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MITTERNACHT IN MANHATTAN Wie alles begann... Die Vorgeschichte zu Sarah Morgans Manhattan-Serie.Tagsüber ist Matilda eine schüchterne Kellnerin. Nachts erfindet sie Geschichten über eine mutige Frau, die ihren Traum lebt. Matilda dagegen scheint nichts zu gelingen. Nachdem sie ein Dutzend Partygäste versehentlich mit Champagner bespritzt hat, wird sie zu ihrer Verzweiflung auch noch entlassen. Doch als sie auf den charmanten Millionär Chase Adams trifft, sieht sie ihre Chance gekommen: Sie schlüpft in die Rolle ihrer Romanheldin und verbringt eine traumhafte Nacht an seiner Seite. Kann ein mitternächtlicher Ausflug zu Tiffany's ihren größten Traum vielleicht wahr werden lassen? SCHLAFLOS IN MANHATTAN Nette Freunde, ein riesiges Apartment, ein toller Job. Die Liste der Dinge, die eine junge Frau in New York erreicht haben sollte, hat Paige in allen Punkten abgehakt. Bis sie plötzlich von der Karriereleiter stürzt. Auf einmal ist der beste Freund ihres Bruders der Einzige, der ihr Leben wieder in Ordnung bringen kann. Schon früher hat Paige vergeblich für den Draufgänger Jake geschwärmt - und je mehr Zeit sie mit ihm verbringt, desto klarer wird ihr, was auf ihrer New-York-Liste noch fehlt: die perfekte Liebesgeschichte … "Dieses Buch ist großartig geschrieben, voller Liebe, Träumen und auch Drama. Herrlich!" (bookreviews.at) "Ein romantisches Erlebnis." Publisherʼs Weekly "Herzklopfen in der Stadt die niemals schläft und ein super Roman. Einfach lesenswert" ReiseTravel "Romantiker finden in diesem Roman eine wunderbare Liebesgeschichte." Fränkische Nachrichten EIN SOMMERGARTEN IN MANHATTAN Pflanzen sind Frankie die liebsten Lebewesen. In New York verschönert sie als Event-Floristin die Feste der Reichen und Schönen mit kostbaren Gestecken. Doch ihre wahre Liebe gilt den Dachgärten der Stadt. Als der attraktive Bruder ihrer besten Freundin sie für ein exklusives Gartenprojekt einspannen will, stimmt sie zu - ohne zu wissen, dass es ihre Gefühle bald auf eine harte Probe stellen wird … "Humorvoll-romantische Lesestunden sind garantiert!" IN "Ein romantisches Erlebnis." Publisher's Weekly "Mit dem zweiten Buch der Manhattan-Serie gelingt Sarah Morgan erneut der perfekte Spagat zwischen Romantik und Sinnlichkeit." Booklist LICHTERZAUBER IN MANHATTAN Eva ist eine hoffnungslose Romantikerin und sieht nur die guten Seiten des Lebens. Kein Wunder, dass sie Weihnachten in New York liebt wie kein anderes Fest im Jahr. Um ihr Konto aufzustocken, tritt die New Yorker Food-Bloggerin eine Stelle bei dem erfolgreichen Horror-Autor Lucas Bale an. Womit sie nicht gerechnet hat: Der grimmige Brite kann die Feiertage nicht ausstehen. Mit Tannenschmuck und Plätzchenduft will Eva ein kleines Weihnachtswunder an ihm wirken - mit mehr als frostigem Ergebnis. Warum nur fühlt sie sich zu ihm hingezogen, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten? "Das magische Finale von Sarah Morgan packt seine Leser von Seite eins an." RT Book Reviews "Eine süß-verschneite Interpretation von "Gegensätze ziehen sich an", die den Optimismus hochleben lässt." Publishers Weekly "Morgan gelingt die perfekte Mischung zwischen süß und sexy." Booklist
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Seitenzahl: 1677
Sarah Morgan
From Manhattan with Love (4in1)
MIRA® TASCHENBUCH
Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der englischen Originalausgabe: Midnight at Tiffany's Copyright © 2015 by Sarah Morgan
Covergestaltung: büropecher, Köln Coverabbildung: Harlequin Books S.A., DRogatnev / Shutterstock Redaktion: Eva Wallbaum
ISBN E-Book 9783955767822
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E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
„Ein Glas Champagner?“
Matilda bahnte sich einen Weg durch die glamouröse Menge, während sie versuchte, ihr Tablett gerade zu halten. Dabei ermahnte sie sich, nicht zu der funkelnden Skyline von Manhattan hinüberzuschauen. Es würde sie ablenken, und sie durfte sich nicht ablenken lassen. Das Letzte, was sie heute Abend gebrauchen konnte, war ein weiterer Gast, der sich Champagner von der teuren Kleidung wischen musste. Ihre Chefin hatte sie schon nach dem letzten Missgeschick scharf ermahnt. Und obwohl dieses Desaster – rein technisch gesehen – nicht ihre Schuld gewesen war, würde sie beim nächsten Vorfall dieser Art gefeuert werden, so viel war klar. Also hatte beschlossen, jetzt genau das zu tun, was ihr gesagt wurde: sich völlig unauffällig zu verhalten. Was ihr nicht weiter schwerfallen sollte, schließlich war es ihre große Spezialität.
In einer Welt, in der extrovertiertes Verhalten geschätzt wurde, war sie schon immer introvertiert gewesen. Ihr gesamtes Leben hatte sie damit verbracht, sich möglichst unsichtbar zu machen. Zuerst auf dem Schulhof, wo sie sich hinter Büchern versteckt hatte, die von anderen verfasst worden waren. Und später auf dem College, wo sie begonnen hatte, selbst zu schreiben. Sobald sie sich eine Geschichte ausdachte, verschwand sie in ihrer Fantasiewelt, wurde eins mit ihren Heldinnen, denen sie immer die allerbesten Eigenschaften verlieh. Genauer gesagt: Sie verlieh ihnen exakt die Eigenschaften, die sie selbst so gern besessen hätte. Ihre Heldinnen waren mutig. Sie konnten problemlos mit fremden Menschen reden. Und vor allem besaßen sie ein ganz hervorragendes Koordinationsvermögen.
Ihre neueste Erfindung war Lara Striker. Lara stammte aus einer Kleinstadt, in die sie nun endlich zurückkehren würde. Bei den Bewohnern des Städtchens sorgte das allerdings für einige Aufregung. Denn Lara eilte der Ruf voraus, ein Bad Girl zu sein.
Matilda starrte auf die Gäste des Events, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Ihre Gedanken gingen sich in eine ganz andere Richtung.
Wie es sich wohl anfühlte, ein Bad Girl zu sein? Eine Frau, die Abenteuer liebte, wilde Affären mit Männern hatte und die exotischsten Länder kannte? Eine Frau zu sein, die nur den Raum betreten musste, damit alle flüsterten: „Das ist sie.“
„Matilda?! Matilda!“
Sie blinzelte und kehrte unsanft in die Realität zurück.
Es gab nur eine Person, die in einem so ätzenden Tonfall mit anderen Menschen sprach. Cynthia. Ihre Chefin in der Event-Agentur.
Die Frau, die ihr das Leben zur Hölle machte.
Matilda umklammerte das Tablett fester.
Über Cynthias Schulter hinweg konnte sie ihre Kollegin Eva erkennen, die eine Grimasse zog und mit den Händen eine Haifischflosse imitierte. Matilda fühlte sich sofort ein wenig aufgeheitert.
Sie richtete den Blick zurück auf Cynthia. Ihre Chefin hatte wieder das berüchtigte Lächeln aufgesetzt, das sie bei jedem Event zur Schau trug – gemeinsam mit ihrem Business-Kostüm. Das Lächeln saß auf Cynthias Gesicht wie ein Fremdkörper und erreichte niemals ihre Augen.
Das hier, schoss es Matilda durch den Kopf, war die Realität. Das echte Leben, in dem sie leider kein Bad Girl war. Ja, okay – ab und zu dachte sie ein paar sehr böse Dinge über Cynthia. Aber das war auch schon alles.
„Konzentriere dich“, zischte ihr Cynthia zwischen zusammengebissenen Zähnen zu. „Du bist hier, um zu arbeiten. Ich bezahle dich nicht dafür, dass du herumstehst und in der Gegend herumstarrst.“
Lara Striker hätte jetzt ausgeholt und Cynthia mit einem linken Haken das falsche Lächeln aus dem Gesicht geschlagen. Dann hätte Lara sich abgewandt, stolz darauf, der langen Liste ihrer Verbrechen ein weiteres hinzugefügt zu haben.
Matilda dagegen nickte nur stumm.
In der Welt der Fantasie war es möglich, der eigenen Chefin einen linken Haken zu verpassen und damit durchzukommen.
Im echten Leben führte so eine Aktion leider dazu, dass man den Job verlor. Was bedeutete, dass man sich sieben Tage pro Woche von Tütensuppen ernähren musste, anstatt nur vier Tage. Das waren eben die Fakten, dachte Matilda. Und wenigstens erlaubte ihr dieser Job, weiterhin Geschichten zu schreiben.
Ihre Kollegin Eva stand noch immer hinter Cynthia. Jetzt formte sie einige Worte mit den Lippen. Matilda konnte nicht erkennen, was genau Eva sagte. Aber es war tröstlich zu wissen, dass jemand ihr beistand.
Abgesehen von Cynthia war das ganze Team von Star Events großartig. Das war ein weiteres Argument dafür, dass diese Idee mit dem linken Haken vielleicht doch nicht so gut war. Sie liebte es, mit Eva, Frankie und Paige, der Leiterin ihres Teams, zusammenzuarbeiten. Deshalb durfte sie ihren Job nicht aufs Spiel setzen. Sobald Cynthia die Agentur verließ, hatten sie sehr viel Spaß. Vor allem aber hatte Matilda zum ersten Mal im Leben das Gefühl wirklich dazuzugehören. Nicht zu der Agentur, aber zu der Gruppe von Frauen, die ihre Kolleginnen waren. Und ihre Freundinnen, rief sie sich ins Gedächtnis. Es fiel ihr schwer, auf andere Menschen zuzugehen – gerade deshalb war diese Freundschaft kostbarer für sie als alle Juwelen, die hier auf dem Event zu sehen waren.
