Frostkiller - Jennifer Estep - E-Book
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Frostkiller E-Book

Jennifer Estep

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Beschreibung

Niemand weiß besser als Gwen Frost, wie stark Loki und seine Schnitter des Chaos sind. Sie als Champion der griechischen Göttin Nike soll eine zentrale Rolle bei seiner Vernichtung spielen. Aber niemand weiß auch besser als Gwen Frost, dass sie keine Wunderwaffe ist - nur das komische Gypsymädchen, über das alle heimlich lästern. Zwar hat sie ihre Psychometrie, ihr sprechendes Schwert Vic, ihre Freunde und vor allem den Spartaner Logan Qinn an ihrer Seite, doch Gwen wird von Vorahnungen ereilt, und die verheißen nichts Gutes. Aber für Selbstzweifel bleibt keine Zeit, als einer der ihr wichtigsten Menschen in Lebensgefahr gerät. In Gwen erwacht eine brennende Entschlossenheit - sie ist bereit, alles zu geben. Und wenn es sie das Leben kosten sollte ...

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Lesen was ich will!

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe1. Auflage 2014

ISBN 978-3-492-96768-6© 2013 Jennifer EstepDie amerikanische Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Killer Frost« bei KTeen Books / Kensington Publishing Corp., New York.Deutschsprachige Ausgabe:© ivi, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2014Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenCoverabbildung: FinePic, MünchenDatenkonvertierung: psb, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wie immer: für meine Mom, meine Grandma und Andre, für all ihre Liebe, Hilfe, Unterstützung und Geduld mit meinen Büchern und allem anderen im Leben.Undfür alle Fans der Mythos-Academy-Serie. Dieses Buch ist für euch.

Jede Autorin wird erklären, dass ihr Buch ohne die harte Arbeit vieler, vieler Leute nicht möglich gewesen wäre. Hier sind einige der Menschen, die dabei geholfen haben, Gwen Frost und die Mythos Academy zum Leben zu erwecken:

Ich danke meiner Agentin, Annelise Robey, für all ihre hilfreichen Ratschläge.

Ich danke meiner Lektorin Alicia Condon für ihren scharfen Blick und die durchdachten Vorschläge. Sie machen das Buch immer so viel besser.

Ich danke allen, die bei Kensington an dem Buch gearbeitet haben, besonders Alexandra Nicolajsen und Vida Engstrand für ihren Einsatz in Sachen Marketing. Und ein Dankeschön an Justine Willis.

Und schließlich möchte ich allen Lesern dort draußen danken. Ich schreibe Bücher, um euch zu unterhalten, und es ist mir immer eine besondere Ehre. Ich hoffe, ihr habt so viel Spaß beim Lesen von Gwens Abenteuern wie ich beim Schreiben.

Ich wünsche viel Vergnügen!

»Das ist unsinnig.«

Daphne Cruz, meine beste Freundin, lehnte sich vor, starrte in den Badezimmerspiegel und trug eine weitere Schicht Lipgloss auf. Magiefunken im selben Prinzessinnenrosa wie ihr Lippenstift schossen aus den Fingerspitzen der Walküre und verglühten im Waschbecken unter dem Spiegel.

»Unsinnig«, wiederholte ich. »Un. Sinnig.«

»Mmmm-hmmm.«

Daphne brummte abwesend, schloss ihren Lipgloss und ließ den Stift in die riesige Handtasche fallen, die an ihrem Arm hing. Dann griff sie in die Tiefen der Designertasche und zog eine Bürste hervor. Ohne mich zu beachten, glättete sie ihre goldenen Locken. Die natürlich bereits perfekt lagen. Daphne verließ niemals ihr Zimmer, ohne perfekt auszusehen.

»Komm schon«, sagte ich, weil ich einfach noch nicht bereit war, meine Tirade zu beenden. »Du weißt doch, dass ich recht habe. Dieser Tag wird auf jeden Fall in einer Katastrophe enden.«

Daphne beendete ihre Haarpflege und zog eine silberne Puderdose aus der Tasche. Sie trug ein wenig Make-up auf ihre grundsätzlich perfekte, dunkle Haut auf, dann musterte sie sich noch einmal kritisch im Spiegel und zupfte einen winzigen Fussel von ihrem rosafarbenen Kaschmirpullover.

Ich holte wieder Luft, um meine Schwarzmalerei fortzusetzen, doch Daphne schloss die Dose mit einem Klicken, bevor ich weiterreden konnte.

Sie sah mich im Spiegel an und suchte mit dem Blick ihrer schwarzen Augen meine violetten. »Himmel, Gwen. Entspann dich. Wir sind auf einem Date zu viert. Wir sollten … na ja … Spaß haben, statt uns ständig Sorgen zu machen, dass die Schnitter alles ruinieren könnten.«

Ich musterte meine Freundin finster. Sie mochte sich ja entspannen können, doch ich machte mir in letzter Zeit eigentlich rund um die Uhr Sorgen wegen der Schnitter.

Meine linke Hand glitt zu meinem rechten Handgelenk, dann schloss ich die Finger um das Armband, das dort hing. Das Armband selbst war einzigartig – mehrere Lorbeerblätter hingen von dünnen Strängen aus Mistelzweigen, die zu einer Kette verwoben worden waren. Alles bestand aus Silber. Ich packte eines der Blätter fester und wartete darauf, dass meine Psychometrie sich einschaltete. Doch das Einzige, was ich von dem Armband auffing, waren dieselben kühlen, ruhigen Schwingungen, die ich immer spürte, wenn ich mich auf das Silber konzentrierte.

Wenn man sich das Armband lediglich ansah, wirkte es einfach wie ein interessantes Schmuckstück. Doch es war der Schlüssel zum Sieg über Loki und seine Schnitter des Chaos. Zumindest behauptete das Nike, die griechische Göttin des Sieges. Ich diente als Nikes Champion und war damit das Mädchen, das die Wünsche der Göttin in der Welt der Sterblichen erfüllte – und die Göttin wollte Loki tot sehen. Dabei konnte mir das Armband angeblich helfen, auch wenn ich noch nicht ganz verstanden hatte, was ich wirklich damit anstellen sollte.

»Gwen?«, fragte Daphne ein wenig genervt. »Was grübelst du denn jetzt schon wieder?«

Ich spielte noch ein paar Sekunden an den Lorbeerblättern des Armbandes herum, dann schob ich das Ganze wieder unter den Ärmel meines purpurnen Kapuzenshirts.

»Ich frage mich, wie du den Schnittern so gleichgültig gegenüberstehen kannst«, sagte ich. »Hallo? Nur für den Fall, dass du es noch nicht mitbekommen hast, die Schnitter haben in den letzten Monaten so ungefähr alles auf Mythos ruiniert. Der große Schulball? Endete damit, dass ich in der Bibliothek gegen einen Schnitter gekämpft habe. Der Skiausflug zum Winterkarneval? Ein weiterer Kampf mit einem Schnitter im Hotel. Letzter Tag der Winterferien? Kampf gegen die Schnitter im Kreios-Kolosseum. Winterkonzert? Noch mehr Schnitter im Aoide-Auditorium. Ganz zu schweigen von den Vorfällen in den Eir-Ruinen.«

Ich zählte die Beispiele an meinen Fingern ab. Als ich fertig war, schenkte ich Daphne einen wissenden Blick. »Wieso sollte es heute anders sein?«

Daphne verdrehte die Augen und stemmte schwungvoll die Hände in die Hüften, sodass noch mehr pinkfarbene Funken aus ihren Fingerspitzen stoben.

»Weil es heute um uns gehen soll – um dich, mich, Carson und Logan – nicht um Schnitter«, erklärte Daphne. »Der Rest von uns hatte bis jetzt einen wirklich netten Nachmittag – obwohl du die ganze Zeit nur versucht hast, alles zu ruinieren, indem du hinter jeder Ecke nach Schnittern gesucht hast.«

»Die Walküre hat recht«, schaltete sich eine Stimme mit einem kühlen englischen Akzent ein. »Du warst heute ziemlich nervös.«

Ich griff nach unten, zog ein Schwert aus der schwarzen Lederscheide an meiner Hüfte und hielt es auf Augenhöhe. Anstelle einfacher Muster zeigte das silberne Heft ein halbes männliches Gesicht, komplett mit Hakennase, Mund, Ohr und einem purpurgrauen Auge, das im Moment auf mich gerichtet war. Vic, mein sprechendes Schwert. Die Waffe, die Nike selbst mir gegeben hatte.

»Ich dachte, du wärst ganz scharf darauf, heute ein paar Schnittern zu begegnen«, meinte ich. »Da du ja ständig nur darüber sprichst, dass du sie umbringen willst.«

Vic hatte keine Achseln, mit denen er zucken konnte, also verdrehte er stattdessen sein Auge. »Selbst ich brauche ab und zu mal ein wenig Freizeit, Gwen. Die Walküre hat recht. Du solltest die Ruhe genießen, solange sie anhält. Ich werde auf jeden Fall ein Nickerchen machen. Du kennst ja die Ansage.«

»Ja, ja«, murmelte ich. »Ich soll dich nur wecken, wenn es Schnitter zu töten gibt.«

»Genau.«

Damit schloss Vic sein Auge. Ich bedachte das Schwert mit einem schlecht gelaunten Blick, auch wenn Vic mich überhaupt nicht mehr beachtete. Mit einem Seufzen schob ich ihn zurück in die Scheide.

