FRIESMOOR - Pfeiltod - Karl-Heinz Brinkmann - E-Book

FRIESMOOR - Pfeiltod E-Book

Karl-Heinz Brinkmann

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Beschreibung

Auf der windgepeitschten nordfriesischen Halbinsel Friesmoor verwandelt sich ein idyllisches Bogenturnier schlagartig in den Schauplatz eines grausamen Mordes. Kommissar Dietrich Böhm wird mit dem Fall betraut und stößt schnell auf eine Spur, die ihn tief in die dunkle Vergangenheit der Insel führt. Hinter dem Verbrechen verbirgt sich ein komplexes Netz aus Lügen und Verrat, das mit einem mächtigen, seit Jahrhunderten verborgenen Erbe verbunden zu sein scheint. Die Suche nach dem Mörder wird zu einem gefährlichen Wettlauf gegen die Zeit, denn die Schatten der Vergangenheit drohen, alles zu verschlingen. Der undurchsichtige Wirt des 'Alten Fährhauses', ein aufstrebender Politiker mit verborgenen Plänen, und die zielsichere Jutta Claßen geraten ins Visier. Die Lage spitzt sich dramatisch zu, als Jutta spurlos verschwindet und die Rückkehr des gefährlichen Armin Paschke eine tödliche Bedrohung darstellt. Entdecken Sie ein packendes Spiel um Macht, Erbe und tödliche Geheimnisse, bei dem die Vergangenheit auf Friesmoor niemals ruht und nichts ist, wie es scheint. Ein Nordsee-Krimi, der Sie in seinen Bann ziehen wird!

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Seitenzahl: 319

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zum Inhalt
Impressum
Spätsommer auf Friesmoor
Das Bogenturnier, Tag 1
Der Abend nach dem Turnier
Das Bogenturnier, Tag 2
Norwegen
Rückkehr nach Friesmoor
Der Abend nach dem 2. Turniertag
Montag, Tag 1 nach dem Turnier
Juttas Flucht
Hannes und Böhm ermitteln
Ein gewöhnlicher Trainingstag?
23:45 Uhr
Karli ermittelt
Montag Abend
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag – das große Liga-Turnier
Sonntag – zweiter Liga-Turnier-Tag
Der Autor
Aus der FRIESMOOR-Reihe sind bisher erschienen:
Weiter Werke des Autors:

Karl-Heinz Brinkmann

FRIESMOOR

Pfeiltod

Zum Inhalt

Ein friedliches Bogenturnier auf der nordfriesischen Halbinsel Friesmoor wird jäh unterbrochen: Ein grausamer Mord erschüttert die Idylle. Kommissar Dietrich Böhm übernimmt die Ermittlungen und stößt auf ein dichtes Netz aus Lügen, Verrat und dunklen Geheimnissen, die tief in der Vergangenheit der Insel verwurzelt sind.

Der Fall scheint verbunden mit einem mächtigen Erbe und verborgenen Plänen, die die Zukunft Friesmoors bedrohen könnten. Zentrale Figuren wie der undurchsichtige Wirt Karl Hansel, der Bogensport-Organisator Heiner Gerlach, der aufstrebende Politiker Mario Bruns und die zielsichere Jutta Claßen geraten ins Visier.

Die Lage spitzt sich zu, als Jutta spurlos verschwindet und die Rückkehr des gefährlichen Armin Paschke eine zusätzliche Bedrohung darstellt. Während Böhm und Hannes Wilken die Puzzleteile zusammensetzen, enthüllen sie schockierende Wahrheiten über verborgene Allianzen, tödliche Aufträge und eine überraschende Erbschaft.

Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, um den Mörder zu finden und zu verhindern, dass die Schatten der Vergangenheit die Insel überrollen.

Impressum

1. Auflage, 2025

© 2025 Alle Rechte vorbehalten.

Der Oestinger

Karl-Heinz Brinkmann

c/o IP-Management #47918

Ludwig-Erhard-Str. 18

20459 Hamburg

Lektorat und Korrektorat: Katharina Brinkmann

[email protected]

www.der-oestinger.de

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

FRIESMOOR

Pfeiltod

Karl-Heinz Brinkmann

Spätsommer auf Friesmoor

»Ist das nicht schön hier?«, rief Ines Werninger begeistert und ließ ihren Blick über das weite Blau der Nordsee gleiten. Ihr Gesicht strahlte, während die frische Brise und der salzige Duft des Meeres ihre Sinne umspielten.

Sven hingegen verzog das Gesicht. »Hm. Wasser, Matsch – und dieses ständige Meeresrauschen.« Seine Stimme klang gereizt, fast beleidigt, als würde jede Welle persönlich gegen ihn anrollen. Weite Felder, endlose Horizonte – das war nicht seine Welt. Hamburg war es, die pulsierende Stadt mit ihren Lichtern, Menschen und Straßenlärm. Dort fühlte er sich zu Hause. Nicht hier.

»Die Ruhe ist doch das Beste!«, entgegnete Ines und kuschelte sich an ihn. Sven erwiderte die Geste nur halbherzig. Er hatte eigentlich vor, ihr hier, am Meer, einen Antrag zu machen. Aber irgendwie passte das jetzt gerade überhaupt nicht. Der schneidende Wind durchkreuzte seine Pläne mit gnadenloser Härte. Ines schien so verliebt in dieses öde Fleckchen Erde zu sein. Und er? Er träumte von einer schicken Wohnung in der Stadt, von Partys und lauter Musik, was er sich nach diesem Auftrag auf dieser öden Insel leisten könnte.

»Stell dir vor, wir suchen uns hier ein kleines Häuschen«, träumte Ines weiter. »Mit Blick aufs Meer und einem kleinen Garten.«

Sven schluckte.

Ein Haus? Auf dieser Insel? Niemals!

»Ines, ich habe da etwas für dich«, überlegte er es sich anders und überreichte ihr einen kleinen, flachen, mit Samt überzogenen Karton.

Ein schlichter Goldring, besetzt mit einem einzigen, funkelnden Diamanten, lag auf dem weichen Satin. Das Licht tanzte in den Facetten des Steins und warf funkelnde Reflexe in ihre Augen.

