Sense of Winter - Jennifer Estep - E-Book

Sense of Winter E-Book

Jennifer Estep

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Beschreibung

Ein explosives Weihnachtsabenteuer! Selbst Spione nehmen sich über Weihnachten frei! Das gilt aber nicht für Charlotte Locke und Desmond Percy. Statt die Weihnachtszeit in Washington D.C. zu genießen, befinden sie sich auf einem Außeneinsatz in einem Schloss in den deutschen Alpen und schleusen sich auf einer eleganten Weihnachtsfeier ein. Ihre Mission? Informationen über magische Waffen sammeln und ihre Erzfeindin ausschalten. Doch trotz all des glitzernden Prunks und der weihnachtlich funkelnden Lichter wird Charlotte das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt − und dass sie die Party vielleicht nicht lebend verlassen wird. Section 47: Band 1: Sense of Danger Band 2: Sense of Winter

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

© Jennifer Estep 2022

Published by Arrangement with Jennifer Estep

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Sugar Plum Spies«, Selbstpubliziert, 2022

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Regina Jooß

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München

Coverabbildung: Shelley Richmond / Trevillion Images; Getty Images / Buena Vista Images; FinePic®, München

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

1

Charlotte

2

Desmond

3

Charlotte

4

Desmond

5

Charlotte

6

Desmond

7

Charlotte

8

Desmond

9

Charlotte

10

Desmond

11

Charlotte

12

Desmond

13

Charlotte

14

Desmond

15

Charlotte

16

Desmond

Epilog

Gabriel

Die Weihnachtsplaylist von »Sense of Winter«

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für alle Fans, die weitere Bücher aus der Section 47-Reihe haben wollten – das ist für euch.

Für meine Mom – für alles.

Für Karen – die, wie Charlotte, kein Grünzeug mochte. Du wirst schmerzlich vermisst.

1

Charlotte

Man erkannte Verbrecher immer an ihren Spielzeugen.

Schicke Autos, riesige Jachten, Privatflugzeuge, teure Kunstwerke. Meiner Erfahrung nach stellten die meisten Kriminellen ihren unrechtmäßig erworbenen Reichtum nur zu gern zur Schau. Für viele war das eine nicht allzu subtile Möglichkeit, allen anderen – besonders ihren Rivalen – unter die Nase zu reiben, wie klug, vermögend, stark und erfolgreich sie waren. Paranormale Kriminelle – also Verbrecher mit magischen Fähigkeiten – neigten sogar zu noch mehr Prunk und Protz und noch verschwenderischen Spielzeugen.

Wie Burg Tannenbaum.

Ich stand am hinteren Ende des riesigen Ballsaals, der einen Großteil des ersten Stockwerks der weitläufigen Burg einnahm. Kristalllüster tauchten den Saal in ein sanftes, warmes Licht, das die weißen Marmorböden und farbenfrohen Wandbehänge bestmöglich zur Geltung brachte. Dicke Girlanden aus Nadelzweigen geschmückt mit silbernen Schleifen hingen von der Galerie wie Zuckerguss. Hoch über den Dekorationen glänzten silberne Blätter im atemberaubenden Deckenfresko eines schneebedeckten Waldes, in dessen Mitte eine Stuckkrone in Form eines Tannenbaumes prangte.

Die Bilder, die ich bisher vom Ballsaal gesehen hatte, wurden ihm nicht ansatzweise gerecht. Schließlich war da ja noch die aufwendige Theaterbühne am vorderen Ende des riesigen Raums.

An der Vorderseite der Mahagoniplattform prangten detailreiche Mosaike von Sternen, Schneeflocken und Nadelbäumen – Spiegelbilder der Darstellungen im Deckenfresko. Zusätzlich leuchteten Buntglassplitter im dunklen Holz wie Diamanten, Saphire und Smaragde. Weiße Marmorsäulen, die mit roten Bändern umwickelt waren, sodass sie ein wenig an riesige Zuckerstangen erinnerten, rahmten die Bühne ein. Sie stützten einen breiten Steinfries, auf dem noch mehr weiße Sterne, blaue Schneeflocken und grüne Bäume prangten. Wie das Dach eines kleinen Tempels schloss er die Fläche nach oben ab.