»Siehst du?«, meinte Daphne selbstgefällig. »Selbst Vic stimmt mir zu.«

Ich warf ihr einen bösen Blick zu, obwohl sie und Vic tatsächlich recht hatten. Ich war heute ein totaler Spielverderber. Doch es war fast zwei Wochen her, seit wir das letzte Mal etwas von Agrona Quinn, der Anführerin der Schnitter, gehört hatten, oder von Vivian Holler, dem Mädchen, das Lokis Champion und meine Erzfeindin war. Die zwei langen Wochen hatten den Schnittern zweifellos genügend Zeit gegeben, um sich neu zu ordnen – und einen weiteren schrecklichen Plan zu entwerfen, wie sie mich und jeden, der mir etwas bedeutete, verletzen konnten.

Schon allein der Gedanke daran, was die Schnitter vielleicht planten, sorgte dafür, dass mein Magen sich vor Furcht verkrampfte. Ich hatte bereits so viel an Agrona, Vivian und die anderen bösen Krieger verloren, und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor die Schnitter wieder zuschlugen. Doch Daphne und Vic hatten recht. Es gab nichts, was ich heute gegen meine Widersacher unternehmen konnte, also sollte ich die Zeit mit meinem Freund und meinen Freunden genießen.

Weil mir vielleicht nicht mehr viel Zeit mit ihnen blieb, wenn Loki seinen Willen bekam.

»Okay, okay«, murmelte ich. »Ich werde mir für den Rest des Tages ein Lächeln ins Gesicht schrauben.«

Daphne bedachte mich mit einem scharfen Blick. »Versprochen?«

Ich zog ein X in die Luft vor meinem Herzen, genau über der Stelle, wo unter dem purpurnen Kapuzenshirt und dem grauen Pulli zwei Narben meine Haut verunstalteten. »Versprochen.«

»Gut. Dann lass uns gehen.« Daphne schnappte sich meinen Arm und setzte ihre Walkürenstärke ein, um mich zur Tür zu zerren. »Inzwischen sollte unsere Bestellung fertig sein, und ich brauche dringend eine Dosis Zucker.«

Ich seufzte wieder, bevor ich mich von ihr aus dem Raum zerren ließ.

Daphne und ich traten in den Hauptraum von Kaldis Kaffee.

In vielerlei Hinsicht war Kaldis ein typischer Coffeeshop. Ein langer Tresen an der hinteren Wand. Eine Vitrine voller sündhaft süßer Käsekuchen, Törtchen und jeder anderen Art von Dessert, die man sich vorstellen konnte. Jede Menge gepolsterter Stühle und Sofas. Schmiedeeiserne Tische. Espressomaschinen, die vor sich hin gurgelten und die Luft mit dem reichhaltigen, dunklen Aroma des Kaffees füllten, den sie aufbrühten.

Nicht so typisch war die Kundschaft im Café.

Walküren, Amazonen, Wikinger, Römer, Spartaner. Alles Jugendliche ungefähr in meinem Alter, alles Nachkommen mythologischer Krieger der Antike und alle bewaffnet. Schwerter, Dolche, Kampfstäbe, Speere. So gut wie jede Person im Raum hatte in einer Hand eine Tasse Kaffee und in der anderen etwas mit scharfer Klinge oder Spitze. Neben Morgan McDougall, einer meiner Walküren-Freundinnen, lag eine Armbrust so auf dem Tisch, dass sie auf die Tür zielte. Morgan hatte mir einmal erklärt, dass sie sich besser fühlte, wenn sie jederzeit eine Waffe griffbereit hatte. Jupp. Ich auch.

Mir blieb kaum die Zeit, Morgan zuzuwinken, bevor Daphne mich weiter zu zwei Sofas vor dem Kamin zerrte. Während wir uns durch das Café bewegten, fing hinter uns das Flüstern an. Oder vielmehr hinter mir.

»Hey, schau mal, Gwen Frost ist hier …«

»Anscheinend erholt sie sich mal von ihrem Kampf gegen die Schnitter …«

»Ich frage mich, wann sie gegen Loki kämpfen wird …«

Ich zog eine Grimasse und versuchte so zu tun, als könnte ich nicht hören, dass die anderen Schüler über mich redeten. Jeder auf der Mythos Academy wusste, dass ich Nikes Champion war und einen Weg finden sollte, uns alle vor Loki und den Schnittern zu retten. Es ging doch nichts über ein bisschen Druck, um dafür zu sorgen, dass ein Mädchen sich so richtig in seine Sorgen hineinsteigerte.

Ich seufzte. Daphne hatte recht. Ich war heute total paranoid, und ich wusste einfach nicht, wie ich das ändern sollte.

Meine Freundin ließ meinen Arm los und setzte sich neben einem Kerl mit schwarzer Brille auf die Couch, dessen Haare, Augen und Haut sandbraun waren. Carson Callahan, ihr Musik-Freak-Freund und ein echt netter Kerl.

Daphne lehnte sich vor und drückte Carson einen lauten, schmatzenden Kuss auf die Lippen, ohne sich darum zu kümmern, wer sie dabei beobachtete oder dass sie damit fast den gesamten Lipgloss von ihren Lippen auf seine übertrug. Carson bedachte sie mit einem bewundernden Blick und legte den Arm um ihre Schulter, um sie näher an sich zu ziehen. Daphne erwiderte die Umarmung mit ihrer Walkürenstärke, bis Carson das Gesicht verzog, dann ließ sie los.

»Ist das meine heiße Schokolade?«, fragte Daphne, während sie den Blick auf ein Tablett voller Tassen und gefüllter Teller zwischen den zwei Sofas richtete. »Endlich.«

So gut wie jeder Platz im Café war besetzt, also hatten wir es den Jungs überlassen, sich in die lange Schlange am Tresen einzureihen, während Daphne sich im Bad ein wenig frisch gemacht hatte.

Carson bedachte sie mit einem weiteren anbetungsvollen Blick. »Und ich habe dir ein Stück Schokoladen-Käsekuchen mitgebracht. Ich weiß doch, wie sehr du den magst.«

»Danke, Schatz.« Daphne küsste ihn noch einmal, bevor sie sich vorbeugte und nach ihrer riesigen Tasse griff.

Ich schlüpfte aus meiner Kapuzenjacke, dann setzte ich mich auf die andere Couch neben einen Kerl mit tiefschwarzem Haar und den unglaublichsten, eisblauen Augen, die ich je gesehen hatte. Er lächelte mich an, sodass ein warmes, prickelndes Gefühl in meinem Herzen explodierte.

Der verdammte Logan Quinn. Mein Freund. Der Kerl, den ich liebte.

»Wurde auch langsam Zeit, dass ihr zurückkommt«, sagte Logan neckend. »Ich habe mich schon gefragt, ob du dich aus der Hintertür geschlichen hast, um mich für einen anderen Kerl sitzen zu lassen.«

»Niemals«, antwortete ich. »Ist ja nicht mein Fehler, dass Daphne ewig braucht, um ihr Make-up zu richten.«

»Hmph.« Daphne schnaubte, war aber zu sehr damit beschäftigt, mit Carson zu schmusen und ihren Käsekuchen zu essen, um mir so richtig Saures zu geben.

Meine Freunde so verliebt zu sehen, brachte mich dazu, mich zu Logan umzudrehen. Ich lächelte ihn an und lehnte mich vor, um ihn zu küssen, doch er verzog das Gesicht. Es war nur ein winziges Zucken, nur eine fast unmerkliche Bewegung seines Mundes, aber das reichte aus, um mich aufzuhalten. Stattdessen wechselte ich die Richtung, streckte mich an ihm vorbei und schnappte mir meine eigene Tasse mit heißer Schokolade, als hätte ich von Anfang an nichts anderes vorgehabt. Als hätte ich seinen wachsamen Blick gar nicht bemerkt – und auch keinen Stich im Herzen gefühlt.

Mit meiner heißen Schokolade lehnte ich mich in die Kissen zurück. Logan zögerte, dann legte er einen Arm um mich. Doch er zog mich nicht an sich, wie Carson es bei Daphne getan hatte. Stattdessen saßen wir einfach so da. Wir berührten uns, doch zwischen uns lag immer noch ein gewisser Abstand – ein Abstand, von dem ich einfach nicht wusste, wie ich ihn überwinden sollte.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte Logan mich angegriffen und fast getötet. Natürlich war er zu dieser Zeit mit Loki verbunden gewesen, und der böse nordische Gott hatte Logan gezwungen, mich zu verletzen. Mir war es gelungen, Lokis Halt über Logan zu brechen, aber nach diesem Vorfall hatte der Spartaner die Akademie verlassen. Letztendlich hatte ich ihn überzeugen können, zurückzukehren, aber Logan fürchtete immer noch, er könne mich erneut verletzen – obwohl ich genau wusste, dass er so etwas nie tun würde. Nicht aus freiem Willen.

An manchen Tagen verhielt sich Logan genauso locker, sorglos und charmant wie immer. Doch es gab andere Momente, in denen ich einen Blick von ihm auffing und genau wusste, dass er darüber nachdachte, ob er mit der Rückkehr an die Akademie wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich hatte geglaubt, er hätte diese Selbstzweifel und Sorgen hinter sich gelassen, doch die Angriffe der Schnitter hatten Narben bei Logan hinterlassen, genau wie bei mir. Sie hatten uns alle gezeichnet, sowohl seelisch als auch körperlich.

