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Der Sammelband "Frauen und der Umsturz der Gesellschaft" macht das Werk einer der wichtigsten Theoretikerinnen des Marxismus-Feminismus erstmals deutschsprachigen Leser*innen zugänglich: Mariarosa Dalla Costa beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen sozialer Reproduktion, transnationalen antikapitalistischen und feministischen Kämpfen sowie der Aufrechterhaltung von Subsistenzwirtschaft und Biodiversität. Dalla Costa analysiert aus einer marxistisch-feministischen Perspektive die Rolle und Bedeutung von Haus- und Sorgearbeit für den Kapitalismus und arbeitet heraus, wie das Fehlen eines Lohnes die Ausbeutung von weiblicher Arbeit verschleiert. Damit trägt sie zur Erhellung des blinden Flecks im Marxismus bei, der den Bereich der unbezahlten Arbeit lange ignoriert hat. Dalla Costas Texte und Theorien zeigen zudem die Grenzen einer feministischen Bewegung auf, die die Umverteilung von Haus- und Sorgearbeit und die radikale Neustrukturierung der Gesellschaft außer Acht lässt. Diese Leerstellen werden in Dalla Costas Texten behandelt, indem sie Kämpfe und Streiks um Hausarbeit, Subsistenzwirtschaft oder Lebensmittel zusammendenkt.
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Seitenzahl: 521
Veröffentlichungsjahr: 2023
Band 3 in der Reihe »Theorien und Kämpfe der sozialen Reproduktion«, herausgegeben von Friederike Beier
Mariarosa Dalla Costa ist marxistisch-feministische Philosophin und Aktivistin. Zusammen mit Silvia Federici, Selma James und anderen hat sie in den 1970er-Jahren die internationale Kampagne »Lohn für Hausarbeit« initiiert und damit die Reproduktion des menschlichen Lebens ins Zentrum des politischen Denkens und Handelns gesetzt. Neben ihrem internationalen feministischen Engagement ist sie in Italien in der operaistischen Bewegung aktiv. Seit den 1970ern publiziert Dalla Costa zu Kapitalismus, Globalisierung, Reproduktion und Feminismus. Zuletzt arbeitete sie als Dozentin an der Universität Padua.
Dr. Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin und Autorin. Sie hatte Lehraufträge und Vertretungsprofessuren an verschiedenen Universitäten, war wissenschaftliche Referentin im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung und gibt den Wandkalender »Wegbereiterinnen« heraus. Zuletzt ist von ihr erschienen: Genossenschaften. Geschichte, Aktualität und Renaissance (Stuttgart: Schmetterling 2021).
Friederike Beier forscht, lehrt und publiziert zu materialistischem Feminismus, sozialer Reproduktion und globaler Gouvernementalität. Als Politologin arbeitet und promoviert sie an der Freien Universität Berlin über die globale Regierung und Quantifizierung sozialer Reproduktionsarbeit. Sie hat eine Tochter und lebt in Berlin. Bei Unrast ist zuletzt der Sammelband materializing feminism. Positionierungen zu Ökonomie, Staat und Identität (Beier, Haller, Haneberg 2018) erschienen.
Mariarosa Dalla Costa
Frauen und der Umsturz der Gesellschaft
Gesammelte Aufsätze
aus dem Englischen und Italienischen übersetzt von Britta Grell und Gisela Bockmit einem Vorwort von Friederike Beier und einer Einleitung von Gisela Notz
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
Mariarosa Dalla Costa:
Frauen und der Umsturz der Gesellschaft
Gesammelte Aufsätze
1. Auflage, März 2022
eBook UNRAST Verlag, Januar 2023
ISBN 978-3-95405-137-3
© UNRAST Verlag, Münster
www.unrast-verlag.de | [email protected]
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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung
sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner
Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter
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Titel der Originalausgabe:
Women and the Subversion of the Community
A Mariarosa Dalla Costa Reader
Herausgegeben von Camille Barbagallo
© 2019 PM Press
Umschlag: Felix Hetscher, Münster
Satz: Andreas Hollender, Köln
Friederike BeierVorwort der Herausgeberin
Gisela Notz»Lohn für Hausarbeit« in der deutschen Frauenbewegung
Vorwort zur italienischen Ausgabe von Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft (»Potere femminile e sovversione sociale«), 1972
Frauen und der Umsturz der Gesellschaft (1971)
Gisela Bock – Nachwort: Zur Entstehung von »Frauen und der Umsturz der Gesellschaft«
Mariarosa Dalla Costa – Erklärung zu »Frauen und der Umsturz der Gesellschaft« sowie zu ihrer Kooperation mit Selma James
Überlegungen zum Generalstreik (1975)
Hausarbeit und die feministische Bewegung in Italien seit den 1970er-Jahren (1988)
Reproduktion und Emigration (1974)
Immigration, Emigration und die Klassenzusammensetzung im Italien der 1970er-Jahre (1980)
Familie, Wohlfahrt und der New Deal (1985)
Zum Thema ›Welfare‹ (1977–1978)
Frauen als Opfer des medizinischen Systems: Ein Ausflug in die Geschichte (2005)
Die Autonomie von Frauen und die Entlohnung von Care-Arbeit (2007)
Wem gehört der weibliche Körper? (2007)
Operaismus, Feminismus und einige Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen (2008)
Kapitalismus und Reproduktion (1994)
Die Tür zum Garten (2002)
Anmerkungen
Friederike Beier
Demonstration gegen unbezahlte Hausarbeit, organisiert vom Netzwerk »Lohn für Hausarbeit«, in Triest, Venetien, am 1. Mai 1976.
Mit Frauen und der Umsturz der Gesellschaft liegt nun endlich der dritte Band in der Reihe »Theorien und Kämpfe der sozialen Reproduktion« vor. Die Schriften von Mariarosa Dalla Costa dürfen in dieser Reihe nicht fehlen. Dalla Costa ist marxistisch-feministische Philosophin, Aktivistin und die wahrscheinlich wichtigste Vertreterin eines autonomen Feminismus in Italien.
Dalla Costas Band ist zum einen historisch relevant, weil eine neue Generation heute von den Kämpfen und Errungenschaften der hier dokumentierten zweiten Frauenbewegung profitiert. Er liefert zum anderen aber auch theoretische Werkzeuge, um die Verwobenheit des Kapitalismus mit patriarchalen und rassistischen Ungleichheitsverhältnissen zu erfassen.
Mich haben Dalla Costas Entschlossenheit, ihre messerscharfen Analysen und ihre Radikalität in Theorie und Praxis auf vielen Ebenen berührt: als Feministin, als Wissenschaftlerin und als Mutter. Die Vereinzelung und Isolation, die Menschen mit Sorgeverpflichtung noch mehr als andere betrifft, sind die direkten Auswirkungen einer kapitalistischen Produktionsweise, die sich, den Errungenschaften der Frauenbewegungen zum Trotz, weiter fortführen. Aber wenn der tagtägliche Kampf um die Vereinbarkeit von Care und Beziehungsarbeit, wissenschaftlichen Beiträgen, Lohnarbeit und politischem Anspruch wieder aussichtslos scheint, ist es beruhigend, diese Widersprüche nicht als persönliches Scheitern, sondern als Systemfehler zu begreifen. Gleichzeitig bietet Dalla Costa auch Ansätze zu deren Überwindung.
Dieser Band versammelt ihre wichtigsten Schriften, also längere Aufsätze, aber auch Redebeiträge und Essays, die zwischen 1972 und 2008 erschienen sind. In diesen 36 Jahren beschäftigte sich Dalla Costa als Aktivistin und Theoretikerin unter anderem mit der ökonomischen Rolle von Hausarbeit im Kapitalismus, der feministischen Bewegung in Italien, Migration, Wohlfahrtstaatlichkeit, dem Pflegenotstand, einer patriarchalen Medizin und Körperpolitik, Commons (Gemeingütern) und vielem mehr. Die Vielfalt ihrer Themen reflektiert die unterschiedlichen Kämpfe und Anliegen der feministischen Bewegungen in Italien und darüber hinaus. Die zentralen Themen der italienischen Frauenbewegungen waren in den 1970er-Jahren vor allem »Arbeit, Sexualität, Gesundheit und Gewalt« (S. 272 in diesem Buch). Dalla Costas Errungenschaft war es, diese Themen als Aktivistin auf die politische Tagesordnung zu setzen und, darüber hinaus, deren Zusammenhänge zu verdeutlichen:
»Die weibliche Sexualität war die zentrale Aufgabe der Reproduktionsarbeit und Gewalt ist das klassische Disziplinierungsinstrument, um sexuelle und reproduktive Dienstleistungen zu erzwingen, da es sich ja um keine vertraglich festgelegten Tätigkeiten handelt.« (S. 272)
Den vier Themenbereichen Arbeit, Sexualität, Gesundheit und Gewalt ist Dalla Costa treu geblieben, auch wenn in ihrem späteren Engagement noch ein weiterer hinzukam: das Land als (umkämpfte) Grundlage von Reproduktion. So wie nach Marx die ursprüngliche Akkumulation durch Landraub geprägt war und damit den Kapitalismus in Gang setzte, ist für Dalla Costa die Frage nach dem Land eng verknüpft mit der Möglichkeit und den Vorstellungen einer Welt jenseits des kapitalistischen Verwertungsdrucks.
Privatisierungen von Land versteht sie daher als Angriff auf die Voraussetzung einer besseren Welt. Dieser Angriff finde aktuell sowohl durch Landraub von Subsistenzbäuer*innen[1] und groß angelegte Enteignungen im Globalen Süden statt, als auch durch Privatisierungen in den zunehmend gentrifizierten Städten des Globalen Nordens.
Kämpfe um Wohnen, um Vergesellschaftung und (Re-)Kommunalisierung sind daher genauso relevant für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller, wie Streiks es im Gesundheitswesen oder im Bereich unbezahlter Care-Arbeit sind. Dalla Costa stellt heraus, dass es vor allem Frauen sind, die von den Privatisierungen in den Bereichen soziale Reproduktion, Wohnen und Land betroffen sind. Sie sieht Frauen jedoch nicht als Opfer der Verhältnisse, sondern als »zentrale Figur[en] des gesellschaftlichen Umsturzes« (S. 34).