Auf beiden Seiten der Bühne führten Treppen hinauf. Die schweren, blauen Brokatvorhänge waren zur Seite gezogen, um den Blick auf eine Weihnachtsszene freizugeben, an deren hinterem Rand ein zehn Meter hoher Weihnachtsbaum aufragte. Tausende weißer Lichter glitzerten auf den Ästen, die zudem mit silbernen Sternen, blauen Schneeflocken und roten Glasglocken geschmückt waren.

Um den Fuß des Baums waren übergroße Geschenke mit blauen, roten und grünen Schleifen angehäuft. Vor dem Hintergrund, der wie ein Nachthimmel gestaltet war, ragten riesige Nussknacker auf. Die Figuren hielten verschiedenste Dinge in den Händen, von Zuckerstangen über silberne Glöckchen bis hin zu feierlichen Gestecken. Auf der rechten Seite der Bühne stand ein einzelner, über drei Meter großer Nussknacker mit einem silbernen Schwert. Auch im Ballsaal waren weitere Nussknacker verteilt … als wären sie von der Bühne gesprungen und dann erstarrt.

Später am Abend sollte eine Balletttruppe als Teil der Weihnachtsfeier Szenen aus dem Nussknacker aufführen. Offensichtlich hatten die Dekorateure dieses Motto begeistert umgesetzt. Ich beäugte eine Nussknacker-Gruppe in der Nähe. Mit ihren glänzenden, schwarzen Hüten, den aufgemalten Schnurrbärten, den hängenden weißen Kinnbärten und den riesigen Zähnen wirkten die Figuren wie grinsende Monster, die jeden beißen würden, der ihnen zu nahe kam …

Direkt vor meinem Gesicht schnippte irgendjemand mit den Fingern und riss mich damit aus meinen bissigen Gedanken. Ein Mann mit einer schwarzen Jacke, die ihn als Chefkoch auswies, musterte mich abfällig. Er war vielleicht zehn Jahre älter als ich, also Mitte vierzig, mit dunkelbraunem Haar und ebensolchen Augen, rötlicher Haut und einem dünnen Schnurrbart, der im Moment genervt zuckte.

»Pass auf«, sagte Jacques Cadieux mit einem leichten französischen Akzent. »Du bist zum Arbeiten hier, nicht um die Deko anzustarren.«

»Ja, Chef«, antwortete ich.

Jacques bedachte mich noch mit einem misstrauischen Blick, dann zog er weiter, um den Rest des Servicepersonals zu kritisieren. Passend zum Nussknacker-Motto trugen wir alle dieselben Uniformen: kurze, marineblaue Jacketts mit glänzenden, silbernen Knöpfen, enge, weiße Hosen und kniehohe, schwarze Stiefel.

Ich schob einen Zeigefinger unter das Kinnband, das den schwarzen Hut auf meinem Kopf hielt, dann hob ich die Hand und kratzte mich unter der Krempe. Ich hasste Hüte. Darunter juckte meine Kopfhaut jedes Mal wie verrückt. Doch Verkleidungen gehörten für eine Spionin wie mich einfach dazu. Zumindest waren die Stiefel halbwegs bequem, auch wenn ich lieber meine gewohnten Turnschuhe getragen hätte. Schließlich wusste man nie, wann man vor einem Feind weglaufen musste.