„Mir ist klar, dass heute Abend einige sehr berühmte Persönlichkeiten anwesend sind.“ Cynthia schaffte es zu sprechen und gleichzeitig weiterzulächeln. „Aber damit musst du umgehen können – und zwar auf professionelle Weise. Ich habe dich nicht mitgenommen, damit du mit offenem Mund herumstehst wie ein Goldfisch.“
Lara Striker hätte Cynthia erklärt, wohin sie sich ihren Goldfisch stecken konnte.
Matilda jedoch nickte nur, ohne irgendetwas zu erwidern. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass man einer Chefin wie ihrer einfach schweigend zustimmen musste – ganz egal, was sie mal wieder sagte. Denn es gab nur eine Methode, die sicherstellte, dass man den Job bei Star Events nicht verlor. Und diese Methode bestand darin, unterhalb von Cynthias Radar zu fliegen. Was gar kein schlechtes Bild war, dachte Matilda. Vielleicht konnte sie daraus sogar eine neue Geschichte entwickeln. Vor ihrem inneren Auge erschien ein Bild von ihr selbst: Unbemerkt von allen anderen flog sie in einem Tarnkappenflugzeug durch das Leben. Schade war nur, dass sie dabei brav auf dem Passagiersitz saß. Denn Lara Striker wäre natürlich die Pilotin gewesen und hätte das Flugzeug höchstpersönlich gesteuert – mit enormer Ruhe und Konzentration.
„Ich bin stehengeblieben, weil ich dann das Tablett gerade halten kann, Cynthia.“ Ihre motorischen Probleme qualifizierten sie nicht wirklich für den Job als Kellnerin, den sie bei diesem Event ausübte. Trotzdem hatte sie sich sofort bereiterklärt, die Aufgabe zu übernehmen. Denn dadurch konnte sie die Menschen beobachten, die heute Abend hier versammelt waren – und zwar völlig ungestört. Verborgen hinter einem Schutzwall aus Champagnergläsern konnte sie alles genau verfolgen, ohne sich direkt ins Geschehen einmischen zu müssen.
Wer waren diese Leute? Welche Geheimnisse lauerten unter den Seidenhemden, den Samtkleidern und den vielen teuren Juwelen? Was geschah, wenn diese perfekt gestylten Menschen irgendwann nach Hause kamen und die Masken absetzten, die sie bei gesellschaftlichen Anlässen trugen?
Matilda liebte es, über solche Fragen nachzudenken. Das war der Grund, warum sie diesen Job angenommen hatte.
Das, und die Tatsache, dass sie dadurch Zutritt zu der geheimnisvollen Welt der New Yorker High Society bekam. Ihre Arbeit führte sie an Orte, die sie sonst niemals kennengelernt hätte.
Wie zum Beispiel heute Abend.
Die Dachterrasse, auf der das Event stattfand, bot einen atemberaubenden Blick über Manhattan. Von hier oben aus betrachtet, waren die breiten Straßen nur noch schmale, glitzernde Bänder. Der Lärm der Stadt hatte sich in ein leises Rauschen verwandelt. Selbst die schwüle New Yorker Sommerhitze, die in wenigen Wochen ihren Höhepunkt erreichen würde, wurde durch eine leichte Brise äußerst erträglich gemacht. Überall auf der Terrasse waren winzige Lichter angebracht. Das Funkeln erinnerte an die Schaufenster bei Tiffany’s – auch wenn es weitaus intensiver war. Leuchtende Schnüre schlängelten sich durch die Pflanzen, die das Dach in einen Garten verwandelten. Über ihnen am Himmel waren die Sterne zu sehen, die aber fast ein wenig matt im Vergleich zu dem Lichtermeer unter ihnen wirkten. Nachts glich New York einer einzigen großen Party. Die Stadt der Träume.
Es waren die Träume anderer Menschen, die hier wahr wurden. Aber das störte Matilda nicht. Ihr eigenes Leben bestand vor allem aus viel harter Arbeit, für die sie selten irgendeine Art von Lob erhielt. Doch das war nun mal die Realität, daran ließ sich nichts ändern. Sie hatte auch gar nicht das Bedürfnis, das zu tun. Schließlich lebte sie sowieso die meiste Zeit in ihrer Fantasiewelt.
Sie unterdrückte ein Seufzen. Am liebsten wäre sie noch stundenlang ganz still hier stehengeblieben und hätte diesen Anblick in sich aufgesogen. Aber vermutlich würde das Cynthia nicht gefallen. Wenn sie ihren Job nicht verlieren wollte, musste sie sich schleunigst wieder in Bewegung setzen.
Bevor sie den Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, war sie gewarnt worden, dass Star Events als sehr rücksichtslose Firma galt – vor allem, was den Umgang mit den eigenen Angestellten betraf. Inzwischen wusste sie, dass das stimmte. Dazu kamen noch die schwierige ökonomische Situation und die Tatsache, dass es viele Frauen gab, die davon träumten, in einer erfolgreichen Event-Agentur zu arbeiten. Alles in allem stand sie deshalb vor der Wahl: Entweder sie erfüllte sämtliche Forderungen, die Cynthia an sie stellte. Oder sie fand sich auf der Straße wieder.
Und wenn es eines gab, was sie sich definitiv nicht leisten konnte, dann war es, ihren Job zu verlieren.
Unwillkürlich drückte Matilda bei diesem Gedanken ihr Tablett enger an sich.
„Ich gebe mein Bestes. Wirklich, Cynthia.“
„Das möchte ich doch schwer hoffen! Der heutige Abend ist sehr wichtig für Star Events. Es ist bereits die zweite Veranstaltung, die wir für die Adams Construction Group ausrichten. Das katapultiert uns in eine neue Liga. Wir müssen den Kunden begeistern! Er muss absolut hingerissen von uns sein. Denn Erfolg führt zu mehr Erfolg. Und dieser Klient wird in einem Jahr mehr wert sein, als all unsere anderen Kunden zusammen. Außerdem werde ich Chase Adams heute Abend zum ersten Mal persönlich gegenübertreten. Hast du den Artikel im Forbes Magazine über ihn gelesen? ‚Der Mann, der alles hat.‘ Er ist reicher als König Midas.“ Cynthia senkte ehrfurchtsvoll die Stimme. „Und er befindet sich irgendwo hier. Mitten unter uns.“
Vermutlich hatte er sich hinter einem Vorhang versteckt, um in Ruhe seine Millionen zu zählen, dachte Matilda spöttisch. Ob Cynthia wohl wusste, dass die Geschichte von Midas ein tragisches Ende genommen hatte? Denn alles, was er berührt hatte, war zu Gold geworden. Nur hatte Midas dann leider feststellen müssen, dass man Gold nicht essen konnte. Hoffentlich erging es Chase Adams nicht ebenso.
Sie erzählte Cynthia nicht, dass sie ebenfalls plante, heute mit dem Millionär zu sprechen. Wobei sie etwas ganz anderes mit ihm bereden wollte als ihre Chefin.
Chase Adams sammelte Bücher – wertvolle Erstausgaben, um genau zu sein. Er besaß sogar eine eigene Bibliothek in einem seiner Häuser. Sie hatte die Fotos im Internet gesehen und die Regale aus dunklem Eichenholz bewundert, in denen sich Buchrücken an Buchrücken reihte. Und hinter jedem davon verbarg sich eine neue, unentdeckte Geschichte. Es musste wunderbar sein, so viele Bücher zu besitzen!
Sie selbst war von einer eigenen Bibliothek leider meilenweit entfernt. Sobald sie auch nur zwei neue Taschenbücher in ihre winzige Wohnung mitbrachte, musste sie etwas anderes wegwerfen, um Raum zu schaffen.
Aber, egal. Der Grund, warum sie heute Abend Chase Adams treffen wollte, war sowieso nicht seine Bibliothek. Worum es ging, war sein Bruder. Brett Adams leitete einen kleinen, erfolgreichen Verlag. Schon seit Jahren träumte Matilda davon, eines ihrer Bücher dort zu veröffentlichen. Der bloße Gedanke an ihr Vorhaben brachte sie zum Zittern. Aber inzwischen war sie verzweifelt genug, um ihre Scheu vor fremden Menschen soweit zu bekämpfen, dass sie Chase Adams heute Abend ansprechen konnte. Jedenfalls hoffte sie das.
Um sich Mut zu machen, dachte sie an ihre Mutter.
Lass nie zu, dass die Angst dich von deinen Träumen abhält.
Matilda hob den Kopf und reckte das Kinn vor.
Sie hatte einen USB-Stick in der Tasche. Zudem befand sich eine ausgedruckte Version ihres Manuskripts in der Tüte, die sie in der Umkleide verstaut hatte.
„Ich hoffe, dass du ihn findest, Cynthia. Und dass er Star Events weiterhin viele Aufträge gibt.“ Fast hätte sie noch hinzugefügt, dass es vielleicht nicht besonders klug war, die Zukunft der Agentur von einem einzigen Kunden abhängig zu machen. Aber sie verbiss sich die Bemerkung im letzten Moment.
Lara Striker hätte das natürlich niemals getan. Sie hätte Cynthia völlig unverblümt die Meinung gesagt. Aber Lara hatte vor nichts und niemand Angst. Nicht einmal vor einem Mann, der so reich war, dass er eine eigene Bibliothek besaß.