Bevor Mariarosa Dalla Costa als Aktivistin bekannt wurde, machte sie 1967 an der Universität Padua ihren Abschluss in Jura mit einer Abschlussarbeit über die Philosophie des Rechts. Sie arbeitete dort anschließend als Dozentin, wo sie in den folgenden Jahren Antonio Negri, einen der Hauptvertreter*innen des Operaismus, kennenlernte, und engagierte sich in der entstehenden Arbeiter*innen- und Studierendenbewegung.
Ebenfalls 1967 trat sie der Organisation »Potere Operaio« (Arbeitermacht) in der Region Venetien bei. Der Operaismus zeichnete sich in seiner Praxis durch die autonome Organisation von Arbeiter*innen und wilde Streiks und in seiner Theorie durch eine neue Lektüre der Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels aus. Nach vier Jahren verließ Dalla Costa Potere Operaio, um sich mit Frauen zusammenzuschließen und zu organisieren. Daraus entstand die feministische Gruppe »Lotta Femminista« (Feministischer Kampf). Im Rückblick führt Dalla Costa ihren Austritt auf ihr Verlangen nach Würde zurück:
»Die Beziehungen, die damals zwischen Männern und Frauen vorherrschten, insbesondere die Art und Weise, wie uns unsere intellektuellen Genossen behandelten, zeichneten sich in meinen Augen durch fehlenden Respekt gegenüber uns Frauen aus.« (S. 307)
Lotta Femminista war, trotz der Abgrenzung gegenüber den männlichen Genossen und ihrer Weigerung, Hausarbeit als politisches Thema zu bearbeiten, eng mit der operaistischen Tradition von Potere Operaio verbunden. Dies zeigte sich unter anderem in den revolutionären Forderungen und der Ausweitung des Streikbegriffs. Als Reaktion darauf, dass männliche Genossen weibliche Lebensrealitäten nicht in ihrer Politik anerkannten, wurde Hausarbeit das zentrale Thema bei Lotta Femminista. Denn dieses Thema betraf alle Frauen, egal ob sie Hausarbeit in Vollzeit verrichteten oder neben der Fabrikarbeit: Alle Frauen sind Hausarbeiter*innen.
Unter dieser Prämisse schrieb Dalla Costa 1972 ihren meistzitiertesten Text, »Frauen und der Umsturz der Gesellschaft«, der zunächst als Flugblatt konzipiert war. Dieser Text sollte nicht nur die feministischen Bewegungen in Italien nachhaltig prägen, sondern traf auch international den Nerv der Zeit. Dalla Costas Mitstreiterin Silvia Federici schreibt in Erinnerung an ihre Lektüre: »Als ich auf der letzten Seite angekommen war, wusste ich, dass ich mein Zuhause, meinen ›Stamm‹ und mein eigenes Selbst gefunden hatte, als Frau und als Feministin.«[2]
Der Text wurde international diskutiert und in sechs Sprachen übersetzt. Dem internationalen Interesse folgte die Gründung des »International Feminist Collective«. Darin waren Gruppen aus Italien, Großbritannien, den USA, Deutschland, der Schweiz sowie weiteren Ländern organisiert. Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit wurde so international bekannt und zog viele Jahre lang politische Debatten und Aktionen nach sich. Bei der Kampagne »Lohn für Hausarbeit« ging es darum, die zentrale Rolle von Hausarbeit für die kapitalistische Produktionsweise zu betonen. Der Begriff der Hausarbeit umfasst die Produktion und Reproduktion der Arbeiter*innen und ist daher die Voraussetzung für die Ausbeutung von Lohnarbeit im Kapitalismus.
Ähnlich wie im liberalen Feminismus sollte die ökonomische Abhängigkeit von Frauen überwunden werden. Der große Unterschied besteht jedoch darin, dass es in einem liberalen Feminismus darum geht, Frauen in einen männlich strukturierten Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Frage danach, wer am Ende des Tages die Care-Arbeit macht, wird jedoch ausgespart und dadurch eine der Ursachen der Lohnungleichheit aufrechterhalten. Ein Lohn für Hausarbeit sollte die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen dadurch ermöglichen, dass der Staat die Kosten des Kapitals für die (Wieder-)Herstellung von Arbeitskraft begleicht. Damit wären Frauen nicht mehr von den Löhnen ihrer Männer abhängig und gleichzeitig würde die Ausbeutung durch unbezahlte Haus- und Sorgearbeit durch einen Lohn sichtbar gemacht werden. Eine höhere Beteiligung der Männer an dieser Arbeit wäre durch einen Lohn ebenfalls garantiert. In diesem Punkt ist die Kampagne oft missverstanden worden, wie sich etwa in der deutschen Debatte zeigt, die in der Einleitung von Gisela Notz in diesem Band vorgestellt wird.
Der autonome Feminismus war für Dalla Costa eine Lebensentscheidung, der sich viele andere Lebensbereiche unterordneten. Als sie eine Stelle als Dozentin in den USA angeboten bekam, lehnte sie ab, weil sie die italienische Frauenbewegung in einer wichtigen kämpferischen Phase nicht im Stich lassen wollte. Gleichzeitig »verlieh die feministische Bewegung [ihr] und vielen anderen Frauen zusätzlich zu neuen Erkenntnissen eine Stärke und ein Gleichgewicht, das kein Mann jemals wieder erschüttern konnte.« (S. 315) Der lange und zähe feministische Kampf konnte auf einige Erfolge zurückblicken, wie etwa die Verabschiedung des italienischen Gesetzes 194, das 1987 endlich Abtreibungen legalisierte und den Zugang zu ihnen demokratisierte.
Neben diesem Erfolg wurde in den 1980er-Jahren das Klima jedoch rauer, der feministische Kampf von Repressionen überzogen und die politisch gestärkte Rolle der Arbeiter*innen durch rassistische Migrationspolitik und neoliberale Austeritätspolitik zunehmend ausgehöhlt. Im Rückblick beschreibt Dalla Costa die langen Jahre des feministischen Kampfes als eine sehr freudlose Zeit, in der ihr vor allem die Perspektive auf eine bessere Welt schmerzlich fehlte, bis sich ihre Theorie und Praxis erneut wandeln sollte:
»In gewisser Weise waren die 1980er-Jahre eine Zeit, in der ich eine lange Wanderung unternahm und mich nach und nach mit verschiedenen Aspekten der Reproduktion befasste. Irgendwann stand ich endlich vor der Tür, die mich in den großen Garten führen sollte. Ich erkannte, wie wichtig die Landfrage war.« (S. 316)
Die Landfrage war es schließlich auch, die Dalla Costa am stärksten emotional berühren sollte.[3] Sie führte zu einer weiteren Internationalisierung ihres Aktivismus. Sie entwickelte eine Verbundenheit mit den Kämpfen im Globalen Süden gegen Privatisierungen und Enteignungen der vielleicht wichtigsten Grundlagen der Reproduktion: Land, Wasser und Luft.
Was haben uns die Texte von Dalla Costa heute noch zu sagen? Während ich dieses Vorwort schreibe, befinden wir uns (noch) mitten in einer einer der heftigsten weltweiten Gesundheitskrisen seit der spanischen Grippe. Die Coronapandemie hat uns erneut vor Augen geführt, wie wichtig bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit für unser Leben ist. Gleichzeitig ist Care-Arbeit in all ihren Formen feminisiert, abgewertet und prekarisiert, weil sie innerhalb einer kapitalistischen Verwertungslogik stattfindet, die sich um Profite und nicht um menschliche Bedürfnisse dreht. All das sind keine neuen Erkenntnisse, aber die Lektüre von Dalla Costa erinnert uns daran, die Reproduktion des menschlichen Lebens und seiner Bedürfnisse (wieder) ins Zentrum von Politik zu stellen. Klimastreik, Frauenstreik, Gesundheitsstreik, Kämpfe für sichere Fluchtwege, um bezahlbaren Wohnraum, die Vergesellschaftung von Land, Energie und Wasser: All diese Kämpfe sind Teil der größeren Frage »Wie können wir, wie sollen wir (über-)leben?« (S. 321) und was sind die Grundlagen unseres Lebens?
Dalla Costa macht dabei stets deutlich, dass es nicht darum gehen darf, partikulare Interessen durchzusetzen und sich gegeneinander ausspielen zu lassen. Das heißt, dass einige wenige Frauen nicht Karriere auf dem Rücken vieler rassifizierter und mit weniger Privilegien ausgestatteten Frauen machen sollen; dass Gewerkschaften partielle Erfolge für Stammbelegschaften nicht erkämpfen sollen, während andere ausgesourct und prekarisiert werden; und ebenso sollen wir keinen umwelt- und klimaschädlichen Lebensstandard im Globalen Norden verteidigen, während die Folgen der Klimakrise zuvorderst arme Menschen im Globalen Süden treffen. Es geht ihr also um nichts weniger, als um das bessere Leben für alle Menschen! Diese Zusammenhänge in den letzten dreißig Jahren immer wieder hervorgehoben zu haben und den Leser*innen bewusst gemacht zu haben, ist vielleicht die größte Errungenschaft von Dalla Costa.
Die erneute Lektüre ihrer Texte hat mich wieder auf eine Forderung der Kampagne Lohn für Hausarbeit gestoßen, die weniger bekannt ist als die, die ihr den programmatischen Titel gibt. Es handelt es sich um die Reduzierung der Lohnarbeitszeit. Mit dieser wurde vorrangig auf eine gleichberechtigte(re) Verteilung der Hausarbeit abgezielt, die es allen Menschen ermöglichen würde, mehr Zeit für ihre und die Bedürfnisse anderer aufzuwenden. Das Anliegen ist so aktuell wie nie und taucht heute im Begriff der Zeitpolitik wieder auf. Eine feministische Zeitpolitik braucht es mehr denn je. Denn eine allgemeine Arbeitszeitreduzierung (bei vollem Lohnausgleich) kann nicht nur die Krise der sozialen Reproduktion lösen, sondern auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit, Klimaneutralität und Nachhaltigkeit beitragen.