All unsere Freunde ermahnten mich ständig, dass ich Logan Zeit lassen sollte. Ich wusste, dass sie recht hatten, doch das machte es nicht einfacher für mich, besonders wenn ich sah, wie rückhaltlos Daphne und Carson einander vertrauten und wie sehr sie sich liebten. Wie verdammt einfach es für sie war, eine Beziehung zu führen.

»Müsst ihr beide nicht irgendwann auch mal Luft holen?«, fragte ich.

Sicher, es war falsch, sie anzumeckern, aber ich konnte nur eine gewisse Zeit damit verbringen, die beiden bei der Mund-zu-Mund-Beatmung zu beobachten.

»Sorry, Gwen«, sagte Carson, nachdem er den Kuss gebrochen hatte. Seine Brille saß ein wenig schief.

»Ignorier sie einfach«, sagte Daphne und drückte ihrem Freund noch einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich endlich ein Stück zurückzog. »Sie ist nur grummelig, weil sie heute noch nicht genügend Zucker hatte.«

»Ich könnte dich mit Kuchen füttern, wenn du willst«, schlug Logan mit einem hinterhältigen Zwinkern vor.

Ich schnaubte. »Bitte. Ich bin absolut fähig, selbstständig zu essen. Außerdem muss ich dann nicht teilen.«

Ich schnappte mir den Teller mit dem riesigen Kekssandwich, das Logan mir mitgebracht hatte, hob es hoch und vergrub meine Zähne in der süßen Versuchung. Leckere Butterkekse gefüllt mit gegrillten Marshmallows, zwei dicken Stücken halb geschmolzener dunkler Schokolade und gerösteten Mandelsplittern, die das Ganze knusprig machten. Es war eine perfekte Kombination aus süß und salzig, und ich genoss jeden einzelnen Bissen. Hmmm. So lecker.

Logan biss in den großen Blaubeer-Muffin, den er sich geholt hatte, während Carson an einem Erdbeerhörnchen knabberte.

Ein paar Minuten später kam ein Wikinger zu unserem Tisch, der in der Schulband spielte, um sich mit Carson und Daphne zu unterhalten. Die drei begannen ein Gespräch, sodass Logan und ich uns selbst überlassen blieben.

»Ich bin froh, dass wir heute diesen Ausflug gemacht haben«, sagte Logan leise. »Ab und zu ist es wirklich nett, aus der Akademie rauszukommen.«

Es war Samstag, also hatten wir den Nachmittag damit verbracht, die Läden von Cypress Mountain zu erkunden, dem Vorort, in dem die Akademie lag. Na ja, eigentlich hatte Daphne uns von einem Laden zum nächsten geschleppt. Aber Logan hatte recht. Es war schön gewesen, all die Probleme mal ein paar Stunden hinter uns zu lassen. Selbst wenn ich insgeheim damit gerechnet hatte, dass Vivian und Agrona mit einer Gruppe Schnitter auftauchen und uns irgendwo zwischen dem Buchladen an einem Ende der Einkaufsstraße und dem Juwelier am anderen angreifen würden.

»Ja«, antwortete ich. »Ich auch.«

Ich schloss die Augen, damit ich nicht wieder sehen musste, wie Logan das Gesicht verzog, und ließ den Kopf gegen die Lehne der Couch sinken. Die Bewegung sorgte dafür, dass die Metallfäden um meine Kehle sich spannten. Es waren sechs dünne silberne Ketten, die sich um meinen Hals zogen und vorne eine mit Diamanten besetzte Schneeflocke formten. Ich trug die Kette immer, denn Logan hatte sie mir geschenkt.

Die Kette erinnerte mich wieder an alles, was wir durchgemacht hatten, daher rutschte ich näher an Logan heran, bis ich seine Körperwärme fühlen konnte. Er seufzte leise, doch ich konnte nicht sagen, welchem Gefühl das Geräusch entsprang. Vielleicht Glück, vielleicht aber auch wieder Skepsis. Doch dieses Mal schlang Logan beide Arme um mich und zog mich an sich.

Obwohl ich fast nicht mehr daran geglaubt hatte, entspannte ich mich letztendlich und genoss die Zeit mit Logan und meinen anderen Freunden. Wir schaufelten Kuchen in uns hinein, tranken unsere Getränke und verbrachten die nächsten zwei Stunden mit gut gelaunter Unterhaltung. Schließlich allerdings entschieden wir, in die Akademie zurückzukehren. Alle stellten ihre dreckigen Tassen und Teller auf ein riesiges Tablett, das ich mir dann schnappte und zu einem der Geschirrwagen trug. Ich hatte gerade die letzte Serviette weggeworfen, als mir auffiel, dass die Leute schon wieder über mich flüsterten … diesmal waren es drei Römer, die ich aus meinem nachmittäglichen Sportunterricht kannte.

»… du glaubst wirklich, das Gypsymädchen wird verhindern, dass etwas passiert?«

»Nee … die Schnitter werden zuschlagen, egal was sie tut …«

»Das hoffe ich, wenn ich bedenke, wie viel Geld ich gesetzt habe …«

Geld? Was für Geld? Ich runzelte die Stirn und musterte die drei Kerle über die Schulter, doch sie konzentrierten sich bereits wieder auf ihre Laptops. Sie sahen nicht mal auf, als ich an ihnen vorbeiging. Ich versuchte einen Blick auf ihre Bildschirme zu erhaschen, doch sie surften einfach nur im Internet oder spielten dämliche Spiele. Es sah nicht so aus, als hätten sie etwas Verdächtiges vor. Trotzdem, ich wusste inzwischen, dass jeder ein Schnitter sein konnte – egal wie nett und harmlos die Person wirkte.

»Was ist los?«, fragte Logan, als ich mich wieder neben ihn setzte. »Du wirkst aufgebracht.«

Ich deutete mit dem Kinn in Richtung der drei Kerle. »Es geht um die da. Aus irgendeinem Grund haben sie über mich und Schnitter und Geld geredet. Ziemlich seltsam.«

Logan wechselte einen wissenden, schuldbewussten Blick mit Daphne und Carson.

»Was?«, fragte ich, während sich mein Magen wieder einmal vor Angst verkrampfte. »Was ist los? Was haben diese Kerle vor?«

»Es läuft eine Wette, dass die Schnitter den Valentinsball angreifen werden«, erklärte Logan. »Die Leute wetten darauf, was die Schnitter planen und welchen Schaden sie diesmal anrichten werden.«

Der Valentinsball sollte am Freitagabend stattfinden. Laut Daphne stellte er eines der größten Ereignisse im sozialen Kalender der Akademie dar, ungefähr so wichtig wie der Abschlussball an anderen Schulen. Tatsächlich war der Ball eine so große Sache, dass Daphne mich letzte Woche mit auf einen Einkauf geschleppt hatte, damit sie das perfekte Kleid aussuchen konnte. Und sie hatte mich ebenfalls gezwungen, mir ein neues Kleid zu kaufen. Logan hatte mich bereits gebeten, mit ihm auf den Ball zu gehen, aber ich hatte nicht groß darüber nachgedacht. So wie mein Leben in letzter Zeit verlief, war ich zu sehr damit beschäftigt gewesen, einen Tag nach dem anderen hinter mich zu bringen, ohne von Schnittern angegriffen zu werden.

»Sie wetten darauf, ob Schnitter den Ball sprengen? Ihr macht doch Witze«, meinte ich. »Wieso sollten sie so was tun?«

Logan zuckte nur mit den Achseln.

Meine gute Laune verpuffte. Denn die drei Römer hatten recht. Die Schnitter würden am Tanzabend wahrscheinlich angreifen und ihn total ruinieren, wie sie es mit jeder anderen Akademieveranstaltung in letzter Zeit getan hatten. Vielleicht war der Ball auch genau das, worauf sie warteten, und wir hatten deswegen seit der Schlacht in den Eir-Ruinen in Colorado nichts von Vivian und Agrona gehört.

Ich stand auf. »Kommt«, blaffte ich. »Lasst uns hier verschwinden.«

Logan stellte sich neben mich und schob seine Finger in meine. Ich drückte seine Hand und versuchte meine plötzliche Wut – und Sorge – zu verdrängen.

Wir verließen Kaldis Kaffee. Daphne und Carson folgten uns. Wir sprachen nicht viel, als wir Richtung Schulgelände wanderten. Heute war einer der seltenen Tage des Winters, an denen es nicht schneite. Stattdessen stand die Sonne hoch am Himmel, obwohl es selbst für Februar bitterkalt war. Oder vielleicht lag das auch nur an der eisigen Angst, die sich bei dem Gedanken, was die Schnitter beim Valentinsball anrichten konnten – und wie viele Leute sie diesmal töten würden – in meinem Körper ausbreitete.

Ich war so in meine finsteren Gedanken versunken, dass ich nicht einmal merkte, wie Logan seine Schritte erst verlangsamte, um dann ganz anzuhalten. Schließlich sah ich auf, weil ich davon ausging, dass wir den Zebrastreifen erreicht hatten. Doch dann entdeckte ich drei schwarze SUVs, die vor dem Haupttor zur Mythos Academy standen.

