Französisches Verlangen - Nicole de Vert - E-Book
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Französisches Verlangen E-Book

Nicole de Vert

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Beschreibung

Ein packender Südfrankreich-Krimi um Mimikexpertin Margeaux Surfin Eigentlich könnte es Privatermittlerin und Mimikexpertin Margeaux Surfin nicht besser gehen: Sie erholt sich von den körperlichen Strapazen ihres letzten Falles und bereitet sich auf ihre Hochzeit vor. Dann rufen ihre Ex-Kollegen um Hilfe und sie muss nach Stuttgart reisen, um einen vermeintlichen Kindsmörder zum Reden zu bringen. Währenddessen traut sich ihr verwitweter Vater in die Welt des Online-Datings – wird ihm das zum Verhängnis?  Ein kniffliger Fall für Margeaux Surfin, in dem auch Genuss und Kulinarik nicht zu kurz kommen - mit einem raffinierten Rezept von Sternekoch Fabian Heldmann »Hoffentlich gibt es noch einige Fälle für Margeaux in der Provence zu lösen. Das Lesen der Geschichten macht einfach Spass und ist spannend.«  ((Leserstimme auf Netgalley)) 

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Prolog

Hameau les Bouisses – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Orange – ein Jahr zuvor

Avignon – Mitte April

Orange – ein Jahr zuvor

Hameau les Bouisses – Mitte April

Barbentane – Mitte April

Kalte Augen

Provence – Mitte April

Orange – ein Jahr zuvor

Avignon – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Orange – ein Jahr zuvor

Boulbon – Mitte April

Das Dickicht der Dunkelheit

Barbentane – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Orange – ein Jahr zuvor

Avignon – Mitte April

Barbentane – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Orange – ein Jahr zuvor

Barbentane – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Orange – ein Jahr zuvor

Boulbon – Mitte April

Aix-en-Provence – August, ein Jahr zuvor

Stuttgart – Mitte April

Endloser Schmerz

Boulbon – Mitte April

Avignon – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Cavalaire-sur-Mer – November, ein Jahr zuvor

Barbentane – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Avignon – Mitte April

Aix-en-Provence – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Für immer verloren

Avignon – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Boulbon – Mitte April

Aix-en-Provence – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Barbentane – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Phoenix in der Asche

Stuttgart – Mitte April

Avignon – Mitte April

Barbentane – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Barbentane – Mitte April

Avignon – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Aix-en-Provence – Mitte April

Barbentane – Mitte April

Pakt mit dem Teufel

Avignon – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Barbentane – Mitte April

Avignon – Mitte April

Aix-en-Provence – Mitte April

Stuttgart – Mitte April

Schwarzwald – eine Woche später

Frankensteins Monster

Barbentane – Ende April

Avignon – Ende April

Aix-en-Provence – Ende April

Boulbon – Ende April

Barbentane – Ende April

Hameau les Bouisses – Ende April

Avignon – Anfang Mai

Aix-en-Provence – Anfang Mai

Boulbon – Anfang Mai

Avignon – Anfang Mai

Hameau les Bouisses – Anfang Mai

Barbentane – Anfang Mai

Provence – Anfang Mai

Boulbon – Anfang Mai

Avignon – Mai, eine Woche später

Aix-en-Provence – Mitte Mai

Boulbon – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Barbentane – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Hameau les Bouisses – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Boulbon – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Schritte ins Licht

Barbentane – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Avignon – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Barbentane – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Avignon – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Avignon – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Avignon – noch drei Tage bis zur Hochzeit

Barbentane – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Hameau les Bouisses – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Avignon – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Boulbon – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Hunger auf das Leben

Avignon – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Barbentane – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Hameau les Bouisses – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Aix-en-Provence – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Barbentane – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Hameau les Bouisses – noch zwei Tage bis zur Hochzeit

Boulbon – noch 26 Stunden bis zur Hochzeit

Kuss der Hoffnung

Hameau les Bouisses – ein Tag vor der Hochzeit

Aix-en-Provence – noch ein Tag bis zur Hochzeit

Der Hochzeitstag

Die Zeremonie

Arles – einen Tag später

Avignon – zwei Monate später

Epilog: Sieg der Dunkelheit

Nachwort

Rezepte für vier Personen

French Toast

Margeaux’ Jakobsmuscheln mit Safransoße

Hildes Soljanka

Margeaux’ Schokoladeneis mit Rhabarber-Ragout

Gebeizter Lachs à la Fabian Heldmann

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Prolog

Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe, wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe.

1. Johannes 4,18

Einsamkeit kann zu schweren physischen und psychischen Erkrankungen führen, dies belegen aktuelle Studien, las sie, und Bitterkeit stieg in ihr auf. Für diese Erkenntnis benötigte sie keine wissenschaftlichen Belege. Sie musste nur in den Spiegel schauen und konnte sehen, wie sich ihre Züge zerfraßen. Ihr Herz fühlte sich an, als wäre es in Eisen gekettet, und ihre Gedankenwelt war durchzogen von Dunkelheit. Nicht einmal der schönste Teller hatte die Macht, den Kummer und den Schmerz von ihr zu nehmen. Dabei hatte sie so sehr gehofft, dass ihre Entscheidung, aktiv zu werden, alles, was sie als eine Art lebende Tote durch die Welt laufen ließ, neutralisieren würde.

Anfangs hatte sie sich auch vollkommen befreit gefühlt, hatte einige Nächte geschlafen, ohne wie wild um sich zu schlagen. Doch dann waren die Träume wiedergekommen, und die Stahlblitze hatten sie durchdrungen. Nicht einmal die Erinnerung an den zuckenden Körper und ihre Enthüllung als kraftvolle Triumphtat hatten sie aus dem Strudel reißen können. Die Furcht war mit voller Macht zurückgekehrt und hatte sie seither wieder fest im Würgegriff. Der Körper vergaß nie etwas.

Was konnte ihr noch helfen, sich zu retten? Die Liebe? Oder der Tod?

Hameau les Bouisses – Mitte April

»Nein! Ihr müsst draußen bleiben. Ihr bekommt was zu futtern, aber Willi und Margeaux haben nicht so viel übrig für euch wie ich!«

Margeaux hörte Hilde draußen vor dem Tor mit den Katzen reden. Ihre Haushälterin und Ersatzmutter hatte recht: Willi war nicht besonders gut auf die Nebenbuhler zu sprechen, die kamen und gingen, wie es ihnen passte, und sie hatte ebenso keinen so rechten Zugang zu den eigensinnigen Tieren gefunden, auch wenn sie auf dem Weiler zum Leben dazugehörten. Sie fand sie hübsch anzusehen und bewunderte ihre eleganten Bewegungen, doch sie zählte sich mehr zum »Team Hunde«, besonders zum Team »frecher Dackel«. Willi war aus dem Flegelalter raus, doch seinen Augenaufschlag hatte er behalten. Er lag zu ihren Füßen, und seine Ohren bewegten sich lauschend. Sie fragte sich wie schon so oft, womit der goldige Kerl ihre Stimmen wohl verband? Futter, Streicheleinheiten, eine lange Gassirunde?

»Hey, mein Süßer«, sagte sie zärtlich, und er hob den Kopf und richtete seine treuen, braunen Augen auf sie, »mach dir keine Sorgen, du bist und bleibst unser aller Liebling.«

Er stand auf und legte seine Vorderpfoten auf ihr Bein, meist versuchte sie dies zu unterbinden, aber jetzt ließ sie ihn gewähren und lud ihn mit einer kleinen Handbewegung ein, auf ihren Schoß zu springen, was er freudig tat. Er rollte sich ein, sie streichelte sein Köpfchen und war froh, dass die meisten Bewegungen wieder funktionierten, ohne ihr Schmerzen zu bereiten.

