Frühstück für Tiffany - Madeleine Abides - E-Book

Frühstück für Tiffany E-Book

Madeleine Abides

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Die lebenslustige Maxine Sawitzki, 24, Single, verwöhnt und luxusverliebt, aber gerade etwas in der Klemme, lernt den faszinierenden Primatenforscher Arnold Kreutzer kennen. Oder gerät sie in seine Fänge? Er ist Leiter einer Studie über gefangene Säugetiere, und sehr schnell erhält Maxine einen Vorgeschmack darauf, was es damit auf sich hat. Sie spielt selbst ein falsches Spiel, gerät in bedrohliche Gesellschaft und findet sich nach dreisten Lügen in Ketten gelegt wieder. Bis sie schließlich vor einer Entscheidung steht, die ihr Leben auf den Kopf zu stellen droht. Auszüge: "Das war sehr unartig!", tadelte ich ihn im Tonfall der erzürnten Oberlehrerin. "Dafür werde ich dich streng bestrafen müssen!" Es ist die Szene, in der die üppig gebaute Heldin vom wohlbestückten Helden in leidenschaftlicher Gier gleich hinter der Wohnungstür noch mit den Schlüsseln in der Hand gestoßen wird. Gegen die Wand. Bislang hatte er stets sehr prompte und befriedigende Reaktionen auf meine Reize gezeigt. Er würde mich auch unter strengem Zwang nicht enttäuschen, mir hilflos ausgeliefert und ohne jeden Einfluss darauf, ob und wann sein sehnlichster Wunsch erfüllt werden würde. "Damit du hübsch artig bist, bis ich wiederkomme", erklärte er mit dem Anflug eines Glucksens in der Stimme. "Ich will dich heiß und willig, nicht schlapp und befriedigt." "Du spinnst wohl?", rief ich erbost und zappelte wild auf dem Laken. Vielleicht war es einer dieser Ausbrecherkönige, von denen man so oft hört. Die nach langer Haft fliehen können und dann einen Unterschlupf brauchen. Weshalb sie bevorzugt in leerstehende Wohnungen eindringen. Wenn sie dort zufällig eine hilflose Nackte vorfinden, können sie natürlich vieles nachholen, was sie während ihrer langen Haft versäumt haben. "Bitte … nicht!", flehte ich atemlos, denn ich sah es förmlich vor mir, wie er feist und feixend aus seiner Hose stieg und noch kurz überlegte, ob es sich wohl lohnte, die Socken auszuziehen.

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Seitenzahl: 506

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Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany

Erotischer Roman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

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Impressum neobooks

1

„Welch ein prächtiges Euter!“, rief eine männliche Stimme höchstens drei oder vier Meter hinter mir.

Schlagartig war ich im Angriffsmodus. Bereit zum Augen auskratzen. Langsam, qualvoll und erbarmungslos. Denn wenn es eines gab, was ich unter Garantie nicht abkonnte, dann war es, wenn so ein dahergelaufener Saftsack meine fabelhaften Brüste ‚Euter’ nannte.

Ich biss die Zähne zusammen, schloss für einen Moment die Augen und mahnte mich eindringlich, Ruhe zu bewahren. Zwecklos.

Die Muskeln meines perfekt austrainierten Bodys spannten sich an, er wirbelte herum, und schon in der Drehung holte ich weit aus, um dem herannahenden Blödmann die Ohrfeige seines Lebens zu verpassen.

Jäh und jämmerlich brach der Angriff in sich zusammen.

Die eben noch imponierende Spannung meines ganzen femininen Körpers erschlaffte im Bruchteil einer Sekunde, mein eben noch energisch ausholender Arm sank kraftlos zu Boden, und meiner Kehle entrang sich ein lachhaft klägliches „aargh“.

Alles nur, weil meine Augen sahen, was sie sahen. Und das war viel zu schön, um geschlagen zu werden.

Ein Mann wie aus dem Malbuch, schon fertig ausgemalt und so lebensecht und kraftstrotzend, wie ein Mann des 21. Jahrhunderts nur sein kann. Er musste leicht einsneunzig messen, denn er überragte mich mindestens um einen halben Kopf. Seine Augen waren braun, wundervoll braun, und der dunkelbraune Haarschopf stand über dem Wirbel widerspenstig empor.

Ich war auf der Stelle hin und weg.

Er leider nicht.

Er war nur weg.

Nicht sehr weit, dafür aber sofort. Schneller, als er gekommen war.

Statt mich wenigstens eines lechzenden Blickes zu würdigen, war er mit großen Schritten schnurstracks an mir vorbeigegangen und lehnte sich nun mit beiden Händen auf die Umfriedung, die das Gehege vor uns vom Besucherweg trennte.

„Was“, stammelte ich, während ich mühsam um meine Fassung kämpfte, „was haben Sie da eben gesagt?“

Er reagierte nicht.

Aber so billig sollte er mir nicht davonkommen.

„Was haben Sie gesagt?“

„Was, ich?“, erwiderte er in verwundertem Ton, indem er sich andeutungsweise umwandte. Wobei er aber das Gehege nicht aus dem Auge ließ.

„Ja, Sie!“

„Wie, gesagt?“

„Von meinem Eut… ich meine, von … von einem Euter!“

„Oh, ja! Ein wunderbares Exemplar, finden Sie nicht auch?“

„Was geht Sie mein Eu … meine Brü… Wa-wa-was geht Sie das überhaupt an?“

„Ich bin jetzt dafür zuständig“, gab er mit leicht pikiertem Unterton zurück. „Ich muss mich in der nächsten Zeit jeden Tag darum kümmern.“

„Um meine Brust?“

„Um eine Brust. Ganz richtig!“

„Wieso um meine?“

„Weil es nur eine ist. Ein Euter eben. Ich würde mich aber auch sehr gerne um mehrere kümmern.“

Der Kerl war die Höhe. Er täuschte seine Arglosigkeit wirklich täuschend echt vor. Aber nicht mit mir!

„Schluss jetzt!“, bellte ich ihn an. „Sie sagen mir jetzt sofort, wovon Sie überhaupt reden!“

„Ich verstehe nicht …“

Wütend stampfte ich auf:

„Wie kommen Sie dazu, einfach mir nichts, dir nichts in meinen Zoo zu trampeln, mich von hinten anzuquatschen und irgendwas Vollbescheuertes von einem Euter zu faseln? Als ob es keinen anderen Namen dafür gäbe!“

„Aber es heißt nun mal Euter. Mit zwei Zitzen.“

„Sie unverschämter …! Ich weiß selbst, wie viele Zitzen ich habe!“

Jetzt war ich doch wieder nahe dran, ihm eine zu schallern. Aber er strahlte mich so goldig an und sah auf einmal so herzallerliebst drein, als ob einer seiner Vorfahren höchstpersönlich die Unschuld erfunden hätte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass solche Augen lügen sollten. Nicht bei einem Mann. Also, jedenfalls nicht bei sooooo einem Mann.

„Manchmal sind es auch vier“, sagte er jetzt mit leichtem Achselzucken, ehe er sich seelenruhig wieder dem Gehege zuwandte.

„Vier was?“

„Vier Zitzen. Das ist von Art zu Art verschieden. Manchmal sogar innerhalb ein und derselben Art.“

„U-u-und von welcher Art reden wir grade?“

„Von Paarhufern. Wovon sonst?“

„Paar…“

„Paarhufern – genau!“

„Und was heißt das jetzt?“

„Hippotragus niger niger!“

„Sie Rüpel! Unterlassen Sie auf der Stelle diese schmutzige Anmache!“

„Verstehen Sie denn nicht? Die Rappenantilope hat gekalbt, und es ist gleich doppelter Nachwuchs geworden. In freier Natur würde sie wahrscheinlich eines davon verstoßen, weil sie mit ihrer Milch nur eines durchbringen kann. Aber bei dem Euter …“

„Is’ nich’ wahr!“, sagte ich mechanisch, und mehr brachten meine süßen kleinen Lippen erst einmal nicht zustande.

Viel zu sehr lenkte mich ein reißerisch geschnittener Videoclip ab, der plötzlich vor meinem inneren Auge ablief und in dem die demütigendsten Blamagen meines jungen Lebens aneinandergereiht waren. Grauenhafte, erschütternde Blamagen, die ich mir in der Vergangenheit allesamt durch meine unkontrollierbare Forschheit eingehandelt hatte.

Mein vorlautes Mundwerk, wie Papa trocken eingeworfen hätte.

Als der Clip in der allerjüngsten Vergangenheit angelangt war, schaltete der Player auf Zeitlupe, und ich sah quälend langsam einmal und nochmal und nochmal mein ganzes hilfloses Gestammel, all meine grundlosen Vorhaltungen, die ich diesem armen, ahnungslosen, unschuldigen und leider auch noch unheimlich gutaussehenden Mann soeben entgegengeschleudert hatte. Ich fühlte deutlich, dass mein Gesicht die Farbe eines Dreierpacks spanischer Paprika annahm. Abwechselnd. Rot-gelb-grün.

Hilflos rang ich nach Luft. Er aber redete unbekümmert weiter:

„Ich leite ein Forschungsprojekt über Säugetiere in Gefangenschaft.“

„Is’ nich’ wahr!“, stieß ich krampfhaft hervor und wurde das Gefühl nicht los, dass ich das schon erwähnt hatte.

„Doch, doch. Na, Sie wissen schon: Welche Bedingungen müssen herrschen, damit eine spätere Auswilderung möglichst große Aussicht auf Erfolg hat und all so’n Zeug eben … Aber ich will Sie nicht langweilen.“

Ratlos sah ich leeren Blickes an ihm vorbei.

