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Heike Abidi

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Beschreibung

Juliane Frey ist eine Frau der schnellen Entschlüsse: Als sie ihren Mann Malte, Inhaber des Romantik-Hotels »Sea of Love«, in flagranti erwischt, zögert sie keine Sekunde, sich von ihm zu trennen. Doch wie soll es für sie weitergehen? Der Job im Hotel des Ex kommt nicht mehr infrage. Und Hochzeiten will sie ohnehin keine mehr organisieren, von Liebe und Ehe hat sie vorerst die Nase voll. Dann läuft ihr Roberta, eine frühere Kundin, über den Weg und bittet sie, ihre Scheidungsparty mindestens so perfekt und aufwändig zu organisieren wie damals die Hochzeit. Bevor sie sich versieht, ist Juliane Unternehmerin und ihre Scheidungs-Eventagentur »Free again« ein florierendes Geschäft! Auch an interessanten Männern hat es in ihrem Leben plötzlich keinen Mangel mehr ...

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Seitenzahl: 312

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Heike Abidi

Free again – alles auf Anfang

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Juliane Frey ist eine Frau der schnellen Entschlüsse: Als sie ihren Mann Malte, Inhaber des Romantik-Hotels »Sea of Love«, in flagranti erwischt, zögert sie keine Sekunde, sich von ihm zu trennen. Doch wie soll es für sie weitergehen? Der Job im Hotel des Ex kommt nicht mehr in Frage. Und Hochzeiten will sie ohnehin keine mehr organisieren, von Liebe und Ehe hat sie vorerst die Nase voll.

Dann läuft ihr Roberta, eine frühere Kundin, über den Weg und bittet sie, ihre Scheidungsparty mindestens so perfekt und aufwendig zu organisieren wie damals die Hochzeit.

Inhaltsübersicht

Ex-Mann am Apparat – Episode 1Kapitel 1:Kapitel 2:Kapitel 3:Ex-Mann am Apparat – Episode 2Kapitel 4:Kapitel 5:Kapitel 6:Ex-Mann am Apparat – Episode 3Kapitel 7:Kapitel 8:Kapitel 9:Ex-Mann am Apparat – Episode 4Kapitel 10:Kapitel 11:Kapitel 12:Ex-Mann am Apparat – Episode 5Kapitel 13:Kapitel 14:Kapitel 15:Ex-Mann am Apparat – Episode 6Kapitel 16:Kapitel 17:Kapitel 18:
[home]

Ex-Mann am Apparat – Episode 1

Ein Handy dudelt »Männer sind Schweine«.

»Juliane Frey, hallo?«

Schweigen in der Leitung.

»Malte, bist du das?«

Ein Schnauben. Dann ein Räuspern.

»Aber Julchen, warum nennst du dich so?«

Unterdrücktes Stöhnen.

»Weil ich so heiße. Schon auf meiner Geburtsurkunde stand Juliane Frey.«

»Du weißt doch genau, was ich meine, Julchen. Du kannst doch nicht einfach so deinen Namen ändern!«

Seufzen. Genervt, diesmal nicht unterdrückt.

»Im Gegenteil, Malte, das kann ich sehr wohl. Wir sind geschiedene Leute, schon vergessen? Und ich heiße jetzt wieder Frey. Passt doch prima, findest du nicht? Nun, da ich wieder frei bin … Aaaaaaah!«

Fluchen. Gepolter. Noch ein Fluch.

»Ist was passiert, Julchen?«

»Zum Kuckuck, Malte, lass mich in Frieden. Und nenn mich nie wieder Julchen!!!«

Kapitel 1:

Eine möblierte Frau

Ex-Männer sind die Pest. Vor allem meiner. Malte regt mich immer noch auf, ehrlich! Obwohl wir schon seit gut einem Monat nicht mehr verheiratet sind, meint er immer noch, mir Vorschriften machen zu können.

Und das auch noch im denkbar ungünstigsten Augenblick!

Ich gehöre nun mal nicht zu den Multitasking-Frauen, die mit dem Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt lässig aus dem Auto steigen und dabei geschickt zwei riesige Einkaufstüten balancieren können.

Nur im Traum schaffe ich es, mit einem High-Heel-beschuhten Fuß die Autotür zuzukicken, bevor ich dann munter telefonierend zur Haustür schreite. Im wirklichen Leben trage ich nicht mal High Heels. Doch selbst in Sneakers gelingt es mir, über die Bordsteinkante zu stolpern und mitsamt meinen Einkäufen auf dem Bürgersteig zu landen.

Shit!

Schlimm genug, dass ich mich hier langlege, aber dass mein Ex das auch noch live am Telefon mitbekommt, hätte echt nicht sein müssen. Zum Glück sieht er mich in dieser erbärmlichen Lage wenigstens nicht.

Nachdem ich meinen Frust an Malte ausgelassen und ihn zum Abschied noch einmal gepflegt angeschnauzt habe, begutachte ich erst die schmerzhaften Abschürfungen an meinen Handflächen und dann meine Sachen, die aus den Tüten gekullert sind: Kaffeepads, Dosenravioli, zweilagiges Toilettenpapier, Sprühsahne, Billigkekse, eine Vorratspackung Tampons … All das schwimmt in einer rötlichen Pfütze aus Sonderangebot-Merlot und Salatöl und entlockt mir ein weiteres Stöhnen.

»Alles okay mit Ihnen?«

Die Stimme, die das fragt, gehört einer blond gelockten Erscheinung mit Anderthalbtagebart und Grübchen im Kinn. Ich möchte im Boden versinken. Oder nein: Ich möchte die Uhr zurückdrehen, wenigstens um eine Minute, und dann noch einmal aus dem Auto aussteigen, ihm dabei aber nicht vor die Füße fallen, sondern in die Arme.

Verdammt mieses Timing, liebes Schicksal!

Zwar habe ich eigentlich von Kerlen zurzeit die Nase gestrichen voll, aber Exemplaren wie diesem hier begegnet man nur alle Schaltjahre einmal. Und wenn es geschieht, wäre es ideal, nicht ausgerechnet am Boden zwischen seinen Einkäufen zu kauern. Spontan überkommt mich Wut auf Murphy und sein saublödes Gesetz.