Ich verspannte mich, löste meine Hand aus Logans und senkte sie auf Vics Heft, jederzeit bereit, das Schwert zu ziehen, falls Vivian, Agrona oder andere Schnitter aus den Wagen stürzen sollten, um uns anzugreifen.

Doch der Mann, der die Fahrertür des vorderen SUVs öffnete und ausstieg, war kein Schnitter – sondern ein großer, dünner Mann mit blondem Haar und blauen Augen. Über seiner Winterkleidung trug er eine graue Robe, in deren Kragen das Symbol einer Hand eingestickt war, die eine Waage hielt. Ich erkannte ihn sofort.

Linus Quinn. Logans Dad. Und, viel wichtiger, der Leiter des Protektorats, der Polizeitruppe der mythologischen Welt.

Das Grauen, das mich den ganzen Tag begleitet hatte, verstärkte sich, und mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Denn ich bezweifelte stark, dass Linus nur hier war, um seinen Sohn zu besuchen. Nein, irgendwas stimmte nicht, und mir drängte sich das Gefühl auf, dass die trügerische Ruhe der letzten zwei Wochen nun ein Ende finden würde.

Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen, Daphne einen Blick voller morbider Selbstgefälligkeit zu schenken. »Was habe ich dir gesagt? Unser erstes Viererdate? Absolut ruiniert.«

Linus war nicht der Einzige, der aus dem ersten SUV stieg. Weitere Türen öffneten sich, und zwei Männer stiegen aus, die ebenfalls graue Roben trugen.

Einer von ihnen war relativ klein und untersetzt, mit braunem Haar, haselnussbraunen Augen, gebräunter Haut und einem Gesicht, das immer zu lächeln schien. Der andere Mann dagegen war groß und schlank, mit schwarzen Haaren, dunklen Augen und einem viel ernsteren Gesichtsausdruck. Sergei Sokolov und Inari Sato, Linus’ Freunde und zwei weitere wichtige Mitglieder des Protektorats. Mein Unbehagen verstärkte sich. Wenn diese drei Männer alle gleichzeitig hier waren, bedeutete das, dass irgendeine große Aktion lief.

Hatte es einen weiteren Schnitterangriff gegeben? Vielleicht an einer anderen Akademie? Ich dachte kurz darüber nach, meiner Cousine Rory Forseti, die auf die Colorado-Akademie ging, eine SMS zu schicken. Aber ich entschied mich dagegen. Zumindest für den Moment.

Linus schlug die Fahrertür zu und blieb neben dem Auto stehen, um darauf zu warten, dass wir vier die Straße überquerten und zu ihm, Sergei und Inari traten. In den anderen Autos saßen noch mehr Protektoratsmitglieder in grauen Roben, aber sie stiegen nicht aus.

»Dad!«, rief Logan, ließ meine Hand los und joggte auf seinen Vater zu.

Linus lächelte und breitete die Arme aus. Logan trat in seine Umarmung und drückte seinen Dad. Einen Moment später lösten sich die beiden voneinander und senkten die Blicke unruhig zu Boden, als wäre ihnen die öffentliche Zuneigungsbekundung peinlich. Logan und sein Dad hatten jahrelang nicht gerade das beste Verhältnis gehabt – seit Logans Mom und Schwester von Schnittern ermordet worden waren, als er gerade mal fünf Jahre alt gewesen war. Doch sie arbeiteten daran. Ich freute mich darüber, dass sie sich wieder besser verstanden. Besonders nachdem Agrona – Linus’ ehemalige Ehefrau und Logans Stiefmutter – sie beide so tief verletzt hatte, als herausgekommen war, dass sie die ganze Zeit, während sie ihr Leben geteilt hatte, im Geheimen die Anführerin der Schnitter gewesen war.

Logan trat zur Seite und Linus kam auf mich zu.

»Miss Frost«, sagte Linus und streckte mir die Hand entgegen. »Schön, Sie wiederzusehen.«

Noch vor einem Monat wäre das eine üble Lüge gewesen. Eine Weile hatte Linus geglaubt, ich sei Lokis Champion und für all die schrecklichen Taten verantwortlich, die in Wirklichkeit Vivian Holler begangen hatte. Er war so weit gegangen, mich vor ein Gericht zu schleppen, das mein Todesurteil hätte aussprechen können. Doch die Wahrheit über Vivian und Agrona war ans Licht gekommen, und Linus hatte sich bei mir für sein Verhalten entschuldigt. Ich würde ihn nie wirklich mögen, aber ich hatte beschlossen, nett zu ihm zu sein – Logan zuliebe.

»Mr. Quinn.«

Ich zögerte und starrte auf seine ausgestreckte Hand. Linus wusste von meiner Berührungsmagie, und trotzdem streckte er mir die Hand entgegen. Ich fragte mich, ob das eine Art Test war, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wieso er so etwas tun sollte. Aber ich trat vor und ergriff die angebotene Hand.

Eine Sekunde später trafen mich seine Erinnerungen und Gefühle. Kurze, flackernde Bilder von Linus über die Jahre stiegen in mir auf – im Kampf gegen Schnitter, im Gespräch mit Sergei und Inari und als Anführer anderer Protektoratsmitglieder im Kampf. Doch überwiegend sah ich ihn in einer großen Küche über einen Tisch gebeugt, der mit Fotos und dicken Akten bedeckt war. Linus studierte jedes Dokument, um herauszufinden, was die Schnitter vorhatten und wo sie als Nächstes angreifen würden.

Ich empfing auch Erinnerungen an Logans Kindheit und Jugend, zusammen mit der tiefen, ruhigen Liebe, die Linus für seinen Sohn empfand, und seinem unendlichen Stolz darüber, was für ein leidenschaftlicher Spartaner-Krieger sein Sohn geworden war.

Und immer fühlte ich scharfe, quälende Sorge – Sorge, dass Linus es nicht schaffen würde, die Schnitter davon abzuhalten, noch weitere Mitglieder des Pantheons zu töten, auch Logan. Das Gefühl ähnelte sehr meiner eigenen nagenden Sorge – dass es mir nicht gelingen würde, einen Weg zu finden, Loki zu töten. Dass der böse Gott des Chaos am Ende gewinnen würde. Dass er alle, die mir etwas bedeuteten, verletzen, foltern und versklaven würde, nur um mir so viel Leid wie möglich zuzufügen, bevor er mich schließlich umbrachte …

Linus senkte die Hand und brach damit unsere Verbindung. Ich blinzelte ein paarmal, um die letzten Reste seiner Erinnerungen und Gefühle aus meinem Kopf zu verdrängen.

»Geht es Ihnen gut, Miss Frost?«, fragte Linus.

»Prima«, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. »Ganz prima.«

»Logan, mein Junge!«, sagte Sergei mit seiner dröhnenden Stimme und schaltete sich damit ins Gespräch ein. »Ist toll, dich und deine Freunde wiederzusehen!«

Der ausgelassene Bogatyr schlug Logan fest genug auf die Schulter, dass dieser ein paar Schritte nach vorne stolperte.

»Finde ich auch, Sergei.« Logan grinste den älteren Mann an, dann nickte er. »Freut mich auch, dich zu sehen, Inari.«

Der Ninja nickte einmal, um die Begrüßung zur Kenntnis zu nehmen.

Logan warf mir einen schnellen Blick zu, dann wandte er sich wieder an seinen Dad. »Also, was ist los? Warum seid ihr hier?«

Linus lächelte. »Kann ein Vater nicht einfach seinen Sohn besuchen?«

Logan starrte seinen Dad einfach nur weiter an, bis das Lächeln auf Linus’ Gesicht verblasste.

Er räusperte sich. »Nun, ich muss mit Metis, Nickamedes und Ajax über ein paar Dinge reden. Da habe ich dich und deine Freunde auf dem Weg zur Akademie gesehen und dachte, wir halten kurz an und sagen Hallo.«

Logan nickte. »Okay. Verstanden. Und was ist los?«

Linus zögerte. »Vielleicht wäre es besser, wenn ihr euch in ein paar Minuten in der Bibliothek mit uns trefft. Metis ist bereits auf dem Weg dorthin. Genauso wie Alexei, Miss Frost.«

Diesmal nickte ich. Alexei Sokolov, Sergeis Sohn, war der Bogatyr, der mir als Wache zugeteilt worden war. Gewöhnlich begleitete mich Alexei überall hin. Heute hatte er sich den Nachmittag freigenommen, um ein wenig Zeit mit seinem Freund, Oliver Hector, zu verbringen, da ich auf meinem Viererdate mit Logan, Carson und Daphne sicher war.

»Okay«, antwortete Logan. »Wir sehen uns dort.«

Linus legte einen Arm um die Schulter seines Sohnes und drückte ihn noch einmal. Dann räusperte er sich, nickte Logan zu und stieg wieder in den SUV. Sergei und Inari ließen sich ebenfalls wieder in ihre Sitze fallen, dann startete Linus den Motor und fuhr in Richtung des zweiten Eingangs zum Campus, der zum Parkplatz hinter der Turnhalle führte. Die anderen SUVs folgten ihm.

»Also, das war mal kryptisch«, motzte Daphne, als die Autos aus dem Blickfeld verschwunden waren.

Carson nickte zustimmend.