Matildas Gedanken begannen, sich selbständig zu machen: Lara gehörte zu ihren absoluten Lieblingsfiguren. Aber vielleicht sollte sie sie noch weiter ausarbeiten? Wie wäre es, wenn Lara beispielsweise ein paar übernatürliche Fähigkeiten hätte? Oder – ganz im Gegenteil – wenn sie noch einige Schwächen hätte, die sie menschlicher wirken ließen? Zum Beispiel könnte sie etwas tollpatschig sein. Nein, korrigierte Matilda sich im nächsten Moment. Tollpatschigkeit gehörte zu jenen Eigenschaften, die sie nicht mal ihrer schlimmsten Feindin andichten würde.
Apropos schlimmste Feindin: Sie blickte auf und bemerkte, dass Cynthia sie mit gerunzelter Stirn betrachtete. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie nervös.
„Dein Rock! Was zum Teufel ist mit deinem Rock passiert?“
Alarmiert blickte Matilda an sich hinab. Aber ihr Rock sah noch immer genauso aus wie vor ein paar Stunden, als sie ihn in ihrem beengten Apartment übergestreift hatte. Star Events schrieb den Mitarbeiterinnen vor, was sie bei offiziellen Anlässen zu tragen hatten. Aber der Vorteil dieser ‚Uniform‘ bestand darin, dass sie komplett schwarz war. In ihrer schwarzen Bluse und dem schwarzen Rock unterschied sich Matilda daher nicht von den Kellnerinnen, die heute Abend für das Wohl der Gäste zu sorgen hatten. Na ja – abgesehen von der Tatsache, dass sie etwas größer und ungeschickter als ihre Kolleginnen war.
„Was ist denn mit meinem Rock?“
„Er ist wesentlich kürzer als vorgeschrieben. Du weißt doch, dass es verboten ist, den Rock hochzuziehen.“
Dieselbe Szene hatte sich schon hundertmal in ihrem Leben abgespielt. Aber das machte es auch nicht angenehmer.
Da sie mit beiden Händen das Tablett festhalten musste, konnte Matilda nicht mal den Saum herunterziehen. „Der Rock hat die vorgeschriebene Länge, Cynthia. Es ist nur so, dass ich sehr lange Beine habe. Normalerweise trage ich deswegen flachere Absätze. Das gleicht es dann wieder aus.“
In der Schule hatten die anderen sie ‚Giraffe‘ genannt. Irgendwann hatte sie daher begonnen, sich hinzusetzen, wann immer es möglich war, um nicht durch ihre bloße Größe den Spott auf sich zu ziehen. Sobald sie dann saß, hatte sie eilig nach einem Buch gegriffen und sich darin vertieft. Denn in Büchern kamen nie die Dinge vor, die schüchternen, schlaksigen Teenager-Mädchen im echten Leben zustießen.
„Das ist ja kaum noch anständig zu nennen. Du musst sofort etwas dagegen tun.“
„Gegen meine Beine?“ Matilda war ehrlich verblüfft. „Die sind … ähm … leider an mir festgewachsen.“
Lara Striker hätte gewusst, wozu man lange Beine verwenden konnte. Sie hätte nämlich eines dieser Beine angehoben und Cynthia einen Tritt verpasst – und zwar nach allerfeinster Kampfsportart. Bevor Cynthia auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, hätte Lara sie gegen die nächste Wand gepresst und ihr nachdrücklich erläutert, dass sie in Zukunft nie wieder Kritik an den Körpern fremder Menschen üben würde.
Matilda entschied sich für einen anderen Lösungsweg. Sie versuchte, sich kleiner zu machen, indem sie sich zusammenkrümmte. Die Haltung war sehr unvorteilhaft, das war ihr klar. Denn dadurch musste sie ihren Po herausstrecken. Aber was sollte sie sonst tun?
In ihren Geschichten hatten die Heldinnen immer eine ganz normale Größe. Und zierlich waren sie auch. Daher kannten sie solche Probleme nicht.
Cynthias Lächeln verschwand für einen Moment. „Beim nächsten Event trägst du gefälligst einen längeren Rock. Und wenn du heute Abend Chase Adams über den Weg läufst, dann sprich ihn nicht an. Verstanden? Außerdem möchte ich dir nicht raten, Champagner über ihn zu schütten. Okay, du wirst dich jetzt unauffällig nach ihm umsehen, und sobald du ihn entdeckt hast, gibst du mir ein Zeichen.“ Cynthia wandte sich ab und stolzierte davon.
Tja, dachte Matilda. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Chase Adams inmitten der Menschenmenge ausfindig machen konnte, war leider sehr gering. Seine Bibliothek hätte sie sofort wiedererkannt. Aber den Mann selbst hatte sie noch nie gesehen.
Sie blickte sich um – auf der Suche nach jemandem, der Cynthias Beschreibung entsprach. Vermutlich war Chase Adams alt und verschimmelt.
Der Mann, der alles hatte.
Sie hatte den Artikel im Forbes Magazine gelesen. Aber leider war kein Foto von dem berühmten Baulöwen abgedruckt worden. Nur lauter Bilder von irgendwelchen Konstruktionen aus Glas und Stahl, die er erschaffen hatte. Und natürlich das Bild von der Bibliothek in seinem Haus.
Gemäß diesem Artikel hatte Chase die Firma seines Vaters übernommen und sie dann um ein Zehnfaches vergrößert. Er war skrupellos und tat alles, um seine Ziele zu erreichen. Diese Charakterzüge hatte Matilda schamlos gestohlen und sie einer ihrer Heldinnen verpasst.
Warum auch nicht? Wieso sollten es immer nur Männer sein, die entschlossen und kampfbereit waren? Frauen konnten ebenso kämpferisch sein. Das war eine weitere Sache, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte.
Das Einzige, was nur Männer besitzen, ist ein Penis.
Paige kam zu ihr hinüber. „Danke für den tollen Job, den du machst, Matilda. Ich weiß, wie viele Überstunden du in der Vorbereitungsphase angesammelt hast. Ohne dich hätten wir das niemals so gut hingekriegt. Wir haben sehr viel Glück, dich in unserem Team zu haben.“
Matilda spürte, wie ihre Schultermuskeln sich leicht entspannten.
Paige war das genaue Gegenteil von Cynthia. Besser gesagt: Sie was der Grund dafür, dass die Hälfte aller Mitarbeiter bei Star Events nicht längst gekündigt hatte. Paige lobte andere und beruhigte sie im Krisenfall. Sie hatte viel Energie und stets sämtliche Abläufe im Blick. Nichts konnte sie aus der Bahn werfen. Und noch kein einziges Mal hatte sie den Druck, den sie garantiert von ihren Vorgesetzten bekam, an das Team weitergegeben. Im Gegensatz zu Cynthia. Denn die überschüttete ihr Team mit so viel Stress, dass die Mitarbeiter einzugehen drohten – wie Gras, das dauerhaft saurem Regen ausgesetzt war.
„Sie hasst mich.“
„Cynthia hasst jeden.“ Nun war auch Eva neben ihr aufgetaucht und lächelte ihr zu. „Du solltest sie in einer deiner Geschichten unterbringen und sie ermorden.“
„Das ist nicht die Art von Büchern, die ich schreibe.“
„Solltest du aber. Es wäre eine Wohltat für uns alle. Ich kann gern herausfinden, welche Waffe am geeignetsten wäre. Vielleicht könnten wir es so aussehen lassen, als wäre sie auf natürliche Art gestorben. Frankie kennt viele giftige Pflanzen. Und ich könnte einen sehr leckeren Muffin backen. Es ist überhaupt kein Problem, den Geschmack von Arsen in Backwaren zu tarnen.“ Eva unterbrach den begeisterten Vortrag und musterte Matilda. „Leidest du unter Verstopfung? Dagegen kenne ich nämlich ein hervorragendes Rezept.“
Peinlich berührt verzog Matilda das Gesicht. „Weshalb denkst du, dass ich unter Verstopfung leiden würde?“
„Weil du so seltsam dastehst“, erläuterte Eva. „Als wärst du kurz davor, dich auf die Toilette zu setzten.“
„Ich versuche, mich kleiner zu machen.“
„Warum solltest du dich kleiner machen wollen?“
„Weil Cynthia denkt, dass ich zu groß bin. Beziehungsweise, dass mein Rock zu kurz ist. Ich bin nicht sicher, was genau sie mir vorwirft.“
„Deine Größe ist doch perfekt“, erwiderte Paige. „Du könntest jederzeit als Model arbeiten, wenn du das willst.“
„Das glaube ich kaum. Models müssen sich elegant bewegen. Und ich kann nicht mal ganz simpel einen Fuß vor den anderen setzen, ohne sofort hinzufallen.“ Wenn jemand sie gefragt hätte, welche ihrer Eigenschaften sie am liebsten ändern würde, dann wäre es das gewesen: ihre Tollpatschigkeit. Sie war zu ungelenk, sie war zu groß. Überall stieß sie an. Paige bewegte sich mit der Anmut einer Ballerina. Eva machte diese kleinen Hüpfer beim Gehen, und Frankie marschierte entschlossen voran. Aber keine von ihnen stolperte ständig.