»Sie meinen, abgesehen davon, dass ich es mir hier auf dem Pflaster kurz gemütlich gemacht habe? Ja, mir geht’s prima«, rutscht es mir heraus, und sofort könnte ich mich selbst ohrfeigen. Warum plappere ich in Stresssituationen nur immer so einen Müll, anstatt erst einmal nachzudenken?

Der Blondgelockte macht ein ernstes Gesicht und zieht sein Smartphone aus der Tasche. Grundgütiger, bitte lass ihn kein Fotokünstler sein, der mit dem Motiv Frisch Geschiedene am Boden zerstört weltberühmt werden will!

»Keine Sorge, ich bin bloß Zahnarzt«, grinst er und reicht mir die Hand, um mir aufzuhelfen. »Eigentlich wollte ich die Ambulanz rufen. Aber offensichtlich stehen Sie doch nicht unter Schock, sondern sind bloß schlagfertig – und in diesem Fall dürften meine Erste-Hilfe-Kenntnisse genügen.«

Mist, ich muss wohl mal wieder laut gedacht haben. Das passiert mir immer, wenn ich verwirrt bin. Und das bin ich gerade – von Maltes Anruf, meinem Sturz und dem Lächeln des unbekannten Dentisten, das ihn eher wie ein Zahncrememodel aussehen lässt. Und ich kann nur hoffen, dass ich das mit dem Zahnpastalächeln nicht auch schon wieder hinausposaunt habe!

»Schade um den Wein«, kommentiert er kopfschüttelnd die Sauerei auf dem Bürgersteig. »Warte, ich helfe dir.«

In alten Filmen duzt man sich nie vor dem ersten Kuss. In der modernen Welt ist der Inhalt einer Einkaufstüte deutlich intimer als oraler Körperkontakt – sie verrät alles über das Leben, das man führt. Und meins ist zurzeit einsam, sparsam und ungesund. Ein Discounter-Leben. Was bleibt mir auch anderes übrig als neuerdings rechtswirksam Geschiedene ohne Job und Partner? Es fehlt nicht mehr viel, und ich fange an, Rabattmarken zu sammeln …

Jetzt beeile ich mich erst einmal, die Tampon-Vorratspackung aufzuheben, bevor der Blondgelockte es tut, und stopfe sie zurück in eine der beiden Tüten.

Er nimmt den anderen Einkaufsbeutel und deutet auf die Haustür. »Wohnst du hier?«

Ich nicke. »In der dritten Etage.«

Er nimmt mir auch die zweite Tüte ab und trägt sie für mich hinauf.

Acht Stufen, Treppenabsatz, sieben Stufen, erster Stock. Wieder acht Stufen, Absatz …

Erst in der zweiten Etage beginne ich mich zu fragen, warum ich stumpfsinnig meine Schritte zähle, anstatt mich darüber zu wundern, dass mir ein Wildfremder die Einkäufe hochschleppt. Aber ich bin schon ein bisschen außer Atem und verzichte lieber darauf, den wertvollen Sauerstoff mit unnötigen Fragen zu vergeuden. Außerdem kam mir der blonde Zahnarzt nicht gerade wie ein Gelegenheitstriebtäter vor.

»Danke«, keuche ich deshalb nur, als wir vor meiner Tür ankommen. »Kann ich dir was anbieten? Einen Kaffee oder so?«

»An sich gerne, aber ich muss erst nach nebenan«, sagt er und deutet auf den Eingang zur Nachbarwohnung. »Danach komme ich gerne auf dein Angebot zurück, Juliane.«

Meinen verblüfften Blick quittiert er mit einem Grinsen. Dann deutet er auf das Klingelschild, auf dem in fetten Druckbuchstaben mein Name steht, und drückt mir eine schicke Visitenkarte in die Hand. »Damit du weißt, wen du gerade zum Kaffee eingeladen hast.«

 

Dr. med. Adrian Bohrer, Zahnarzt, steht auf der Karte. Das soll wohl ein Witz sein! Dieser Adrian muss einen ganz schön schrägen Humor haben. Vielleicht hat er seine Berufswahl getroffen, als er nicht ganz zurechnungsfähig war. Das ist ja fast so, wie wenn ich mit meinem Namen Knastwärterin würde. Oder Freiheitskämpferin. Oder Adelige. Freifrau Frey, hey, das klingt fast so lustig wie Zahnarzt Bohrer.

Kichernd leere ich die wein- und ölbesudelten Einkäufe ins Spülbecken und tupfe sie mit Küchenpapier trocken. Plötzlich denke ich an Malte und seine lachhafte Empörung darüber, dass ich nicht länger Liebholdt heiße. Was in aller Welt spielt das jetzt noch für eine Rolle? Eigentlich könnte es ihm piepegal sein, wie ich mich am Telefon melde. Im Grunde besteht sowieso kein Anlass, dass er mich weiterhin anruft. Und doch tut er es. Regelmäßig. Neulich wollte er sogar wissen, wie mir die Wohnung gefällt. Blöde Frage. Schließlich haben wir sie noch gemeinsam gekauft. Vor anderthalb Jahren erst.

Damals, in einem anderen Leben.

Seinerzeit hatte ich noch alles: einen erfolgreichen und – wie ich glaubte – liebenswerten Ehemann, die Vollmacht über seine Bankkonten und einen spannenden Job, der mich erfüllte.

Leider hat sich Malte inzwischen als treuloser Schwerenöter entpuppt, mein aktueller Kontostand ist geradezu mitleiderregend und die Wahrscheinlichkeit, dass ich meinen alten Job jemals wieder ausüben werde, ist niedriger als die Chance, dass eines Tages ein echter Baron um meine Hand anhält und mich tatsächlich zur Freifrau macht.

»Autsch!«, quieke ich ganz und gar unadelig. Ich habe in eine Scherbe gegriffen und mich am Daumen geschnitten. Dabei kann ich doch kein Blut sehen.

Na super.