Ihr Ausflug in die Welt der Organisierten Kriminalität im vergangenen Herbst hatte ihr eine erschreckende Menge an Verletzungen eingebracht. Sie hatte als Beamtin der Kriminalpolizei in Stuttgart schon einige harte Kämpfe ausgestanden, doch das Erlebnis in Marseille hätte sie gewiss auch das Leben kosten können. Alle in ihrem Umfeld hatten im Anschluss darauf bestanden, dass sie sich erst einmal vollkommen erholte, bevor sie sich – man erwartete es nicht anders von ihr – erneut unbedacht in ein gefährliches Abenteuer stürzte. Dabei war es gar nicht sie, die die Gefahr suchte, sie fand sie vielmehr.

Sie hatte vor etwas mehr als zwei Jahren den Polizeidienst quittiert, denn der Fall rund um den Serienmörder Martin Angerer und der Krebstod ihrer Mutter hatten sie aus der Bahn geworfen. Es war nur ihrem Vater zu verdanken, dass sie sich wieder gefangen und nicht vollkommen in den Tiefen der Depression verloren hatte. Julien hatte sich in den Zug gesetzt, das »Chez Louise«, sein gefeiertes Bistrorant, sich selbst überlassen und sie zurück in die Heimat geschleift, wo Hilde und Aimé bereits auf sie gewartet hatten. Die beiden hatten sie gemeinsam mit ihrer Großmutter Annabelle großgezogen, während ihre Eltern ihrer Berufung gefolgt waren.

Es war eine wilde und wunderschöne Kindheit gewesen, und nach Barbentane und Hameau les Bouisses zurückzukehren hatte ihre Wunden geheilt.

Und natürlich Willi!

Wenige Tage nach ihrer Ankunft war Julien mit dem kleinen rötlich-blonden Bündel aufgetaucht und hatte den Zwergrauhaardackel in ihre Obhut entlassen. Ein kluger Schachzug, denn mit der Verantwortung für dieses kleine Lebewesen und der liebevollen Zuwendung durch ihre Lieblingsmenschen war sie rasch wieder aufgeblüht. Zudem war Thierry erneut in ihr Leben getreten. Den attraktiven Bäcker und sie hatte bis dahin eine verzwickte On-Off-Beziehung verbunden. Das hatte sich geändert, auch wenn sie zwischendurch mal einen typischen Margeaux-Fluchtanfall bekommen und ihren besten Freund und Ex-Kollegen Frank geküsst hatte. Doch Thierry hatte sich danach mit Frank ausgesprochen und verstanden, dass die Gefühle für Margeaux brüderlicher Natur waren.

Sie schaute auf ihre Hand, die auf Willis Rücken ruhte und von einem außergewöhnlich schönen fünfschichtigen Ring geziert wurde. Thierry hatte ihn extra bei einer Goldschmiedin in Avignon fertigen lassen und ihr letztes Weihnachten einen formvollendeten Antrag gemacht.

Sie planten eine Sommerhochzeit, denn erst einmal waren Elodie und Matze im Fokus, die bald Eltern werden würden. Der begabte junge Hacker, der mittlerweile ein recht bodenständiger Ehemann geworden war – etwas anderes hätte sein Schwiegervater Bap, Thierrys und Elodies Vater, auch nicht zugelassen –, und Elodie liebten einander sehr und hatten die Herausforderung der Schwangerschaft angenommen. Verlobt waren sie zum Zeitpunkt der Zeugung ja bereits gewesen. Die wegen des Kindes in den Spätherbst vorgezogene Hochzeit hatte Thierrys Mutter um ein großes Fest gebracht, und nun floss ihre gesamte Energie in die Eheschließung ihres Sohnes Thierry. Voilà, das würde die Hochzeit des Jahrhunderts werden. Margeaux, obwohl extrem modeaffin, konnte sich einfach nicht in einem Kleid aus Tüll und Spitze sehen und erwog hin und wieder, einfach mit dem Geliebten durchzubrennen, aber letzten Endes würde sie dies seiner Mutter niemals antun. Irgendwie waren alle um sie herum in zufriedenen Partnerschaften, nur Frank und auch ihr Vater waren allein. Frank, weil er erst einmal verarbeiten musste, was der vergangene Herbst ihm über seine Familie offenbart hatte, und Julien, weil er noch immer an Marie-Louise hing. Sie waren mehr als vier Jahrzehnte ein Team gewesen, hatten einander respektiert, und jeder hatte seiner Berufung folgen dürfen, gleichzeitig waren sie eng verbunden gewesen, und ihre Herzen hatten immer im Gleichklang geschlagen.

Margeaux seufzte leise bei dem Gedanken an ihre Mutter und Juliens Einsamkeit.

Hilde kam durch das große Tor herein und lächelte. Ihre obligatorische Kittelschürze war heute so grell, dass sie im Sonnenlicht wie eine Lavendelwiese leuchtete: Lila und grün setzten sich die Stängel und Dolden von einem himmelblauen Untergrund ab.

Es war windig, aber die Sonne hatte Kraft, und in der »stillen Ecke« unter der Mimose kam der Windhauch nicht an. Hier saß man vollkommen geschützt und konnte sich von den wärmenden Strahlen aufladen lassen. Margeaux nahm einen belebenden Schluck Kaffee und schob sich mit der freien Hand ein Stückchen gebuttertes Baguette in den Mund. Hilde ließ es sich einfach nicht nehmen, ihr das Frühstück mundgerecht zu servieren, so, als wäre sie noch immer vier. Margeaux hatte es aufgegeben, die ältere Dame davon zu überzeugen, dass sie mittlerweile erwachsen war. Sie erntete dann regelmäßig nur einen amüsierten Blick unter hochgezogenen Augenbrauen: »Dann musst du dich auch so benehmen, und noch sehe ich das nicht!«

Den Spruch hatte sie verdient, das war ihr vollkommen klar, denn ihre spontanen Aktionen wie die, sich irgendwo auf eine bewaffnete Person zu stürzen oder sich mit gestandenen Schlägern anzulegen, waren in Hildes Augen weit von dem entfernt, was sie als erwachsen interpretierte.

Die propere Südfranzösin mit ostpreußischen Wurzeln blieb auf dem Weg in die Küche neben Margeaux stehen.

»Brauchst du noch etwas, Liebes?«, wollte sie wissen und legte Margeaux die Hand auf die Schulter, während sie den Tisch scannte.

Die Zeit der Rekonvaleszenz hatte sie noch enger verbunden, denn Margeaux hatte oft Hilfe bei ganz einfachen Dingen benötigt, und noch wohnten sie und Thierry nicht zusammen. Irgendwie gefiel ihr der Zustand so, wie er war, recht gut. Jeder hatte seine eigenen vier Wände, in die er sich zurückziehen konnte, und die Gefahr, sich auf die Nerven zu gehen, war dadurch relativ gering. Gut, das war hier im Haus ebenfalls möglich, denn es gab genügend Platz und viele ungenutzte Zimmer. Zudem war da auch noch das Appartement auf der Scheune, in dem Frank wohnte, wenn er hier war. Die Männer hatten sich angefreundet und erlebten meist entspannte Tage zusammen. Margeaux’ Leben war gerade auf eine angenehme Art ereignislos und verlief in geregelten Bahnen. Sie wusste, dass ihr das bald zu langweilig werden würde, doch heute und hier war es vollkommen in Ordnung.

