Für den Thron - Hannah Whitten - E-Book

Für den Thron E-Book

Hannah Whitten

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Beschreibung

Die erste Tochter gehört dem Thron. Die zweite Tochter gehört dem Wolf … Das Finale der »New York Times«-Bestseller-Dilogie!

Red und Eammon haben die Bedrohung durch die Alten Könige abgewehrt. Doch der Preis dafür war hoch: Reds Schwester Neve ist in den Schattenlanden verschollen, in denen die Alten Könige die Macht an sich gerissen haben. Doch Neve hat einen unerwarteten Verbündeten: den schurkischen König Solmir, der Neve schon einmal verraten hat. Kann sie ihm vertrauen – geschweige denn seiner Anziehungskraft widerstehen? Erst wenn Neve und Solmir den legendären Baum der Herzen finden, könnte dies der Schlüssel zur Zerstörung der Schattenlande sein. Doch zuerst müssen die beiden eine Reise durch eine gefährliche Welt antreten – und sie brauchen die Unterstützung von Red und Eammon, um die Alten Könige zu besiegen.

Betrete den Wilden Wald – und verfalle dem Wolf mit Haut und Haar:
1. Für den Wolf
2. Für den Thron

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Seitenzahl: 787

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Buch

Red und Eammon haben die Bedrohung durch die Alten Könige abgewehrt. Doch der Preis dafür war hoch: Reds Schwester Neve ist in den Schattenlanden verschollen, in denen die Alten Könige die Macht an sich gerissen haben. Doch Neve hat einen unerwarteten Verbündeten: den schurkischen König Solmir, der Neve schon einmal verraten hat. Kann sie ihm vertrauen – geschweige denn seiner Anziehungskraft widerstehen? Erst wenn Neve den legendären Herzbaum findet, könnte dies der Schlüssel zur Zerstörung der Schattenlande sein. Doch dazu braucht sie die Unterstützung von Red und Eammon …

Autorin

Hannah Whitten schreibt, seit sie einen Stift halten kann. Kein Wunder, dass sie als Autorin des romantischen Bestsellers »For the Wolf«, mit dem sie von null auf Platz zehn der »New York Times«-Bestsellerliste einstieg, heute unzählige Leser*innen zum Träumen bringt. Sie lebt in Tennessee mit ihrem Mann und ihren Kindern in einem Haus, das von einer temperamentvollen Katze regiert wird.

Die Wilderwood-Saga von Hannah Whitten:

1. Für den Wolf

2. Für den Thron

Hannah Whitten

FÜR den THRON

Roman

Deutsch von Simon Weinert

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »For the Throne« bei Orbit, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2022 by Hannah Whitten

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

This edition published by arrangement with Orbit, New York, USA. All rights reserved.

Redaktion: Ulrike Gerstner

Covergestaltung: www.buerosued.de nach einer Originalvorlage von © 2022 Hachette Book Group, Inc.

Coverdesign: Lisa Marie Pompilio

Covermotiv: Alexa Kan / Arcangel Images; Shutterstock.com (Alexaz; GB_Art; alazur)

BL · Herstellung: sam

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-30232-0V001

www.blanvalet.de

Für alle, denen Dornen statt Blüten wachsen –

ihr hattet eure Gründe dafür.

Was dieses Geschöpf der Finsternis betrifft, so muss ich bekennen, dass es mir zugehört.

- Shakespeare, Der Sturm (5. Akt, 6. Szene)

Füge ein zweites Licht hinzu, so bekommst du eine zweite Finsternis, das ist nur gerecht.

– Richard Siken, Portrait of Fryderyk in Shifting Light

Spieglein, Spieglein

Vor drei Jahren

Sie konnte nicht schlafen.

Das war nicht außergewöhnlich. Einschlafen war Neve immer schwergefallen, schon in der Wiege. Ganz offenbar war ein aufwendiges Ritual aus Gutenachtgeschichten und Liedern nötig gewesen, um die Kinderversion ihrer selbst zum Einschlafen zu bewegen. In Schichten hatten die Kindermädchen die Erste Tochter endlos herumgetragen und gewiegt, bis sie ruhig geworden und eingeschlummert war.

Daran hatte sich nicht viel geändert. Noch immer musste Neve ihren Verstand auslaugen, ehe er etwas Ruhe akzeptierte, sie musste ihn verknoten, bis all die Fäden müde wurden. Gestört hatte sie das nie, denn Schlaf war für sie ohnehin Zeitverschwendung, diese Stunden nutzte man besser zur Arbeit.

So wie jetzt.

Neve trommelte mit den Fingern auf der Decke, die mit ryltischen Gänsefedern gefüllt und aus weichen Fasern aus Karsecka gewoben war. Und in die die Gebetssteuern geflossen waren. Vermutlich hatte sie das bequemste Bett in ganz Valleyda, was ihr wie eine Verschwendung vorkam, da sie es in letzter Zeit kaum noch benutzte.

Ob nun verschwenderisch oder nicht, sie würde nicht so bald einschlafen. Sie murmelte einen Fluch und erhob sich.

Der Boden war kalt, aber sie machte sich nicht die Mühe, nach Hausschuhen zu suchen. In der Bibliothek gab es einen Kamin, dessen Feuer nie ganz ausging. Dort wäre es warm genug.

Auf ihrem Nachttisch stand eine Kerze in einem Zinnständer, daneben lag ein Brief mit Streichhölzern. Neve strich eines an, sodass sich Schwefelgeruch in der kalten Nachtluft ausbreitete. Sie hielt die Flamme an den Docht. Leise und vorsichtig, damit sie nicht quietschte, schob sie die Tür auf und tappte auf den Gang hinaus.

Sie kam an ein oder zwei Wachen vorbei, die auf ihren Posten dösten, doch falls die sie bemerkt hatten, sagten sie nichts. Es war nichts Neues, dass die Erste Tochter durch die Gänge spukte. Schon seit einem Jahr stahl Neve sich oft nachts aus ihrem Zimmer und ging in die Bibliothek. Auf der Suche nach Wissen über Wölfe und Wälder und Zweite Töchter.

Je näher sie Reds Tür kam, desto langsamer wurden ihre Schritte, weil sie eine Entscheidung hinauszögerte, die sie eigentlich gar nicht zu treffen hatte. Da Red genauso wenig schlafen konnte wie Neve, hatte sie ihre Schwester früher auf nächtlichen Exkursionen begleitet. Letztes Jahr jedoch, nach sechzehn Jahren, nach … nun, danach eben, war Red nicht mehr mit Neve in die Bibliothek gegangen. Sie hatte aufgehört, nach einer Möglichkeit zu suchen, dem schrecklichen Handel zu entkommen, in den sie hineingeboren war.

In Neves Bauch brannte fast so etwas wie Wut. Darüber, dass Red sich so fügte. Dass sie das Nichthinnehmbare hinnahm. Vielleicht glaubte ihre Zwillingsschwester tatsächlich, es wäre für einen guten Zweck. Aber in düsteren Momenten witterte Neve dahinter eher Feigheit. Wenn das Schicksal etwas Schreckliches für einen vorsah, warum sollte man sich dann entscheiden, es hinzunehmen? Wie kam es, dass einem ein solches Urteil ohne Weiteres schlüssig erschien?

Deshalb ging Neve immer noch in die Bibliothek, zog alle Bücher, die die Wölfe, die Könige, die Prophezeiungen oder den Handel auch nur erwähnten, aus den Regalen und las sie von der ersten bis zur letzten Seite. Mochte Red vielleicht gewillt sein, sich in den Rachen eines Ungeheuers zu werfen, so würde Neve doch einen Weg finden, damit das Ungeheuer sich an ihr verschluckte.

Sie konnte das Ruder noch herumreißen.

Obwohl sie die Antwort bereits kannte, verharrte sie kurz vor Reds Tür. Drin herrschte Stille, im Gang herrschte Stille, in der weichen, vom durchs Fenster hereinfallenden Mondlicht durchschnittenen Dunkelheit herrschte Stille.

Neve seufzte und ging weiter.

Die Doppeltür zur Bibliothek öffnete sich bei ihrer Berührung, die glänzenden Angeln waren gut geölt. Die Bibliothek von Valleyda war kostbar, alle Königinnen die Jahrhunderte hindurch hatten etwas dazu beigetragen, sodass sie nun mit seltenen Büchern und Kunstwerken angefüllt war – von manch einem befand sich hier das einzige bekannte Exemplar der Welt. Neve ging hinein, schloss die Tür hinter sich und stellte die Kerze auf einen Tisch. Das flackernde Licht verwandelte die Regale in schattige Nischen und die Stühle in dürre Spinnengestalten.

In dem großen Kamin links von der Tür glühte die Asche, sodass das Ölgemälde darüber in einem makabren Halblicht erschien. Während Neve die Asche von Neuem anschürte und eine Hitzewelle in den kalten Raum hinausbrandete, betrachtete sie das Bild.

Es war riesig, fast so groß wie Neves Zimmer. Eine dunkle Fläche mit hellen Punkten, die mit blassen Linien verbunden waren. Eine Karte der Sternbilder.

Eine Zeit lang war Neve vom Nachthimmel fasziniert gewesen. Noch immer spürte sie eine gewisse Verwandtschaft zu ihm, doch kannte sie sich gut genug, um zu merken, dass es für jemanden in ihrem Alter schmerzhaft anmaßend war, sich für dunkel und unergründlich zu halten.