Ich kneife die Augen so weit zusammen, dass ich nur noch hell-dunkle Schemen erkenne, stecke den Daumen in den Mund, damit das Blut nicht heruntertropft, und wanke halb blind ins Bad, wo ich das Verbandsmaterial aufbewahre. Das Blut schmeckt irgendwie metallisch. Ekelhaft! Angewidert nehme ich den Daumen aus dem Mund und umwickele ihn provisorisch mit einer halben Rolle Klopapier. Zweilagiges hat eine miserable Saugkraft. Spare ich etwa am falschen Ende? Und warum denke ich gerade über Toilettenpapier nach?

»Reiß dich zusammen, Juliane«, weise ich mich selbst zurecht. Dann spüle ich den Mund aus und atme tief durch.

Okay.

Ganz ruhig!

Eins nach dem anderen.

Erst einmal muss ich mich verarzten. Vorsichtshalber nehme ich den Verbandskasten mit in die Küche. Wenn ich im Sitzen ohnmächtig werde, falle ich wenigstens nicht so tief.

Gerade als ich das Klopapier abwickeln will, klingelt es an der Haustür. Nicht zu fassen. Das kann nur Malte sein! Sieht ihm ähnlich, sich nach dem abrupten Ende unseres Telefonats umgehend ins Auto zu setzen und hierherzufahren, um mich zur Rede zu stellen. Was bildet der sich eigentlich ein?

»Hau ab, du bist Vergangenheit!«, brülle ich in Richtung Wohnungstür. »Ab sofort mache ich nur noch, was ich will.«

Stille.

Dann ein zaghaftes Klopfen.

»Juliane? War deine Einladung eben doch nicht ganz ernst gemeint?«

Oh, nein! Den Doc habe ich ja völlig vergessen! Ich springe auf, flitze zur Tür und reiße sie auf. Dann sehe ich den roten, langsam größer werdenden Fleck auf dem weißen Zellstoff an meiner Hand, mir wird schwarz vor Augen, und ich kippe wie ein gefällter Baum um.

 

Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf dem Sofa. Das erkenne ich noch mit geschlossenen Augen am scharfen Geruch. Gestern habe ich versucht, Schokoeis vom Bezug zu entfernen. Mit dem Resultat, dass der Stoff etwas bleicher geworden, der Schokoeisklecks aber immer noch da ist – und das ganze Sofa nach Essigessenz stinkt.

Dann schlage ich die Augen auf und sehe Adrian vor mir. Die besorgte Miene steht ihm ausgesprochen gut. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie er sagt: »Ihre Zähne sind in Ordnung, aber Ihr Zahnfleisch ist in Gefahr.« Ich würde sofort jedes Produkt kaufen, das er mir anpreist, um diesem schlimmen Schicksal zu entgehen!

Doch Adrian sagt nichts dergleichen. Stattdessen reicht er mir ein Glas Wasser und überprüft stirnrunzelnd meinen Puls. Dann empfiehlt er mir, noch ein Weilchen liegen zu bleiben, und macht sich dann in meiner Küche zu schaffen. Ich lasse ihn gewähren, denn erstens habe ich dort nichts zu verbergen, und zweitens fühle ich mich tatsächlich noch ein bisschen schlapp.

Das Brummen meiner Pad-Maschine und der Duft des frisch gebrühten Kaffees wecken meine Lebensgeister. Als Adrian mit zwei gefüllten Kaffeetassen ins Wohnzimmer kommt, setze ich mich schwungvoll auf, ignoriere das leichte Schwindelgefühl und lächele ihm dankbar zu.

Er stellt Zucker und Milch auf den Tisch. »Ich wusste ja nicht, wie du deinen Kaffee trinkst«, sagt er, so als wäre er der Gastgeber und nicht der Gast.

»Am liebsten schwarz«, informiere ich ihn und greife nach der Tasse mit der Aufschrift Ich würde dir ja aus dem Kaffeesatz lesen, aber ich finde meine Brille nicht, die mir Lisa zum vierzigsten Geburtstag geschenkt hat. Sie ist ein Jahr jünger als ich und fand das damals superwitzig. Inzwischen ist sie selbst vierzig, und bei mir steht die Eins hinten, aber eine Lesebrille brauche ich – im Gegensatz zu meiner Freundin – immer noch nicht.

Jetzt erst fällt mir auf, dass mein Daumen fachgerecht verbunden ist. Ich muss länger bewusstlos gewesen sein, als ich gedacht habe.

»Nur ein harmloser Schnitt, das wird schnell heilen«, erklärt Adrian, der meinen Blick registriert hat.

»Danke – ich kann nämlich kein Blut sehen«, sage ich und ziehe eine Grimasse.

»Das war nicht zu übersehen«, grinst er. »Als Zahnärztin wärst du eine dramatische Fehlbesetzung.«

»Grundgütiger, das wäre eh nichts für mich!«, rufe ich entsetzt, und wir müssen beide lachen.

»Lass mich raten: Du bist Übersetzerin«, vermutet Adrian.

»Eiskalt! Du solltest mal meine alte Französischlehrerin hören. Sie behauptet bis heute, ich wäre mit Abstand die untalentierteste Schülerin ihrer Karriere gewesen.«

»Hm. Da lag ich wohl daneben. Okay, zweiter Versuch. Architektin.«

»Wie kommst du denn darauf?«, frage ich verblüfft, denn das war jahrelang mein Traumberuf gewesen – bevor ich mich von einem charismatischen Berufsberater zu einem BWL-Studium überreden ließ, das ich allerdings abbrach, als ich Malte heiratete und anfing, im Sea of Love mitzuarbeiten.

»Na ja, ich kann mir eben gut vorstellen, wie du mit einem gelben Helm auf dem Kopf und Walkie-Talkie in der Hand eine Baustelle besichtigst und dort alle herumkommandierst, die Murks bauen oder trödeln.«

»Das könnte mir echt Spaß machen«, gebe ich zu, »aber nein, das ist es auch nicht.«

Nachdenklich nippt Adrian an seinem Kaffee. »Noch ein Versuch«, meint er. »Fitnesstrainerin oder Sportlehrerin? Rein optisch würde das perfekt zu dir passen.«

Für eine so unsportliche Person wie mich ist das ein tolles Kompliment. Tatsächlich könnte man glauben, ich liefe jeden Tag im Morgengrauen zehn Kilometer durch den Park, würde nachmittags Gewichte stemmen und am Abend zum Zumbakurs radeln. In dieser Hinsicht haben es Schicksal und Gene gut mit mir gemeint. In Wahrheit läge mir nichts ferner, als meinen Körper dermaßen zu kasteien.