»Willst du mich heiraten?«

Ein Knoten bildete sich in ihrem Magen. Sie hatte sich so auf diesen Tag am Meer gefreut, aber jetzt fühlte sie sich nur noch verwirrt. Sven war nett, ja, aber ihre Herzen schlugen in einem anderen Takt.

»Sven«, begann sie zögerlich, »ich muss dir etwas sagen.«

Der Wind hatte ihre Nase gerötet, und nun begann sie auch noch leicht zu laufen. Sie wischte sich verstohlen mit dem Ärmel darüber, während ihre Stimme beinahe im Rauschen der Nordsee unterging.

Bevor sie weitersprechen konnte, vibrierte ihr Handy. Eine SMS.

Sie warf einen Blick aufs Display – und plötzlich leuchtete ihr Gesicht auf. »Unglaublich! Ich habe die Stelle als Kriminalhauptkommissarin in Brösholm bekommen!«

Sven starrte sie an, als hätte sie soeben ihren Verstand verloren. »Brösholm? Dieses verschlafene Nest?« Seine Stimme triefte vor Unglauben und leiser Panik.

»Eine tolle Stadt«, strahlte Ines. »Ich werde dort zukünftig arbeiten und... leben!«

Sven stand stocksteif da, wie vom Blitz getroffen. »Ohne mich!«, rief er und drehte sich um. Den kleinen Karton mit dem goldenen Ring ließ er zurück in die Tasche seines Mantels gleiten. Er zog den Kragen hoch wie einen Schutzwall gegen die Flut der Demütigung und stampfte mit wütenden Schritten davon. Sein Plan, die Polizistin an sich zu binden war gescheitert.

Ines sah ihn nur kurz nach. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich breit. Sie hatte schon länger das Gefühl, dass etwas zwischen ihnen nicht stimmte. Und jetzt wurde ihr einiges klar. Sie hatte die Insel quasi vor ihrer zukünftigen Haustür, ihren neuen Job und eine Zukunft, die sie sich immer gewünscht hatte.

Als Sven Kantack verschwunden war, atmete Ines tief durch. Sie hatte noch ein paar Tage Zeit, um sich von der Insel zu verabschieden. Aber eines war klar: Sie würde zurückkommen, und das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

***

Die Erinnerungen an das alljährliche Hafenfest im Frühjahr und das bunte Treiben beim Moorfest vor wenigen Wochen waren längst verblasst. Die warme Brise hatte sich in eine kühle Herbstluft verwandelt, und die Krähen, die aus der Ferne krächzten, gaben dem Ganzen einen Hauch von Melancholie.

Der Herbst klopfte an.

Während sich viele bereits in ihre Decken kuschelten und den Herbst kommen ließen, war Heiner Gerlach, der unermüdliche Bogensporttrainer des SV Friesmoor, mit seinem Team längst im Einsatz – sie steckten bis über beide Ohren in den Vorbereitungen für das größte Bogensportturnier an der Nordseeküste.

Heiner Gerlach, ein Mann Mitte fünfzig mit fülligem, bereits ergrautem Haar, war eine lebende Legende in der Bogensport-Szene. Er hatte mehr Meistertitel in der Recurve-Klasse gesammelt, als die meisten Menschen Socken im Schrank hatten. Jetzt, als Trainer beim SV Friesmoor, steckte er all seine Leidenschaft in die Förderung seiner Schützlinge. Seit vier Jahren widmete er sich mit Herzblut dem Training der Friesmoorer Bogenschützen und brachte ihr Können mit jeder Einheit auf ein neues Level. Seine Expertise und seine Erfahrung waren für den Verein von unschätzbarem Wert. Seine Unterstützung trug maßgeblich dazu bei, dass einige Schützen sich für höhere Meisterschaft qualifizieren konnten.

Heiner Gerlach verstand es wie kein Zweiter, die Flamme der Motivation in seinen Schützlingen zu entfachen und sie am Lodern zu halten.

Heiner war die Seele des Vereins. Seine Leidenschaft für den Bogensport schweißte das Team zusammen und sorgte für eine einzigartige Atmosphäre, in der jeder sein Bestes geben wollte. Er war die Legende des Vereins. Sein Name öffnete Türen und zog Talente an. Die Leute kamen nicht nur wegen des Bogensports, sondern auch, um einen Teil seiner Erfolgsgeschichte zu sein.

Der neue 3D-Parcours war mehr als nur ein Wettkampfplatz; er war ein Erlebnis. Die Sonnenstrahlen tanzten durch das Blätterdach, während die Pfeile pfeifend ihr Ziel suchten. Der Duft von Harz und Moos erfüllte die Luft, und die Schützen fühlten sich eins mit der Natur. Heiner hatte aus dem Wald ein magisches Reich erschaffen, in dem jeder Schuss ein Abenteuer war. Der SV Friesmoor war nicht mehr nur ein Verein, sondern ein Ort, an dem Menschen und Natur verschmolzen.

Die Spannung war fast greifbar, als die Schützen ihre letzten Trainingseinheiten absolvierten. Jeder Zug am Bogen war ein Versprechen auf das bevorstehende Turnier. Heiner, der Taktgeber des Teams, inspirierte jeden Einzelnen. Seine Augen funkelten vor Begeisterung, als er seine Schützlinge anfeuerte. Das Ziel war klar: Sie wollten nicht nur gewinnen, sondern auch zeigen, was sie gemeinsam erreichen konnten.

»Das ist wirklich ein großartiger Erfolg, Heiner«, lobte Andreas Römer, der Vorsitzende des Sportvereins, und sah den Trainer mit einem anerkennenden Blick an.

Andreas Römer, ein zierlicher Mann von kaum 1,70 Meter, wirkte neben Heiner wie ein Junge neben seinem Vater. Der Größenunterschied war so krass, dass man sich fragte, wie diese beiden überhaupt Freunde werden konnten. Doch ihre Verbindung war unbestreitbar.

Heiner lächelte, aber in ihm war diese bescheidene Art, die immer den Erfolg des Teams betonte.