Stuttgart – Mitte April

Frank klopfte an den Türrahmen, und sein Chef Werner Walter blickte von seinem Bildschirm auf.

»Frank, was verschafft mir die Ehre!!!« Was eigentlich eine Frage sein sollte, war, typisch Werner, mit drei Ausrufzeichen versehen.

Egal, wie sehr sie sich im letzten Jahr angenähert hatten, Frank hasste diese Eigenschaft an dem Alten und kniff kurz die Augen zusammen, damit ihm seine Mimik nicht komplett entgleiste. Zwar war Margeaux die Mimik-Expertin, aber sie alle kannten mittlerweile die Basics, sie hatte sie ihnen im Februar in einer Onlinekonferenz ausführlich erläutert. Frank hatte mit dem Zusammenkneifen verhindern wollen, dass eine seiner Augenbrauen hochschnellte und seine Missbilligung verdeutlichte. »Tu bitte nicht so, als würdest du mich nicht täglich sehen«, sprang er sogleich auf die gefühlte Provokation an.

»Wie immer gleich auf hundertachtzig«, kommentierte Werner und grinste.

Frank atmete tief ein, Margeaux hatte ihm nahegelegt, in solchen Augenblicken fünf Sekunden ein- und auszuatmen, damit sich das aufgewühlte Emotionszentrum im Gehirn beruhigte und der Teil, der für das planende Denken und Handeln verantwortlich war, wieder vordergründig tätig werden konnte. Frank fuhr fort: »Ich wollte dir nur einen kurzen Abriss über die Observierung von Beerschneider geben. Ich glaube, wir sollten das ›Il Pastaio‹ echt bald hochnehmen, sonst überlebt er das Ganze vielleicht nicht.« Werner Walter blickte ihn abwartend an. »Er ist mehrfach pro Woche dort, und wir sind uns tatsächlich nicht mehr sicher, ob es nur das Mädchen ist oder ob er mittlerweile auch konsumiert«, erklärte Frank, kam herein und schloss die Tür hinter sich.

Er war nie unrealistisch gewesen und hatte gewiss nicht daran geglaubt, dass mafiöse Strukturen den südlichen Ländern vorbehalten waren, doch dass die Verstrickungen so weit gingen und ihre Tentakel auch den deutschen Justizapparat umschlangen, aufbrachen und immer tiefer in ihn eindrangen, das hatte ihn wirklich schockiert. Er war Polizist geworden, um Unrecht zu verhindern und Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen, doch das war eine vollkommene Illusion gewesen. Diese Erkenntnis hatte seine Grundfesten erschüttert, und die Verstrickungen, die zum Tod seiner eigenen Mutter führten, hatten ihm das sehr deutlich vor Augen geführt.

»Das Eisen ist heiß, Frank, verdammt heiß. Vergiss nicht, was diese Verbrecher mit Myriam gemacht haben.« Werners Gesicht verzog sich schmerzhaft, und Frank wusste, wie sehr ihn das Attentat auf seine Ex-Frau, mit der er sich seit der Scheidung hervorragend verstand, getroffen hatte.

»Das sehen die Kollegen von der Abteilung für Organisierte Kriminalität leider auch so … also dass Beerschneider etwas passieren könnte, und wir brauchen ihn als Kronzeugen.«

Frank setzte sich und fuhr sich durch das blonde Haar. Er schlug die Beine übereinander, was den Blick auf die Socken des Tages freigab. Frank, you know it’s true!, stand in giftigem Grün auf den leuchtend pinkfarbenen Strümpfen, die das Bild eines Rastaman-Hinterkopfes prägte. Die Dinger waren witzig, aber heutzutage verstand kaum einer den Hintergrund, daher waren sie eine Art Insidergag. Er trug seine Socken als absolutes Statement, und mittlerweile musste er sich nicht nur auf das verlassen, was es in den Läden gab, er hatte auch einen Shop gefunden, in dem er sie ganz nach seinem Geschmack erstellen lassen konnte. So waren wirklich außergewöhnliche Stücke entstanden, die häufig auch seine innere Haltung zu Menschen oder Themen repräsentierten.

»Er wird niemals aussagen!!!« Werner schüttelte leicht den Kopf. »Er hat Töchter und weiß sicher nur zu genau, was diese Typen bereit sind, Kindern anzutun.«

»Er kann aber auch nicht mehr als Staatsanwalt tätig sein. Wir können das nicht dulden. Wir WISSEN, was er getan hat und was er tut«, ereiferte sich Frank.

»Wir haben die Kenntnisse illegal erlangt, damit sind wir nicht besser als er«, wandte sein Chef ein.

Jetzt zog Frank seine Augenbraue ganz bewusst hoch. »Echt jetzt, Werner? Du vergleichst unsere kleine Überwachungsgeschichte und Margeaux’ Provokation mit organisierter Kriminalität und einem Staatsanwalt, der zum Handlanger dieser Schergen geworden ist, weil er seinen Sexualtrieb nicht im Griff hat?«

»Ich vergleiche gar nichts«, empörte sich Werner, »ich will dir nur sagen, dass wir Beweise brauchen, und zwar mehr als sichere Beweise. Mich kotzt das doch auch an, Frank. Ich weiß, dass wir oft Differenzen haben, aber ich bin auf deiner Seite und habe dennoch das Gefühl, dass du deine persönliche Geschichte da einfach nicht raushalten kannst. Da ist die Gefahr groß, dass man uns Konstruktion vorwirft …«

»… und der Richter scheucht uns dann schneller vor die Tür, als wir drin waren, und informiert seinen Kumpel, den Staatsanwalt, oder gleich den netten Lieblingsmafioso von gegenüber«, beendete Frank die Ausführungen seines Vorgesetzten verärgert.

»Wir brauchen einfach mehr einflussreiche Verbündete oder eine unabhängige Berichterstattung, die das Ganze öffentlichkeitswirksam aufbaut. Aber dann fürchte ich eben immer noch um Beerschneiders Leben. Ich kann den Typen zwar nicht ab, aber so unsympathisch ist er mir doch dann wieder nicht, dass ich ihn in einem Leichensack sehen möchte … oder seine Mädchen … Gott, das will ich noch nicht einmal denken, geschweige denn aussprechen.« Werner schüttelte sich.

»Wie sollen wir dann weiterverfahren?«, wollte Frank wissen.

Werner beugte sich vor und senkte seine Stimme: »Katja hat einige stabile Journalistenkontakte. Vielleicht lancieren wir ein paar Fakten, und ein seriöser Reporter macht eine gute Story daraus, selbstverständlich ohne Namen … Das könnte Bewegung in die Sache bringen.«

Frank wusste, dass die aktuelle Lebenspartnerin von Myriam als Fotografin tätig war. Das konnte eine Möglichkeit sein, doch wenn sie empfindliche Informationen aus der Hand gaben, hatten sie keinen Einfluss mehr darauf, und das Ganze konnte auch entgleiten.

Er wiegte bedächtig den Kopf. »Klingt nicht schlecht. Könnte Myriam vielleicht ein Auge darauf haben, dass es nicht in die falsche Richtung läuft? Es sollte nur aufschrecken, ich möchte dieses Blut nämlich nicht an meinen Händen haben.«

»Ich ganz gewiss auch nicht!!!« Werner hob abwehrend die Hände. »Ich treffe Myriam diese Woche noch zum Essen, dann bespreche ich es mit ihr.«

Frank mochte die pfiffige Trainerin sehr, sie nahm so gut wie nie ein Blatt vor den Mund. Werner war seit der Scheidung zugänglicher geworden, fast schon nett, aber sie waren noch lange keine Freunde.