»Sorry, das ist noch viel kälter als Dolmetscherin«, gestehe ich. »Und eigentlich kannst du auch gar nicht drauf kommen, denn momentan mache ich … Na ja, eigentlich nichts.«

»Nichts?«

»Überhaupt nichts. Jedenfalls beruflich. Ich bin dabei, mich neu zu orientieren. In Zukunft will ich nur noch das tun, was ich will. Allerdings ist mir noch nicht ganz klar, was das sein könnte.« Und wenn ich mit meinen bescheidenen Ersparnissen umsichtig haushalte, reichen sie vielleicht auch aus, bis ich es herausgefunden habe.

»Das heißt also, bis vor kurzem hattest du einen Job, der so gar nicht dein Ding war?«

Ähm. So kann man das auch wieder nicht sagen.

»Bis vor kurzem war ich verheiratet und quasi die hauseigene Hochzeitsplanerin im Sea of Love. Das ist ein Romantikhotel und gehört meinem Ex. Seit der Trennung, für die ich gute Gründe hatte, liegt dieses Etablissement außerhalb meiner Komfortzone. Und gegen Hochzeitsgesülze bin ich zurzeit allergisch.«

»Nachvollziehbar«, findet Adrian und steht auf. »Auch noch einen Kaffee?«

 

Als er mit den frisch gefüllten Tassen wiederkommt, wird mir klar, wie absurd diese Situation eigentlich ist. Ich lasse mich hier in meiner eigenen Wohnung von einem Wildfremden bedienen und erzähle ihm freimütig aus meinem Leben. Dabei weiß ich noch nicht mal, was ihn überhaupt in dieses Haus geführt hat.

»Was wolltest du eigentlich nebenan?«, frage ich spontan.

»Kaffee holen, siehst du doch«, erwidert er einigermaßen verwundert. Mit ein paar Sekunden Verspätung wird ihm klar, was ich gemeint habe. »Ach so, in der Nachbarwohnung? Ich wollte sie mieten. Aber blöderweise war ich zu spät, sie ist schon vergeben.«

»Ernsthaft? Du wolltest hier einziehen?«

Schon wieder legt das Schicksal ein ziemlich schlechtes Timing an den Tag. Vielleicht ist Adrian nur ein paar Minuten zu spät aufgekreuzt. Um ein Haar wäre er mein Nachbar geworden. Dieser Abend würde der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Wir würden ganz viel zusammen unternehmen, gemeinsam kochen, uns immer näherkommen, und wer weiß, vielleicht sogar …

Halt, stopp! Das führt zu nichts. Ich bin Single und will diesen Status in absehbarer Zeit nicht ändern. Von Kerlen habe ich vorerst die Nase gestrichen voll. Wie konnte ich das nur vergessen?

Aktuell habe ich allerdings einen Bärenhunger, und an diesem Zustand bin ich durchaus bereit, etwas zu ändern!

»Vergiss bitte nicht, was du erzählen wolltest«, unterbreche ich Adrian. »Ich schiebe uns nur rasch zwei Pizzas in den Ofen, bin gleich zurück.«

 

Eine Stunde später ist von der Calzone nicht mehr viel übrig. Außerdem haben wir eine Flasche Merlot zur Hälfte geleert und reden über Adrians abenteuerliche Wohnungssuche.

»Du glaubst nicht, was für furchtbare Buden ich mir in den letzten Tagen schon angeschaut habe«, seufzt er. »Eine hatte gar kein Bad – da hätte ich mir mit den Nachbarn ein Etagenbad teilen müssen. Die andere hatte die Dusche mitten in der Küche. Ich erwarte ja wirklich keine Luxuswohnung wie diese hier, aber träumen wird man ja wohl dürfen.«

Für einen kurzen egoistischen Moment bin ich dankbar, dass die Bilanz meiner Ehe wenigstens in einer Hinsicht positiv ausgefallen ist, denn unterm Strich ist diese schicke Eigentumswohnung für mich dabei herausgekommen. Malte hat das Sea of Love behalten – inklusive sämtlicher Schulden, mit denen es belastet ist. Und ich bin heilfroh, dass ich mit alldem nichts mehr zu tun habe!

»Gott sei Dank muss ich mir um meine Miete keine Sorgen machen«, sage ich. »Ich hab zwar keinen Job, aber immerhin eine Wohnung, die mir gehört.«

»Und alles, was darin ist«, ergänzt Adrian, den der Rotwein sichtlich lockerer macht.

»Genau«, kichere ich. »Du sprichst hier mit einer möblierten Frau!«

»Wohlsein«, ruft Adrian und erhebt sein Glas. »Wir sollten uns zusammentun: Du hast eine Wohnung, aber keine Kohle, und bei mir ist es genau umgekehrt.«

Lachend leert er sein Glas und füllt es dann aufs Neue. Ich dagegen lasse mein Glas wieder sinken und starre ihn an, als wäre er eine Halluzination. Eine Fata Morgana mit blonden Locken, Anderthalbtagebart, Grübchen im Kinn, strahlend weißem Zahnpastalächeln und einer schlichtweg überragenden Idee.

»Adrian, das ist es«, flüstere ich.

»Wie meinst du das?«

»Doktor Adrian Bohrer, du verrückter Lockenkopf, du bist ein Genie!«

»Geht es dir gut, Juliane?«, fragt er alarmiert. Offenbar zweifelt er an meinem Verstand. Kein Wunder, er kennt mich noch nicht und hat keine Ahnung, dass ich, wenn’s sein muss, eine Frau der schnellen Entschlüsse bin. Aber dann erkläre ich ihm meinen Plan, und sofort ist er hellauf begeistert. Aber ob wir ihn auch in die Tat umsetzen können, hängt nicht von uns beiden ab. Sondern von einer kleinen, rundlichen Frau mit langen roten Haaren, die ich schon seit Ewigkeiten kenne – und die mir erst unlängst wieder einmal versprochen hat, immer für mich da zu sein, wenn ich sie brauche.

Tja – jetzt ist es so weit.

 

»Sag mal, hast du getrunken?«, fragt Lisa, nachdem ich ihr am Telefon mein Anliegen unterbreitet habe.