»Für uns, Andreas, für uns«, antwortete er, während sein Blick die Bedeutung der Worte untermalte. »Denn ohne dein Vertrauen in mich wäre das alles hier nicht möglich gewesen – den Bogensport auf Friesmoor in so kurzer Zeit zu etablieren.« Geschickt lenkte er die Anerkennung auf den Vorsitzenden, denn Heiner wusste genau, wie man die richtigen Leute hinter sich brachte. Er war ein Meister darin, Andreas Römer und die führenden Köpfe der Halbinsel für seine Ideen zu gewinnen und sie zu leidenschaftlichen Verfechtern seiner Visionen zu machen.

Aber Heiner hatte mehr als nur warme Worte im Gepäck. Er hatte eine außergewöhnliche Idee für das anstehende Turnier, die er kaum erwarten konnte, mit seinem Freund Andreas zu teilen.

»Hör mal, Andreas, ich hab da was im Kopf«, begann Heiner und senkte seine Stimme, als wolle er ein Geheimnis preisgeben. »Beim Turnier – neben den klassischen Wettkämpfen – möchte ich etwas wirklich Aufregendes machen. Etwas, das die Schützen so richtig herausfordert und alle in Staunen versetzt.«

Neugierig hob Andreas eine Augenbraue. »Und was schwebt dir da vor?«

Heiner grinste, in seinen Augen blitzte reine Vorfreude. »Ein Schuss übers Wasser – vom Ponton aus auf ein Ziel, das auf einem Boot platziert ist.«

»Auf dem See gleich nebenan?«, fragte Andreas überrascht.

»Nein, im Hafen natürlich. Alles andere wäre Kinderkram«, entgegnete Heiner mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.

Andreas Römers Augen weiteten sich. »Das klingt gewagt. Aber auch ziemlich spektakulär.« Er kannte die Meeresströmungen wie ein Wissenschaftler seine Formeln, den Wellengang wie ein Musiker seine Noten und den Wind wie ein Seemann seine Kompassrose.

»Genau das wollte ich erreichen«, nickte Heiner. »Und der Gewinner dieser einzigartigen Disziplin bekommt den ‘Goldenen Pfeil’, verbunden mit einem Preisgeld von sage und schreibe 10.000 Euro! Ich hab ein paar Friesmoorer Geschäftsleute dafür begeistern können, die das finanzieren werden.«

Römer war sichtlich beeindruckt. »Das wird definitiv für Gesprächsstoff sorgen.«

Heiner grinste, als könnte er die Aufregung schon förmlich spüren. »Aber das ist noch nicht alles, Andreas. Die Sieger unseres Turniers qualifizieren sich automatisch für unser nächstes Turnier im kommenden Jahr.«

Andreas Römer grinste breit. »Du denkst wirklich an alles, Heiner. Das wird eine großartige Veranstaltung.«

»Oh ja, da bin ich mir sicher«, stimmte Heiner zu. »Und wegen der Presse – ich bin heute Abend im ‘Alten Fährhaus’ mit Cord Jacobs verabredet.«

Mit einem kräftigen Handschlag beendeten sie ihr Gespräch, und Andreas Römer machte sich auf den Weg, während Heiner Gerlach mit einem triumphierenden Lächeln zurückblieb. Die Schlagzeilen formten sich bereits in seinem Kopf: sein Gesicht prominent platziert, die Überschrift fett gedruckt.

Endlich wieder im Spiel. Endlich wieder jemand.

Der Gedanke, diese abgelegene Insel bald hinter sich zu lassen, beflügelte ihn. Vor ihm lag ein neues Kapitel – eines, das nach Macht roch, nach Einfluss und Anerkennung. Ja, er würde sich Feinde machen. Manche würden spotten, andere sich offen gegen ihn stellen. Doch was war schon Hass im Vergleich zu Ruhm? Was bedeuteten ein paar Widerstände, wenn am Ende der Erfolg auf ihn wartete?

Diese Veranstaltung war mehr als nur ein Turnier. Sie war sein Sprungbrett zurück ins Licht.

Was hatte er nach seinem Unfall nicht alles verloren? Der Ruf, die Aufträge, das Rampenlicht – alles dahin. Und er? Er hatte sich auf Friesmoor zurückgezogen wie ein angeschossenes Tier, vergraben in Scham und Schweigen. Doch nun war Schluss damit.

Jetzt war seine Zeit gekommen.

Heiner ballte die Faust, als könnte er den Moment selbst packen und festhalten. Der Plan war durchdacht, jede Variable bedacht, jedes Risiko einkalkuliert. Er würde nicht nur zurückkommen – er würde größer, mächtiger, unausweichlicher sein als je zuvor. Niemand würde mehr über ihn lachen. Niemand ihn mehr übersehen.

Er war sicher: Diesmal würde alles anders. Diesmal würde sein Plan aufgehen.

***

Der Wirt vom ‘Alten Fährhaus’, Karl Hansel, ein Friesmoorer Urgestein, hatte mit Bogensport überhaupt nichts am Hut, aber er mochte die verrückte Idee von Heiner Gerlach. Er hatte seine eigenen Pläne, doch als er von dem bevorstehenden Großereignis auf Friesmoor erfuhr, konnte er sich nicht einfach in der Ecke verkriechen und Däumchen drehen. Die ganze Sache hatte das Potenzial, ihn aus dem Schattendasein zu befreien und ihn endlich wieder ins Rampenlicht zu rücken. Und seine enge Verbindung zu Andreas Römer, dem Vorsitzenden des Sportvereins, spielte dabei eine nicht unerhebliche Rolle.

Der salzige Geruch von Meerwasser und Frittenfett waberte durch das heruntergewirtschaftete, einst glorreiche Lokal am historischen Hafen. Karl traf die letzten Vorbereitungen. Er stand am Geländer seines Gasthauses und ließ seinen Blick über die glitzernde Wasseroberfläche schweifen, auf der die Pontons wie stolze Schwäne im Hafenbecken trieben. Ein imposanter Anblick. Wochenlang hatte der Wirt damit verbracht, Genehmigungen einzuholen, Pläne zu sichten und Arbeiter zu koordinieren. Jetzt, da alles an seinem Platz war, überkam ihn ein Gefühl der Befriedigung. Doch darunter mischte sich auch ein Hauch von Sorge. Würde das Turnier ein Erfolg werden? Würde es die hohen Erwartungen erfüllen können?