Mit den Klimastreiks steht die Frage nach den Grenzen eines wachstumsbasierten Kapitalismus erneut auf der politischen Agenda. Dabei demonstriert eine neue Generation von Aktivist*innen, dass ein ›Weiter so‹ die Zukunft aller verbaut. Von Dalla Costa lernen, heißt die unterschiedlichen Kämpfe um Klima, Wohnen, Gesundheit und bessere Arbeit zusammenzudenken, ihre Gemeinsamkeiten zu betonen und sie zum Anlass zu nehmen, um über eine bessere Zukunft und ein selbstbestimmtes Leben für alle nicht nur nachzudenken, sondern dieses auch radikal zu leben.
»Ein weiterer Mythos, mit dem wir aufräumen müssen, ist der, dass ›man niemals zurückblicken soll‹. Das wäre so, als würde alles, was vor den jüngsten kapitalistischen Verwerfungen produziert, gedacht und geplant wurde, als unzureichend oder rückständig gebrandmarkt. Dem zu folgen, würde bedeuten, den Übeltätern in die Hände zu spielen: Während sie Fakten schaffen, bleiben wir passiv und gelähmt aufgrund der vielen Ambivalenzen und Widersprüche.« (S. 321)
Dieses Buch verbindet ganz unterschiedliche Texte, die Dalla Costa in den vielen Jahren ihres politischen Aktivismus zu sehr unterschiedlichen Zwecken schrieb Die Texte liefern einen umfassenden Einblick in die Entstehungsgeschichte der italienischen autonomen Frauenbewegung, der Kampagne Lohn für Hausarbeit und ihres internationalen Erfolgs. Gisela Notz führt zunächst einleitend in den deutschen Kontext der Debatte ein. Es folgt das Vorwort zur italienischen Ausgabe von »Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft« aus dem Jahr 1972. Der Haupttext wurde neu übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Gisela Bock, die den Text bereits für den Erstabdruck 1973 übersetzt hatte.
Die Texte »Überlegungen zum Generalstreik« (1975), »Hausarbeit und die feministische Bewegung in Italien seit den 1970er-Jahren« (1988), »Reproduktion und Emigration« (1974), »Immigration, Emigration und die Klassenzusammensetzung im Italien der 1970er-Jahre« (1980), »Die Autonomie von Frauen und die Entlohnung von Care-Arbeit« (2007) sowie »Kapitalismus und Reproduktion« (1994) sind Zeitzeuginnen der feministischen Bewegungen in Italien, ihrer Kämpfe und der repressiven Antworten des Kapitals. Im Zentrum der Textsammlung stehen Reproduktion, Migration und Streiks, die in operaistischer Tradition weit über den klassischen Streikbegriff hinausgehen. So hebt Dalla Costa den Rückgang der Geburtenrate in den industrialisierten Zentren des Globalen Nordens als Gebärstreik von Frauen im Kampf um ein selbstbestimmteres Leben hervor. Die Migrationsbewegungen aus und nach Italien sind eng damit verknüpft und sowohl Auslöser, als auch Lösungsstrategien einer Krise der sozialen Reproduktion, die insbesondere im Bereich der Gesundheit und Pflege heute virulenter als je zuvor um sich greift.
In »Familie, Wohlfahrt und der New Deal« (1985) und »Zum Thema ›Welfare‹« (1977–1978) analysiert Dalla Costa in ihrer gewohnt marxistisch-feministischen Perspektive die sozialstaatlichen Entwicklungen in den USA. Sie zeigt, inwiefern die Krise des Kapitalismus und der sozialen Reproduktion durch den Ausbau von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen gelöst werden sollte, wodurch sich das Problem jedoch nur verlagert hat. In »Operaismus, Feminismus und einige Initiativen der Vereinten Nationen« (2008) kommt Dalla Costa auf die Besonderheiten und Erfolge einer internationalen Frauenbewegung zu sprechen, die sich im Rahmen der Weltfrauenkonferenzen der Vereinten Nationen professionalisierte.
In »Frauen als Opfer des medizinischen Systems: Ein Ausflug in die Geschichte« (2005) und »Wem gehört der weibliche Körper?« (2007) behandelt Dalla Costa gewaltsame Eingriffe in die Autonomie des weiblichen Körpers, wie etwa die Illegalisierung von Abtreibungen und Prostitution, überflüssige Gebärmutterentfernungen und die Beherrschung der weiblichen Reproduktion durch Femizide und Hexenjagd als Grundlage der ursprünglichen Akkumulation des Kapitalismus.
Es ist dem Charakter des Buches, als eine Sammlung und ein Archiv der Kämpfe und Themen der italienischen Frauenbewegung, geschuldet, dass eine Wiederholung der Themen rund um »Arbeit, Sexualität, Gesundheit und Gewalt« (S. 272) nicht ausbleibt. Jeder Artikel hebt dabei jedoch neue Aspekte und Facetten hervor, die in ihrer Gesamtheit die großen Themen der feministischen und autonomen Arbeiter*innenbewegung umfassen und historisch einordnen. Die in diesem Buch gesammelte Textauswahl enthält nicht nur historische Analysen der Funktionsweisen von Staat und Kapital in Italien und den USA, sondern bezeugt zudem als Abbild von Dalla Costas Lebenswerk insgesamt auch, wie politisch das Leben selbst ist und wie scheinbar private Entscheidungen im größeren Kontext die Politik verändern. In diesem Sinne wird der Band von dem sehr berührenden biografischen Aufsatz »Von der Tür zum Garten« abgeschlossen. Darin reflektiert Dalla Costa auf einer operaistischen Konferenz im Jahre 2002 ihren Lebensweg von der Küche über den Garten zum Land. Dieses Buch ermöglicht es uns, sie auf diesem Weg zu begleiten.
Mariarosa Dalla Costa kommt der Verdienst zu, dass im Zuge der neuen Frauenbewegungen der beginnenden 1970er-Jahre die gesamtgesellschaftliche Relevanz der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit neu thematisiert wurde. Durch ihre Arbeiten legte sie die fundamentale Bedeutung weiblicher Reproduktionsarbeit für das gesamte Wirtschaftssystem Westeuropas offen. Sie trug wesentlich zu der Erkenntnis bei, dass die in der Familie durch Frauen geleisteten Gratisarbeiten für die Produktivität der (meist männlichen) Erwerbsarbeit von wesentlicher Bedeutung sind. Beeinflusst durch ihre Einlassungen zweifelten viele an der marxistischen These, Hausarbeit sei keine produktive, wertschöpfende Arbeit. Ihre Behauptung, dass für Frauen weder die Teilnahme an der Erwerbsarbeit noch der Verbleib in der isolierten Arbeit im Hause der Frauenbefreiung dienlich sein könnte, polarisierte die Frauenbewegung nicht nur in ihrem Herkunftsland Italien, sondern auch in der Bundesrepublik, in Großbritannien, in den USA, in Kanada und in der Schweiz.
Die Debatte, dass die Hausarbeit als ›unsichtbare Arbeit‹ sichtbar werden sollte, tauchte in der Geschichte der internationalen Frauenbewegungen immer wieder auf.[4] Die amerikanische Ökonomin Hildegarde Kneeland wies in mehreren Forschungsprojekten darauf hin, dass in den USA im Jahr 1920 ungefähr 21 Millionen Menschen »ohne Lohn« arbeiten würden.[5] Sie verwies darauf, dass die ungleiche Position der Hausfrauen daraus resultiert, dass sie mit ihrer Arbeit »nicht zum Markt kommen«, sondern das Ergebnis ihrer Arbeit lediglich die eigene Familie sei. Aus dieser Tatsache leitete sie Vor- und Nachteile ab. Den größten Nachteil sah sie im fehlenden Prestige der »Nur-Hausfrauen«. Diese fehlende Anerkennung würde sich auch negativ auf ihre Arbeitsleistung auswirken. Sie verwies darauf, dass es zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits die Forderung nach »wages for wives« gegeben hat. Ganz neu war der Gedanke auch in Deutschland nicht. Käthe Schirmacher kritisierte bereits 1905 in ihrer Schrift über »Die Frauenarbeit im Hause, ihre ökonomische, rechtliche und soziale Wertung«, dass Hausarbeit nicht als eine »produktive Tätigkeit« galt und Frauen dafür keinen Lohn bekommen. Sie verwies darauf, dass die häusliche Tätigkeit der Frau eine wichtige Voraussetzung für die männliche Berufsarbeit sei: »Der Mann wird für zwei bezahlt, weil sein Arbeitgeber, sei es der Staat oder ein Privater, die berufliche Leistung nur dann erhalten kann, wenn er den Mann in Stand setzt, sich bei der ihm unentgeltlichen Hausarbeit durch eine Frau vertreten zu lassen.«[6] Sie wehrte sich dagegen, dass die Nationalökonomen unter »Frauenarbeit« ausschließlich »Fabrik- und Werkstättenarbeit« verstanden, die Hausarbeit aber gänzlich verschwiegen. Aus ihren wissenschaftlichen Studien kam sie zu der Forderung, dass Hausfrauenarbeit entlohnt werden muss; und zwar auch dann, wenn sie außerhalb einer ›legalen‹ Ehe geleistet wird.[7] Irene Stoehr verwies darauf, dass seitdem die Forderung nach Entlohnung der Hausarbeit in den Zeitschriften und auf Kongressen von Frauenverbänden diskutiert wurde.
Käthe Schirmacher kam aus der bürgerlichen Frauenbewegung. Daher auch die Annahme, »der Mann wird für zwei bezahlt«. Das traf für Männer aus der Arbeiterklasse nicht zu, denn der Lohn der Fabrikarbeiter reichte ohne den ›Zuverdienst‹ der Frauen in den wenigsten Fällen aus. Die meisten Frauenlöhne lagen damals oft, selbst bei gleicher Tätigkeit, um die Hälfte niedriger als die der Männer. Zudem führten fehlende Schutzbestimmungen bei überlangen Arbeitszeiten für Frauen zu Ausbeutungsverhältnissen, die diejenigen der Männer übertrafen. Daher konnten die Fabrikarbeiterinnen schlecht mit den bürgerlichen Frauen, die die Hausarbeit ›besoldet‹ haben wollten, verglichen werden.