»Ein Gläschen Wein, na und? Das spielt doch überhaupt keine Rolle«, antworte ich ein bisschen beleidigt. Und damit Lisa nicht glaubt, ich sei angetrunken, bemühe ich mich um eine ausgesprochen überdeutliche Artikulation.

»Du hast einen im Tee. Aber mir scheint, du meinst das völlig ernst, oder?«

»Es ist mein heiliger Ernst!«, verkünde ich.

»Und für wie lange wäre das?«

Erhöhte Obacht. Das ist jetzt die alles entscheidende Frage. Alles hängt davon ab, wie clever ich darauf antworte.

Ich entscheide mich für eine Gegenfrage: »Na ja, wann brauchst du denn dein Gästezimmer wieder?«

Stille. Dann ein Rascheln. Ich tippe auf Kaugeräusche. Höchstwahrscheinlich Chips. Fettreduziert mit Sour Cream Flavor, würde ich wetten.

»In nächster Zeit eigentlich gar nicht«, sagt sie schließlich.

»Du bist ein Schatz!«, jubele ich.

 

Adrian hilft mir, die Pizzareste zu entsorgen. Dann machen wir eine ausführliche Wohnungsbesichtigung. Er kann sich gar nicht mehr einkriegen vor Begeisterung, dass er bald hier einziehen wird, und lobt alles in den höchsten Tönen: die Raumaufteilung, die moderne Küche, die Deckenhöhe, die geschmackvolle Wandfarbe, die großzügigen Fenster, die hochwertigen Böden …

»Hör schon auf, bevor ich es mir wieder anders überlege«, stoppe ich ihn lachend. »Man könnte fast glauben, du wolltest mir die Wohnung andrehen, nicht umgekehrt. Oder brauchst du vielleicht Bedenkzeit?« Immerhin ist nicht jeder so entschlussfreudig wie ich. Womöglich überfordere ich ihn mit meiner Spontaneität.

»Auf keinen Fall, ich will sie unbedingt! Falls wir uns, was die Miete betrifft, einig werden«, schränkt er ein.

»Sie hat hundertzehn Quadratmeter, einen Kellerraum und einen Balkon«, sage ich. »Was wär dir das denn wert?«

Adrian macht ein Denkergesicht. Offenbar multipliziert er im Kopf gerade die Wohnfläche mit dem ortsüblichen Quadratmeterpreis. »Und möbliert ist sie natürlich auch«, füge ich rasch hinzu. Denn wo in aller Welt sollte ich den ganzen Kram sonst unterstellen, wenn nicht hier? Möbel einzulagern ist ganz schön teuer – dann würde sich das Ganze nicht mehr rechnen.

»Perfekt«, strahlt Adrian zu meiner großen Erleichterung. »Ich hätte mir sonst alles neu kaufen müssen.« Ich frage nicht, warum das so ist. Hat er seine alten Sachen alle entsorgt? Seiner Ex-Frau abgetreten? In Neuseeland oder Honolulu zurückgelassen, wo er zuletzt für Zahngesundheit gesorgt hat? Mir wird klar, dass ich herzlich wenig über Adrian Bohrer weiß. Aber das ist jetzt erst einmal egal – schließlich will ich ihn nicht heiraten, sondern ihm lediglich meine Eigentumswohnung vermieten.

Er bietet mir glatte tausendfünfhundert Euro im Monat, was mich für einen Augenblick sprachlos vor Begeisterung macht. Sehr großzügig, der Doc! Natürlich bin ich sofort einverstanden.

»Lass uns gleich Nägel mit Köpfen machen«, sage ich, und bevor er auf die Idee kommen kann, wieder abzuspringen, lade ich im Internet einen Standard-Mietvertrag herunter. Wir tragen unsere Daten ein und unterzeichnen ihn beide. Dann schauen wir uns an und bekommen ohne jede Vorwarnung einen Lachanfall. Mindestens fünf Minuten lang brüllen wir vor Lachen, als wären wir zwei durchgeknallte Teenager.

»Du bist eine verrückte Nudel, Jule«, japst Adrian schließlich.

»Du aber auch«, keuche ich mit Tränen in den Augen.

 

Als Adrian sich später am Abend verabschiedet, umarmen wir uns wie beste Freunde. Ich kann es selbst kaum glauben, dass wir uns vor wenigen Stunden erst kennengelernt haben. Nachdenklich schlurfe ich ins Bad und putze meine Zähne. Drei Minuten lang und immer schön von rot nach weiß, der Doc hätte seine wahre Freude daran. Danach schneide ich meinem Spiegelbild ein paar Grimassen. Irgendwo habe ich mal gelesen, diese Art von Gesichtsgymnastik sei gut gegen Falten. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob das nur für bestimmte Grimassen gilt. Mir würde ich glatt zutrauen, instinktiv die falschen Gesichter zu schneiden und damit das genaue Gegenteil zu erreichen.

Meinen dunkelbraunen, kurzen Haaren gönne ich nur ein angedeutetes Durchwuscheln mit beiden Händen. Seit ich sie vor ein paar Jahren habe abschneiden lassen, habe ich keine Bürste mehr gebraucht. Waschen, föhnen, gelen, mit diesem morgendlichen Schnellprogramm sehe ich immer gut gestylt aus, und das ganz ohne Aufwand oder Frisiertalent. Dass ich morgens nach dem Aufstehen aussehe wie ein Wischmopp, nachdem er einen Taifun überstanden hat, ist der einzige Nachteil dieser Frisur. Aber wen stört das schon?

Dann schlüpfe ich in mein Nachthemd, das superkurz ist und bestimmt ziemlich sexy aussähe, wenn es nicht aus meiner Muppets-Kollektion wäre. Wer gerät schon bei einem Schweine-im-Weltall-Motiv in Wallung? Da können meine Beine noch so sportiv aussehen. Und mein Po noch so knackig. Und mein Bauch noch so flach. Für mein Alter sind selbst meine Oberarme gut in Form. Keine Spur von Winkfleisch. Wenn ich mich eines Tages wieder auf Partnersuche begebe, kann ich zumindest mit Optik punkten – wenn schon nicht durch eine tolle Karriere oder ein kleines Vermögen.

