Hinter den Deichen, da liegen die Leichen - Karl-Heinz Brinkmann - E-Book

Hinter den Deichen, da liegen die Leichen E-Book

Karl-Heinz Brinkmann

0,0

Beschreibung

Tauchen Sie ein in die düstere Welt des Krimilandes Kehdingen-Oste, einer idyllischen Region, in der das Verbrechen hinter jedem Baum lauert. In diesem packenden Buch erwarten Sie zehn fesselnde Kurzkrimis und Geschichten, die Sie bis zur letzten Seite in Atem halten. Erleben Sie die unheimliche Stille eines alten Fischerdorfes, indem ein mysteriöser Mord geschehen ist. Begleiten Sie einen knallharten Ermittler bei der Aufklärung einer rätselhaften Mordserie entlang der malerischen Flussufer. Begegnen Sie geheimnisvollen Gestalten, die auf der Oste ihr Unwesen treiben. Tauchen Sie ein in die Abgründe der menschlichen Psyche und begegnen Sie skrupellosen Mördern, verzweifelten Opfern und brillanten Detektiven. Lassen Sie sich von unerwarteten Wendungen überraschen und versuchen Sie, das Rätsel jedes Falles selbst zu lösen. Diese Sammlung von Kurzkrimis und Geschichten entführt Sie in eine Region voller Geheimnisse und Spannung. Authentisch und atmosphärisch werden die Geschichten erzählt, sodass Sie sich mitten im Geschehen wiederfinden werden. Bereiten Sie sich darauf vor, das Land zwischen Elbe und oste in einem völlig neuen Licht zu sehen. Tauchen Sie ein in die düstere Seite der norddeutschen Tiefebene des Krimilandes Kehdingen-Oste.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hinter den Deichen, da liegen die Leichen
Inhalt
Fango für Herrn Bürgermeister
Zauberhafter Fund aus der Oste
Die Rache des Heinrich Labisch
Tödliches Geschäft auf See
Treibjagd
Hier liegen Sie richtig
Störtebekers Säbel
Hanteltod
Der Schatz des Grafen Bremer
Deichschau
Der Oestinger
Weitere Werke des Autors

Hinter den Deichen, da liegen die Leichen

10 Kurzkrimis & Geschichten aus dem Krimiland Kehdingen-Oste

Karl-Heinz Brinkmann

1. Auflage, 2023

ISBN: 978-3-757561-51-2

© 2023 Alle Rechte vorbehalten.

Der Oestinger

Karl-Heinz Brinkmann

c/o IP-Management #47918

Ludwig-Erhard-Str. 18

20459 Hamburg

[email protected]

www.der-oestinger.de

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Hinter den Deichen, da liegen die Leichen

10 Kurzkrimis & Geschichten aus dem Krimiland Kehdingen-Oste

Karl-Heinz Brinkmann

[email protected]

www.der-oestinger.de

Hinter den Deichen, da liegen die Leichen

Wasser, Wind und die majestätischen Wolken, die tief am Himmel hängen, während sich das weite Land erstreckt und von Deichen gekrönt wird - das ist Norddeutschland. Man sagt uns Norddeutschen nach, dass wir genauso trocken sind wie unsere Landschaft. Doch kaum jemand ahnt, dass sich hinter dieser Fassade so manches dunkle Geheimnis verbirgt. Wenn dies allgemein bekannt wäre, würden nicht jedes Jahr unzählige Urlauber wie Heuschrecken in unsere Küstenregionen einfallen.

Aber so ist es nun einmal, und wir akzeptieren es, ohne daran zu rütteln. Im Gegenteil, denn in unserer Region, dem Krimiland Kehdingen-Oste, geschehen allerlei Dinge - zumindest in den Köpfen der hier ansässigen Autoren. Ob es an den langen, grauen Herbst- und Winterabenden liegt oder an anderen Gründen, sei dahingestellt.

Fakt ist, dass unzählige Kriminalromane und TV-Krimis hier entstanden sind, und ein Ende ist nicht absehbar. Sogar der einzige plattdeutsche Tatort stammt von hier - von Elke Loewe! Rund 200 Drehbücher für »Der Alte« wurden ebenfalls im Krimiland Kehdingen-Oste geschrieben. Ihr geistiger Vater: Volker Vogeler. Und ich bin überzeugt, dass das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Sie merken bereits, das Land zwischen Elbe und Oste hat es sprichwörtlich in sich, eingeklemmt zwischen den Wassermassen und den schützenden Deichen. Hier in den Marschen und Mooren erblüht die Fantasie auf stilvolle Weise.