Die Rappenantilope war ein bildschönes Tier. Stolz erhobenen Hauptes verharrte sie, mit imponierend aufragenden schwarzen Hörnern. Allerdings war sie sonst nicht ganz so schwarz, wie ich mir ein Rappentier vorgestellt hätte. Außer den Hörnern glänzten nur die Mähne und ein breiter Streifen auf der langen Nase in herrlichem Pechschwarz. Aber das zarte Hellbraun ihres Fells stand ihr ohnehin viel besser. Und das Weiß in der Backengegend kontrastierte effektvoll mit den schwarzen Partien, verlieh ihr in Verbindung mit der auffallend spitzen Nase sogar etwas ausgesprochen Edles. Klasse Outfit, absolut gut gemacht, also wirklich!

Und die beiden Kälbchen erst, die übermütig um die junge Mutter herumtollten! Sie waren einfach nur süß. Jetzt, wo sie ab und zu mit den Nasen danach stupsten, sah ich auch das Euter. Es war tatsächlich von beachtlicher Größe, und trotzdem war es mir vorher nicht aufgefallen. Ob ich dafür diesen typisch männlichen Blick gebraucht hätte, der weibliche Brüste immer und überall als Sehenswürdigkeiten ersten Ranges erspäht?

*

Die Sonnenstrahlen spielten vergnügt zwischen den Zweigen der jungen Linden in ihrem Frühlingskleid, als wir dann den geteerten Weg Richtung Serengeti-Saal entlangschlenderten. Ich hatte mich etwas von meiner Blamage erholt, auch weil er mit keinem Wort mehr darauf eingegangen war. Es war fast, als hätte er gar nichts davon bemerkt, und wenn ich mir das lange genug einredete, konnte ich es irgendwann vielleicht sogar glauben.

Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig und er trug keinen Ring. Schwul war er nicht, das hätte ich sofort gewittert. Also was war dann mit ihm faul?

Es war leicht, mit ihm zu reden. Er plauderte geistreich und unbekümmert, fast so, als müsste er in meiner Gegenwart keinerlei Hemmungen haben. Dabei war ich sicher, dass er mich bemerkt hatte – ich meine: mit allem Drum und Dran bemerkt hatte –, aber gerade, wenn es so war, ließ es ihn eindeutig um einiges zu kalt. Ob er vielleicht kurzsichtig war?

„Tragen Sie sonst eine Brille?“, fragte ich unvermittelt. Erst als die Worte schon meinen Mund verlassen hatten, nahm ich wahr, dass ich damit offenbar mitten in einen spannenden Vortrag hineingeplatzt war.

„Nein, sollte ich?“, gab er verdutzt zurück.

„Würde Ihnen vielleicht ganz gut stehen“, erwiderte ich kess, und seinem Lächeln nach war mein Angriff diesmal wohl direkt genug gewesen. Jetzt glitt sein Blick endlich an meiner Figur abwärts und dann langsam wieder ein Stück nach oben. Er schien nicht abgeneigt.

„Für Sie könnte ich ja eine Ausnahme machen“, sagte er tatsächlich mit leicht anzüglichem Unterton, und wir lachten beide belustigt auf.

„Mittwochs“, erläuterte er dann mit einer fast entschuldigenden Geste, „drehe ich zur Zeit immer meine Runde im Zoo.“

Ich auch. Kaum zu glauben, dass ich ihn trotzdem noch nie gesehen hatte. Dabei hätte ich schwören können, dass ich einen Mann wie ihn auch unter tausend minderwertigen Exemplaren nicht übersehen konnte.

Mittwoch war deswegen in den Sommermonaten mein Zootag, weil ich da am leichtesten freinehmen konnte: An diesem Tag war nachmittags im Amt generell kein Publikumsverkehr zugelassen. Was sehr vernünftig war, weil man sonst bei den unzähligen skrupellosen Störern kaum einmal zur Ruhe kam. Manchmal tauchten vier oder fünf von denen an einem einzigen Nachmittag auf und erwarteten selbstverständlich alle, dass man uneingeschränkt für sie da war. Und wenn es nur für eine einzige Frage war.

Sofern ich es geschickt einrichtete – und das tat ich immer –, konnte ich schon am späten Vormittag Schluss machen und kurz darauf am Zooeingang meine Karte vorzeigen. Vom Amt in der Mörfeldener Landstraße waren es über den Main grade mal zwei Kilometer zum Zoo, und schon war ich in meiner grünen Oase der Ruhe, die ich erst so richtig schätzen gelernt hatte, seit das mit der Arbeit zu einer unerfreulich regelmäßigen Einrichtung geworden war. Um so mehr, seit die Lage sich zugespitzt hatte.

Die Laute, die all die exotischen Tiere in Häusern und Gehegen von sich gaben, hatten etwas so urwüchsig Kraftvolles, dass ich mich auch nach den grauesten und greulichsten Bürostunden binnen kurzer Zeit wieder spannkräftig und energiegeladen fühlte. Im Herzen war ich eben ein Kind des Urwalds. Oder der Savanne. Je nachdem, in welchem Tierhaus oder vor welchem Gehege ich mich grade aufhielt. Jedenfalls war etwas unbezähmbar Wildes in mir, das in der öden Stadt mit ihren tausend freudlosen Regeln, Zwängen und Vorschriften so gut wie gar nicht zur Entfaltung kam.

„Ich bin auch manchmal hier“, sagte ich und tat dabei so unbeteiligt wie möglich. „Warum habe ich Sie noch nie gesehen?“

„Ich versuche immer, einen bestimmten Rhythmus einzuhalten. Ihrer ist vielleicht anders. Heute Nachmittag fange ich zum Beispiel Punkt ein Uhr mit den Hippopotamii an.“

„Was denn, bei Tieren gibt’s auch Hypochonder?“

„Nein, Hippopotamii. Ähm, wie sagt man bloß? Ah ja: Nilpferde, wenn Sie so wollen.“

„Ach so, ja, natürlich! Das wusste ich gleich.“

Er lächelte mich hintergründig an. Sagte aber nichts.

Ich mag es nicht besonders, wenn ein Mann mich hintergründig anlächelt. Gierig ist okay. Lechzend noch besser. Aber nicht hintergründig. Da komme ich zu leicht auf die Idee, dass er sich mir überlegen fühlen könnte.

Für ihn galt das genauso. Und doch wieder nicht.

Dieser Mann konnte aber auch lächeln. Männer mit dem richtigen Humor haben mich schon immer schwach gemacht.

Obwohl wir nur schlendernd Schritt vor Schritt setzten, hörte ich schon nach kurzer Zeit mein Herz klopfen.

Oh, oh!

Dieser Bursche hatte etwas Animalisches. So, als hätte jemand Tarzans jugendlichen Cousin in ein elegantes Casual-Sakko gesteckt und nach ausgiebiger Schulung auf den unterversorgten Teil der Weiblichkeit in dieser Stadt losgelassen. Und beim Stichwort Unterversorgung musste früher oder später die Rede zwangsläufig auf Maxine Sawitzki kommen. Also auf mich.

Nicht dass ich sexbesessen gewesen wäre oder sowas. Aber ein paarmal in der Woche richtig gut das Bettlaken zerwühlen, fand ich schon erstrebenswert. Ich war blutjung und kerngesund, also womit hätte ich einen romantischen Abend besser krönen können als mit einem schönen, tief unter die Haut gehenden Orgasmus, der sich meinethalben gerne durch die halbe Nacht ziehen konnte.

Womit ich auch schon wieder beim Stichwort Unterversorgung wäre. In Wirklichkeit nämlich erlebte ich wilde Bettlakenzerwühlabenteuer momentan nur in meiner Phantasie. Zwar hatte ich gerade in dieser Hinsicht von jeher eine wahrhaft blühende Phantasie, doch ein echter Ersatz kann auch die aufregendste Phantasie für eine Frau mit echtem Feuer natürlich nicht sein. Speziell wenn sie erst 24 ist und noch so einiges vorhat.

Und ausgerechnet jetzt lief mir so ein Mann über den Weg. Ich will nicht behaupten, dass ich mir übermäßig viel Zeit lasse, ehe ich einen Kerl ausprobiere. Aber am ersten Abend habe ich bis jetzt noch keinen rangelassen. Am zweiten und dritten auch nicht. Erst danach verliert sich die Spur im Nebel diskreten Schweigens.

Weil ich jetzt das unbestimmte Gefühl hatte, allmählich die Kontrolle über die Situation zu verlieren, sah ich eher ungewollt auf meine Uhr, so dass ich meinen Blick wenigstens für ein paar Momente von diesem markanten Kinnwinkel lassen konnte, der mich an irgendjemanden erinnerte.

Dummerweise tat er es mir gleich. Er sah auf die Uhr, runzelte spontan die Stirn und mutierte unversehens zum zerstreuten Professor:

„Wo ist bloß die Zeit geblieben?“, murmelte er vor sich hin.

Noch ehe ich antworten konnte, wandte er sich mir zu und hob entschuldigend die Hände:

„Ich muss – leider!“, sagte er achselzuckend.

Als ich ihm halbherzig die Hand entgegenstreckte, drückte er sie flüchtig, war aber in Gedanken unübersehbar schon beim nächsten Euter oder bei einem anderen Körperteil oder – ach, woher sollte ich das wissen?

„War nett mit Ihnen“, sagte er so höflich, dass es wehtat.

Nett?

War dieser Mann bescheuert? Hatte er trotz all seines Charmes und trotz all seiner geistreichen Bemerkungen möglicherweise gehörig einen an der Waffel? War es das, was an ihm faul war?

Eine Ansichtskarte vom Wolfgangsee war nett. Ein Gratispröbchen des aktuellen Glitzer-Nagellacks in Betty Blue war nett. Die neue Frisur der Cornelia aus meiner Lieblings-Soap war nett.

Aber ich doch nicht!

Ich war epochal, umwerfend, betörend, spektakulär, unwiderstehlich, begehrenswert, männermordend, unvergesslich – aber niemals nett!