Neve war eigentlich sehr leicht zu ergründen. Sie wollte so wenig: Ihre Schwester retten. Jemanden, der sie liebte. Ein gewisses Maß an Kontrolle, und zwar so viel davon wie irgend möglich. Ihr Leben aktiv bestimmen, anstatt von äußeren Kräften gelenkt zu werden wie der Rauchschwaden einer ausgedrückten Kerze.

Nachdem das Feuer angefacht war, trat sie zurück und sah mit zusammengekniffenen Augen zu dem Gemälde auf. Die meisten Sternbilder konnte sie benennen, das Wissen darüber hatte sie sich in der Bibliothek angeeignet. Der Leviathan, die Seuchensterne, die Zwei Schwestern, die Entlegene Königin. Sie kannte auch einige der Geschichten, doch diese variierten so sehr von Land zu Land, dass man nur schwer glauben konnte, dass sie einen wahren Kern enthielten. In Nioh sah man in der Entlegenen Königin eine intrigante Tochter, die einen ihr nicht zustehenden Thron usurpierte und die Welt in einen Krieg stürzte, weshalb sie als böses Vorzeichen galt. In Valleyda erzählte man sich eine freundliche, friedvolle Geschichte über eine Königin, die in der Ferne aufgewachsen war, als Erwachsene dann aber eine Epoche des Wohlstands einläutete. Und in Alpera hielt man das Sternbild überhaupt nicht für eine Königin, sondern sah in der schlanken Form, die die Sterne zeichneten, einen Dolch.

Zerstörung und Wiedergeburt und Frieden und Krieg, alles verdreht, nichts davon wahr. Aus Neves zusammengekniffenen Augen wurde ein Stirnrunzeln.

Dann rieb sie sich mit dem Handballen die müden Lider und ging zu dem Bücherregal, das sie gerade durcharbeitete. Drei Bücher zog sie heraus, hielt sie wie Schilde an ihre Brust gedrückt und warf sie respektlos auf einen Tisch. Gähnend setzte sie sich und schlug das erste auf. Ein Unikat, in brüchiges Leder gebunden, und die Seiten rochen nach Staub. Die Buchstaben wirkten wie von Hand geschrieben, die Tinte war an manchen Stellen zu Phantomlinien verblasst.

Die meisten Einträge waren wie Gedichte gesetzt. Sie rümpfte die Nase. Inzwischen konnte Neve sich eigentlich nicht mehr erlauben, wählerisch zu sein, aber sie hatte wenig Hoffnung, dass sie hier finden würde, was sie brauchte. Das Ding sah aus wie ein altes Tagebuch.

So überzeugt war sie, dass ihr das Buch nichts bringen würde, dass sie es schon fast wieder zugeschlagen hatte, als ihr Blick zufällig auf eine Zeile fiel. Die Goldgeäderte, die Waldverschlungene.

Neve schluckte. Dann öffnete sie das Buch erneut und las.

Ich vernahm das Flüstern der Zweige, und sie alle erzählen von der einen, die zwei wird, die drei werden.

Eine das Gefäß – die Schattenkönigin, die Dunkelbergende.

Zwei ergeben das Tor – die Schattenkönigin und die Goldgeäderte, die Waldverschlungene.

Drei ergeben einen Thron – die Schattenkönigin, die Goldgeäderte und die Heilige Verräterin, die Lästermütige.

»Geschwafel«, brummte Neve das Buch an. Sie schlug es so kräftig zu, dass eine dünne Staubwolke zwischen den alten Seiten hervorstob. »Königs- und schattenverdammt.«

Ihre Kehle fühlte sich geschwollen und rau an. Sie verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte die Stirn darauf ab, die Zähne in Erwartung wütender Tränen gebleckt. Neve weinte kaum, und wenn, dann waren es genau diese Dinge, die sie dazu brachten – vergeudete Zeit, Winzigkeiten, die sie daran erinnerten, wie wenig sie auszurichten vermochte.

Sie schluchzte einmal ganz leise im Zischen des Feuers. Dann schob sie ihre Gefühle beiseite. Endlich etwas, was sie kontrollieren konnte.

Kurz darauf stand sie auf, stützte sich wie eine alte Frau erschöpft auf den Tisch, ehe sie in Richtung Tür ging. Heute Nacht konnte sie nicht weitermachen, Schlaflosigkeit hin oder her.

Auf halbem Wege überfiel sie eine Wut, die den leiseren Ärger, der ihr die Tränen brachte, überdeckte. Sie handelte, ohne nachzudenken. Sie kehrte zum Tisch zurück, schnappte das nutzlose Buch und schleuderte es ins Feuer.

Das Leder krachte und bekam Blasen, füllte die Bibliothek mit einem sauren Geruch, und dann fing das Papier Feuer. Wie in Todeszuckungen klappte das Buch auf, schrumpfte, da die Flammen es zerlegten, es in Rauch verwandelten. Die Kräfte des Infernos blätterten die Seiten um. Neve fielen noch die Striche und Bögen halb zerfressener Buchstaben auf dem Buchrücken auf – ein T, ein N, ein Y.

Noch ehe es ganz verbrannt war, ging sie.

Als sie erneut an Reds Zimmer vorbeikam, sah sie zum Fenster an der gegenüberliegenden Wand. Neve redete sich ein, dass sie Reds verschlossene Tür nicht sehen wollte, dass sie nicht daran denken wollte, dass dahinter ihre Schwester schlief und dass die Zeit, bis sie nicht mehr hier sein würde, rasch verstrich.

Um diese Zeit waren die meisten Lichter in der Stadt gelöscht, und der Himmel spannte sich als mitternachtsblauer, mit Sternen besetzter Streifen über den Straßen. Es war so klar, dass man Sternbilder erkennen konnte, und Neve blieb beinahe unbewusst stehen, um die leuchtenden Muster nachzuverfolgen.

Die Zwei Schwestern waren schon halb hinterm Horizont verschwunden. Eines der beiden Schwestergebilde war noch zu sehen, doch die Hand, die sie der anderen entgegenstreckte, war hinter die Krümmung der Welt gesunken.

Aus dieser Perspektive sah es so aus, als würde sie in die Erde greifen.

Kapitel eins

Neve

In den Bäumen bewegte sich etwas.

Neve hielt im Rennen inne, krachte so heftig gegen einen Baumstamm, dass es ihr die Luft aus der Lunge presste. Sie fühlte sich halb wahnsinnig und sah auch so aus – sie floh aus einem Turm in eine Albtraumlandschaft, in der Bäume verkehrt herum wuchsen und alles schwarz, weiß und grau war.

Die Schattenlande. Das Gefängnis der Ungeheuer, das Gefängnis der Götter. Eine Unterwelt, eine Halbwelt, die unter dem Wilden Wald verankerte Finsternis.

Auf eine perverse Weise ergab es Sinn. Der eine Ort hatte Red verschlungen, und so verschlang der andere Neve.

Noch vor ein paar Minuten war sie in einem Glassarg erwacht, mit geschwärzten Adern und trübem Verstand. Und er war bei ihr gewesen. Und Neve hatte keinen Gedanken, keine Sekunde auf Höflichkeiten oder Erklärungen verschwendet. Sie war aus dem Sarg gebrochen und losgelaufen.

Nun freilich bereute sie das ein bisschen.

Sie wollte ruhiger atmen, weniger keuchen, doch als sie das Ding im Wald erblickte, rückte die Panik von allen Seiten näher – kann man es überhaupt noch Wald nennen, wenn die Bäume kopfstehen? Es war zu groß, als dass sie es in seiner Gänze hätte sehen können, sie erkannte lediglich graue Schemen, die sich von den weißen Stämmen abhoben und ihr den Eindruck einer langsamen, schwerfälligen Bewegung vermittelten.

Ihr Herzschlag hatte sich schon fast wieder beruhigt, als sich eine Hand um ihren Arm schloss und gleich darauf ein raues Flüstern in ihr Ohr drang.

»Wohin so eilig, Neverah?«, murmelte Solmir.

Instinktiv stieß sie den Ellbogen nach hinten, zielte auf seine Weichteile – falls er überhaupt welche hatte. Denn der Körper, der sich gegen sie drückte, schien nur aus harten Kanten zu bestehen, als wäre er ein Mensch gewordenes Messer. Dennoch entlockte sie ihm mit ihrem Ellbogen ein kurzes Grunzen, wenn auch ein eher erschrockenes denn gequältes. Aber es ermutigte sie, mit dem Fuß nach ihm zu treten und ihm auf den Absatz zu stampfen.

»Bei allen seelenlosen Vorigen, du bist barfuß.« Er klang vor allem genervt, während er ihr noch immer aus nächster Nähe ins Ohr flüsterte. »Meinst du ernsthaft, du könntest mir …?«

Er unterbrach sich mit einem weiteren Grunzen, als ihn Neves Faust am Hüftknochen traf.

Dem Geräusch nach tat es ihm genauso weh wie ihr, und Neve schürzte die Lippen, während sich ihr ein wütender Schmerzenslaut entrang. Nicht sonderlich kräftig, aber in der sonderbaren Stille dieses Orts hallte er dennoch wider.

Solmir erstarrte, sein Blick wanderte von ihr zu dem Geschöpf im Wald, das sich langsam zwischen den Bäumen schlängelte. Dann hielt er ihr den Mund zu.