Er erinnerte sich an das Gespräch mit dem Besitzer des konkurrierenden Lokals ‘Zum Nothafen’ auf der anderen Seite des Hafens. Der hatte ihm ganz unverhohlen seinen Neid gezeigt. »Wenn das schiefgeht, Karl, dann hast du dich übernommen. Dann bist du pleite.« Karl kniff die Augen zusammen und atmete tief ein. In Friesmoor gab es nur einen König, und das war er, der Wirt des ‘Alten Fährhaus’. Er würde alles daran setzen, seinen Thron zu verteidigen und seinem Lokal wieder zu altem Glanz zu verhelfen.

Cord Jacobs, der Redakteur der ‘Hornumer Rundschau’, hatte das perfekte Pressefoto geschossen. Da standen Hansel, Römer und Gerlach genau an der Stelle, wo der ‘Goldene Pfeil’ ausgetragen werden sollte. Das Bild war ein Meisterwerk. Das sanfte Licht des späten Nachmittags tauchte die Szene in ein warmes, goldenes Glühen, das den Moment wie ein Versprechen für Ruhm und Erfolg wirken ließ. Hansel, Römer und Gerlach standen aufrecht und selbstbewusst, als hätten sie das Schicksal der Insel in ihren Händen. Ein Bild, das man nicht so schnell vergessen würde.

Karl Hansel sah das Event weniger als eine sportliche Herausforderung, sondern vielmehr als eine Gelegenheit, sich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Auch wenn er nichts mit Pfeil und Bogen zu tun hatte, ging es ihm vor allem um das große Ganze – Friesmoor sollte glänzen, und er sollte als der Mann dastehen, der es auf die Landkarte gebracht hatte. Er wusste genau, dass die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt werden würde, wenn das Turnier erfolgreich über die Bühne ginge. In seinen Augen war das der wahre Wert der Veranstaltung: nicht nur der Ruhm für das Dorf und die Insel, sondern für ihn persönlich.

Die Nörgler auf der Insel spotteten über das ganze Vorhaben und taten es als reine Geldmacherei ab. Die älteren Bewohner schüttelten nur den Kopf und murmelten in ihren trüben, rauchigen Stimmen: »Früher hat man solche Sachen nicht gemacht.« Sie murrten, dass der Zeitungsartikel über die Ponton-Installation doch nur ein weiterer Versuch sei, noch mehr Touristen anzulocken und die eigenen Taschen zu füllen. »Der Hafen ist doch kein Rummelplatz«, schimpften sie, als ob der Anblick von Erfolg und Veränderung an ihren Gewohnheiten rüttelte.

Aber das konnte weder Karl noch Andreas noch Heiner aus der Bahn werfen. Sie blieben unbeeindruckt von den spitzen Zungen und den skeptischen Blicken. Für sie war der Weg klar. Sie hatten einen gemeinsamen Gedanken, ein Ziel, das so fest und unerschütterlich war wie der stählerne Bogen, den sie in den Händen hielten: Dieses Turnier würde großartig werden. Und nicht nur das – sie waren felsenfest davon überzeugt, dass es die Insel und den Bogensport auf Friesmoor in eine völlig neue Dimension katapultieren würde. Die Halbinsel, die immer im Schatten ihrer Nachbarn lag, würde nun ins Rampenlicht rücken.

Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Während die Skeptiker weiterhin den Kopf schüttelten und in den Kneipen und Gassen von Friesmoor hitzige Diskussionen führten, zählten die Bogenschützen und ihre Unterstützer die Tage bis zum großen Ereignis. Die Kinder in der Schule, mit einer Leidenschaft, die nur die Unbefangenheit des Alters kennen kann, bastelten bunte Fahnen und Plakate, auf denen sie die Schützen anfeuerten. Sogar im Schulhof hatten sie einen eigenen kleinen Parcours aufgebaut, um sich in Sachen Zielgenauigkeit zu üben.

Die älteren Bewohner, die den Wandel mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen beäugten, erinnerten sich an eine Zeit, als der Hafen noch ein Ort der harten Arbeit und nicht der Spiele war. Doch auch sie konnten der allgemeinen Aufbruchstimmung nicht ganz widerstehen. Die Frauen, mit der Erfahrung vieler Jahre, begannen, traditionelle Kuchen zu backen und festliche Mahlzeiten vorzubereiten, die den Duft von Heimat und Gemeinschaft in die Luft schickten.

Doch dann, mitten in all der bunten Vorfreude und dem aufkeimenden Optimismus, meldete sich der alte Fischer Marek zu Wort.

Er, der ein Leben lang mit den Gezeiten und den Geschichten der Insel verwoben war, konnte den Wandel nicht ohne Weiteres akzeptieren. In einer der schwülen Abendstunden, als sich die Sonne blutrot hinter dem Horizont verneigte, versammelte er sich mit einigen der älteren Männer am Hafen. In seiner rauen, tiefen Stimme, die das Knarren des Windes in sich trug, erinnerte er die Bewohner von Friesmoor an die ‘Witte Wieven’.

Die Stille, die Mareks Worte hinterließen, war schwer, fast greifbar. Die Männer am Hafen blickten sich uneins an, doch keiner wagte es, den Fischer zu widersprechen. Es war nicht das erste Mal, dass Marek von den ‘Witte Wieven’ sprach, den geheimnisvollen Geistern, die angeblich über das Schicksal der Insel bestimmten. Die älteren Männer, die in den Falten der Zeit ihre eigenen Geschichten über die Geister der See wussten, versuchten oft, die Ängste der Jüngeren zu schüren – doch heute war etwas anderes in der Luft. Ein tiefes Unbehagen schlich sich zwischen die Worte und die Blicke.

Marek fuhr fort, seine Stimme leiser, als könnte er die Aufmerksamkeit der Geister erregen. »Die ‘Wieven’ kommen nicht mit Gaben oder Ruhm. Sie kommen mit einer Rechnung. Manchmal mit einer hohen. Wer ihren Zorn weckt, der hat mehr als nur das Wetter gegen sich.«

Der Wind heulte leise durch die Ritzen des alten Kahnhauses, und die Männer schauten dann doch, fast entschuldigend, auf das Wasser. Mareks Blick verengte sich, als er mit einem fast unmerklichen Kopfnicken auf die Pontons deutete, die für das große Turnier vorbereitet wurden.