Chefkoch Jacques beendete seine Inspektion, dann deutete er auf eine Seitentür, die in eine der vielen Küchen der Burg führte. In der Ferne erklang das leise Klirren von Gläsern, unterlegt vom dumpfen Klappern der Pfannen und Töpfe. Das köstliche Aroma von warmer Butter, süßer Vanille und würzigem Zimt erfüllte die Luft und überlagerte sogar den Geruch von Tannennadeln, der von der Bühne heranwehte. Mein Magen knurrte und erinnerte mich so daran, dass ich es nicht geschafft hatte, mir in der Küche etwas zu essen zu besorgen, bevor wir in den Saal geführt worden waren.

»Ihr werdet die Gäste prompt und professionell bedienen«, blaffte Jacques. »Nicht mit ihnen flirten und euch zum Narren machen. Ich werde nicht zulassen, dass mein Essen durch eure Trägheit kalt wird und mein Ruf leidet. Habt ihr mich verstanden?«

»Ja, Chef«, antwortete das gesamte Personal wie aus einem Mund.

Die Frau neben mir verdrehte die Augen. Als ich ihr zuzwinkerte, kicherte sie. Jacques wirbelte zu uns herum. Die Frau presste die Lippen aufeinander, um ein weiteres Kichern zu unterdrücken. Der Küchenchef beäugte uns einen Moment, dann stapfte er zu einem Tisch an der Wand und befahl den Bediensteten dort, die Türme aus Champagnerflöten neu zu arrangieren.

Die Frau wandte sich an mich. Sie sah aus wie Mitte zwanzig und war ziemlich hübsch, mit dunkelbraunem, kurz geschnittenem Haar, haselnussbraunen Augen und gebräunter Haut. »Ich bin Maria Basu.«

»Charlotte Heldin«, antwortete ich unter Verwendung meines Decknamens. »Hast du schon öfter in der Burg gearbeitet?«

Maria strahlte. »Oh, ja! Ich lebe im Dorf, daher arbeite ich oft hier auf der Burg. Manchmal spiele ich den Babysitter für die Eisen-Familie … aber meistens werde ich hier im Ballsaal zum Servieren von Drinks eingesetzt. Die Eisens veranstalten wirklich gern große Partys, besonders zu dieser Jahreszeit.« Wieder kicherte sie.

Burg Tannenbaum lag auf der Spitze eines Berges mit demselben Namen in den bayrischen Alpen im Süden Deutschlands. Das Dorf darunter hieß Tannenstand. Das Dorf war so pittoresk wie die Burg protzig. Die gesamte Gegend erinnerte an ein Märchenbilderbuch, besonders mit den allgegenwärtigen Weihnachtsdekorationen und dem Schnee, der letzte Nacht gefallen war. Heute Abend sollte ein Tief heranziehen, das Berg und Dorf in noch mehr Weiß hüllen würde.

Ich hatte die letzten drei Tage im Dorfhotel verbracht, jede Menge Gebäck in mich hineingeschaufelt und mich auf die Mission des heutigen Abends vorbereitet – was beinhaltet hatte, mir einen Catering-Job auf der Burg zu besorgen. Gestern Morgen war ich zum Personalbüro der Burg im Dorf gewandert und hatte der Verantwortlichen dort eine rührselige Geschichte erzählt: dass ich eine Kellnerin auf Arbeitssuche wäre und nach einer fürchterlichen Trennung von meinem deutschen Freund dringend Geld brauchte. Zu Hause in Washington, D. C. hatte ich stundenweise als Kellnerin im Moondust Diner gearbeitet, also enthielt mein alternativer Lebenslauf zumindest ein Körnchen Wahrheit.

Die Verantwortliche hatte selbst gerade erst eine unschöne Scheidung hinter sich, daher hatte sie mich nur zu gern angestellt. Sie hatte sogar versucht, mir Geld vorzuschießen, was ich allerdings höflich abgelehnt hatte. Die Deutschen waren in solchen Situationen wirklich freundlich, großzügig und fürsorglich.