„Sieh es doch mal so“, sagte Eva und rückte eilig das Tablett wieder zurecht, um einen erneuten Unfall zu verhindern. „Deine Größe ermöglicht es dir, über die Köpfe all dieser super gestylten Frauen hinweg den großen Männern direkt in die Augen zu sehen. Jeder Nachteil hat auch seine Vorteile.“
„Ignoriere sie einfach“, kommentierte Frankie, die sich zu ihnen gesellt hatte. „Ev ist der Typ Mensch, für den das Glas immer halbvoll ist. Echt nervig.“
Matildas Glas war auch immer halbvoll. Denn die andere Hälfte des Inhalts hatte sie spätestens nach zwei Sekunden verschüttet. Außerdem fand sie, dass Eva der netteste und liebevollste Mensch war, den sie jemals getroffen hatte. Aber natürlich hatte Frankie nur einen Scherz gemacht. Eva, Paige und sie liebten sich über alles, und manchmal beneidete Matilda sie um diese Freundschaft. Die drei kannten sich seit ihrer Kindheit. Sie waren gemeinsam auf einer kleinen Insel aufgewachsen, die vor der Küste Maines lag. Paige behauptete immer, dass sie typische Landeier waren, die es in die Großstadt verschlagen hatte. Was sich angeblich auch daran zeigte, dass keine von ihnen alleine leben wollte, weshalb sie sich ein Haus in Brooklyn teilten. Paiges älterer Bruder wohnte ebenfalls dort. Matilda war diesem Bruder – Matt – nur ein Mal begegnet. Aber danach hatte sie ihrem neuen Helden sofort seine Züge verliehen.
Auch ihre Freundinnen hatten schon als Vorlage für einige Figuren gedient – was Matilda jedoch lieber für sich behielt. Lara zum Beispiel war eine Mischung aus allen drei Frauen. Und das Ergebnis war eine Heldin, die ebenso tough wie sexy war.
Sie hatte entschieden, dass Lara das flammendrote Haar von Frankie bekommen sollte. Jetzt allerdings fragte sie sich, ob es nicht spannender gewesen wäre, ihr die goldblonden Locken von Eva zu verpassen. Blondinen wurden sehr oft unterschätzt. Und es wäre ein großer Spaß, zu sehen, was passierte, wenn jemand ausgerechnet Lara unterschätzen sollte. Ja, dachte Matilda. Die Szene würde sie mit dem größten Vergnügen schreiben.
„Cynthia hat gesagt, dass ich nach Chase Adams Ausschau halten soll. Aber ich habe keine Ahnung, wie er aussieht.“ Rein literarisch gesehen, war das eine höchst interessante Frage: Wie sah ein Mann wohl aus, der alles hatte?
Den eigentlichen Grund, warum sie Chase Adams treffen wollte, erwähnte Matilda nicht. Sie hatte geringe Aussichten auf Erfolg. Das war ihr nur zu bewusst.
Eva blickte sich um. „Ich weiß, wie Chase aussieht. Nämlich verdammt attraktiv. Aber ich denke nicht, dass er hier ist. Allerdings sehe ich dort drüben Jake Romano. Und der kann Chase auf jeden Fall das Wasser reichen – in jeder Hinsicht.“
Matilda folgte ihrem Blick und entdeckte einen Mann, der so gut aussah, dass es verboten gehörte. Er war einer dieser großen, dunkelhaarigen Typen. Und natürlich befand sich an seiner Seite das perfekte Accessoire: eine unglaublich schöne Frau, die zu ihm aufsah, während sie gemeinsam über irgendetwas lachten.
Sie seufzte. „Die beiden scheinen schrecklich verliebt zu sein.“ Sie sah zu Paige hinüber, in der Erwartung, ein zustimmendes Nicken zu sehen. Doch Paige nickte nicht. Und für eine Sekunde war da irgendetwas in ihren Augen, dass Matilda fast wie Schmerz vorkam.
„Jake Romano liebt nur einen einzigen Menschen. Nämlich sich selbst.“
Das leichte Schwanken in Paiges sonst so beherrschter Stimme machte Matilda endgültig klar, dass sie soeben verbotenes Terrain betreten hatte.
Kannten Paige und Jake sich näher? Gab es da irgendeine Geschichte?
Das Letzte, was Matilda wollte, war Paige zu verletzen. Also öffnete sie den Mund, um zu fragen, was es mit der ganzen Sache auf sich hatte. Bevor sie dazu kam, sah sie allerdings, dass Eva sie bedeutungsvoll anblickte und den Kopf schüttelte. Hastig schloss sie den Mund wieder und schluckte die Frage hinunter.
„Du willst also Chase Adams treffen“, wechselte Eva das Thema. „Angeblich soll er eiskalt sein, wusstest du das? Eine Geldmaschine auf zwei Beinen. Ein Mann, der kein Herz und keine Seele hat. Verlieb dich bloß nicht in ihn.“
Das hatte sie auch keineswegs vor, dachte Matilda. Alles, worum es ihr ging, war die E-Mail-Adresse seines Bruders. Aber um die zu bekommen, musste sie Chase Adams trotzdem erst einmal treffen.
„Er taucht bestimmt noch auf“, sagte sie. „Wer würde denn so viel Geld für eine Party ausgeben, nur um dann zu Hause zu bleiben?“
Paige grinste. Inzwischen schien sie ihre gute Laune zurückgewonnen zu haben. „Vielleicht jemand, der ahnt, dass Cynthia ihn verfolgen wird?“
Also war er keineswegs alt und verschimmelt, schoss es Matilda durch den Kopf. Verdammt attraktiv. Eiskalt. Das waren genau die richtigen Eigenschaften, um eine sehr spannende Geschichte daraus zu entwickeln. Eine ihrer Heldinnen könnte einem Mann wie Chase Adams begegnen und das Herz an ihn verlieren. Nicht Lara. Denn die hielt nichts von konventionellen Beziehungsregeln. Sie legte keinen Wert darauf, erobert zu werden. Lara war auch in sexueller Hinsicht äußerst selbstbewusst und nahm sich, was sie wollte. Schüchternheit, Scham und Reue kannte sie nicht.
Aber war sie nicht gerade deshalb die perfekte Gegenspielerin für einen eiskalten Millionär? Ja, dachte Matilda. Natürlich. Die Beiden mussten aufeinandertreffen.
Chase Adams hielt sich vielleicht für einen Mann, der alles hatte. Aber eine Frau wie Lara hatte er nie gehabt. Sobald sie in sein Leben trat, würde er begreifen, was er verpasst hatte. Lara würde eine einzige Nacht mit ihm verbringen. Aber das war die Nacht, die Chase Adams nie mehr vergessen würde.
Chase Adams stand hinter einer Säule auf der Dachterrasse und ließ den Blick über die Skyline von Manhattan gleiten. Dann betrachtete er das Gebäude genauer, das sich direkt vor ihm befand: vierundfünfzig Stockwerke aus glänzendem Glas und Metall, die drei der erfolgreichsten Unternehmen dieses Landes beherbergten.
Er kannte jede einzelne Stahlschraube.
Seine Fima hatte den Bürokomplex gebaut. Genau wie vier weitere Gebäude, die ihm sofort ins Auge fielen, wenn er den Kopf hob.
Bauen war seine Leidenschaft. Sein Leben.
Als Kind hatte er mit Lego gespielt. Aber dies hier war weitaus befriedigender. Er erschuf etwas von Dauer. Etwas, das ein Teil der Stadt wurde, die er liebte.
„Chase! Da bist du ja“, riss ihn eine weiche, weibliche Stimme aus den Gedanken. Der Moment der Ruhe war vorüber.
Resigniert drehte er sich um. „Victoria.“
„Ich habe dich überall gesucht. Und da bin ich nicht die Einzige. Die Leute wollen mit dir sprechen, Chase.“
Aber nicht, weil sie sich für ihn interessierten. Sie wollten etwas von ihm.
Die Leute wollten immer etwas von ihm.
Manchmal hatte er das Gefühl, dass sämtliche Beziehungen in seinem Leben auf Heuchelei beruhten. Es gab kein echtes Interesse, keine echten Gefühle. Und das galt auch für die Beziehung zu Victoria.
Seine Eltern erklärten bei jeder Gelegenheit, dass Victoria die ideale Partnerin für einen erfolgreichen Mann war.
Und es stimmte – Victoria wusste genau, wie man sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte. Sie war schön. Sie war selbstbewusst. Bei Events wie diesem hier würde sie an seiner Seite stehen und höflich mit allen Gästen plaudern – ganz egal, ob es der Polizeichef oder der Präsident höchstpersönlich war.
Es gab nur ein Problem bei der ganzen Sache.
Ihm wurde eiskalt bei der Vorstellung, die nächsten fünfzig Jahre neben Victoria aufwachen zu müssen. Er hatte sie nie anders als perfekt zurechtgemacht gesehen. Kein einziges Mal hatte er gehört, dass sie irgendetwas Unbedachtes von sich gab. Hin und wieder hatte er daher schon überlegt, sie zu kitzeln – nur um zu prüfen, ob sie zu spontanem Gelächter fähig war.
Auch ein paar andere Fragen ließen ihm keine Ruhe: Wie sah Victoria eigentlich aus, wenn sie nicht den halben Tag lang geschminkt und geföhnt worden war? War ihr Haar manchmal zerwühlt? Schlief sie in ihrem Makeup?
Was sogleich zu den nächsten Fragen führte. Nämlich: Wie würde der Alltag einer Ehe mit einer derartigen Frau ablaufen? Würde sie jeden Morgen eilig im Bad verschwinden, bevor er aufwachte? Und was war mit dem Essen? Trug sie jedes gemeinsame Dinner mehrere Wochen vorher im Kalender ein? Und galt das auch für Sex – würde er da ebenfalls vorab einen Termin bei ihr buchen müssen? Eines war jedenfalls klar: Alles in einer Ehe mit Victoria würde strikt geregelt sein. Sein ganzes Leben würde nur noch aus Kalendereinträgen und Erinnerungs-Mails bestehen. Irgendwann würde er dann anfangen, immer öfter auf Geschäftsreise zu gehen, weil er es nicht mehr ertragen konnte. Besser gesagt: weil er Victoria nicht mehr ertragen konnte.
Nicht gerade die beste Voraussetzung für eine Ehe.
„Ich habe nur kurz die Aussicht genossen.“
Victoria lachte. Ihr Gelächter war perfekt, nicht zu laut und nicht zu leise. Sie trat neben ihn und hakte sich bei ihm unter – eine Geste, die jedem Beobachter zeigen sollte, wie nahe sie sich waren, wie eng miteinander verbunden.