»Glaubt mir, es wird nicht nur der Wind sein, der euch zu Boden zwingt, wenn ihr da oben auf den Pontons steht«, flüsterte er, »und diese seltsamen Strömungen, die da plötzlich auftreten... Ihr werdet sie fühlen, wenn die Zeit kommt.«

Keiner der Männer antwortete sofort, doch die Uneinigkeit war unüberhörbar. Die Skeptiker unter ihnen zogen ihre Hüte tiefer ins Gesicht, als ob sie etwas Unheilvolles wittern könnten. Marek hatte in der Vergangenheit selten daneben gelegen. Wenn er von den ‘Witten Wieven’ sprach, war es, als ob er mehr wusste, als er je preisgeben wollte.

Der älteste der Männer, ein wettergegerbter Fischer namens Hans, klopfte Marek freundschaftlich auf die Schulter, doch der Blick in seinen Augen verriet eine tiefe Besorgnis. »Du weißt doch, Marek, dass die Jungen ihr eigenes Ding machen wollen. Und die Jungen wollen das Turnier.«

Marek nickte nur, seine Lippen fest zusammengepresst. »Ja, sie wollen, aber was wollen sie wirklich? Ruhm? Reichtum? Oder sind sie bereit, das zu bezahlen, was es kostet?«

Und in diesem Moment, während die letzten Sonnenstrahlen den Hafen in ein blutrotes Licht tauchten, schien der Wind selbst eine Antwort zu flüstern – leise, unhörbar, aber spürbar. Ein Versprechen? Eine Vorwarnung? Niemand konnte es sagen, doch alle wussten, dass die kommenden Tage weit mehr bringen würden, als sie sich hätten träumen lassen.

Die Männer am Hafen lauschten gebannt Mareks Erzählung. Der Wind hatte inzwischen merklich aufgefrischt, und der Dämmerhimmel über der Nordsee nahm einen düsteren Farbton an, der das Gesagte noch unheimlicher erscheinen ließ. Marek sprach mit einer Überzeugung, die selbst den Zweiflern ein mulmiges Gefühl in die Magengrube pflanzte.

Hans, der immer ein skeptisches Lächeln für solche Geschichten übrig hatte, war diesmal still. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt, und er starrte nachdenklich in den nebelverhangenen Hafen. Es war offensichtlich, dass auch er von Mareks Worten berührt war.

»Und was hast du dann getan?«, fragte einer der Jüngeren schließlich mit einem leichten Zittern in der Stimme, als hätte die Geschichte seine eigenen Ängste geweckt.

Marek sah ihn mit einem prüfenden Blick an, bevor er langsam antwortete: »Ich habe die Namen meiner Ahnen gerufen, weil ich wusste, dass der Nebel, der die ‘Witte Wieven’ brachte, auch das Gleichgewicht der Insel gefährden konnte. Wer mit ihnen tanzt, der verliert mehr als nur seinen Weg. Sie fordern ihren Preis. Und der ist immer höher, als man bereit ist zu zahlen.«

Die Stille, die nach diesen Worten herrschte, war erdrückend. Der Nebel, der nun langsam über die Wasseroberfläche kroch, schien in diesem Moment noch bedrohlicher, als ob die alten Geister wirklich irgendwo zwischen den Dunkelheiten lauerten. Einige der jüngeren Männer schauten sich nervös um, als ob sie darauf warteten, dass die geheimnisvollen Geister aus dem Nebel auftauchen würden.

Marek fuhr fort, doch seine Stimme war nun leiser, fast ehrfürchtig. »Ihr müsst wissen, die ‘Witte Wieven’, das sind keine gewöhnlichen Geister. Sie sind die Hüterin der Inselgeheimnisse. Und sie sind die wahren Mächte, die über uns wachen. Wer ihr Gleichgewicht stört, der wird nicht mehr von der Insel gelassen.«

Der Wind pfiff nun durch die Gassen von Friesmoor und ließ die Riegel der alten Häuser klappern. Die Männer waren sich nicht sicher, ob sie sich um den Wind oder um das, was sie gehört hatten, mehr fürchteten. Doch alle wussten eins: Die ‘Witte Wieven’ waren keine Legende, und ihr Zorn hatte die Insel schon immer begleitet.

»Also, was denkst du?«, fragte Hans, seine Stimme rau, aber fest. »Glaubst du, dass wir uns wirklich in Gefahr begeben, indem wir dieses Turnier mit den Pontons veranstalten?«

Marek blickte noch einmal auf das nun graue Meer und dann zu den Pontons, die auf dem Wasser schaukelten. Er zuckte mit den Schultern. »Gefahr? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber eines ist sicher: Wenn der Nebel kommt, dann wird es niemanden mehr geben, der ungeschoren davonkommt.«

Trotz Mareks eindringlicher Warnung, die immer wieder in den Kneipen und an den Tischen der Dorfbewohner widerhallte, stieg die Vorfreude auf das bevorstehende Turnier. Die meisten konnten nicht anders, als sich von dem aufregenden Event anstecken zu lassen. Der Gedanke an das glitzernde Wasser, die Herausforderung auf den Pontons und das enorme Preisgeld von 10.000 Euro ließ viele die alten Geschichten als Aberglauben abtun.

Die jüngeren Dorfbewohner waren voller Tatendrang, träumten von Ruhm und Wohlstand. Sie sprachen von nichts anderem mehr als vom ‘Goldenen Pfeil’ und dem Nervenkitzel, den das Turnier mit sich bringen würde. Mareks warnende Worte wurden schnell als Halluzination eines alten Mannes abgetan, der zu viel Zeit einsam auf dem Wasser verbrachte und zu viel in dem Nebel der Erinnerung verlor.

Doch es waren die älteren Generationen, die sich in stiller Besorgnis zurückzogen und die Ereignisse aus der Ferne beobachteten. Einige von ihnen flüsterten sich leise zu, dass der Nebel an den Tagen vor dem Turnier besonders dick werden würde. Sie erinnerten sich an die Geschichten ihrer eigenen Großeltern und an die vielen Male, als der Nebel die Küste verschluckte und unheimliche Geräusche über das Wasser drangen. Es war, als ob die ‘Witte Wieven’ niemals wirklich fort gewesen wären.