»Da ist noch etwas«, sagte er und richtete sich auf dem Stuhl auf, »wir brauchen Margeaux.«

»Den Anruf übernehme ich«, sagte Frank und zückte sein Telefon.

Orange – ein Jahr zuvor

Sie schaute sich im Spiegel an, und ihr Blick war kritisch, denn sie wollte perfekt aussehen. Sie ging nicht oft zu Dates, denn die in der virtuellen Welt geschlossenen Kontakte entpuppten sich regelmäßig als absolute Flops, und die Enttäuschung, die darauf folgte, war mehr als ernüchternd. Ja, sie hatte auch ein klein wenig geflunkert in ihrem Profil, aber sie hatte nicht angegeben, siebenundzwanzig zu sein, und auch nicht das Bild einer anderen Frau benutzt. Ihr eigenes Foto war nur ein wenig nachbearbeitet, und sie hatte bei ihrer Figur gemogelt, aber es gab nichts, was man nicht mit guter Shapewear hinbekommen konnte. Sie würde sich sowieso nicht gleich auspacken lassen, also bekam auch niemand die funktionale Unterwäsche zu sehen.

Sie bürstete ihr Haar mit langen Strichen, es war ein großer Teil ihres Potenzials und hatte eine starke Wirkung auf Männer. Es war lockig und lang und umschmeichelte sie. Ihr Gesicht war klar geschnitten, und ihre Wangen hatte sie mit flüssigem Rouge rosig gefärbt, sodass sie strahlend wirkten und die grünen Augen leuchten ließen, denn das war wirklich nötig. Ihre Augen waren ihr Problem, denn die zeigten sehr schnell, was sie wirklich empfand, und selbst wenn der Kerl kein erfolgreiches, gut aussehendes Exemplar sein sollte, dann wollte sie ihm trotzdem erst mal eine Chance geben. Sie war zu allein in ihrem Leben und sehnte sich wirklich nach einem Menschen an ihrer Seite. Sex war nebensächlich für sie, aber sie wusste, dass es für die meisten Männer dazugehörte. Sie jedoch war auf der Suche nach einem Lebensgefährten.

Ein weiterer Blick in den Spiegel sagte ihr, dass mehr nicht möglich war, sie hatte alles aus sich herausgeholt. Sie nahm ihre Tasche, strich das leichte Strickkleid glatt, das locker ihre Figur umspielte.

Sie hatten unter zwanzig Grad, daher nahm sie den Mantel vom Haken und verließ das Hotelzimmer. Gut, was ihren Wohnort anging, war sie auch nicht ganz ehrlich gewesen, aber für den Fall, dass er ihr gar nicht passte, brauchte sie ganz sicher keinen Stalker. Sie hatte schon zu viel erlebt, und es war einfach eine Vorsichtsmaßnahme.

Der weiche Teppich im Flur dämpfte ihre Schritte, und obwohl sie hohe Schuhe trug, hatte sie das Gefühl, auf einem Wolkenteppich dem Date entgegenzuschweben. Vielleicht hätte sie das zweite Glas Champagner nicht trinken sollen, um dem Mut auf die Sprünge zu helfen.

Sie erreichte den Aufzug und stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie einfach auf einen Knopf drücken könnte und sich die Tür vor dem Menschen öffnete, mit dem sie ihr restliches Leben verbringen würde. Kurz war sie versucht hineinzutanzen, ihr Mantel bauschte sich fröhlich auf, als sie die Kabine betrat. Gewiss würde alles gut gehen. Sie betrachtete sich noch einmal im Spiegel und stellte fest, dass das gedämpfte Licht ihr schmeichelte. Zuversicht machte sich in ihr breit, und sie hoffte, dass der Abend sie nicht enttäuschen würde.

Avignon – Mitte April

Aimé klopfte an die Rundbogentür mit den Sprossenfenstern, die sich in den steinernen Bogen schmiegte, der den Innenhof des »Chez Louise« von der schmalen, kopfsteingepflasterten Straße trennte. Man musste zwei breite Stufen aus hellem, ausgetretenem Sandstein hinaufgehen und stand dann vor der imposanten Platane, die nun langsam wieder begann, ihr Blätterdach über den Tischen auszubreiten. Zurzeit fehlte die Außenbestuhlung noch, auch wenn es langsam wärmer zu werden begann.

Julien erwartete ihn und öffnete die Tür, kaum dass der drahtige Dorfpolizist von Barbentane an die Scheibe gepocht hatte.

»Aimé, mein Freund.« Julien schloss ihn in die Arme und begrüßte ihn mit den üblichen drei Wangenküssen, dann klopften sie einander freundschaftlich auf die Schulter. Sie waren Freunde seit Jugendtagen, und Aimé war es gewesen, der der angehenden Ärztin Marie-Louise Winter den zurückhaltenden Koch Julien Surfin vorgestellt hatte. Die kleine Margeaux war sehr schnell und ungeplant in das Leben ihrer Eltern geplatzt, die noch nicht so recht bereit für ein Kind gewesen waren. Marie-Louises Vater war unerwartet verstorben, und die junge Frau hatte nicht ihren Traum leben können, als Ärztin zu praktizieren, sondern das Familienunternehmen weltweit führen müssen. Das hatte sie äußerst erfolgreich getan, aber für Aimé, der die Zweisamkeit mit seiner Hilde schätzte, war es nur schwer nachzuvollziehen gewesen, dass die Ehepartner immer wieder ihren eigenen Weg gegangen waren.

Das Kind war ein wenig auf der Strecke geblieben, und so hatten Marie-Louise und Julien irgendwann entschieden, Margeaux in der Obhut ihrer Großmutter und ihrer Freunde auf dem großzügigen Anwesen zwischen Barbentane und Boulbon aufwachsen zu lassen, um nicht das Nomadenleben ihrer Eltern mitmachen zu müssen.

Dass die beiden jungen Leute ihnen ihr Kind anvertraut hatten, war etwas, was Aimé dem Freund niemals vergessen würde, denn Hilde, die damals eine Fehlgeburt erlitten und dem Alkohol zugesprochen hatte, war durch den unerwarteten »Familienzuwachs« wieder aufgeblüht. Sie war eine patente Frau, hatte das Herz am rechten Fleck, machte aber auch keinen Hehl daraus, wenn ihr etwas nicht gefiel. Ein Leben ohne sie war für ihn nicht vorstellbar, und so wollte er auch für seinen Freund Julien nur das Beste. Es war nicht gut, dass er allein war. Marie-Louise hätte das nicht gewollt, dessen war er sich sicher.

»Hast du die Maschine schon an und kannst mir einen Café noir machen?«, fragte er den Freund.

Julien nickte und schob ihn in das Bistrorant, das er noch mit seiner Frau gemeinsam eingerichtet hatte und das selbst am Vormittag wunderschön und einladend wirkte. Julien hatte sich nach all seinen Reisen und Stationen bei großartigen Köchen den Traum eines eigenen Restaurants erfüllt und es geschafft, zu den absoluten Geheimtipps der Stadt zu werden. Er hatte all seine Energie in den Laden gesteckt, und ganz sicher hatte ihm das auch geholfen, mit seiner Trauer umzugehen. Doch mittlerweile war er eher mager und sein Gesicht spitz, was nicht nur Margeaux dazu gebracht hatte, ihren Vater wieder und wieder darauf hinzuweisen, dass er sich mal verabreden sollte. Da sich der erfolgreiche Koch schwertat, auf Freiersfüßen zu wandeln, war die Idee aufgekommen, sich auf einem Onlineportal umzuschauen. So sollte er sich unverbindlich im Flirten üben.