Und genau das musste ich diesem attraktiven Mann unbedingt noch mitteilen, ehe wir gleich für immer voneinander Abschied nehmen würden!

„Ja, ebenfalls“, hörte ich mich statt dessen tonlos sagen, während ich im Geiste noch all meine hinreißenden Eigenschaften durchging und mich verzweifelt fragte, was mit mir an diesem Tag nicht stimmen mochte.

Das konnte doch nicht sein!

Der konnte doch jetzt nicht einfach so abhauen!

Aber genau das tat er.

Einfach so.

*

Es war nicht fair. Nicht nach allem, was zwischen uns geschehen war. Na gut: was zwischen uns noch nicht geschehen war.

Sobald er außer Sicht war, fühlte ich mich verlassen. Allein. Zwar war ich vorher auch schon allein im Zoo gewesen. Aber jetzt fühlte ich mich alleiner als allein. Und fand, dass das nicht richtig war. Aber das Schlimmste war: Ich brachte es nicht einmal fertig, ihm deshalb böse zu sein.

Auf einmal war ich seltsam sauer, und je mehr ich in mich hineinhorchte, desto klarer wurde mir, dass ich sauer auf mich selbst war. Es war eindeutig keine Glanzleistung, wenn ein Typ, der mich soeben kennengelernt hatte, sich so leichten Herzens gleich wieder aus dem Staub gemacht hatte.

Dabei hätte ich ihm jederzeit einen Platz auf der Warteliste eingeräumt, wenn er sich nur eifrig genug darum bemüht hätte.

Aber das hatte er ja gar nicht. Dabei hatte er mich angesehen, und was er gesehen hatte, hatte ihn nicht kalt gelassen. Oder etwa doch?

Um meine sonnige Laune war es geschehen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, und ich kam nicht darüber hinweg, dass der Typ nicht mal nach meiner Handynummer gefragt hatte. War ich dermaßen außer Form?

War vielleicht irgendwas mit meinen Haaren?

War mein Kleid zu unauffällig?

Oder hätte ich doch andere Schuhe anziehen sollen?

Ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war, fand ich mich irgendwann am Streichelzoo wieder. Dann an der Eulentaiga. Schließlich vor dem Wasserfall im Borgori-Wald, wo Gorillas und Orang-Utans faulenzend und einander gemächlich entlausend die kraftvolle Mittagssonne genossen.

Das war vollkommen anders als bei uns im Amt. In diesem Urwald hier gab es viel mehr lebhaftes Geschrei.

Natürlich hätte auch ich mich irgendwo am Wegesrand ins Gras legen und die Sonne genießen können. Doch diese Schmach ließ mir keine Ruhe. Es kam sowieso nicht oft vor, dass ich einen Kerl interessant fand.

Gab es denn nicht irgendein Gesetz oder wenigstens ein paar unveröffentlichte Ausführungsbestimmungen zu einer Landesverordnung, denen zufolge ein so gutaussehender Mann sich wenigstens vorgestellt haben musste, ehe er aus heiterem Himmel die Flucht vor mir ergreifen durfte?

Doch wie es aussah, hatten sich unsere Wege schon für immer getrennt.

Und das wäre möglicherweise besser für mich gewesen.

*

Lange musste ich nicht warten in meinem Versteck. Zehn vor eins war ich da gewesen und hatte mir gleich eine schlecht einsehbare Ecke gesucht. Was in dem kleinen Bau leichter gesagt als getan war. Aber er sollte auf keinen Fall denken, dass ich etwa auf ihn gewartet hätte.

Ich doch nicht!

Die Nilpferde residierten im Nashornhaus, was ich ziemlich verwirrend fand. Zumal sie gar keine Nilpferde waren. Sondern Flusspferde. Jedenfalls stand das da, und der Unterschied wurde offenbar sehr wichtig genommen. Ich hätte geschworen, dass ich sie immer nur als Nilpferde gekannt hatte. Naja, Hauptsache keines der Tiere musste sich diskriminiert fühlen, wenn es vielleicht tatsächlich nicht vom Nil stammte.

Allerdings würde ich mich wohl schon bald ein weiteres Mal umstellen müssen. Denn irgendwann würden die nimmermüden Sprachinquisitoren ja doch herausbekommen, dass weder Nilpferde noch Flusspferde auch nur entfernt mit den Pferden verwandt sind.

Aber das sollte nicht mein Problem sein. Mein Problem ging auf zwei Beinen und zeichnete sich vor allem durch einen widerspenstigen braunen Haarwuschel aus, den ich zu gerne auf der Stelle gebändigt hätte.

Also auf in den Kampf!

Vorsichtig verließ ich mein Versteck und trat wortlos neben ihn, den Blick fest auf die Hippos gerichtet. Er sollte ruhig wissen, dass es Interessanteres zu sehen gab als ihn.

„Sie schon wieder“, sagte ich so vorwurfsvoll wie möglich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. „Und? Mal wieder auf der Suche nach Brüsten?“

„Ah, Sie! Was für ein Zufall!“

Einen Moment lang war ich verunsichert. Hatte ich etwa aus seiner Stimme so etwas wie Ironie herausgehört?

Ich ließ ihm ein paar Augenblicke Zeit, in denen er mich im Profil mustern konnte, und achtete dabei sehr bewusst auf eine gerade Haltung. Dann wandte ich mich ihm langsam zu, warf keck den Kopf in den Nacken und strich mit einer Hand langsam und ausgiebig durch mein seidenweich fallendes Haar. Der arme Kerl konnte gar nicht anders, als eingehend meine perfekt zur Schau gestellte Büste zu mustern:

„Euter!“, sagte er denn auch ein wenig nervös. „Bei höheren Säugetieren nennt man es Euter!“

„Ach richtig“, erwiderte ich amüsiert und schenkte ihm mein strahlendstes Lächeln, „das sagten Sie ja schon.“

Am liebsten hätte ich ihm zwar noch sauber eins reingewürgt, weil er mich vorher einfach so abgehängt hatte, doch aus taktischen Gründen verschob ich das erst mal auf später. Erst einmal musste ich ihn am Haken haben, ehe ich dazu übergehen konnte, ihn nach meinen Vorstellungen zurechtzubürsten. Also plapperte ich erstmal munter drauflos:

„Und? Projekt abgeschlossen?“

„Was? Oh, das! Nein, das ist eine Langzeitstudie. Die wird vielleicht nie vollendet.“

„Ach. Und worum geht es da?“

„Grundlagenforschung, wenn Sie so wollen. Jedes höhere Tier braucht das richtige Maß an Freiheit und an Unfreiheit. Sonst verkümmert es.“

„Unsinn! Freiheit ist doch das einzige.“

„Nicht bei domestizierten Tieren.“

“Wieso das denn?“

„Freiheit ist Unsicherheit.“

„Kris Kristofferson?“

„Chris was?“

„Me and Bobby McGee!“

„Mia wie?“

„Freedom’s just another word for nothing left to lose!“

„Sie singen es.“

„Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

„Tiere lassen sich domestizieren, weil sie sich Sicherheit versprechen.“

„Alle?“

„Viele. Das Leben kann angenehm sein in Gefangenschaft.“

„Quatsch!“

„Keine Sorgen. Kein Gedanke ans Morgen. Keine Fehlschläge bei der Nahrungssuche.“

„Nur den Tag genießen?“

„Nur den Tag genießen.“

„Und wo bleibt das elementare Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat?“

„Das was?“

Autsch! Dummerweise wusste ich plötzlich nicht einmal mehr, wo ich den imposanten Begriff gelesen hatte. Noch viel weniger hätte ich erklären können, was er denn eigentlich bedeuten sollte. Ich hatte den Kerl doch einfach nur mit irgendeinem klugen Spruch beeindrucken wollen. Also sagte ich nun frisch heraus und sehr darum bemüht, mir nicht die Spur Unsicherheit anmerken zu lassen:

„Jeder Mensch will doch frei sein!“

„Sind Sie das?“

„Klar doch! Ist doch jeder.“

„Ach ja? Was arbeiten Sie?“

„Ich bin im öffentlichen Dienst.“

„Aus Begeisterung?“

„Wie, aus Begeisterung?“

„Tun Sie das gerne? Würden Sie es auch tun, wenn Sie kein Geld dafür bekämen?“

„Was ist denn das für eine Frage? Man arbeitet doch immer nur für Geld.“

„Sehen Sie! Wie frei sind Sie dann wirklich?“

So hatte ich das noch nie gesehen. Und natürlich war das Unsinn. Aber für den Moment wusste ich nicht so recht, womit ich noch dagegenhalten sollte. Einfach recht geben wollte ich ihm aber auf keinen Fall. Ich würde schon noch draufkommen, wo sein Denkfehler war.

Doch so lange konnte ich jetzt nicht warten.

„Sie reden Quatsch!“, schleuderte ich ihm daher angriffslustig entgegen, und ich gab mir wieder alle Mühe, so überzeugt wie möglich zu klingen. Obwohl ich ja keinen blassen Schimmer hatte. Der Kerl sollte erst gar nicht merken, dass ich nichts weiter zu bieten hatte als die nackte Behauptung.

Anderen recht zu geben, war noch nie meine Stärke zu gewesen. Und einem Mann am allerwenigsten.

Schon gar nicht, wenn er in die engere Wahl kam.

Dieser hier war selbst in der engeren Wahl noch engere Wahl. So eng, dass er praktisch bereits auf Tuchfühlung mit mir war. Bildlich gesprochen, versteht sich.

Freilich hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn er es für einen Moment auch mal wörtlich genommen hätte. Nur so zum Ausprobieren.