Während die Neuigkeiten über das Turnier sich im Dorf verbreiteten, versuchten die jüngeren Bewohner, sich auf das Event zu konzentrieren, als sei alles nur eine aufregende neue Erfahrung. Aber in den dunklen Ecken von Friesmoor, wo die Schatten länger und dichter wurden, begannen die älteren Männer und Frauen, sich immer wieder zu versammeln und über den alten Hafen, das Land und die Geister zu sprechen, die nie wirklich verschwunden waren.

Die Tage bis zum Turnier vergingen und die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Doch der Nebel, der über das Wasser kroch, schien dichter zu werden, je näher der große Tag rückte. Viele spürten, wie eine seltsame, drückende Atmosphäre die Halbinsel umhüllte. Und während sich die jungen und ehrgeizigen Bogenschützen immer mehr auf das Turnier vorbereiteten, begannen die älteren Bewohner von Friesmoor, sich heimlich zu fragen: Was, wenn Marek doch recht hatte? Was, wenn die ‘Witte Wieven’ in den dunklen Nebeln wirklich auf ihren Auftritt warteten?

Am Abend vor dem Turnier, als der Mond kaum sichtbar war und der Nebel bereits die Gassen verschlang, traf sich die alte Generation erneut. Es war ein leises, fast zeremonielles Treffen. Sie wussten, dass sie nichts tun konnten, um das Ereignis zu verhindern, doch sie begannen, sich auf die bevorstehenden Ereignisse vorzubereiten – mit einem alten Ritual, das die Legenden von Friesmoor überlieferten. Ein Ritual, das sie hofften, in den kommenden Tagen vor einer Gefahr zu bewahren, die viele von ihnen tief in ihrem Inneren nicht mehr so leicht abtun konnten.

***

Karl Hansel beobachtete das bunte Treiben. Die ausgelassene Freude der Menschen lag in der Luft wie der salzige Duft des nahen Meeres, doch in seiner Brust zog sich etwas zusammen. Eine dunkle Ahnung, unbestimmt und nagend, kroch ihm wie der Wind von der See über den Rücken. Er spürte es, dieses flirrende Unbehagen, doch er wusste auch: Was kommen musste, würde kommen. Der große Tag stand unmittelbar bevor – und mit ihm das uralte Wissen um die ‘Witte Wieven’.

Er versuchte, sich auf das Geschäftliche zu konzentrieren, als ein paar der angereisten Schützen ihn ansprachen, um nach der besten Stelle für den Zugang zu den Pontons zu fragen. Karl zeigte ihnen den Weg, doch sein Blick blieb immer wieder zu den dunklen Wasserflächen des Hafens gerichtet, als würde er dort etwas sehen, das niemand anderes wahrnahm. Die Pontons schwankten sacht auf dem Wasser, während der fahle Mond sein Licht über die Oberfläche warf – als wolle er das Geheimnis hinweisen, das in den dunklen Tiefen verborgen lag.

»Marek mag ein Narr sein«, murmelte Karl ein weiteres Mal, doch auch ihm war klar, dass der alte Fischer mehr als nur ein Narr war. Die Geister der See, die Marek erwähnte, mögen in den Erzählungen der Dorfbewohner ein Relikt aus längst vergangenen Tagen sein – aber etwas in Karl spürte die unausgesprochene Wahrheit in Mareks Worten. Etwas war an diesen Tagen anders. Vielleicht lag es nicht nur an den übermütigen Erwartungen oder dem Geld, das die Insel verwandelte. Vielleicht war es auch das Gefühl, dass diese Festlichkeit, diese aufgedrehte Euphorie, eine Grenze überschritt, die niemals überschritten hätte werden sollen.

In den Gassen Friesmoors herrschte emsiges Treiben. Flaggen flatterten im Wind, Lichterketten spannten sich von Haus zu Haus, und der süße Duft von frisch gebackenen Waffeln und Apfelkuchen lag schwer in der Luft. Doch während Karl durch die Gassen streifte, fiel ihm die unheimliche Stille auf, die über den Häusern der älteren Friesmoorer lag. Verschlossene Fenster, verriegelte Türen. Manche schienen regelrecht zu flüchten, als wollten sie dem festlichen Treiben entkommen, das sich wie eine unheilvolle Welle über die Insel legte.

Dies war mehr als ein bloßes Fest. Eine kaum greifbare Bedrohung schwebte über Friesmoor, ein eisiger Hauch inmitten der scheinbaren Fröhlichkeit. Karl spürte es mit jeder Faser seines Körpers: Nur er stand zwischen dem Unheil und den Menschen. Aber noch zögerte er, gefangen in einer lähmenden Ungewissheit. Die Zeit drängte.

Der Wind nahm zu, als er sich zurück in sein Lokal begab. Der Nebel, der sich mit der Nacht zusammenzog, hatte etwas Bedrohliches an sich. Das ‘Alte Fährhaus’ war voll, die Gäste lachten und prosteten sich zu, doch der Wirt konnte den Blick nicht von dem Punkt abwenden, an dem die Pontons im Wasser dümpelten. Etwas war da draußen – etwas, das auf den richtigen Moment wartete. Etwas, das den schönen Schein dieses Festes zerstören könnte.

Marek hatte es gewusst. Und Karl wusste es auch, doch er hatte sich entschieden, die Augen zu verschließen. Für den Moment.

Das Bogenturnier, Tag 1

Als Heiner den Bogenplatz erreichte, stieg der Lärm der ankommenden Teilnehmer in die Luft – ein Rauschen von Stimmen, das mit der aufkommenden Aufregung verschmolz. Es war wie ein lebendiges Meer aus Aktivität: Bogenschützen, die ihre Bögen überprüften, Helfer, die die letzten Details am 3D-Parcours arrangierten, und Reporter, die sich in Position brachten, um das Spektakel einzufangen. Überall war Bewegung, und jeder wusste, dass dies der Höhepunkt der Saison war.

Heiner trat mit einem zufriedenen Grinsen aus dem Schatten eines der großen Zelte und blickte über das Gelände. Es war perfekt – fast zu perfekt.