Die Orte und Schauplätze sind größtenteils real, doch die Menschen und ihre Handlungen sind reine Produkte meiner Vorstellungskraft. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind, wie immer, rein zufällig und nicht beabsichtigt. Sollte sich dennoch eine Ähnlichkeit ergeben, möchte ich bereits präventiv um Entschuldigung bitten.

Aber wie so oft im Leben, man kann sich nicht alles ausdenken, nicht einmal im Krimiland Kehdingen-Oste. Deshalb danke ich all jenen, die mich zu diesen Geschichten inspiriert haben.

Nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!

Karl-Heinz Brinkmann

Der Oestinger

Inhalt

Fango für Herrn Bürgermeister 9

Zauberhafter Fund aus der Oste 67

Die Rache des Heinrich Labisch 79

Tödliches Geschäft auf See 92

Treibjagd 115

Hier liegen Sie richtig 124

Störtebekers Säbel 157

Hanteltod 167

Der Schatz des Grafen Bremer 180

Deichschau 195

Der Autor 213

Fango für Herrn Bürgermeister

»Herr Bürgermeister, so kann es nicht weitergehen!«, rief Harald Momsen, der Vorsitzende der 'Neuhäuser Seglervereinigung', verzweifelt. Seit Jahren kämpfte er darum, den Gemeinderat und Bürgermeister Amandus Struve dazu zu bewegen, endlich etwas gegen die Verschlickung im historischen Hafen zu unternehmen.

»Ich weiß nicht, wie oft ich es dir schon gesagt habe, Harald, aber das ist die Zuständigkeit des 'Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz'!«, erwiderte Struve gelassen.

»Ich weiß, aber ihr könntet zumindest einen Antrag an dieses Amt stellen, um unsere Situation zu verdeutlichen«, drängte Momsen weiter.

»Das haben wir schon, mehrfach«, wimmelte Struve ab.

»Wann denn? Vor zwanzig Jahren, als der Schlick noch schick war, oder was?«, provozierte Momsen. Er baute sich vor dem Schreibtisch des Bürgermeisters auf, fixierte dessen Augen und sprach Worte aus, die er besser für sich behalten hätte. »Du steckst doch mit diesen korrupten Schlicksaugern von der Elbe unter einer Decke!«

»Pass auf, was du sagst, mein Freund!«, warnte Bürgermeister Struve und erhob sich ebenfalls hinter seinem imposanten Schreibtisch. Die beiden Männer standen sich nun so nah gegenüber, dass nur noch ein Blatt Papier zwischen ihren Nasenspitzen Platz fand.

»Es ist die Wahrheit! Ohne all diese verdammten Elbvertiefungen hätten wir nicht mit solch massiven Schlickproblemen zu kämpfen«, beharrte Momsen. Er konnte sehen, wie der Bürgermeister langsam rot anlief und sich auf einen Gegenschlag vorbereitete. Momsen wollte ihm keine Gelegenheit dazu geben und legte nach: »Und als würdiger Bürgermeister für unseren Ort hast du noch nie gedient. Du hast dieses Dorf heruntergewirtschaftet! Nur wo du persönlichen Vorteil siehst und Profit daraus schlagen kannst, dann kümmerst du dich. Uns Bürgern und dem Tourismus bist du doch scheißegal! Wie viel Geld ist geflossen?«

Bürgermeister Amandus Struve war sprachlos. In ihm brodelte der Zorn und er verlor die Kontrolle angesichts dieser, in seinen Augen, haltlosen Anschuldigungen gegen seine Person. Ein gezielter Faustschlag fegte Momsen zu Boden. Während er sich langsam aufrappelte, fixierte er den Bürgermeister mit einem durchdringenden Blick. »Das wirst du bereuen«, flüsterte er, den Geschmack von Blut im Mund, während er vorsichtig seinen schmerzenden Kiefer abtastete. »Das schwöre ich dir!« Mit diesen Worten verließ er das Amtszimmer des Bürgermeisters.