Vor ein paar Stunden war ich dann mit anderen Leuten in einen Van gestiegen, um mich über die schmale, gewundene Bergstraße zur Burg fahren zu lassen. Die wichtigeren Angestellten – wie Chef Jacques – hatten die schnellere Transportmöglichkeit genutzt und waren in einer großzügigen Gondel der Seilbahn befördert worden.

In der Burg waren wir in eine Umkleide geführt worden, wo ich meine normale Kleidung in einem Spind verstaut hatte, um in die Uniform zu schlüpfen. Maskenbildnerinnen hatten uns rauchige Augen, pinkfarbene Wangen und rote Lippen verliehen, dann hatte man uns einmal durch die Küche und schließlich in den Ballsaal geführt.

Ich war zwar gekleidet wie ein Nussknacker und gab vor, Kellnerin zu sein … In Wirklichkeit aber war ich Charlotte Locke, Analystin für die Section 47, eine geheime Spionageagentur, die Informationen sammelte und einsetzte, um Terrorangriffe und Attacken auf die Infrastruktur zu verhindern – besonders Angriffe, die von Paranormalen mit Magie und magisch verstärkter Waffentechnologie verübt werden sollten.

Paranormale besaßen siebenundvierzig Chromosomen, während normale Sterbliche nur sechsundvierzig hatten oder zwei Paar mit jeweils dreiundzwanzig. Section 47 hatte sich nach dem siebenundvierzigsten Chromosom benannt – diesem zusätzlichen Stück DNA, das den Paranormalen vermutlich ihre zusätzliche Stärke und Geschwindigkeit verlieh – oder unzählige andere erstaunliche, zerstörerische und tödliche Fähigkeiten.

Meine besondere Fähigkeit? Ich besaß eine magische Form von Synästhesie, die es mir erlaubte, Tippfehler, Zahlendreher und andere Fehler aufzuspüren … was sehr hilfreich war, wenn man Bankdaten, Bestellhistorien und andere digitale Daten durchging, die Kriminelle, Terroristen und sonstige anrüchige Gestalten produzierten. Meistens konnte ich mit nur einem Blick auf ein Dokument erkennen, ob jemand nur aus Versehen einen Fehler gemacht hatte – wie beim Abtippen einer Telefonnummer eine Zahl an die falsche Stelle geschrieben – oder ob diese Person ihre Steuererklärung absichtlich frisiert hatte oder sogar Unternehmensbetrug im großen Stil betrieb.

»Achtung!«, rief Jacques. »Die Gäste werden jeden Moment eingelassen! Auf eure Plätze!«

Mit wedelnden Handbewegungen zeigte er zu dem Getränketisch. Sofort eilten alle dorthin, packten sich je ein Silbertablett voller Champagnerflöten und reihten sich an der Wand auf. Maria und ich waren die Letzten in der Reihe. Wieder warf Jacques mir einen bösen Blick zu. Sein dünner Schnurrbart zuckte noch missbilligender als bisher.

Gefahr-Gefahr-Gefahr.

Meine Synästhesie ließ mich nicht nur Rechtschreibfehler und Manipulationen erkennen, sie verlieh mir auch einen verstärkten Gefahrensinn –, sodass mich in Gegenwart von Meuchelmördern, anderen Spionen oder sonstigen gefährlichen Personen oft eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf warnte.

Wie diesmal angesichts eines wütenden Küchenchefs.

Ich nahm Haltung an, doch die abrupte Bewegung brachte die Gläser auf meinem Tablett zum Schwanken. Ich schaffte es, ein Unglück zu verhindern, aber aus einigen Gläsern schwappte Champagner auf das Tablett.

Jacques warf mir den nächsten bösen Blick zu. »Imbécile«, murmelte er, und durch seinen französischen Akzent klang die Beleidigung noch fieser.