Die Pontons schwankten sanft auf dem dunklen Wasser, ein gleichmäßiges, beruhigendes Schaukeln. Heiner hatte sich selbst davon überzeugt, als er auf dem Weg zum Bogenplatz kurz am Hafen Halt gemacht hatte. Keine losen Verankerungen, keine gefährlichen Kanten – alles wirkte stabil, geradezu perfekt für das, was er plante. Es war ihm wichtig, dass jedes Detail stimmte. Schließlich sollte dieses Turnier nicht nur ein sportliches Highlight werden, sondern sein persönlicher Triumphzug.

Doch während er an den glatten Bewegungen der Pontons zurückdachte, fragte er sich unwillkürlich: Hatte er an alles gedacht?

Die Zielscheiben glänzten im Morgensonnenlicht. Der ‘Goldene Pfeil’ war mehr als nur ein Wettkampf; es war ein Ereignis, das die Halbinsel Friesmoor auf die Landkarte des Bogensports bringen sollte.

Doch trotz der grenzenlosen Vorfreude spürte Heiner eine seltsame Anspannung in der Luft. Etwas, das er nicht greifen konnte. Vielleicht war es die Masse der Menschen, die er nie zuvor so vereint gesehen hatte. Vielleicht war es die ständige Frage, ob alles wirklich reibungslos laufen würde. Aber er schüttelte den Gedanken ab. Heute war der Tag, an dem er sich wieder als König fühlte. Und dieser Tag würde nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Insel unvergesslich werden.

»Heiner, mein Freund!« rief Andreas Römer plötzlich und klopfte ihm auf die Schulter. Er war in Begleitung von Cord Jacobs, einem Redakteur der ‘Hornumer-Rundschau’, der seine Kamera nicht aus der Hand ließ.

»Da sind sie, die ersten Schützen!« sagte Andreas mit einem breiten Grinsen und deutete auf eine Gruppe von Athleten, die gerade in Richtung des Parcours marschierten.

Heiner nickte und warf einen letzten Blick auf den Wettkampfplatz. »Es wird großartig, Andreas. Du wirst sehen.«

Die Spannung stieg weiter, als die ersten Pfeile die Luft durchbrachen und die Schützen ihre ersten Versuche unternahmen. Doch Heiner konnte nicht anders, als mit einem unbehaglichen Gefühl im Magen zu beobachten, wie der Nebel sich langsam wieder über die Insel legte. Vielleicht hatte Marek doch nicht ganz unrecht gehabt.

Heiner ließ die Gedanken los und versuchte, sich zu beruhigen. Jeder Schritt, den er auf dem Parcours tat, jeder Pfeil, der durch die Luft flog, brachte ihn dem Ziel näher. Er konnte es kaum erwarten, dass die ersten Wertungspfeile auf die Zielscheiben abgefeuert wurden und der Nervenkitzel des Wettbewerbs endlich losging. Doch immer wieder kehrte dieses mulmige Gefühl zurück – ein schwer fassbares Kribbeln im Nacken, das ihn nicht losließ.

Als er mit seinen Kollegen an den letzten Vorbereitungen arbeitete, konnte er nicht umhin, sich umzusehen. Die ersten Zuschauer begannen sich zu versammeln, die ersten Bogenschützen nahmen ihre Positionen ein. Der Platz füllte sich, und die festlich geschmückten Zelte begannen, sich wie eine lebendige Stadt zu füllen. Das Ganze hatte etwas von einem modernen Festival, und doch lag etwas Antikes in der Luft, als ob man die Geschichte des Bogenschießens auf eine neue Bühne heben wollte.

Heiner blinzelte in die matt schimmernde Sonne und rang darum, den anschwellenden Sturm seiner Gedanken zu verscheuchen. Die Stimmen wurden lauter, das Rauschen der Menge verschmolz mit dem Heulen des Windes und dem Surren der Kameras, die überall aufblitzten. Doch Heiner konnte den Blick nicht ganz abwenden, als er aus dem Augenwinkel eine alte Gestalt in der Menge erblickte – Marek. Der Fischer stand etwas abseits, schien in Gedanken versunken, und starrte mit ernster Miene in Richtung Hafen.

Heiner spürte, wie sich das mulmige Gefühl in ihm verstärkte. Was hatte dieser alte Mann hier zu suchen? Warum stand er dort, als ob er mit einem Blick in die Vergangenheit die Zukunft des Turniers erahnen konnte? Heiner schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf das, was vor ihm lag. Die Schützen standen in Position, der erste Pfeil flog durch die Luft, und mit ihm brach der Tag endlich richtig an.

Die ersten Rufe der Schützen hallten über den Parcours, das Klatschen der Zuschauer mischte sich mit dem Klang des Windes und dem rhythmischen Knistern der Bögen. Heiner konnte die Spannung förmlich greifen, sie lag dick in der Luft wie das salzige Wasser, das den Hafen umgab. Doch trotz der Erregung, die das Turnier umgab, konnte er nicht das Gefühl abschütteln, dass irgendetwas nicht stimmte.

Vielleicht war es nur die Anspannung, vielleicht war es nur sein eigener Kopf, der ihm einen Streich spielte. Aber in der Dämmerung seiner Gefühle, die langsam in den Vordergrund trat, wusste Heiner, dass sich eine seltsame, fast übernatürliche Präsenz über das Turnier legte.

Die Menge lauschte gespannt, die Luft vibrierte von der Energie, die das Turnier ausstrahlte. Heiners Worte flogen wie Pfeile in das Herz jedes Einzelnen, der zuhörte. Die Schützen fühlten sich angespornt, der Wettkampf war jetzt nicht mehr nur ein Test ihrer Fähigkeiten, sondern ein Gemeinschaftserlebnis. Auch die Zuschauer, die meisten mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, schienen von der Begeisterung erfasst zu werden. Sogar die Skeptiker, die ursprünglich über das ganze Turnier gelächelt hatten, mussten sich eingestehen, dass die Atmosphäre etwas Magisches hatte.

Als Heiner die Eröffnungsrede beendete, brandete ein Applaus auf, der über den gesamten Parcours hallte. Es war der Moment, in dem alle Bedenken, alle Ängste, die vielleicht noch im Hintergrund lauerten, verflogen. Das Turnier hatte begonnen, und niemand konnte mehr leugnen, dass Friesmoor in diesem Moment im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand.