Die Schlägerei zwischen Struve und Momsen war an diesem Abend das beherrschende Thema in der vollbesetzten Bierstube. Doch Momsen, der sonst jeden Abend am Stammtisch anzutreffen war, entschied sich dafür, vorerst nicht dort aufzutauchen. Die Runde der Stammgäste diskutierte leidenschaftlich über die Elbvertiefung und das Schlick-Desaster im historischen Hafen.

»Gerade jetzt, wo unser Hafenfest unmittelbar bevorsteht, warum muss so etwas ausgerechnet jetzt passieren?«, fragte Heinrich Clemens, Vorstandsmitglied des Tourismusvereins und gleichzeitig Inhaber des örtlichen Bestattungsunternehmens.

»Diese Diskussion zieht sich schon seit Jahrzehnten hin, aber jetzt ist sie völlig ausgeufert«, bemerkte Doktor Adelbert Müller, der seine Landarztpraxis in direkter Nähe zum Hafen betrieb. Bei gutem Wetter saßen seine Patienten draußen und genossen den atemberaubenden Blick über die endlos scheinende Ostemarsch. Müller hatte extra drei Bänke aufstellen lassen.

»Ausgeufert, ja, ich mag deine Wortspiele, Berti«, lachte Clemens und nannte den Arzt gelegentlich bei dessen Spitznamen.

Wie abgesprochen betraten nacheinander Apotheker Andreas Bechtel, Detlef Grunewald und Pastor Ulrich Dengler das Lokal.

»Nun ja, solange Neptun nicht im Schlick steckenbleibt, ist es noch erträglich«, scherzte Bernhard Schiller, der Wirt der Bierstube, und stellte die nächste Runde Bier auf den Tisch. »Auf euer Wohl, meine Herren!«

Als sich erneut die Tür öffnete, trat Marita Aue ein. Sie war in Neuhaus für die zuverlässige Zustellung aller Arten von Postsendungen zuständig. Es gab im Ort keine bessere Informationsquelle als diese Frau im Dienste der Post. Böse Zungen behaupteten sogar, dass sie nicht nur alle Neuigkeiten kenne, sondern auch sämtliche Schlafzimmer während ihrer Dienstleistungen von innen gesehen haben soll.

»Moin Marita, schön, dass du da bist. Hast du unseren Bürgermeister heute schon gesehen?«, fragte Heinrich Clemens neugierig.

»Ja, habe ich. Er ist vorhin mit seinem Hund die Poststraße entlang in Richtung Hafen gegangen. Vielleicht möchte er sich den Schlick einmal selbst anschauen«, antwortete Marita.

»Ich glaube nicht, dass ihn der Hafen interessiert. Es ist ihm völlig egal«, warf Doktor Müller ein.

»Und das sagst du als sein Partei- und Busenfreund?«, erwiderte Ulrich Dengler überrascht, dass der Arzt und stellvertretende Bürgermeister plötzlich seinen Freund öffentlich an den Pranger stellte.

»Das weiß doch sowieso jeder, oder?«, sagte der Doktor und hob sein Glas an. Die anderen in der Runde taten es ihm gleich.

»Die nächste Runde geht auf mich!«, verkündete Sparkassendirektor Detlef Grunewald und suchte den Blickkontakt mit dem Wirt. Dieser nickte kurz, stand auf und zapfte die nächste Runde.

»So, nun mal unter uns Pastorentöchtern«, begann der Doktor zu flüstern und hielt dabei seine Hand vor den Mund. »Auch wenn Momsen einen wunden Punkt getroffen hat, hat er dennoch recht. Mein Freund und unser aller Bürgermeister steht auf der Gehaltsliste der holländischen Baggerfirma, deren Schiffe uns täglich auf der Elbe begegnen.« Ein Raunen ging durch die Stammtischrunde.

»Behaltet das bitte für euch, denn wenn Bernhard davon erfährt, dann wird es der ganze Landkreis wissen und wir wären am oft zitierten Hinterteil der Welt«, fügte der Arzt hinzu. Die Runde nickte zustimmend, und Adelbert Müller war sich bewusst, dass niemand hier am Tisch in der Lage war, dieses Geheimnis lange für sich zu behalten, vor allem nicht Marita. Sein Plan würde sich in kürzester Zeit entfalten. Nur Harald Momsen war in die Pläne des Landarztes eingeweiht.