Meine Antwort bestand aus einem freundlichen Lächeln. Jacques Cadieux’ gemeine Blicke und unhöfliche Kommentare waren zuckersüß, im Vergleich zu denen von Zeeta Kowalski, der über siebzigjährigen Besitzerin des Moondust Diners, die mit nur wenigen Worten selbst die erfahrenste Kellnerin zum Heulen bringen konnte.

Jacques musterte mich noch einen Moment finster, dann schritt er den Rest der Reihe ab, um anderen Kellnerinnen zu befehlen, ihre Tabletts höher und sich selbst aufrecht zu halten.

Ich widerstand der Versuchung, mein Gewicht zu verlagern. Die kniehohen Stiefel waren doch nicht so bequem, wie ich zuerst gedacht hatte, denn sie drückten bereits an den Zehen. Mist!

Doch wenn alles nach Plan lief, würde ich diese geliehenen Schuhe nur ein paar Stunden tragen und auf keinen Fall in ihnen rennen müssen. Andererseits … im Leben einer Spionin lief selten etwas wie geplant.

Es erklang eine fröhliche, trillernde Musik. Die zwei Flügel der großen Doppeltür, die den Haupteingang des Ballsaals bildete, schwangen auf, und eine Frau betrat den Raum. Sie war vierzig, fünf Jahre älter als ich, mit dunkelblauen Augen, rosiger Haut und blondem Haar, das zu einer eleganten Aufsteckfrisur gestylt war. Ein langes, rotes Etuikleid mit dünnen Riemchenträgern betonte ihre muskulösen Arme und die attraktiven Kurven ihres Körpers. Um ihren Hals lag ein goldenes Kropfband, das mit Smaragden und Rubinen besetzt war, und an ihren Ohren baumelten passende Ohrringe wie Weihnachtsdekorationen.

Elsa Eisen sah sich im Ballsaal um und stellte sicher, dass alles in Ordnung war, dann winkte sie. Ein zehnjähriges Mädchen trat vor. Auch sie hatte dunkelblaue Augen, eine rosige Haut und blondes Haar. Allerdings trug die Kleine ein pinkfarbenes Spitzenkleid, in dem sie aussah wie eine Märchenprinzessin. Lina, Elsas Nichte.

»Also?« Elsas Stimme hallte durch den Ballsaal. Mit ihrem leichten Südstaatenakzent klang sie fast wie ich. »Was denkst du?«

Lina klatschte begeistert in die Hände. »Es ist perfekt! Vielen, vielen Dank! Das wird so ein tolles Weihnachtsfest!«

Lüge, flüsterte meine innere Stimme. Meine Synästhesie warnte mich nicht nur vor Gefahren, sondern verriet mir auch, wann Leute die Wahrheit sagten – oder eben nicht. Trotz ihres strahlenden Lächelns und ihrer fröhlichen Worte glaubte Lina selbst nicht, was sie da gerade gesagt hatte. Ihre Lüge überraschte mich allerdings nicht.

Nicht einmal Weihnachten konnte wunderbar sein, wenn man erst vor Kurzem seine Eltern verloren hatte.

Lina umarmte ihre Tante. Elsa drückte ihre Nichte ebenfalls, gleichzeitig verzog sie das Gesicht aber zu einer Grimasse, als könnte sie die Lüge ihrer Nichte genauso spüren wie ich.

Elsa Eisen war die Tochter eines deutschen Vaters und einer amerikanischen Mutter. Ihre Eltern waren bei einem Skiunfall umgekommen, als sie gerade mal Anfang zwanzig gewesen war, also hatte sie die Familiengeschäfte übernommen und ihren Bruder Peter großgezogen. Vor sechs Monaten hatte sich erneut eine Tragödie in der Eisen-Familie ereignet, als Peter und seine Ehefrau Claire bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.