Logan zuckte nur mit den Achseln. »So ist mein Dad eben.«

Ich sah an meinen Freunden vorbei zu der Steinmauer, die sich um den Campus zog. Das eiserne Tor stand offen, damit die Schüler die Akademie verlassen und ein wenig Zeit in den Läden von Cypress Mountain verbringen konnten. Doch ich blickte oben auf die Mauer, wo zwei steinerne Sphinxe auf beiden Seiten des Tors saßen. Gewöhnlich beobachteten mich die Sphinxe aus ihren lidlosen Augen und verfolgten jede meiner Bewegungen, so wie jede andere Statue auf dem Campus auch. Doch heute schienen sie mich überhaupt nicht zu beachten. Stattdessen waren ihre Mienen ausdruckslos und neutral. Sie wirkten weder wütend noch aufgeregt noch besorgt. Sie starrten einfach vor sich hin, als hätten sie sich mit dem, was passieren würde, abgefunden. Mir graute es plötzlich umso mehr.

»Kommt«, meinte ich. »Lasst uns zur Bibliothek gehen. Ich will wissen, was los ist.«

»Es muss nicht unbedingt etwas Schlimmes sein, nur weil Mr. Quinn hier ist«, meinte Carson schwach. »Oder?«

Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Carson verzog das Gesicht, aber dann reihten er und die anderen sich hinter mir ein, als ich durch das offene Tor aufs Schulgelände trat.

Meine Freunde und ich folgten dem grau gepflasterten Weg über den Hügel auf den oberen Hof, der das Herz der Mythos Academy bildete. Fünf Gebäude standen um den Hof verteilt. Sie alle bestanden aus dunkelgrauem Stein und bildeten einen groben Stern – das mathematisch-naturwissenschaftliche Gebäude, das Gebäude für Englisch und Geschichte, die Turnhalle, der Speisesaal und die Bibliothek der Altertümer.

Wir wandten uns Richtung Bibliothek. Mit ihren sieben Stockwerken war sie das höchste Gebäude auf dem Campus und mit verschiedenen Türmen, Balkonen und Statuen verziert – jeder Menge Statuen. Gargoyles, Chimären, Drachen, einem Minotaurus. Mythologische Statuen bedeckten das Gebäude von den Balkonen im ersten Stock bis zu den Spitzen der Türme, die Richtung Himmel strebten. Doch meine Aufmerksamkeit galt den beiden Greifen, die rechts und links neben den Stufen zur Bibliothek saßen.

Adlerköpfe, Löwenkörper, eng an den Körper gelegte Flügel, die Schwänze um die Vorderpfoten geschlungen. Die Statuen sahen aus wie immer, doch ich hielt trotzdem an, um sie ein wenig genauer zu betrachten.

Wie die Sphinxe am Haupttor wirkten die Mienen der Greifen vollkommen ausdruckslos, als spielten sie ein Spiel mit mir und wollten nicht verraten, was sie wirklich dachten. Die Greifen hatten immer so wild, so lebensecht gewirkt, doch im Moment erschienen sie mir einfach müde – müde und ein wenig traurig.

Mir lief ein Schauder über den Rücken. Irgendwie fand ich ihr ausdrucksloses Starren besonders unheimlich. Es wäre sogar besser gewesen, wenn sie mich mit Blicken aufgespießt hätten, als würden sie darüber nachdenken, aus ihren Steinhüllen auszubrechen und mich anzufallen. Das hatte ich ihnen immer zugetraut.

»Gwen?« Logan berührte meinen Arm.

»Ja, ja. Ich komme.«

Ich riss den Blick von den Greifen los, stapfte die Stufen nach oben und betrat zusammen mit meinen Freunden die Bibliothek.

Trotz ihres dunklen, unheilverkündenden Äußeren wirkte der Innenraum der Bibliothek der Altertümer leicht, luftig und offen. Das lag am weißen Marmor, der sich in jede Richtung erstreckte, und an der Kuppel, die sich über dem Hauptraum erhob. Ich sah nach oben. Monatelang hatte ich beim Blick an die Decke nur Schatten gesehen. Doch vor ein paar Wochen hatte Nike mir gezeigt, was unter der Dunkelheit lag – ein Fresko, das mich und meine Freunde in einer großen Schlacht zeigte, während jeder von uns ein oder zwei Artefakte hielt.

Heute Nachmittag glitzerte ein silberner Fleck durch die Schatten – das Mistelarmband mit den silbernen Lorbeerblättern daran, das ich momentan am Handgelenk trug. Meine Finger glitten zu dem Schmuckstück, und ich spielte an den Blättern herum und fragte mich wieder einmal, was ich mit ihnen anfangen sollte. Doch nach ein paar Sekunden zwang ich mich, das Metall wieder loszulassen. Mein Blick huschte zu Nikes Statue, die in dem runden Pantheon im ersten Stock stand, in dem alle Götter und Göttinnen aller Kulturen der Welt aufgereiht waren.

Ein langes, togaartiges Kleid lag um den Körper der Göttin, während sich hinter ihrem Rücken Flügel erhoben. Auf ihrem Kopf lag ein Kranz aus silbernem Lorbeer, unter dem ihre Haare in dichten Locken nach unten fielen. Nike sah aus wie immer, nur dass ihr Gesichtsausdruck so neutral war wie der der Greifen. Was auch immer vorging, die Göttin würde mir nichts verraten. Ich seufzte. Manchmal war es sogar noch frustrierender, Nikes Champion zu sein, als auf den nächsten Schnitterangriff zu warten.

»Komm schon, Gwen.« Daphne packte meinen Arm und zog mich weiter. »Lass es uns hinter uns bringen.«

Sie führte mich durch den Hauptgang und an den dunklen Regalreihen vorbei, die einen Großteil der Bibliothek füllten. Da heute Samstag war, standen die meisten Studiertische verlassen im Raum, genauso wie der Kaffeewagen zu unserer Rechten. Die meisten Schüler waren in Cypress Mountain, um Spaß zu haben. Um ihre Hausaufgaben würden sie sich erst am späten Sonntagnachmittag Sorgen machen. Morgen um dieselbe Zeit würde es keinen freien Platz mehr an den Tischen geben, und die Schlange am Kaffeewagen wäre sogar länger als die heute in Kaldis.

Doch mein Blick glitt an den leeren Tischen vorbei ans Ende der Regalreihe. Linus wartete bereits. Er stand neben dem Ausleihtresen in der Mitte des Raums vor dem durch Glaswände abgetrennten Bereich, in dem die Büros der Bibliothekare lagen. Ich spähte durch das Glas, konnte Nickamedes aber nicht an seinem Schreibtisch entdecken.

»Hier entlang.« Linus winkte uns heran. »Alle anderen warten bereits auf uns.«

Wir folgten ihm um den Bürokomplex in den hinteren Teil der Bibliothek. In diesem Bereich waren die Lichter gedimmt, und ich konnte es mir nicht verkneifen, in die Schatten zu spähen und meine Hand auf Vics Heft zu legen, weil ich mich fragte, ob sich wohl Schnitter zwischen den Regalen versteckten und uns durch die Buchreihen beobachteten. Allerdings entdeckte ich niemanden. Das tat ich nie – bis es zu spät war.

Ich dachte, die anderen würden vielleicht an den Studiertischen in diesem Teil der Bibliothek auf uns warten, doch dort saß niemand. Linus ging an den Tischen vorbei und führte uns zu einer Tür, die in eine Wand eingelassen war. Er zog einen altmodischen Eisenschlüssel aus einer der Taschen seiner grauen Robe und öffnete die Tür. Sie gab den Blick frei auf eine schmale Wendeltreppe, die nach unten führte.

»Super«, murmelte ich. »Noch ein unheimlicher Keller.«

Linus warf mir über die Schulter einen scharfen Blick zu, bevor er auf die Stufen trat. Ich seufzte, doch letztendlich hatte ich keine andere Wahl, als ihm mit Daphne und Carson zu folgen. Logan bildete die Nachhut und schloss die Tür hinter uns.

Tiefer, tiefer und immer tiefer stiegen wir, bis es schien, als wollten wir die andere Seite der Welt erreichen. Linus benutzte denselben Schlüssel, um noch ein paar weitere Türen zu öffnen, wobei er immer wieder irgendwelche Hokuspokus-Codewörter murmelte. Irgendwann erreichten wir das Ende der Treppe, gingen einen kurzen Flur entlang und betraten einen Raum.

Ich rechnete mit etwas wie dem Gefängnis im Keller des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gebäudes. Mit einem kahlen, deprimierenden, bedrückenden Zimmer. Doch hier hingen Dutzende Lampen von der Decke und tauchten alles in ein helles, goldenes Licht. Der Keller bestand aus einem einzigen, riesigen Saal, der offensichtlich genauso groß war wie der Hauptraum der Bibliothek und ihm auch sonst sehr ähnelte. Genau wie dort zogen sich auch hier so weit das Auge reichte Regalreihen durch den Raum, angeordnet im selben vertrauten Muster.

Doch diese Regale waren nicht mit Büchern gefüllt. Zumindest nicht alle. Stattdessen erstreckten sich hohe Vitrinenschränke bis zur Decke. Durch die Türen erkannte ich die verschiedensten Gegenstände, von Schwertern und Kampfstäben über edle Seidengewänder bis hin zu aufwendigen, mit Juwelen besetzten Kronen, die zweifellos irgendwann in grauer Vorzeit von Königen und Königinnen getragen worden waren.

»Wo sind wir hier?«, fragte ich.