Der Sozialdemokratin Lily Braun ging es ein halbes Jahrhundert später nicht um die Bezahlung der Hausarbeit, sondern um die Befreiung der Frauen von Hausarbeit durch kollektive Wirtschaftsführung.[8] Durch gemeinsame Haushaltsführung und Kindererziehung durch geschultes Personal, so ihr Ansatz, sollte sowohl die einzelne Hausfrau entlastet werden und am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben können als auch der Ausbeutung von Dienstbotinnen ein Riegel vorgeschoben werden. Haushaltsgenossenschaften und Ein-Küchenhäuser sollten der Befreiung der Frauen von der »Sklaverei der Haushaltsarbeit« und damit der Emanzipation aller Familienmitglieder in ökonomischer und politischer Hinsicht dienen.
In der Folgezeit wurden beide Positionen – Lohn für Hausarbeit und kollektive Haushaltsführung – innerhalb der Frauenbewegungen heftig diskutiert. Dabei wurde zwar im Allgemeinen die Gesellschaftskritik, die hinter den erhobenen Forderungen stand, akzeptiert, die Konzepte selbst fanden jedoch mehr Kritikerinnen als Fürsprecherinnen. So griff z.B. die Frauenrechtlerin und Rechtshistorikerin Marianne Weber die Argumentation Käthe Schirmachers zur »Neubewertung der Hausfrauenarbeit« durchaus positiv auf, lehnte aber eine Gehaltszahlung durch den Ehemann ebenso ab wie eine ›Mutterschaftsrente‹ durch den Staat. Damit vertrat sie die Mehrheitsmeinung der im ›bürgerlichen‹ Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) organisierten Frauen, von denen ohnehin viele weder Familie noch Kinder hatten. Lebensgemeinschaften von zwei ›alleinstehenden Frauen‹, die die Kosten für Haushalt und Wohnung, Reisen sowie Freud und Leid teilten, waren stattdessen an der Tagesordnung.
Dagegen fand auch die ›sozialistische Lösung‹ der Frauenfrage, in der durch kollektive Haushaltsführung und Kinderversorgung Frauen ebenso wie Männer für den außerhäuslichen Beruf und die gesellschaftspolitische Arbeit befähigt werden sollten, innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung ebenso wenig Befürworterinnen wie bei den Proletarierinnen. Bestenfalls wurde auf die Reduzierung der Hausarbeit durch Technisierung und Reformierung gesetzt. In diesem Sinne argumentierte Elly Heuss-Knapp gegen die Ein-Küchenhaus-Lösung. In ihrem Vortrag »Die Reform der Hauswirtschaft«[9] beschrieb sie die Folgen der Auslagerung früherer häuslicher Arbeiten und betonte die entlastende Wirkung der immer umfangreicheren Herstellung arbeitserleichternder Produkte – insbesondere im Ernährungsbereich – ebenso wie die einer wesentlich verbesserten Infrastruktur. Allerdings würde all das keineswegs im vollen Umfang bei der Reduzierung der Hausarbeit zu Buche schlagen. Denn auf der anderen Seite – so Heuss-Knapp – würde die emotionale und geistige Beanspruchung der Hausfrau gegenüber früher zunehmen. Und es seien gerade die in diesem Zusammenhang erbrachten Leistungen, die weder über den Markt noch genossenschaftlich zu erbringen seien.
Im Laufe der Rationalisierungsdebatten im Zuge der Novemberrevolution 1918 wurde die Problematik der Hausarbeit erneut aufgegriffen. Selbst der vorher ablehnende BDF forderte in seinem reformulierten Programm von 1920 die »Anerkennung der produktiven Arbeit der Hausfrau durch Förderung ihrer Ausbildung« für den Beruf der Hausfrauen.[10] Bedauert wurde nun der Mangel an Hilfskräften, sprich Dienstbotinnen, die zu den üblichen ausbeuterischen Bedingungen nicht mehr zu bekommen waren und die damit verbundene Überforderung bzw. ›Selbstausbeutung‹ der Hausherrinnen. Nun wurden das Ein-Küchenhaus und der Genossenschaftsgedanke als Vorbedingung für eine Rationalisierung des Haushalts diskutiert.[11] Bei den Sozialdemokratinnen ging es jetzt darum, einen Weg zu finden, wie sich Beruf und Mutterschaft vereinbaren lassen. Schließlich übertönte die rationelle Gestaltung des eigenen Haushalts die Vergesellschaftungsdebatten und auch der von einzelnen Frauenrechtlerinnen geforderte Lohn für Hausarbeit hatte angesichts der neu entflammten familistischen Hausfrauen-Mütter-Kleinfamilienideologie der Nazi-Faschisten keine Chance.
Als die 1968er-Frauenbewegung startete, war die Hausarbeit noch qua Bürgerlichem Gesetzbuch den Frauen zugeordnet. Der Frau unterlag in erster Linie die Haushaltsführung, während der Mann zum finanziellen Unterhalt der Familie verpflichtet war. Demnach durfte sie nur berufstätig sein, wenn sie ihre familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigte. Wenn die Einkünfte des Mannes für den Familienunterhalt nicht reichten, war sie jedoch verpflichtet, Erwerbsarbeit zu leisten und im Beruf oder Geschäft des (eigenen) Mannes mitzuarbeiten und zwar »innerhalb des Üblichen« auch unbezahlt.
Erst im Zuge der Herausbildung der neuen Frauenbewegungen der 1970er-Jahre wurde die Gleichbewertung und Gleichbehandlung von Produktions- und Reproduktionsarbeiten erneut diskutiert. Die Debatte war eng verknüpft mit der Problematisierung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung. Die Strategien zur Lösung der mit der Arbeitsteilung verbundenen Diskriminierungen wurden kontrovers diskutiert. Die Diskussionen thematisierten eine Fülle miteinander verflochtener Aspekte: Neben der Forderung nach gleichberechtigter Beteiligung an der Erwerbsarbeit und existenzsichernden Löhnen (auch) für Frauen wurde die Forderung nach Lohn für Hausarbeit wieder aufgegriffen. Dass das BGB 1977 geändert wurde, war den Frauenbewegungen zu verdanken.
Auch wenn der Begriff ›Hausfrauenlohn‹ angeblich weder durch Feministinnen noch durch Hausfrauen geprägt wurde, sondern 1972 durch den Künstler Joseph Beuys – auf der Documenta 5 forderte er die »Anerkennung der Haushaltstätigkeit als Beruf«[12] – war es dennoch das Erscheinen der 1973 aus Italien kommenden Broschüre von Mariarosa Dalla Costa und Selma James: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, die diese Forderung (nicht nur) in die BRD trug und für heftige Kontroversen – nun innerhalb der neuen Frauenbewegungen – sorgte. Die marxistisch-feministische Philosophin Dalla Costa, die gemeinsam mit anderen Frauen in Italien »Lotta Femminista« gegründet hat und als Dozentin an der Universität Padua lehrte, hatte das Manifest, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, maßgeblich verfasst. Sie betrachtet darin die durch die Industrialisierung geschaffene Trennung zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit und damit die Trennung der Lebenswelten zwischen Mann und Frau kritisch. Im Zentrum ihres Interesses steht die Hausfrau. Dabei geht sie von der Erkenntnis aus, dass alle Frauen Hausfrauen sind, auch diejenigen, die außerhalb des Hauses arbeiten. Ihr besonderes Augenmerk richtet sich auf die Stellung der Frauen in der Arbeiterklasse. Sie konstatiert jedoch, dass nicht nur diese ausgebeutet werden. Da die unbezahlte Frauenarbeit die Voraussetzung für die (meist durch Männer geleistete) Produktionsarbeit sei, müsse auch die Hausarbeit ebenso als produktive Arbeit gelten, so ihre These. Sie bezeichnet Hausarbeit als gesellschaftliche Dienstleistung, die der Reproduktion der Arbeitskraft dient. Durch die dem Kapital eigene Familienstruktur ist der Mann von solchen Funktionen ›befreit‹, damit er vollständig für die direkte Ausbeutung seiner Arbeitskraft zur Verfügung stehen kann. Die Befreiung der Frauen konnte sie weder in deren Teilhabe an der Erwerbsarbeit finden, noch in deren Alleinzuständigkeit für Haus- und Sorgearbeiten:
»Niemand von uns glaubt daran, dass sich die Emanzipation, die Befreiung, durch die Arbeit vollzieht. Arbeit bleibt immer Arbeit – sei es im Haus oder außerhalb. […] Wer behauptet, dass die Befreiung der Frau der Arbeiterklasse darin liegt, eine Arbeit außerhalb des Hauses zu finden, erfasst nur einen Teil des Problems, aber nicht seine Lösung. Die Sklaverei des Fließbands ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens. Wer dies leugnet, leugnet auch die Sklaverei des Fließbands und beweist damit noch einmal, dass man, wenn man die Ausbeutung der Frauen nicht begreift, auch die Ausbeutung der Männer nicht wirklich begreifen kann. «[13]
Diese Sätze, die deutlich machen, dass Dalla Costa ihre Forderung nach Lohn für Hausarbeit aus der Kritik an der Lohn- wie der Hausarbeit ableitet, sorgten vor allem deshalb für heftige Kontroversen innerhalb der Frauenbewegungen, weil sie beinhalteten, dass sowohl der Klassen- wie auch der Geschlechterkampf zu führen seien. Die Broschüre wurde zu einem Grundlagentext, auf dem sich die Kampagne »Lohn für Hausarbeit« entwickelte. Dabei ging es, wie Gisela Bock später klarstellte, nicht ›nur‹ um Geld: »Es ging vielmehr um eine umfassende, die gesamte Gesellschaft betreffende, in Frage stellende und auf radikale Veränderung zielende Perspektive«,[14] wobei die Diskussion um die Veränderbarkeit der Familienstrukturen (zunächst) vernachlässigt wurde.
Lohn-für-Hausarbeit-Gruppen waren bald in vielen Ländern aktiv – zunächst in England (Wages for Housework), Italien, Kanada, der Schweiz und Amerika. In den 1970er-Jahren wurde sogar eine internationale Kampagne lanciert, in der sich auch die bundesdeutsche Gruppe »Lohn für Hausarbeit« aus verschiedenen Städten der BRD (z.B. München, Stuttgart und Berlin) engagierte. Italienerinnen, Deutsche, Engländerinnen, Kanadierinnen, US-Amerikanerinnen und Schweizerinnen waren in gemeinsamer Arbeit darum bemüht, theoretische Texte zu übersetzen und in möglichst vielen Ländern in Umlauf zu bringen. Auch auf Kongressen, die sich eigens mit der Lohn-für-Hausarbeit-Frage beschäftigten, wurde der Austausch über die Ländergrenzen hinweg intensiv gepflegt.