Weil mir aber trotz fieberhaften Überlegens keinerlei echtes Argument einfallen wollte, tat ich, was ich in solchen Fällen schon immer getan habe: Ich ging mit allem, was ich hatte, zum Angriff über:

„So einen Quatsch habe ich noch nie gehört! Jedes Lebewesen hat seine ureigene Persönlichkeit. Das hat nichts mit frei oder unfrei zu tun!“

„Doch!“

So ein fieser Typ! Ich redete mir den Mund fusselig, weil ich eigentlich gar nichts zu sagen hatte, und er konterte mit einer Silbe. Gab mir nicht mal einen halben Satz lang Zeit, mir meine Strategie für die nächste Angriffswelle zu überlegen. Und dieser selbstgefällige Tonfall erst. Wie bei jemandem, der im Gegensatz zu mir ganz genau wusste, wovon er sprach!

„Pah! Ich würde kein bisschen anders reagieren, egal ob nun frei oder nicht.“

Wenigstens das hatte ich jetzt im Brustton der Überzeugung hinausgeschmettert. Es hätte ein Volltreffer sein müssen. Doch der Kerl schien völlig unbeeindruckt.

„Sie wissen nicht, wovon Sie reden, Kindchen!“

Das war zu viel. Natürlich wusste ich sehr genau, wovon ich redete! Und wenn mich jemand ‚Kindchen’ nannte, war das für den Betreffenden sowieso nichts anderes als der Fahrschein in die Hölle. One way ticket to hell, Rückfahrt nicht inbegriffen!

„Oh, doch!“, keilte ich denn auch vehement zurück. „Das weiß ich sehr wohl!“

Mittlerweile wusste ich in Wirklichkeit nicht einmal mehr genau, worüber wir eigentlich stritten. Das passiert mir öfter, wenn ich in Rage komme. Und in Rage komme ich eigentlich jedes Mal, wenn ich den Eindruck habe, dass mich jemand nicht ernst nimmt. Irgendwie ist mir dann immer, als ob für eine Weile die Sauerstoffzufuhr zu meinem Gehirn abgeschnitten wäre, weil schlagartig alles Blut zum Pochen meines heißen Herzens gebraucht würde. Es ist kein wirklich angenehmes Gefühl, wenn ich in diesen Zustand hineinschlittere, vor allem seit ich weiß, dass es nur selten gut ausgeht. Trotzdem habe ich noch kein wirksames Mittel dagegen gefunden. Vielleicht auch, weil ich gar keines gesucht habe.

„Schauen Sie Kleines“, sagte er jetzt in väterlich beruhigendem Ton. „Sie reden da über etwas, wovon Sie wirklich nichts verstehen!“

Damit war er endgültig gegen die Wand gedonnert. ‚Kindchen’ war schon schlimm gewesen, aber mit ‚Kleines’ hatte er jetzt den letzten Sargnagel gesetzt. Argumentativ, meine ich.

Damit durfte ich ihn nicht durchkommen lassen!

Wütend stemmte ich die Fäuste in die Hüften und sah ihn mit leicht vorgeneigtem Haupt zornerfüllt an:

„Nein, Sie tun das!“, keifte ich ihn an. „Sie wissen gar nichts von mir, und Sie können von Glück reden, dass es keine Möglichkeit gibt, Ihnen zu beweisen, dass ich recht habe.“

„Ach“, sagte er lässig und sah achselzuckend zur Seite. „Das wäre kein Problem. Aber das will ich Ihnen lieber ersparen.“

Oh, dieser arrogante Heini!

Seine Worte kamen derartig begütigend, als habe er soeben huldvoll einem dummen kleinen Schulmädchen dafür die Absolution erteilt, dass es im Aufsatzschreiben nur zu einer Fünf gereicht hatte.

Das war einfach zu viel!

Während ich noch nachsann, worüber genau wir uns denn nun stritten, bewegte sich mein Mund unaufhaltsam weiter, und ich vernahm Worte daraus, die selbst mich selbst überraschten:

„Ha! Und wie sollte das gehen? Hopp, hopp – raus mit der Sprache!“

Er winkte ab.

„Nein, nein“, versuchte er mit gönnerhafter Geste abzuwiegeln, „so habe ich das doch nicht gemeint.“

Jawohl! Schon hatte ich ihn in der Ecke, den selbstherrlichen Angeber. Das war genau der Moment, wo ich nachsetzen musste, jetzt, wo er Schwäche zeigte und leicht zu packen war!

„Na los“, fauchte ich und machte einen kleinen Schritt auf ihn zu, „nun sagen Sie’s schon!“

„Nein, wirklich …“

Kleinlaut breitete er die Arme aus, die Handflächen offen nach oben gerichtet, und versuchte krampfhaft, eine Art Lächeln in seine Mundwinkel zu zaubern. Was natürlich granatenmäßig danebenging!

„Kommen Sie!“, setzte ich ein weiteres Mal nach. „Eben waren Sie sich Ihrer Sache doch noch so sicher!“

Er wich zurück, doch ich zog auch jetzt sofort nach. Noch einmal wich er zurück, aber ich auch diesmal sofort hinterher. Auf seinem Gesicht spiegelte sich pure Verzweiflung. Er sah fast schon wieder süß aus in seiner plötzlichen Hilflosigkeit.

Aber jetzt bloß kein Mitleid!

Rasch noch den Gnadenstoß, dann seine Kapitulation, und anschließend konnten wir uns ja meinetwegen wieder vertragen. Aber dann zu meinen Bedingungen!

„Was ist nun?“, fragte ich herausfordernd. „Geben Sie endlich zu, dass ich von Anfang an recht hatte, oder brauchen Sie erst eine weiße Fahne?“

„Das nicht“, erwiderte er verhalten, indem er sachte den Kopf hin und her wiegte. „Es ist nur …“

„Was nur?“

„Naja – ich schätze, das werden Sie sich nicht trauen.“

„Was trauen? Und wieso ich? Was soll ich mich nicht trauen?“

Er runzelte unschlüssig die Stirn, und ich konnte schon sehen, dass er schwächelte. Erst bewegte er noch ein paarmal tonlos den Mund auf und zu, dann endlich rückte er mit der Sprache heraus:

„Wir könnten einen Test machen.“

„Einen Test? Wann? Wo? Wie?“

Ich war verwirrt. Was für eine seltsame Kapitulation war das denn?

„Jetzt sofort“, entgegnete er, „hier an Ort und Stelle.“

„Und wie sollte das aussehen?“, fragte ich fast mechanisch, weil das beunruhigende Gefühl in mir keimte, dass etwas enorm schieflief.

„Das Zoorestaurant hat eine neue Leitung. War lange eine Zumutung, aber jetzt ist es ein echter Geheimtipp. Fast schon exklusiv. Ich spendiere ein schickes Mittagessen.“

„Und das soll ein Test sein?“

„Nein, das nicht. Aber auf dem Weg dorthin werden wir nur mal Ihre Hände der Freiheit berauben. Und Sie berichten dann bei der Vorspeise, ob und was Sie anders empfunden haben als sonst.“

Ich sah ihn kurz an, weil ich nicht glauben konnte, dass er das ernst meinte. Doch kein Zweifel: Das tat er!

Es war nicht das erste Mal, dass mein loses Mundwerk mich in die Bredouille brachte.

„Erst denken, dann reden!“, hatte mein Vater oft gesagt. Aber so richtig war der Satz nie bei mir angekommen.

Wäre er vielleicht besser.

Ich muss ziemlich bedröppelt dreingeguckt haben, denn er blickte mich plötzlich fast ein wenig besorgt an:

„Habe ich Sie erschreckt?“, fragte er teilnahmsvoll.

„Nein, nein“, stieß ich angestrengt hervor. „Ich frage mich nur grade, ob Sie eventuell – ich meine nur ganz eventuell – vielleicht möglicherweise den Verstand verloren haben.“

„Schon gut“, erwiderte er knapp, wobei er etwas verkrampft die Mundwinkel zur Seite zog und die aufeinandergepressten Zähne sehen ließ. Schöne Zähne übrigens. Sehr gepflegt.

„Was, schon gut?“

„Ich dachte mir schon, dass Sie sich nicht trauen werden. Ist schon gut. Machen Sie sich deswegen keine Gedanken!“

Das war wieder dieses herablassende Getue, das mich schlagartig zur Weißglut brachte. Er war ja niedlich, dieser Bursche, immer noch absolut engere Wahl, allerengste sogar. Aber das gab ihm nicht das Recht, mich so begütigend abzukochen. So zu tun, als ob er mir, dem armen dummen Mädelchen, etwas schenken müsste.

„Wer sagt, dass ich mich nicht traue?“, raunzte ich ihn an. Noch während die Worte über meine Lippen strömten, registrierte ich, dass ich wieder mal mit dem Denken nicht ganz so schnell gewesen war. Gar so herausfordernd hatte ich das eigentlich nicht raushauen wollen. Aber nun war es schon passiert.

„Ja, sicher“, sagte er mit dem schlecht verhohlenen Anflug eines spöttischen Grinsens. „Zuhause sind Sie bestimmt das mutigste Mädchen der ganzen Straße.“

Aus seinem Mund klang das, als hielte er mich gerade für mutig genug, auf dem Weg zum nächsten Postkasten ein etwas zu kurzes Kleid zu tragen. Aber auch das nur, wenn im Moment beim besten Willen nichts anderes greifbar war. So ein superblinder Schnösel!

„Sie haben doch gar keine Ahnung von mir! Sowas wie Sie verspeise ich normalerweise zum Frühstück!“

„Ist ja schon gut!“, erwiderte er da abwiegelnd. „Sie müssen mir nichts beweisen. Ich glaube Ihnen auch so!“

„Tun Sie nicht!“, blaffte ich zurück. „Sie glauben bloß, Sie müssen jetzt den edlen Ritter spielen. Aber da haben Sie sich geschnitten! Also los, wie soll das ganze ablaufen?“

Nun kratzte er sich auf einmal nachdenklich am Kopf.