Chase ließ es geschehen. Aber noch nie hatte er sich so weit entfernt von dieser Frau gefühlt wie in diesem Moment.
„Du bist lustig, Chase. Dein eigenes Apartment hat eine wunderbare Aussicht auf ganz Manhattan. Trotzdem stehst du hier draußen und starrst in die Luft, während drinnen deine Gäste auf dich warten. Du musst dich unter die Leute mischen und wenigstens etwas Smalltalk halten. Das erwarten sie von dir.“
Smalltalk.
Wenn er eines hasste, dann das. Die Aussicht auf solche sinnlosen Gespräche war mindestens so deprimierend wie der Gedanke daran, den Rest seines Lebens mit Victoria verbringen zu müssen.
Wobei das vielleicht nicht ganz fair ihr gegenüber war. Wenn Victoria und er sich trafen, dann meist bei Events wie diesem hier. Sie waren nie allein. Und es gab nie Zeit, in Ruhe miteinander zu reden.
„Lass uns von hier verschwinden, Vic.“
„Entschuldigung?“ Als er ihren Namen abgekürzt hatte, hatte sie die Stirn einen Moment lang in Falten gelegt. Was vermutlich bedeutete, dass ihr das nicht gefiel. Unwillkürlich fragte er sich, wie in aller Welt er sie nennen sollte, falls sie beide es jemals bis ins Bett schaffen würden.
„Lass uns gehen.“
„Aber wohin denn?“
„Keine Ahnung. Das können wir spontan entscheiden. Lass uns einfach losgehen und sehen, wo es uns gefällt.“
„Du meinst: zu Fuß? Und du willst deine eigene Party verlassen?“ Wieder lachte sie. Diesmal klang ihr Lachen allerdings ein wenig atemlos – als hätte er ihr gerade etwas ziemlich Obszönes vorgeschlagen. Zum Beispiel, dass sie beide sich nackt ausziehen und auf den Tischen tanzen sollten. „Das ist ein Scherz, oder?“
„Nein, das meine ich ernst. Lass uns diese albernen Klamotten gegen Jeans und T-Shirts tauschen. Wir gehen spazieren. Vielleicht im Central Park. Dann können wir reden. Richtig reden, weißt du? Nicht über den Immobilienmarkt oder irgendwelche Events, sondern über das Leben. Ich brauche dringend frische Luft. Ich muss …“
Ich muss herausfinden, ob ich dich wirklich mag.
Und er musste herausfinden, wie sehr er sich selbst noch mochte, wenn er mit ihr zusammen war.
Sie zog ihre Hand von seinem Arm. Ihr Lächeln war jetzt kühler. „Ich besitze gar keine Jeans. Und diese albernen Klamotten, wie du sie nennst, wurden von einem exklusiven Schneider nach speziellen Entwürfen für mich angefertigt. Mir war klar, dass dieser Abend sehr wichtig für dich ist, Chase. Deshalb habe ich mir natürlich ganz besondere Mühe gegeben.“ Ihr Lächeln war vielleicht nur etwas kühler, aber ihrer Stimme klirrte vor Kälte. „Ich gehöre nicht zu diesen Frauen, die andauernd gelobt werden müssen. Aber das heißt nicht, dass ich mich über ein Kompliment nicht freuen würde.“
„Du siehst großartig aus“, erklärte er. „Aber ich möchte Zeit mit dir verbringen, nicht mit deinem Kleid.“ Unwillkürlich fragte er sich, wie lange sie wohl gebraucht hatte, um sich für den Abend zurechtzumachen.
„Du willst Zeit mit mir verbringen? Das freut mich, Chase. Ich möchte das auch – hier und jetzt.“ Ihre Stimme hatte wieder einen heiteren Klang angenommen. „Du weißt ja selbst, dass heute Abend einige sehr einflussreiche Leute zu deiner Feier gekommen sind. Und sie möchten gerne mit dir sprechen.“
Aber er hatte keine Lust, mit ihnen sprechen.
„Mal angenommen, diese Leute wären nicht gekommen. Und all das hier würde plötzlich verschwinden.“ Er machte eine ausholende Armbewegung. „Würdest du immer noch mit mir zusammen sein wollen?“
Victoria starrte ihn so verständnislos an, als würde er eine völlig fremde Sprache sprechen. „Chase, dein Geschäft boomt. Daddy meinte, er hätte noch nie jemanden getroffen, der einen so guten Instinkt hat wie du, wenn es um Geld geht. Du hast die Firma deines Vaters übernommen und ein millionenschweres Unternehmen daraus gemacht. Alle bewundern dich. Was du hast, wird niemals verschwinden.“
„Aber was, wenn ich etwas ganz anderes machen würde? Wenn ich zum Beispiel Feuerwehrmann wäre oder bei der Polizei? Oder wenn ich eines Tages wieder Lust hätte, selbst auf der Baustelle zu stehen, statt nur für die Finanzierung der Projekte verantwortlich zu sein – würdest du dann noch mit mir zusammen sein wollen?“ Am Anfang hatte er das gemacht. Er hatte selbst mitgebaut. Und wenn er dann abends von der Baustelle nach Hause gekommen war, hatte er Bücher über Nachhaltigkeit und ökologische Bauweise gelesen. Das war sein Plan gewesen: eine neue Bauweise zu entwickeln und umzusetzen. Doch der Herzinfarkt seines Vaters hatte diesem Traum ein jähes Ende bereitet.
„Hast du getrunken, Chase?“ Victoria verzog das Gesicht genau so lange, bis ihr wieder einfiel, dass man davon Falten bekam. „Du klingst nicht wie du selbst.“
Das war das Problem, dachte Chase. Eben hatte er versucht, Victoria zu zeigen, wer er wirklich war. Aber die Leute wollten nicht wissen, was er dachte. Sie wollten die Fassade sehen. Den CEO der Adams Construction Group. Besser gesagt: den Mann mit dem Geld.
Er hatte das Gefühl zu ersticken.
In gewisser Weise war es fast schon komisch: Er war der Mann, der alles hatte. Alles, bis auf die Dinge, auf die es im Leben wirklich ankam.
Sollte er morgen sein Vermögen verlieren, würde er von einer Sekunde auf die nächste ganz allein dastehen.
Er hob den Kopf. Victorias Anwesenheit hatte die Leute auf der Terrasse auf ihn aufmerksam werden lassen. Ein paar von ihnen sahen hinüber. Andere hatten sich bereits auf den Weg zu ihm gemacht. Jetzt begann der harte Teil des Abends.
„Chase!“ Zwei Männer und eine Frau waren die ersten, die ihn erreicht hatten. Sie lächelten strahlend. Doch bevor sie die unvermeidlichen Phrasen loswerden konnten, ertönte hinter ihnen ein lautes Klirren und Geschepper. Eine der Kellnerinnen musste ihr Tablett mit den Champagnergläsern fallengelassen haben. Einen kurzen Moment lang herrschte geschocktes Schweigen. Dann war das Schrillen einer Frauenstimme zu vernehmen.
„Sie hat mein Kleid ruiniert!“
Wie auf Befehl drehten sich alle Köpfe. Die Leute wollten das Drama beobachten, das sich vor ihren Augen abspielte. Ein paar ganz Neugierige begannen sogar, sich in Richtung Unfallort in Bewegung zu setzen. Chase wunderte sich mal wieder über diese dunkle Seite der menschlichen Psyche. Woher kam das Verlangen, sich am Unglück anderer zu weiden?
Er wandte sich ab, nicht gewillt, durch sein Starren die Situation für die Kellnerin noch peinlicher zu machen. Stattdessen richtete er seinen Blick auf die glitzernden Schluchten, die unter ihm lagen. Der Broadway und die 7th Avenue. Und dahinter der große Schatten des nächtlichen Central Parks – die grüne Oase, die den New Yorkern eine Welt jenseits von Stahl und Beton bot.
Momentan lebte er in einem Penthouse auf dem Wolkenkratzer, den seine Firma vor ein paar Monaten fertiggestellt hatte. Es war kein Zuhause, nur ein Ort, an dem er eine Zeitlang schlief und aß, bevor er weiterzog. Die Presse hatte das Gebäude gefeiert, und sämtliche Wohn- und Büroeinheiten in dem riesigen Komplex waren schon lange vor dem offiziellen Eröffnungstermin verkauft worden.
Auch das Penthouse würde er demnächst zum Verkauf anbieten. Allerdings hatte er noch nicht entschieden, wo er als nächstes hinziehen wollte. Er hatte in den letzten Wochen und Monaten so viel gearbeitet, dass ihm keine Zeit geblieben war, darüber nachzudenken.
Noch immer waren die Blicke aller Gästen gebannt auf den Unglücksort gerichtet. Das war seine Chance, hier unbemerkt zu verschwinden, dachte Chase. Er drehte sich um und verließ die Terrasse.
Ein Anruf würde genügen, damit sein Wagen vor der Tür stand, sobald er mit dem Fahrstuhl im Erdgeschoss angekommen war. Aber er sehnte sich nach frischer Luft. Er wollte nicht im Auto sitzen. Also würde er nach Hause laufen. Allein.
Es war besser, allein zu sein, als irgendeine Rolle spielen zu müssen, nur weil ein Haufen Fremder das von ihm erwartete.
Denn das waren all die Leute hier, selbst Victoria: Fremde. Sie kannten ihn nicht. Und sie waren auch gar nicht daran interessiert, ihn kennenzulernen.
Ohne dass es jemandem aufgefallen wäre, verließ Chase Adams seine Party. Und er warf keinen einzigen Blick zurück.
Matilda entdeckte ihre Tasche und holte das Notfall-Kleid heraus, das sie immer bei sich trug. Mühsam zog sie es über den Kopf und zerrte es sich über ihre triefend nassen Beine. Das Kleid war im Grunde nur ein überlanges T-Shirt. Aber es hatte den Vorteil, dass es sich zusammenrollen ließ und in jeder Tasche Platz fand. Daher war es perfekt für genau diese Art von Situation.