Elsa war zu Linas Vormund ernannt worden. Vor drei Monaten hatte sie ihre Nichte von ihrem Anwesen in Savannah, Georgia, nach Burg Tannenbaum umquartiert, deren altes Gemäuer schon seit Generationen im Besitz ihrer Familie väterlicherseits war. Schließlich sah man die Feinde viel besser, wenn diese entweder die Seilbahn nehmen oder über eine gewundene, schmale Bergstraße fahren mussten.

Und Elsa hatte wirklich eine Menge Feinde.

Die meisten Leute sahen in ihr eine bekannte Antiquitätenhändlerin, die seltene Kunstwerke, teure Schmuckstücke und andere schicke Statussymbole für reiche Kunden kaufte, verkaufte und aufspürte, genau wie ihr Vater es vor ihr schon getan hatte. Wie ich war Elsa eine Paranormale mit einer magischen Form von Synästhesie. Sie konnte mit einem Blick das Alter eines Gegenstandes erkennen. Eine sehr nützliche Fähigkeit, wenn es darum ging, die Echtheit von Gemälden, Statuen und anderen Kunstgegenständen zu bewerten.

Insgeheim bot die Eisen-Familie aber vor allem der paranormalen Unterwelt Maklertätigkeiten und Aufbewahrungsmöglichkeiten an, indem sie mit gestohlenen Kunstwerken handelte und sie in der eindrucksvoll sicheren, biometrisch verriegelten Schatzkammer in den Eingeweiden der Burg verwahrte.

Daher rührte auch mein Interesse an Elsa. Mein Hauptaugenmerk galt allerdings einer ihrer Klientinnen: Henrika Hyde.

Für die normale Welt der Sterblichen war Henrika die kluge, glamouröse Gründerin und CEO von Hyde Engineering, einer angesehenen Pharmafirma, die an bahnbrechenden, medizinischen Forschungsprojekten beteiligt war und eine Produktpalette von Vitaminpräparaten über Allergiemedikamente bis zu Hautpflegeserien anbot. Tatsächlich war Henrika aber eine paranormale Waffenhändlerin, die ihre Firma und ihr persönliches Genie einsetzte, um biomagische Waffen zu produzieren.

Auf Genforschung basierende Gifte, die nur bei bestimmten Familien und Blutlinien wirkten. Ätzende Gase, die menschliche Haut und Knochen zum Schmelzen brachten, Möbel und andere Gegenstände aber unversehrt ließen. Puder, Pillen und andere Drogen, die normalen Menschen ein unglaubliches, wenn auch kurzlebiges High verschafften – und ihnen auch paranormale Fähigkeiten verliehen –, während ihre inneren Organe sich verflüssigten. Henrika hatte all diese schrecklichen Dinge geschaffen – und noch viele mehr. Doch ihre neueste Waffe war die gefährlichste: Redburn, ein Sprengstoff, der angeblich sogar den zähesten, stärksten Paranormalen töten konnte.

Ich hatte Monate damit zugebracht, Informationen über Henrika zu sammeln, und hatte zu einem Team der Section gehört, das ins Halstead Hotel in Washington, D. C. ausgesandt worden war, um sie festzusetzen. Dem Plan nach hätten wir Henrika betäuben, aus dem Hotel entführen und zu einem Geheimgefängnis der Section bringen sollen, wo sie zu ihrem Redburn-Sprengstoff befragt worden wäre. Die Mission hatte außerdem zum Ziel gehabt, alles herauszufinden, was Henrika über Adrian Anatoly wusste, einen Terroristen, der verantwortlich war für den Tod von unzähligen Unschuldigen und diversen Agenten der Section 47.

Doch Henrika und Anatoly hatten durch ihre Maulwürfe in der Section von dem Plan erfahren. Ich hatte mich in einem Minenfeld wiedergefunden, das Anatoly und seine Männer auf einer der Rasenflächen des Hotels geschaffen hatten. Letztendlich hatte ich die Sprengsätze mit meiner Synästhesie aufgespürt und war aus dem Minenfeld entkommen, aber die folgende Explosion hatte den Garten trotzdem zerstört. Anatoly war beim Kampf im Hotel getötet worden, nur Henrika war entwischt, und seitdem verfolgte ich sie.