„Ja, wie könnten wir das jetzt machen?“, sagte er unschlüssig. „Ich habe jetzt gar nichts Geeignetes bei mir. Sowas wie ein Seidentuch …“

„Wie wär’s mit Ihrem Schlips?“, warf ich keck ein, weil mir das weinrote Ding just im falschen Moment ins Auge gestochen war.

„Ja, das … nein … naja …“

Er wand sich jetzt wie ein Aal. Schon wieder eine Situation, in der ich ihn nicht vom Haken lassen durfte.

„Also dann her damit!“, forderte ich ihn energisch auf. „Nur keine falsche Scham!“

Bei dem Wort Scham zuckte ich zusammen. Plötzlich überfiel mich eine heftige Hemmung, das, was sich da anbahnte, tatsächlich mit mir machen zu lassen. In aller Öffentlichkeit, vor unzähligen fremden Leuten, die keine Ahnung hatten, dass es nur ein wissenschaftliches Experiment war.

Gerade noch rechtzeitig entschied ich, dass das alles kompletter Blödsinn war und dass ich lieber doch nicht mitspielen wollte.

„Naaaa!“ sagte er grinsend, als ich eben den Mund aufmachte, um ihm cool die unwiderlegbaren Gründe für meinen Rückzug zu erklären. „Jetzt kriegen Sie aber doch noch Manschetten! Das sehe ich Ihnen an!“

„Überhaupt nicht!“, erwiderte meine flinke Zunge blitzschnell. „Ich frage mich bloß, wie lange Sie hier noch herumtrödeln wollen!“

Kaum hatte ich die Worte hinausgestoßen, war ich schon das pure Entsetzen über meine Leichtfertigkeit. Sollte ich nicht lieber doch einlenken und so schnell wie möglich zugeben, dass mir das alles jetzt doch ein ganzes Stück zu gewagt war?

Das hätte geheißen, klein beizugeben. Und vor allem hätte ich damit zugegeben, dass er von Anfang an recht gehabt hatte. Er, nicht ich.

Kam doch gar nicht in Frage!

„Na, nun sagen Sie schon, Sie Held! Wie wollen Sie es denn haben?“

*

Er wollte es so haben, dass ich ihm den Rücken zuwandte und die Arme in den Rücken nahm, damit er mir die Hände über dem Po zusammenbinden konnte. Er hielt korrekt Abstand, als er das tat, aber dennoch schien es mir, als ob uns nur ein plötzlicher Windstoß von einer aufregenden Umarmung trennte. Was natürlich so falsch gar nicht war.

Plötzlich fühlte ich mit verwirrender Klarheit, dass es in diesem Kein-Nilpferd-sondern-Flusspferd-Nashornhaus drückend schwül war. Die stehende Luft war stickig aufgeladen von der Hitze des Sommers und geschwängert vom Dunst des schlierendurchzogenen Wassers, in dem die Hippobullen ihr Revier markierten, indem sie den eigenen Kot möglichst flächendeckend verteilten. Momentan badeten sie fast reglos und schienen nicht einmal Lust zu haben, sich die Zeit mit den spaßigen Spielen ihrer weit aufgeblähten Nüstern zu vertreiben. Es lag etwas Animalisches im Raum, eine aufgeheizte Spannung, der ich mich auf einmal nicht länger zu entziehen vermochte.

Auf meiner Haut fühlte ich hauchzarte Schweißperlen. Schwer zu sagen, ob sie von der schwülen Hitze in dem kleinen Bau herrührten oder von meiner rasch zunehmenden Erregung. Es war ein höchst berückendes Gefühl, dass da ein attraktiver Mann zielstrebig an meinem edlen Körper herummachte, ohne dass ich selbst sehr viel mehr dazu beitragen durfte, als einfach nur fügsam stillzuhalten.

Jäh zuckte ich zusammen, und der Anflug einer Gänsehaut überzog meinen Körper, als er die Krawatte ruckartig um meine über dem Po aufeinandergelegten Handgelenke straffte. So gerade noch konnte ich den kleinen Aufschrei unterdrücken, der mir auf der Zunge lag. Gerade jetzt wollte ich auf keinen Fall verängstigt wirken. Na hoffentlich wusste er wenigstens den Anblick meiner entzückenden Rückenpartie zu schätzen, die er gerade vollkommen ungeniert studieren konnte!

„Keine Angst“, sagte er lächelnd, als ich mich etwas besorgt umwandte, weil ich spürte, dass meine Handgelenke erstaunlich fest aneinandergeknotet waren. „Wir verstecken alles unter Ihrer langen Jacke, und falls wilde Räuber aus dem Gebüsch brechen, werde ich Sie heldenhaft beschützen.“

Unwillkürlich musste ich lachen.

Er lachte mit, wenn auch vielleicht ein wenig unbekümmerter und weniger angespannt als ich.

Dann, als er um mich herumkam und ich seinen offenen Hemdkragen zu Gesicht bekam, sah ich etwas Fragendes in seinem Blick. Und jetzt musste ich grinsen, weil er gar so verunsichert dreinsah. War sich wohl schon gar nicht mehr so sicher, ob er nicht doch zu weit gegangen war.

Ich dagegen war für einen Augenblick richtig angetan, weil ich diese schicke Krawatte straff verknotet an meinen Handgelenken wusste. Das Ding war ruiniert. Unter Garantie!

He, war das vielleicht ausnahmsweise mal ein Mann, der für eine Frau etwas aufzugeben bereit war? Und wenn es nur seine weinrote Mittwochskrawatte mit niedlichen silbergrauen Pünktchen war.

Einige Überwindung kostete es mich trotzdem, mich schließlich mit ihm Richtung Zoorestaurant in Bewegung zu setzen. Die Hände gefesselt zu haben war, naja – schon sehr ungewohnt!

Ich erwartete natürlich, dass er die Situation früher oder später ausnutzen würde. Eine Hand auf den Po, ein verwegener, aber natürlich rein zufälliger Griff an die Brüste – wie hätte ich ihm schon wehren wollen?

Doch keine Spur.

Er schlenderte unbekümmert neben mir her, als hätte die Situation absolut nichts Aufregendes. Ließ mich frei laufen, war heiter, aufgeräumt, witzig. Nur seine prüfenden Blicke tasteten vermutlich jeden Quadratzentimeter meines gut gewachsenen Körpers dreifach ab. Hoffte ich jedenfalls. Schade nur, dass die leichte Jacke jetzt einiges verdeckte, wo ich doch glücklicherweise dieses luftig-leichte Sommerkleid trug, in dem ich ihn mit jeder Bewegung darauf aufmerksam machen konnte, dass er es hier mit einem Spitzenweib zu tun hatte.

Es war mir auf einmal wichtig, dass ihm das klar war. Ich wollte nicht, dass er mich für sonstwas hielt, gerade wo ich innerlich schön langsam gegen eine gewisse Furcht anzukämpfen hatte, die Sache nicht mehr vollständig im Griff zu haben. Es sah vermutlich nicht gerade cool aus, wie ich da recht ziellos und immer wieder unsicher um mich sehend neben ihm hertapste. Fast so wie ein junges Hundchen, das noch nicht so recht weiß, was Herrchen von ihm erwartet. Manchmal, als hätten wir überhaupt nichts miteinander zu tun. Und diese Vorstellung war mir auf einmal gar nicht mehr besonders sympathisch.

Erstens weil sie albern war. Zweitens weil ich mich mit der Zeit schutzbedürftig zu fühlen begann. Und drittens weil der Kerl anfing, mich zu interessieren.

Ernsthaft zu interessieren.

Ich selbst war es schließlich, die Tuchfühlung herstellte. Ich lehnte mich gegen ihn, neigte für einen Moment den Kopf an seine Schulter und animierte ihn, ohne dass er es merken konnte, wenigstens den Arm um mich zu legen. Sobald ich seine Hand auf meiner Hüfte spürte, lauschte ich meinen innersten Empfindungen. Mit befriedigendem Ergebnis. Es war keine Wende zum Schlechteren, eigentlich genau richtig.

Der Kerl konnte zupacken. Absolut!

Und ich war garantiert nicht die erste Frau, die er mit diesem entschlossenen Griff an sich zog. Fast so, als wolle er ganz nebenbei zeigen, dass er sich im Zweifelsfall jederzeit nehmen konnte, worauf er Lust hatte.

Ob er auf mich Lust hatte?

Spontan machte ich ein wenig auf verliebtes Pärchen, rieb meine Stirn kosend an seiner Schulter und war gespannt auf seine Reaktion. Die kam aber nicht, jedenfalls nicht so, wie ich gedacht hätte. Er lachte nur glucksend auf, löste kurz den Griff seiner Rechten und gab mir einen leichten Klaps auf den Po.

Ich juchzte kurz auf, wollte ihn vorwurfsvoll ansehen, doch schon beim Kopfheben merkte ich, dass das gründlich danebenging. Während ich mich noch bemühte, meine schönen Lippen zu einem möglichst überzeugenden Schmollen hochzuziehen, grinste er mich bereits hämisch an, und dann hatte er meine Taille auch schon wieder so sicher im Griff wie zuvor.

Mist! Diese Runde ging auch schon wieder an ihn.

Der tadelnde Klaps, den er mir da verabreicht hatte, entfaltete eine nachhaltige Wirkung. Es fühlte sich fast so an, als ob ich mir mit meiner schmusenden Annäherung etwas herausgenommen hätte, was mir nicht oder noch nicht erlaubt war, und das ärgerte mich.

Die kleine Zurückweisung war auch nicht gerade geeignet, mein Selbstbewusstsein zu stützen. Was mir insofern ungelegen kam, als uns auf dem Weg zum Restaurant viele Leute begegneten und ich ständig das Gefühl hatte, sie müssten mir sofort ansehen, was er mit mir angestellt hatte. Tatsächlich aber gab es keinerlei Reaktion, die darauf hingedeutet hätte.

