Kunstkritikern, Literaten, Journalisten und Philosophen, die wiederholt wohlwollend über ihn schrieben. Bis zu einem gewissen Grad bot die persönliche Bekanntschaft dem Künstler die Möglichkeit zur Einflussnahme und erlaubte ihm etwa inhaltliche Korrekturen. Im Kapitel zu Bacons Inszenierung in den Interviews wie auch im Kapitel »Die Einflussnahme Francis Bacons und seiner Fürsprecher auf Publikationen« werden kontrollierende Maßnahmen in diesem Zusammenhang noch eingehend zur Sprache gebracht werden. Anzunehmen, dass Bacon und seine Fürsprecher durch ein Beeinflussen von zu publizierenden Texten das öffentliche Ansehen des Künstlers formten, mag zutreffend sein. Allerdings wird dabei außer Acht gelassen, dass sich die mediale Situation (gerade zu Beginn des künstlerischen Werdegangs Bacons) nicht derart lenkbar gestaltete. Ein großer Teil seiner Aufnahme und Besprechung lag – und dies vor allem am Anfang seiner Malerkarriere – wohl kaum in der Macht des Künstlers. Bacon schmerzte vielmehr früh die Gewichtigkeit einer zurückweisenden Öffentlichkeit, als ihm überwiegend verhaltene bis vernichtende Kritiken als Reaktion auf seine ersten Ausstellungen in der Presse entgegenschlugen. Zu diesem Zeitpunkt steckte die später so erfolgreiche Kooperation mit namhaften Autoren wie auch die wirkungsvolle Vertretung durch seine Fürsprecher noch in ihren Anfängen und hatte nicht die positiven Auswirkungen späterer Jahre. Im Folgenden soll Bacons öffentliche Reputation in Journalen, in Wochen- und Monatszeitschriften umrissen werden. Solche Ausstellungsrezensionen können von grundsätzlicher Bedeutung für ein Verständnis mancher nachfolgender Handlungsweisen des Künstlers sein. Das Augenmerk liegt hierbei auf der Zeit bis zu Bacons erster Retro­spektive in der Londoner Tate Gallery 1962. Nach frühen Erfolgen im Rahmen der ersten Einzelausstellung in der Hanover Gallery im Jahre 1949 wird diese gemeinhin als endgültiger künstlerischer Durchbruch Bacons anerkannt.

Erste Beachtung als Maler erfuhr Bacon 1933 im Zusammenhang mit der Ausstellung »Art Now« in der renommierten Londoner Mayor Gallery in der Cork Street. Das dort gezeigte Werk »Crucifixion« (Kreuzigung) wurde in der zugehörigen Veröffentlichung des britischen Dichters, Philosophen und Kunstkritikers Herbert Read mit dem Titel »Art Now. An Introduction of the Theory of Modern Painting and Sculpture« in Gegenüberstellung mit der Darstellung einer Badenden Pablo Picassos des Jahres 1929 angeführt.70 Allein der Abdruck des Gemäldes, aber vor allem die für den völlig unbekannten Künstler Bacon schmeichelhafte, bedeutungsschwere Gegenüberstellung mit Picasso, dem derart eta­blierten Meister der Moderne, ließ in der Kunstszene Großbritanniens erstes Interesse aufkeimen. Der englische Sammler Michael Sadler, ein Bekannter von Bacons Künstlerfreund Roy de Maistre, erwarb in der Folge der Veröffentlichung das Werk »Crucifixion« durch den Sammler und Autor Douglas Cooper von der Mayor Gallery. Cooper hatte bereits die Abbildung in Herbert Reads Publikation forciert und beauftragte noch in dem selben Jahr eine weitere Kreuzigungsdarstellung.71