Julien war jedoch vollkommen überfordert mit diesem Ansinnen und hatte einen Hilferuf abgesetzt. »Aimé, du musst kommen und mir helfen, diese Fragen zu beantworten. Gott, ich weiß noch nicht einmal, wie ich mein Äußeres beschreiben soll. Ich kann eine ideale Courgette beschreiben, aber mich? Ich brauche deine Unterstützung, alter Junge.«

Also hatte sich der Flic rasch mit Matze König kurzgeschlossen, um sich von dem Internetgenie Tipps für die Dinge, die man tat oder auch nicht tat, geben zu lassen.

»Wollen wir gleich loslegen? Meinst du es wirklich ernst?«, vergewisserte sich Aimé.

»Wenn du mich so fragst, sage ich ehrlich Nein«, schnaubte Julien, während er die Tasse unter der Kaffeemaschine zurechtschob, »ich bin mir wegen gar nichts sicher, aber ich möchte auch nicht noch tausendmal mit Margeaux darüber diskutieren. Unterm Strich hat sie ja recht, allein sein ist nicht gut, aber ich bin noch nicht so lange Witwer, und es kommt mir fast so vor, als würde ich Marie-Louise dadurch verraten oder unsere Liebe kleiner machen.«

Aimé war erstaunt über den Einblick, den ihm Julien in sein Gefühlsleben gab. Er wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als der Chefkoch ihm das duftende braune Gebräu hinstellte und meinte: »Ich will es versuchen. Meine Schwiegermutter hat immer gesagt: ›Versuch macht kluch.‹«

Aimé musste grinsen. Er sah die alte Dame, die sich nach dem Tod ihrer Tochter in eine Seniorenresidenz im Schwarzwald zurückgezogen hatte, bildlich vor sich: »Ja, das passt zu ihr.«

»Man soll sich mit Adjektiven beschreiben, die aussagekräftig sind«, las Julien vor und drehte den Bildschirm des Laptops so, dass Aimé ihn auch im Blick hatte. Die Felder waren alle noch leer.

»Lass uns anfangen, gemeinsam schaffen wir das.« Aimé zog den hibbeligen Koch zu sich an den Tisch und legte seine Hände auf die Tastatur.

Orange – ein Jahr zuvor

Zurück im Hotel, waren ihre Gefühle recht gemischt gewesen. Der Mann hatte sich äußerlich als ansehnlich erwiesen, wobei sie stark an der Darstellung seiner inneren Werte zweifelte, denn so, wie er sich über den Hauptgang beschwert hatte, stand Wertschätzung in der Gastronomie wohl doch nicht ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Sein Weingeschmack war jedoch exzellent gewesen, und er hatte es am Ende sogar ohne großen Firlefanz akzeptiert, dass sie ihren Anteil der Rechnung selbst begleichen wollte, obwohl er bereits mit großer Geste seine Kreditkarte auf den Tisch geworfen hatte. Die Komplimente, die er ihr gemacht hatte, waren nicht überfrachtet gewesen und hatten lehrbuchmäßig die richtigen Knöpfe gedrückt. Sie hatte geschmeichelt getan, ihn an den richtigen Stellen gelobt und sein Ego gestreichelt. Alles in allem also ein schöner und vielversprechender Abend.

 

Am nächsten Morgen verabredeten sie sich erneut in einem Restaurant, in dem man ihn nicht kannte. Ich möchte deine Aufmerksamkeit nicht teilen müssen, erklärte sie den Wunsch, und er sendete ein Emoticon mit Herzchenaugen und willigte ein. Sie schrieben weiterhin über den Chat des Datingportals, denn ihre Telefonnummer würde sie in diesem Stadium noch nicht herausgeben. Bereits gestern hatte er versucht, sie auf einen Absacker zu sich nach Hause einzuladen, und dabei mehrfach betont, dass sie sich keine Sorgen machen müsse, denn er sei keiner von der Sorte, die Grenzen nicht verstehen würden.

Vielleicht würde sie heute Abend mitgehen, sie war sich noch nicht sicher. Ihre Kopfhaut juckte ein wenig, und sie fuhr sich vorsichtig mit den Händen durch die kurzen, strubbeligen Haare, dann schlüpfte sie in die weißen Sneakers, schlug die blaue Cargohose noch etwas um, sodass ihre Knöchel zu sehen waren, und schob das weiße einfache Langarmshirt in den Hosenbund. Ungeschminkt und mit Hornbrille war sie mit der Frau vom Vorabend nicht zu vergleichen. Ein kleines Speckröllchen kroch über den Bund, denn sie trug keine Unterwäsche, die ihre Figur beschönigte. Das bekam man, wenn man die Verpackung entfernte. Ob er dazu schon bereit war? Heute Abend gewiss noch nicht. Heute Abend würde sie sich wieder zurechtmachen. Das attraktive Outfit mit dem langen Haar war einerseits lockende Verkleidung und andererseits auch Maske und Rüstung. Es bewahrte sie vor bösen Überraschungen, bevor man sich überhaupt richtig kennengelernt hatte. Sie biss sich fragend auf die Unterlippe und dachte, während sie ihren Rucksack schulterte, darüber nach, wie lange sie wohl noch brauchen würde, um ihrem Herzenspartner zu begegnen, und ob er sie heilen würde, denn in ihrer Seele brannte ein Schmerz, den keine Pille lindern konnte.

Hameau les Bouisses – Mitte April

»Ich habe mittlerweile mit jedem telefoniert, den ich kenne, und denke sogar schon darüber nach, mit dem Puzzeln zu beginnen«, erklärte Margeaux. »Also lautet meine Antwort auf deine Frage: JA!«

»Ich habe nichts anderes erwartet«, sagte Frank zufrieden, »und es ist auch keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Wir brauchen dich wirklich hier. Dieser Fall ist irgendwie verzwickt, und du weißt genauso gut wie ich: Wenn Kinder im Spiel sind, sind wir alle irgendwie …« Er suchte nach Worten.

»Entsetzt, betroffen, wie eingefroren, schockiert«, kam sie ihm zu Hilfe.

»Alles davon passt, und die Öffentlichkeit ist uns natürlich auch auf den Fersen«, seufzte er.

»Wie läuft es denn mit deiner Partnerin?«, fragte sie ihn, denn sie wusste, wie schwer Frank es der jungen Frau anfangs gemacht hatte, weil sie eben nicht Margeaux war. Das Team Surfin-Kaiser war einst unschlagbar gewesen und daher legendär. Diese Schuhe waren schon von Grund auf groß, aber Frank hatte sie zu einer Art Heiligem Gral erkoren und mehrere Partner und Partnerinnen nacheinander verschlissen.

»Es wird«, sagte er wie nebenbei, und sie konnte an seinem Tonfall hören, dass es fast stimmte.

»Was passt nicht? Sie ist clever, mutig, verlässlich, vertrauenswürdig und gesetzestreu. Eine ideale Partnerin, zudem ist sie lernwillig. Du solltest endlich aufhören, uns nachzutrauern. Ich komme beratend zu den spannenden Fällen, und das ist doch eine supergute Lösung für uns, um zusammenzuarbeiten. Ansonsten besuchst du uns hier, und wir genießen die gemeinsame Zeit.« Sie sprach mit ernster Strenge, denn er musste das endlich hinnehmen und seine letzten Hoffnungen loslassen.