Bevor ich ins Bett gehe, schlendere ich noch einmal durch meine Wohnung, die bald Adrians Wohnung sein wird, während ich dann in Lisas Zwölf-Quadratmeter-Gästezimmer unterkrieche. Meine neue Behausung wird es mit diesem schicken Appartement definitiv nicht aufnehmen können. Aber meine finanzielle Situation wird durch dieses Arrangement auf einen Schlag deutlich entspannter, und darauf kommt es schließlich an. Wenn ich sparsam lebe und Lisa mich nicht rauswirft, werde ich das eine Weile aushalten. Zumindest so lange, bis ich einen neuen Traumjob gefunden habe.

Wie lange dauert eigentlich so ein Architekturstudium?

Kapitel 2:

Die neue Bescheidenheit

Architektur? Du spinnst wohl!«, lautet Lisas vernichtendes Urteil.

»Man wird ja wohl noch träumen dürfen«, erwidere ich und wuchte einen Stapel Jeans, die ungefähr zeitgleich mit Britney Spears’ Debütsingle modern gewesen sein dürften, in einen Wäschekorb. Wir sind gerade dabei, den Kleiderschrank in Lisas Gästezimmer für mich auszuräumen. Sie hat darin die Sachen gelagert, die sie »aktuell nicht trägt«. Womit eigentlich gemeint ist: die Sachen, in die sie seit ihrer Schwangerschaft nicht mehr hineinpasst. Ihr Sohn Morten ist übrigens vierzehn.

»Warum träumst du nicht einfach von einem gutbezahlten Job in einem Hotel? Die Arbeit im Sea of Love hat dir doch Spaß gemacht. Und du warst einsame Spitze darin, Hochzeiten zu organisieren«, versucht sie, mich zur Vernunft zu bringen.

»Verschone mich mit diesem Thema! Glückliche Brautpaare verursachen mir Brechreiz. Ich würde ihnen in den schillerndsten Farben das unschöne Ende ihrer Beziehung ausmalen und wäre darin womöglich so gut, dass sie sich noch vor dem Standesamt trennen würden.«

Okay, vielleicht ist das minimal überzogen. Aber mit der natürlichen Verbitterung einer frisch Geschiedenen wäre ich eine Katastrophe als Wedding Planner, so viel ist sicher.

»Du übertreibst maßlos!«, behauptet Lisa und hält sich wider besseres Wissen ein Größe-38-Fähnchen vor ihren kurvigen Leib, so als rechne sie ernsthaft damit, es demnächst wieder anziehen zu können.

»Noch ein bisschen kühl für so ein Outfit«, seufzt sie und legt es beiseite. Weil Lisa die weltbeste Freundin ist, die man sich nur vorstellen kann, gebe ich ihr recht und verkneife mir die naheliegende Bemerkung, dass auch der beste Stretchstoff nicht mehr als zwei Größen mitwächst.

Sie dankt mir meine taktvolle Zurückhaltung, indem sie mir meine Perspektivlosigkeit gnadenlos unter die Nase reibt: »Dass du so ruhig und optimistisch sein kannst, während alles, was du bisher erreicht hast, gerade den Bach runtergeht, ist echt bewundernswert.«

Immerhin verpackt sie ihre unverblümte Bemerkung in eine Art Kompliment. Trotzdem fühlt es sich an wie ein Volltreffer in die Eingeweide. Warum finden es nur alle immer so toll, dass man sich als Freundin alles sagen kann? Nur das wenigste davon ist angenehm. Auf diese Art von Offenheit kann ich gerne verzichten. Schließlich sage ich ja auch nicht, dass die knallbunten, superweiten Klamotten, in die sich Lisa für gewöhnlich hüllt, nicht schlank machen, sondern sie aussehen lassen wie ein wandelndes Zweimannzelt.

»Nun sei doch nicht gleich beleidigt«, deutet sie meinen Gesichtsausdruck ganz richtig. »Aber immerhin bist du schon einundvierzig, so langsam wäre es Zeit für einen soliden Karriereplan.«

Pah. Das sagt die Frau, die schon in ihrer eigenen Schulzeit immer gegen den Strom geschwommen ist. Dass sie inzwischen Beamtin ist, passt auf den ersten Blick so gar nicht zu ihrer Freiheitsliebe. Auf den zweiten dagegen schon: Es ist der Kompromiss, der ihr die notwendige Sicherheit gibt, um ein unabhängiges Leben als alleinerziehende Künstlerin führen zu können. Oder anders gesagt: als Mathe- und Kunstlehrerin, die zwischen Staffelei und Kursarbeiten versucht, irgendwie ihren Sohn zu erziehen. Ich muss diesen Spagat nicht schaffen, also besteht für mich auch kein Anlass zur Eile.

»Also erst mal ist einundvierzig jung«, verteidige ich mich trotzig, »und zweitens ist genau das meine Absicht: Ich will ganz in Ruhe herausfinden, welchen Weg ich in Zukunft gehen möchte. Dafür sollte man sich Zeit nehmen, so was macht man nicht zwischen Tür und Angel.«

»Und du glaubst, das gelingt in einem Zwölf-Quadratmeter-Kabuff besser als in deiner tollen Wohnung?« Dass Lisa sehr daran zweifelt, ist nicht zu überhören.

»Das ist die neue Bescheidenheit«, behaupte ich. »Was glaubst du, warum Mönchszellen so winzig sind? Damit nichts einen vom Nachdenken abhält.«

Lisa schnaubt und wirft ihre rot gefärbte Mähne in den Nacken. Sie hält wenig von übertriebenem Verzicht. Niemand wäre in einem Kloster so fehl am Platz wie meine Freundin. Lisa mag es laut, bunt und genussreich – und Letzteres bezieht sich nicht nur aufs Essen.