Der Champagner war angeblich irgendein besonders toller Jahrgang gewesen und daher extrem teuer. Einen Moment lang war Matilda versucht, sich hinunter zu beugen und ihre eigenen Beine abzulecken. Denn das hier war schätzungsweise das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie einen so edlen Tropfen schmecken konnte.
Gefeuert.
Sie war gefeuert worden.
Verdammter Mist!
Es war schlimm genug, dass sie ihren Job verloren hatte. Noch viel schlimmer war allerdings die Tatsache, dass sie jetzt auch keine Chance mehr hatte, Chase Adams zu treffen. Damit würde ihr Manuskript wohl nie auf dem Schreibtisch seines Bruders landen. Sie hatte alles ruiniert.
Wie hatte das nur passieren können? Vermutlich war es nicht so schlau gewesen, sich derart in die Szene hineinzusteigern, in der Lara und Chase Adams gemeinsam im Bett landeten. Denn während sie sich eine raffinierte Verführungsmethode nach der anderen ausgedacht hatte, hatte sie nicht auf ihre Umgebung geachtet. Deshalb hatte sie erst viel zu spät diese Frau bemerkt. Besser gesagt: das Kleid dieser Frau, das absurderweise mit langen Federn geschmückt war. Die Federn und das Tablett hatten sich ineinander verhakt. Und dann waren die Champagnergläser umgekippt – eins nach dem anderen. Wie Dominosteine. Nur wesentlich nasser.
Die Wut der Frau war fast so groß gewesen wie die von Cynthia. Was vermutlich auch daran gelegen hatte, dass das Kleid der Frau in nassem Zustand durchsichtig geworden war und einen ungestörten Blick auf ihre Unterwäsche mit Stützfunktion ermöglicht hatte. Dem erbosten Geheul nach zu urteilen, war die Frau nicht gerade stolz darauf gewesen, dass sie ihren Körper mit Hilfe von viel Draht und Elastan in Form bringen musste.
Matilda bückte sich, hob ihre feuchte Arbeitskleidung vom Boden auf und steckte sie in eine Tüte – genau wie Cynthia es ihr befohlen hatte. Es war ein schmähliches Ende ihrer Zeit bei Star Events. Ein würdeloser Abgang.
Sie wusste, dass Paige und die anderen nach ihr Ausschau halten würden. Aber sie konnte es nicht ertragen, ihnen jetzt gegenüberzutreten. Dafür schämte sie sich zu sehr. Am schlimmsten war, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch Paige in Schwierigkeiten gebracht hatte. Paige hatte sie eingestellt, als niemand anderes ihr eine Chance geben wollte. Aber das Vertrauen in sie hatte sich nicht ausgezahlt – ganz im Gegenteil. Sie hatte sich und die anderen blamiert. Und alles nur, weil sie ständig vor sich hinträumte und ihre Ungeschicklichkeit nicht in den Griff bekam.
Mit hängenden Schultern schleppte sie ihren nassen Körper zum Aufzug. Als die Türen sich öffneten, trat sie mit gesenktem Kopf in die Kabine. Wenigstens war sie jetzt allein, dachte sie erleichtert.
Aber, nein. Nicht einmal diese kleine Gnade schien das Schicksal ihr gönnen zu wollen. Denn gerade, als sich die Türflügel schlossen, erschien eine Männerhand und drückte sie auseinander.
Mürrisch beobachtete Matilda, wie die Tür brav wieder aufging. Wenn sie versucht hätte, den Aufzug zu stoppen, hätte das garantiert nicht geklappt. Statt geräuschlos wieder aufzugleiten, hätte sich die Aufzugtür gnadenlos geschlossen. Dann wäre das Knacken von Knochen zu hören gewesen. Und die restliche Nacht hätte sie in der Notaufnahme verbracht, weil sie ihre Hand gebrochen hatte.
Aber, gut. Manche Menschen wussten eben, was sie taten. Und der Besitzer der Hand schien einer von ihnen zu sein.
Er betrat den Aufzug, und Matildas desinteressierter Blick verwandelte sich in ein ungläubiges Starren. Seine Haare waren dunkel – mitternachtsschwarz hätte sie es in einer ihrer Geschichten genannt. Und seine Augen hatten die Farbe des Ozeans. Der teure Anzugsstoff schmiegte sich an seinen Körper und betonte die muskulösen Oberschenkel und die breiten Schultern.
Dieser Mann war einfach umwerfend.
Vor allem aber war er perfektes Helden-Material.
Am liebsten hätte Matilda jetzt ihr Notizbuch hervorgezogen, um alle Einzelheiten in einer Liste festzuhalten.
Markantes Kinn. Messerscharfe Wangenknochen. Energisch wirkender Mund und sinnlich geschwungene Lippen. Muskeln … überall.
Ob sie wohl unauffällig ein Foto von ihm machen konnte?
Nein. Zu gefährlich.
Als hätten die Götter ihn nicht ohnehin schon großzügig bedacht mit seinem guten Aussehen und der beneidenswerten Koordination, war er auch noch groß. Bestimmt einen Kopf größer als sie, wenn nicht mehr. Was ungewöhnlich war. Normalerweise musste sie auf Männer hinunterblicken oder befand sich zumindest auf Augenhöhe mit ihnen. Dadurch fühlte sie sich unbeholfen und linkisch – selbst wenn sie zufällig gerade mal nichts heruntergeworfen hatte.
Dieser Mann musste über 1,90 Meter groß sein. Und seine Kleidung ließ darauf schließen, dass er von der Party kam, die sie soeben verlassen hatte. Ob er wohl einer der unglücklichen Menschen war, die sie mit Champagner übergossen hatte?
Sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Dann blickte sie zu Boden, als würde es dort etwas sehr Interessantes zu sehen geben. Ihr war klar, dass ihr Haar feucht von den Champagnerspritzern war und sich zu locken begann.
Bitte, lieber Gott – mach, dass er mich nicht erkennt!
Sie sah ihn nicht an. Aber sie konnte die Gereiztheit spüren, die von ihm ausging. Es war kein sehr angenehmes Gefühl, in einer engen Fahrstuhlkabine gefangen zu sein, mit einem Mann, der eindeutig schlechte Laune hatte. Sie hob leicht den Kopf und riskierte einen weiteren Blick. Jetzt bemerkte sie, was ihr eben entgangen war: Brauen, die unheilverkündend zusammengezogen waren. Und Lippen, die eine so gerade Linie bildeten, dass nicht mal der größte Optimist das noch als ein Lächeln bezeichnet hätte. Ja, er gehörte wohl zu den Leuten, die in Champagner gebadet hatten. Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hegte er gerade ein paar ziemlich mörderische Gedanken.
Er hob die Hand und zog sich mit einem Ruck die Fliege vom Hals – als drohte sie, ihn zu erwürgen. Dann öffnete er den obersten Hemdknopf und …
Matildas Gedanken kamen abrupt zum Halten.
Sie sah die glatte, bronzefarbene Haut und den Anflug von dunklen Haaren, die sich darauf kräuselten. Und plötzlich konnte sie nur noch still dastehen und diesen Mann anstarren. Die Lähmung war allerdings rein äußerlich, denn in ihrem Inneren herrschte ein enormer Tumult. All ihre Organe schienen in Aufruhr zu sein. Ihr Herz pochte wie wild und ihr Magen zog sich zusammen.
Verdammt!
Sie schluckte mühsam. Okay. Dieser Typ schien kein sonniges Gemüt zu haben. Aber wen kümmerte es? Sie jedenfalls nicht. Einen Mann mit einem solchen Körper hätte sie selbst dann nicht von der Bettkante gestoßen, wenn er mit der finstersten Miene aller Zeiten in ihrem Schlafzimmer aufgetaucht wäre.
Apropos Schlafzimmer: Lara hätte jetzt zwei große Schritte nach vorn gemacht. Dann hätte sie das Hemd des Fremden gepackt und es einfach zerrissen, um sich davon zu überzeugen, dass sein restlicher Körper ebenso attraktiv war wie dieser kleine Ausschnitt. Sie hätte den Mann skrupellos benutzt, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Und natürlich hätte sie keine Gnade gekannt. Sie hätte den Mann so hart rangenommen, dass er irgendwann …
„Sie waren auch auf der Party?“ Seine tiefe, samtige Stimme holte sie mit einem Schlag aus ihren nicht ganz jugendfreien Fantasien zurück.
„Wie?“ Verflixt, selbst seine Stimme war sexy. Inzwischen war ihr Verlangen so stark, dass sie kaum noch Luft bekam. „Meinen Sie mich?“
„Ja. Wen denn sonst? Ich habe gesehen, wie Sie zum Fahrstuhl gegangen sind. Außerdem kann man nicht übersehen, dass Sie sich gerade umgezogen haben.“
„Wieso kann man das nicht übersehen?“
„Weil Ihre Haare noch halb im Kleid stecken. Außerdem hat sich das Kleid hinten in Ihrer … Wäsche verfangen.“
„Oh.“ Sie spürte, wie ihr Gesicht plötzlich so heiß wie ein Pizzaofen wurde. Hastig zerrte sie ihre Haare aus dem Kragen und zog das Kleid hinunter. Wie peinlich! Aber, na ja. Wenigstens hatte sie kein Klopapier an ihren Schuhen hängen. Das passierte ihr nämlich ständig. Und inzwischen hatte sie gelernt, für jeden Unfall dankbar zu sein, der ihr nicht zustieß.
„Waren Sie auch in dieses Champagner-Fiasko verwickelt?“
So viel zum Thema ‚Unfälle, die ihr nicht zustießen‘. „Ich … ähm … habe wohl ein paar Spritzer abbekommen.“ Sie spürte, wie ihr ganzer Körper sich versteifte, als sie auf seine Erwiderung wartete.