Neve wand sich in seinem Griff – lieber wollte sie es mit dem Ding zwischen den kopfstehenden Bäumen aufnehmen, als Solmir so nahe zu sein. Er löste das Problem ihrer krallenden Hände, indem er den anderen Arm um sie schlang und dadurch ihre Ellbogen an Rippen und Rücken presste und festhielt. »Hör zu«, raunte er ihr ins Ohr, und, verdammt, es klang fast so, als wollte er sie besänftigen. »Ich weiß, dass du mich hasst. Das ist in Ordnung. Aber ich kann dir versprechen, dass du das, was dir dieses Ding antun wird, noch mehr hassen wirst.«

Ihre Lippen bewegten sich umsonst in seiner Handfläche, und Neve hätte ihn am liebsten gebissen, um ihm klarzumachen, dass es in dieser Welt und auch in jener, die sie gerade verlassen hatte, nichts gab, was sie momentan mehr hasste als ihn. Doch dann wandte sich das Ding zwischen den Bäumen um, sodass sie sein Gesicht sehen konnte.

Gesicht war vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Im Grunde war es nur ein Maul. Ein Maul mit mehreren Zahnringen, rasiermesserscharf und so lang wie sie selbst.

Neve gab hinter Solmirs Hand einen kläglichen Laut von sich. Und hörte auf, sich zu widersetzen.

Das zahnbewehrte Ding schnaubte, und der Gestank seines Atems schlug wie eine Welle über Neve herein, schwer von Aas und fiebrig heiß, verstärkt noch durch die kalte Luft. Solmir zog sie fester an sich heran, sein Arm lag wie ein Schraubstock um ihre Taille. Regungslos standen sie da und warteten ab.

Nach einer gefühlten Ewigkeit drehte sich das Ding wieder um, sodass das grauenhafte Maul von ihnen weg zeigte.

Langsam setzte es sein Schlängeln zwischen den Bäumen fort.

Einen Herzschlag später ließ Solmir sie los.

Neve wirbelte mit einem Fauchen zu ihm herum, die Fäuste geballt. Mit einer holte sie aus, doch er war schneller. Solmirs Hand schloss sich mitten in der Bewegung um ihre Faust und hielt sie davon ab, ihm einen Kinnhaken zu verpassen.

»Komm schon, Neverah«, sagte er mit dem Gespenst eines abscheulichen Lächelns auf den Lippen. »Nach all den Lektionen in Diplomatie willst du mich nicht einmal bis zu Ende anhören?«

»Diplomatie ist etwas für ehrenhafte Menschen.« Ihre ineinander verkeilten Hände bebten unter den entgegengesetzten Kräften. »Hier hat sie nichts verloren.«

»Na gut.« Eine rasche Bewegung, und er drückte ihre Hand in ihren Rücken, eingeklemmt zwischen ihr und seiner kantigen Brust. »Dann regeln wir das eben auf die undiplomatische Weise. Ich glaube, dass dir das insgeheim sowieso besser gefällt. Dir scheint jeder Vorwand für Gewalt willkommen zu sein.«

Sie zappelte in seinem Griff. Er lachte, dunkel und schroff. »Ich verrat dir mal was, kleine Königin. Ich sage, was ich zu sagen habe, und dann darfst du mich gerne schlagen. So fest du willst. Wohin du willst.« Seine Stimme hatte einen Beiklang, den sie nicht richtig einordnen konnte. Bedauernd und wütend, mit einer schwelenden Wildheit wie bei einem mit Asche abgedeckten Feuer. »Abgemacht?«

Ihr blieb kaum eine andere Wahl. »Na gut«, sagte Neve. »Sprich.«

Er entspannte sich ein wenig, doch hielt er ihren Arm noch immer unerbittlich fest. Er hatte an fast allen Fingern Silberringe, die ihr in die Haut schnitten. Kalte Punkte in einer ohnehin schon kalten Welt. »Du befindest dich in den Schattenlanden.«

»Das habe ich mir bereits gedacht«, gab sie zurück und bemühte sich, mit ihrer Wut jegliche Angst in ihrem Ton zu überdecken.

»Kluge Frau.« Er wechselte den Griff, sodass das Silber ihren zerbrechlichen Unterarm kühlte. »Du befindest dich in den Schattenlanden«, fuhr er fort, »weil ich deine Hilfe brauche.«

»Und wenn ich dir nicht helfen will? Weshalb sollte ich dir jemals helfen wollen?«

»Weil du keine andere Wahl hast.« Da er offenbar überzeugt war, dass sie erst zuschlagen würde, nachdem er ausgesprochen hatte, drehte er sie um, damit sie ihn ansehen konnte.

Solmir sah gut aus, eine Tatsache, die sie gleich in zweifacher Hinsicht hasste – sie hasste, dass es die Wahrheit darstellte, und sie hasste, dass sie es wahrnahm. Langes, glattes Haar fiel auf seine Schultern, beinahe bis zu den Ellbogen. Welche Farbe es hatte, wusste sie nicht, denn die Monotonie der Schattenlande raubte alle Farbtöne, doch hier wies es ein halbdunkles Grau auf, das an einem Ort mit Farbe irgendetwas zwischen Gold und Braun hätte sein können. Dunkle Brauen zogen sich wie Dolchwunden über seine hohe Stirn, seine Nase war gerade und ragte über den schmalen, verächtlich verzogenen Mund. Er war sehr groß, und wenn er auf sie herabsah, wirkte er fast wie ein Raubvogel, der auf eine in der Falle sitzende Beute blickte.

Und seine Augen. Sie waren blau. Blau inmitten all dieses Graus und Schwarz und Weiß.

»Ich werde mich nicht vor dir rechtfertigen.« Doch der Ausdruck seiner blauen Augen verhieß, dass er es vielleicht durchaus wollte. »Aber ich sage dir, vollkommen ehrlich, dass alles, was ich an der Oberfläche getan habe, zu einem bestimmten Zweck geschah.«

»Und dieser Zweck wäre?«

Sein Mund verzog sich zu einem vollkommen kalten Messerklingenlächeln. »Die Könige zu töten.«

Neve war sehr gut darin, sich ihre Gefühle nicht in ihrem Gesicht und in ihrer Haltung ablesen zu lassen, sie vermochte stets die Teilnahmslose zu spielen. So blieb sie auch jetzt starr wie eine Statue, während Verwirrung und Abscheu angesichts der Gotteslästerung ihren Geist aufwühlten und sie versuchte, diesem Detail irgendeinen Sinn abzugewinnen.

»Du«, sagte sie schließlich, »wirst das wohl noch etwas genauer erklären müssen.«

»Komm schon, Neverah.« Er schüttelte den Kopf, sodass sein hin und her wiegendes Haar über ihre Brust strich. »Du hast doch nicht allen Ernstes geglaubt, dass sie gut sind, oder? Ich weiß, dass du das nicht geglaubt hast. Ich habe gesehen, dass du diesen Holzsplitter nie berühren wolltest. All das war nur für deine Schwester und wegen irgendeiner fehlgeleiteten Frömmigkeit.«

»Sprich nicht über meine Schwester.«

Ein königlicher Befehl, und für einen Moment weiteten sich seine Augen. »Verstanden, Hoheit.«

Unerklärlicherweise stieg ihr bei dem Titel die Hitze ins Gesicht. Neve wand den Arm aus seinem Griff, versuchte aber nicht, ihn zu schlagen. Noch nicht. »Dann willst du also die Könige töten. Hast du sie deshalb entkommen lassen wollen?«

Solmir nickte mit einer Ernsthaftigkeit, die nicht zu dem spöttischen Ton passen wollte, den er anschlug.

Ein furchtbarer, verkehrter Hain, Blut an weißen Ästen, tropfende Finsternis. Ihre Erinnerungen an das, was vor ihrem Erwachen hier geschehen war, waren verstreut, nur schwer zusammenzubringen, schwer zu einem ganzen Bild zu vereinigen. Doch sie wusste es tief in ihrem Inneren, wo sich die kalte Magie wand. Sie wusste, dass – ehe sie in die Schattenlande gerissen worden war – Kiri, Solmir und die anderen Priesterinnen versucht hatten, einen Durchgang zwischen den Welten zu öffnen. Dafür hatten sie Neve benutzt. Dafür hatten sie Neve in der Umkehrung jenes Waldes verankert, in dem auch Red verwoben war, sodass sie zu dunklen Spiegelbildern voneinander wurden.

Red. Schattenverdammt, sie konnte gerade nicht an Red denken.

Neve schüttelte den Kopf. »Dann willst du die Könige nun also hier töten?«

»Das würde ich gerne. Aber ich kann es nicht.« Wieder dieses kalte Lächeln, das nur aus Kanten bestand. »In den Schattenlanden kann nichts wirklich sterben, fürchte ich.«

Diese Tatsache an sich hätte tröstlich sein können, wenn er nicht in diesem Ton davon gesprochen hätte. Gleichsam wie eine Herausforderung und als hätte er den Trumpf in der Hand, mit funkelndem Blick und einem harten Zug um den Mund.

Doch Neve hatte kaum Gelegenheit, darüber nachzugrübeln.

Die kopfstehenden Bäume peitschten hin und her, die spindeldürren Wurzeln reckten sich in den kalten Himmel und winkten wie Knochenfinger. Ein Geräusch wie von reißendem Metall hallte durch das Grau, und mit einem Knall schoss das Ungeheuer mit seinem langen Leib aus dem Wald, malmte mit dem zahnberingten Maul und kam direkt auf sie zu.