 

Schweigend schleppen wir die Wäschekörbe mit Lisas Sachen auf den Dachboden und stopfen sie dort in einen Kleiderschrank, der auch so schon fast aus allen Nähten platzt. Wie durch ein Wunder passt alles irgendwie hinein. Anschließend macht sich Lisa an die Herkulesaufgabe, ihren Sohn aufzuwecken, der in drei Stunden ein Fußballspiel bestreiten soll und samstags für gewöhnlich eine extrem verzögerte Aufwachphase hat, wie sie mir erklärt. Im Stillen beglückwünsche ich mich zu der Tatsache, dass ich mich in mein Zimmer – ja, jetzt ist es meins! – verziehen und meine Klamotten einräumen kann. Um nichts in der Welt wollte ich stattdessen Mortens miefige Pubertisten-Höhle betreten. So berauschend können mütterliche Glückshormone gar nicht sein, dass man sich das freiwillig antut!

Während ich Shirts, Jeans, Schuhe und Unterwäsche in den Schrank verfrachte, dringt Lisas pseudofröhlicher Weckruf durch die hellhörigen Wände, den ihr Sohn mit einem unwirschen Grunzen beantwortet.

Mir schwant, dass das Zusammenleben mit einem Vierzehnjährigen womöglich auch für mich eine kleine Herausforderung darstellen könnte, und so beschließe ich, ihn vorsorglich mit Schokolade zu bestechen.

 

»Fährst du zu deinem Mieter?«, fragt mich Lisa mit anzüglichem Ton, so als wäre Mieter ein gängiges Synonym für Toyboy.

»Wenn du damit meinst, dass ich noch ein paar persönliche Sachen aus der Wohnung hole und wir bei der Gelegenheit Schlüsselübergabe machen, dann ja«, stelle ich die Sache richtig, während ich zu ergründen versuche, wie Lisas Kaffeemaschine funktioniert. Sie schaut sich mein hilfloses Tun eine Weile an, dann greift sie ein und demonstriert mir, wie es geht. Total simpel, wenn man’s einmal weiß.

»Gib schon zu, dein Zahnarzt ist ein Sahneschnittchen«, versucht sie, mir ein Geständnis zu entlocken. Ich nippe an meinem Kaffee, um Zeit zu gewinnen, und verbrühe mir fast den Mund. »Caramba, ist der heiß!«

»Adrian oder der Kaffee?«

»Adrian ist bloß nett. Und irgendwie auch süß. Aber ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann«, erkläre ich. »Deshalb sende ich keine Balzsignale und empfange auch keine.«

»Pure Verschwendung, bei so einem Prachtexemplar«, findet Lisa, die einer Affäre mit einem attraktiven Mann grundsätzlich nie abgeneigt ist. Sie hat Adrian bisher zwar nur einmal von weitem gesehen, aber ihr geübtes Auge war sehr erfreut von diesem Anblick. Mein momentanes Desinteresse am anderen Geschlecht hält sie für kindisch und stur. Wahrscheinlich betet sie vor dem Einschlafen dafür, dass ich zur Besinnung komme.

»Aber ihr hattet doch schon mehrere Dates«, beharrt sie.

»Dates kann man das nicht nennen. Einmal waren wir zu Mittag beim Chinesen, und einmal hatte ich einen Termin in seiner Praxis. Er hat mir Zahnstein entfernt und meine Kauflächen versiegelt.«

»Wie romantisch«, grinst Lisa.

»Sag ich doch.«

 

»Ist das alles?«, frage ich ungläubig und deute auf Adrians Gepäck. Es besteht aus einem Treckingrucksack und einem Pappkarton, aus dem eine halbvertrocknete Zimmerpflanze hervorlugt.

»Der Rest ist noch im Auto«, erklärt mein Mieter und schenkt mir sein Schnittchenlächeln. Wenn ich empfänglich für so etwas wäre, bekäme ich zweifellos weiche Knie. Aber zurzeit bin ich vollkommen immun dagegen.

»Darf ich reinkommen?«

»Oh, klar, natürlich«, rufe ich und trete zur Seite. Ich habe mal wieder völlig vergessen zu reagieren, so als würde, während ich vor mich hin träume, die Zeit stillstehen. Wenigstens habe ich diesmal nicht laut gedacht. Wäre ganz schön peinlich, wenn ich versehentlich etwas von Schnittchenlächeln und weichen Knien gebrabbelt hätte. Adrian wäre womöglich auf völlig falsche Gedanken gekommen!

Er stellt seine Siebensachen im Wohnzimmer ab. Dann holt er das restliche Gepäck von unten, während ich fortfahre, das Bad von allem, was an mich erinnert, zu befreien. Am Ende ist meine Reisetasche bis zum Anschlag voller Kosmetikkram. Wozu habe ich eigentlich so viele Sorten Nagellack? Darunter allein fünf verschiedene Blautöne.

Eine zweite Tasche fülle ich mit meinen aktuellen Lieblings-CDs, ein paar Erinnerungsfotos und meinem Stapel ungelesener Bücher. Die gelesenen lasse ich hier. Adrian stören sie nicht, im Gegenteil, er freut sich über die Gratis-Bibliothek. »Miete inklusive All-you-can-read-Tarif ist doch klasse«, hat er neulich gemeint. In diesem Moment hätte ich meinen Entschluss, mich in nächster Zeit nicht zu verlieben, um ein Haar über Bord geworfen. Männer, die lesen, üben eine noch größere Faszination auf mich aus als Männer, die Musik machen. Rückblickend glaube ich fast, dass ich damals in erster Linie auf Maltes Bibliothek reingefallen bin – und auf seine Gitarre. Als ich dann erfuhr, dass er all diese Bücher nur aus optischen Gründen im Internet ersteigert, aber kein einziges davon je gelesen hatte, war es schon zu spät. Dass er auf der Gitarre lediglich drei armselige Griffe beherrschte, machte die Sache kaum noch schlimmer. Ich meine: Was ist schlimmer als eine Fake-Bibliothek?

»Ich habe den Kleiderschrank, die Badmöbel und zwei Wohnzimmerregale komplett für dich freigeräumt«, erkläre ich Adrian, als der mit zwei Koffern zurückkehrt.

»Super«, freut er sich. »Das reicht locker.«

Wie gut, dass er, was diesen Umzug betrifft, ebenso minimalistisch vorgeht wie ich. Ich bin gottfroh, dass ich fast alles hierlassen kann – von der kompletten Küchenausstattung bis hin zu Handtüchern und den Bildern an der Wand.