Aber er runzelte nur kurz die Stirn. „Warum fühlen sich die Leute immer von den Katastrophen anderer angezogen? Was ist so toll daran, jemanden zu beobachten, der in Schwierigkeiten steckt? Das habe ich noch nie verstanden.“
Das letzte, was sie von diesem Mann erwartet hatte, war Mitgefühl. „Ich glaube, das liegt einfach in der Natur des Menschen. Wie im Mittelalter, wenn die Leute in Scharen zu den Hinrichtungen gegangen sind.“
„Kann sein. Trotzdem finde ich es widerlich.“ Er steckte die Fliege in die Tasche seiner Anzughose. „Also, wem wollen Sie aus dem Weg gehen?“
„Entschuldigung?“
„Als Sie zum Fahrstuhl gegangen sind, haben Sie ein paarmal über Ihre Schulter nach hinten gesehen. Als wären Sie auf der Flucht. Außerdem wirken Sie auf mich wie eine Frau, die etwas verbirgt.“
Eine Frau mit einem Geheimnis? Das klang so viel glamouröser als die Wahrheit. „Ich … Nun ja …“
„Verschwenden Sie keine Zeit mit Ausreden. Ich tue nämlich genau dasselbe. Ich flüchte. Der Champagner-Unfall hat uns beiden die Möglichkeit gegeben, unbemerkt zu entkommen. Wenn Sie mich nicht verraten, werde ich Sie auch nicht verraten. Es kann unser gemeinsames Geheimnis sein.“ Er lächelte. Dieses unerwartete Lächeln schockierte Matilda so sehr, dass sie den Mann mit halb geöffneten Mund anstarrte. Wenn Cynthia jetzt hier gewesen wäre, hätte sie ihr völlig zurecht vorwerfen können, dass sie sich wie ein Goldfisch benahm.
Hastig schloss sie den Mund. Dann erwiderte sie sein Lächeln. „Keine Sorge, ich werde schweigen wie ein Grab. Ihr Geheimnis ist sicher bei mir.“
Nur zu gern hätte sie noch weitere seiner Geheimnisse entdeckt. Speziell von der Sorte, die sich unter seiner Kleidung verbargen. Da gab es sicher eine Menge höchst interessanter Dinge, die sich fühlen und schmecken ließen.
Lara hätte den Aufzug gestoppt und gleich hier und jetzt Sex mit diesem Fremden gehabt. Aber sie war nicht Lara. Leider.
„Wie gut kennen Sie sich in diesem Gebäude aus?“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich muss einen Seitenausgang finden.“
„Wieso? Was ist denn das Problem mit dem Haupteingang?“
„Wie gesagt: Ich befinde mich ebenfalls auf der Flucht.“ Dieses Mal erreichte das Lächeln sogar seine Augen. „Die Leute sollen nicht sehen, dass ich gehe.“
Sie fragte sich, vor wem jemand wie er wohl flüchtete. Vor einer Frau? Oder vor mehreren? Ja, natürlich. Das musste es sein. Er war so attraktiv, dass er garantiert für Aufsehen sorgte. Und noch dazu musste er ziemlich reich sein, wenn er von der Party da oben kam. Kurz gesagt: Er war ein sehr guter Fang für die Frauen auf der Dachterrasse. Vermutlich verfolgten sie ihn.
Matilda, die ebenfalls vor einigen der Frauen da oben flüchtete – zum Beispiel vor Cynthia – verspürte Mitleid mit ihm. „Ja, es gibt noch einen Notausgang. Man muss mit dem Fahrstuhl in den Keller fahren und dann nach links …“
„Zeigen Sie es mir.“
„Äh … ich?“
„Sie sind diejenige, die weiß, wo der Ausgang ist. Klingt logisch, oder?“
„Vermutlich schon.“ Wenn sie dabei erwischt wurde, wie sie mit einem Gast aus dem Notausgang kroch, würde es ein Riesentheater geben. Aber andererseits war sie ja schon gefeuert worden. Was konnte ihr also noch passieren?
Sie drückte auf den Knopf für das Kellergeschoss. Als sich die Tür öffnete, traten sie beide gleichzeitig einen Schritt vor.
Plötzlich war sie ihm so nahe, dass sie ihn riechen konnte: ein teures Aftershave, vermischt mit dem Geruch nach Seife und einem sexy Mann. Völlig benommen von dem sinnlichen Erlebnis blieb Matilda stehen. Sie wollte den Moment auskosten und sich alles genau einprägen, damit sie später darüber schreiben konnte. Am liebsten hätte sie ihr Gesicht an seine Brust gepresst und tief eingeatmet.
Lara hätte das natürlich getan. Sie hätte die störende Kleidung beseitigt und ihre Zunge genüsslich über seine Brust gleiten lassen. Und dabei wäre es ihr nicht darum gegangen, die letzten Champagnertropfen aufzulecken.
Der Fremde war jetzt ebenfalls stehengeblieben. Sein großer, muskulöser Körper hinderte die Fahrstuhltüren daran, sich zu schließen. „Nach Ihnen …“
Männer, die Kavaliere waren, gab es viel zu selten, dachte Matilda. Sie trat an ihm vorbei. Dabei schoss ihr die Frage durch den Kopf, ob er sich im Bett wohl auch wie ein echter Gentleman verhielt. Nicht, dass sie in derartigen Dingen eine Expertin war. Aber sie würde wetten, dass er keine Frau unbefriedigt gehen ließ.
Sie sah auf. Ihr Blick begegnete seinem.
Tief in ihr breitete sich Hitze aus. Ihre Nervenenden begannen zu vibrieren. Er sah nicht weg, sondern hielt ihren Blick fest, bis ihre Knie so weich wurden wie Eiscreme, die zu lange der heißen Sonne ausgesetzt gewesen war.
Irgendwann gelang es ihr schließlich, sich auf wackeligen Beinen in Bewegung zu setzten. Sie folgte den großen Rohren, die an den Kellerwänden entlangführten, bis sie schließlich die Treppe zum Notausgang erreicht hatte.
Oben angelangt, versuchte sie ungeschickt, die schwere Eisentür zu öffnen, die nach draußen, zur Straße, führte. Er trat hinter sie und drückte die Tür auf.
Sein Körper war ganz dicht an ihrem. Matilda schloss die Augen.
Mit dem Arm drückte er gegen die Tür, und sie konnte die Wärme spüren, die Muskeln. Unter diesem Jackett steckte ein sehr durchtrainierter Körper – so viel war klar.
Die Berührung war nur zufällig, keine erotische Absicht steckte dahinter. Doch das änderte nichts daran, dass ihr der Atem stockte. Sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Wenn er sie nicht irgendwann sanft vorwärtsgeschoben hätte, wäre sie bis in alle Ewigkeit hier stehengeblieben.
„Woher wissen Sie von diesem Ausgang?“
Es war der Ausgang, den die Mitarbeiter benutzten. Aber das wollte sie ihm nicht sagen. „Es gehört zu meinem Job, solche Dinge zu wissen.“
„Also arbeiten Sie im Security-Bereich?“
Security. Matilda lächelte. Das klang so glamourös. Sie könnte beim FBI arbeiten. Bei der CIA. Oder sie könnte eine verdeckte Operation durchführen. Wobei … Letzteres war dann doch ein wenig unrealistisch, wenn man bedachte, dass sie in den letzten Monaten nichts Schwereres als ein Tablett mit Gläsern angehoben hatte. Aber zum Beispiel könnte sie eine Undercover-Agentin sein. Nein, entschied sie gleich darauf. Undercover kam für sie leider nicht infrage. Sie würde im entscheidenden Moment stolpern und den Feinden in die Hände fallen. „Ich kann Ihnen das nicht sagen.“
Seine Augen funkelten. „Weil Sie mich sonst töten müssten?“
„So ähnlich.“
Auf gar keinen Fall würde sie ihm die Wahrheit über ihren Job verraten. Es hätte zwar keine tödlichen Konsequenzen zu befürchten, wenn er davon erfuhr. Aber dadurch würde die Stimmung total zerstört werden. Und das wollte sie unbedingt vermeiden. Außerdem war sie ja Expertin darin, die Spannung aufrecht zu erhalten. Sie war Schriftstellerin. Das war momentan leider ihr einziger Job. Was bedauerlich war, weil sie mit dem Schreiben nämlich kein Geld verdiente.
„Okay. Sie sind also eine Frau mit einem Geheimnis.“
Matilda öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Dann schloss sie ihn wieder.
Warum sollte sie nicht geheimnisvoll sein? Wenigstens für einen kurzen Moment in ihrem Leben? Nach dem heutigen Abend würde sie diesem Mann sowieso nicht wieder begegnen. Was war schon dabei?
„Wie gesagt: Ich kann leider nicht über meinen Job sprechen.“ Was nicht gelogen war. Sie konnte wirklich nicht über ihren Job sprechen. Weil dieser Job nämlich vor wenigen Minuten in einer Champagnerlache ein jähes Ende gefunden hatte.
In der Straße vor dem Gebäude drängten sich die Leute. So nahe am Broadway herrschte immer ein riesen Getümmel. Wobei es zumeist Touristen waren, die sich hier durch die Menge zu schieben versuchten. Die echten New Yorker kannten das Problem seit Jahren, und mieden die Straßen rings um den Times Square. Die Zahl der Touristen würde im Verlauf des Sommers weiter ansteigen, bis es irgendwann fast unmöglich war, den Times Square zu überqueren.
Matilda umrundete eine Tüte mit Abfall und versuchte einem Paar auszuweichen, das mitten auf der Straße plötzlich stehenblieb, um sich zu küssen. Sie musterte die beiden interessiert, wie sie es mit allen Menschen tat. Was sie nicht daran hinderte, sich der Anwesenheit des Mannes neben ihr sehr bewusst zu sein.