In der Bundesrepublik führte die Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit zu mehreren Kampagnen, die auch vom Münchener Verlag »Frauenoffensive«, der sich mit der Kampagne für einen Lohn für Hausarbeit gegründet hatte, unterstützt wurden. Mit dem Slogan »Lohn für Hausarbeit oder: Auch Berufstätigkeit macht nicht frei!« ging der Kampf um eine ökonomische Aufwertung der heterogenen Tätigkeiten in Haushalt und Familie und für die tatsächliche Bezahlung eines Lohnes weiter und er wurde Teil der neuen Frauenbewegungen. Nach der Lohn-für-Hausarbeits-Forderung sollte jede Frau mindestens 2.000 DM für ihre bislang unbezahlte Hausarbeit erhalten. Sie veröffentlichten ein Manifest »An alle Regierungen«, in dem sie schrieben: »Wir geben hiermit bekannt, dass wir gedenken, für unsere Arbeit bezahlt zu werden.« Für die Verfechterinnen stellte die Forderung eine Verbindung des antikapitalistischen und antisexistischen Kampfes dar. Sie sahen in ihr eine Möglichkeit zur Verallgemeinerung der Bewegung nach dem von Dalla Costa vorgegebenen Motto, dass »alle Frauen Hausfrauen sind«.
Gegnerinnen des ›Hausfrauenlohns‹ argumentierten, dass die mangelnde Kollektivität dieser Arbeit und deren Bezahlung letztendlich dazu führen würde, dass Frauen verstärkt dem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt wären, diese Arbeiten zu übernehmen, und einzelne Männer noch eher die Möglichkeit bekämen, von der gesamten Alltagsarbeit befreit zu werden, und eine gleichmäßigere Verteilung der Hausarbeit in weite Ferne rücken würde. Damit würde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Stabilität von Frauenrollen in Küchen, Kinderzimmern und bei der Pflege zementiert. Auch wurde darauf verwiesen, dass die Behauptung, Hausarbeit sei ebenso produktive Arbeit, weil sie in Verbindung mit der in den großen Fabriken und Büros geleisteten Arbeit für die Vergrößerung des Mehrwerts sorge, nichts an den geschlechterhierarchischen Zuschreibungen ändert. Es wären nach wie vor Frauen, denen Erfahrungen wie Selbstbestätigung, Stolz auf die eigene Arbeit und Selbstbewusstsein gegenüber KollegInnen und Vorgesetzten aufgrund der isolierten Arbeitssituation verschlossen blieben. Das waren allerdings Argumente, auf die Dalla Costa in ihren Ausführungen explizit einging.
Auch Ingrid Strobl argumentierte 1975 »Wider den Hausfrauenlohn!«[15] Sie konnte im Hausfrauenlohn keine revolutionären Potenziale entdecken. Ihr Hauptargument war, dass sich an der Qualität der Hausarbeit durch die Bezahlung wenig ändern würde, die Rolle der Frauen hingegen voll erhalten bliebe. »Eine der wichtigsten, revolutionärsten Aufgaben« sei die Aufhebung der Rollen, sie müssten zerstört werden. Sie verwies darauf, dass »die, die alles tun, damit die Frau aus ihrer Rolle nicht ausbricht«, nämlich die bürgerlichen Parteien, die Hausfrauen gerne mit einem »lächerlichen Taschengeld« versehen würden, damit sie in der heil(ig)en Familie verbleiben. Anstatt Lohn für Hausarbeit zu fordern, sollten wir lieber dafür kämpfen, »daß die Frauen sich ihrer Rollen bewußt werden und sie ablegen, und die Männer zwingen, dasselbe zu tun.«
Ähnlich argumentierte auch Alice Schwarzer. Ihr waren die von den westdeutschen Frauen geforderten 2.000 DM zu wenig. »Hausfrau bleibt Hausfrau. Ein Taschengeld wäre nur dünne Vergoldung dieses Frauenschicksals in einer Männergesellschaft, in der Hausfrausein nicht frei gewählt, sondern erzwungen ist und ausschließlich Frauen vorbehalten bleibt.«[16] Auch die französische Feministin Simone de Beauvoir war eine strikte Gegnerin des Hausfrauenlohns. Sie fürchtete ebenfalls, er würde Frauen nicht befreien, sondern versklaven und sie noch mehr an Kinder und Küche ketten. Sie argumentierte: »Es gibt keine Tätigkeit, die an sich erniedrigend ist. Alle Tätigkeiten sind gleichwertig. Fenster putzen, warum nicht? Das ist genauso viel wert, wie Schreibmaschine schreiben. Erniedrigend sind die Bedingungen, unter denen man das Fensterputzen verrichtet: in der Einsamkeit, der Langeweile, der Unproduktivität, der Nicht-Integration ins Kollektiv.« Und die Anerkennung der Hausarbeit ist von der Laune des jeweiligen Ehemannes abhängig: »Ist er gut gelaunt, schmeckt es ihm, ist er schlecht gelaunt, kann sie noch so gut gekocht haben …«.[17]
Dagegen wehrte sich die Gruppe »Lohn für Hausarbeit« aus Berlin. Als Teil der bundesdeutschen Kampagne schrieb sie einen »Offenen Brief an Alice«.[18] Die Gruppe sah nicht ein, dass Frauen, wenn sie ökonomisch unabhängig sein wollten, »zusätzlich zu ihrem ersten Arbeitsplatz im Haus einen zweiten übernehmen [sollen], ob sie wollen oder nicht.« Die Vorschläge, die Schwarzer entwickelt hatte, bezeichnen sie als »bestenfalls Augenwischerei«. Solange die Arbeit nicht bezahlt wird, würde sie kein Mann freiwillig machen. Und die vorgeschlagenen gesellschaftlichen Einrichtungen betrachteten sie als nicht akzeptabel, weil sie Schäden verursachen können, die Frauen unbezahlt »aufpäppeln« müssen.
Auch Gisela Bock setzte sich für den Kampf um die Bezahlung der Hausarbeit ein. Über zwei Drittel der Arbeit würde (1976) von Frauen umsonst verrichtet. Nur wenn die Hausarbeit bezahlt wird – so ihre Argumentation – würde sichtbar werden, »was aus Liebe und was aus Not gearbeitet wird«. Erst dann könnten Frauen überlegen, »wieviel Hausarbeit industriell und effizienter erledigt werden kann (ebenfalls gegen Lohn!). Erst dann würde die ›stille Reserve‹ von Hausfrauen verschwinden, die mit den niedrigsten Löhnen abgespeist werden kann.«[19] Sie problematisierte auch den Familienlohn und die Steuervergünstigungen für Eheleute. Hier würde der Staat dem Mann Geld dafür bezahlen, dass Frauen zu Hause bleiben. Sie selbst hätten davon jedoch keinen Vorteil. Freilich stelle sie sich den Kampf um Lohn für Hausarbeit nicht leicht vor, doch gäbe es ohne Lohn für Hausarbeit keine Befreiung für alle Frauen. Sie stellte auch die Frage danach, »Was wäre, wenn sie [die Frauen] die Hausarbeit bestreikten?« Eine Frage, die in der Bundesrepublik nach der politischen ›Wende‹ aufgenommen wurde und sich bis heute in Frauenstreiks, die sowohl die Produktionsarbeit als auch die Reproduktionsarbeit bestreiken, weiterträgt.
Die Forderung nach »Lohn für Hausarbeit« wurde 1976 während der ersten Sommeruniversität für Frauen in Berlin ausgiebig diskutiert. Gisela Bock und Barbara Duden zeigten in ihrem dort vorgetragenen Beitrag: »Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus«,[20] dass die isolierte Hausarbeit ein relativ neues historisches Phänomen darstellt, da sich die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Etablierung der bürgerlichen Kleinfamilie als der dominanten Haushaltsstruktur durchgesetzt hat. Dieses Vergesellschaftungsmodell mit seiner Trennung in einen öffentlichen, bezahlten und dem männlichen Geschlecht zugeschriebenen Erwerbsarbeitsbereich und einen unsichtbaren, privaten, unbezahlten und dem weiblichen Geschlecht zugewiesenen Haus- und Sorgearbeitsbereich sahen sie als den Ausgangspunkt für die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung. Aus ihrer Analyse argumentierten sie, dass Frauen einen Anspruch haben, für ihre unbezahlte Hausarbeit vom Staat finanziell entlohnt zu werden.
Die komplexe Diskussion wurde 1977 auf der zweiten Berliner Sommeruniversität noch einmal aufgenommen und wiederum wurde heftig über das Thema gestritten. Die Lohn-für/gegen-Hausarbeits-Debatte hatte sich ausgebreitet und legte eine über die traditionelle Kritik am Kapitalismus hinausgehende Analyse der Wertschöpfung im Kapitalismus vor. Danach wurde die unbezahlte sogenannte Reproduktionsarbeit von Frauen, vorrangig im Haus, als Kern einer bisher fehlerhaften Analyse der politischen Ökonomie bestimmt.
Für viele Frauen war die Forderung nach Lohn für Hausarbeit (durch den Staat) – ebenso wie für Maria Dalla Costa – eine Kampfansage gegen die Hausarbeit. Denn Teile der Frauenbewegung erhofften nicht nur, dass diese Arbeit gesellschaftlich sichtbar und wertvoll wird, sondern dass mit der Bezahlung der Arbeit zudem eine Rationalisierung einhergehe und weiterentwickelte Haushaltstechnologien eingesetzt werden. Wenn Frauen materiell unabhängig sind – so wurde gehofft – seien sie auch imstande, die Hausarbeit und ihre Organisation infrage zu stellen, also diese Arbeitsform zu verweigern und ihre Vergesellschaftung zu fordern.[21]
Die Lohn-für-Hausarbeit-Debatte war Teil einer feministischen Strategie, die Frauen in einem Befreiungskampf ermächtigen sollte, der die grundlegende Neuorganisation der gesamten Arbeit in einem neuen Gesellschaftssystem zum Ziel hatte.