Margeaux hatte gelernt, Frank besser zu verstehen und warum sie so wichtig für ihn war: Er hatte keine Familie, und sie selbst beinahe ein ganzes Dorf, um schwierige Situationen zu meistern. Doch sie würde nicht mehr in den Polizeidienst zurückkehren. Sie hatte diese Tür für sich geschlossen und war glücklich mit dem Angebot von Werner Walter, in besonderen Fällen als Mimikexpertin beratend hinzugezogen zu werden. Und dann war da ja auch noch ihre Genehmigung, als Officier de Liaison für die französische Polizei unterstützend zu arbeiten – das war ihr Ausgleich zu den vielen langweiligen Aufträgen als Privatdetektivin.

»Ich weiß, dass du recht hast, und ich will mir ja auch Mühe geben, doch sie nervt mich mit ihrer neunmalklugen Art einfach zu oft«, gab er zu.

»Erzähl mir, worum es geht und was ihr von mir erwartet«, forderte sie ihn auf.

»Wir haben zwei tote Mädchen: Die siebenjährige Carla wurde in der Nähe der Bärenhöhle oben auf der Alb gefunden, und die achtjährige Chantel in einem kleinen Ort zwischen Reutlingen und Bad Urach – Dettingen an der Erms, um genau zu sein. Die Orte sind unabhängig voneinander und haben von der Art und Beschaffenheit her nichts gemeinsam. Doch die Vorgehensweisen sind in gewissen Details fast deckungsgleich, sodass wir von demselben Täter ausgehen. Gestern haben wir jemanden inhaftiert, und kaum zwei Stunden später kommt die nächste Hiobsbotschaft: In Westerheim ist die achtjährige Enya vermisst gemeldet. Sie war einige Stunden allein zu Hause, da ihre Mutter arbeiten musste und sie keine Ferienbetreuung hatte. Daher hat sie das Fehlen des Kindes auch erst bemerkt, als sie abends zurückkam. Seitdem etwa ist die Hundestaffel unterwegs, und der Hubschrauber fliegt, aber die anderen Mädchen sind auch Kilometer von zu Hause gefunden worden. Das ist die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Vielleicht lebt sie noch, Margeaux«, schloss er eindringlich.

»Warum habt ihr mich nicht früher angerufen?«, wollte sie wissen und scrollte schon auf ihrem Handy durch den Flugplan von Marseille. »Wenn ich jetzt sofort alles stehen und liegen lasse, dann schaffe ich den Flieger um 15.30 Uhr noch.«

»Wir haben erst gehofft, dass sie draußen herumstromert, so wie Kinder das eben manchmal tun, oder sich irgendwo versteckt, und außerdem hatten wir den Verdächtigen ja schon festgesetzt«, entschuldigte er sich.

»Mensch, Frank, wenn das Kind noch lebt, zählt jede Minute, das wissen wir doch ganz genau. Lässt der Kerl, den ihr da festgenommen habt, denn gar nichts raus? Wie sicher seid ihr, dass das Kind eines seiner Opfer sein könnte? Was habt ihr ihm schon alles angeboten?« Sie ratterte all die Fragen herunter, die ihrem Polizistengehirn in den Sinn kamen – dem Denkapparat einer Ermittlerin. Ihre Kindheit hatte ihr das Vorbild Aimé geschenkt, und sie hatte sich immer mehr an ihm und Hilde orientiert als an ihren stets abwesenden Eltern. Insofern war es ihr als völlig normal erschienen, in seine Fußstapfen zu treten. Der gewitzte Dorfpolizist war so stolz gewesen, dass ihm die Tränen gekommen waren, als sie offiziell in Deutschland verbeamtet worden war. Hilde und er waren extra angereist und hatten der Zeremonie mit stolzgeschwellter Brust beigewohnt.

»Heißt das, du bist heute Abend noch hier und kannst ihn dir vorknöpfen?«, wollte er wissen, und sie hörte die Erleichterung in seiner Stimme.

»Ich bin schon dabei zu packen, den Flug habe ich noch nicht gebucht, denn es ist zu knapp für eine Onlinebuchung. Ich rufe die Airline gleich an. Ich kann dir aber ganz sicher sagen, dass du bei Hilde gerade keine Pluspunkte sammelst, denn sie steht hinter mir, die Arme in die Seiten gestützt und schaut mich an, als wolle ich zum Bungee-Jumping gehen und es mal ohne Seil probieren«, schilderte Margeaux ihre Situation mit einem Augenzwinkern, obwohl ihr gar nicht danach war. Fälle mit Kindern waren etwas, das sie alle ganz besonders mitnahm, und sie spürte bei dem Gedanken an das kleine Mädchen einen unangenehmen Druck in der Lunge, die sich nach der Verletzung durch die gebrochene Rippe nur langsam erholt hatte. Sie durfte sich keine Schwäche anmerken lassen, sonst würde Hilde sie gewiss mit einer Wäscheleine am Sofa anbinden. Damit hatte sie früher immer gedroht, wenn Margeaux und Hildes eigener Sohn Pierre Flöhe in der Hose hatten und nicht im Haus zu halten waren.

»Wenn du mich auf laut schaltest, entschuldige ich mich in aller Form bei ihr, meinem Charme kann sie gewiss nicht widerstehen«, versuchte sich Frank in einem leichten Ton, um der Situation die Schwere zu nehmen.

Margeaux wusste, dass es genau das war, was er vermisste. Denn mit »der Kleinen«, so nannte er seine aktuelle Partnerin, konnte er das nicht, und er erklärte Margeaux regelmäßig bei ihren Telefonaten, wie sehr ihm diese Art von Humor fehle. Je vertrauter ein Team war, umso eher war es möglich, auch in den furchtbarsten Situationen eine Bemerkung zu machen, die den Kreislauf der Frustration und Hilflosigkeit durchbrach, denn auch das waren sie oft gewesen: hilflos!

»Hilde ist nicht taub, Frank, das ist dir schon klar, oder? Sie steht quasi direkt hinter mir, da muss man sich schon die Finger in die Ohren stecken und singen, um nichts zu verstehen!«

Margeaux legte einige Sachen heraus, wählte sie bewusst nach Reisetauglichkeit und einer langen Verhörzeit aus. Sie hatte ein junges, frisches Label aus der Schweiz entdeckt und sich mit bequemen, aber schicken Jogpants in Schwarz und Waldgrün eingedeckt, dazu Blusen und die passenden Iconic-Blazer. Die Outfits waren sowohl mit ihren geliebten High Heels als auch schicken Sneakers zu kombinieren, knitterten in der Reisetasche nicht und ließen sich platzsparend zusammenpacken.

Frank versuchte währenddessen ihre Fragen zu beantworten, doch es war nicht besonders ergiebig, was er und seine Kollegen vorzuweisen hatten: »Wir haben es mit allen möglichen Subtiltechniken probiert, aber der Typ grinst nur und sagt nichts, und das darf er, denn der Richter kann das Schweigen ja nicht gegen ihn verwenden. Ich wollte ihn so gern schlagen, wirklich Margeaux, meine Faust wollte in sein Gesicht oder woanders hin. So oft, bis er den Mund aufmacht, aber wir sind ja zivilisiert und lassen lieber ein Kind sterben, als die Rechte eines Mörders zu verletzen. Seit der Gäfgen-Geschichte ist die Polizei wirklich übervorsichtig, aber das weißt du ja. Also keine Angst vor einem Kaiser’schen Alleingang.«

Er klang verbittert.