London, Paris, Madrid, Wien: Henrika hatte mir eine fröhliche Jagd bereitet, indem sie von einer europäischen Hauptstadt zur nächsten gejettet war.

Nachdem die Aufgabe der Section 47 darin bestand, still und heimlich Bedrohungen auszuschalten – und gleichzeitig sicherzustellen, dass die normalen Sterblichen möglichst wenig von der Existenz Paranormaler mitbekamen –, gab es keinen offiziellen Haftbefehl gegen Henrika. Soweit die Öffentlichkeit informiert war – und so, wie ihre Social-Media-Accounts es darstellten –, hatte Henrika einfach einen Mordsspaß auf einem europäischen Städtetrip. Sie hatte ihre Security verstärkt und blieb an keinem Ort für mehr als ein paar Nächte … Allerdings war sie klug und reich genug, um ihr Leben dank ihrer Kontakte und Ressourcen überwiegend so weiterzuführen, als hätte sich nichts geändert.

Doch es würde sich etwas ändern. Henrika Hyde würde in einem Geheimgefängnis der Section landen, oder sie würde die Radieschen von unten betrachten. Mir war relativ egal, was davon eintrat, solange ich herausfand, ob sie noch weitere Maulwürfe in unserer Spionageagentur hatte.

Das allein hätte als Grund für ihre Verfolgung schon gereicht … aber Henrika hatte mir auch einen sehr persönlichen Anlass geliefert, sie ins Visier zu nehmen. Sie hatte behauptet, sie wisse genau, was mit meinem Vater geschehen war: Jack Locke, einem Cleaner der Section, der vor ungefähr fünfzehn Jahren bei einer Mission ums Leben gekommen war. Ich hatte geglaubt, den Tod meines Vaters schon lange hinter mir gelassen zu haben, aber Henrikas Hohn hatte alte Wunden aufgerissen. Und jetzt wollte ich Antworten.

Um diese Antworten zu bekommen, musste ich das Miststück allerdings erst mal erwischen.

In den letzten paar Monaten hatte ich jeden Aspekt von Henrikas Leben studiert, unter anderem auch Social-Media-Posts über Weihnachtsfeiern, die sie mochte. Außerdem hatte ich es geschafft, die Liste der Leute einzusehen, denen sie Karten oder Geschenke schickte. Henrika schickte der Eisen-Familie jedes Jahr ein üppiges Präsent, und sie hatte schon oft an der jährlichen Weihnachtsfeier in Burg Tannenbaum teilgenommen. Daher meine Hoffnung, dass sie heute Abend auftauchen könnte.

Doch selbst wenn Henrika durch Abwesenheit glänzte, konnte ich sie dank Elsa Eisen vielleicht trotzdem aufspüren.

Mein Plan war ganz einfach. Ich würde mich bei einer passenden Gelegenheit aus dem Ballsaal schleichen, den durch die Burg patrouillierenden Security-Angestellten ausweichen und schließlich in Elsas Büro vordringen. Sobald ich da war, würde ich ihren Laptop hacken und ihre Dateien kopieren – genauso wie alle Papierakten –, um dann das Büro zu verlassen und mich unbemerkt wieder der Party anzuschließen.

Mich juckte es bereits in den Fingern, Elsas Akten durchzugehen und herauszufinden, welche Details über Henrika Hyde die Aufzeichnungen enthielten. Wenn ich Glück hatte, würde ich vielleicht sogar Informationen über das Syndikat finden – eine geheimnisvolle Gruppierung paranormaler Krimineller und Terroristen, die ab und zu zusammenarbeiteten, um Geheimnisse auszutauschen, Waffen zu verkaufen und ihren eigenen Reichtum, ihre Macht und ihren Einfluss zu mehren. Die meisten Leute im Spionagebetrieb hielten das Syndikat nur für eine Art urbane Legende, aber mein Vater war fest von der Existenz der Gruppe überzeugt gewesen, und inzwischen glaubte ich auch daran.