Für Dalla Costa war »Lohn für Hausarbeit« keine konkrete realpolitische Forderung, sondern der Beginn eines Kampfes, mit dem Hausarbeit – und die übrige Reproduktionsarbeit – überhaupt erst als Arbeit sichtbar gemacht werden sollte. Lohn für Hausarbeit sollte für Frauen anstelle von Lohnarbeit treten und Frauen sollten damit – wie der männliche Lohnarbeiter – Zeit für politische Arbeit haben. Sie sollten an den politischen Kämpfen ebenso teilnehmen können, wie diejenigen, die in der Produktion arbeiten. Ihr war bewusst, dass die besondere Form der Ausbeutung der Frauen auch eines besonderen Kampfes bedarf, nämlich den in der Familie. Deshalb plädiert sie nicht dafür, die Situation der Hausfrau durch einen Familienlohn zu institutionalisieren und damit zu verfestigen. Sie sieht, dass gerade in der Arbeiterklasse die Ehefrau »die Magd des Arbeiters« ist und dass ihr Output die Ausbeutung des Mannes sichert. Deshalb muss der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Familie als »Keimzelle der Gesellschaft« geführt werden.
Dabei geht es ihr nicht ausschließlich darum, die Hausarbeit zu verweigern, also »diese ganze Arbeit hinzuschmeißen, sondern die gesamte Hausfrauenrolle zu zerstören«.[22] Auch Dalla Costa ist bewusst, dass durch die Isolierung im Haus »Frauen von der wichtigen Erfahrung der kollektiven Organisation und Planung der Fabrikkämpfe und Massenkämpfe allgemein ausgeschlossen« wurden.[23] Aber ausgeschlossen sind nach ihrer Meinung nicht nur die Hausfrauen, sondern auch Kinder und Alte. Und sie bedauert, dass von den Organisationen der Arbeiterbewegung nicht erkannt wurde, dass gerade durch den Lohn der Lohnarbeitenden die Ausbeutung der Nicht-Lohnarbeitenden organisiert wird. Sie betont, dass die Frauen nicht nur ausgenutzt werden, »weil sie die Hausarbeit ohne Lohn und ohne zu streiken verrichten, sondern auch, weil sie die Familienmitglieder, die durch die Wirtschaftskrise periodisch erwerbslos werden, immer wieder im Haushalt aufnehmen.«.[24] Auch hier wird ihre Kritik an der Kleinfamilie deutlich, die die billigste Instanz zur Versorgung von Hilfsbedürftigen ist. Dalla Costa wehrt sich auch dagegen, dass die Frau die »tapfere Mutter und glückliche Ehefrau« sein muss, die den Mann und die Kinder diszipliniert, sodass sie für das kapitalistische Wirtschaftssystem funktionieren.[25]
Dalla Costas Texte sind mehr als historische Dokumente. Viele Argumente finden sich auch in den aktuellen feministischen Debatten der Bundesrepublik wieder. Das verwundert nicht, denn in der Hausarbeit sah sie das Verbindende für den internationalen Kampf von Millionen von Frauen. Themen wie Gewalt in der Familie, die Situation von jungen Menschen, die restriktiven Abtreibungsgesetze, der medizinische Umgang mit den Frauenkörpern, mit Schwarzen Bewegungen und Erwerbslosen, mit Müttern ohne Partner und – was ganz besonders aktuell ist – die Situation von Haushaltshilfen haben sich keinesfalls erledigt.
Nicht nur in den Texten aus den 1970er-Jahren, sondern auch in einer Rede aus dem Jahr 2007[26] setzt sich Dalla Costa mit der Situation der Migrantinnen auseinander, die unter besonders diskriminierenden Bedingungen die Hausarbeit übernehmen, die durch die italienischen Frauen verweigert wird. Auch das ist in der Bundesrepublik ein dringendes Problem. Hier wird die Berufstätigkeit von vielen Frauen erst möglich, wenn Frauen aus anderen Ländern die ungeliebte Hausarbeit übernehmen. Dalla Costa kritisiert, dass hier das Problem auf Kosten von Migrantinnen gelöst werden soll, indem häusliche Arbeiten in schlecht entlohnte Erwerbsarbeit umgewandelt und an meist weibliche Haushaltshilfen übergeben wird. Viele dieser Frauen haben selbst Familien, deren Versorgung sie übernehmen müssten. Sie übernehmen diese Arbeiten, weil sie keine andere bekommen. Neue Unterschichtungen zwischen gutverdienenden Hausherrinnen und schlecht bezahlten Migrantinnen sind die Folge.
Auch wenn die Diskussion um die Doppelbelastung von Frauen und die ungleiche Verteilung von Hausarbeit und Lohnarbeit in der feministischen Bewegung der BRD sich heute nicht um einen »Lohn für Hausarbeit« dreht, ist eine öffentliche Diskussion um politische Handlungsstrategien der Arbeitsteilung im Haushalt, die sich nicht mehr allein auf die Kritik an der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bezieht, sondern auch auf klassistische und rassifizierte Aspekte, nicht nur notwendig, sondern sie erfährt erfreulicherweise in den letzten Jahren insbesondere im Zusammenhang mit den Frauen*streiks, an deren Organisation und Durchführung vor allem junge FLINTA* beteiligt sind, auch wieder eine gewisse Aufmerksamkeit.
Schon lange wird Hausarbeit nicht nur in privaten Haushalten heterosexueller Paare mit Kindern geleistet. In Deutschland gab es zu keiner Zeit so viele Lebensmodelle wie heute. Und es gab ebenso die Frauenbewegung der 1970er-Jahre, die Kinderläden, Wohngemeinschaften und Kommunen propagierte, um der traditionellen Kleinfamilie Gemeinschaftsprojekte entgegenzusetzen. Sie wollten nicht nur die isolierte Hausarbeit, sondern auch den ›Käfig traditioneller Geschlechterbeziehungen‹ verlassen. Sie hatten Lust am Entdecken und Überschreiten des Erlaubten und machten ganz neue Erfahrungen in den Beziehungen zu Männern und auch von Frauen untereinander. Herbert Marcuse beschrieb die damals entstandenen Kommunen und Gemeinschaften als »Inseln einer Zukunft«, als »Testboten humaner Beziehungen«.[27] Leider haben wir wenige Informationen darüber, wie diese ihre Hausarbeit bewältigen, weil die meisten Untersuchungen immer noch vom Kleinfamilienhaushalt, der dem familistischen Konzept der bundesrepublikanischen Familienpolitik zugrunde liegt, ausgehen. Aus einzelnen Berichten von Projekten, die seit Jahrzehnten bestehen, wissen wir, dass an der Existenz von Kollektiven gleichberechtigter Mitglieder, die die Isolation der Einzelnen und die Fixierung der Geschlechterrollen in neuen Formen des Zusammenlebens und -arbeitens auflösen wollen, gezeigt werden kann, dass Möglichkeiten einer anderen Lebens- und Arbeitswelt hier und heute lebbar sind.[28]
Auch wenn es heute die ›reine‹ Hausarbeiterin (zumindest in den Großstädten), weder in der bürgerlichen Gesellschaft noch in der Arbeiterinnenklasse kaum noch gibt, so hat die Diskussion um Alternativen zur klassischen Hausarbeitsverteilung bis heute nichts an politischer Brisanz und Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil: Angesichts der aktuellen Krise der Care-Arbeit bzw. der sozialen Reproduktion, angesichts der nimmer-enden-wollenden Klagen um das ›Vereinbarkeitsproblem‹, die ausschließlich Frauen anzubringen haben, angesichts der Krankenhausbewegung, die sich gegen schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen innerhalb der bezahlten Care-Arbeiten richtet und der weltweiten Frauen*streikbewegung, die Reproduktionsarbeiten in ihre Kritik mit einbezieht, bietet die Lektüre des vorliegenden Buches nicht nur Bausteine für eine Analyse der gesellschaftlichen Zusammenhänge, sondern auch für die Entwicklung neuer Alternativen.
Übersetzung aus dem Italienischen von Gisela Bock
Mariarosa Dalla Costa auf einer Konferenz des Netzwerks »Lohn für Hausarbeit« in Toronto, 17.–20. Oktober 1975.
Seit wenig mehr als einem Jahr entsteht in Italien die feministische Bewegung. Sie speist sich aus sogenannten ›Sponti‹-Gruppen von Frauen, die gewöhnlich mit der Studentenbewegung zu tun gehabt hatten, außerdem solchen, die einem außerparlamentarischen oder parteipolitischen Engagement entstammten, oder auch Frauen, die jeglichem ›politischem Aktivismus‹ fernstanden.
Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie in keinem dieser Bereiche – von den studentischen Versammlungen über die außerparlamentarischen Gruppentreffen oder die Parteiversammlungen bis hin zu den vier Wänden ihrer Küche – einen Ort gefunden haben, von dem ihr Kampf oder ihr Leben etwas anderes als ein ›Anhängsel‹ gewesen wäre.
Diese Situation galt auch für Arbeiterinnen, obwohl gerade sie als ›Arbeiterinnen‹ zum Kern der Definition des historischen Objekts von Ausbeutung, der ›Arbeiterklasse‹, gehören; und galt für sie ungeachtet davon, wer beanspruchte, den Kampf in der Fabrik zu organisieren. [ … ]
Der Vergleich der weiblichen Erfahrung mit dem, was als Marxismus gilt, hat uns dazu bewogen, die Situation der Frauen zu analysieren, und zwar nicht so sehr entlang der Frage, wie sie degradiert werden, sondern warum.
Nachdem die Literatur der feministischen Bewegung umrissen hat, wie die Frauen gleichsam versklavt wurden, hat sie die Familie als den Bereich der Gesellschaft beschrieben, in dem die jungen Menschen gezwungen werden, die Disziplin der kapitalistischen Beziehungen zu akzeptieren, die aus marxistischer Sicht mit der Arbeitsdisziplin beginnt. Einige Frauen haben die Familie als das Zentrum der Konsumtion identifiziert, und wieder andere haben die Hausfrauen als eine versteckte Reservearmee identifiziert. Gleichwohl arbeiten diese ›arbeitslosen‹ Frauen hinter den geschlossenen Türen des Haushalts, bis sie erneut gerufen zu werden, wenn das Kapital sie braucht.