„Auf diesem Weg habe ich das Gebäude noch nie verlassen. Wie komme ich von hier aus zum Central Park?“
„Die nächste Straße rechts. Und dann einfach geradeaus.“
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. „Begleiten Sie mich.“ Sein Blick glitt zu ihrem Mund. „Dann kann ich mich nicht verirren.“ Die Art, wie er sie ansah, ließ sie befürchten, dass ihre Kleidung gleich ganz von selbst abfallen würde, bis sie nackt vor ihm stand.
„Ich, ähm … Sie leben also nicht in New York?“
„Doch, das tue ich. Aber ich habe selten die Gelegenheit, zu Fuß zu gehen.“
„Wirklich? Ich gehe fast immer zu Fuß.“ Was vor allem daran lag, dass sie pleite war und sich die öffentlichen Verkehrsmittel nicht leisten konnte.
„Dann sind Sie ja genau die richtige Person, um mir den Weg zu zeigen.“
Sie fragte sich, ob sie ihn vielleicht missverstanden hatte. „Sie möchten, dass ich Sie zum Central Park bringe?“
„Warum nicht?“
Es gab ungefähr eine Million gute Gründe, das nicht zu tun. Beispielsweise, dass er ein völlig Fremder war. Matilda wusste, dass es dumm war, mit einem Mann, den sie nicht kannte, in einem weitläufigen Park herumzuspazieren. Also würde sie sich für die sichere Variante entscheiden und die Einladung ablehnen. Dann würde sie nach Hause gehen und ganz allein in ihrem winzigen Apartment sitzen, dessen Wände jedesmal zu zittern begannen, wenn die S-Bahn vorbeifuhr. Sie würde sich eine Tütensuppe zubereiten und beim Essen darüber nachdenken, wie zum Teufel sie jetzt einen Job finden konnte, um sich zu ernähren.
So sah Matildas Leben aus. Aber sie hatte es satt, Matilda zu sein.
Eine spannungsgeladene Pause entstand, während sie versuchte, sich zwischen Realität und Fiktion zu entscheiden. Zwischen Sicherheit und Abenteuer.
Sie senkte leicht den Kopf. Eine der champagnerfeuchten Haarsträhnen fiel ihr ins Gesicht. Er streckte die Hand aus und strich sie zurück.
Seine Berührung war wie ein elektrischer Schlag. Matilda schnappte nach Luft. Ihr ganzer Körper begann zu prickeln.
„Ich finde, das ist eine gute Idee“, hörte sie sich selbst sagen. Er lächelte – es war ein sinnliches Lächeln, das eine Hitzewelle in ihrem Inneren auslöste.
„In diesem Fall sollten wir zumindest das Geheimnis um unsere Namen lüften. Ich bin …“ Er zögerte kurz und streckte ihr dann die Hand entgegen. „Alex.“
Alex, dachte sie. Ein kurzer prägnanter Name. Irgendwie kraftvoll. Vielleicht sollte sie ihren derzeitigen Helden in Alex umbenennen. Momentan hieß er Charles. Aber wenn sie jetzt so darüber nachdachte, schien dieser Name nicht wirklich zu seinem Charakter zu passen.
Sie stellte sich Lara vor, die ‚Alex‘ murmelte, während sie sich seinen muskulösen Oberkörper entlangküsste.
„Alex.“
„Genau. Und jetzt bist du dran.“
Benommen sah Matilda ihn an. Sie war dran? Womit denn?
Dann bemerkte sie, dass er die Augenbrauen fragend erhoben hatte. Ach ja, fiel ihr ein. Er hatte ihr seinen Namen genannt. Das war es, worauf er wartete – nicht darauf, dass sie irgendwelche verbotenen Dinge mit seinem Körper anstellte.
„Ich heiße …“ Sie verstummte und sah ihn an. Die Luft zwischen ihnen schien zu vibrieren. Ihr Herz klopfte schmerzhaft gegen ihre Rippen.
Ich heiße Matilda.
Matilda.
„Lara“, sagte sie. Ihre Stimme klang belegt. „Mein Name ist Lara. Lara Striker.“ Das Bad Girl, das vor nichts zurückscheute. „Freut mich, dich kennenzulernen.“
Chase musterte die Frau, die vor ihm stand. Es kam selten vor, dass er nicht erkannt wurde. Und in diesem Fall war es ganz besonders merkwürdig – schließlich hatte er gerade sein eigenes Event verlassen. Kurz schoss ihm der Verdacht durch den Kopf, dass sie vielleicht irgendein absurdes Spiel mit ihm spielte. Aber inzwischen hatte er jahrelange Erfahrung in Verhandlungsführung. Er erkannte Heuchelei sofort. Und ein Blick auf ihr Gesicht verriet ihm, dass diese Frau tatsächlich nicht wusste, wer er war.
Sie kam zu seiner Party, ohne ihn zu kennen? Interessant, dachte er spöttisch. In der nächsten Sekunde verspürte er eine ungeheure Wut auf sich selbst.
War das der Preis des Erfolgs? War er so ein arroganter, selbstverliebter Bastard geworden, dass er dachte, jeder müsse ihn sofort erkennen? Er schüttelte den Kopf, angewidert und desillusioniert, während er gleichzeitig erleichtert darüber war, dass sie keine Ahnung hatte, wer Chase Adams war.
Mit ihr würde es keinerlei Gespräche über Investments geben. Sie würde ihn nicht dazu drängen, ihr Tipps in Sachen Immobilien-Kauf zu geben. Nein, sie beide waren zwei ganz normale Menschen – ohne irgendwelche versteckten Absichten.
Die Situation war so neu und erfrischend für ihn, dass er im ersten Moment kaum wusste, wie er damit umgehen sollte.
„Okay, Lara. Vielleicht verrätst du mir, wieso du die Party verlassen hast? Weil du dich gelangweilt hast? Weil du das Essen nicht mochtest? Oder lag es daran, dass du mit Champagner bespritzt worden bist?“ Er sah, wie sie zögerte. „Du kannst ganz ehrlich sagen, was du denkst. Wie du weißt, bin ich ja ebenfalls gegangen.“
Sie senkte den Kopf und sah zu Boden. „Es lief nicht so, wie es sollte.“
„Was hat denn nicht geklappt? Wolltest du jemanden treffen?“
„Ich wollte Chase Adams kennenlernen. Aber er war nicht da. Komisch, oder? Er gibt eine Party, aber taucht dann gar nicht auf.“
Chase erstarrte.
Was sie ihm eben mitgeteilt hatte, zwang ihn, alle Barrikaden wieder aufzurichten, die er gerade abgebaut hatte. Verdammt, er hatte gedacht, dass sie anders war als die Leute auf der Party da oben.
Aber da hatte er sich offenbar getäuscht.
„Ach ja – und wieso wolltest du Chase kennenlernen?“ Sein Tonfall war deutlich kühler geworden. Überrascht hob sie den Kopf.
„Findest du das merkwürdig?“
„Nein. Alle möglichen Leute wollen ihn treffen. Deshalb sind sie ja zu dem Event gekommen: weil sie denken, es lohnt sich, ihn zu kennen.“
„Und das findest du nicht in Ordnung?“
„Ich finde, dass du nicht der richtige Typ Frau für so etwas bist.“ Er beobachtete, wie ihre Wangen sich röteten.
„Okay, es missfällt dir also. Aber bevor du mich jetzt mit deinem Blick – der ehrlich gesagt ziemlich finster ist – in ein Häufchen Asche verwandelst, solltest ich dir vielleicht erst mal die Hintergründe erläutern: Ich wollte Chase Adams nämlich nur treffen, um durch ihn seinen Bruder kennenzulernen.“
„Seinen Bruder?“ Wenn sie ihm vorgeschlagen hätte, sich nackt auszuziehen und auf dem Times Square zu tanzen, hätte er nicht verblüffter sein können.
„Was willst du denn von seinem Bruder?“
Sie hielt seinem Blick beharrlich stand. „Das kann ich dir leider nicht sagen. Sonst müsste ich dir nämlich mein geheimnisvolles Geheimnis verraten. Und wir beide kennen uns gerade mal seit fünf Minuten.“
„Wir kennen uns seit mindestens zehn Minuten. Also verrate mir dein geheimnisvolles Geheimnis.“
„Versuchst du immer, deinen Willen durchzusetzen?“
„Ja, immer.“
„Du wirst mich auslachen.“
„Ich werde nicht lachen.“
„Na gut. Aber du musst versprechen, es keiner Menschenseele zu verraten.“
„Ich verspreche es.“
Sie holte tief Luft. „Ich bin Schriftstellerin.“ Nachdem sie einmal angefangen hatte, gab es kein Halten mehr. Die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor. „Na ja, besser gesagt: Ich bin eine unveröffentlichte Schriftstellerin. Bisher konnte ich keine meiner Geschichten an einen Verlag verkaufen. Aber ich weiß, dass der Bruder von Chase Adams einen kleinen, unabhängigen Verlag leitet. Und mein neuer Text würde dort ganz hervorragend ins Programm passen.“
Er runzelte die Stirn. „Du hast ein Buch geschrieben?“
„Ich habe eine ganze Reihe von Büchern geschrieben. Aber das letzte davon ist mein bester Text bisher.“
Sie hatte ein Buch geschrieben. Und Chase Adams fand sie weder wichtig noch interessant. Sie hatte ihn nur treffen wollen, um seinen Bruder kennenzulernen. Tja, dachte Chase. Er hatte ja mit Vielem gerechnet. Aber damit nun wirklich nicht.
Dass er laut lachte, merkte er erst, als sie ihn böse anstarrte.
„Du hast versprochen, nicht zu lachen.“
„Ich lache nicht über dich, sondern über die Situation.“
„Weil du es komisch findest, wenn man sich seinen Traum erfüllen will?“