»Verdammt«, murmelte Solmir und stieß Neve zur Seite.

Sie stolperte über verschlungene Wurzeln auf dem trockenen Boden, weg von den auf sie zurasenden Zähnen, und landete auf den Knien. Sie war noch immer im Nachthemd, das nur dürftig gegen die Kälte und die schneidende, raue Borke an ihren Knien schützte. Wenn sie gewusst hätte, dass sie eine Reise in die Unterwelt machen würde, hätte sie ihre Garderobe etwas sorgfältiger ausgewählt.

Dieser lächerliche Gedanke, einer, der eher zu ihrem Leben als Erste Tochter und nicht zu dem einer Königin und Ketzerin passte, reichte aus, um ihr ein schreckliches, bellendes Lachen zu entlocken.

Solmir stand vor ihr in der Bahn des riesigen Mauls, auch er hatte die Zähne in einem starren Lächeln entblößt. Den dunklen, beinahe soldatischen Mantel, den er getragen hatte, warf er beiseite und krempelte die dünnen weißen Hemdsärmel hoch. Über seine Arme zogen sich schwarze Linien, als wallte statt Blut Tinte aus seinem Herz. In seinen Händen sammelte sich Finsternis; Finger, Handgelenke, Handteller wurden schwarz. An seinen Knöcheln zeigte sich eine dünne Eisschicht.

Das schnappende Maul des wurmartigen Monsters war inzwischen so nahe, dass Neve seinen Atem spüren und riechen konnte.

Dann öffnete Solmir die ausgestreckten Fäuste.

Die Finsternis in seinen Händen schoss hervor, gezackt und dornig, als hätte er in seinen Adern ein Netz von Brombeersträuchern gewoben und würfe es jetzt aus. Es landete auf dem Ungeheuer, schnitt in blutverkrustetes Fleisch, zog sich um seinen Leib zusammen, sodass es brüllte.

Doch das Monster stürmte ungebremst weiter.

Furcht war eine Empfindung, die bei Solmir unnatürlich wirkte, sein kantiges Gesicht schien sie nicht gut zeigen zu können. Seine blauen Augen wurden groß, sein grausamer Mund öffnete sich, aber er brauchte nur einen Moment, ehe seine Hände erneut nach vorn stießen, während er versuchte, noch mehr Schatten heraufzubeschwören. Die Tinte, die nun langsam über seine Haut kroch, war nicht so dunkel wie zuvor, eher grau statt schwarz.

Die Magie ließ nach, versiegte. Neve wusste noch immer nicht genau, wie es funktionierte, dieses kalte Ding, das sie durch ihr Blut auf dem Splitter eines Wächterbaums in ihren Leib hineinbeschworen hatte – sie wusste nur, dass sie an diesen Ort gebunden und die Verkehrung jener grünen wachsenden Macht war, die Red beherbergte. Aber ihr war bewusst, dass die Magie noch immer in ihr lebte, eisig und dornig. Sie war durch den Durchgang, den sie zu öffnen versucht hatten, durch die Art und Weise, wie sie sie an diesen abscheulichen Hain gebunden hatten, nur umso mächtiger geworden.

Und ihr war bewusst, dass sie nicht von einem Monster mit derart vielen Zähnen gefressen werden wollte.

Ohne nachzudenken folgte Neve Solmirs Beispiel. Sie streckte die Hände vor, und ohne dass sie es erst hätte versuchen müssen, floss die Finsternis durch ihre Adern, ihre Finger krümmten sich zu Fäusten, während sich das Dunkel in ihrer Hand sammelte. Es fühlte sich an wie Winter, wie schneidender Wind, und in ihrem Inneren wurde es so kalt, dass sie das Gefühl hatte, zu brennen.

Die brennende Kälte lief ihre Arme hinab, vereinte sich in ihren Händen, und als sie es nicht mehr aushielt, öffnete sie die Fäuste.

Nun war es ihr dorniges Magienetz, das auf das Wurmding fiel, als dessen Kiefer schon zum Greifen nahe waren.

Die Wirkung zeigte sich augenblicklich. Hatten Solmirs Dornen das Untier lediglich langsamer gemacht, brachten die von Neve es sofort zum Stehen. Es wand sich, kreischte in den grauen Himmel, schrumpfte, welkte an den Stellen, an denen Neves Magie es berührte. Schattenwirbel lösten sich aus seinem Körper, vernebelten die Luft und gaben eine Art Zwitschern von sich, das ein leises Echo auf das Brüllen des Wurmmonsters zu sein schien. Ein Knall, und erneut brach ein zuckender Schatten hervor, und dann war das Ding verschwunden.

Was an Schatten zurückblieb, huschte blitzschnell in den Wald, und Solmir sah ihnen Grimassen schneidend nach, hob die Hand, ließ sie wieder fallen. »Verdammt«, grummelte er. »Tja. Wir können sie uns das nächste Mal schnappen. Die Macht von einem Schattenwesen mehr oder weniger wird nicht unbedingt entscheidend sein.«

Neve starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Stelle, wo eben noch das Monster gewesen war, ihre Brust hob und senkte sich heftig unter dem Nachthemd, während die Finsternis in ihren Adern langsam verblasste. Sie war kalt, so kalt, dass Wasser von ihrer Hand tropfte, auf der sich eine dünne Eisschicht gebildet hatte. »Hast du nicht gesagt, dass hier nichts sterben kann?«

»Hast du die Schatten gesehen?« Er zog eine Braue hoch, kühl und gefasst, als hätten sie nicht eben erst Magie auf einen Riesenwurm geschleudert, der sie hatte fressen wollen. »Das waren die Überbleibsel der minderen Bestie. Deren umgewandelte Energie. Alles, was hier zu sterben scheint, verschwindet nicht, sondern wechselt nur seine Gestalt.«

Sie machte den Mund auf, um ihm eine weitere Frage zu stellen, um ihm gallig vorzuschlagen, sie könne ja ihre Magie auf ihn schleudern, damit er sich in eine Gestalt verwandelte, die weniger nerven würde. Doch der stechende Schmerz in ihrem Kopf löschte alle Worte von ihren Lippen und ließ nur noch ein Stöhnen dort zurück.

Mit den Knien auf der Erde, drückte sie sich die Hände an die Schläfen. Neve fühlte sich, als würde sie zusammengepresst und gleichzeitig auseinandergerissen, ihr Körper schien sich zusammenzuziehen, aber auch auszudehnen. Schmerzen blitzten in ihrem Kopf auf, in ihrem Bauch, entlang der Nervenenden, und eine Kälte, wie sie sie noch nie gespürt hatte, ergriff qualvoll pochend von ihr Besitz.

Wie aus weiter Ferne hörte sie Solmir erneut fluchen, spürte Hände, die ihr unsanft seitlich gegen den Kopf drückten. Sie sah nur noch verschwommen, konnte aber erkennen, dass ihre Adern schwarz aufflackerten, und bei jedem Pulsschlag presste sich etwas Scharfes gegen ihre Haut.

»Verdammt«, fauchte Solmir. »Du kannst mir doch jetzt noch nicht das Bewusstsein verlieren.«

Er kauerte sich vor Neve hin. »Hier unten hat die Magie ihren Preis, Neverah.« Er sprach ruhig, aber seine Finger drückten fest in ihre Schläfen, als wollte er sie verankern, damit sie sich nicht auflöste. »Auf der Oberfläche waren die Schattenlande schwach, denn ihre Magie war dort schwach. Aber wenn du ihre Kräfte hier benutzt, dann verhakt sich dieser Ort in dir. Er wird ein Teil von dir. Und das ist zu viel für dich. Das hier war ein Gefängnis, das für Götter und Ungeheuer geschaffen wurde, und du bist keins von beidem.«

Götter und Ungeheuer. Und was davon war er?

»Ich kann das beheben.« Nichts Sanftes lag in dieser Erklärung, vielmehr war sie bissig und scharf. »Ich kann dir einen anderen Anker geben, dann kannst du Macht heraufbeschwören, die nicht zu den Schattenlanden selbst gehört.«

Sie sah zu ihm auf, schob die Lippen zurück und sagte von Schmerzen benebelt: »Du hast Arick umgebracht. Du hast beinahe meine Schwester umgebracht. Du hast mich benutzt.« Ein Zittern, ein dorniges Reißen in ihren Adern. »Ich will nichts von dir, was immer du mir anbietest.«

Seine Hand schloss sich um ihren Arm, seine Finger waren lang und elegant, die silbernen Ringe an ihnen brannten, als er sie hochzog. Sein Gesicht war wie eine blitzende Klinge, die Brauen über den höllisch blauen Augen wie Messerwunden, und sein Mund war wie ihrer zu einem Fauchen verzogen.

»Ich biete dir nichts an«, sagte Solmir.

Er drückte seine Lippen auf die ihren und küsste sie grob.

Vor Schreck erstarrte sie, doch war sie trotz allem noch in der Lage, zu erkennen, dass sich diese Art der Umarmung von allem unterschied, was sie kannte. Sie war mehr Kampf als Kuss – sie spürte seine Zähne hinter seinen Lippen, der Druck seines Munds war kalt und scharf wie ein Dolch.

Und während dieses brutalen Kusses … tat sich etwas in Neve.