So lehnte ich meinen Kopf irgendwann doch wieder kess gegen ihn, achtete aber extra darauf, nicht wieder zu weit zu gehen. Und tatsächlich fühlte ich mich so an ihn gelehnt, sanft geborgen in seinem Arm, schon bald bemerkenswert sicher. Lustvoll sicher.

*

Angekommen am Zoorestaurant suchte er auf der wunderschönen Terrasse einen Platz mit Blick auf den Pavianfelsen aus und rückte mir einen Stuhl zurecht. Sehr zuvorkommend! Es würde ein Kinderspiel sein, den Burschen dahin zu kriegen, wo ich ihn haben wollte.

Jetzt, zur Mittagszeit, war in dem Lokal ordentlich Betrieb. Und so war ich gespannt, wie er es anstellen wollte, mir unauffällig die gefesselten Hände zu befreien.

Die Antwort war: überhaupt nicht.

„Lassen Sie schon mal die Karte bringen“, sagte er statt dessen fröhlich, während er ohne mich erst zu fragen mein Handy aus der Jackentasche zog und dann sorgfältig die Jacke wieder so richtete, dass sie meine gefesselten Hände gerade noch verdeckte. „Ich sage später, was ich nehme.“

„Das geht doch nicht“, konnte ich ihm noch zuraunen, doch er ließ sich davon nicht beeindrucken. Zu meinem Entsetzen nickte er mir nur kurz vielsagend zu und wandte sich dann mir nichts, dir nichts vom Tisch ab.

Mir blieb noch Zeit, sprachlos den Mund zu öffnen, dann war er auch schon fort. Der hatte ja wohl ’ne Supermeise. Möglicherweise hatte er sich übertrieben viel mit seinen bescheuerten Tieren beschäftigt.

Ich aber war auf mich allein gestellt bei der Beantwortung der Preisfrage des Tages: Wie bestellt man eigentlich in einem fremden Lokal, wenn man nicht mal die Hände frei hat, um mal eben cool in der Karte zu blättern?

*

„Sie haben noch nicht ‚bitte’ gesagt!“, erwiderte er gelassen, als ich ihn nach seiner Rückkehr mit Wut im Bauch angezischt hatte, er solle auf der Stelle meine Hände befreien.

„Werde ich auch nicht!“, gab ich keck zurück. Der sollte nur gleich wissen, dass er so mit mir nicht umspringen konnte.

„Ja, dann!“, entgegnete er achselzuckend und widmete sich mit unglaublich interessiertem Interesse der Speisekarte.

„Machen Sie mich sofort los!“, fuhr ich ihn erbost an. Erschrak aber sofort über meine eigene Lautstärke, während er nur belustigt die Augenbrauen hochzog. „Machen Sie mich sofort los!“, wiederholte ich mit deutlich gedämpfter Stimme. „Oder ich …“

„Oder was?“, gab er belustigt zurück. „Oder Sie rufen die Polizei? Lassen sich von der Bedienung losmachen? Oder gehen in Ihrem entzückenden Kleidchen zu den sechs Jungs in den beflockten T-Shirts, die da drüben etwas umwerfend Wichtiges mit gehaltvollen Mixgetränken begießen?“

Er hatte recht. Das waren alles Möglichkeiten. Die ich alle unmöglich nutzen konnte. Zumindest, wenn ich mich nicht noch viel mehr blamieren wollte, als ich mich sowieso schon blamiert hatte.

„Sie lernen gerade etwas sehr Wichtiges“, sagte er, während er mit einem leichten Schnippen die Bedienung auf sich aufmerksam machte.

„Einen Campari Soda, bitte“, bestellte er gleich darauf ungerührt, „am besten gleich einen doppelten!“

„Und für die Dame?“

„Nichts, danke! Sie war nicht artig und darf leider nur zusehen.“

Die Serviererin sah mich unschlüssig an, fragte sich wohl, ob das ein Scherz sein sollte, schien dann aber an meiner Miene nichts ablesen zu können. Was auch? Ich wusste ja selbst nicht, was ich davon halten sollte. Schließlich nickte sie knapp, brachte ein etwas halbherziges Lächeln zustande und hatte sich abgewandt, ehe ich auch nur ein Wort herausgebracht hatte. Und das wollte etwas heißen.

„Sehen Sie“, sagte er mit genüsslichem Lächeln, „so ist das. Sie würden jetzt gerne etwas tun. Aber Sie sind nicht so frei in Ihrer Entscheidung, wie Sie es gewohnt sind. Das beeinflusst Ihr Verhalten.“

Da hatte er recht. Aber das war nicht alles. Außerdem war ich nämlich auch noch stinksauer. So kaltschnäuzig hatte mich noch kein Kerl gegängelt. Und dann auch noch leer ausgehen lassen. Ein Gläschen egal womit wäre gerade genau das richtige für mein hitziges Gemüt gewesen.

„Nehmen Sie das sofort zurück!“, zischte ich ihn wütend an.

„Wie bitte?“

„Nehmen Sie das sofort zurück!“, zischte ich noch einmal. Eigentlich hatte ich viel lauter zischen wollen als vorher, doch das hatte nicht so recht geklappt. Unwillkürlich hatte ich meine Stimme doch wieder gesenkt, damit die Leute am Nebentisch erst gar nicht auf uns aufmerksam wurden.

„Oh, oh!“, sagte er denn auch tadelnd. „Für den Augenblick sind Sie auf meine Gunst angewiesen. Sie werden mich milde stimmen müssen, ob Sie wollen oder nicht. Sonst kommen Sie keinen Schritt weiter. Was ist das für ein Gefühl?“

Schwer zu sagen.

Vor allem hatte das Gefühl etwas von einem Zahnarztbesuch. So ungefähr die letzten Sekunden vor Beginn einer qualvollen Wurzelbehandlung. Dennoch hatte er recht. Ohne ihn wäre ich schön blöd dagestanden.

Aber er zog einfach noch nicht ganz in die Richtung, in die ich wollte.

Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, denn normalerweise kriegte ich jeden Kerl, der was von mir wollte, mit einem Augenaufschlag in die Spur. Wenn überhaupt mal einer auf dumme Gedanken kam.

Der hier war eine härtere Nuss, wie es schien.

Und ausgerechnet jetzt waren mir buchstäblich die Hände gebunden.

Trotzdem: So leicht sollte der mich nicht kleinkriegen.

„Das Gefühl ist gar nicht so aufregend“, sagte ich so lässig wie möglich. Blöd nur, dass mich gerade, als mir die selbstbewusste Erwiderung über die Lippen kam, eine erschreckende Erkenntnis befiel: Das Gefühl war in Wirklichkeit unglaublich aufregend!

„Hmmm“, schwärmte er indessen und überflog schon einmal die Karte, in die ich noch keinen Blick hatte werfen können. „Das Umherstreifen unter freiem Himmel macht hungrig, nicht wahr?“

Statt einer Antwort warf ich ihm nur einen bitterbösen Blick zu. Ich hatte gewaltigen Hunger. Bärenhunger, Löwenhunger, Spitzmaulnashornhunger, Piranhahunger – ganz egal. Ich brauchte nur endlich was zu futtern!

„Gar kein Hunger?“, hakte er mit leichtem Stirnrunzeln nach. „Versteh ich nicht!“

„Natürlich hab’ ich Hunger!“, zischte ich ihn wieder unterdrückt an.

„Ach! Und warum haben Sie dann nichts ausgewählt?“

„Ich kann doch nicht mal die Karte aufschlagen. Als ob Sie das nicht wüssten.“

„Stimmt auch wieder. Aber Sie waren auch ziemlich aufsässig. Eigentlich geschieht Ihnen das ganz recht.“

Gerade machte ich den Mund auf, um ihm ordentlich rauszugeben, da trug die Bedienung zwei herrliche Teller mit etwas verführerisch Duftendem vorbei. Ein flaues Gefühl im Bauch erfasste mich.

Oh, gratinierte Kalbsmedaillons mit Thymian! Ich sterbe für Kalbsmedaillons, wenn sie hauchzart zubereitet sind! Sofern ich nicht blöderweise vorher verhungere.

Hmmm! Gratiniert! Mit frischem Thymian!

„Tut mir leid!“, hatte mein vorlauter Mund schon unbekümmert losgeplappert, ehe mein Gehirn auch nur eine Chance gehabt hatte, Einspruch zu erheben.

„Was sagen Sie?“

„Grrrr!“, machte ich drohend, doch falls ihn das sehr einschüchterte, ließ er sich davon nichts anmerken.

„Ich verstehe nicht …“, sagte er mit dreist geheuchelter Unschuld.

„Tut mir leid, wenn ich ein bisschen eklig zu Ihnen war!“, stieß ich ebenso kleinlaut wie erbost hervor: Im selben Moment fühlte ich ein eigentümliches Prickeln in meinem Schoß, das mich kurzzeitig sehr irritierte.

Vermutlich hätte ich diesem sehr aufregenden Prickeln wesentlich mehr als nur flüchtige Beachtung schenken sollen. Nicht nur, weil es meinen Herzschlag von einer Sekunde zur nächsten schätzungsweise verdoppelte.

In meinem Zustand hungertraumabedingter Unzurechnungsfähigkeit jedoch hatte ich plötzlich nur noch eines im Sinn: Futter!

Er hingegen war die Gelassenheit selbst. Falls das mit dem Hunger unter freiem Himmel nicht bloß so dahingesagt gewesen war, hatte er die Folgen der Hungersnot im Gegensatz zu mir bestens im Griff.

„Ah so!“, sagte er mit gespieltem Erstaunen, indem er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und lässig ein Bein über das andere schlug. „Also müssen Sie jetzt nur noch sagen: ‚Bitte küssen Sie mich, Herr Kreutzer!’ Dann bekommen Sie von mir, was Sie wollen. À la carte!“

Ich sah ihn nur entgeistert an. Das war doch wirklich zu billig!