»Das hier«, erklang eine vertraute Stimme irgendwo zwischen den Regalen, »ist meine Referenzsammlung.«

Ein leises Klack-klack-klack erklang, bei dem sich mein Herz vor Schuldgefühlen verkrampfte. Langsam humpelte ein Mann in Sicht, der sich auf einen Gehstock stützte. Er trug eine schwarze Hose und einen blauen Pullunder über einem weißen Hemd. Die Farben betonten sein tiefschwarzes Haar und seine eisblauen Augen, die mich immer so sehr an seinen Neffen erinnerten. Denn Nickamedes war nicht nur der oberste Bibliothekar, sondern außerdem Logans Onkel.

Nickamedes hielt vor mir an. Mein Blick huschte zu seinem Gehstock, und wieder durchfuhren mich Schuldgefühle. Vor ein paar Wochen hatte Nickamedes aus Versehen ein Gift geschluckt, das eigentlich für mich bestimmt gewesen war. Seitdem musste er diesen Stock benutzen. Ich war der Grund dafür, dass er Schmerzen hatte. Meinetwegen waren seine Beine beeinträchtigt, doch er lächelte mich trotzdem an. Ich wusste nicht, ob ich ihm an seiner Stelle ebenso hätte verzeihen können.

»Also wirklich, Gwendolyn«, sagte Nickamedes mit einem neckenden Unterton. »Ich hätte gedacht, das wäre ziemlich offensichtlich.«

Ich verdrehte theatralisch die Augen, um das Spiel mitzuspielen. »Nun, Sie kennen mich doch. Je offensichtlicher, desto weniger checke ich es.«

Nickamedes’ Miene hellte sich auf und er lachte leise. In letzter Zeit zeigte ich mich dem Bibliothekar fast immer von meiner besten Seite und bemühte mich, ihn so oft wie möglich zum Lachen zu bringen. Ich hoffte nur, dass meine Bemühungen dafür sorgten, dass er sich ein wenig besser fühlte.

Zumindest bis ich endlich herausfand, wie ich die silbernen Lorbeerblätter einsetzen konnte, um seine Beine zu heilen. Eir, die nordische Göttin der Heilung und der Gnade, hatte mir die Blätter gegeben und mir mitgeteilt, dass sie eine ungewöhnliche Fähigkeit besaßen – die Fähigkeit zu heilen oder zu zerstören, je nachdem, welchen Vorsatz die Person hatte, die sie benutzte. Ich hatte keine Ahnung, wie viele der Blätter nötig sein würden, um Loki zu töten, aber auf jeden Fall würde ich eines davon für Nickamedes aufbewahren. Nach dem, was er durchgemacht hatte – meinetwegen –, verdiente er es, wieder ganz gesund zu werden.

»Dann kommt jetzt«, sagte er. »Ich habe noch einiges zu erledigen, wenn dieses Meeting beendet ist.«

Nickamedes führte uns durch die Regale in die Mitte des Raums zu einem langen Konferenztisch. Der Tisch stand ungefähr an der Stelle, an der sich über unseren Köpfen der Ausleihtresen befand, was mein Déjà-vu-Gefühl nur noch verstärkte.

Zusätzlich zu Sergei und Inari saßen noch zwei Jungs in meinem Alter an dem Tisch. Einer hatte sandblondes Haar, grüne Augen und ein schelmisches Grinsen, während der andere aussah wie eine jüngere, schlankere Version von Sergei, mit braunem Haar, haselnussbraunen Augen und gebräunter Haut – Oliver Hector und Alexei Sokolov.

»Wurde auch langsam Zeit, dass ihr kommt«, witzelte Oliver. »Alexei und ich haben langsam schon geglaubt, ihr hättet euch verlaufen.«

Daphne schnaubte. »Bitte. Wir haben uns nicht verlaufen. Wir waren shoppen.«

»Das macht es kein bisschen besser«, gab Oliver zurück. »Ehrlich gesagt macht es das sogar schlimmer.«

Daphne starrte ihn böse an, was Oliver nur dazu brachte, noch breiter zu grinsen. Er zog einfach zu gerne Leute auf.

Daphne stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt lass mich dir mal was erzählen, Spartaner …«

Ich blendete ihr Hickhack aus und wanderte ans andere Ende des Tisches, wo ein Mann und eine Frau standen. Der Mann war groß und breit, mit tiefschwarzer Haut, Haaren und Augen. Trainer Ajax, der dafür verantwortlich war, allen Schülern auf Mythos beizubringen, wie sie mit ihren Waffen umzugehen hatten. Die Frau war viel kleiner, trug das schwarze Haar in einem engen Knoten und musterte mich aus freundlichen, grünen Augen hinter ihrer silbernen Brille. Professor Aurora Metis, meine Mentorin.

»Worum geht es hier?«, fragte ich Metis. »Was ist passiert?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nichts ist passiert, Gwen.«

Sie sagte nicht noch nicht, aber ich hatte den Eindruck, dass sie die Worte zumindest dachte. Oder vielleicht bildete ich mir das auch wieder nur ein, weil ich mir solche Sorgen machte.

Metis’ Blick glitt an mir vorbei, dann ging sie zu Nickamedes, der Probleme damit hatte, gleichzeitig seinen Gehstock festzuhalten und einen verklemmten Stuhl unter dem Tisch herauszuziehen. Metis löste den Stuhl, und Nickamedes ließ sich mit einem dankbaren Seufzen hineinsinken.

»Danke, Aurora.«

»Gern geschehen.«

Sie stand hinter ihm, also konnte Nickamedes nicht sehen, wie ihre Hand über seiner Schulter schwebte, als wollte sie ihn berühren. Vor ein paar Wochen, als Nickamedes vergiftet worden war, hatte ich Metis mit meiner Psychometrie geblitzt und dabei festgestellt, dass sie in Nickamedes verliebt war. Doch der Bibliothekar schien keine Ahnung von ihren Gefühlen zu haben. Ich hatte vorgehabt, ein wenig zu schnüffeln, um herauszufinden, ob er mit irgendwem ausging. Doch bei diesem schwierigen Thema war mir noch keine Möglichkeit eingefallen, es ihm gegenüber anzusprechen. Besonders da Nickamedes zu seiner Schulzeit in meine Mom verliebt gewesen war.

Vielleicht hatte Metis ihm deswegen nie gesagt, was sie empfand. Vielleicht verhielt sich die Professorin immer noch loyal gegenüber Grace Frost, ihrer besten Freundin, obwohl meine Mutter letztes Jahr von Vivian ermordet worden war …

»Nachdem wir jetzt alle hier sind, setzt euch bitte und lasst uns anfangen.«

Alle suchten sich einen Platz am Tisch. Sobald wir saßen, trat Linus mit großen Schritten ans Kopfende und drehte sich zu uns um. Er mochte ja nicht gerade mein großer Liebling sein, aber ich musste zugeben, dass er einen eindrucksvollen Anblick abgab mit der grauen Protektoratsrobe, die seine Beine umwehte, und einem langen Schwert in einer schwarzen Lederscheide an der Hüfte. Sollte es überhaupt jemanden geben, der gegen Agrona und die anderen Schnitter kämpfen und auch noch gewinnen konnte, dann war es sicher Linus Quinn.

»Was ist los, Dad?«, fragte Logan. »Was konntest du uns vorhin nicht sagen?«

»Ja, oder zumindest im Erdgeschoss, wo es viel wärmer war.« Daphne zitterte und verschränkte die Arme vor der Brust.

Linus zögerte, als suche er nach den richtigen Worten. Dann atmete er tief durch. »Morgen kommt am Flughafen in Cypress Mountain eine ganze Ladung Artefakte an«, erklärte er schließlich. »Die Gegenstände wurden in dem Skihotel gefunden, das die Schnitter im Staat New York als Unterschlupf genutzt haben.«

Logan nickte. Er war bei seinem Dad, Sergei und Inari gewesen, als sie den Unterschlupf gefunden und gegen die Schnitter im Hotel gekämpft hatten. Logan hatte mir von den Artefakten erzählt, die er in einem Arbeitszimmer gefunden hatte. Es waren ein paar ziemlich ungewöhnliche Gegenstände darunter gewesen.

»Wir haben beschlossen, alles zur sicheren Verwahrung in die Bibliothek der Altertümer zu bringen«, sagte Linus.

Ich konnte mein Schnauben einfach nicht unterdrücken. Meiner Erfahrung nach war die Bibliothek der gefährlichste Ort auf dem gesamten Campus – nicht der sicherste. Absolut nicht.

»Die Bibliothek stellt im Moment den sichersten Verwahrungsort für die Artefakte dar«, sagte Linus, der mein abfälliges Schnauben durchaus gehört hatte. »Trotz Ihrer offensichtlich anderslautenden Meinung, Miss Frost.«

Er zog eine Augenbraue hoch, doch ich zuckte als Antwort nur mit den Achseln. Die Schnitter waren schon mehrmals in die Bibliothek eingedrungen, um Artefakte zu stehlen, und ich konnte mir kaum vorstellen, dass es diesmal anders laufen würde. Zweifellos würden sie es wieder versuchen, sobald sie erfuhren, dass man die Artefakte hierhergebracht hatte. Ich dachte an die drei Kerle im Café und ihre Wette, dass die Schnitter den Valentinsball sprengen würden. Vielleicht sollte ich mich an der Wette beteiligen und ein paar Dollar verdienen. Denn der Ball stellte für die Schnitter die perfekte Gelegenheit dar, wieder mal in die Bibliothek einzubrechen.