»Warum erzählst du uns das?«, fragte der Pastor ruhig, nahm seine Brille gelassen ab und hauchte einmal darüber. Anschließend reinigte er sie mit einem Einwegtaschentuch und setzte sie wieder auf. Er suchte bewusst den Blickkontakt mit dem Arzt, und die Runde wartete gespannt darauf, was er zu sagen hatte. Alle wussten, dass dieser Mann Gottes großen Wert auf klare Worte legte.

»Das wissen doch sowieso schon alle«, entgegnete Andreas Bechtel und schüttelte den Kopf.

»Nein, das ist das erste Mal, dass ich davon höre, das könnt ihr mir glauben, Jungs«, sagte Marita unschuldig und hob ihre Hände.

»Nun gut, Marita, wenn du das sagst, wird es wohl stimmen. Dennoch würde ich gerne wissen, warum Adelbert so etwas verbreitet«, sagte der Pastor und spielte erneut an seiner Brille herum. Er tat das immer, wenn er davon überzeugt war, im Recht zu sein.

»Ach, komm schon, der Doktor will doch selbst Bürgermeister werden. Das weiß doch auch jeder«, scherzte die Postmitarbeiterin. Alle lachten, außer Doktor Adelbert Müller, der ernst blieb.

»Spaß beiseite«, warf Marita ein und tätschelte zärtlich den Arm des Arztes.

»Ob sie heute Abend Zeit für mich hat?«, fragte Müller sich selbst und griff nach ihrer Hand. Für einen kurzen Moment sah er ihr liebevoll in die Augen. Niemand am Stammtisch entging dieser leidenschaftliche Blick des Arztes. Gerade als Heinrich Clemens, der Besitzer des örtlichen Bestattungsinstituts, etwas sagen wollte, betrat Harald Momsen den Raum.

»Moin Leute, bin ich zu spät gekommen? Habe ich etwas verpasst?«, fragte er und rückte einen Stuhl zurecht.

»Ja, zwei Runden und die des knausrigen Sparkassendirektors«, antwortete Wirt Bernhard Schiller.

»Wenn das so ist, dann für mich bitte einmal Lütt’un’lütt«, sagte Momsen.

»Natürlich, Harald.« Der Wirt verließ die Stammtischrunde und begab sich zum Zapfhahn.

»Sag mal, Harald, warum hat der Bürgermeister dir heute Morgen eine verpasst?«, wollte der Pastor wissen.

»Ich habe ihm vorgeworfen, dass er nichts für unser Dorf tut und stattdessen von den Schlicksaugern bezahlt wird. Da ist er wütend geworden und hat zugeschlagen«, erklärte Momsen und strich sanft über sein schmerzendes Kinn. Er suchte den Blick von Marita, und auch dies entging den Männern der Tafelrunde nicht.

»Und du hast recht!«, fügte Müller hinzu. Es bedurfte nur eines kleinen Funken, und die Stammtischrunde wäre aufgesprungen und hätte Beifall geklatscht.

»Kann es sein, dass hier niemand am Tisch unseren Bürgermeister wirklich mag und bisher nur Loyalität geheuchelt wurde?«, fragte der Pastor und sah einen nach dem anderen über den Rand seiner Brille an. Er hatte wieder einmal ins Schwarze getroffen.

»Ich kann nur für mich sprechen, und es ist kein Geheimnis, dass der Bürgermeister und ich keine besten Freunde sind«, gab Apotheker Detlef Grunewald offen zu. Der Rest der Runde schwieg lieber zum Thema.

»Marita, wie ist die Stimmung im Dorf?«, bohrte Pastor Dengler weiter. Für ihn war dieses Thema noch lange nicht abgeschlossen. Er wollte Gewissheit und plante, diese Geschichte in seine Sonntagspredigt einzubauen.

»Wenn ich ehrlich bin, hatte ich heute so viel zu tun, dass ich kaum Zeit zum Klönen hatte«, antwortete Marita und versuchte, unschuldig zu wirken, während sie verlegen ihr Bierglas hin und her schob.

»Wer es glaubt«, murmelte Momsen und bemerkte als Einziger, wie der Doktor seine Hand unter dem Tisch nach Maritas Oberschenkel ausstreckte.