Sie alle hatten die Entführung des kleine Jakob von Metzler durch den Jurastudenten Magnus Gäfgen bei diversen Weiterbildungen als abschreckendes Beispiel vermittelt bekommen. So sollte Polizeiarbeit nicht aussehen, das war schon richtig, doch sie hatten sich oft genug in den langen Nächten gemeinsamer Observierungen darüber unterhalten, wie sie wohl in einem solchen Fall reagiert hätten. Sowohl der Polizeipräsident als auch der ermittelnde Kriminalhauptkommissar waren rechtskräftig verurteilt worden, nachdem sie beschlossen hatten, die Wahrheit durch Gewaltandrohung aus dem Verdächtigen herauszukitzeln. Das Kind war bereits tot gewesen, doch das hatten die Polizisten nicht gewusst. Sie hatten einfach alles tun wollen, um den Jungen zu retten.

Doch der Zweck heiligte nicht immer die Mittel, und sie mussten sich an die Regeln halten, sonst konnte niemand mehr ihrer Arbeit vertrauen. Das änderte jedoch nichts daran, dass solche Gefühle der Wut schnell mal aufkommen konnten.

»Ich verstehe deine Verärgerung und dass das entmutigend ist, aber stell dir vor, er gesteht unter solchen Umständen und kann dann nicht rechtskräftig verurteilt werden, weil das Geständnis erzwungen wurde«, sagte Margeaux und zog den Reißverschluss ihres Weekenders zu.

»Weißt du, das wäre mir sogar fast egal, wenn ich das Kind retten könnte«, antwortete Frank leise.

»Und was wäre mit denen, die danach gefährdet sind«, wollte sie wissen, obwohl sie genau verstand, wie es ihm ging. Doch das war eine Grundsatzdiskussion der Polizeiarbeit, und sie hatte sich immer gegen die Versuchung gewehrt, auf fragwürde Art an Aussagen zu kommen.

»Wenn sie nicht genauso zurückkommt, wie sie gerade hier vor mir steht, fliege ich persönlich nach Deutschland und beende deine Karriere, mein Junge«, meldete sich nun Hilde zu Wort, »wenn nötig auch mit einer Tracht Prügel!«

Frank schluckte vernehmlich, er respektierte Margeaux’ patente Ziehmutter sehr: »Hilde, ich verspreche dir, dass ihr nichts geschieht. Ich nehme sie an die Leine und gebe auf sie acht.«

»Du verwechselst mich mit Willi, oder?«, empörte sich Margeaux. »Eine Leine lasse ich mir gewiss nicht anlegen, aber«, sie wandte sich zu Hilde um, »ich verspreche dir, dass ich kein Risiko eingehen werde. Wirklich! Ich habe keine Lust, erneut im Krankenhaus zu kampieren.«

Hilde warf ihr einen Blick zu, der so viel aussagte wie: Wer’s glaubt, wird selig!

Margeaux richtete ihre Worte erneut an ihren Kollegen aus Deutschland. »Also, Frank, ich mach mich auf die Socken, bis später!«

Sie nahm ihre gepackte Tasche vom Bett, hängte sie sich quer über den Körper und schlüpfte in die schwarzen Hightop-Sneakers mit innen liegendem Plateauabsatz. Sie schaute sich noch einmal prüfend um und ging dann achtsam die ungleichen Stufen hinab. Die Holzverschalung auf den Sandsteinstufen hatten ihre Großeltern aus welchen Gründen auch immer anfertigen lassen. Das polierte Holz machte die Stufen glatt, und die unterschiedlichen Höhen erschwerten ein normales Treppensteigen. Sie hatte schon des Häufigeren überlegt, die Verschalungen entfernen zu lassen, um zu sehen, wie die Originalstufen darunter beschaffen waren. In diesem Jahr würde sie es vielleicht in Angriff nehmen. Sie hatte das große Anwesen in der Nähe des Klosters St. Michel de Frigolet nach dem Tod ihrer Mutter geerbt und war nun auch verantwortlich dafür. Einigen Räumen hatte sie bereits ihren Stempel aufgedrückt und andere so belassen, wie sie schon seit Jahrzehnten waren. Marie-Louise hatte sich hervorragend um das elterliche Unternehmen KaWiTech gekümmert, bevor sie sich einige Jahre lang ihrem ursprünglichen Traum, bei Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten, widmete, daher war Margeaux heute mehr als wohlhabend. Finanziell hatte sie es nicht nötig, Polizeiarbeit zu machen oder als Detektivin Eheleuten nachzuspionieren, doch das war für sie nie die Motivation gewesen, dieser Tätigkeit nachzugehen. Sie mochte es, für Recht und Ordnung zu sorgen, und brauchte etwas zu tun.

Am Ende der Treppe stand ein altmodischer Telefontisch mit einem Festnetzapparat, und die Wand aus bröseligem Sandstein zierte ein Spiegel. Sie warf einen raschen Blick hinein und war zufrieden mit dem, was sie sah: Das lockige dunkelblonde Haar hatte sie am Oberkopf zu einem lockeren Knoten geschlungen, einige vorwitzige Strähnen ringelten sich über den Ohren und ließen ihr Gesicht weich erscheinen. Sie trug eine knallrote Hose, die sich an ihre durchtrainierte Figur schmiegte und ihre langen Beine betonte, die sie an den Knöcheln leicht aufgeschlagen hatte. Dazu eine lässige schwarze Bluse, die vorn im Hosenbund steckte. In der Reisetasche wartete ein Paar Pumps mit roter Sohle und schwindelerregend hohem Stiletto-Absatz darauf, zum Einsatz zu kommen. Es war ihr egal, wenn sie jemand als Modepüppchen bezeichnete oder ihr aufgrund ihrer Affinität für High Heels den Verstand absprach. Sie hatte so lange mit Frank in vorderster Front gegen die raffiniertesten Verbrecher gekämpft, dass die Presse ihr alles Mögliche angedichtet hatte. Sie hatte gelernt, damit umzugehen und einfach sie selbst zu sein. Ihre Intelligenz wurde durch hohe Schuhe und Designerjäckchen weder gemindert noch gesteigert. Auch ihre obligatorische Sonnenbrille durfte nicht fehlen, und sie hatte einige Modelle ihrer umfangreichen Sammlung in die Tasche gepackt, um je nach Tagesform eine Auswahl zur Hand zu haben. Lässig zierte heute ein schwarzes Ray-Ban-Modell ihren Kopf.

Hilde kam hinter ihr die Treppe hinab und trug den Dackel, der den beiden Frauen überallhin folgte. Seitdem er durch eine Kugel schwer verletzt worden war, war er anhänglicher geworden, und Hilde verwöhnte ihn seither noch ein wenig mehr. Falls das überhaupt möglich war. Die Treppe jedoch war für den kleinen Kerl mit seinen kurzen Beinchen schon immer eine Herausforderung gewesen. Oft schlitterte er darauf herum, daher trug ihn die Haushälterin, wenn es schnell gehen musste.

»Du hast alles mitbekommen«, wandte sich Margeaux an ihre Ziehmutter, »es geht um ein Verhör im Präsidium und darum, ein Kind zu retten. Ich schwöre, dass ich mich nicht in Gefahr begebe.« Kurz war sie versucht, die Finger zu überkreuzen, aber sie verspürte tatsächlich kein Bedürfnis, ein Risiko einzugehen.

»Margeaux«, begann Hilde und schüttelte dann kurz und fast unmerklich den Kopf, sodass die Jüngere sie aufmerksam betrachtete, »du musst wissen, was du tust.«

»Aber du glaubst, dass ich es nicht weiß und mit offenen Augen nach allem suche, was mir Schwierigkeiten bereiten kann«, fasste Margeaux das zusammen, was Hildes Körper ihr verraten hatte.