Doch noch während der Applaus verklang, spürte Heiner das Unbehagen erneut in sich aufsteigen. Es war, als würde etwas im Hintergrund lauern – eine Präsenz, die er nicht benennen konnte. Der Wind frischte auf, die Bäume am Rand des Parcours schwankten, und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Für einen Moment dachte er an Marek und dessen Worte über die ‘Witte Wieven’. Ein unwillkürlicher Blick über die Menge – da war nichts Außergewöhnliches. Doch dieses mulmige Gefühl blieb, wie der Nebel über Friesmoor.

Der Startschuss würde in wenigen Augenblicken fallen, und Heiner zwang sich, in den Moment zurückzukehren. Doch die ganze Szenerie, die jubelnden Menschen, die Schüsse der Pfeile, die in die Zielscheiben trafen – sie schienen sich irgendwie zu verzerren. Die Luft war plötzlich schwerer, dichter. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, als ob etwas auf den Ausgang dieses Turniers einen Einfluss haben könnte, der über den Sieg oder die Niederlage der Teilnehmer hinausging.

»Komm schon, Heiner«, murmelte er sich selbst zu. »Du bist der Profi hier. Denk an das große Bild.« Doch seine Gedanken waren unruhig, und der Wind trug die leisen Flüstertöne der Insel mit sich, die ein wenig zu deutlich in seinem Kopf widerhallten.

Heiner betrat die Bühne. Die Menge tobte, der Jubel hallte über den Parcours, als die letzte Silbe seiner Rede verklang. Das »Alle ins Gold« dröhnte noch in den Ohren der Teilnehmer und Zuschauer, als die ersten Wertungspfeile durch die Luft flogen. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Der Wettkampf war nicht mehr nur ein Event, sondern ein Erlebnis, das alle gemeinsam durchlebten, jeder Schuss, jeder Treffer, ein weiterer Schritt auf dem Weg zu etwas Größerem.

Heiner spürte, wie sich die Atmosphäre um ihn herum entlud – eine Mischung aus Aufregung, Konzentration und purem Adrenalin. Die Schützen hatten sich auf ihre Ziele fokussiert, jeder von ihnen ein stiller Kämpfer in seinem eigenen Kopf, der mit jedem gezogenen Bogen mehr und mehr in den Wettkampf eintauchte. Die Spannung war förmlich greifbar, doch in diesem Moment schien alles perfekt. So hatte Heiner sich das vorgestellt.

Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht.

Doch dann, als er sich von der Menge entfernte, überkam ihn wieder das unangenehme Gefühl, das ihn seit betreten des Platzes nicht mehr losgelassen hatte. Irgendetwas war anders. Der Wind, der von See herüberzog, trug einen seltsamen Duft mit sich – salzig, feucht, aber auch etwas... Fremdes. Tod.

Die Augen der Zuschauer glitten über den Parcours, doch ein Schatten, der sich wie ein unauffälliger Nebel über das Gelände legte, ließ Heiner stocken.

Er blinzelte und versuchte, sich zu sammeln. Komm schon, Heiner. Du bildest dir nur etwas ein. Aber das Gefühl blieb. Ein Gefühl, als würde der Boden unter seinen Füßen nicht mehr ganz sicher sein. Als ob der Tag, der so perfekt begonnen hatte, einen anderen Verlauf nehmen könnte. Etwas, das er nicht greifen konnte – eine Erinnerung an Marek, der von den ‘Witte Wieven’ gesprochen hatte – schlich sich erneut in seinen Kopf.

Hör auf, dir solche Geschichten einzureden!

Doch die Worte des alten Fischers schienen mehr und mehr wie ein unheilvolles Echo in ihm widerzuhallen. Der Wind frischte weiter auf, und in der Ferne, am Rand des Hafens, verschwammen die Umrisse der Pontons im Nebel.

***

Mario Bruns’ Gesicht verhärtete sich, als Jutta ihm ein weiteres ironisches Lächeln schenkte. Der Wind wehte ihm ein paar Haarsträhnen ins Gesicht, doch er wischte sie mit einer fließenden Bewegung beiseite, als wollte er auch die unangenehmen Gedanken, die sie hervorrief, fortfegen. Er war nicht der Typ, der sich leicht aus der Fassung bringen ließ, doch Jutta Claßen, diese zielsichere Frau mit ihrer scharfsinnigen Art, schaffte es immer wieder, ihm das Gefühl zu geben, nicht ganz der Herr der Lage zu sein. Und das war nicht gut für seinen Plan.

Er hatte sich viel erhofft von diesem Turnier, von der Gelegenheit, seine Präsenz in Friesmoor zu verstärken, um schließlich als der Mann dazustehen, der das Dorf, die Halbinsel, in eine neue Ära führen würde. Doch an diesem Tag schien alles, was er tat, mehr eine abgelesene Rolle zu spielen. Heiner Gerlach stahl ihm die Show, und Jutta, die Frau, die sich weder von Titeln noch von Positionen beeindrucken ließ, machte ihm klar, dass er sich auf diesem Terrain keine Freunde machen würde.

»Sie sind wirklich ein fähiger Mann, Herr Bruns«, hatte sie gesagt, ihre Stimme süßlich und unmissverständlich. »Aber wie Sie sehen, gibt es hier auf Friesmoor eben eine andere Art von Dynamik. Vielleicht ist es nicht ganz Ihr Stil, aber wir haben unsere eigenen Regeln. Was haben Sie konkret für diesen Ort getan?«

Die Worte trafen ihn wie ein Schlag. Zwar wusste er, wie man mit der rechten Mischung aus Charme und Selbstsicherheit über solche Fragen hinwegkam, aber in diesem Moment, umgeben von dieser fast schon familiären Atmosphäre des Turniers, fühlte er sich fehl am Platz. Die Menschen hier – das war nicht einfach ein Haufen, der sich um den Wettbewerb versammelte. Es war eine Gemeinschaft, ein Kollektiv. Und in einer Gemeinschaft hatte jeder, der an den Rand gedrängt wurde, das Gefühl, mehr zu verlieren, als nur seinen Einfluss.