„Keine Angst“, fügte er im Flüsterton hinzu. „Ich werde Ihre Bitte ausschlagen. Aber ich möchte diese verlockenden Worte zu gerne aus Ihrem entzückenden Mund hören!“

„Das werde ich bestimmt nicht sagen“, erwiderte ich widerspenstig. „Sowas habe ich noch nie zu einem Mann gesagt.“

„Sie waren ja auch noch nie einem Mann so ausgeliefert. Oder etwa doch?“

„Natürlich nicht! Wofür halten Sie mich denn?“

Er lächelte süffisant.

„Heute werden Sie müssen. Oder Sie handeln sich eine Menge Unannehmlichkeiten ein.“

„Unannehmlichkeiten?“

„Sicher. Sie müssen mich doch unbedingt bei Laune halten, damit ich Sie wieder befreie.“

„Eher kratze ich Ihnen die Augen aus!“

„Mit gefesselten Händen?“

Ein Punkt für ihn. Sogar wenn man davon absieht, dass ich gar nicht vorhatte, diesen wundervoll sanften tiefbraunen Augen etwas anzutun, war meine Drohung schlichtweg albern. Gefesselt zu sein, war wirklich ein sehr realer Nachteil.

„Sie haben da ein hübsches Mäntlein um“, sagte er herausfordernd. „Ist Ihnen damit nicht zu warm hier in der prallen Sonne? Ich könnte es Ihnen von den Schultern ziehen, wenn Sie möchten.“

Was mich auf der Stelle mit den gefesselten Händen bloßgestellt hätte. Ich warf ihm einen bitterbösen Blick zu und sann auf blutige Rache, ehe mir noch eine Strategie für meine Verteidigung eingefallen war.

Unwirsch zerrte ich an den Handfesseln, weil sie mir auf einmal ein ganzes Stück enger vorkamen, doch der Versuch brachte mich kein Stückchen weiter. Der Kerl hatte wirklich alle Trümpfe in der Hand.

Für einen Moment senkte ich unwillkürlich den Blick, doch der fiel dadurch voll auf meine herrlich nach vorne ragenden Brüste. Die Haltung war ganz und gar nicht ideal für die Situation. Ich spürte, dass ich eine Winzigkeit weicher wurde.

„Sie sehen hinreißend aus“, sagte er seelenruhig. „Ich glaube nicht, dass sich die Jungs da hinten lange bitten lassen, wenn ich Sie ihnen anbiete.“

„Sie? Mich? Denen?“

Mit einem Schlag war ich atemlos. Mir war, als wäre ich kurz davor, meine vorlaute Zunge zu verschlucken.

Bei den neuerlich angesprochenen Jungs handelte es sich um eine Gruppe von vielleicht sechs oder sieben jungen Burschen, die ein paar Tische weiter grölend, lachen, saufend und schweinische Lieder absingend irgend etwas Bedeutendes zu feiern hatten. Etwas, das zweifellos in die Annalen der abendländischen Kultur eingehen würde.

Sie mochten zu einer Handballmannschaft oder etwas ähnlichem gehören und trugen allesamt grellrote T-Shirts, die in schwarzer Schrift mit einem nicht besonders gut lesbaren Schriftzug beflockt waren. „Ruhm und Ehre“ konnte ich mit Mühe entziffern, dann noch etwas von einer „brasilianischen Flotte“. Wie südamerikanische Seebären sahen die acht oder neun überhaupt nicht aus, dafür um so mehr wie die typische Horde junger Kerls, der es unter dem Einfluss jenes unheilvollen Gemischs von Alkohol und Testosteron nicht das Geringste ausmachte, sich zwölf oder fünfzehn Mann hoch schön in der Reihe anzustellen, während vorne der Mannschaftskapitän dem armen flachgelegten Mädchen schon mal das schützende Höschen von den entblößt strampelnden Schenkeln zog.

Eine grauenhafte, frauenverachtende, panikerregende Vorstellung!

„Möchten Sie mich küssen, Herr Kreutzer?“, hörte ich mich plötzlich heiser hervorstoßen, und das war noch das Harmloseste. Viel beunruhigender war, dass ich das auf einmal tatsächlich wollte.

Nicht zu fassen!

Er aber schüttelte den Kopf:

„Nein, nein, meine Liebe! So kann ich das nicht gelten lassen! Sie müssen mich schon richtig bitten.“

Das war ja wohl die Höhe!

Was sollte das überhaupt heißen, nein? So eine Frechheit hatte sich noch kein Mann herausgenommen, dem ich großherzig ein Stückchen des Weges ins Paradies freigegeben hatte.

„Bitte, Herr Kreutzer, küssen Sie mich doch! Nur damit ich endlich diese dämliche Krawatte loswerde. Ich verspreche, ich werde es Ihnen auch ganz besonders schön machen.“

Wenn ich angesichts seines vorher so ritterlichen Verhaltens erwartet hatte, dass er mich jetzt wenigstens billig davonkommen lassen würde, so sah ich mich rasch eines viel Schlechteren belehrt. Er genoss meine Kapitulation. Er genoss seinen Triumph. Und er ließ mich meine Niederlage mit einer Häme auskosten, die ich ihm niemals zugetraut hätte.

Mehrmals schlug ich vor ihm die Augen nieder, sah wieder zu ihm auf, zerrte unwirsch an dieser doofen Handfessel und ärgerte mich bei jeder Bewegung, dass meine Brüste in meiner erzwungen aufreizenden Haltung ebenso schamlos wie effektvoll um ein bisschen Beachtung bettelten.

„Und“, fragte er dann spöttisch grinsend mit einer weit ausholenden rechthaberischen Geste, „geben Sie jetzt zu, dass der Verlust der Freiheit direkten Einfluss auf Ihr Verhalten hat? Oder wollen Sie mir etwa erzählen, dass es ganz normal für Sie ist, dass Sie sich fremden Männern so schamlos an den Hals werfen wie mir gerade?“

*

Ich werde nie vergessen, wie gierig ich seinen Duft einatmete, als er sich danach über mich beugte, um mich endlich wieder von diesem widerlichen kleinen Stück Stoff zu befreien, das mich in eine so unangenehme Situation gebracht hatte.

Wären wir nicht an einem denkbar öffentlichen Ort gewesen, ich glaube, ich wäre ihm spontan an die Wäsche gegangen. Es war ein so unglaublich gutes Gefühl, endlich wieder freizukommen, dass eine Woge des Glücks durch meine Adern brandete. Meine Wut auf ihn, all die guten bösen Vorsätze, ihm alles auf der Stelle heimzuzahlen, waren wie weggeblasen.

Ich war schlagartig nur noch ein Weibchen, das die Nähe eines Männchens wittert. Und wären nicht gar so viele Leute um uns herum gewesen, von denen sowieso schon einige neugierig guckten – ich weiß nicht, ob ich mich nicht wirklich vergessen hätte.

Aber nach allem, was er sich da gerade herausgenommen hatte, hätte ich das natürlich niemals zugegeben. Vor dem Hintergrund einer so beschämenden Niederlage auf ganzer Linie würde es schwer werden, ihm gegenüber wieder Land zu gewinnen. Weil mir aber nicht schnell genug etwas Besseres einfiel, setzte ich fürs erste bloß meine finsterste Miene auf und zischte zwischen zusammengepressten Zähnen hervor:

„Sie … Sie … Sie mieser kleiner Erpresser…!“

Der miese kleine Erpresser aber löste mit beängstigender Nonchalance diese doofe Krawatte vollends von meinen Handgelenken, wo sie nie hingehört hatte, und ging, ohne meinen finsteren Blicken Beachtung zu schenken, zurück an seinen Platz.

„Arnold“, sagte er mit triumphierendem Lächeln, sobald er sich in aufreizender Gelassenheit wieder gesetzt hatte. „Bitte nennen Sie mich doch einfach Arnold!“

2

Connie war ein Schatz. Zwar hatte ich in der Aufregung total vergessen, sie anzurufen, dafür fand ich aber am nächsten Morgen gleich eine SMS auf dem Handy vor, in der sie vorschlug, dass wir uns am Nachmittag an unserer Stammstrecke am Museumsufer treffen sollten. Was wir auch taten.

Liebend gerne hätte ich ihr sofort von Arnold erzählt. Doch da sie die Sache mit ihrem Chef noch nicht verkraftet hatte, wollte ich lieber kein Salz in offene Wunden streuen. Jedenfalls nicht gleich. Stattdessen fragte ich sie erst mal, ob sich wegen meiner neuen Bleibe schon was ergeben hatte.

In den Wochen davor hatte ich alles Mögliche unternommen, um eine Wohnung zu finden, die meinen Ansprüchen genügte. Hatte aber keine gefunden. Jedenfalls keine, die der Ebbe auf meinen Konten gerecht geworden wäre. Es war schon enttäuschend, dass die Vermieter nicht Schlange standen, um mir ihre Wohnungen anzudienen. Und wie habgierig sie waren, wenn es um die Vermietung selbst der kleinsten Bruchbude ging!

Deshalb ruhten meine Hoffnungen nun auf meiner besten Freundin. Connie kannte nicht nur meine Ansprüche, sie war auch die einzige, die mit der bedenklichen Entwicklung meiner Finanzen vertraut war. Manchmal kam es mir so vor, als ob sie die Lage besser erfasst hätte als ich selbst.

Connie kennt mehr Leute in mehr wichtigen Positionen, als ich mir auch nur merken könnte. Sie hat früher bei der Frankfurter Rundschau gearbeitet und hatte sich irgendwann gerade zur stellvertretenden Stellvertreterin des kommissarischen Ressortleiters hochgedient, als ihr aufgegangen war, dass Journalismus auf Dauer doch nicht so ihr Ding ist. Zu viel leeres Getue, zu wenig Chancen, auch mal die Wahrheit drucken zu lassen.