»Ich wünsche dir wirklich, niemals in solche Situationen zu kommen, in denen ich in den letzten Jahren mehrfach war! Einen geliebten Menschen so zerschlagen und dem Tod nahe zu sehen, das hinterlässt Spuren. Hast du vergessen, wie sehr du gelitten hast, als es deiner Mutter immer schlechter ging oder als Willi operiert wurde?« Hilde stand direkt vor ihr, das Gesicht von Sorge zerfurcht.

Margeaux umarmte sie spontan und legte ihre Wange an Hildes. Der vertraute Geruch nach Olivenölseife und gebratenem Frühstücksei stieg ihr in die Nase, und sie fühlte sich ihr so verbunden. Sie war nicht umsonst ihre Ersatzmutter: Tiefe Zuneigung verband sie, und dafür brauchte es keine Blutsbande.

»Ich verspreche es. Ich hab dich lieb, Hilde«, sie hauchte ihr einen Kuss auf den Haaransatz, »und ich bin so schnell es geht wieder zurück. Thierry und Papa informiere ich von unterwegs, und mit Aimé möchte ich sowieso telefonieren, um seinen Rat anzuhören.«

»In Ordnung, mein Mädchen«, seufzte Hilde.

Margeaux wusste, dass sie meinte, was sie sagte. Sie war Hildes »Mädchen« und würde die Sorge im Herzen der Frau nicht abstellen können.

Barbentane – Mitte April

Thierry hatte soeben eine große Bestellung an eines der angesehenen Hotels in Avignon ausgeliefert. Die Saison startete gerade, und das »Cloitre« hatte ihn schon länger gebeten, sie zu beliefern. Eigentlich mochte er nicht bis Avignon fahren, um Gebäck an den Mann zu bringen, andererseits war er aber auch stolz darauf, sich einen Namen gemacht zu haben, der die Grenzen des kleinen Ortes Barbentane weit überschritt. Er war seinem Herzen gefolgt und hatte sich dem Bäckerhandwerk verschrieben und war nicht in das elterliche Unternehmen in Arles eingestiegen, obwohl sein Vater ihn immer wieder in diese Richtung hatte drängen wollen. Das Hotel war etabliert und außergewöhnlich. Er mochte es sehr, doch die Arbeit mit Teigen und zu sehen, was daraus unter seinen Händen entstand, mochte er einfach mehr. Zudem war es nicht leicht, mit dem dominanten Bap, so nannten alle seinen Vater Jean-Baptiste, umzugehen.

Thierry hatte bereits in seiner Kindheit seine Zeit lieber an der Seite des Patisseurs in der Hotelküche verbracht, als im Büro neben dem Vater zu sitzen. Vielleicht würde eine seiner Schwestern irgendwann dem Ruf folgen und in die Fußstapfen des rührigen Bap treten – er auf jeden Fall nicht. Er genoss es, sein eigener Herr zu sein und für das Blühen seines kleinen Unternehmens alles selbst in der Hand zu haben … im wahrsten Sinne des Wortes.

Aimé hatte ihn vor einigen Jahren auf den Laden in Barbentane hingewiesen, da sich der alte Bäcker nach dem Ruhestand sehnte. Thierry hatte die Chance ergriffen und sich seinen Traum erfüllt. Jetzt stand eine weitere Wunscherfüllung bevor: Er würde Margeaux heiraten. Sie hatten bereits einiges miteinander durchgestanden, und auch wenn es kurzzeitig so ausgesehen hatte, als würden sie einander dadurch verlieren, hatte es zum Schluss doch dazu geführt, dass sie noch mehr zusammengewachsen waren. Er mochte ihren gefährlichen Job nach wie vor nicht, hatte aber zu akzeptieren gelernt, dass sie liebte, was sie tat. Wollte er sie, dann bekam er eben auch die Mimikexpertin und Mordermittlerin dazu. Margeaux konnte und wollte das nicht ablegen, auch wenn sie den Polizeidienst in Deutschland quittiert hatte. Sie würden sich eine Zukunft aufbauen, und er hoffte, dass sie eine gemeinsame Mitte fanden.

Er lenkte den Wagen durch die verkehrsberuhigte Straße auf seinen Laden zu. Langsam fuhr er über die hohen Schwellen, die das Rasen tatsächlich unmöglich machten, und winkte vereinzelten Personen zu, die sich am Straßenrand unterhielten. Er gehörte in Barbentane mittlerweile zum Inventar, und die Leute mochten ihn. Er kam aus Arles und war somit kein Dörfler, daher hatten sie ihn anfangs noch vorsichtig beäugt, dann aber rasch festgestellt, dass er ein bodenständiger Kerl war. Und als sie dann auch noch mitbekommen hatten, dass die engelsgleiche Elodie in der École maternelle in Boulbon seine Schwester war, hatten sich ihre Herzen wie durch Zauberhand geöffnet. So war seine kleine, zärtlich geliebte Schwester eben. Jeder in ihrem Umfeld verehrte sie, denn sie war nicht nur wunderschön, sondern bezauberte mit ihrem Wesen und hatte für jeden Menschen ein Lächeln und liebevolle Worte übrig. Es war eine Gabe … ebenso wie ihr grüner Daumen.

Ihr Garten war ein blühendes Paradies, und Thierry fand sich nicht selten dort ein, um aufzutanken. Wobei er sich eingestehen musste, dass es weniger geworden war, seitdem sie verheiratet und werdende Mutter war. Er wollte die letzten Wochen der Zweisamkeit zwischen ihr und Matze nicht stören, denn wenn das Baby erst einmal auf der Welt war, war es wohl damit vorbei. Das Baby … Es war sonderbar für Thierry, darüber nachzudenken. Eben noch war Elodie selbst ein kleiner Fratz gewesen, und nun trug sie ein neues Leben unter dem Herzen. Er hatte sich sofort für sie gefreut, aber auch einen winzigen Stachel in sich gespürt, denn seine Entscheidung für Margeaux bedeutete auch eine Entscheidung gegen ein Kind. Grundsätzlich hatte sie sich nie mit Mutterqualitäten gesehen, sie liebte die risikoreiche Polizeiarbeit zu sehr, hatte an einem Spezialprogramm des FBI in den USA teilnehmen dürfen und sich auf ihre Karriere und das Dingfestmachen von grausamen Verbrechern fokussiert. Und nun hatte sie einfach ein Alter erreicht, in dem sie nicht mehr Mutter werden wollte. Er sah sich ebenfalls nicht als grauhaarigen Vater, den dann alle mit dem Opa des Kindes verwechselten. Er würde all seine Liebe einfach auf Elodies Baby übertragen und der beste Onkel der Welt werden. Bei diesem Gedanken huschte ein breites Lächeln über sein Gesicht.

Er parkte den Wagen gerade auf dem Platz unterhalb der Gendarmerie, als sein Telefon klingelte und Margeaux’ Bild aufleuchtete. Erfreut nahm er das Gespräch an.

»Guten Morgen, Chérie, hast du gut geschlafen?«, fragte er zärtlich, denn wenn er Backstubendienst hatte, stand er gegen zwei Uhr auf, um seine Arbeit zu beginnen.

»Du weißt, dass ich immer einen Augenblick brauche, um mich an die Leere neben mir zu gewöhnen, aber danach habe ich noch mal sehr gut geschlafen«, erklärte sie, und er konnte hören, dass sie unterwegs war.

»Bist du gerade auf dem Weg zu mir?«, wollte er wissen und freute sich darauf, sie in seinem Büro leidenschaftlich zu küssen.

»Nein«, sagte sie, und die Verbindung rauschte ein wenig, »ich bin gleich auf der Autobahn. Ich fliege nach Deutschland. Bitte, reg dich nicht auf, ich führe nur ein Verhör durch.«