»So, so, die beiden machen also gemeinsame Sache«, dachte er und schob seinen Stuhl zurück. Er legte einen Geldschein auf den Tisch und verabschiedete sich. Auch er würde gerne ein paar Stunden in trauter Zweisamkeit mit der hübschen Marita verbringen. Doch bisher war er für sie unsichtbar.

Es war Mittwoch, und das Hafenfest sollte am Wochenende gefeiert werden. Doch das Versprechen des NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) hatte sich in Schall und Rauch aufgelöst. Harald Momsen murrte: »Das war wieder so ein Versprecher der Behörden.« Seine größte Sorge galt den zahlreich angemeldeten historischen Segelbooten, die in den Hafen gelangen sollten. Einige von ihnen durften nicht trockenfallen. Und der Tidenkalender sagte bei den Feierlichkeiten Ebbe voraus. »Open Ship wird dann nicht möglich sein«, sagte er zu Müller. Die beiden Männer saßen vor der Arztpraxis auf dem Deich und blickten hinunter zum historischen Hafen.

»Ja, das wird ein Spaß«, erwiderte Müller, während er seinen Kaffeebecher leerte. »Ich muss zurück zu meinen Patienten.«

»Na klar, bis später am Stammtisch«, antwortete Momsen und machte sich auf den Weg hinunter zum Hafen. Dort beobachtete er, wie nur noch ein kleines Rinnsal Wasser vor sich dahinplätscherte. »So ein Mist!«, zischte er wütend. In diesem Moment kam Marita mit ihrem gelben Fahrrad um die Ecke gebraust. »Hey, moin Harald. Alles frisch bei dir?«

»Sieh dir doch diesen Mist hier an! Schlick, soweit das Auge reicht. Und genau so leer wird der Hafen beim Fest sein. Und du fragst, ob bei mir alles klar ist? Die Schlicksauger sollten mal hier ihre Rüssel reinhalten!«

»Tut mir leid, ich wollte nur höflich sein«, entgegnete Marita und schwang sich auf ihr Fahrrad. Sie radelte davon, ohne sich weiter um Harald Momsen zu kümmern. Verzweifelt setzte er sich auf eine Bank und starrte auf den Schlick, als würde er versuchen, ihn mit bloßem Willen wegzuzaubern. In diesem Moment schlenderte ein junges Urlauberpärchen engumschlungen an ihm vorbei, unwissend über seine miese Stimmung.

»Auch Moin«, murmelte Momsen und beobachtete das Paar neidvoll, während es davon schlenderte.

»Ist das nicht ein Traum? Der Schlick bietet einen fantastischen Lebensraum für Kleinstlebewesen, und im dichten Schilf ist der perfekte Ort für den Schilfrohrsänger. Hör mal genau hin, dann hörst du ihn singen«, erklärte der Mann und deutete auf eine Stelle im Schilfgürtel, wo er den Vogel vermutete.

»Pah! Der Schlick ist nichts weiter als pure Scheiße!«, rief Momsen dem Paar hinterher.

»Ach, Sie haben doch keine Ahnung, guter Mann«, erwiderte der Fremde gelassen.

Momsen wurde wütend. Wie konnte dieser Fremde, der hier nichts von der Küste und dem Wasser verstand, ihn als ahnungslos bezeichnen? Er sprang auf und ging mit entschlossenen Schritten auf das Paar zu. »Was haben Sie da gerade zu mir gesagt?« Momsen presste demonstrativ seine Fäuste in die Taille.

»Ich sagte nur die Wahrheit, oder können Sie mir das Gegenteil beweisen?«

»Ich brauche Ihnen, Sie Schnösel, gar nichts zu beweisen! Zeigen Sie mir lieber, woher Sie Ihr Wissen haben!«

»Wenn Sie es so wollen. Mein Name ist Martin Demmler, Doktor der Biologie. Ich bin beim BUND zuständig für unsere Küstengewässer. Und, wenn ich vorwegnehmen darf, haben wir Widerspruch gegen das Ausbaggern Ihres Hafens eingelegt.«

»Ach, Sie waren das! Blödes ...«, Momsen verschluckte den Rest des Satzes lieber, denn mit solchen Leuten zog man meist den Kürzeren. Er wusste aus Erfahrung als langjähriger Vorsitzender der Seglergemeinschaft, dass der Ärger oft von Behörden oder Umweltschützern kam.

»Wie bitte?«, fragte Doktor Demmler.