Der Schmerz jener Dornen, die ihre Adern zerfetzten, ließ nach, wurde zu einem Stich, dann zu einem bloßen Piksen. Ganz langsam wurden auch ihre pochenden Kopfschmerzen schwächer, sickerten aus ihr heraus, je länger ihre Lippen auf denen von Solmir verharrten. Diese Berührung saugte die Magie aus ihr, als würde jemand an einem aufgerollten Strick ziehen. Dieses Leerwerden war gleichermaßen wohltuend wie auch verheerend, Schmerz und Macht nahmen dabei in gleichem Maße ab. Ihr Körper fühlte sich zunehmend geerdet an und wieder mehr wie ihr eigener.

Zerbrechlich und menschlich, ohne Kontrolle über irgendetwas.

Solmir ließ von dem eigenartigen Nichtkuss ab, doch hielt er sie noch immer in seinen Armen, hielt sie fest für den Fall, dass sie zusammenbrechen sollte. Er roch nach Kiefernnadeln und Schnee, nach weiten Ebenen und freiem Himmel.

Sein Blick erinnerte sie zu sehr an die Monate, in denen er vorgegeben hatte, Arick zu sein. Als er freundlich getan hatte …

Sie stieß sich von ihm ab, schlug ihm dabei mit dem Handballen vor die Brust. »Was hast du mit mir gemacht?«

»Ich habe dir einen Anker gegeben. Habe deine Macht an mich gebunden statt an die Schattenlande. Von nun an, wenn du Magie willst, ziehst du sie zuerst aus mir. Ich bin dein Gefäß.« Mit teilnahmsloser Miene griff er nach ihren rudernden Händen und hielt sie fest. »Unsere Abmachung war ein Treffer, und du hast bereits zwei gelandet.«

In dieser Haltung, ihre Handgelenke von seinen Fingern gepackt, ihr Gesicht vor Wut verzerrt und tränenverschmiert, erstarrten sie.

Aus der Ferne hätte man seinen Ausdruck als teilnahmslos fehlinterpretieren können. Aber zwischen ihr und dem gefallenen König lagen nur wenige Fingerbreit, und deshalb erkannte Neve das Lodern von Bedauern und Wut und von etwas wie Trauer in seinen blauen Augen. Langsam ließ er sie los, bückte sich, um seinen zur Seite geworfenen Mantel aufzuheben, und zog ihn sich über die muskulösen Schultern. »Ich habe getan, was ich tun musste.«

Wir tun, was wir tun müssen.

Neve schlang die Arme um den Bauch und dachte erneut daran, wie er an der Oberfläche gewesen war. Er hatte so getan, als würde er etwas für sie empfinden, und sie war so dumm gewesen, es ihm zu glauben. Doch war es ein Trick gewesen, das war ihr nun klar. Um sich ihr Vertrauen zu erschleichen. Sie wollte ihn zur Rede stellen, wollte ihn fragen, warum er sich nicht damit zufriedengegeben hatte, Aricks Maske aufzusetzen, sondern sie stattdessen so verletzt hatte. Die einzigen Menschen, denen sie etwas bedeutet hatte, waren Raffe und Arick gewesen. Nun zu erfahren, dass Aricks Gefühle nicht echt gewesen waren – dass sie nicht Aricks Gefühle gewesen waren –, das höhlte sie von innen aus.

»Du hast Arick getötet«, knurrte sie. »Du darfst seine Worte nicht benutzen.«

»Das waren nicht seine Worte.« Solmirs Augen funkelten. »Es waren meine.«

Das war eine Gelegenheit. Beinahe eine Einladung, ihn danach zu fragen, herauszufinden, was er mit seiner Freundlichkeit, seiner Zuneigung gemeint hatte. Doch Neve ergriff sie nicht. Sie wollte es nicht wissen.

Sie schluckte mit rauer Kehle. »Lebt meine Schwester noch?« Sie hatte eine vage Erinnerung daran, Red durch milchiges Glas gesehen zu haben, aber es war zu verschwommen gewesen, als dass sie sich darauf verlassen hätte. Und sie musste es aus seinem Mund hören. »Wenn nicht, bringe ich dich um – ich bringe dich richtig um, nicht nur so, dass du dich in magischen Rauch auflöst. Und wenn ich dich dafür an die Oberfläche zerren muss, ich werde es tun.«

»Sie lebt.« Er nickte ihr leicht zu. »Ich glaube, wir werden sie brauchen, damit das gelingt.«

Neve runzelte die Stirn. »Damit was gelingt?«

»Die Könige töten, natürlich.« Ein scharfes Grinsen krümmte Solmirs Mund. Er wandte sich um und schlenderte in die Richtung zurück, aus der sie fortgelaufen war, als wäre er überzeugt, dass sie ihm folgen würde. »Witzigerweise werden wir genau das machen: Leute an die Oberfläche zerren.«

***

Alles in allem war sie nicht sehr weit gelaufen. Der Turm erhob sich gleich hinter einer dünnen Schicht kopfstehender Bäume, schimmerte durch die blattlosen Zweige hindurch.

Zweig war allerdings nicht der richtige Ausdruck. Da die Bäume umgedreht wuchsen, wühlten sich die dicken Äste durch graues, trockenes Erdreich und bildeten Grate, an denen man sich das Schienbein stoßen konnte. Über ihr verzweigten sich Wurzeln in den farblosen Himmel, dürr und regungslos reckten sie sich so weit hinauf, wie das Auge reichte, und verschwanden dort im Nebel.

Ein Wald im Spiegel, wie der Hain, den sie im Schrein hatten wachsen lassen, nur ausgedehnter und größer.

Jenseits der Bäume jedoch lag eine unfruchtbare graue Ödnis, die sich meilenweit ohne einen einzelnen Baum, ob nun kopfstehend oder nicht, erstreckte. Aus dieser verlassenen Weite ragte der Turm in den Himmel, in dem sie erwacht war. Verwitterte Ziegel, von schwarzen Dornenranken umschlungen. Solmir hielt lässig auf die Tür zu, als hätten sie nur einen Morgenspaziergang gemacht und nun ein gemütliches Frühstück vor sich.

»Wie genau willst du sie denn an die Oberfläche zerren?« Neve verschränkte die Arme, da die Kälte dieses Ortes in sie eindrang und sie zitterte. »Du hast schon einmal dabei versagt, die Könige hochzubringen, und jetzt willst du es noch einmal probieren? Bist du nicht nur böse, sondern auch noch dumm?«

Zugegeben, das war nicht gerade ihre beste Beleidigung, aber sie war eben erst in der Unterwelt aufgewacht und einem Monster entkommen. Da durfte man wahrlich keine nennenswerte Schlagfertigkeit von ihr erwarten.

Solmir sah sie mit hochgezogenen Brauen an, während er die Tür aufstieß, zur Seite trat und sie großspurig hereinbat. Ihre Finger ballten sich zu Fäusten, und als sie über die Schwelle schritt, drückte sie sich so eng wie möglich an den ihm entgegengesetzten Türrahmen. Ihre Haut erinnerte sich an seine, und sie hatte den Wunsch, sie sich herunterzureißen.

»Extrem dumm«, sagte er, während sie an ihm vorbeiging. »Und extrem böse.«

Neve hielt sich so aufrecht wie möglich.

In der Ferne grummelte etwas. Die Erde bebte, der Steinboden des Turms zitterte. Neve krallte sich erschrocken an der Wand fest, und wie durch ein Wunder griff sie dabei nicht in die Dornen, die die Treppe säumten.

Solmirs Hand schloss sich wieder um ihren Arm. Er zog sie zurück und platzierte sie sich gegenüber im Durchgang. Dabei stieß sie mit der Nase beinahe in die Vertiefung seines Schlüsselbeins.

»Der sicherste Ort während eines Erdbebens«, sagte er mit knirschenden Zähnen. Mit den blauen Augen schaute er nicht sie an, sondern suchte den Horizont ab. »Durchgänge. Merk dir das, das könnte dir noch nützlich sein.«

Noch einmal grollte die Erde, dann beruhigte sie sich und verstummte. Mit weiß hervorstehenden Knöcheln hielt sich Neve am Türrahmen in ihrem Rücken. »Passiert das häufiger?«

»Immer öfter, ja.« Er wandte sich von ihr ab und ging die Treppe hinauf. »Die Schattenlande brechen auseinander. Werden stetig instabiler.« Er schnaubte. »Immerhin gibt es nicht mehr viel, was sie einschließen könnten. Von den minderen Bestien sind kaum noch welche übrig, von den Vorigen nur noch vier.« Ein Zögern. »Vielleicht sogar nur noch drei. Ich muss mal die Näherin fragen.«

»Dir ist schon klar, dass ich kein Wort verstanden habe, oder?«

Er grinste sie messerscharf an, doch schaffte es das Grinsen nicht in seine Augen. »Wer ist jetzt dumm?«

Ein Zittern hielt sie von einer gehässigen Antwort ab, denn die Kälte der Schattenlande schnitt durch ihr Nachthemd. Neve gab sich alle Mühe, es zu verbergen, doch Solmir fiel es auf, und seine dunklen Brauen senkten sich. Kurz darauf zog er seinen Mantel aus.