Mit all dem stimmen auch wir überein, allerdings auf einer anderen Grundlage: Die Familie im Kapitalismus ist ein Zentrum von Konsum und von Arbeitskraftreserve, aber vor allem ist sie ein Zentrum der Produktion. Als die vorgenannten ›Marxisten‹ sagten, dass die kapitalistische Familie nicht für den Kapitalismus produziere, dass sie kein Teil der gesellschaftlichen Produktion sei, lehnten sie offensichtlich die potenzielle gesellschaftliche Macht der Frauen ab. Oder besser: Indem sie unterstellen, dass die Frauen im Haus keine gesellschaftliche Macht haben können, können sie sich diese Frauen im Haus nicht als Produzentinnen vorstellen. Wenn deine Produktion für den Kapitalismus lebenswichtig ist, ist die Verweigerung der Produktion, die Verweigerung der Arbeit, ein grundlegender Hebel gesellschaftlicher Macht.
Die Ware, welche die Frauen produzieren, ist – im Unterschied zu den sonstigen Waren, die im Kapitalismus produziert werden – der Mensch: der Arbeiter. […] Der gesellschaftliche Kontext ist somit kein separates Territorium, das die Fabrik bloß unterstützt, sondern er ist selbst ein integraler Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise, und immer mehr wird er gleichsam fabrikmäßig reglementiert – deshalb definieren wir ihn als ›gesellschaftliche Fabrik‹.
Die Abschottung der Frauen im Haus war historisch stärker in Italien als in anderen industrialisierten Ländern ausgeprägt. Diese Situation hat sich sogar noch verschlimmert, ungeachtet der – sehr wenigen – Gesetze zum ›Schutz‹ der Frauen. In Italien erfordert der Lohn somit ein außerordentlich hohes Maß an ›häuslicher Arbeit‹. In Italien, stärker als in anderen industrialisierten Ländern, hat das Kapital den Mann von den häuslichen Dienstleistungen ›befreit‹, um ihn für das Maximum an Ausbeutung in der Fabrik verfügbar zu machen.
Auf dem ›italienischen Weg zum Sozialismus‹ während der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schien es, dass in der Zukunft die Macht der Frau aus einer hohen weiblichen Beteiligung an der Erwerbstätigkeit resultieren müsse, die wiederum von einer immer breiteren Ausübung demokratischer Freiheiten und einer fortschreitenden Eroberung faktischer Gleichheit seitens der Bürgerinnen begleitet würde. Aber bis dahin musste die Masse der ›Bürgerinnen‹ wählen zwischen zeitlich unbegrenzter Arbeit in der Landwirtschaft und einem Umzug in die Stadt, der keinerlei Gewissheit eines Arbeitsplatzes bot.
So blieben insgesamt die weniger unsicheren Arbeitsplätze den Männern vorbehalten, während für Frauen diejenigen Jobs bestimmt waren, die von den negativen Konjunkturtrends besonders betroffen waren, also solche in rückständigen Sektoren. Bei ihrem Eintritt in die Fabrik waren Frauen die letzten, die angeheuert wurden, und dann die ersten, die entlassen wurden.
Die Rezession von 1963/64, ebenso wie die heutige, hat das deutlich gezeigt, aber mehr den Unternehmern als der gesamten Linken: Denn die italienischen Planungsexperten gehen davon aus, dass sie kein Problem damit haben werden, zukünftig den Anteil der weiblichen Erwerbstätigkeit an der Gesamterwerbstätigkeit niedrig zu halten.
Wenn die Frauen auf den Arbeitsplatz gewartet hätten, um dann anfangen zu können zu kämpfen, dann hätte es weder ein Ende der unbegrenzten Arbeitszeit in der Landwirtschaft gegeben, noch den Kampf gegen Preiserhöhungen noch Hausbesetzungen. Und andererseits zeigt die geringe Macht der Frauen gegenüber dem gegenwärtigen Preisanstieg nichts anderes als die allgemeine Schwäche der Klasse gegenüber der Inflation. Nur so lässt sich erklären, warum die Arbeiterklasse in Italien auf der gesellschaftlichen Ebene wehrlos ist gegenüber der Gewalt der Rezession.
In England und den Vereinigten Staaten – wie gewiss auch in anderen westlichen Ländern – musste die Frauenbefreiungsbewegung gegen die Weigerung der Linken antreten, auch nur irgendeinen Bereich von Kämpfen ernst zu nehmen, in dem es nicht um die Fabriken der Metropolen ging.
In Italien stößt die Frauenbefreiungsbewegung, während sie ihre eigene autonome Existenz gegenüber der Linken und der Studentenbewegung entfaltet, mit diesen beiden auf einem Terrain zusammen, das sie anscheinend ebenfalls diskutieren: wie nämlich der Kampf auf sozialer Ebene zu organisieren sei. Der Vorschlag der Linken für einen solchen sozialen Kampf bestand lediglich in der mechanischen Ausweitung und Projektion des Fabrikkampfes: Der männliche Arbeiter blieb weiterhin seine zentrale Figur. Für die feministische Befreiungsbewegung galt als soziale Ebene in erster Linie das Haus, und deshalb sieht sie die Frau als die zentrale Figur des gesellschaftlichen Umsturzes. Auf diese Weise setzen sich die Frauen selbst als Widerpart zum politischen Rahmen der Männer und eröffnen erneut die gesamte Frage der Perspektive für den politischen Kampf und die revolutionäre Organisation.
Dieses Mal ist es die gesamte weibliche Bevölkerung, die »wieder einigermaßen zur Besinnung« kommt und damit zum »Widerstand«,[29] doch war sie zuvor nicht etwa – wie die Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert – »vom Produktionslärm übertölpelt« gewesen, sondern von dem Lärm, den die Ideologie der Linken um die »Produktion« machte.
Padua, Januar 1972
aus dem Italienischen und Englischen übersetzt von Gisela Bock
Mariarosa Dalla Costa trägt ein Transparent auf der Demonstration zum 1. Mai 1975 in Mestre, Venedig.
Diese Bemerkungen sind ein Versuch, die ›Frauenfrage‹ im Gesamtzusammenhang der ›Rolle der Frau‹, wie sie durch die kapitalistische Arbeitsteilung geschaffen wurde, zu definieren und zu analysieren.
Im Folgenden setzen wir die ›Hausfrau‹ als die zentrale Gestalt dieser Frauenrolle an die erste Stelle. Wir gehen davon aus, dass alle Frauen Hausfrauen sind; auch diejenigen, die außerhalb des Hauses arbeiten, sind weiterhin Hausfrauen. Im Weltmaßstab wird die Lage der Frau, wo immer sie ist und zu welcher Klasse auch immer sie gehört, genau durch das bestimmt, was typisch ist für die Hausarbeit, nämlich nicht nur die Anzahl der Stunden und die Art der Arbeit, sondern die Qualität des Lebens und die Qualität der Beziehungen, die durch die Hausarbeit geschaffen werden. Wir konzentrieren uns hier auf die Stellung der Frauen in der Arbeiterklasse, aber das besagt nicht, dass nur Frauen der Arbeiterklasse ausgebeutet werden. Wir wollen vielmehr unterstreichen, dass die Rolle der Hausfrau der Arbeiterklasse, die unserer Meinung nach unerlässlich ist für die kapitalistische Produktion, entscheidend ist für die Stellung aller anderen Frauen. Somit muss jede Analyse der Frauen als Kaste von der Analyse der Stellung der Hausfrau in der Arbeiterklasse ausgehen.
Um zu erkennen, dass die Hausfrau die zentrale Gestalt ist, ist es zunächst notwendig, kurz zu analysieren, wie der Kapitalismus die moderne Familie und in ihr die Hausfrau geschaffen und wie er die vorangegangenen Formen der Großfamilie und der Gemeinde zerstört hat.
Dieser Prozess ist keineswegs schon abgeschlossen. Zwar sprechen wir von der westlichen Welt und von Italien im Besonderen, doch müssen wir klarstellen, dass in dem Ausmaß, in dem die kapitalistische Produktionsweise auch die globale Peripherie unter ihr Kommando zwingt, derselbe Prozess der Zerstörung dort vor sich geht und gehen muss. Es ist auch keineswegs selbstverständlich, dass die Familie, wie wir sie heute in den technisch am weitesten fortgeschrittenen westlichen Ländern kennen, bereits die letzte Form ist, die die Familie unter dem Kapitalismus annehmen kann. Aber die Analyse neuer Tendenzen kann nur das Ergebnis einer Analyse sein, die untersucht, wie der Kapitalismus diese Familie und die Rolle der Frau geschaffen hat – und zwar beide als Momente ein und desselben Prozesses.
Wir wollen diese Ausführungen in einer späteren Arbeit mit einer Untersuchung über die Stellung der Frau, die außerhalb des Hauses arbeitet, vervollständigen. Hier wollen wir lediglich auf den Zusammenhang zwischen zwei scheinbar getrennten Erfahrungsbereichen hinweisen: den der Hausfrau und den der außerhalb des Hauses arbeitenden Frau.
Der tagtägliche, massenhafte Kampf, den die Frauen seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt haben, richtet sich direkt gegen die Organisation der Fabrik und des Haushalts. Die ›Unzuverlässigkeit‹ der Frauen außerhalb und innerhalb des Hauses, über welche die Arbeitgeber so sehr klagen, ist seit dem Ende des Krieges rapide angewachsen. Sie richtet sich direkt gegen die Fabrik als zeitlich-räumliche Einheit der Disziplinierung und gegen die gesellschaftliche Fabrik als Stätte der Reproduktion der Arbeitskraft. Dieser Trend zu häufigerer Abwesenheit, zu immer geringerem Einhalten der Arbeitszeiten, zu öfterem Arbeitsplatzwechsel ist den jungen Männern und Frauen der Arbeiterklasse gemeinsam. Aber während der Mann in den entscheidenden Lebensabschnitten alleiniger Ernährer einer jungen Familie ist, sind die Frauen, die nicht in gleicher Weise in das Arbeitsverhältnis eingespannt sind und der Hausarbeit immer den Vorrang geben müssen, auch unweigerlich weniger gefügig gegenüber der Arbeitsdisziplin und verursachen dadurch Störungen des Produktionsablaufs und damit höhere Kosten für das Kapital. Das ist eine der Ausreden für die diskriminierenden Löhne, die den Verlust des Kapitals mehrfach wettmachen. Eben diese Tendenz zur Verweigerung (die sich etwa darin ausdrückt, dass ganze Gruppen von Hausfrauen ihre Kinder den Männern in der Fabrik und im Büro überlassen)[30] ist und wird in zunehmendem Maße eine der entscheidenden Kräfte sein, welche die Krise des Systems der Fabrik und des Systems der gesellschaftlichen Fabrik bestimmen.