»Schon gut, vergessen Sie es«, murmelte Momsen und drehte sich abrupt um. Er kannte nun den Schuldigen, der seinen Hafen verschlickte. Mit dieser neuen Erkenntnis eilte er ins Büro des Bürgermeisters.

»Sag mal, Amandus, wusstest du, dass der BUND das Schlicksaugen in unserem Hafen verhindert hat?«

»Natürlich wusste ich das.«

»Und wann hattest du vor, es öffentlich zu machen?«

»Bei der Eröffnungsrede zum Hafenfest. Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen. Aber da du es jetzt schon weißt, kann ich es wohl vergessen.«

»Die Eröffnungsrede kannst du ebenfalls vergessen! Das Fest fällt aus!« Momsen verließ das Büro und knallte die Tür hinter sich lautstark zu. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Dorf.

»Wie bitte? Das Hafenfest fällt aus? Und der Bürgermeister trägt die Schuld?«, fragte Heinrich Clemens fassungslos.

»Ja, das hat mir Harald jedenfalls erzählt. Und er muss es wissen, denn er hat es dem Bürgermeister direkt ins Gesicht gesagt«, bestätigte Detlef Grunewald die Frage seines Freundes.

»Gut, sehen wir uns später beim Stammtisch?«, schlug Clemens vor.

»Klar, Detlef. Warum nicht?«, stimmte er zu. Clemens steckte die Schachtel Kopfschmerztabletten in seine Jackentasche und verließ die Apotheke. Genüsslich schlenderte er durch den Ort in Richtung Bürgerpark, als plötzlich die Sirenen lautstark aufheulten.

»Scheiße!«, entfuhr es ihm. Er drehte um und rannte, so schnell er konnte zum Feuerwehrgerätehaus. Seine Kameraden kamen aus allen Ecken des Ortes angestürmt und machten sich bereit zum Ausrücken.

»Was ist los? Wo müssen wir hin?«, fragte er atemlos.

»Schau auf deinen Pieper!«, blaffte ihn ein Kamerad an.

»Danke, der liegt zu Hause.«

»Kameraden, wir wurden zum Hafen gerufen. Wir sollen eine Leiche aus dem Schlick ziehen«, erklärte der Gemeindebrandmeister mit mühsam gewahrter Fassung. »Ich weiß, es wird kein angenehmer Anblick werden. Wer lieber hierbleiben möchte, dem kann ich es nicht verdenken.« Er blickte eindringlich in die Runde und rief mit entschlossener Stimme: »Gut, dann aufsitzen und los!«

Mit Blaulicht und einem ohrenbetäubenden Getöse setzten sie sich in Bewegung, auf dem Weg zum historischen Hafen. Zu ihrer Überraschung trafen sie bereits Polizei und einen Rettungswagen vor Ort an. Normalerweise waren diese Einsatzkräfte stets später am Ort des Geschehens als die Feuerwehr, doch dieses Mal war alles anders. Das schwere Feuerwehrfahrzeug bahnte sich millimeterweise seinen Weg durch die enge Lücke im Deich.

»He, wo kommt ihr denn jetzt plötzlich her?«, fragte Heiner Kunz, der örtliche Polizist aus dem Nachbarort Cadenberge.

»Bei solchen Einsätzen muss ich meine Männer erst vorbereiten, vergiss nicht, dass wir das hier alle ehrenamtlich machen«, erwiderte der Gemeindebrandmeister und gab seinen Männern einige Anweisungen. Jeder Handgriff saß, als sie sich darauf vorbereiteten, das Feuerwehrboot ins Wasser zu lassen.

»Wir müssen warten, bis die Flut kommt. So bekommen wir das Boot nicht rein und ihn nicht raus«, erklärte Clemens. Das Feuerwehrboot hatte kaum Tiefgang, aber bei dem derzeitigen Wasserstand war es unmöglich, es ins Wasser zu bringen. Die Männer begaben sich zur Kaimauer und blickten auf die Leiche hinüber, die im Schlick auf der anderen Seite des Hafens lag.

»Wer mag das bloß sein?«, fragte der Polizist mit nachdenklicher Miene.

»Sieht aus wie unser Bürgermeister«, verkündete Heinrich Clemens mit sicherem Ton.

»Und wie ist er da hingekommen?«, fragte ein neugieriger Zuschauer.