Sie schüttelte bereits den Kopf, noch ehe er die Arme ganz aus ihm befreit hatte. »Ich will nicht …«

»Ja, ich weiß, du willst nichts von mir. Pech gehabt. Nimm den verdammten Mantel.«

Nach kurzem Zögern griff sie ihn. Er war warm, da er ihn getragen hatte. Neve versuchte, vor dem Stoff nicht angeekelt zurückzuschrecken.

Solmir hielt inne, ehe er seufzte. »Ich bin auch nicht gerade begeistert darüber, dass du hier bist, Neverah. Das war es nicht, was ich wollte.«

»Nein, du wolltest die Könige an die Oberfläche bringen und meine Schwester töten.«

»Nicht ganz«, stieß er durch knirschende Zähne hervor, als versuchte er angestrengt, sich nicht auf den Streit einzulassen, in den sie ihn manövrieren wollte. »Ich habe dir gesagt, was ich wollte. Die Könige vernichten.«

Ihm Emotionen zu zeigen, bedeutete, sich in die Karten schauen zu lassen, und Neve hatte sich ihm gegenüber ohnehin schon zu verwundbar gemacht. Das hatte er nicht verdient, und sie konnte sich nicht noch mehr leisten. Deshalb richtete sie sich auf und kämpfte dagegen an, dass sich ihr Gesicht wütend verziehen wollte. Stattdessen setzte sie wieder die Maske auf, und sollte er durch sie hindurchsehen können, dann hatte sie es wenigstens versucht. »Du erwartest, dass ich dir das glaube?«

»Du hast gar keine Wahl. Ich bin vielleicht ein Lügner und ein Mörder und noch eine ganze Reihe anderer unanständiger Dinge, doch ich bin der Einzige in dieser Unterwelt, der wenigstens ansatzweise auf dich aufpasst.« Zähne schimmerten, nur war es kein Lächeln. »Wir wollen dasselbe, du und ich. Ich weiß, dass dir das widerstrebt.«

Er war ihr zu nahe. Sie wollte vor ihm zurückweichen, aber das wäre eine Kapitulation gewesen, und Neve weigerte sich, ihn glauben zu lassen, dass er in irgendeinem Punkt gewonnen hätte. Sie verengte die Augen. »Wie anmaßend von dir.«

»Du willst ein Ende. Und es gab schon immer nur zwei Möglichkeiten, wie das enden kann. Entweder werden die Könige zerstört, zusammen mit ihren Seelen und was von ihren Körpern geblieben ist, oder sie entkommen aus den Schattenlanden, wenn diese sich schließlich auflösen.« Rings um seine Braue zogen sich Narben, an der Schläfe wirkten sie am schmerzhaftesten und immer weniger schlimm, je weiter sie zur Mitte reichten. Er hob die Hand und rieb sie geistesabwesend. »Ob du es glaubst oder nicht, als ich zur Oberfläche ging, habe ich tatsächlich versucht, den für uns alle einfachsten Weg zu beschreiten.«

»Als du Arick manipuliert hast.« Seine Haltung drückte keinerlei Reue aus, und das konnte sie vermutlich auch nicht mehr ändern, aber Neve würde nicht zulassen, dass er sich hinter halben Geständnissen versteckte. »Als du mich manipuliert hast.«

»Du musstest gar nicht sehr manipuliert werden, Hoheit.« Im grauen Dämmerlicht loderten seine blauen Augen. »Dich musste man kaum anschubsen.«

Sie schluckte den Geschmack ihres Pulsschlags hinunter. Sie weigerte sich, das Kinn zu senken, weigerte sich, seinem Blick auszuweichen. Herausfordernd starrte sie den König an wie einen Feind am anderen Ende des Schlachtfelds.

Solmir unterbrach den Blickkontakt als Erster, doch tat er es so zwanglos, dass es sich für Neve nicht wie ein Sieg anfühlte. Noch einmal rieb er sich die Stirn, dann nahm er die Hand herunter und legte sie auf den Griff seines Dolchs. »Ich hätte erreichen können, was für mich nötig war – eigentlich sogar, was für alle nötig war, Neverah, du solltest mir eigentlich dankbar sein –, aber deine Schwester musste ja hergehen und alles komplizierter machen.« Eine Pause. »Damit hätte ich wohl rechnen müssen. Das Schicksal ist ein wahres Miststück.«

Sie machte den Mund auf, um ihm zu sagen, dass sie aus seinem Mund nichts von Red hören wollte, doch ehe sie dazu kam, bebte die Erde erneut.

Neve kippte zur Seite, schlug ihre Knie gegen die Treppe, obwohl das Beben schwächer war als das vorige. Solmir eilte nicht zum Durchgang, sondern ging mit geübten, fließenden Bewegungen in eine Kauerhaltung. Wie lange diese Welt wohl schon auseinanderbrach, wenn er es beinahe gewohnt zu sein schien?

Als wieder alles ruhig war, richtete Solmir sich auf, wandte sich um, um zu dem runden Zimmer hinaufzusteigen, in dem sie erwacht war. »Du hast dir vermutlich bereits zusammengereimt, dass die Zeit drängt«, rief er über die Schulter zu ihr zurück. »Deshalb schlage ich vor, dass du dich beeilst.«

Kapitel zwei

Red

Manchmal gab der Wald ihr Träume ein.

Das war nur logisch. Wenn man so viel Magie in sich einschloss wie Red, dann musste man damit rechnen, dass dies sowohl äußerliche als auch innerliche Spuren hinterließ. Die Magie verlieh nicht nur ihren Augen einen grünen Strahlenkranz und flocht Efeu in ihr Haar, sondern fräste auch goldene Furchen in ihre Gedanken. Alles in allem zwar nicht weniger beunruhigend, trotzdem eine einigermaßen leichte Nebenwirkung.

Es hatte sofort angefangen, nachdem sie zum Wilden Wald geworden war. Gleich nachdem Neve unter die Erde gezerrt worden war. Träume, die goldene Nachbilder zurückließen, Träume, die sich wirklicher anfühlten als das Aufflammen ihrer müden Gedanken, ehe sie sich schließlich im Schlaf verloren. Sie waren unkompliziert und dauerten nicht lange. Ein Spiegel ohne Spiegelbild. Sterne, die über den Himmel liefen und sich auf eine Weise sammelten, dass sie fast die Gestalt von Worten annahmen, doch auseinanderstoben, bevor Red sie entziffern konnte.

Der anhaltendste Traum jedoch, den ihr der Wilde Wald bisher eingegeben hatte, war: ein Baum. Ein Wächter mit weißem Stamm in einem Nebelmeer, in dem die Landschaft nicht zu sehen war. Erst war er ein Schössling, dann wuchs er – langsam, nach Art der Träume, schließlich in einem Wimpernschlag. Er schoss auf, verzweigte sich über Reds Haupt und war von goldenen und schwarzen Adern durchzogen.

Dann hatte sie einen Apfel in der Hand. Warm und golden, schwerer, als Äpfel eigentlich sind. Sie hob ihn an den Mund und biss hinein. Er schmeckte nach Blut, und sie bekam fürchterliche Schmerzen in der Brust, als hätte sie ein lebenswichtiges Organ aus sich herausgerissen und aufgegessen.

Red schlug die Augen auf, ihr Bauch zuckte, der Geschmack von Kupfer flutete ihren Mund. Das Herz klopfte ihr schnell in der Kehle, verwandelte ihre Adern in ein Spinnennetz aus lebhaftem Grün, das langsam schwächer wurde, als sie sich erinnerte, wo sie war.

In der Schwarzen Feste. Zusammen mit dem Wolf.

Eine leichte Brise trug den Geruch von Laub und Erde und Zimt durchs offene Fenster ins Schlafzimmer, der Duft ewigen Herbstes. Trübes Morgenlicht goss sich aufs Bett und setzte Eammons dunkles Haar in goldene Flammen, hob Narben an seiner nackten Schulter und seinem nackten Bauch hervor.

Bei diesem Anblick musste sie lächeln, und die Überreste des blutigen Traums verflüchtigten sich vollends, als sie sich an ihn drückte und mit dem Finger die drei weißen Linien auf seinem Bauch nachfuhr. Sie hatten den Wald aus dem endlosen Zwielicht herausgerüttelt und wieder in die lineare Zeit gebracht, und nie war sie dafür dankbarer als morgens. Im frühen grauen Licht sah der Wolf sehr gut aus.

Mit der Hand fuhr sie sacht über seine Narben, über seinen Hüftknochen. Und tiefer hinunter. Er drehte sich ein wenig, reckte das Kinn mit einem zufriedenen Seufzen, als sich ihre Finger um ihn legten, aber er wachte nicht auf.

Red grinste schelmisch, tauschte ihre Hand gegen ihren Mund.

Das weckte ihn nun doch auf. Eammons Augen öffneten sich, Bernstein in einem tiefgrünen Strahlenkranz schmolz sogleich dahin. Er griff ihr mit vernarbter Hand ins Haar. »Guten Morgen.«

»Einen wunderschönen guten Morgen«, murmelte Red, ehe sie hochkam, um sich rittlings auf ihn zu setzen.

Später, als ihre Gedanken wieder klar und geordnet waren und sie sich anzog, dachte Red noch einmal an ihren Traum zurück. Dieser hatte sich anders angefühlt. Irgendwie gewichtig.

Allerdings fühlte sich in letzter Zeit alles gewichtig an. Es war eine Woche vergangen seit dem Schattenhain, seit sich die Erde aufgetan hatte, seit sie Solmirs Plan, die anderen Könige auf diese Seite zu bringen, vereitelt hatten und seit sie und Eammon ganz zum Wilden Wald geworden waren, ihn in ihren Körpern und ihren Seelen aufgefangen hatten.