Ein Finger bohrte sich in meine linke Schulter. »Wieso stehst du nur herum?« Jacques wedelte auffordernd mit den Händen. »Die Gäste kommen! Los, los, los!«

Er hatte recht. Elsa und Lina hatten inzwischen neben der offenen Tür Aufstellung genommen, um ihre Gäste zu begrüßen.

»Fang an, Champagner zu verteilen«, befahl Jacques. »Imbécile!«

Ich packte das Tablett fester, weil ich mich danach sehnte, es ihm ins Gesicht zu schleudern, und zwar mit allen Champagnerflöten. Aber so wäre ich nur aus der Burg geworfen worden, also verdrängte ich meinen Ärger und atmete stattdessen einmal tief ein und langsam wieder aus, wie ich es auch bei einer meiner Yoga-Übungen getan hätte. Dann kleisterte ich mir ein Lächeln ins Gesicht und hielt auf die glitzernde Menschenmenge zu.

Es wurde Zeit für diese Nussknacker-Spionin, sich an die Arbeit zu machen.

 

Bald schon hatte ich alle Gläser von meinem Tablett verteilt, also kehrte ich an den Getränketisch zurück und holte Nachschub. Als ich mich dann zum zweiten Mal durch die Menge schob, hielt ich hier und dort an und wandte jeder Person, die mir über den Weg lief, die Brust zu.

Vorhin in der Umkleide hatte ich mir einen zusätzlichen, silbernen Knopf vorne an mein blaues Jackett gesteckt – einen Knopf, in dem sich eine versteckte Kamera und ein Mikrofon befanden. Elsa Eisen pflegte Umgang mit den verschiedensten Leuten. Auf der Gästeliste standen einige Unterweltgrößen, sterbliche genauso wie paranormale. Bis mein zweites Tablett geleert war, hatte ich einen Fälscher, einen Biochemiker, einen Codeknacker und einen Nuklearwissenschaftler entdeckt. Selbst wenn Henrika nicht zur Party kam, sollte die heutige Mission – bei den ganzen gefährlichen Leuten, die sich hier tummelten – trotzdem einige verwertbare Informationen liefern.

Ich zog los, um noch mehr Champagner zu holen. Jacques stand am Ende eines Desserttisches in der Nähe und wedelte mit einem langen Messer vor Maria herum.

Meine Synästhesie schaltete sich ein, wie sie es so oft tat. Sofort leuchtete die Klinge in meinen Augen in einem hellen Rot. Ich verspannte mich und packte mein Tablett fester. Ich war bei Weitem nicht so tödlich wie ein Cleaner – der höfliche Name für Auftragsmörder bei der Section. Falls nötig, konnte ich mich selbst und andere aber durchaus verteidigen.

»Rechtecke!«, zischte Jacques und rollte das R dabei beeindruckend lange. »Der Strudel soll in Rechtecke geschnitten werden, nicht in Quadrate!«

»Ja, Chef!«, flötete Maria fröhlich.

Jacques schnaubte herablassend, bevor er ihr das Messer in die Hand drückte. Dann wirbelte er herum, eilte zu einem anderen Tisch und fing an, einen anderen Koch zu beschimpfen, weil der junge Mann angeblich zu viel Balsamico-Creme auf den kleinen Bruschetta-Caprese-Scheiben verteilte.

Ich ging zu Maria. »Geht es dir gut?«

Sie kicherte. »Natürlich. Weißt du, mit wie vielen fordernden Küchenchefs ich mich auf diesen Partys über die Jahre schon herumgeschlagen habe? Jacques ist gar nicht so schlimm. Zumindest wirft er nicht mit Messern auf Leute … noch nicht.«