In den letzten Jahren ist eine Reihe von Frauenbewegungen besonders in den spätkapitalistischen Ländern entstanden, Bewegungen mit unterschiedlichen Orientierungen und unterschiedlicher Tragweite: angefangen bei denen, die glauben, der fundamentale Konflikt in der Gesellschaft bestehe zwischen Männern und Frauen, verstanden als atavistischer Kampf zwischen verschiedenen Arten, bis hin zu jenen, die die Lage der Frau als spezifischen Ausdruck der Klassenausbeutung begreifen. Wie verwirrend die erste Position auch sein mag, besonders für Frauen, die bereits Erfahrungen im politischen Kampf gemacht haben, so muss doch unseres Erachtens gleich betont werden, dass Frauen, für welche die sexuelle Ausbeutung der grundlegende gesellschaftliche Widerspruch ist, ein außerordentlich wichtiges Indiz für das Ausmaß der Frustration sind, die Millionen von Frauen inner- und außerhalb der Bewegung erfahren haben. Da gibt es diejenigen, die ihr Lesbischsein in solchen Worten definieren (wir beziehen uns auf Äußerungen von Teilen der Bewegung besonders in den USA): »Wir haben genau von dem Augenblick an begonnen, uns als Frauen zusammenzuschließen, als wir – gerade weil wir unter uns waren – die Beziehungen zu Männern nicht mehr ertrugen und nicht verhindern konnten, dass diese zu Herrschaftsverhältnissen wurden, in denen wir unvermeidlich die Unterlegenen sind. Unsere Energien und Anstrengungen wurden abgelenkt, unsere Macht geschwächt und unsere Ziele eingeschränkt.« Aus der Verweigerung solcher Beziehungen hat sich eine Bewegung lesbischer Frauen entwickelt, die für Beziehungen kämpft, die frei von sexuellen Machtkämpfen und frei von ideologischen Zwängen sind; zugleich artikuliert diese Bewegung unser Bedürfnis nach breiteren gesellschaftlichen und damit sexuellen Möglichkeiten.
Um die Verzweiflung der Frauen zu verstehen, die sich in immer zahlreicheren Formen ausdrückt, müssen wir uns darüber klar werden, was in der Struktur der kapitalistischen Familie eine derartige Krise ausgelöst hat. Zwar hat die Unterdrückung der Frau bekanntlich keineswegs mit dem Kapitalismus begonnen. Aber was mit dem Kapitalismus begann, war die noch intensivere Ausbeutung der Frauen als Frauen – und schließlich die Möglichkeit ihrer Befreiung.
In der vorkapitalistischen, patriarchalen Gesellschaft waren Haus und Familie Mittelpunkt einer landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion. Mit dem Aufkommen des Kapitalismus organisierte sich die Vergesellschaftung der Produktion mit der Fabrik als Mittelpunkt. Diejenigen, die in den neuen Produktionszentren, eben in der Fabrik, arbeiteten, erhielten einen Lohn; diejenigen, die ausgeschlossen waren, erhielten keinen. Frauen, Kinder und Alte verloren ihre bescheidene Macht, die sie aufgrund der Abhängigkeit der Familie von ihrer Arbeit, die als gesellschaftlich und notwendig betrachtet wurde, besessen hatten. Das Kapital, das die Familie und die Gemeinde als Produktionseinheit zerstörte, hat auf der einen Seite die grundlegende gesellschaftliche Produktion in den Fabriken und Büros konzentriert und auf der anderen Seite den Mann im Wesentlichen von der Familie entfernt, indem es ihn zum Lohnarbeiter gemacht hat. Es hat dem Mann die Last der finanziellen Verantwortung für Frauen, Kinder, Alte und Kranke, mit einem Wort all diejenigen, die keinen Lohn erhalten, aufgebürdet. An diesem Punkt begann auch die Ausschließung all derer aus dem Haus, die nicht gebären und denen, die für Lohn arbeiten, nicht zu Diensten sind. Die ersten, die nach den Männern aus dem Haus ausgeschlossen wurden, waren die Kinder, die zur Schule geschickt wurden. Die Familie hörte nicht nur auf, Zentrum der Produktion, sondern auch, Ort der Erziehung zu sein.[31]
In dem Maß, in dem Männer die despotischen Häupter der patriarchalischen, auf einer strengen Arbeitsteilung basierenden Familie waren, war die Erfahrung der Frauen, Kinder und Männer eine widersprüchliche Erfahrung, die noch unser Erbe ist. Aber in der vorkapitalistischen Gesellschaft hatte die Arbeit eines jeden Mitglieds der Gemeinschaft der Dienenden einen ersichtlichen Zweck: entweder die Wohlhabenheit des Feudalherren oder das eigene Überleben. In diesem Sinne war die ganze Gemeinschaft der Dienenden gezwungen, in einer Gleichheit der Unfreiheit zusammenzuarbeiten, die im gleichen Ausmaß Frauen, Kinder und Männer betraf und die der Kapitalismus notwendig zerbrechen musste.[32] In diesem Sinne begann die Krise des »unfreien Menschen«, der »Demokratie der Unfreiheit«.[33] Der Übergang von der Leibeigenschaft zur freien Lohnarbeit trennte die Proletarier von den Proletarierinnen und beide von ihren Kindern. Aus dem unfreien Patriarchen wurde der ›freie‹ Lohnarbeiter, und aufgrund der widersprüchlichen Erfahrungen der Geschlechter und Generationen bildete sich eine noch tiefere Entfremdung und damit ein noch subversiveres Verhältnis heraus.
Wir betonen, dass man die Bedeutung dieser Trennung der Kinder von den Erwachsenen verstehen muss, um die ganze Tragweite der Trennung der Frauen von den Männern zu verstehen. Dann erst können wir wirklich begreifen, dass die Organisation des Kampfes seitens der umfassenden feministischen Bewegung – selbst wenn sie jegliche Beziehung zu Männern radikal und gar gewaltsam ablehnt – nur das Ziel haben kann, diese Trennung zu überwinden, die auf der ›Freiheit‹ der Lohnarbeit beruht.
Die Analyse der Schule, die in den letzten Jahren begann – besonders seit dem Aufkommen der Studentenbewegung – hat zu Recht die Schule als Zentrum der ideologischen Disziplinierung und der Ausbildung der Arbeitskräfte sowie von deren Vorgesetzten identifiziert. Was vielleicht niemals zutage trat oder zumindest nicht in vollem Ausmaß, ist das, was all dem vorausgeht: nämlich die übliche Verzweiflung der Kinder an ihrem ersten Tag in der Schule, wenn sie in eine Klasse gestopft werden und ihre Eltern sie plötzlich verlassen. Aber genau an diesem Punkt beginnt die ganze Geschichte der Schule.[34]
In dieser Hinsicht sind die Kinder, die die Volksschule besuchen, nicht einfach Anhängsel der Oberschüler, von denen sie die Forderungen nach kostenlosem Schulessen, Nulltarif und Lehrmittelfreiheit übernehmen und denen sie deswegen gleichgesetzt werden können.[35] Die Volksschüler, Söhne und Töchter von Angehörigen der Arbeiterklasse, haben schon ein Bewusstsein davon, dass die Schule sie auf irgendeine Weise gegen ihre Eltern und ihresgleichen stellt, und folglich praktizieren sie einen instinktiven Widerstand dagegen, zu lernen und ›erzogen‹ zu werden. Es ist der gleiche Widerstand, um dessentwillen schwarze Kinder in England auf Schulen beschränkt werden, die unter dem normalen Ausbildungsniveau liegen.[36] Die Kinder der europäischen Arbeiterklasse ebenso wie, in den USA, die Kinder der schwarzen Arbeiterklasse sehen im Lehrer jemanden, der ihnen etwas beibringt, das sich gegen ihre Mutter und gegen ihren Vater richtet, nicht zum Schutz des Kindes, sondern als Angriff auf seine Klasse. Der Kapitalismus ist das erste Produktionssystem, unter dem die Kinder der Ausgebeuteten in Institutionen diszipliniert und ausgebildet werden, die von der herrschenden Klasse organisiert und kontrolliert werden.[37]
Dass diese entfremdende Indoktrinierung, die im Kindergarten beginnt, auf der Aufspaltung der Familie beruht, wird schlagend dadurch bewiesen, dass die wenigen Kinder aus der Arbeiterklasse, die bis zur Universität gelangen, eine solche Gehirnwäsche hinter sich haben, dass sie unfähig werden, sich mit den Angehörigen ihres ehemaligen Lebenszusammenhangs noch zu verständigen. Arbeiterkinder sind also die ersten, die instinktiv gegen die Schule und gegen die dort gebotene Ausbildung rebellieren. Aber ihre Eltern schicken sie und zwingen sie zur Schule, weil sie hoffen und wünschen, dass ihre Kinder eine ›Ausbildung‹ erhalten, um dem Fließband oder der Küche zu entgehen, an welche die Eltern gefesselt sind. Wenn ein Arbeiterkind besondere Fähigkeiten zeigt, dann konzentriert sich sofort die ganze Familie auf dieses Kind, schafft ihm die besten Möglichkeiten, oftmals auf Kosten der anderen Kinder, in der Hoffnung, dass es ihnen allen aus der Klasse, der sie angehören, heraushilft. So bedient sich das Kapital faktisch der Sehnsüchte der Eltern, um mit ihrer Hilfe die neue Arbeitskraft zu disziplinieren. In Italien gelingt es den Eltern immer weniger, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Der Widerstand der Kinder gegen die Schule wächst und breitet sich immer weiter aus, auch wenn er bis jetzt noch nicht organisiert ist.
Ebenso wie der Widerstand der Kinder gegen die Ausbildung in der Schule wächst ihre Ablehnung der Rolle, die das Kapital ihrer Altersstufe