Naja, jedenfalls hatte sie sich erinnert, dass sie auf ihrem Tablet die Profile einiger Makler gespeichert hatte, von denen einer mal in zwielichtige Geschäfte verwickelt gewesen war. Connie hatte ihn am Ende verschont, weil er ihr eine Kommunalpolitikerin und einen Bauunternehmer quasi ans Messer geliefert hatte. Das hatte zwar nichts genützt, da die Story nie gedruckt worden war – jedenfalls nicht so, wie Connie sie geschrieben hatte –, aber das ließ ihn gefühlt nun sogar noch tiefer in ihrer Schuld stehen.

„Hast du ihn gefragt?“, erkundigte ich mich gespannt.

„Der hat jetzt ’ne neue Adresse“, antwortete Connie schulterzuckend.

„Is’ nich’ wahr! Aber du kannst sie doch rauskriegen!“

„Ich hab sie ja.“

„Dann nichts wie hin zu dem Kerl!“

„Geht nicht.“

„Warum denn nicht?“

„Weil nur Verwandte Besuchserlaubnis kriegen.“

„Ist er krank?“

„Nö.“

„Sondern?“

„Er sitzt.“

Wir waren fast am Filmmuseum, als ich Connie endlich aus der Nase kitzeln konnte, dass der Typ vom Schreibtisch weg verhaftet worden war. Es waren Fotos aufgetaucht, die wohl in einer leerstehenden Wohnung aufgenommen waren, welche er vor einiger Zeit im Kundenauftrag angeboten hatte. Darauf war ein Schulmädchen abgebildet, das in sehr verfänglichen Posen und mit sehr, sehr hochgerutschtem Rocksaum in die Kamera gelinst und mit feuchtem Finger noch viel schlimmere Sachen angestellt hatte.

Der Makler behauptete nun, dass er von Fotos nie etwas gewusst habe. Er habe einfach den Schlüssel für die Wohnung einer Interessentin zur Verfügung gestellt, die sie mit ihm zusammen bereits besichtigt hatte und nun angeblich noch ihrem Verlobten zeigen wollte. Sowas sei in seiner Branche durchaus üblich, wenn jemand ernsthaftes Interesse an einem leerstehenden Objekt zeige und es terminlich momentan nicht anders zu arrangieren sei. Kein Makler wolle sich einen zeitnahen Abschluss entgehen lassen, bloß weil er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte.

Natürlich hatten die ermittelnden Beamten sofort durchschaut, dass das alles fadenscheinige Schutzbehauptungen waren. Und hatten ihn nach allen Regeln der Verhörkunst unter Druck gesetzt. Schon erstaunlich, was sich beispielsweise allein mit der Drohung bewirken lässt, zum nächsten hochnotpeinlichen Verhör nur mal so die Ehefrau des Verbrechers vorzuladen.

Wie sich dann allerdings eher zufällig herausgestellt hatte, war die Interessentin selbst das Mädchen auf den Fotos. Und sie war 22. Sie hatte nur ihren Freund in einer ungewöhnlichen Umgebung mal so richtig scharf machen wollen und sich dafür selbst auf Schulmädchen getrimmt, mit allem Drum und Dran, von neckischen Zöpfen bis zum superkurzen karierten Uniformröckchen. Die Maskerade war ihr wohl ganz gut gelungen, denn bis sie sich nach einiger Bedenkzeit widerstrebend selbst zu erkennen gegeben hatte, waren alle mit dem Fall Befassten der Version vom ruchlos verführten unwissenden Schulmädchen aufgesessen. Offenbar gibt es heutzutage wohl ziemlich viele hilflose Schulmädchen, die in Bezug auf Sex nicht die blasseste Ahnung haben, wo’s langgeht.

So richtig war der Fall allerdings jetzt gar keine Unzucht mit Minderjährigen mehr. Aber das hatte der Makler ja nicht wissen können. Also konnte er es auch nicht zu seiner Entlastung anführen. Und wen unsere Polizei erst mal wegen so einer richtig schlimmen Sache am Wickel hat, den lässt sie so bald nicht mehr laufen. Außerdem waren mittlerweile auch Kinderschutzbünde und Verbrechensopferringe in den Fall einbezogen, die dafür bekannt waren, auch in aussichtslosen Fällen nicht so schnell locker zu lassen.

Unterstützt wurden sie vom Hersteller einer landesweit verbreiteten Verpackung für stinkenden alten Fisch, die mit ein paar Bildern nackter Mädchen und vielen sinn- und skrupellos kombinierten Wörtern so lustig bedruckt ist, dass viele Käufer sich Tag für Tag einen Spaß daraus machen, die Fischverpackung wie eine Zeitung zu lesen.

Doch bei solch kapitalen Verbrechen wie dem Betrachten von Fotos minderjährig aussehender Mädchen konnten die Behörden in der Wahl ihrer Verbündeten nicht kleinlich sein. Wichtig war nur, dass die Missetäter auf jeden Fall hinter Schloss und Riegel blieben, egal ob ihnen zufällig schon etwas nachgewiesen werden konnte oder nicht.

Wie gut, dass sich wenigstens viele Richter allein von der Schwere des zur Last gelegten Verbrechens leiten ließen und gerade bei derart schlimmen Vorwürfen hinsichtlich der Frage nach stichhaltigen Beweisen nicht allzu kleinlich waren! Dadurch liefen die Winkeladvokaten der Missetäter ganz von selbst ins Leere, auch wenn sie penetrant mit ihrem öden Gefasel von wegen Unschuldsvermutung zu punkten versuchten.

Und deshalb saß der Ganove noch immer. Auf unbestimmte Zeit. Irgendein Vorwand für die Verlängerung der U-Haft findet sich immer. Und wenn es bloß ist, dass ein Täter auch nach dem zwanzigsten harten Verhör noch immer nicht gestehen will. Weil das ja nur beweist, dass er schon eine Menge solche Schurkereien auf dem Kerbholz haben muss, weil er bei derart schlimmen Vorwürfen sonst niemals so abgebrüht leugnen könnte.

Gerade dieses hartnäckige Leugnen fand ich allerdings total rücksichtslos von dem Kerl. Da hatte ich mal die Chance, dass mir so eine connection um drei Ecken herum weiterhelfen konnte, auch wenn es so ein schlimmer Krimineller war, und dann musste der ausgerechnet in der Zeit, in der er mal dringend gebraucht wurde, in den Bau wandern. Echt doof!

So war ich noch immer ratlos, als wir auf dem Rückweg den Holbeinsteg passierten. Das möblierte Zimmer, in dem ich übergangsweise untergekommen war, musste ich räumen, da Sylvia von ihrem Auslandssemester zurückkam und dieses bessere Wohnklo für zwei denn doch zu klein war.

Ich hatte nur noch ein paar Tage.

*

Was die Sache mit Arnold anging, half mir das sogar. Denn dass mir ein Mann so hartnäckig nicht aus dem Kopf gehen wollte, war äußerst bedenklich. Dagegen musste ich etwas unternehmen, und das Problem mit der Wohnung war etwas, worum ich mich zumindest hätte kümmern müssen, auch wenn ich es nicht tat. Oder nicht mit hinreichendem Nachdruck tat.

Andererseits war ich aber auch sauer. Da hatte ich endlich mal wieder eine Männergeschichte, aus der mehr werden konnte als ein kurzer Testlauf, und dann wusste ich nicht mal, wie lange ich für den Fall der Fälle noch ein Bett bereitstehen hatte. Auf einer Parkbank wollte ich mich ja nun nicht gerade flachlegen lassen. Also, jedenfalls nicht grade beim ersten Mal.

Ich habe zwar Freundinnen, die gerne mal betonen, Sex allein sei gar nicht so wichtig. Aber ich glaube ihnen kein Wort. Wenn es im Bett nicht stimmt, kann ich mir den Rest doch sparen. Und ob es da stimmt, kriegt man nicht durch den Online-Fragebogen einer Partnervermittlung raus.

Und deshalb stand Arnold auf der Liste.

Er wusste vielleicht noch nichts davon, aber es war so gut wie sicher, dass ich ihn testen würde. Dieser Mann reizte mich einfach, und er reizte mich auf eine Weise, die mich in Unruhe versetzte.

Das mit den gefesselten Händen ging mir nicht aus dem Sinn. Mein Herz klopfte aufgeregt, wenn ich daran dachte, wie sehr ich ihm ausgeliefert gewesen war und welchen Aufruhr das in mir ausgelöst hatte.

Wenn alles wie sonst gelaufen wäre, hätte ich noch warten müssen. Doch in Bezug auf Arnold Kreutzer lief nichts wie mit anderen Männern.

Also musste ich etwas unternehmen.

*

„Bist du sicher, dass du es noch im Griff hast?“, fragte Connie verhalten, als sie mir nach dem Zahlen im Café elegant die fünfhundert rüberschob, für die wir den Schlenker über den Geldautomaten gemacht hatten.

Klar hatte ich es noch im Griff. Ich war einfach im Moment ein bisschen klamm, und sobald wieder Geld in den gewohnten Mengen auf meine Konten fließen würde, würde das alles kein Problem mehr sein.

Bis dahin halfen diese Plastikkärtchen. Auch wenn meinen Exemplaren nicht mehr zu trauen war, so musste doch nur Connie das ihre in so einen Schlitz einführen, und schon war ich wieder für Tage und Wochen sorglos. Deshalb gefiel es mir auch weniger, was ich Connie sagen hörte, während ich das kleine Bündel in meinem Brustbeutel verstaute:

„Momentan gehen die fünfhundert schon klar. Wäre aber gut, wenn ich sie bald wiederkriegen würde. Mein Konto ist jetzt so ziemlich geplündert.“

Connie war aber auch ein Original. Sie musste sich doch wegen der paar Scheine keine Sorgen machen. Bei mir doch nicht!

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