»Die Lieferung kommt morgen Mittag an«, fuhr Linus fort. »Und die Mitglieder des Protektorats werden dort sein, um die Artefakte auf ihrem Weg vom Flughafen auf den Campus zu bewachen.«

»Deswegen hast du so viele Männer mitgebracht«, meinte Logan. »Um die Artefakte zu bewachen.«

Linus nickte.

»Und was erzählst du uns nicht?«, fragte Metis.

»Genau«, schaltete Nickamedes sich ein, wobei er um einiges sarkastischer klang als die Professorin. »Artefakte zu bewachen ist ja gut und schön, aber dafür brauchst du nicht massenweise Autos voller Leute. Was ist wirklich los?«

Linus verzog das Gesicht, als würde es ihn stören, dass sie bereits durchschaut hatten, dass er etwas verschwieg. Doch dann nickte er. »Es scheint, als wären die Schnitter an einem oder mehreren Artefakten sehr interessiert. Sie haben bereits einmal versucht, die Lieferung zu stehlen, als wir sie aus der Akademie in New York geholt haben. Bei diesem Angriff wurden drei meiner Männer getötet.«

»Und du glaubst, die Schnitter werden einen weiteren Versuch starten«, brummte Ajax.

Linus nickte. »In der Tat.«

»Und dann haben Sie diese Artefakte hierhergebracht?«, fragte Daphne. »Warum? Sie wissen schon, dass hier quasi, na ja, der Haupttreffpunkt der Schnitter ist, oder?«

Linus ignorierte sie. Stattdessen starrte er mich an. Plötzlich verstand ich, warum er die Artefakte tatsächlich herbrachte – und welche Rolle ich dabei spielen sollte.

»Sie wollen, dass ich die Gegenstände blitze«, meinte ich ausdruckslos. »Sie wollen, dass ich meine Psychometrie auf die Artefakte anwende, um herauszufinden, warum die Schnitter sie so dringend in die Finger bekommen wollen.«

»Ja«, antwortete Linus. »Das ist genau das, was ich von Ihnen möchte, Miss Frost.«

Niemand sprach, aber alle starrten erst mich und dann Linus an. Wieder einmal spielte ich an den silbernen Lorbeerblättern an meinem Armband herum. Manchmal hatte ich das Gefühl, mein gesamtes Leben drehe sich nur um Artefakte und all die dämlichen Rätsel, die mit ihnen verknüpft waren.

Logan schüttelte den Kopf. »Nein, Dad. Nein. Du kannst nicht erwarten, dass Gwen ihre Magie so einsetzt. Besonders nicht, ohne sie vorher zu fragen. Wer weiß schon, welche Erinnerungen und Gefühle mit diesen Artefakten verbunden sind? Es kann nichts Gutes sein. Nicht wenn die Schnitter es auf eines oder mehrere davon abgesehen haben.«

Linus’ Miene wurde hart. »Mir gefällt das kein bisschen mehr als dir, Sohn. Aber du hast die Schnitter nicht gesehen. Sie haben wirklich all ihre Kräfte eingesetzt, um diese Artefakte zu bekommen. Ich will wissen, warum. Ich will wissen, was an den Gegenständen so wichtig ist, dass sie so viele ihrer eigenen Krieger dafür opfern. Und Miss Frost ist die Einzige, die mir diese Antworten liefern kann.«

Logan öffnete den Mund, um mit seinem Dad zu diskutieren, doch ich hob die Hand, um ihn zu stoppen.

»Es ist okay«, sagte ich. »Ich werde es machen. Was ich sehe oder fühle, kann kaum schlimmer sein als die Dinge, die wir schon durchgemacht haben, oder?«

Logan presste die Lippen aufeinander. Er sah mich kurz an, dann bedachte er seinen Vater mit grimmigen Blicken.

»Es ist okay«, wiederholte ich. »Wirklich. Es wird schon laufen. Ich will das machen. Agrona und Vivian … nun, sie waren uns immer einen Schritt voraus. Jetzt klingt es, als könnten wir es endlich schaffen, ihnen mal einen Schritt voraus zu sein. Richtig, Mr. Quinn?«

»Genau so ist es, Miss Frost«, antwortete Linus. »Ich bin froh, dass Sie das verstehen.«

Ich verstand durchaus, aber das bedeutete noch lange nicht, dass es mir gefiel. Doch ein Champion zu sein bedeutete, Opfer zu bringen. Und meine Magie dafür einzusetzen, ein Artefakt zu blitzen, bedeutete eigentlich, einen ziemlich geringen Preis zu zahlen – wenn man bedachte, was ich in den letzten Monaten alles getan und gesehen hatte. Die geliebten Personen, die ich verloren hatte, die Kämpfe, die ich geschlagen hatte, die Jugendlichen in meinem eigenen Alter, die ich hatte umbringen müssen, nur um zu überleben. Nein, wenn man das große Ganze sah, war das eigentlich gar nichts. Tatsächlich spürte ich eher Überraschung darüber, dass es um nichts Schlimmeres ging.

Aber vielleicht machte ich mir da auch nur etwas vor.

»Mir wäre es lieb, wenn Miss Frost sich die Artefakte so schnell wie möglich ansieht«, erklärte Linus. »Ich hatte gehofft, sie könnte mich und meine Männer morgen an den Flughafen begleiten.«

Diesmal sah ich zu Metis, als wollte ich ihre Erlaubnis einholen. Die Professorin blickte mich nur an.

»Es ist deine Entscheidung, Gwen«, sagte sie.

»Ist okay. Ich gehe mit. Vielleicht kann ich das Artefakt direkt erkennen, ohne sie alle anzufassen.« Ich bezweifelte es, aber meine Erklärung schien ein paar der Sorgenfalten in Metis’ Gesicht zu glätten.

»Dann gehe ich auch«, erklärte Logan.

Linus öffnete den Mund, als wollte er widersprechen, doch nach einem Moment nickte er seufzend. »Ich hätte von meinem Sohn nichts anderes erwartet.« Ein stolzer Unterton schlich sich in seine Stimme, und er schenkte Logan ein vorsichtiges Lächeln.

Logan nickte seinem Dad zu, und die Spannung zwischen den beiden ließ ein wenig nach.

»Da wäre noch etwas.« Linus griff nach ein paar Ordnern am Ende des Tisches und gab mir, Metis und Nickamedes jeweils einen davon. »Ich dachte, ihr wollt euch die Artefakte vielleicht schon vor der Lieferung morgen ansehen. Ich möchte so schnell wie möglich wissen, worauf die Schnitter es abgesehen haben könnten.«

Ich öffnete den Ordner und blätterte durch die darin abgehefteten Fotos. Ein paar Waffen, verschiedene Schmuckstücke, eine halb heruntergebrannte Kerze. Die Artefakte sahen genauso aus, wie Logan sie mir beschrieben hatte. Ich musterte jedes Foto genau, doch es waren nur Bilder auf Glanzpapier, und ich konnte keinerlei Schwingungen davon auffangen. Nicht auf die Art, wie ich es tun würde, sobald ich die Gegenstände persönlich sehen und anfassen konnte.

»Miss Frost?«, fragte Linus.

Ich schüttelte den Kopf und klappte den Ordner zu. »Mir fällt nichts Besonderes auf.«

»Nun, ich nehme an, ich habe mir zu viel erhofft. Aber vielen Dank, dass Sie sich die Bilder angesehen haben.«

»Gern geschehen.«

»Wäre das dann alles?«, fragte Nickamedes genauso bissig wie vorhin.

Linus zögerte. »Ich muss euch nicht sagen, dass wir im Kampf gegen die Schnitter einen kritischen Punkt erreicht haben. Jetzt, da Loki frei ist, sind sie viel kühner geworden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie immer größere Gruppen angreifen. Vielleicht sogar eine der Akademien. Dieses Artefakt zu finden könnte unsere Chance darstellen, das Blatt endlich zu wenden. Und ihr wisst alle, wie wichtig das ist.«

Er sprach mit allen, doch sein Blick ruhte unverwandt auf mir. Und wieder spürte ich, wie diese Mischung aus Sorge und Entschlossenheit von ihm ausging. Zum ersten Mal verstand ich, was Linus bereits wusste; was er gerade allen klarmachen wollte, auch wenn er sich noch nicht dazu überwunden hatte, die Worte wirklich auszusprechen.

Wenn wir nicht herausfanden, auf welches Artefakt die Schnitter es abgesehen hatten und warum, bestand die Gefahr, dass wir alles verloren.

Das Meeting löste sich auf, und wir gingen getrennter Wege.

Logan sah erst mich an, dann seinen Dad, der sich mit Sergei, Inari, Metis, Ajax und Nickamedes unterhielt.

»Es ist okay«, sagte ich, als ich den Zwiespalt in seiner Miene sah. Er wusste nicht, ob er mit mir gehen oder hierbleiben sollte. »Geh und verbring ein wenig Zeit mit deinem Dad. Daphne und Carson werden mich zurück ins Wohnheim bringen.«

Logan atmete erleichtert auf. »Danke, Gypsymädchen. Ich rufe dich später an, okay?«

Ich nickte. Wir küssten uns, dann ging er zu seinem Dad und schloss sich dem Gespräch zwischen den Erwachsenen an. Oliver und Alexei blieben ebenfalls.