Diesem verheißungsvollen Karrierestart folgten allerdings schwierige Jahre im Hinblick auf Bacons öffentliche Aufnahme. Seine erste Einzelausstellung arrangierte der Maler im Februar 1934 auf eigene Faust, ohne bei einem Galeristen unter Vertrag zu stehen. Diese Schau fand im Keller des Sunderland House des Bacon wohlgesinnten Innenausstatters Arundell Clarke in der Curzon Street im Londoner Stadtteil Mayfair statt. Jedoch fanden die in der so genannten »Transition Gallery« präsentierten Ölgemälde und Gouachen weder das erhoffte Interesse der Käuferschaft,72 noch den gewünschten Rückhalt in der Presse, und es blieb Bacons letzte Ausstellung an diesem Ort. Ein Rezensent der Tageszeitung »The Times« schrieb am 16. Februar 1934 in Reaktion auf die kleine Schau demolierend, die Schwierigkeit sei, zu entscheiden, inwieweit Francis Bacons Werke künstlerischer Ausdruck seien oder eher bloße Entladung des Unbewussten auf der Leinwand oder dem Papier.73 Auf diese Weise stellte der Verfasser des Artikels nicht nur den Stellenwert und die Qualität der gezeigten Gemälde in Frage, sondern viel grundsätzlicher ihren Status als Kunstwerk. Die figurativen, nur vage in der Nachfolge des Surrealismus stehenden und bis 1956 recht tonalen Bilder Bacons waren nicht im kommerziellen Sinne modern. Der britische Kunstgeschmack blieb nach dem Ersten Weltkrieg noch stark vom Formalismus geprägt und reagierte lediglich zögernd etwa auf den Surrealismus.74 Betrachter der Gemälde Bacons störten sich jedoch auch, und um einiges schwerwiegender, an einer von ihnen empfundenen inhaltlich-thematischen Unangemessenheit der Darstellungen. Diese lag insbesondere in der von Düsternis und Grausamkeit geprägten Sujetwahl Bacons begründet, die, so belegen die Ausstellungsbesprechungen, mit den Erwartungsnormen vieler Betrachter brach.

Der Ausschluss von der »International Surrealist Exhibition«, gezeigt vom 11. Juni bis zum 4. Juli 1936 in den Londoner New Burlington Galleries, mag den Maler des Weiteren entmutigt haben. 58 führende Surrealisten aus 14 Ländern stellten im Rahmen dieser Gruppenausstellung aus. Unter ihnen fanden sich etwa Constantin Salvador Dalí, Marcel Duchamp, Alberto Giacometti, Paul Klee, René Magritte, Joan Miró, Pablo Picasso, Man Ray und Max Ernst. Die Begründung für die Ablehnung Bacons lautete, seine Werke seien nicht hinreichend surrealistisch, um in der Schau berücksichtigt zu werden.75 Dem Kunsthistoriker und Zeitgenossen Bacons Hugh Marlais Davies zufolge hatten der bereits genannte Dichter und Philosoph Herbert Read und der Künstler, Schriftsteller und Kunsthistoriker Roland Penrose als Organisatoren der Ausstellung Bacon zuvor in seinem Atelier in Chelsea besucht, um drei bis vier seiner großformatigen Gemälde zu begutachten.76 Der surrealistische Gehalt war gewiss das wichtigste Auswahlkriterium der Organisatoren der großen Gruppenausstellung, die diese künstlerische Strömung letztlich in London einführte. Gegenüber dem französischen Herausgeber, Dramaturgen und Autor Michel Archimbaud bestätigte Bacon in einem Interview kurz vor seinem Tod die Zurückweisung durch Read und Penrose und räumte rückblickend ein, er selbst habe seine Werke ohnehin für überhaupt nicht surrealistisch gehalten.77