»Wenn du irgendwas von deinen Sachen brauchst, kannst du natürlich jederzeit vorbeikommen«, meint Adrian, »du hast ja einen Schlüssel.«

»Na hör mal«, protestiere ich, »natürlich würde ich den nur im Notfall benutzen. Das hier ist jetzt deine Wohnung, und ich werde sie nur betreten, wenn du mich reinlässt.«

Ich sage das im Brustton der Überzeugung, doch der Gedanke, hier ab sofort nur noch Gast zu sein, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Bin ich eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Was hat mich geritten, diese Traumwohnung freiwillig gegen ein winziges Gästezimmer bei Lisa und ihrem Langschläfersohn einzutauschen?

»Ich hoffe, du bereust deine Entscheidung nicht bereits«, sagt Adrian, der gerade seine halbtote Zimmerpflanze auf meinem Fensterbrett, das jetzt sein Fensterbrett ist, plaziert.

»Ach Quatsch, ich wollte es ja so«, versichere ich ihm, und kaum habe ich das laut ausgesprochen, wird mir klar, dass ich es auch genauso meine. Einmal getroffene Entscheidungen nachträglich zu bereuen bringt sowieso wenig. Pure Zeitverschwendung. Ich habe die neue Bescheidenheit gewählt, um über meine Zukunft nachgrübeln zu können. Und ich bin sehr gespannt, wohin sie mich führen wird. Bisher kenne ich nur die nächsten Schritte.

In diesem Moment ertönt ein Knall, und ich lasse um ein Haar die Tasche mit den zahllosen Nagellackfläschchen fallen. War das ein Schuss? Oder ist ein Küchengerät explodiert?

»Ich finde, wir sollten auf deinen und meinen Neuanfang anstoßen«, verkündet Adrian, der mit zwei gefüllten Sektgläsern aus der Küche kommt. Was auch den Knall erklärt.

Eigentlich bin ich ganz schön in Eile, denn in einer Stunde habe ich schon den nächsten lebensverändernden Termin. Außerdem setze ich mich für gewöhnlich nur stocknüchtern ans Steuer. Aber ich bringe es nicht übers Herz, jetzt die Spielverderberin zu sein, und lasse mir ein Glas in die Hand drücken.

Adrian bemerkt mein Zögern. »Keine Sorge, der ist alkoholfrei«, beruhigt er mich.

»Auf die Zukunft!«, sage ich.

»Auf die Zukunft!«, wiederholt Adrian.

Abgesehen von Maltes Heiratsantrag mit Rosenblätterregen und Stehgeigern, ist das der bisher kitschigste Augenblick meines Lebens. Und ich stehe auf Kitsch!

 

Ich bin ein bisschen wehmütig, als ich wenig später meinen Kombi starte. Nicht nur, weil Sekt mich immer melancholisch macht, selbst alkoholfreier, und mir der Abschied von meiner schönen Wohnung doch schwerer fällt als gedacht, sondern weil dies hier die vorletzte Fahrt mit meiner treuen Karosse wird. Ich werde mich von ihr trennen. Ob ich die Sache mit der Bescheidenheit vielleicht doch etwas übertreibe?

Als ich bei Lisa ankomme, klopft sie gerade wie eine Verrückte an Mortens Zimmertür. »Höchste Zeit, Freundchen, in einer Stunde ist Anpfiff«, brüllt sie. Der fröhliche Weckruf von vorhin scheint nicht funktioniert zu haben. Jetzt werden härtere Bandagen aufgezogen.

Ich werfe meinen Krempel aufs Bett und verschiebe das Einräumen auf später.

»Bin schon wieder unterwegs«, rufe ich im Weggehen.

»Wenn du zurückkommst, sind wir wohl schon beim Fußball«, informiert mich Lisa.

Falls der Pubertist geruht, sich zu erheben, denke ich.

»Ich koch uns heute Abend was Schönes, so zum Einstand«, entscheide ich spontan.

»Super! Aber wir haben nicht viel im Kühlschrank.«

Manchmal verfluche ich meine Spontaneität. Ich und kochen! Und jetzt darf ich auch noch einkaufen gehen. Aber da muss ich jetzt wohl durch.

 

Die Adresse, die man mir genannt hat, liegt in einem Schickimicki-Vorort, in dem ich bisher noch nie zu tun hatte, obwohl garantiert einige »meiner« Brautpaare dort leben. Doch auch wenn sie mir während der Hochzeitsplanung allerhand intime Geständnisse machten und mir Dinge anvertrauten, die ich lieber nicht gehört hätte, weil ich die Bilder tagelang nicht aus dem Kopf bekam, fand keines dieser Vorbereitungstreffen bei ihnen zu Hause statt. Meistens trafen wir uns im Sea of Love, manchmal auch beim Floristen, im Brautmodenladen oder in der Kirche, aber ihre Villen betrat ich nie.

Daran wird sich offenbar auch heute nichts ändern, denn der neue Besitzer meines Kombis erwartet mich bereits in der Garageneinfahrt. Er ist siebzehn, trägt Markenklamotten im Wert einer Luxuskreuzfahrt und zieht einen Flunsch, der keinen Zweifel daran lässt, wie begeistert er von seinem ersten eigenen Fahrzeug ist.

»Wir haben das doch durchdiskutiert, Tristan«, sagt die gebotoxte Lady neben ihm, die verzweifelt versucht, so jung auszusehen, als könne sie unmöglich seine Mutter sein. Ich sollte eine entsprechende Bemerkung machen, vielleicht legt sie vor lauter Freude noch einen Tausender drauf. Andererseits macht sie den Eindruck, sie würde lieber ihre Kohle in ihr Äußeres investieren, als auch nur einen Cent zu verschenken.

»Alter, du bist so uncool, Ma«, motzt der mürrische Tristan.

»Für die ersten Fahrerfahrungen ist so eine Rostlaube genau das Richtige«, beharrt die Botoxlady, die mir von Sekunde zu Sekunde unsympathischer wird. Nicht nur, weil sie einen dermaßen unzufriedenen Vollpfosten großgezogen hat und sich von ihm auch noch »Alter« nennen lässt, sondern vor allem, weil sie mein treues Gefährt beleidigt hat!

»Dieses Auto ist kein bisschen verrostet«, mische ich mich ein, doch keiner beachtet mich.