Immer noch mit dem Ordner mit den Fotos in der Hand verließ ich zusammen mit Daphne und Carson den Kellerraum und stieg die Wendeltreppe ins Erdgeschoss hinauf. Wir sprachen nicht, als wir die Bibliothek verließen und auf den Hof traten. Während unseres Aufenthalts im Keller war die Sonne untergegangen. Schatten lagen auf den Rasenflächen und erstreckten sich unter den kahlen, blattlosen Bäumen wie schwarzes Blut, das alles bedeckte. Ich zitterte, und das lag nicht an der eisigen Kälte.

»In Ordnung, Gwen«, sagte Daphne schließlich, als wir uns auf den Weg zu meinem Wohnheim machten. »Spuck es aus. Hinter welchem der Artefakte sind die Schnitter nun wirklich her?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich konnte von den Fotos keine Schwingungen auffangen, und keines der Bilder hat sich bewegt oder irgendetwas Unheimliches getan. Ich werde die Artefakte persönlich anschauen müssen, um etwas sagen zu können.«

Daphne bedachte mich mit einem misstrauischen Blick.

»Wirklich«, beharrte ich. »Ich weiß nicht, hinter was sie her sind. Zumindest noch nicht.«

»Aber du kannst es mit deiner Psychometrie herausfinden, richtig?«, fragte Carson. »Sobald du die Artefakte siehst und berührst?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich nehme an, das muss ich wohl.«

Mehr sprachen wir nicht, und schon ein paar Minuten später erreichten wir mein Wohnheim, Styx. Ich verabschiedete mich von meinen Freunden, zog meine Karte durch den Leser an der Tür und zog mich für die Nacht zurück.

Ich stapfte die Stufen zu meinem Zimmer nach oben, das in einem Türmchen an einer Seite des Gebäudes lag. Dann öffnete ich die Tür und betrat den Raum.

Alle Schüler auf Mythos hatten ungefähr dieselben Möbel in ihren Zimmern, und mein Zimmer bildete mit Bett, Bücherregalen, Fernseher, kleinem Kühlschrank und Schreibtisch keine Ausnahme. Doch die kleinen, persönlichen Dekorationen sorgten dafür, dass es zu einem Zuhause wurde. Wie die Bilder von meiner Mom und Metis als junge Mädchen, die auf meinem Schreibtisch standen, zusammen mit einer kleinen Statue von Nike. An den Wänden hingen Poster von Wonder Woman, Karma Girl und The Killers, während vor dem Fenster glitzernde Kristalle in der Form von Schneeflocken hingen.

Als die Tür sich mit einem Klicken schloss, bewegte sich etwas in einem Weidenkorb in der Ecke. Einen Moment später explodierte ein Blitz aus grauem Fell aus dem Korb, sprang quer durch den Raum und landete auf meinem rechten Turnschuh. Nyx, die kleine Fenriswölfin, um die ich mich kümmerte, vergrub ihre Zähne in einem meiner Schuhbänder und zerrte daran, bis es riss. Ihre Zähne wurden mit jedem Tag schärfer.

Ich lachte, beugte mich vor und kraulte sie zwischen den Ohren. Nyx seufzte vor Wonne und lehnte sich in meine Berührung, während ihr Schwanz gegen meine Beine schlug.

Nach einer kurzen Schmuserunde durchquerte ich den Raum, löste den Gürtel der schwarzen Lederscheide von meiner Hüfte und lehnte Vic ans Kopfende des Bettes. Nyx gab ein glückliches, hohes Bellen von sich, sprang aufs Bett, richtete sich auf die Hinterbeine auf und leckte dem Schwert die Wange. Vic riss sein Auge auf.

»Igitt, Fellknäuel!«, murrte er. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich nicht ablecken sollst, wenn du so schlechten Atem hast?«

Nyx jaulte noch einmal und leckte ihm ein weiteres Mal über das Gesicht. Vic moserte leise vor sich hin, doch gleichzeitig verzog sich sein halbes Gesicht zu einem Lächeln. Er hätte es niemals zugegeben, aber er liebte die kleine Wölfin genauso sehr wie ich.

Ich ließ mich neben den beiden aufs Bett fallen, zog die Beine in den Schneidersitz und öffnete erneut den Ordner mit den Fotos.

»Ich nehme an, du hast die Gespräche im Keller der Bibliothek mitbekommen?«, fragte ich das Schwert. »Dass die Schnitter dringend dieses mysteriöse Artefakt in die Hände bekommen wollen?«

»Japp«, antwortete Vic.

»Was glaubst du, wohinter sie her sind?«, fragte ich und hielt ihm ein Foto nach dem anderen vors Gesicht, damit er sie anschauen konnte. »Nach dem, was Logan mir erzählt hat, scheint keines der Artefakte besonders mächtig zu sein.«

»Du weißt, dass das gar nichts bedeutet«, erklärte Vic, sein purpurgraues Auge auf die Bilder gerichtet. »Nimm nur das Armband an deinem Handgelenk. Wer würde schon glauben, dass diese silbernen Lorbeerblätter jemanden entweder heilen oder umbringen können? Besonders einen Gott?«

Damit hatte er nicht ganz unrecht. Ich fragte mich, ob ich Linus hätte erzählen müssen, dass ich ebenfalls ein Artefakt besaß, das die Schnitter nur zu gern in die Finger bekommen würden, sollten sie je von seiner Existenz erfahren. Das war eines der vielen Geheimnisse, die ich hütete. Ich hatte meinen Freunden nichts von dem Armband erzählt, sondern nur behauptet, ich hätte es in den Eir-Ruinen gefunden. Ich hatte ihnen auch nicht gesagt, dass ich Loki töten sollte, auch wenn Grandma Frost und Professor Metis davon wussten.

»Ich bin mir nicht sicher«, meinte Vic nachdenklich, nachdem ich ihm das letzte Foto gezeigt hatte. »Die Schnitter könnten hinter jedem davon her sein. Jeder dieser Gegenstände könnte mehr Macht besitzen, als das Protektorat glaubt. Was sagt deine Gypsygabe?«

»Im Moment gar nichts. Ich nehme an, ich muss einfach warten, bis ich die Artefakte morgen persönlich begutachten kann.«

Ich stopfte die Fotos zurück in den Ordner und legte ihn auf meinen Schreibtisch. Vic redete wieder auf Nyx ein, in dem Versuch, sie von weiteren Leckattacken abzuhalten, während ich mich durch den Raum bewegte, duschte, meinen Pyjama anzog und mich insgesamt bettfertig machte. Als ich schließlich bereit war, hatte die kleine Wölfin den Schwanz um Vic geschlungen und sie schnarchten beide. Ich ließ sie schlafen.

Ich schnappte mir eine Wolldecke, rollte mich auf dem Fenstersitz zusammen, schob die Vorhänge zurück und sah nach draußen. Unter mir, versteckt im Schatten eines großen Ahornbaums, hielt Aiko – Ninja und Protektoratsmitglied – wie jede Nacht vor meinem Wohnheim Wache.

Ich ließ den Blick schweifen, doch ich sah nur Schatten, die hier und dort von einem Flecken Schnee durchbrochen wurden, die nach dem letzten Wintersturm vor ein paar Tagen noch den Boden bedeckten. Die Nacht war so kalt, dass mörderischer Frost alles überzog, vom Gras über die Bäume bis zu den gepflasterten Wegen, die sich zwischen ihnen hindurchwanden. Der Raureif setzte scharfe silberne Akzente in der dunklen Landschaft. Der Frost war auch an meinem Fenster hinaufgekrochen und hatte Eisblumen in der Form von kleinen Schneeflocken am Rand der Scheibe gebildet.

Alles erschien still, kalt und ruhig. Trotzdem konnte ich nicht anders, als grübelnd durch den Raureif in die Nacht zu starren und mich zu fragen, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die Schnitter das nächste Mal angriffen.

Am Mittag des nächsten Tages fand ich mich auf dem Rollfeld des Flughafens in Cypress Mountain wieder, wo ich in der Kälte zitterte. Die Sonne hatte sich für den Tag bereits zurückgezogen und war hinter einer Wand aus unheilschwangeren, dunkelgrauen Wolken verschwunden, die den Himmel bedeckten, als hätte jemand eine Protektoratsrobe zwischen den Gipfeln der umliegenden Berge gespannt. Der Privatjet des Protektorats, in dem sich die Artefakte befanden, war vor einer Viertelstunde gelandet, aber die Wachen brauchten ewig, die Kisten auszuladen. Deswegen stand ich hier herum und fror mir den Hintern ab.

Ich schob mein Kinn tiefer in den dunkelgrauen Schal mit dem silbernen Schneeflockenmuster, der um meinen Hals lag. Allerdings half das nicht viel, da ständig ein scharfer Winterwind über den Beton pfiff und kleine Schneeflocken herumwirbelte.

Ein Arm legte sich um meine Schultern, und als ich aufsah, blickte ich in Olivers grinsendes Gesicht.

»Entspann dich, Gwen«, sagte er. »In ein paar Minuten haben sie sicher alles aus dem Flugzeug ausgeladen.«

»Du meinst, noch bevor ich erfriere?«, murrte ich.

Ende der Leseprobe