Bacon stellte dann im Januar 1937 im Zuge der von seinem Lebenspartner Eric Hall organisierten Schau »Young British Painters« in der Londoner Thomas Agnew and Sons Gallery in der Bond Street einige seiner Gemälde aus. Andere beteiligte Künstler waren Victor Pasmore, Ivon Hitchens, John Piper, Ceri Richards, Roy de Maistre, Julian Trevelyan und Graham Sutherland.78 Die Agnews Galerie hatte bisher eher Alte Meister und wenige sehr eta­blierte moderne Künstler präsentiert. Die Gruppenausstellung recht unbekannter, zeitgenössischer Maler war wohl den Bemühungen Eric Halls geschuldet.79 Pierre Jeannerat, ein Kritiker des Blattes »Daily Mail«, bezeichnete am 14. Januar 1937 die präsentierten Werke der Gruppenausstellung »Young British Painters« geringschätzig als Nonsens-Kunst und Pseudo-Kunst, die mehr und mehr in die eta­blierten Galerien Londons einfalle. Er prophezeite, je mehr die Betrachter diese Absurditäten anschauten, desto mehr würden sie ihre Leere und ihre Hässlichkeit erkennen. Das Werk »Abstraction from the Human Form« (Abstraktion der menschlichen Form) Francis Bacons beschreibe etwa die Figur als entstellten Luftballon, so Jeannerat abschätzig.80 Auf die enttäuschende und auch spärliche Resonanz auf die Ausstellungen der vergangenen Jahre reagierte Bacon, indem er das Malen fortan einstellte und einen Großteil seiner bestehenden Gemälde – und mit ihnen Zeugnisse früher mal-technischer Schwierigkeiten – vernichtete.81 Obwohl Bacon während des Zweiten Weltkrieges aufgrund seiner Asthma-Erkrankung vom Kriegsdienst und kurz darauf auch vom Zivilschutz freigestellt wurde, gab es bis zum Kriegsende keine Ausstellungen Bacons mehr. Aus den Jahren 1929 bis 1944 sind lediglich etwa vierzehn der Werke des Künstlers erhalten und folglich von einer Zerstörung durch die Hand des Malers verschont geblieben.

Nach dieser Schaffenspause nahm Bacon, nun wieder wohnhaft in South Kensington, seine Maltätigkeit wieder auf. Er fertigte vor oder im Jahre 1944 das Triptychon »Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion« (Drei Studien für Figuren am Fuße einer Kreuzigung) (Abb. 1).82 Diesen Zeitraum wollte Bacon im Nachhinein als Anfangspunkt seiner künstlerischen Entwicklung verstanden wissen und klammerte auf diese Weise sein tatsächliches Frühwerk aus.83 Das genannte Bild und ebenso das Gemälde »Figure in a Landscape« (Figur in einer Landschaft) wurden im April 1945 gemeinsam mit Werken von Frances Hodgkin, Henry Moore, Matthew Smith und Graham Sutherland in der Londoner Lefevre Gallery in der New Bond Street ausgestellt. Duncan Macdonald, der damalige Direktor der Lefevre Gallery, zog hinsichtlich der Verkaufs- und Besucherzahlen sowie hinsichtlich der Rezensionen der Ausstellung im Nachhinein gegenüber dem ebenfalls beteiligten Künstler Sutherland ein positives Resümee.84 Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich der Kunstgeschmack des britischen Publikums. Der Blick blieb tendenziell nicht länger allein rückwärts gewandt, und das Interesse an der zeitgenössischen Kunst erstarkte nunmehr.

Allerdings stieß Bacons Gemälde »Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion« bei den noch unter dem Eindruck ihrer Kriegserfahrungen stehenden Besuchern und Rezensenten der Ausstellung mitunter auf betroffene Ablehnung, obwohl eine oft behauptete durchweg negative Beurteilung mittlerweile relativiert werden konnte.85 Das Triptychon zeigt Bacon zufolge drei an die Erinnyen aus Aischylos Orestie angelehnte Rachegöttinnen. Diese Ungetüme, in unbestimmten Innenräumen und vor einem kräftig orangefarbenem Hintergrund positioniert, weisen sowohl menschliche als auch animalische Züge auf.86 Auf der linken Bildtafel scheint der Oberkörper der Rachegöttin in eine niedergedrückte Position gezwungen, in der mittleren Tafel sind die Augen der Bestie durch ein Tuch verhüllt, und das Wesen in der rechten Darstellung reißt das Maul wie zum Schrei weit auf. Die Unbehaglichkeit der Szene wird durch die Ungeklärtheit der geschilderten Umstände vorangetrieben. Der Autor und Kritiker Raymond Mortimer (1895–1980) schrieb für das politisch links orientierte Wochenblatt »New Statesman and Nation« am 14. April 1945, er zweifle nicht an Bacons ungewöhnlichen Begabungen, doch diese Bilder, Ausdruck seines Empfindens einer scheußlichen Welt, in welcher die Menschen überlebt hätten, seien für ihn eher als Symbole der Abscheulichkeit denn als Kunst zu verstehen. Wenn Frieden Bacon Abhilfe verschaffe, könne er in Zukunft genauso erfreuen, wie er heute entsetze.87 Letztlich wurde in Mortimers Besprechung demnach wiederum der Status als Kunstwerk in Frage gestellt.