Eine Woche ohne einen Hinweis auf Neve.

Eine Woche ohne eine Ahnung, wo sie mit der Suche überhaupt anfangen sollten. Der Spiegel im Turm zeigte ihr nichts. Seit jenem Bild der Schattenlande, das sie darin gesehen hatte, bevor sie zum Waldrand gegangen waren und ihn zerstört vorgefunden hatten, hatte er ihr nichts mehr gezeigt. Der Wald, der in ihren Knochen eingegraben war, offenbarte ihr keine Hinweise. Nun, da er seine Anker hatte, blieb er völlig ruhig, sprach nicht mehr mit teuer erkauften Worten, sondern ruhte entlang ihres Geistes wie Moos auf einem Stein. Der Wald außerhalb von ihr, ganz ohne Wächterbäume und ohne Bewusstsein, aber noch immer von Magie berührt, war nur Herbst und Gold.

Red war nie mächtiger gewesen als jetzt. Und dennoch fühlte sie sich hilflos.

Die Vertrautheit von Eammons rauen Händen in ihrem Nacken rief ihren Verstand in die Gegenwart zurück. Gedankenversunken hatte sie im Haareflechten innegehalten, und nun nahm er ihr die Strähnen ab und machte weiter, wo sie aufgehört hatte. »Wieder etwas, das dir Sorgen bereitet?« Seine Stimme war leise und morgendlich heiser. »Oder das Gleiche wie immer?«

»Das Gleiche«, murmelte sie.

Ein sanfter Laut der Zustimmung. Er flocht ihr einen knubbeligen Zopf, band ihn fest und zog sachte daran, sodass sie den Kopf in den Nacken legte und ihn sah. Er küsste sie auf die Stirn. »Vielleicht erfährt Fife von Raffe etwas Neues.«

Sie seufzte und lehnte sich vollends nach hinten, sodass ihr Kopf auf Eammons Bauch zu ruhen kam. »Vielleicht.« Schon zum zweiten Mal in dieser Woche war Fife in die Hauptstadt Valleydas gegangen, da die Grenzen des Wilden Walds ihn nicht mehr zurückhielten. Aber auf andere Weise war er noch an den Wald gebunden, nämlich aufgrund des Handels, den er für Lyras Leben eingegangen war in jenen wenigen Minuten, in denen Eammon nicht ganz Eammon, sondern von Magie und Wald überwältigt gewesen war. Fife traf sich mit Raffe in einer Schenke. Dieser trug möglichst unauffällige Kleider, und sie überlegten, wie sie Raffes Ressourcen nutzen konnten, um Neve zu finden.

Tja, solange er diese Ressourcen noch hatte. Solange niemand entdeckte, dass die Königin sich nicht auf einem florianischen Landsitz von einer Krankheit erholte, dass ihr Verlobter nicht Alpera besuchte und dass die Hohepriesterin ihn nicht begleitete.

Falls und wenn dies alles ans Licht kommen würde, wäre es für Raffe nicht mehr so einfach, die Palastbibliothek zu nutzen und den Schrein zu überwachen.

Bisher hatte sich Valleydas Isolation für sie als Vorteil erwiesen. Die Dinge, die das Land bemerkenswert machten, sorgten gleichzeitig dafür, dass niemand es erobern wollte – der Wilde Wald an seiner Nordgrenze, der Opferzoll der Zweiten Töchter, die schlechten Böden und die Kälte. Zwei dieser Dinge stellten zwar keine Abschreckung mehr dar, aber Nachrichten verbreiteten sich langsam, vor allem im Winter, wenn der Hof sich entweder zu Hause einigelte oder verreist war.

Wenn sie rasch und lautlos handelten und Neve zurückbrachten, ehe der Winter vorbei war, brauchten die Adligen es nie zu erfahren. Red war zu sehr mit dem Versuch beschäftigt, ihre Schwester aus der Unterwelt zurückzuholen, weshalb sie nicht auch noch um deren Thron kämpfen konnte.

Sie hätte gute Lust gehabt, ihn einfach aufzugeben, sollte es so weit kommen. Was hatte ihnen der Thron schon genützt? Red wollte ihn jedenfalls ganz bestimmt nicht.

Flatternd machte sie die Augen zu, während sie sich an Eammon lehnte und seinen Bibliotheksgeruch einatmete. Er roch noch immer danach, auch wenn der Geruch von Laub inzwischen mehr im Vordergrund stand. »Ich hatte einen Traum. Einen vom Wilden Wald.« Sie öffnete ein Auge, um zu ihm hinaufzuspähen. »Du auch?«

Seine Hand wanderte zu ihren Haaren, strich ihr eine entschlüpfte Strähne hinters Ohr, während er die Brauen zusammenzog und an den Schlaf zurückdachte, den sie unterbrochen hatte. »Nicht dass ich mich daran erinnern könnte, nein.« Kurz flackerte Glut in seinen Augen auf, doch einen Augenblick später räumte er ein: »Allerdings bin ich in einer etwas heiklen Lage aufgewacht, weswegen meine Erinnerung wohl nicht so klar ist, wie sie es sein sollte.«

Ihre Lippen zuckten, als sie ihm in den Bauch pikste. Schon bei ihren ersten Waldträumen hatte sie ihm davon erzählt, denn er hatte ebenfalls solche Träume – das flüchtige Aufblitzen von Bildern und Gefühlen, zu kurz, um sich daraus etwas zusammenzureimen. Wenn Red einen Waldtraum hatte, hatte Eammon normalerweise auch einen, denn der Magiefaden, der sich durch sie beide wand, entzündete sich immer zur selben Zeit.

Dieser Traum war aber anscheinend nur für sie gewesen. Red runzelte die Stirn. »Er war seltsamer als die anderen. Länger. Da war ein Baum. Ein Wächter. Und ein Apfel. Als ich hineingebissen habe, hat er geblutet.«

Eammons Hände erstarrten. Die Erwähnung von Blut ließ ihn selbst jetzt noch verkrampfen, wo der Wald gar kein Blut mehr von ihm forderte. Lyra bezeichnete ihn spöttelnd als zimperlich, doch leuchtete dabei Mitgefühl in ihren Augen. Der Wolf hatte genug Blut für mehrere Lebensalter gesehen.

Die vorübergehende Starre war vorbei, sein Daumen strich über ihr Kinn, bevor er die Hand herunterfallen ließ. »Glaubst du, dass er etwas zu bedeuten hat? Die Träume, die uns der Wilde Wald einflößt, tun das normalerweise nicht, zumindest für mich nicht, aber wenn du meinst, dass er eine Bedeutung hatte …«

»Könnte schon sein.« Red seufzte. »Oder er bedeutet einfach nur, dass die Gewürze, die Lyra uns gestern Abend mitgebracht hat, etwas mit meinem Kopf gemacht haben.«

Er schnaubte. »Ich sehe mal in der Bibliothek nach. Vielleicht steht in den Chroniken etwas, was danach klingt, nur sicherheitshalber. Aussagen über blutige Äpfel dürften selten und sehr speziell sein, würde ich meinen.«

»Ich helfe dir, wenn ich Fife verabschiedet habe. Ich muss ihm einen Brief an Raffe mitgeben.«

»Schon wieder?«

Sie zuckte mit den Schultern und zupfte an einem Faden, der sich aus ihrem Saum gelöst hatte. »Wenn du derjenige wärst, der verloren ist, würde ich an seiner Stelle von absolut allen unseren Versuchen erfahren wollen.«

Der Wolf gab mit einem leisen Laut seine Zustimmung.

Red klopfte sich vor Sorge mit den Fingern aufs Bein. »Wenn Raffe nichts Neues weiß«, sagte sie schließlich, »sollten wir darüber reden, was wir als Nächstes tun.«

Sie sah nicht auf, hörte aber Eammons stockendes Seufzen. Sie schrammten nahe an einem kleinen Streit vorbei, der schon seit Tagen in der Luft lag. Sie durchsuchten zwei Bibliotheken und hatten bisher nichts gefunden, was ihnen bei der Suche nach Neve helfen würde. Reds von vornherein bereits strapazierter Geduldsfaden war nun fast am Reißen. Wer vermochte zu sagen, was Neve erleiden musste, während sie mit alten Büchern und Vorsicht Zeit verplemperten.

Es knisterte zwischen ihnen, lauernd. Eammon nickte. »Wir werden darüber reden«, sagte er. Dann küsste er sie erneut auf die Stirn und verschwand nach unten.

Red stand auf, streckte die Arme über den Kopf, um die Reste der morgendlichen Steifheit loszuwerden. Aus der Küche drangen bereits köstliche Gerüche – Lyra war nach einem kurzen Ausflug nach Süden gestern Abend zurückgekehrt. Sie plante noch viele solcher Reisen in alle Ecken des Kontinents, jetzt, wo sie dem Wilden Wald nicht mehr verpflichtet war. Fife hatte sich fürs Abendessen mächtig ins Zeug gelegt, und anscheinend tat er es fürs Frühstück erneut.