»Verschwinden Sie sofort!«, fuhr der Polizist ihn an. Diese Frage hatte er sich jedoch selbst schon gestellt. Der leblose Körper lag auf der gegenüberliegenden Seite des Hafenbeckens. Das Ufer dort gehörte zur angrenzenden Werft, und es war kein Ort, an dem man versehentlich ins Wasser fallen konnte. Außerdem war der Bürgermeister ein ausgezeichneter Schwimmer. Für Heiner Kunz stand fest: Amandus Struve wurde ermordet. Er informierte sofort die Kriminalpolizei.

»Wer hat ihn eigentlich entdeckt?«, fragte er in die Runde. Marita hob zögerlich ihre Hand und trat unsicher auf Kunz zu. »Du?«, erkundigte er sich, denn auch er kannte die lebhafte Postbeamtin nur zu gut. »Was hast du hier gemacht?«

»Das ist mir etwas unangenehm«, gestand sie verlegen und senkte den Blick, während sie mit ihrer Schuhspitze nervös auf den Pflastersteinen herum kratzte.

»Komm schon, raus damit«, forderte Heiner Kunz sie auf und griff nach ihrer Hand, um sie von den anderen Leuten wegzuziehen.

»Na gut, ich muss es ja eh zu Protokoll geben, also was soll’s«, seufzte Marita.

»Mach es nicht so spannend, raus mit der Sprache«, drängte Heiner ungeduldig.

»Karli ...«

»Doch nicht der Karli?«, unterbrach er sie überrascht.

»Es war so: Karli und ich haben uns dort hinten geliebt«, sie deutete auf ein weißes Sportboot, das auf einem abgestellten Anhänger in der hintersten Ecke des Hafens stand. »So, nun ist es raus.«

»Während deiner Dienstzeit?«, fragte Heiner skeptisch.

»Nein, während meiner gesetzlich vorgeschriebenen Mittagspause«, korrigierte sie den Polizisten.

»Wie auch immer. Und von dem Boot aus hast du die Leiche entdeckt. Weißt du, wie sie dahin gekommen ist?«

»Ich saß auf Karli und hörte plötzlich ein lautes Geräusch von der Werft herüberkommen, als würde jemand mit einem schweren Hammer auf Eisen schlagen. Instinktiv habe ich in diese Richtung gesehen. Und da sah ich ihn im Schlick liegen. Als wir ankamen, war hier noch überall Wasser.«

»Hast du etwas Verdächtiges gesehen?«, fragte Heiner ungeduldig.

»Ja, einen verdächtig gut aussehenden Mann«, antwortete Marita mit einem schelmischen Lächeln.

»Oh Marita, und wo steckt mein Bruder?«, fragte Heiner besorgt.

»Du kennst ihn doch, der ist schon lange über alle Berge.«

»Diesmal nicht«, erwiderte Heiner und blickte auf einen sportlichen Mann, der sich mit einer schlaksigen Gangart näherte. »Moin Heiner, alter Knabe, lange nicht gesehen«, begrüßte Karli seinen Bruder herzlich.

»So sieht man sich wieder. Scheint, als hätten sich hier zwei gefunden«, bemerkte Heiner lächelnd.

Karli ließ die Bemerkung seines Bruders unkommentiert und fragte: »Was gibt es hier, Brüderchen?«

»Nun, so wie ich das sehe, ist er nicht von alleine dahinten ins Wasser gefallen.«

»Du meinst also, er wurde ermordet?«

»Ich würde sagen, ja.«

»Gut, dann werde ich gleich loslegen«, entschied Karli energisch.

»Nein Karli, das wirst du nicht. Das ist Aufgabe der Polizei und nicht die eines Privatdetektivs«, erwiderte Heiner und fixierte seinen jüngeren Bruder mit einem strengen Blick.

»Okay, okay, du hast gewonnen. Dann will ich dich nicht länger von deiner Arbeit abhalten«, sagte Karli resigniert. Er trat an Marita heran, gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss und einen liebevollen Klaps auf ihren prallen Hintern, bevor er ging. Er hatte natürlich gesehen, wie der Bürgermeister ins Hafenbecken gelangt war. »Er hat mich ja nicht danach gefragt«, dachte Karli zufrieden und lächelte in sich hinein. Er überlegte bereits, wo er mit seinen eigenen Ermittlungen beginnen konnte.