Der Brief an Raffe lag auf dem Schreibtisch, nur ein Blatt, klein zusammengefaltet. Red sah ihn mit der Lippe zwischen den Zähnen an. Außer der Nachricht, dass sie keinerlei Fortschritte gemacht hatten, stand noch mehr in dem Brief, sie hatte am Ende noch ein paar hastige Zeilen angefügt. Aricks baldiger Geburtstag. An diesen würde sich Raffe zwar auch ohne einen Hinweis von ihr erinnern, aber sie hatte dennoch das Gefühl, ihn erwähnen zu müssen. Als Beweis dafür, dass sie sich ebenfalls daran erinnerte.

Die Trauer um Arick war seltsam, vermutlich das Seltsamste, was sie inmitten all ihrer rätselhaften Traurigkeit empfand. Ihn getötet zu haben, tat ihr nicht leid. Schuldgefühle gehörten nicht zu den Seltsamkeiten, die er in ihr wachrief. Sie hätte noch viel schlimmere Dinge getan, um Eammon zu retten, um Neve zu retten. Es war Aricks Entscheidung gewesen, Solmir herbeizurufen und ihm seinen Schatten und sein Leben zu geben.

Dennoch tat es ihr leid, dass er nicht mehr da war.

Den Mund schmal und fest zusammengekniffen, steckte sie den Brief ein. Sollte sie Solmir wieder begegnen, würde sie ihn töten. Um einiges langsamer, als sie Arick getötet hatte.

Sie ging die Treppe hinunter, während ihre Gedanken sich näherliegenden Problemen als Arick und Solmir zuwandten, denn die Stimmen von Fife und Lyra drangen aus dem Speisezimmer zu ihr herauf. Eammon hatte Fife gestattet, Lyra auf ihren Reisen quer durch den Kontinent zu begleiten, wenn er wollte. Nun, da Eammon und Red der Wilde Wald waren und es keine wirkliche Grenze mehr gab, an die man ihn hätte binden sollen, war es naheliegend, dass Fife mit Lyra reiste, wohin auch immer sie wollte. Doch Fife hatte es nicht versucht, war lediglich in die Hauptstadt von Valleyda gewandert, um sich dort mit Raffe zu treffen. Red war sich nicht sicher, was ihn davon abhielt, und es war ihr unangenehm, ihn danach zu fragen, solange alles noch so neu und ungewohnt war. Solange niemand so genau begriff, auf was Fife sich da eingelassen hatte, als er mit dem Gott, zu dem Eammon kurz geworden war, einen Handel eingegangen war.

Der neue Handel, den er mit dem Wilden Wald – mit Eammon – geschlossen hatte, war anders. Das spürte sie in dem Wald, den sie in sich trug, auch wenn sie nicht wusste, wie. Der Wilde Wald hatte etwas von Fife benötigt, was weder Blut noch Gefolgschaftstreue war. Das Feilschermal an seinem Arm war größer und verschlungener als zuvor, ein Wurzelgewirr unter der Haut, das sich fast vom Ellbogen bis zur Mitte seines Unterarms zog. Der Wald erbat nichts von ihm. Es gab keine Schattenwesen oder Durchbrüche, auf die es Blut zu tropfen galt in der Hoffnung, sie wieder verschließen zu können.

Selbst in dem Faden zusammenhängender Waldgedanken, der parallel zu ihrem eigenen Denken verlief, und zwar so nahe, dass sie sie beinahe nicht auseinanderhalten konnte, vermochte Red nicht zu erkennen, was Fifes neuer Handel zu bedeuten hatte.

Das machte sie nervös, sie alle drei. Sie verhielten sich vorsichtig, wenn sie sich begegneten. Und wenn es Red schon schmerzte, konnte sie sich kaum vorstellen, wie es Fife und Eammon damit ergehen mochte, die so viel Zeit gemeinsam in einer kleinen eigenen Welt verbracht hatten.

Als Red ins Speisezimmer kam, saß Lyra bereits da, hielt eine dampfende Tasse Kaffee in der Hand und hatte ein Lächeln in ihrem Elfengesicht. Die Sonne jenseits des Waldes hatte die Spitzen ihrer fest zusammengebundenen schwarzen Haare gebleicht, sodass sie nun kupfern schimmerten. Zum Gruß hob sie die abgesplitterte Tasse, als Red durch die Tür trat. »Setzt du dich etwa tatsächlich hin und isst etwas, oder machst du es wie dein Gatte, der kaum Hallo gesagt, sondern nur eine Scheibe Röstbrot stibitzt hat?«

»Ich setze mich zu dir.« Red nahm auf ihrem Stuhl Platz und griff die Tasse, die Lyra ihr reichte. Dankbar grinste sie Lyra an, als sie merkte, dass diese bereits Sahne in ihren Kaffee getan hatte. »Das riecht viel besser als sonst.«

»Wusstest du, dass Kaffee gar nicht nach schlaffem Bohnenwasser schmecken muss? Das habe ich während eines kurzen Abstechers nach Meducia gelernt. Die kennen sich mit Getränken aus, sei es Wein oder Kaffee.«

»Ich tue mein Bestes, mich nicht beleidigt zu fühlen.« Fife kam aus der Küche mit etwas, was wie ein ganzer Schinken aussah, und stellte es neben das Röstbrot. »Und ich sehe davon ab, mich über die Tatsache zu äußern, dass du meinen Kaffee schlaffes Bohnenwasser genannt hast.«

Lyra rümpfte die Nase und tätschelte ihm den roten Haarschopf. »Das allerbeste schlaffe Bohnenwasser.«

Fife strahlte sie an. Es war das erste richtige Lächeln, das Red seit einer Woche bei ihm gesehen hatte. Er hatte die langen Ärmel ganz nach unten gezogen, um sein Feilschermal zu verbergen, und als Lyra sich wieder dem Frühstück zuwandte, fummelte er an der Manschette herum, als wollte er sich vergewissern, dass sie noch an seinem Handgelenk war.

Er musste gespürt haben, dass Red ihn beobachtete. Denn sein haselnussfarbener Blick glitt zu ihr, und er zuckte ganz leicht und bedauernd mit den Schultern.

Dann hatte er Lyra den neuen Handel also noch nicht verraten, hatte ihr das neue Mal noch nicht gezeigt. Das würde er müssen, und zwar bald – Lyras Erinnerung an den Kampf mit Solmir reichte aus, um zu wissen, dass sie schwer verwundet worden war. Irgendwann würde sie dahinterkommen, wie sie gerettet worden war.

Sie aßen in kameradschaftlichem Schweigen, Fife neben Lyra und Red ihnen gegenüber. Jetzt, wo sie sich nicht mehr auf die Vorräte aus Waldsaum beschränken mussten, waren die Mahlzeiten weitaus ausgefeilter. Die Leute in den Dörfern jenseits des Waldes bereiteten sich noch immer auf die Auswanderung nach Süden vor – verspätet wegen des unbemerkten Chaos, das in Valleyda herrschte. Doch Valdrek und Lear waren bereits in die Hauptstadt gereist, um sich ein Bild von der neuen Welt zu machen, in die sie zurückkehren würden.

Falls sie Neve fanden – wenn sie Neve fanden, dachte Red ungestüm und mit um die Tasse gekrallten Fingern bei sich –, dann würde Red den Menschen aus den Dörfern beim Umsiedeln helfen. Doch zunächst, während Raffe im Geheimen versuchte, den Laden allein mit Willenskraft zusammenzuhalten, erschien es ihr nicht klug, die ganze Bevölkerung eines winzigen Landes von jenseits des Wilden Walds umzusiedeln. Die Leute von Waldsaum waren derselben Meinung, und viele von ihnen wollten ohnehin bleiben, wo sie waren. Nun, da der Weg durch den Wald frei war und sie jederzeit mit dem Rest der Welt Handel treiben konnten, fühlte sich das Land jenseits des Wilden Walds nicht mehr wie ein Gefängnis an.

»Würdest du das bitte Raffe geben, wenn ihr euch trefft?«, fragte Red und fischte den Brief aus ihrer Tasche.

Fife nahm ihn, und als er spürte, wie dünn er war, zog er eine Braue nach oben. »Gibts was Neues?«

»Nein.« Sie seufzte. »Aber auch das wird er wissen wollen. Keine Nachrichten sind schlechte Nachrichten.«

Lyra nahm sich eine zweite Scheibe Brot. »Ich dachte, es heißt: ›Keine Nachrichten sind gute Nachrichten.‹«

»Dann sagen wir einfach: Keine Nachrichten würden Raffe noch nervöser machen, als er es ohnehin schon ist.«

Außer der kurzen Erinnerung an Aricks Geburtstag enthielt der Brief tatsächlich nicht viel – lediglich die erneute Feststellung, dass sie Neve nicht im Spiegel sah, obwohl sie ihm jeden Tag opferte. Außerdem beteuerte sie ihm ein weiteres Mal, dass sie und Eammon nach einer Möglichkeit suchten, die Schattenlande zu öffnen und Neve herauszuholen.

Nun ja. Nach einer sicheren Möglichkeit jedenfalls.

Vor ihrer Verwandlung zum Wilden Wald hatte es zahllose zufällige Durchgänge in die Schattenlande gegeben. Die Durchbrüche in Form aufgewühlter schwarzer Erde rings um gefallene Wächter, aus denen Schattenwesen in die Welt kamen. Und die mindere Bestie, gegen die sie gekämpft hatten, als er sie zum ersten Mal mit nach Waldsaum genommen hatte. Und das, dachte Red, könnte die Antwort sein, nach der sie suchten.