»Der Kerl weiß doch was, ich kenne doch meinen Bruder«, sagte Heiner Kunz entschlossen. Er gab seinen Kollegen von der Kripo einen unauffälligen Hinweis, Karli im Auge zu behalten. Zufrieden beobachtete er, wie das Wasser langsam das Hafenbecken füllte. Endlich konnte die Feuerwehr ihr Boot zu Wasser lassen, um den gefangenen Bürgermeister aus dem schlammigen Gefängnis zu befreien. Zurück an Land wurde der Bürgermeister vom Gerichtsmediziner einer ersten Untersuchung unterzogen. Heinrich Clemens bahnte sich langsam mit seinem schwarzen Kombi einen Weg durch die Menge von gaffenden Menschen und witterte ein Geschäft.

»Die Kollegen aus Cuxhaven werden gleich hier sein, Sie können kehrtmachen«, sagte der Gerichtsmediziner und hatte wenig Geduld mit den örtlichen Bestattern. »Die sind schlimmer als die Aasgeier«, fügte er grimmig hinzu.

»Das können Sie doch nicht machen, das ist unser Bürgermeister!«, protestierte Clemens, dessen Zorn kaum zu bändigen war.

»Mag sein, guter Mann, aber er muss nach Cuxhaven in die Gerichtsmedizin«, entgegnete der Gerichtsmediziner.

»Und ich kann ihn nicht dorthin bringen, oder was?«, fragte Clemens empört.

Der Gerichtsmediziner betrachtete Clemens' schwarzen Kombi und schüttelte den Kopf. »Ihr Auto ist für gerichtliche Leichentransporte nicht zugelassen«, erklärte er.

»So einen Quatsch habe ich ja noch nie gehört!«, rief Heinrich Clemens aus und zog sich zurück. Er beobachtete das Geschehen aus sicherer Entfernung, griff in seine Jackentasche und holte eine Schachtel Zigaretten hervor. Nervös fingerte er sich eine heraus und steckte sie zwischen seine Lippen. Klick! Clemens zuckte kurz zusammen, als ein Feuerzeug direkt vor seinem Gesicht entzündet wurde. Er streckte sich, um seine Zigarette anzuzünden. Gierig nahm er einen tiefen Zug und stieß den blauen Dunst in den Himmel. »Danke«, sagte er und drehte sich zum Spender des Feuers um. Hinter ihm stand Karli Kunz und grinste ihn an. »Na Undertaker, war wohl nichts mit einem schnellen Taler«, neckte Karli ihn.

Clemens zuckte nur kurz mit den Schultern. »Eigentlich schade, es hätte ein lukrativer Auftrag werden können.«

»Ich möchte zu gern wissen, wer das war«, meinte Karli Kunz. Er stand jetzt vor Clemens und sah ihm tief in die Augen, während er sich ebenfalls eine Zigarette anzündete.

»Das würde ich auch gerne wissen«, erwiderte Clemens und nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette, bevor er sie auf den Boden warf.

Karli zertrat die glimmende Kippe. »Aber ich denke, Sie können sich vorstellen, wer für eine solche Tat in Frage käme, oder?«, fragte er mit einem durchdringenden Blick.

»Wer sind Sie eigentlich?«, wollte Clemens wissen und musterte den Fremden skeptisch. »Sind Sie von der Polizei?«

»Nein, nur ein neugieriger und besorgter Bürger dieses schönen Ortes«, antwortete Karli mit einem unschuldigen Lächeln, das Clemens in die Irre führte.

»Ich habe Sie hier noch nie gesehen«, sagte Clemens, der beinahe jeden Einwohner des Dorfes kannte. Nur die Hamburger und Bremer in der Wochenendsiedlung am Ostesee blieben ihm unbekannt. Sogar Marita kannte nicht alle von ihnen, und das sagte schon etwas aus.

»Ich wohne seit einigen Wochen in der Datscha am Ostesee«, erzählte Karli lügnerisch und hoffte, dass er dem Bestatter einige Informationen über den Bürgermeister entlocken kann. »Eine Frage habe ich noch, Herr ...«

»Clemens«, ergänzte der Bestatter.

»Karli«, antwortete Karli.

»Nein, Clemens ist mein Nachname«, klärte ihn der Bestatter auf.